2 I 2017+file++593fdd26f1b4cd06c6fd526a... · Jana Bender 2 FACHBEREICHFACHBEREICH VER- UND...

8
2 I 2017 E N E R G I E W I R T S C H A F T · W A S S E R W I R T S C H A F T · A B F A L L W I R T S C H A F T „Ich möchte ja gern, aber leider geben das die Ausschreibungs- bedingungen nicht her.“ Diesen Satz hören viele Kolleginnen und Kollegen, insbesondere in der Entsorgungsbranche, wenn sie einfordern, dass ihre Kommune bei der Ausschreibung von Recyc- lingdiensten oder auch der öffent- lichen Müllabfuhr Tariflöhne und angemessene Arbeitsbedingungen zur Auflage macht. Schutzbehauptung oder eine nicht wegzudiskutierende Tatsache? ver.di hatte bereits 2006 die Berliner Rechts- anwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll. gebeten, genauer zu schauen, welche Möglichkeiten der Gesetzgeber im Vergaberecht bietet, damit die Be- schäftigten nicht die Leidtragenden eines gnadenlosen Wettbewerbs um den niedrigsten Preis werden, mit dem die privaten Entsorgungsunternehmen konkurrieren. Bereits damals hatten die Gutachter dargelegt, dass es – selbst zu Hochzeiten der Wettbewerbsideo- logie – zahlreiche Möglichkeiten gab, soziale Kriterien in die Vergabeverfah- ren einzubringen. Doch blieb damals ein Rest an Unsicherheit, ob derartige Regelungen vor den Gerichten Bestand hätten. „Mittlerweile hat sich die rechtliche Ausgangslage für die Absicherung einer leistungsgerechten Vergütung in Ausschreibungen deutlich zugunsten der sozialadäquaten Vergabe geän- dert. Diese Rechtsentwicklung ist maßgeblich von der Europäischen Union vorangetrieben worden. Motor war bis zur Novelle 2014 die Recht- sprechung des Europäischen Gerichts- hofs, ab dem Jahr 2014 die Novelle der EU-Vergaberichtlinien“, stellen jetzt, 2017, die Rechtsanwältin Caro- line von Bechtolsheim und ihr Kollege Gabriel Babel in ihrem Folgegutachten fest. 2016 hat der deutsche Gesetz- geber diese Regelungen übernom- men. Seitdem gilt: Kommunen, die auskömmliche Lohn- und Arbeitsbe- dingungen vorschreiben wollen, wird ein breiterer Spielraum eingeräumt. „Das derzeitige Vergaberecht lässt es ausdrücklich zu, im Ausschreibungs- verfahren soziale und ökologische Bedingungen vorzuschreiben.“ Die beiden Vergaberechtsexperten sind Verfasser des Gutachtens „Hand- lungsspielräume öffentlicher Auftrag- geber bei der Verankerung von Ver- gütungskriterien in Vergabeunterla- gen bei europaweiten (Entsorgungs-) Ausschreibungen“, das sie Anfang 2017 im Auftrag von ver.di vorgelegt haben. Sie haben dabei akribisch nach- gewiesen, dass Kommunen vielfältige Möglichkeiten haben, rechtssicher zu vermeiden, dass ein „billiger Jakob“ den Zuschlag für die Entsorgung in ihrem Verantwortungsbereich be- kommt. An zwei zentralen Stellen des Ver- gabeverfahrens kann die ausschreiben- de Stelle eingreifen, um Lohndumping zu verhindern. Zunächst gilt ohne Wenn und Aber der gesetzliche Min- destlohn, bisher der Branchen-Min- destlohn von 9,10 Euro pro Stunde. Und auf alle Fälle gilt der allgemeine, gesetzliche Mindestlohn, der allerdings niedriger ist. Der ist Gesetz, und wer den nicht zahlt, darf von Anfang an gar nicht mitbieten. Aber es besteht auch die Möglichkeit, schon in den Mindest- oder Ausführungsbedingun- gen höhere Löhne festzulegen, wenn sie in geltenden Tarifwerken für die Entsorgung vereinbart sind – jedenfalls für diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die für den Auftrag ab- gestellt werden und wenn eine grenz- überschreitende Entsendung von Ar- beitnehmern unwahrscheinlich ist. Und zweitens können die Kommunen es jetzt auch am Ende, bei der Beurteilung der eingegangenen Angebote, bei den sogenannten Zuschlagskriterien, posi- tiv werten, wenn Anbieter auskömm- liche Löhne zahlen – und ihnen selbst dann den Zuschlag erteilen, wenn sie nicht am billigsten sind. „Ich fordere alle Kommunen auf, die gegebenen rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um bei der Ausschreibung von Entsorgungsdienstleistungen zu- künftig Lohndumping zu vermeiden“, sagt Andreas Scheidt vom ver.di-Bun- desvorstand bei der Vorstellung des Gutachtens. Und er fügt hinzu: „Wir werden den Kommunen dabei auf die Finger schauen.“ ABFALLWIRTSCHAFT ver.di zielt auf Haustarifverträge Die Tarifverhandlungen mit dem BDE sind ergebnislos beendet wor- den. Seite 3 AUSBILDUNG Frauen sollen technische Berufe entdecken Die Ausbilder/-innenkonferenz dis- kutiert über Beurteilungskriterien und Fachkräftemangel. Seite 4 Ausbildung muss nicht in Vollzeit sein Teilzeitausbildung bietet Chance für beide – die jungen Leute wie das Unternehmen. Seite 4 ABFALLWIRTSCHAFT Kraftfahrer/-in: Der Start in eine Karriere Ausbilder: Betriebe müssen mehr Kraftfahrer/-innen ausbilden Entsorgung soll Image verbessern. Seite 5 DEMOGRAFIE TV-V-Tarifvertrag Demografie gescheitert Den Arbeitgebern fehlt der Wille zur tarifpolitischen Gestaltung. ver.di: Themen bleiben auf der Agenda. Seite 6 ARBEITSBEDINGUNGEN Wenn Arbeit überhand nimmt Überlastungsanzeigen oder § 92 a Betriebsverfassungsgesetz – Be- triebsräte müssen stete Arbeitsver- dichtung nicht hinnehmen. Seite 7 Nur mit guten Arbeitsbedingungen Gutachten im Auftrag von ver.di bestätigt: Kommunen sind auf der sicheren Seite, wenn sie soziale Kriterien vorgeben Seite 3 Bayernwerk stellt Fuhrpark auf Elektrofahrzeuge um Die E.ON-Tochter Bayernwerk AG schafft sich einen Fuhrpark kom- plett aus Elektrofahrzeugen an. Insgesamt sollen alle 1300 Autos der Firmenflotte in den nächsten Jahren ausgetauscht werden. Das Unternehmen will die Fahrzeuge ab 2020 austauschen. Spätestens im Jahr 2025 werde der letzte kon- ventionell betriebene Bayernwerk- Pkw seinen Dienst quittieren, hieß es. Im vergangenen Herbst 2016 hat- te Bayernwerk bereits rund 30 neue E-Fahrzeuge angeschafft. Durch die Umstellung erhofft sich Bayernwerk eine jährliche Einsparung von 5000 Tonnen CO 2 . Das entspreche einem Verbrauch von rund zwei Millionen Liter fossiler Brennstoffe. Mit der Entscheidung möchte der Vorstand des Unternehmens zugleich auch das Interesse für die E-Mobilität in der Öffentlichkeit steigern und Vor- behalte der Technik gegenüber ab- bauen. Eine Schlüsselrolle komme dem Ausbau der Ladeinfrastruktur zu. FOTO: BENDER

Transcript of 2 I 2017+file++593fdd26f1b4cd06c6fd526a... · Jana Bender 2 FACHBEREICHFACHBEREICH VER- UND...

Page 1: 2 I 2017+file++593fdd26f1b4cd06c6fd526a... · Jana Bender 2 FACHBEREICHFACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017 ENERGIEWIRTSCHAFT Liebe Kolleginnen und Kollegen,

2 I 2017

E N E R G I E W I R T S C H A F T · W A S S E R W I R T S C H A F T · A B F A L L W I R T S C H A F T

„Ich möchte ja gern, aber leidergeben das die Ausschreibungs-bedingungen nicht her.“ DiesenSatz hören viele Kolleginnen undKollegen, insbesondere in derEntsorgungsbranche, wenn sieeinfordern, dass ihre Kommunebei der Ausschreibung von Recyc-lingdiensten oder auch der öffent-lichen Müllabfuhr Tariflöhne undangemessene Arbeitsbedingungenzur Auflage macht.

� Schutzbehauptung oder eine nichtwegzudiskutierende Tatsache? ver.dihatte bereits 2006 die Berliner Rechts-anwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siederer& Coll. gebeten, genauer zu schauen,welcheMöglichkeiten der Gesetzgeberim Vergaberecht bietet, damit die Be-schäftigten nicht die Leidtragendeneines gnadenlosen Wettbewerbs umden niedrigsten Preis werden, mit demdie privaten Entsorgungsunternehmenkonkurrieren. Bereits damals hatten dieGutachter dargelegt, dass es – selbstzu Hochzeiten der Wettbewerbsideo-logie – zahlreiche Möglichkeiten gab,soziale Kriterien in die Vergabeverfah-ren einzubringen. Doch blieb damalsein Rest an Unsicherheit, ob derartigeRegelungen vor denGerichten Bestandhätten.„Mittlerweile hat sich die rechtliche

Ausgangslage für die Absicherungeiner leistungsgerechten Vergütung inAusschreibungen deutlich zugunstender sozialadäquaten Vergabe geän-dert. Diese Rechtsentwicklung istmaßgeblich von der EuropäischenUnion vorangetrieben worden. Motorwar bis zur Novelle 2014 die Recht-sprechung des Europäischen Gerichts-hofs, ab dem Jahr 2014 die Novelleder EU-Vergaberichtlinien“, stellenjetzt, 2017, die Rechtsanwältin Caro-line von Bechtolsheim und ihr KollegeGabriel Babel in ihrem Folgegutachtenfest. 2016 hat der deutsche Gesetz-geber diese Regelungen übernom-men. Seitdem gilt: Kommunen, dieauskömmliche Lohn- und Arbeitsbe-dingungen vorschreiben wollen, wirdein breiterer Spielraum eingeräumt.„Das derzeitige Vergaberecht lässt esausdrücklich zu, im Ausschreibungs-verfahren soziale und ökologischeBedingungen vorzuschreiben.“Die beiden Vergaberechtsexperten

sind Verfasser des Gutachtens „Hand-lungsspielräume öffentlicher Auftrag-geber bei der Verankerung von Ver-gütungskriterien in Vergabeunterla-gen bei europaweiten (Entsorgungs-)Ausschreibungen“, das sie Anfang2017 im Auftrag von ver.di vorgelegthaben. Sie haben dabei akribisch nach-gewiesen, dass Kommunen vielfältige

Möglichkeiten haben, rechtssicher zuvermeiden, dass ein „billiger Jakob“den Zuschlag für die Entsorgung inihrem Verantwortungsbereich be-kommt.An zwei zentralen Stellen des Ver-

gabeverfahrens kann die ausschreiben-de Stelle eingreifen, um Lohndumpingzu verhindern. Zunächst gilt ohneWenn und Aber der gesetzliche Min-destlohn, bisher der Branchen-Min-destlohn von 9,10 Euro pro Stunde.Und auf alle Fälle gilt der allgemeine,gesetzlicheMindestlohn, der allerdingsniedriger ist. Der ist Gesetz, und wer

den nicht zahlt, darf von Anfang angar nicht mitbieten. Aber es bestehtauch die Möglichkeit, schon in denMindest- oder Ausführungsbedingun-gen höhere Löhne festzulegen, wennsie in geltenden Tarifwerken für dieEntsorgung vereinbart sind – jedenfallsfür diejenigen Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer, die für den Auftrag ab-gestellt werden und wenn eine grenz-überschreitende Entsendung von Ar-beitnehmern unwahrscheinlich ist. Undzweitens können die Kommunen esjetzt auch am Ende, bei der Beurteilungder eingegangenen Angebote, bei den

sogenannten Zuschlagskriterien, posi-tiv werten, wenn Anbieter auskömm-liche Löhne zahlen – und ihnen selbstdann den Zuschlag erteilen, wenn sienicht am billigsten sind.„Ich fordere alle Kommunen auf, die

gegebenen rechtlichen Möglichkeitenzu nutzen, um bei der Ausschreibungvon Entsorgungsdienstleistungen zu-künftig Lohndumping zu vermeiden“,sagt Andreas Scheidt vom ver.di-Bun-desvorstand bei der Vorstellung desGutachtens. Und er fügt hinzu: „Wirwerden den Kommunen dabei auf dieFinger schauen.“

AB FA L LW I RT S CHA F T

ver.di zielt aufHaustarifverträgeDie Tarifverhandlungen mit demBDE sind ergebnislos beendet wor-den. Seite 3

AUSB I L DUNG

Frauen sollen technischeBerufe entdecken

Die Ausbilder/-innenkonferenz dis-kutiert über Beurteilungskriterienund Fachkräftemangel. Seite 4

Ausbildung muss nichtin Vollzeit sein

Teilzeitausbildung bietet Chance fürbeide – die jungen Leute wie dasUnternehmen. Seite 4

AB FA L LW I RT S CHA F T

Kraftfahrer/-in: Der Startin eine Karriere

Ausbilder: Betriebe müssen mehrKraftfahrer/-innen ausbilden –Entsorgung soll Image verbessern.

Seite 5

DEMOGRAF I E

TV-V-TarifvertragDemografie gescheitertDenArbeitgebern fehlt derWille zurtarifpolitischen Gestaltung. ver.di:Themen bleiben auf der Agenda.

Seite 6

ARB E I T S B ED INGUNGEN

Wenn Arbeit überhandnimmt

Überlastungsanzeigen oder § 92 aBetriebsverfassungsgesetz – Be-triebsräte müssen stete Arbeitsver-dichtung nicht hinnehmen. Seite 7

Nur mit gutenArbeitsbedingungenGutachten im Auftrag von ver.di bestätigt:

Kommunen sind auf der sicheren Seite, wenn sie soziale Kriterien vorgeben

Seite 3

Bayernwerk stellt Fuhrpark auf Elektrofahrzeuge umDie E.ON-Tochter Bayernwerk AGschafft sich einen Fuhrpark kom-plett aus Elektrofahrzeugen an.Insgesamt sollen alle 1300 Autosder Firmenflotte in den nächstenJahren ausgetauscht werden. DasUnternehmen will die Fahrzeuge ab

2020 austauschen. Spätestens imJahr 2025 werde der letzte kon-ventionell betriebene Bayernwerk-Pkw seinen Dienst quittieren, hießes.Im vergangenen Herbst 2016 hat-

te Bayernwerk bereits rund 30 neue

E-Fahrzeuge angeschafft. Durch dieUmstellung erhofft sich Bayernwerkeine jährliche Einsparung von 5000Tonnen CO2. Das entspreche einemVerbrauch von rund zwei MillionenLiter fossiler Brennstoffe. Mit derEntscheidung möchte der Vorstand

des Unternehmens zugleich auchdas Interesse für die E-Mobilität inder Öffentlichkeit steigern und Vor-behalte der Technik gegenüber ab-bauen. Eine Schlüsselrolle kommedem Ausbau der Ladeinfrastrukturzu.

FOTO

:BEN

DER

Page 2: 2 I 2017+file++593fdd26f1b4cd06c6fd526a... · Jana Bender 2 FACHBEREICHFACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017 ENERGIEWIRTSCHAFT Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Pläne gefährden Arbeitsfähigkeit des KonzernsVattenfall-Beschäftigte demonstrieren in Berlin gegen Outsourcing

Die Beschäftigten von VattenfallDeutschland gehen auf die Straße.Sie wollen nicht hinnehmen, dassder schwedische Energiekonzernimmer weiter schrumpfen will.In den 90er-Jahren zählte derKonzern in Deutschland 25 000Beschäftigte, derzeit sind es nurnoch 7500. Und der Stellenabbausoll weitergehen. Jetzt hat derKonzern den Business-Service imBlick.

�Noch arbeiten in Berlin etwa 4000Frauen und Männer für Vattenfall. Eskönnten bald deutlich weniger sein,die sich in Berlin für den Konzern umdie Versorgungsicherheit, die Netzsta-bilität und um das Erreichen der Kli-maziele kümmern. Denn erneut sindmehrere hundertMitarbeiterinnen undMitarbeiter von aktuellen Einsparüber-legungen des Konzerns betroffen. DerKonzernwill auslagern: So sollen künf-

tig Personalangelegenheiten in Indienbearbeitetwerden. Der Bereich Einkaufgeht nach dem Willen der Konzern-Verantwortlichen nach Osteuropa.Selbst der betriebsärztliche Dienststeht zum Ausgliedern bereit.Dabei haben sich andere große Un-

ternehmen längst vom Outsourcingverabschiedet – schon gar wenn inBilliglohnländer ausgelagert wurde.Die Bahn hat zum Beispiel vor etwaacht Jahren ihren Finanzbereich nachRumänien verlagert – weil dieser Be-reich nicht nur gut, sondern auch deut-lich günstiger in Rumänien bearbeitetwerden könnte, wie es damals hieß.Inzwischen hat die Bahn den Finanz-bereich wieder nach Deutschland ge-holt und sogar mit deutlich mehr Per-sonal ausgestattet. Die Auslagerungerbrachte eben nicht die erhoffte Ein-sparung, sondern hat wesentlichmehrGeld gekostet. Vattenfall kümmernsolche Erfahrungen nicht, der schwe-dische Konzern hält weiterhin an denVerlagerungsplänen fest.Deshalb zeigten die Beschäftigten

Anfang April mit einer Demonstration,dass sie diese Pläne nicht gutheißenkönnen. Auch weil die geplanten Aus-lagerungen jede einzelneMitarbeiterin,jeden einzelnen Mitarbeiter betreffen– egal ob im aktiven Dienst oder in derAltersteilzeit. Die geplanten Auslage-rungen gefährden die weiteren Ge-schäftsfelder des Konzerns in Deutsch-land, argumentieren die Kolleginnenund Kollegen wie auch ver.di.Alexandra Felix-Plass, Vertrauensfrau

Vattenfall Europe Business ServicesGmbH, ist besorgt und macht das auchwährend der Demonstration in Berlindeutlich: „Unsere Arbeit soll ausgela-gert werden, nach Indien und Osteu-ropa. Weil die Arbeit dort angeblichbesser und schneller gemacht werdenkann.“ Erik Sünder, VertrauensmannVattenfall Europe Wärme AG, betont:„Durch Einsparungen werden immermehr Arbeitsplätze eingespart. Die Ar-beit abermussweiter gemachtwerden.In der Folge steigt die Arbeitsbelastungfür den Rest der Belegschaft deutlich.“

Und damit auch der Frust und die psy-chische Belastung der verbliebenenBeschäftigten. Robin Marks, Gewerk-schaftssekretär beim Landesfachbe-reich Ver- und Entsorgung in Berlin:„Bereits heute kämpfendie Kolleginnenund Kollegen mit den Auswirkungenfrüherer Ausgliederungen: So hättenviele von ihnennicht nur EinbußenbeimEinkommen von bis zu 55 Prozent hin-nehmen müssen. Auch der Service fürdie Vattenfall-Kunden sei infolge derAusgliederungen deutlich schlechtergeworden. Werden die Pläne umge-setzt, so habe dies weitreichende Fol-gen für den gesamten Konzern inDeutschland. Vattenfall gefährde nichtnur Arbeitsplätze in Berlin und Ham-burg, sondern auchdieArbeitsfähigkeitdes gesamten Konzerns“.Für ver.di und die Vattenfall-Beschäf-

tigten ist klar: „Es ist Zeit zu handeln.“Auch für die Politik. Mit der Kundge-

bung in der Nähe des Abgeordneten-hauses zielten die Kolleginnen undKollegen auf die Bundestagsabgeord-neten: „Das wilde Ausgliedern, das

Einsparen und der endlose Stellenab-bau müssen gestoppt werden.“ Unddazu brauche es auch ein Zeichen derPolitik. Jana Bender

2 FACHB ER E I CH FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017

EN E RG I EW I R T S CHA F T

Liebe Kolleginnen und Kollegen,�mit dem Ausgang der Wahlen inFrankreich – und vorher in den Nieder-landen – ist eines klar: Europafeindlicheund rechtsnationalistische Positionensind in den Kernstaaten der Union nichtmehrheitsfähig. Und die jüngstenLandtagswahlen haben gezeigt, dassderartiges Gedankengut in Deutsch-land allenfalls eine Randerscheinungdarstellt. Das ist gut so. Jetzt wird esdarauf ankommen, dass Kommission,EU-Parlament und die Regierungenden Auftrag, den ihnen die Wählerin-nen und Wähler gegeben haben, end-lich umsetzen: die Wirtschaftsunionzur Sozialunion weiterzuentwickeln.Damit die wirtschaftlichen Vorteilenicht bei den Konzernen verbleiben,sondern endlich bei den Menschenankommen.Auch in den politischen Vorgaben

zur Energie-, Abfall- undWasserpolitikheißt das für die EU, Farbe zu beken-nen. Bislang zeigten die vorwiegendin die gegenläufige Richtung: Libera-lisierung dieser Zentralaufgaben derkommunalenDaseinsvorsorge zuguns-ten der Konzerne, zulasten der Be-schäftigten, der Verbraucherinnen undVerbraucher, der Kommunen und nichtzuletzt auch der Ökologie. Ein „Weiter

so“ hieße, den Auftrag der Wählerin-nen und Wähler gründlich misszuver-stehen.In der Energiepolitik hat die Kom-

mission mit dem Winterpaket jetzteine umfassende Vorlage geliefert, diederzeit diskutiert wird und – so dasZiel – bis Ende des Jahres in rechtlicheVorgaben umgesetzt werden soll.Mehr als 2000 Seiten umfassen diemehr als zehn Richtlinien- beziehungs-weise Verordnungs-Vorschläge, undalles soll geregelt werden: von derNeujustierung des Strombinnenmark-tes, der weiteren Förderung der erneu-erbaren Energien bis hin zur Intensi-vierung der Energieeffizienz und derGebäudedämmung. Doch im Kernbleibt, so mein Eindruck, alles beimAlten: Insbesondere das von uns oftschon als „durchgefallen“ kritisierteKonzert zum Strombinnenmarkt, be-stehend aus Richtlinie undVerordnung,wird allenfalls an einigen besondersmisstönenden Stellen nachgebessert,doch nicht grundlegend neu kompo-niert, wie es notwendig wäre.Hoffnungsvoll stimmt dagegen die

Entwicklung in der Vergabepolitik. So-zialdumping war in den letzten Jahr-zehnten die alte Leier, zynisch und

asozial, mit der die Kommission dieAusschreibungsbed ingungen bei-spielsweise von Recyclingdienstleis-tungen nach demWunsch der privatenKonzerne immer neu intonierte – dochseit erst der Europäische Gerichtshofin seiner Rechtsprechung, dann 2014auch die Kommission mit der neuenVergaberichtlinie die Bedingungenverbesserten, um auch soziale undökologische Kriterien in den Vergabe-bedingungen besser zu berücksichti-

gen, sind neue Töne zu hören. Kom-munen haben jetzt die Möglichkeit, inden Ausschreibungsbed ingungennicht nur den Mindestlohn, sondernbezogen auf die bei der Durchführungdes Auftrags Beschäftigten auch Tarif-löhne zu fordern, und sie können – unddas ist neu – auch noch beim Zuschlagdiejenigen Bieter besserstellen, diegute Lohn- und Arbeitsbedingungenbieten. Ein Erfolg unserer jahrelangenAnstrengungen, mit denen wir immer

wieder auf die schädlichen Folgen desWettbewerbs um den niedrigsten Preisfür die Beschäftigten und die Umwelthingewiesen haben.Freilich: Jetzt gilt es, den in Luxem-

burg und Brüssel gewonnenen Frei-raum zu nutzen.Wir von ver.di werdenvor Ort, in den Kommunen und Land-kreisen, den Verantwortlichen genauauf die Finger schauen, ob sie von denMöglichkeiten, dem Sozial- und Um-weltdumping ein Ende zu setzen, auchGebrauch machen. „Ja, würden wir jagern, aber ist doch viel zu kompliziertund außerdem rechtsunsicher.“ Mitderartigen „Argumenten“, mit denenmanche kommunal Verantwortlichebislang unsere Forderung nach aus-kömmlichen Löhnen abzubügeln ver-suchten, können sie jedenfalls nichtmehr kommen. Die Handlungsan-leitung – abzurufen in Kürze auf derver.di-Homepage –, die die BerlinerRechtsanwälte von Bechtolsheim undBabel erstellt haben, ist so konzipiert,dass jeder mit der Ausschreibung be-auftragte Sachbearbeiter in der Lagesein dürfte, sie erfolgreich und rechts-sicher umzusetzen.

Viele GrüßeAndreas Scheidt

FOTO

:HER

SCHEL

MANN

In den politischen Vorgaben

zur Energie-, Abfall- und

Wasserpolitik muss die EU

jetzt endlich Farbe bekennen.

I M P R E S S UM Der ver.di-Report Ver- und Entsorgung Nr. 2, Juni 2017 · Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Fachbereich Ver- und Entsorgung, Paula-Thiede-Ufer 10,10179 Berlin, v. i. S. d. P.: Frank Bsirske, Andreas Scheidt · Redaktion: Jana Bender, Reinhard Klopfleisch · www.ver-und-entsorgung.verdi.de · Gesamtherstellung: apm AG Darmstadt,Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt; Bildnachweis Icons: © Matthias Enter – Fotolia.com, © FM2 – Fotolia.com

AB FA L LW I R T S CHA F T

Deponie-Beschäftigte streiken für TarifvertragAWV-Beschäftigte wollen TVöD – Landkreis verweigert Verhandlungen

Die Beschäftigten der Abfallwirtschaftsgesellschaft Vechta (AWV) haben es leid. Seit das Unternehmen vor etwa 20Jahren gegründet wurde, gibt es keinen Tarifvertrag. Der Arbeitgeber weigert sich, in den kommunalen Arbeitge-berverband (KAV) einzutreten, obwohl das Unternehmen eine 100-prozentige Tochter des Landkreises Vechta ist.Dann würden die 60 AMV-Beschäftigten unter den TVöD (Tarifvertrag öffentlicher Dienst) fallen. Bisher werdenimmer nur Einzelarbeitsverträge abgeschlossen. Hier sind einzelne Passagen des Tarifvertrages der privaten Entsor-gungsbranche (BDE) aufgenommen – eben jene Regelungen, die dem Arbeitgeber passen.Jetzt soll es endlich anders werden. Die Beschäftigten haben eine Tarifkommission gegründet und über ver.di den

Arbeitgeber aufgefordert, Tarifverhandlungen aufzunehmen. Das Ziel: TVöD. Doch weder auf die erste noch auf diezweite Aufforderung hat der Geschäftsführer reagiert. Deshalb haben die Deponie-Mitarbeiter Mitte April die Arbeitniedergelegt – zum ersten Mal, seit das Unternehmen besteht.„Obwohl samstags sonst in dieser ländlichen Gegend das Geschäft der AWV brummt, war an diesem Samstag

nichts los“, weiß ver.di-Gewerkschaftssekretär Christian de Jonge. Vermutlich, weil bekannt war, dass gestreikt wird.Und weil das Geschäft an diesem Samstag nicht brummte, hat der Landkreis vermutlich viel Geld verloren. Zudemmussten Fremdfirmen mit verschiedenen Dienstleistungen beauftragt werden – was auch wieder Geld kostete.Dennoch: Bisher sind noch keine Tarifverhandlungen anberaumt. Die Geschäftsführung stellt sich stur. Doch auch

die Beschäftigten zeigen einen langen Atem. Zudem haben sie sich an die Kommunalpolitiker gewandt. Sie sollennun die Verantwortlichen der AWV zum Einlenken bewegen.„Die Beschäftigten wollen nicht locker lassen“, betont de Jonge. Auch weil öffentliche Unternehmen eine Vorbild-

funktion haben. Vorbild sein und tarifvertragliche Regelungen missachten – das passt nicht zusammen. Und weil dieKolleginnen und Kollegen Arbeitsbedingungen brauchen, auf die sie sich verlassen können und keine Entscheidun-gen nach Gutsherrenart.

FOTO

S(2):VER

.DI

Page 3: 2 I 2017+file++593fdd26f1b4cd06c6fd526a... · Jana Bender 2 FACHBEREICHFACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017 ENERGIEWIRTSCHAFT Liebe Kolleginnen und Kollegen,

3FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017 T I T E LTH EMA

In der aktuellen europäischenund deutschen Gesetzgebung zumVergaberecht sind umfassendeRegelungen enthalten, wie dieVergabestellen – in der Regel dieKommunen – soziale und ökologi-sche Kriterien rechtssicher in denAusschreibungsverfahren veran-kern können. Die Berliner Rechts-anwälte und Vergaberechtsexper-ten Caroline von Bechtolsheim undGabriel Babel haben sie in ihremGutachten für die ver.di-Bundes-fachgruppe Abfallwirtschaft nunnachgewiesen.

�Die Novelle der EU-Vergabericht-linien zielt „in größerem Umfang alsbisher auf eine in der Gesamtschauwirtschaftliche Vergabe“, so das Gut-achten. Entscheidend ist nicht mehrallein der Angebotspreis, sondern eskönnen auch „Umweltkriterien derNachhaltigkeit und Ökoeffizienz, aberauch erstmals ausdrücklich soziale Kri-terien“ einbezogen werden. Mit derUmsetzung der Novelle in deutschesRecht kam es 2016 zu umfassendenvergaberechtlichen Neuregelungen imvierten Teil des Gesetzes gegen Wett-bewerbsbeschränkungen (GWB) undeiner neuen Vergabeverordnung (VgV)sowie einer angepassten Vergabe- undVertragsordnung für Leistungen(VOL/A). Danach können soziale Krite-rien jetzt unbestritten ins Vergabever-fahren aufgenommen werden – undzwar bei den Mindest- oder Ausfüh-rungsbedingungen, die mögliche Bie-ter zu erfüllen haben, wenn sie sichbewerben. Und sie können bei denZuschlagskriterien eine Rolle spielen,nach denen die Vergabestelle die ein-

gegangenen Angebote bewertet undanschließend den Zuschlag erteilt.

Mindest- und Ausführungs-bedingungen

Schon nach dem Gesetz mussten Ent-sorgungsunternehmen, auchwenn sienicht tarifgebunden sind, den Beschäf-tigten den branchenspezifischen Min-destlohn zahlen, zurzeit 9,10 Euro dieStunde. Wer weniger zahlt macht sichstrafbar und kann damit gleichsamautomatisch vom Vergabeverfahrenausgeschlossen werden. Unabhängigdavon kann eine Kommune diese ge-setzliche Pflicht noch einmal imVertragfestschreiben. Das hat den Vorteil, dasssie bei etwaigen Verstößen nicht da-raufwartenmuss, bis der Zoll einschrei-tet, sondern selbst den Vertrag kündi-gen kann. Gibt es keinen branchen-spezifischen Mindestlohn, gilt derniedrigere gesetzliche Mindestlohn.Möglich ist auch, dass Kommunen

ein höheres Niveau vorgeben – bei-spielsweise den in der privaten oderöffentlichen Entsorgung jeweils gel-tenden Tarifvertrag. „§ 128Abs. 2GWBlässt von seiner Formulierung her denSchluss zu, dass auch ein solches Vor-haben vergaberechtlich zulässig seinkann“, urteilen von Bechtolsheim undBabel. Denn die Kommunen könnenauch besondere Ausführungsbedin-gungen festlegen, wenn diesemit demAuftragsgegenstand in Verbindungstehen. Die Gutachter raten, diese Be-zahlung nicht für alle Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer des Bieters zufordern, sondern nur für diejenigen„die zur Ausführung des ausgeschrie-benen Auftrags eingesetzt werdensollen“. Damit soll auch sichergestellt

werden, dass die grundgesetzlich ga-rantierte Koalitionsfreiheit nicht tan-giert ist: Der Bieter kann für den Restseiner Beschäftigten weiterhin denTariflohn frei aushandeln.

Zuschlagskriterien

Verzichtet eine Kommune darauf einhöheres Niveau als den Mindestlohnvorzuschreiben, stellt aber fest, dasseinige der Bieter Mindestlohn zahlen,ein anderer aber den höheren Tariflohnund damit bei ansonsten ähnlichenKostenstrukturen einen höheren Preisverlangen muss – wie ist das zu bewer-ten? „Erstmals wird in der EU-Verga-bekoordinierungsrichtlinie 2014/24und dem dortigen Art. 67 die Anwen-dung sozialer Zuschlagskriterien aus-drücklich für zulässig erklärt“, so dieGutachter. Dies ist umgesetzt in deut-sches Recht in dem §127 Abs. 1 Satz

4 GWB sowie dem §58 Abs. 2 Satz 2VgV. „Kommunen als öffentliche Auf-traggeber können also – als Alternativezur verbindlichen Vorgabe eines Lohn-niveaus für die zur Auftragserfüllungeinzusetzenden Arbeitnehmer – die(möglichst hohe) Vergütung derselbenzum Zuschlagskriterium machen“ undentsprechend gewichten, neben Ange-botspreis und Umweltkriterien. DieVergabestelle sollte dann allerdings„möglichst ein exaktes und transparen-tes Bewertungsraster erarbeiten, dasden Vergabeunterlagen beigefügtwird“.Dannkönnendie Bieter von vorn-herein abschätzen, wie sich die Höheihrer Entlohnung bei der Frage, ob sieden Zuschlag bekommen können, po-sitiv oder negativ auswirken wird. Dasvermeidet, dass die Kommune „Prob-leme bei der Angebotswertung“ be-kommen kann, sollten Unternehmen,

die leer ausgegangen sind, gegen dieEntscheidung vorgehen wollen.In einer die Ergebnisse des Gutach-

tens umsetzendenHandlungsanleitung„Argumentationspapier und Formulie-rungsvorschläge zur Verankerung vonEntlohnungskriterien bei europaweitenAusschreibungen im Entsorgungsbe-reich“ machen die Gutachter konkreteVorschläge, wie Kommunen Schritt fürSchritt bei der Vergabe vorgehen kön-nen. Damit existiert ein in sich stimmi-ges Konzept, das ver.di denKommunenan die Hand geben kann – im Sinneder Beschäftigten. Beide Papieremuss-ten nach dem Scheitern der Verhand-lungen um den branchenspezifischenMindestlohn noch überarbeitet wer-den, sind aber in Kürze im Internetunter www.verdi.de erhältlich.

Reinhard Klopfleisch,Katrin Büttner-Hoppe

ver.di zielt auf HaustarifverträgeTarifverhandlungen mit dem BDE ergebnislos beendet – „Schluss mit Lohndrückerei“

Haustarifverträge werden in Zukunft den Rest-Flächentarifvertrag inder privaten Entsorgungswirtschaft ablösen. Künftig wird ver.di mitden einzelnen Firmen Tarifverträge abschließen. „Das ist eine Chancefür die Beschäftigten für bessere Arbeitsbedingungen“, wertet AndreasScheidt, Leiter des ver.di-Fachbereichs Ver- und Entsorgung, die Situ-ation in der privaten Abfallwirtschaft. Voraussetzung dafür aber ist,dass sich die Beschäftigten in jedem Betrieb für einen guten Haustarif-vertrag stark machen.

�Was ist passiert?Die Tarifverhandlun-gen für die Beschäftigen der privatenAbfallwirtschaft, die unter den BDE-Tarifvertrag (Bundesverband der deut-schen Entsorgungswirtschaft) fallen,sind von ver.di nachdrei Verhandlungs-runden ergebnislos beendet worden.Die TarifkommissionbefandMitteMärzdasAngebot, das dieArbeitgeber nach

zähen Verhandlungen auf den Tischgelegt hatten, für nicht annehmbar.Zudem waren die Mitglieder der Tarif-kommission entsetzt über das Schrei-ben, dasder BDEandie ver.di-Verhand-lungskommission schickte: In diesemSchreiben versuchte der BDE die Tarif-arbeit der Bundestarifkommission zubeeinflussen.Die Tarifkommission antwortete

dem Schreiben mit einem Ultimatum:Der BDE sollte bis zum 7. April einAngebot auf den Tisch legen, das dieWiedereinführung der Stufensteige-rung für alle Beschäftigten und eineprozentuale Erhöhung vorsieht. Dochder BDE blieb bei seinem sogenanntenAngebot, das im Volumen eine Tabel-lensteigerung von etwa einemProzentmehr Geld für 2017 vorsah. ver.di warmit einer Forderung nach sechs Pro-zent mehr Geld im Volumen in dieTarifrunde gegangen.Wichtigwar derGewerkschaft vor allem, dass die Stu-fensteigerungwieder eingesetztwird.Denn in BDE-Betrieben kleben Be-schäftigte, die nach 2012 eingestelltwurden, in der Stufe 1.

Beides war mit den Arbeitgebernnicht zu machen. Sie verweisen aufdie schwierige Lage der Entsorgung– und das schon seit Jahren. Kleinetariflose Unternehmen konkurrierenoft mit Erfolg mit den BDE-Unterneh-men. Die Folge: Seit Jahren hinkendie Tarife in der privaten Entsorgungdem Lohnniveau in der Wirtschafthinterher. AuchMüllwerker im öffent-lichen Dienst gehen mit etwa einemDrittel mehr Geld nachHause alsMüll-werker im BDE-Tarif. Immer wiederargumentierte der Verband, höhereTarifabschlüsse würden von den Ver-bandsmitgliedern nicht mitgetragen,höhere Abschlüsse trieben die Ver-bandsmitglieder aus dem Verband.Mehr noch: Selbst die Abschlüsse, dievereinbart wurden und seit Jahrendeutlich unter denen der anderenBranchen liegen, seien zu hoch undhätten Verbandsaustritte zur Folge.Unterdessen einigte sich ver.di aufHaustarifverträge und auf Tariferhö-hungen in den aus dem Verband aus-getretenenUnternehmen. ImVerbandselbst war nur noch ein Bruchteil derUnternehmen der privaten Abfallwirt-schaft organisiert.Dass die Entsorgungswirtschaft

nach wie vor in einer schwierigen Si-tuation ist, bestreitet ver.di nicht. Vorallem, weil die Kommunen bei derVergabe in der Regel nicht wie ge-setzlich vorgeschrieben dem Betriebden Zuschlag geben, der am wirt-

schaftlichsten arbeitet, sondern dembilligsten. Oft haben traditionelle Be-triebe, die Tariflöhne bezahlen, da-durch das Nachsehen. Stattdessenmachen Betriebe das Rennen, die denWettbewerb auf dem Rücken der Be-schäftigten austragen. Deshalb drangver.di schon früh auf einen Branchen-mindestlohn für die Abfallwirtschaft,den es seit 2009 nun gibt. Er liegt mitderzeit 9,10 Euro pro Stunde höherals der gesetzliche Mindestlohn inHöhe von 8,84 Euro.Auch künftig gelten für die BDE-

Betriebe und die Betriebe, die sich beiden Arbeitsbedingungen an den BDE-Tarif anlehnen, der BDE-Manteltarif-vertrag und der Entgeltrahmentarif-vertrag. Die Entgelthöhe aber soll nunper Haustarif ausgehandelt werden.Zudem soll künftig in den Betriebenzunehmend auch die sogenannte be-dingungsgebundene Tarifarbeit ange-wandt werden – was bedeutet, dasses zunächst darum geht, das Engage-ment der Beschäftigten für Tarifarbeit

und damit verbunden die Durchset-zungsfähigkeit in den Betrieben zustärken, um dann mit den Arbeitge-bern auf Augenhöhe zu verhandeln.Im Gegensatz zu Flächentarifverträ-gen sind in Haustarifverträgen auchRegelungen möglich, die ver.di-Mit-glieder gegenüber Nicht-Mitgliedernbevorzugen.Scheidt: „ver.di macht sich – wann

immer möglich – für Flächentarifver-träge stark. Weil sie verhindern, dassBelegschaften gegeneinander ausge-spielt werden.“ In der Abfallwirtschaftmüsse nun ein anderer Weg einge-schlagen werden. „Wir können imInteresse der Beschäftigten bei dieserLohndrückerei nicht länger beide Au-gen zudrücken.“ Haustarifverträgewürden immer „Chancen und Risiken“bergen. ver.di werde zusammen mitden Beschäftigen alles dafür tun, dassdie Risikenminimiert und die Chancengenutztwerden.Aus der Stärke herausverhandeln bedeutet, erfolgreich zuverhandeln! Jana Bender

Der Wirtschaftlichste sollden Zuschlag bekommenEntlohnungskriterien bei europaweitenAusschreibungen im Entsorgungsbereich verankert

FOTO

:BEN

DER

FOTO

S(2):BEN

DER

Page 4: 2 I 2017+file++593fdd26f1b4cd06c6fd526a... · Jana Bender 2 FACHBEREICHFACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017 ENERGIEWIRTSCHAFT Liebe Kolleginnen und Kollegen,

4 AUSB I L DUNG FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017

Frauen sollen technische Berufe entdeckenAusbilder/-innenkonferenz diskutiert über Beurteilungskriterien – Betriebe: Fachkräftemangel bringt Umsatzeinbußen

Die Zeiten sind vorbei, in denensich die Bewerbungen um einenAusbildungsplatz in den Betrie-ben stapelten. Doch stellen dieUnternehmen sich genügend aufdiese neue Situation ein? Werbensie heute um die Schulabgänger?Nehmen sie auch mehr die jungenFrauen in den Fokus, um sie fürtechnische Berufe zu gewinnen?Das waren Fragen, auf die diever.di-Ausbilder/-innenkonferenzVer- und Entsorgung Mitte Märzin Berlin Antworten suchte. Dienächste ver.di-Ausbilder/-innen-konferenz soll in zwei Jahren statt-finden – im März 2019.

� Es war das vierte Treffen der Ausbil-derinnen und Ausbilder in der Ver- undEntsorgung. Fast 90 Ausbilderinnenund Ausbilder aus ganz Deutschlandkamen zu dieser Konferenz. Was sieumtreibt? Dass die Zahl der Bewerberund deren Bildungsniveau deutlichgesunken sind. Viele Betriebe bildeninzwischen gar nicht mehr aus, heißtes. Deshalb bräuchten all die Unter-nehmen Unterstützung, die sich rein-knien und sogar über Bedarf ausbilden.Was können die Unternehmen tun,

um weiterhin genügend junge Leuteausbilden zu können und damit letzt-endlich genügend Fachkräfte zu ha-ben? Iris Gleicke, Parlamentarische

Staatssekretärin beim Bundeswirt-schaftsministerium, weiß von vielenBetrieben, dass sie bereits Umsatzein-bußen wegen des Fachkräftemangelsbefürchten.Für RolfWiegand, Sprecher des Bun-

desfachbereichs Ver- und Entsorgung,

gibt es keinen Mangel an Bewerbernum einen Ausbildungsplatz. Die Fragesei, mit welchen Qualifikationen diejungen Leute in die Betriebe kommen,um eine Ausbildung zu beginnen undauch erfolgreich abzuschließen. Zudemunterstrich Wiegand vor den Teilneh-merinnen und Teilnehmern der Konfe-renz, dass die Betriebe für Auszubil-dende attraktiv bleiben müssen. AuchGleicke macht nicht allein die Demo-grafie für den Mangel verantwortlich.Sie macht sich dafür stark, dass dieBetriebe sich mehr um die jungen Leu-te bemühen – um Frauen und um alljene, die die Schule mit eher mäßigenNoten abgeschlossen haben. Gleickesieht das Streben der jungen Leute andie Gymnasien. „Aber der Mensch be-

ginnt nicht erst mit dem Abitur“, sagtsie und erinnert daran, dass die Ar-beitslosenquote unter Facharbeiternund Technikern noch niedriger liegt alsunter Akademikern.

Einfach ausprobieren

Wer Frauen einstellen will, muss sieauch in den Anzeigen ansprechen.Doch das tun die Unternehmen oftnicht, wissen Birgit Lehmann von derBerliner Stadtreinigung und ClaudiaKettenbeil, Gleichstellungsbeauftragtevon Die Stadtreiniger Kassel. Sie ratenden Unternehmen, ihre Anzeigen beider Azubi-und Fachkräftesuche genauunter die Lupe zu nehmen, die Spracheund den Inhalt der Anzeige den Frau-en anzupassen. Nur so könnten sie dieAufmerksamkeit der Frauen gewinnen.Das große Problem: Nach wie vor

interessieren sich Frauen vor allem fürkaufmännische Berufe und für denHandel. Nur wenige von ihnen wollenin technische Berufe, obwohl hier dieVerdienstmöglichkeiten in der Regeldeutlich über den Einkommen der ty-pischen Frauenberufe liegen. Deshalbwird auch versucht, mit Praktika, miteinem freiwilligen technischen JahrFrauen für die Technik zu interessieren.

Betriebe müssen attraktiverfür Auszubildende werden

Wie aber werden die Betriebe generellattraktiver für die jungen Leute? Denn

die attraktiven Firmen werden künftigdas Rennen um die besten Auszubil-dendenmachen. Die Pfalzwerke setzenauf die Juniorfirma. In dieser Tochter-

firma der Pfalzwerke haben die Aus-zubildenden das Sagen – und die Ver-antwortung. Hier müssen sie zwarunter dem fachlichen Rat der Ausbilder,aber dennoch in Eigenregie einzelneProjekte planen und durchführen. DieAusbilder sind Coach und Begleiter. Indie Juniorfirma kommen die Industrie-kaufleute im 1. Ausbildungsjahr unddie Elektroniker im 2. Ausbildungsjahr.Sie lernen dabei innovativ zu sein, öko-nomisch zu denken und zusammenzu-arbeiten. Und:Wer Chef war, hat mehr

Verständnis für die Rolle des Chefs,haben die Ausbilder der Pfalzwerkeinzwischen festgestellt. Hinzu kommt:Die Juniorfirmamacht Spaß – den Aus-bildern und den Auszubildenden.Die Ausbilderinnen und Ausbilder

wurmt, dass ihr Engagement für dieAusbildung nicht genügend wertge-schätzt wird. Dass Ausbildung oft ne-benbei laufen soll, dass ihre Leistungals Ausbilder sich ihrer Ansicht nachnicht entsprechend im Einkommenniederschlägt. Ausbildung geht nichtnebenbei – das wissen all jene, dieausbilden: Auch weil es nicht nur um

die Vermittlung vonWissen geht –wasnatürlich auch nicht inklusive zu habenist. Ausbilden heißt auch beurteilen.Wie schwierig das ist und welche Fall-stricke hier lauern, darauf ging Pro-fessor Sascha Fauler von der Hoch-schule für Ökonomie und Manage-ment in Essen ein. Er erläutert diegängigen Beurtei lungsverfahren,warnt vor Verteilungsvorgaben undvor den vielen Effekten, die die Beur-teilung nicht objektiv werden lässt.

Jana Bender

Ausbildung muss nicht in Vollzeit seinTeilzeitausbildung bietet Chance für beide – die jungen Leute wie das Unternehmen

Ausbildung muss immer Vollzeitsein? Von wegen. Ausbildung istauch in Teilzeit möglich. Dass dasgeht, beweisen derzeit verschiede-nen Unternehmen – zum BeispielEmschergenossenschaft/Lippe-verband. Seit August 2011 bildetInge Meinzer-Kahrweg, Leiterinder Kaufmännischen Ausbildung,Kaufleute für Büromanagement inTeilzeit aus. Das Fazit: Beide pro-fitieren – die Auszubildenden unddas Unternehmen.

�Eugenie Mezich steckt mitten im ers-ten Ausbildungsjahr. Sie ist 28 Jahre altund hat zwei Kinder, neun und fünfJahrealt. KeinegünstigenVoraussetzun-gen für eine Erstausbildung. Sie habesich schon immer gewünscht, in diesemBeruf zu arbeiten – als Kauffrau für Bü-romanagement. Doch das Leben lenktesie in eine andere Richtung. Die Ausbil-dungsstelle ist deshalb einegroßeChan-ce, doch noch einen Beruf zu erlernen,der zudem noch ihr Traumberuf ist. Siehat alles geregelt, damit die Ausbildungunter einem guten Stern steht – unddazu gehört vor allem die Betreuungihrer Kinder. Auch Mit-AuszubildendeLena Gallinat hat die Betreuung ihrerTochter vor Beginn der Ausbildung ge-naugeregelt: Die Eltern sind für dasKindda, solange Lena arbeitet.Eugenie und Lena gehören eindeutig

zur Zielgruppe der Teilzeitausbildung.Einige wenige Firmen bieten sie inzwi-schen an. Weil es nicht mehr so vieleSchulabgänger gibt wie vor zehn Jahrenund deshalb auch um jeden Auszubil-denden gekämpft wird. Aber das ist es

nicht alleine: esgeht auchdarum,diesenjungen Menschen – bisher sind es meistFrauen, die die Möglichkeit ergreifen –eineberuflichePerspektive zugeben,diesie ohne Ausbildung nicht hätten. DasBundesinstitut für Berufsbildung (BiBB),das sich besonders für Teilzeitausbildun-gen stark macht, beruft sich auf denMikrozensus für 2015, wenn es von100 000 jungen Müttern und 17 000jungenVätern spricht, fürdie eine solcheAusbildung in Frage käme.Das BiBB argumentiert: Mit der Teil-

zeitausbildung könnten die jungenLeute familiäre Verpflichtungen undAusbildung unter einen Hut bringenund gleichzeitig – mit dieser Ausbil-dung – die Grundlage für eine eigen-ständige berufliche Zukunft legen.Firmen, die sich auf eine solche Aus-bildung einlassen, sichern sich Fach-kräfte, binden die MitarbeiterinnenundMitarbeiter an sich und verbessernihr Image. Inge Meinzer-Kahrweg vonEmschergenossenschaft/Lippeverbandbetont: „Mit der Teilzeitausbildunggeben wir den jungen Leuten eineChance für eine solide Familienplanungund eröffnen die Perspektive, Vollzeitzu arbeiten.“ Gleichzeitig brauche einUnternehmen, das Teilzeitausbildun-gen anbietet, sich kein Label „famili-enfreundlicher Betrieb“ anzuheften.Allein diese Art der Ausbildung zeige,dass es familienfreundlich ist.Doch bei aller Euphorie gibt das BiBB

den Ausbildern auch Tipps, was sie tunkönnen, damit die Teilzeitausbildungauch ein Erfolg wird: So sollte vor derAusbildung ein Praktikum vereinbartwerden, Arbeitstage und Arbeitszeiten

festgelegt sowie die Urlaubstage ab-geklärt werden. Ferner muss der Aus-bildungsplan angepasst, die Teilzeit-ausbildung im Ausbildungsvertragfestgehalten und die Zustimmung derKammer eingeholt werden.Meinzer-Kahrweg sieht sich die Be-

werberinnen (bisher waren es immerFrauen) für eine Teilzeitausbildunggenau an. Nicht nur die schulischen

Voraussetzungenmüssen stimmen. Siewill sicher gehen, dass die jungen Leu-te wissen, auf was sie sich einlassen.Die Ausbildungsleiterin bildet nur ineiner 30-Stunden-Woche aus – weni-ger Stunden sieht sie angesichts desStoffes, der gelernt werden muss, alsnicht sinnvoll an. „Wir brauchen einenRahmen, um all die Infos vermitteln

zu können.“ Die Arbeitszeiten hatMeinzer-Kahrweg an die Berufsschul-zeiten angepasst. Zudem seien festeTermine sowohl für die Kinder wie fürdie Mütter eine Orientierung. Teilzeit-ausbildung bieten Emschergenossen-schaft/Lippeverband bisher nur alsKauffrau/Kaufmann für Büromanage-ment an. Meinzer-Kahrweg könntesich aber durchaus vorstellen, dass dies

auch in anderen Berufen möglich ist.Vorausgesetzt, die Ausbildungsplänewerden angepasst.Bevor die Ausbildungbeginnt, haben

die Bewerberinnen eine Praktikums-woche absolviert. Sie soll nicht nur demBetrieb zeigen, ob die junge MutterAusbildung und Familie unter einenHut bekommt. Die Woche zeigt auch

den jungen Frauen, ob sie bereit sind,die drei Jahre durchzustehen. Was be-deutet: Nach der Arbeit und der Fami-lie noch den Ausbildungsstoff zu pau-ken und sich auf Prüfungen vorzube-reiten. Für Lena Gallinat ist klar: Lernenkann sie nur abends, wenn die zwei-jährige Tochter schläft. „Manmuss sichdie Zeit gut einteilen“, weiß sie. Undes gab seit dem Ausbildungsbeginnauch schon stressige Tage. „Aber esist machbar.“Dass sich das Durchhalten lohnt, da-

von erzählen die jungen Frauen, die inden vergangenen Jahren diese Ausbil-dung absolviert – und alle Hindernisse

überwunden haben. KimNancyKern war die erste Teilzeitaus-zubildende, die Inge Meinzer-Kahrweg zur Kauffrau für Bü-romanagement ausgebildethat. Was ihr so gut gefiel? Dasssie sich infolge der Gleitzeit dieArbeitszeit einteilen konnte.Und: „Ich suchte einen festenund sicheren Arbeitsplatz“, er-zählt sie. Weil sie ihrem Sohnein Vorbild sein und auf eigenenFüßen stehen wollte.Übrigens: Abgesehen von

der reduzierten Wochenar-beitszeit unterscheidet die Teil-zeitazubis nichts von den an-deren Auszubildenden. ImGegenteil: Meinzer-Kahrweglegt großen Wert darauf, dassdie Teilzeitauszubildenden kei-ne Sonderrolle im Unterneh-

men einnehmen. Ihre Erfahrung: DasMiteinander hat sich verbessert. Keinerschaut schief, weil die Teilzeitazubisnur 30 Stunden die Woche arbeiten.„Weil jeder weiß, dass sie dann nichtins Hotel Mama gehen, sondern dasssie selbst das Hotel Mama sind“ – undnach Feierabend die Familienarbeitbeginnt. Jana Bender

FOTO

S(5):BEN

DER

FOTO

:EM

SCHER

GEN

OSS

ENSC

HAFT

/LIPPE

VER

BAND

Page 5: 2 I 2017+file++593fdd26f1b4cd06c6fd526a... · Jana Bender 2 FACHBEREICHFACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017 ENERGIEWIRTSCHAFT Liebe Kolleginnen und Kollegen,

5FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017 AB FA L LW I RT S CHA F T

Kraftfahrer/-in: Der Start in eine KarriereAusbilder: Betriebe müssen mehr Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer ausbilden – Entsorgung soll Image verbessern

Wohl dem Unternehmen der Ent-sorgung, das alle Stellen für Kraft-fahrer mit guten Leuten besetzthat. Denn Kraftfahrer werden rar.Sicher, es gibt sie noch – auch aufdem Arbeitsmarkt. Aber die Zeiten,in denen ein Unternehmen zu je-dem Zeitpunkt neue Kraftfahrerin-nen und Kraftfahrer fand, scheinenvorbei. Umso wichtiger ist es, indie Ausbildung zu investieren,ist sich Robert Pflantz sicher. Erbildet mit einer Kollegin und zweiweiteren Kollegen bei der Stadtrei-nigung der Hansestadt die Kraft-fahrerinnen und Kraftfahrer aus.

� Schon vor einigen Jahren haben Ar-beitsmarktexperten darauf hingewie-sen, dass Kraftfahrer rar werden könn-ten. Wobei nicht nur der demografi-sche Wandel eine Rolle spielt. Aber erspielt eine große Rolle: Denn vieleKolleginnen und Kollegen nutzten dieGelegenheit der Altersteilzeit und ha-ben inzwischen die Unternehmen ver-lassen oder stehen kurz davor. Dannmacht sich der Umstand bemerkbar,dass der traditionell wichtige Ausbildervon Kraftfahrern – nämlich die Bun-deswehr, die Polizei und die Rettungs-dienste – inzwischen als Ausbilderausfallen.Früher machten viele junge Männer

während ihrer Wehrpflichtzeit denLastwagen-Führerschein. Die Berufs-armee Bundeswehr bildet heute nurnoch für sich selbst aus. Doch das istnoch nicht alles: Für junge Leute spie-len der Führerschein und dasAuto nichtmehr die Rolle, die beides vor 20 oder30 Jahren noch innehatte. Ein gut aus-gebauter Nahverkehr, das heutigeUmweltbewusstsein hat dafür gesorgt,dass heute das Interesse für das Autound den Führerschein bei Jugendlichenlängst nicht mehr an oberster Stellesteht – schon gar nicht in den Ballungs-räumen, weiß Pflantz. Dabei ist dieLizenz zum Autofahren nicht Voraus-setzung dafür, den Lastwagenführer-schein zu machen. Wer sich aber nichtfür Autos interessiert, den lässt meistauch der Lastwagen kalt. Und nochwas kommt hinzu: Die Quote der Abi-turienten unter den Schulabgängernsteigt. Doch, auch sie bewerben sichfür eine Ausbildung – wo auch immer.Aber in der Regel sehen die Abiturien-

ten die Ausbildung als Vorbereitungfürs Studium. Für den Betrieb stehensie nach der Ausbildung oft nicht mehrlange zur Verfügung. Und er meintdamit: Auch jenen Jugendlichen even-tuell eine Chance zu geben, die nichtmit den besten Noten ihre Schule ab-geschlossen haben.Was bedeutet das für die Unterneh-

men? „Wir müssen Personalplanungbetreiben und gezielt nach Auszubil-denden suchen, gezielt um sie wer-ben“, sagt Pflantz. Nur wenn Geld indie Hand genommen und in die Kraft-fahrer-Ausbildung investiert wird, wer-de die Branche auch in Zukunft genü-gend Fahrerinnen und Fahrer haben.Wobei Pflantz als Fahrer-Ausbilder inerster Linie die Fahrer im Blick hat. Abereigentlich meint er, es sei dringendnotwendig, dass sich die gesamte Ent-sorgung mehr um Auszubildende be-mühen muss. Denn sie braucht nichtnur Fahrer und Lader. Sondern auchKaufleute, Logistiker, Kollegen, die sichmit chemischen Stoffen auskennen.Wenn die Entsorgung auch künftigguteMitarbeiterinnen undMitarbeiterwill, müsse sie ihr Schmuddel-Imageablegen und wann immer sie kanndarauf hinweisen, dass die Stadtreini-gung der Hansestadt für 60 Berufeausbildet, dass es nicht nur um Müll-werker und Straßenreiniger geht, dassdie Entsorgung eine Branche mit Zu-kunft und mit Karrieremöglichkeitenist – für Frauen wie für Männer. Wobeifür ein besseres Image auch eine bes-sere Bezahlung sorgen kann.

Stadtreinigung Hamburgsucht gezielt Frauen

Pflantz sind Jugendliche, die als Erstaus-bildung Kraftfahrer lernen, genausolieb wie Quereinsteiger, die mit einerMindestausbildung von 140 Stundenund einer anschließenden Prüfung vorder Industrie- und Handelskammer ih-re Karriere als Berufskraftfahrer begin-nen. Ob die dreijährige Ausbildung, beider die jungen Leute auch Logistik,Tourenplanung und Lagerplanung ler-nen, oder die Intensivausbildung fürQuereinsteiger gewählt wurde – allefünf Jahre ist ein Weiterbildung fürKraftfahrer heute gesetzlich vorge-schrieben. Seit September 2009 mussjede Kraftfahrerin und jeder Kraftfahrerinnerhalb von fünf Jahren mindestens

fünfWeiterbildungstage (à sieben Stun-den) beim nachweisen. Damit die be-fristete Schlüsselzahl 95 (fünf Jahre),in den Führerschein eingetragen wer-den kann. Sonst darf in Europa keinLastwagen ab der FührerscheinklasseC1 (über 3,5 Tonnen) gewerblich ein-gesetzt werden.Nicht nur, damit die Fahrer alle Ver-

kehrsregeln und Fahrregeln kennen,

sondern damit der Verkehr für alleVerkehrsteilnehmer so sicher wiemög-lich ist – für die Lastwagenfahrer selbstwie auch für die anderen Verkehrsteil-nehmer.Übrigens: Seit einigen Jahren sucht

die Stadtreinigung Hamburg auch ge-zielt nach Frauen, die sie zu Kraftfah-rerinnen ausbildet. Auch, weil sie nichtnur gleich gut in diesem Metier sindwie die Männer, sondern weil sie ver-gleichbar geworden sind, wie Pflantzmeint. Frauen gehen mit den Fahrzeu-gen sorgsamer und vorsichtiger um.Sie machen sich mit den schweren undteuren Maschinen langsam vertraut,

Stufe um Stufe, während ihre männ-lichen Kollegenmanchmal gleich glau-ben, erstmal voll durchdrücken zumüssen. Die Folge: „Die Ausfallzeitender Fahrzeuge und Geräte, auf denenFrauen fahren, sind deutlich kürzer.“Und weil in den vergangenen Jahrenimmer mehr Maschinen das Be- undEntladen übernommen haben, Müll-gefäße heute aus Plastik sind und über

Rollen und Räder verfügen, ist die ge-ringe Kraft der Frauen kein Hindernismehr. Schon gar nicht, weil diemeistenArbeiten, wie zum Beispiel das An- undAbkoppeln der Anhänger, eine erlern-bare Tätigkeit ist.

Geld ist wichtig – ein gutesBetriebsklima auch

Und nach der Ausbildung? Personal-entwicklung blickt in die Zukunft undrichtet die Ausbildung für die Zukunftaus. Leider hat das eventuell dann zurFolge, dass viele, die die Ausbildungzum Fahrer gerade abgeschlossen ha-ben und sich darauf freuen, das Elern-

te an einem großem Fahrzeug zuperfektionieren, erstmal auf einem3,5-Tonner geparkt werden. „Das ge-fällt nicht jedem“, räumt Pflantz ein.Der eine oder die andere wechselt dasUnternehmen. „Wer in Ausbildung in-vestiert, hat keine Garantie, dass sichdas Geld eins zu eins auszahlt“, gibtPflantz zu bedenken. Aber in der Regelkommen viele junge Leute auchwieder

zurück: Weil die Stadtreinigung mehrbietet als andere Arbeitgeber – stän-dige und gute Weiterbildung, eineGemeinschaft, eben ein Miteinanderstatt ein Gegeneinander. Ein Lastwa-genfahrer, der sich immer wieder qua-lifizieren muss, muss auch entspre-chend bezahlt werden. Aber für Pflantzmuss auch das Umfeld stimmen. Auchweil gerade die jungen Leute heutevielleicht noch mehr Wert als ihre El-tern auf das legen, was das Unterneh-men sonst noch bietet – wie eine gu-te Vereinbarkeit von Familie und Berufoder ein gutes Betriebsklima.

Jana Bender

Bonus-Regelungen entlasten ver.di-MitgliederBei Haustarifverträgen setzt ver.di Baden-Württemberg auf das Plus für Gewerkschafter

In der privaten Abfallwirtschaftwerden bei Haustarifverträgenimmer öfter Bonus-Regelungen fürGewerkschaftsmitglieder verein-bart. Auch beim Entgelttarifver-trag für die Beschäftigten derVeolia in Baden-Württemberg undBayern wurden nun Regelungenerzielt, mit denen die ver.di-Mit-glieder besser gestellt werdenals die (Noch-)Nichtmitglieder.ver.di setzt auch in Zukunft aufsolche Bonus-Regelungen.

�Die Kolleginnen undKollegen fordernschon lange Bonus-Regelungen für Ge-werkschaftsmitglieder. Die Rechtspre-chung aber setzte ihnen immer ganzenge Grenzen oder sie macht Bonusre-geln bei Flächentarifverträgen gar un-möglich. Zudem: Bonus-Regelungensind bei Arbeitgebern nicht sonderlichbeliebt. Denn Mitglieder-Bonus-Rege-lungen erhöhen den Anreiz für die Be-schäftigten, in die Gewerkschaft einzu-treten. ver.di Baden-Württemberghatte gerade deshalb Bonus-Regelun-gen fest in den Blick genommen: „Wirwollen einen spürbaren Unterschied im

Einkommen für ver.di-Mitglieder ge-genüber den Nicht-Mitgliedern“, be-tont Angelo Bonelli, im ver.di-Landes-fachbereich Ver- und Entsorgung zu-ständig für die Abfallwirtschaft.Schrittweise tastete ver.di sich an

Bonus-Regelungen in Haustarifverträ-gen heran: 2014 wurde ein Entgeltta-rifvertrag für Alba-Süd abgeschlossen,der nicht nur mehr Geld vorsah. Fürver.di-Mitglieder übernahm Alba auchden Beitrag zur GUV/FAKULTA. DieRegelung kam bei den ver.di-Mitglie-dern gut an. Seither werden immerwieder Regelungen abgeschlossen, diedie Übernahme des Beitrages durchden Arbeitgeber vorsehen.Doch dabei wollte es ver.di nicht

belassen. Allerdings schaut das Finanz-amt gerade bei diesen Bonus-Regelun-gen immer ganz genau hin, weil es sichum brutto-wie-netto-Zahlungen han-delt. Und eswurden von den BehördenBedingungen gesetzt. So darf der Bo-nusbetrag nicht in bar ausgezahlt wer-den, sondern muss ein Sachwert blei-ben, also ein Gutschein sein. Und: DerBonus ist personenbezogen, er darfnichtweitergegebenwerden und nicht

höher sein als 44 Euro. Bei diesem Be-trag zieht das Finanzamt derzeit dieGrenze bei Sachwerten.Diese Bonus-Regelungen sind auch

für die meisten Finanzämter Neuland.Die Folge: Nicht immer werden diegefundenen Regelungen sofort vomFinanzamt akzeptiert. Manchmal müs-sen die Bonus-Vereinbarungen so an-

gepasst werden, dass die Behörden esakzeptieren können. Beispiel: d ie38-Euro-Regelung für die ver.di-Mit-glieder bei Alba-Süd. Beim jüngstenTarifvertrag wurde vereinbart, dassjedes ver.di-Mitglied pro Monat einenBeitrag von 38 Euro auf einer Master-card gutgeschrieben bekommt. DasFinanzamt gab erst dann das Okay, als

klargestellt war, dass das Geld nie inbar ausgezahlt wird, sondern von denver.di-Mitgliedern in ganz bestimmtenGeschäften wieder in Sachwerte ein-getauscht wird.Die ver.di-Mitglieder schätzen solche

Vereinbarungen, die sie gegenüberden Nicht-Mitgliedern bevorzugen –und zwar spürbar. Das Argument: „Wirengagieren uns, wir bezahlen denMit-gliedsbeitrag und die Nicht-Mitgliedersahnen ab“ – all das zieht nicht mehr.Mit den Bonus-Regelungen machendie ver.di-Mitglieder einiges gut. „Eslohnt sich deshalb, an diesem Systemzu tüfteln“, ist sich Bonelli sicher. Vorallem in Branchen, in denen das Ein-kommensniveau noch viel Spielraumnach oben hat wie in der Abfallwirt-schaft. „Solche Bonus-Regelungenentlasten die Kolleginnen undKollegenin der Abfallwirtschaft spürbar.“ Undwas rät Bonelli all jenen Kolleginnenund Kollegen, die den ver.di-Bonuskritisch sehen? „WerdeMitglied“, sagter. „Dann erhälst du nicht nur den Bo-nus, sondern du machst dich damitauch stark für eine sichere Zukunft.“

Jana Bender

TAR I F E

Mehr Geld für alle und Bonus für ver.di-MitgliederDie Beschäftigten der Veolia in Baden-Württemberg und Bayern erhal-ten rückwirkend zum 1. April 1,6 Prozent mehr Geld. Zum 1. April 2018steigen die Einkommen erneut um 2,3 Prozent. Außerdem erhaltenalle für April und Mai 2017 jeweils einen Tankgutschein in Höhe von40 Euro. Der Tarifvertrag läuft zum 30. April 2019 aus. Alle Kolleginnenund Kollegen, die zum 1. Mai 2017 ver.di-Mitglied waren, erhaltenzusätzlich zu den Tankgutscheinen von April und Mai weitere Tankgut-scheine für die Monate Juni bis September 2017 von jeweils 40 Euro,also insgesamt 160 Euro. Zudem übernimmt der Arbeitgeber den Beitragfür die GUV/FAKULTA für die Jahre 2017 bis 2019. Dabei gilt der 1. Maifür 2017 als Stichtag für die Mitgliedschaft, für die Folgejahre ist esder 1. Januar.

FOTO

:BEN

DER

Page 6: 2 I 2017+file++593fdd26f1b4cd06c6fd526a... · Jana Bender 2 FACHBEREICHFACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017 ENERGIEWIRTSCHAFT Liebe Kolleginnen und Kollegen,

6 WASS ERW I RT S CHA F T / D EMOGRAF I E FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017

Wie kann sich die Wasserversor-gung effektiv vor Hackern schüt-zen? Wie ist es möglich, Fachkräf-te zu gewinnen und zu halten?Was muss passieren, damit die Ni-tratbelastung im Trinkwasser wie-der sinkt? Diese Fragen standen imZentrum der 20. ver.di-Konferenzfür Betriebs- und Personalrätesowie Jugend- und Auszubilden-denvertretungen (JAVen) Mitte Maiin Dortmund.

�Zu der Konferenz waren über 130Kolleginnen und Kollegen aus ganzDeutschland gekommen. Sie beschäf-tigten sich zudem mit der Zukunft derDaseinsversorgung in der Wasserwirt-schaft, mit Fragen der Rekommunali-sierung und mit der Spurenstoffstra-tegie der Bundesregierung. In sechsWorkshops wurde unter anderemdarüber diskutiert, wie Betriebs- undPersonalräte ihre Arbeit besser vermit-teln können, welche Aufgaben diePersonalräte im Zusammenhang mitder neuen Entgeltordnung leistenmüs-sen und was bei der Rufbereitschaftbeachtet werden muss.Für Professor Jörg Lässig vom Lern-

labor Cyber-Sicherheit sind noch vie-

le Unternehmen in Sachen IT-Sicher-heit reichlich ungeschützt. Er plädier-te dafür, alle Beschäftigten einesUnternehmens anzusprechen und zusensibilisieren. Denn „selbst wenn sichein Unternehmen stark engagiert undversucht, sich sicher zu machen –wenn ich nur irgendetwas auslasse,ist letztendlich alles umsonst“, sagtLässig. Weil die Hacker dann mithilfedieser Schwachstelle in die Leittechnik

kommen können. Nach seinen Beob-achtungen wähnen sich viele Unter-nehmen sicher – und sind es mitnich-ten.Und welche Herausforderungen

stellt die Digitalisierung an die Mit-bestimmung? Stefanie Erdelbrauk vonder Dortmunder Netz Gesellschaftsieht Risiken, aber auch Chancen.„Die Technik muss so gestaltet sein,dass nicht nur die Interessen der Ar-

beitgeber berücksichtigt werden“,betont sie. Den gläsernen Mitarbeiterdürfe es nicht geben. Die Mitbestim-mung muss sich für sie bei der Per-sonalplanung und der Personalent-wicklung einmischen. Weil die Digi-talisierung neue Qualifikationen nötigmacht. Und vor allem: Der Betriebs-oder Personalrat dürfe nicht nur diejungen Beschäftigten im Auge haben,die mit der Digitalisierung aufge-wachsen sind. „Der Betriebs- oderPersonalrat muss das Sprachrohr fürdie gesamte Belegschaft sein – fürdie Beschäftigten jeden Alters“, sagtErdelbrauk.Für HelgeWendenburg vomBundes-

umweltministerium braucht es unseraller Aufmerksamkeit und Engage-ment, damit die Daseinsvorsorge auchweiterhin unangetastet bleibt – gera-de bei den umstrittenen Freihandels-abkommen. „Wir müssen darauf ach-ten, was die Europäische Kommissionvorschlägt“, so Wendenberg. SeinerAnsicht nach liegt es nahe, dass dieEuropäische Kommission einen Kom-promiss auf den Tisch legt, der auchEinschnitte in den Standards vorsieht.Wendenberg: „Wir müssen unsereStandards schützen.“ Er verteidigtevehement den europäischen Ansatz,wonach bei einer Verletzung der Um-weltregeln einem Unternehmen dieStilllegung droht. Es dürfe nicht sein,dass lediglich eine Geldstrafe drohe,wenn ein Unternehmen dabei erwischtwird, dass es Umweltregelungenmiss-achtet.Der Leiter des Fachbereichs Ver-und

Entsorgung, ver.di-VorstandsmitgliedAndreas Scheidt, macht sich vor den

Teilnehmerinnen und Teilnehmern derKonferenz für einen Kurswechsel in derRentenpolitik stark. Weil es um dieRenten derjenigen geht, die heutemit-ten im Leben stehen, also um künftigeRentner. Es müsse jetzt darum gehen,die gesetzliche Rente zu stärken. Dazusei eine Neuausrichtung der Renten-politik dringend nötig. Damit künftignicht noch mehr Rentner in Armutleben. Scheidt rät Betriebs- und Per-sonalräten den notwendigen Kurs-wechsel in der Rentenpolitik auch inBetriebs- und Personalversammlungenzu thematisieren.Erneut fordert Scheidt die Teilneh-

merinnen und Teilnehmer auf, mit da-zu beizutragen, dass der Organisa-tionsgrad steigt. Zwar sei die Wasser-wirtschaft die einzige der drei Fach-gruppen des Fachbereichs, die imvergangenen Jahr gewachsen ist.„Dochwirmüssen nochmehrwerden“,ist er sich sicher – gerade angesichtsder bevorstehenden Tarifrunde für denöffentlichen Dienst. Auch AndreasKahlert, Sprecher der Bundesfachgrup-pe Wasserwirtschaft, verweist auf diebevorstehende Tarifrunde. Und er er-innert daran, dass bereits in wenigenMonaten das neue Ausbildungsjahrbeginnt: Der ver.di-Handlungsleitfa-den zeige auf, in welchen Schritten diejungen Leute auf ver.di aufmerksamgemacht werden sollen. „Wir müssenmehr werden“, appelliert Kahlert. Under betont: „Wir haben in den BetriebenPotenzial.“Die nächste Betriebs- und Personal-

rätekonferenz ist für den 25. bis27. September 2018 in Erfurt geplant.

Jana Bender

TV-V-Tarifvertrag Demografie gescheitertArbeitgeber fehlt Willen zur tarifpolitischen Gestaltung – ver.di: Themen bleiben auf der Agenda

Die Verhandlungen über einen Demografie-Tarifvertrag für den TV-V-Be-reich (Tarifvertrag Versorgung) sind gescheitert. „Die Arbeitgeber warennicht bereit, einen speziellen Tarifvertrag für diesen Tarifbereich abzu-schließen“, sagt Clivia Conrad, Leiterin der Bundesfachgruppe Wasser-wirtschaft und zuständig für den TV-V: „Das ist sehr bedauerlich, dennangesichts der demografischen Situation in den Betrieben hätten beideSeiten von einem solchen Tarifvertrag profitiert – die Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer wie auch die Betriebe.“ Und sie fährt fort: „Leidernehmen wir wahr, dass die öffentlichen Arbeitgeber nicht den Willenhaben, tarifpolitisch zu gestalten.“

� Seit mehreren Jahren wird im Tarif-bereich Versorgung über die Notwen-digkeit eines solchen Tarifvertragesdiskutiert, seit fast zwei Jahren wirddarüber verhandelt. Schon im Sommervergangenen Jahres zeichnete es sichab, dass sich die Arbeitgeber auf einePosition festgelegt hatten, die ver.dinicht mittragen konnte. Die Arbeit-geber waren nur bereit, einen Tarif-vertrag abzuschließen, der den De-mografie-Tarifvertrag im Bereich Nah-verkehr eins zu eins kopiert. Conrad:„Der TV-N ist für den Nahverkehr und

die besonderen Bedingungen dieserBranche gemacht und nicht für dieVersorgung.“Ein Tarifvertrag Demografie für den

TV-V aber müsse auch die Bedingun-gen und die Probleme der speziellenBranche widerspiegeln, für die derVertrag gelten soll. Eine Kopie desDemografie-Tarifvertrages Nahver-kehr kam für ver.di deshalb für denTV-V nicht in Betracht. Hauptstreit-punkt: ver.di drang auf konkretereund verbindlichere Regelungen alsdie, die für den Nahverkehr gelten

– vor allem beim Gesundheitsma-nagement, bei der Qualif izierung,beim alternsgerechten Arbeiten, beider Vereinbarkeit von Familie undBeruf. Dazu waren die Arbeitgebernicht bereit.Derzeit haben sich schon verschie-

dene Betriebe aufgemacht, Lösungenzu entwickeln und Maßnahmen vor-anzutreiben, mit denen den Heraus-forderungen des demograf ischenWandels begegnet werden kann. Essind vor allem die großen Betriebe, diesich hier engagieren. ver.di wollte mitdem angestrebten Demografie-Tarif-vertrag gemeinsame Rahmenbedin-gungen für diese Lösungen schaffenund somit auch sicherstellen, dass auchin mittleren und kleinen Betrieben dieHerausforderungen des demografi-schen Wandels in den Fokus kommen,dass auch hier Arbeits- und Gesund-heitsschutz noch mehr Bedeutungbekommen und alternsgerechtes Ar-beiten schon mit der Ausbildung be-

ginnt – und nicht erst dann, wenngesundheitliche Einschränkungen sichbemerkbar machen.Der Demografie-Tarifvertrag als Rah-

menvereinbarung sollte sicherstellen,dass für alle Betriebe die gleichen Be-dingungen gelten. Damit sich auchniemand davor drücken kann, entspre-chende Maßnahmen zu ergreifen.Denn: Es kostet zunächst Geld, denHerausforderungen der Demografie zubegegnen. Langfristig lohnen sich die-se Investitionen, weil die Belegschaf-ten gesünder, weil sie zufriedener sind.„Schade, dass die Arbeitgeber dasnicht verstanden haben“, heißt es ausder TV-V-Tarifkommission.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Verhandlungen sollen nicht wie-deraufgenommen werden – jedenfallsnicht als Fortsetzung der Verhandlun-gen zu einem Tarifvertrag Demografie.Dennoch: Die Themen, die im Rahmendes Tarifvertrages Demografie verhan-

delt werden sollten, die Regelungen,die die Beschäftigten fordern, sindweiter aktuell. Derzeit steht noch nichtfest, ob und welche dieser Forderun-gen bereits in der bevorstehendenTarifrunde aufgerufen werden. EndeSeptember jedenfalls startet die Mit-gliederdiskussion zur Forderung für dieTarifrunde 2018. Dann beraten dieKolleginnen und Kollegen darüber,wofür sie zu kämpfen bereit sind. Klarist aber schon jetzt: Voraussetzung füreine erfolgreiche Tarifrunde – mit oderohne Forderungen aus der Liste desForderungskatalogs Tarifvertrag De-mografie – ist ein breiter Rückhalt inden Betrieben, sind viele Kolleginnenund Kollegen, die in ver.di sind unddie Forderungen auch mit Aktionenunterstützen. Deshalb hat die Tarifrun-de eigentlich längst begonnen – näm-lich mit demWerben ummehrMitglie-der, mit dem Aufbau einer starkenBasis in den Belegschaften.

Jana Bender

Viele Unternehmen bietenHackern offene Flanken20. Betriebs- und Personalrätekonferenz Wasserwirtschaft:Experte setzt auf Sensibilisierung der gesamten Belegschaft

FOTO

S(9):BEN

DER

Page 7: 2 I 2017+file++593fdd26f1b4cd06c6fd526a... · Jana Bender 2 FACHBEREICHFACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017 ENERGIEWIRTSCHAFT Liebe Kolleginnen und Kollegen,

7FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017 ARB E I T S B ED INGUNGEN / EU

Wenn Arbeit überhand nimmtÜberlastungsanzeigen oder §92a Betriebsverfassungsgesetz – Betriebsräte müssen stete Arbeitsverdichtung nicht hinnehmen

Mehr Aufgaben brauchen mehrPersonal. Betriebs- und Perso-nalräte wissen das, Beschäftigtesowieso. Eigentlich ist dieserZusammenhang auch für diePersonalverantwortlichen keinGeheimnis. Und dennoch: Oft wirdversucht, mit dem vorhandenenPersonal auszukommen. ZumLeidwesen der betroffenen Kolle-ginnen und Kollegen. Was könnendie Beschäftigten und die Arbeit-nehmervertreter gegen eine solchePersonalpolitik der Geschäftslei-tung tun? Überlastungsanzeigensind eine Möglichkeit, dem Chefzu zeigen, dass die Arbeit einfachzu viel ist. Der § 92 a des Betriebs-verfassungsgesetzes eine andere.

�Holger Thoms, Personalrat bei derStadt Augsburg, kommen solche Situ-ationen immer wieder unter. BeispielBaureferat der Stadt, dem die Stadt-entwässerung zugeordnet ist. Augs-burg wächst. Jahr um Jahr kommen imSchnitt 4000 Einwohner hinzu – weilvon Augsburg ausMünchen noch ganzgut mit öffentlichen Verkehrsmittelnzu erreichen ist. Viele Arbeitnehmerin-nen undArbeitnehmer, die inMünchenarbeiten, wohnen in Augsburg. DieStadt zählt derzeit etwa 300 000 Ein-wohner, vor zehn Jahren waren es nur260 000.Mehr Einwohner bedeuten deutlich

mehr Arbeit. Im Klärwerk wurden des-halb bereits zwei zusätzliche Planstel-len geschaffen, das Bauordnungsamtaber ging leer aus. Dabei verzeichnetes infolge der wachsenden Stadt mehran Bauanträge. Sogar deutlich mehr.Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitermöchten diese Mehrarbeit auch be-

wältigen, was sie aber nicht schaffen.„Die Leute werden dadurch krank. Siewerden nervös, dünnhäutig, habenSchlafprobleme“, weiß Thoms. In derFolge stieg auch die Zahl der Langzeit-kranken. Zusätzliche befristete Stellenkonnten das Problem nicht lösen. „Wirbrauchen Fachleute“, sagt Thoms, nie-manden, der erst lange eingearbeitetwerden muss und damit die Arbeits-menge nochmal erhöht und der, kaumFachmann geworden, die Abteilungwieder verlassen muss.Damit sich etwas ändert, setzen die

Arbeitnehmervertreter in Augsburg aufÜberlastungsanzeigen. Thoms wirbtdafür, dass die Kolleginnen und Kolle-gen die Chefs darauf aufmerksam ma-chen, wenn sie das Arbeitspensumbeim besten Willen nicht schaffen.Denn: Nur wer seine Überlastungrechtzeitig anzeigt, ist auch aus derVerantwortung, wenn infolge derÜberlastung Fehler passieren. Zudemerfährt bei einer Überlastungsanzeigenicht nur der direkte Vorgesetzte, dasssich bei den Kolleginnen und Kollegeneinfach zu viel Arbeit auftürmt, son-dern auch die Personalverwaltung be-kommt von der chronischen Überlas-tung Kenntnis. „Mit einer Überlas-tungsanzeige sind die Beschäftigtenauf rechtlich sicherem Boden“, weißThoms. Weil es ganz schön teuer wer-den kann, wenn Fehler bei der Beur-teilung eines Bauantrages gemachtwerden.Sowichtig eine Überlastungsanzeige

bei zu viel Arbeit ist, so sehr scheuendie Beschäftigten vor einem solchenSchritt zurück – weil sie Angst haben,

„dass ein negatives Urteil über die Be-lastbarkeit an ihnen klebten bleibt“,glaubt Thoms. Doch dann gab ein Kol-lege eine solche Anzeige ab, dem nie-mand unterstellen konnte, er sei fauloder Druck nicht gewachsen. Mit sei-ner Anzeigewurde die Überlastung desBaureferats zum Thema in der StadtAugsburg. Auch Kommunalpolitikermischten sich nun ein. Und die Abtei-lung wurde aufgestockt: BefristeteStellen wurden entfristet, Krankheits-vertretungen eingestellt. Thoms Fazit:„Wir müssen deutlich machen, dass eseinfach zu viel Arbeit ist.“ Deshalb im-mer die Überlastung anzeigen, wennsich Kolleginnen und Kollegen über-lastet fühlen. Wenn die Verantwortli-chen nichts hören, gehen sie davonaus, dass es geht.Zu wenig Personal? Arnold Messner

von Netze-BW kennt die Klagen derBeschäftigten. Gerade bei den Netzen,die infolge der Energiewende immeröfter kritische Situationen meisternmüssen,weil die Anforderungen an dieMonteure und die Zahl der Störungensteigt. „Die Belastung der Beschäftig-ten der Netze ist hoch“, betont Mess-ner. Bei Netze-BW setzen die Arbeit-nehmervertreter nicht auf Überlas-tungsanzeigen, sondern auf den § 92ades Betriebsverfassungsgesetzes. Die-ser Paragraf besagt, dass der Betriebs-rat dem Arbeitgeber Vorschläge zurFörderung der Beschäftigung machenkann. Beispiel: der Bereitschaftsdienst.„Wir hatten zu wenig Personal unddeshalb waren die Kolleginnen undKollegen alle drei Wochen mit Bereit-schaftsdienst dran.“ Was eine hohe

Belastung für die Beschäftigten bedeu-tete. Sie wünschten sich einen Fünf-Wochen-Rhythmus.Der Betriebsrat tüftelte deshalb ei-

nen Vorschlag aus – samt einer Ge-genfinanzierung und einer Auflistungvon Tätigkeiten, die der Bereitschafts-dienst, der dann mit mehr Personalausgestattet ist, übernehmen könnte.Die Verantwortlichen zögerten, dochletztendlich haben sich Betriebsrat undArbeitgeber auf zusätzliche Planstellenverständigt. Vorschläge nach § 92 akönnen die Arbeitgeber nicht einfachignorieren. Sie müssen sich damit be-schäftigen und genau erläutern, war-

um sie diesen Vorschlag gegebenen-falls ablehnen.Mit der zusätzlichen Planstelle sind

die Kolleginnen und Kollegen des Be-reitschaftsdienstes nun alle vier Wo-chen dran – das ist häufiger als sie sichgewünscht haben, aber besser als dieAusgangslage. „Wer einen detailliertenPlan macht, wie die Arbeit künftig ver-teilt werden soll, hat mit dem Vor-schlagsrecht nach §92a gute Chancen,dass sich die Lage verbessert“. DieseErfahrung hat Messner in der Karriereals Betriebsrat gemacht. Deshalb setzter weiterhin auf die diese Methode.

Jana Bender

ARB E I T S R E CH T

Betriebsverfassungsgesetz:§ 92 a Beschäftigungssicherung(1) Der Betriebsrat kann dem Arbeitgeber Vorschläge zur Sicherung und

Förderung der Beschäftigung machen. Diese können insbesondere eineflexible Gestaltung der Arbeitszeit, die Förderung von Teilzeitarbeit undAltersteilzeit, neue Formen der Arbeitsorganisation, Änderungen derArbeitsverfahren und Arbeitsabläufe, die Qualifizierung der Arbeitneh-mer, Alternativen zur Ausgliederung von Arbeit oder ihrer Vergabe anandere Unternehmen sowie zum Produktions- und Investitionsprogrammzum Gegenstand haben.

(2) Der Arbeitgeber hat die Vorschläge mit dem Betriebsrat zu beraten. Hältder Arbeitgeber die Vorschläge des Betriebsrats für ungeeignet, hat erdies zu begründen; in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern erfolgtdie Begründung schriftlich. Zu den Beratungen kann der Arbeitgeberoder der Betriebsrat einen Vertreter der Bundesagentur für Arbeit hin-zuziehen.

Mehr zum Thema https://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_308.pdf

T I P P

ÜberlastungsanzeigeIn vielen Branchen wird die „Wirt-schaftlichkeit“ von Unternehmenunter anderem mit Personalabbauerkauft. Aufgrund vonÜberlastungkann es zu Schäden durch die Be-schäftigten kommen–unddeshalbzu arbeits-, straf- und/oder zivil-rechtlichen Konsequenzen. EineÜberlastungsanzeige bietet denBeschäftigten die Möglichkeit, aufdie unter Umständen personenge-fährdendeSituationaufmerksamzumachen und sich im Rahmen etwa-iger Haftungsansprüche entlastenzu können.https://www.verdi-bub.de/service/praxistipps/archiv/ueberlastungsanzeige

Der Strommarkt nach EU-ArtEnergiewende: EU setzt weiter auf Potenzial des freien Markts

Kern des sogenannten „Winterpakets“, mit dem die EU-Kommission dieWeichen für eine umfassende Energiewende europaweit stellen will, istdie Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt. Vorgeschlagen wird eineWeiterentwicklung des Binnenmarktes, die dezentrale, wetterabhängigeerneuerbare Energien in die Märkte integriert und die damit einherge-henden Chancen für Verbraucher fördert. Das Paket wird derzeit zwi-schen Kommission, Parlament und nationalen Regierungen beraten undsoll Ende 2017 verabschiedet werden.

� „Der Strommarkt der nächsten zehnJahre wird gekennzeichnet sein durcheine variablere und dezentralereStromerzeugung, eine zunehmendeAbhängigkeit zwischen denMitglieds-staaten sowie neue technologischeMöglichkeiten für die Verbraucher,ihre Energiekosten zu verringern“, be-gründet die EU-Kommission ihr Geset-zespaket zur Neufassung des EU-Bin-

nenmarktes für Strom. Sieben Jahrenach der Verabschiedung des drittenBinnenmarktpakets sei die Zeit reif füreine Fortentwicklung.Waren damals noch große Kohle-

und Atomkraftwerke maßgebend fürdie Stromwirtschaft, haben die erneu-erbaren Energien den Strommarkt inder Zwischenzeit kräftig durcheinan-dergewirbelt – in den meisten Mit-

gliedsstaaten. Doch Wind und Sonnesind bekanntlich launisch, unstet, siebenötigen flexible Backup-Strukturenfür den Lastausgleich, und sie sind de-zentral nutzbar – wenn Solaranlagenauf jedem Dach Strom produzieren,verwischen die Grenzen zwischen Er-zeuger und Verbraucher. Gleichzeitigmüssen die Transportnetze europaweitausgebaut werden.Doch wie will die Kommission die

Widersprüche mildern, wie die Zen-tralaufgabe lösen, den Markt für dieIntegration von erneuerbaren Ener-gien zu ertüchtigen und gleichzeitigVersorgungssicherheit aufrecht zuerhalten? Die Antwort zunächst wiegehabt: Der Markt wird es schon rich-ten. Damit erteilt sie aller politisch

gewollten „Marktverzerrung“ eineAbsage.Das Ziel der Kommission: Die Ver-

braucher ins Zentrumdes Energiemark-tes zu rücken. Denn durch die vollstän-dige Integration industrieller, gewerb-licher und privater Verbraucher in dasEnergiesystem, könnten Kosten derBackup-Stromerzeugung, die sonst dieKunden tragen müssten, größtenteilsvermieden werden.Zudem wird im Richtlinien-Entwurf

die Rolle von lokalen Energiegemein-schaften geregelt, die direkt oder überAggregatoren und Anbieter nichtdis-kriminierenden Zugang zu allen Märk-ten bekommen, andererseits aber auchsogenannte gemeinschaftliche Netzebesitzen und betreiben dürfen. Zulas-ten der „gefangenen“ Netznutzer derzentralen Netze?Doch garantiert das diskriminie-

rungsfreie Zusammenwirken allerMarktteilnehmer tatsächlich gleichsamautomatisch Versorgungssicherheit?

Etwa in Zeiten vonWindstille undman-gelnder Sonneneinstrahlung, wie imJanuar 2017 in ganz Westeuropa? DieAntwort der Kommission: Im Prinzipja, und immer besser, je enger die Net-ze europaweit zusammenwachsen.Aber – und jetzt die Volte rückwärts:Notwendig ist eine koordinierte Pla-nung, mit möglichst geringen Verzer-rungen im Binnenmarkt. Vor allemmüssen diese nationalen Kapazitäts-märkte dann grenzüberschreitend of-fen sein. Und: Beteiligen dürfen sichnur neue Anlagen, die weniger als 550Gramm CO2 pro Kilowattstunde aus-stoßen – bestehende Anlagen müssendiesen Wert maximal fünf Jahre nachInkrafttreten der Verordnung errei-chen. In der Praxis kämen dann vorallemflexible Gaskraftwerke zumZuge,die aufgrund ihrer schnellen Regelbar-keit gut geeignet sind, jederzeit wieerforderlich flexible Leistung zum Aus-gleich von Versorgungsengpässen be-reit zu stellen. Reinhard Klopfleisch

FOTO

:STADTAUGSB

URG

Page 8: 2 I 2017+file++593fdd26f1b4cd06c6fd526a... · Jana Bender 2 FACHBEREICHFACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017 ENERGIEWIRTSCHAFT Liebe Kolleginnen und Kollegen,

8 WASS ER / EN ERG I E FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 02·2017

Schritt für Schritt zum Tarifniveau TV-VNach zwölf Jahren gilt für die Thüringer Fernwasserversorgung wieder ein Tarifvertrag

Endlich. Die Thüringer Fernwas-serversorgung hat nach zwölftariflosen Jahren wieder einen Ent-gelttarifvertrag. Und damit endetauch für die 243 Beschäftigtendie tariflose Zeit. Zwar liegen dieEinkommen auch jetzt noch unterdem Niveau des TarifvertragesVersorgung (TV-V). Aber der ersteSchritt in Richtung TarifniveauTV-V ist getan.

�Die Stimmung unter den Beschäftig-ten ist gut. „Die meisten sind sehr zu-frieden über das Erreichte“, weiß derver.di-Vertrauensmann bei der Thürin-ger Fernwasserversorgung, Bernd Ja-kuttis. Und letztendlich ging es relativschnell und geräuschlos.Mit dem Wechsel der Geschäftsfüh-

rung zum Januar 2016 wurde nocheinmal Anlauf genommenund das The-ma Tarifvertrag wieder auf die Tages-ordnung gesetzt. In den folgendenWochengabes gemeinsameGesprächezwischen Geschäftsführung, Personal-rat und der Gewerkschaft ver.di. In denGesprächen zeichnete sich ab, dass einTarifvertrag der richtige Weg ist.Aber der Reihe nach. Vor zwölf Jah-

ren wurde das Unternehmen aus demTarifvertrag für den öffentlichen Dienstgedrängt. Damals galt noch die An-bindung an den BAT. Zudem war nichtnur ver.di im Unternehmen präsent,sondern auch die IG BCE – wie bei vie-len Wasserunternehmen im Osten.Dann wurde ein Haustarifvertrag mitver.di vereinbart, doch die Clearing-Stelle von ver.di stoppte ihn.Mit gutemGrund: Denn dem Vertrag fehlte diePerspektive der Bindung an den Flä-chentarifvertrag. Diesen kleinen Ein-spruch nutzte die damalige Geschäfts-führung aber dazu, all das Verhandel-te in der Schublade verschwinden zu

lassen. Damit war die Thüringer Fern-wasserversorgung nichtmehr vertrags-gebunden. Die Beschäftigten wurdengenötigt Einzelarbeitsverträge zu un-terschreiben.Damals waren etwa 50 Beschäftigte

des Unternehmens bei der IG BCE or-ganisiert und weitere 50 bei ver.di.Dabei blieb es nicht. Nach und nachverabschiedeten sich fast alle von denGewerkschaften. Undwas die Einkom-mensentwicklung anging: Erstmal gabes einige Jahre gar nichts. Dann zeig-te das Unternehmen eine kleine sozi-ale Ader und gewährte ein bisschenmehr Geld. Der Abstand zu den Tarif-verträgen des ÖD und erst recht zumTV-V wurde immer größer. Der Unmutunter den Beschäftigten wuchs.Auf einer Personalversammlungwur-

de nochmals die Situation skizziert. InEinzelgesprächenwarben diewenigenverbliebenenGewerkschaftsmitglieder

darum, die Reihen zu schließen. „Wirhaben allen deutlich gemacht, dassohne eine starke Gewerkschaft nichtsgeht“, erzählt Kollege Jakuttis. MitErfolg. Die Gewerkschaft hatte wiederZulauf.Heute ist fast jeder zweite Beschäf-

tigte Gewerkschaftsmitglied – genau-er: Mitglied von ver.di. Die Zuständig-keiten der DGB-Gewerkschaften wur-den inzwischen endgültig geklärt. Fürdie Thüringer Fernwasserversorgungist ver.di der Ansprechpartner. ZurFreude der Beschäftigten. Das Einkom-mensniveau des Tarifvertrages für dieVersorgungbetriebe (TV-V) ist deutlichhöher als das bisherige Entgelt.Die Gewerkschaft ver.di hat nach

Erreichen von 50 Prozent Organisia-tionsgrad in einerMitgliederversamm-lung eine Tarifkommission gewählt unddie Forderung beschlossen. Daraufhinwurde der Arbeitgeber von der Ge-

werkschaft ver.di zu Tarifverhandlun-gen aufgefordert. Die Geschäftsfüh-rung zeigte sich aufgeschlossen, dochda waren noch die Vertreter des Lan-des und der Kommunen im Verwal-tungsrat.Denn die Thüringer Fernwasserver-

sorgung gehört zu 70 Prozent demLand und zu 30 Prozent verschiedenenKommunen. „Wir haben lange Gesprä-che mit den Vertretern des Landesgeführt, auf die Situation hingewiesenund unsere Forderung bekräftigt“, er-zählt Kollege Jakuttis. Offenbar hattendie Vertreter der Tarifkommission undder Gewerkschaft ver.di gute Argu-mente. Denn inzwischen liegt ein Ab-schluss vor: Die jüngste Steigerung desTV-V-Tarifergebnisses wird übernom-men, zudem steigen von Juli an dieEinkommen um weitere 4,5 Prozent.Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von18Monaten. Dannwird neu verhandelt

– vor allem über weitere Schritte hinzum Tarifniveau des TV-V. Parallel dazuschauen sich die Tarifparteien denManteltarif an. Das Ziel auch hier:TV-V-Niveau. Derzeit liegt der Abstandzum TV-V trotz der Vergütungserhö-hungen noch zwischen 15 und 20Prozent. „Das kann nur in mehrerenSchritten erreicht werden“, weiß Kol-lege Jakuttis. Er kann seine Kolleginnenund Kollegen verstehen, die ungedul-dig sind, auch weil sich der Prozess biszum jetzt gültigen Tarifvertrag so lan-ge hinzog.Was er jetzt vor allem vermittelt ist:

Dass dieses Prozedere eben auch Pra-xis des Tarifgeschäfts ist. Man mussGeduld haben und dranbleiben. Abervor allem: Die Beschäftigten erreichennur dann bessere Bedingungen, wennsie sich zusammentun und gemeinsamin der Gewerkschaft für ihre Interessenkämpfen. Jana Bender

KWK: Von der Förderung zurAusschreibungBundeswirtschaftsministerium legt Entwurf für KWK-Ausschreibung vor –

ver.di fordert Nachbesserungen

Das KWK-Gesetz 2016 sieht vor, dass sich neue und modernisierte KWK(Kraft-Wärme-Kopplung)-Anlagen der öffentlichen Versorgung mit einerelektrischen Leistung zwischen 1 und 50 Megawatt ab Ende 2017 einerAusschreibung unterziehen müssen, um Förderung zu bekommen. SeitEnde April liegt der Verordnungsentwurf des Wirtschaftsministeriumsvor, der diese Ausschreibungen regeln soll. ver.di bezweifelt, dass mitdiesem Verfahren die KWK-Ausbauziele erreicht werden können.

�Der Entwurf ist sperrig und ebensosperrig könnte sich das geplante Ver-fahren in der Praxis erweisen – nämlichals Sperre für den Neubau und die Mo-dernisierung von KWK-Anlagen. Daskonstatiert ver.di in ihrer Stellungnah-me vom April. „Wir befürchten, dassdie Umstellung auf eine Ausschreibungeinen Fadenriss in der Weiterentwick-lung der KWK in Deutschland hervor-rufen könnte, der die Ziele des KWK-G2016 in Gefahr bringt. Zahlreiche Ar-beitsplätze in betroffenen Energiever-sorgungsunternehmen wären dann inGefahr“, glaubt die Gewerkschaft.ver.di stellt den jährlichen Deckel

von nur 200 Megawatt in Frage, derin diesem Segment als förderungswür-dig angesehen wird. „Nach wie vorfehlt der Nachweis, dass das gewähl-te Volumen mit den Ausbauzielen derKWK abgeglichenwird.“ Als besonderskritisch bewertet ver.di, dass der An-teil der derzeit marktreifen KWK-An-lagen am Ausschreibungsvolumen bis2021 verringert werden soll, von 150Megawatt im Jahr 2018 auf nur noch135Megawatt in 2021. Entsprechendsteigen soll der Anteil der sogenannteninnovativen KWK-Systeme (iKWK) von

Jahr zu Jahr, von anfangs 50 auf amEnde dann 65 Megawatt. Diese sollenGas-KWK mit erneuerbaren Energienwie Solar- und Erdwärme koppeln.Für ver.di ist es auch notwendig, dass

dieWärmeversorgung zunehmend aufder Basis erneuerbarer Energien er-folgt. ver.di hat deshalb nichts gegenden progressiven Anstieg des Förder-volumens für derartige Anlagen – al-lerdings nicht auf Kosten der traditio-nellen Gas-KWK, die aufgrund derKopplung auch zur Verringerung desKlimagasausstoßes beiträgt.Auch andere Punkte des Verord-

nungsentwurfes dürften nach Ansichtvon ver.di die Stadtwerke und Regi-onalversorger davon abhalten, denNeubau oder die Modernisierung vonKWK-Anlagen voranzutreiben. Dasfürchtet (oder hofft?) wohl auch dasMinisterium. So wird der vorgeschla-gene Höchstwert für Gebote von sie-ben Cent pro Kilowattstunde aus-drücklich mit dem „zu erwartendengeringen Wettbewerb“ begründet.Eine klassische Selffullfilling Prophe-cy? Denn wer soll bei derartig restrik-tiven Bedingungen noch Interessezeigen? Bislang waren jedenfalls aus-

reichend Interessenten da, hatte dasPrognos-Institut in seiner Marktana-lyse festgestellt. ver.di fordert, denHöchstwert zu streichen, weil er ehnicht sachgerecht ist: „Der Höchst-wert von sieben Cent pro Kilowatt-stunde aller Kosten berücksichtigtnicht die heterogene Kostenstrukturder KWK.“Was mögliche Bieter noch abschre-

cken könnte: Bei Abgabe des Gebotesmüssen sie eine Sicherheit von 100Euro pro Kilowatt zahlen, das ent-spricht etwa zehn Prozent der Investi-tionskosten. Die Folge: „Die hierfürnotwendige Vorfinanzierung verrin-gert besonders bei größeren KWK-Projekten und Modernisierungen dieWirtschaftlichkeit.“ Auch sollen dieZuschlagszahlungen auf höchstens3000 Vollbenutzungsstunden im Jahrbeschränkt werden – das schränkt denBetreiber ein, das Kraftwerk entspre-chend demStrombedarf und denWett-bewerbsbedingungen flexibel fahrenzu können.Fazit: Zahlreiche bürokratische Vor-

schriften erschweren dem gutwilligenBetreiber zusätzlich das Leben. Soll dieAusschreibungsverpflichtung für dieöffentliche KWK zwischen 1 und 50Megawatt nicht zur „Beerdigung ers-ter Klasse“ mutieren, muss sie nachAnsicht von ver.di wesentlich nachge-bessert werden. Der Kampf darumlohnt sich: Es geht um viele Arbeits-plätze, und es geht um Klimaschutz.

Reinhard Klopfleisch

KOH L E

Kohlekraftwerke und BeschäftigungVorstände und ver.di wollen sozialverträgliche Lösung

Am 4. Mai 2017 haben wir uns mit Vorstandsvertretern der maßgeblichenprivaten und kommunalen Energieunternehmen getroffen, die Kohlekraft-werke betreiben. Wir hatten eingeladen, um darüber zu beraten, wie dierund 15 000 Beschäftigten sozial abgesichert werden können, wenn entspre-chend den Klimaschutz-Beschlüssen der Bundesregierung in den nächstenJahrzehnten die Kohlekraftwerke Stück für Stück vom Netz gehen werden.Grundlage war das Gutachten „Sozialverträgliche Ausgestaltung eines Koh-lekonsenses“, das die Energieberater von enervis für ver.di erstellt haben.Die Vorstände waren einhellig der Auffassung, vorrangig eine wettbe-

werbliche Lösung anzustreben, umdie Vorgaben des Klimaschutzprogramms2050 für die Energiewirtschaft einhalten zu können. Sollte die künftigeBundesregierung einen „Kohlekonsens“ anstreben, könne man sich einemhierfür einzurichtenden „runden Tisch“ allerdings nicht entziehen. Dannmüsse über Vorgaben und Bedingungen verhandelt werden. ver.di habe,so der vorherrschende Tenor der Stellungnahmen der Unternehmensvertre-ter, hier eine wichtige Vorlage in Bezug auf eine notwendige sozialverträg-liche Ausgestaltung gemacht. Weitere zu klärende Themen seien beispiels-weise auch die gerechte Behandlung der Kohle-KWK-Anlagen mit ihrerklimaentlastenden Wärmeauskopplung oder die notwendige regionaleStrukturförderung in den betroffenen Braunkohlegebieten.Die Unternehmensvertreter begrüßten, dass die Vorschläge von ver.di

keinen Ausstiegsfahrplan beinhalten, vielmehr für die Beschäftigten aus-kömmliche Rahmenbedingungen formulieren, wenn vorzeitige Stilllegungenvon Kohlekraftwerken politisch eingefordert würden.Wir waren uns mit den Vorständen einig, den Gedankenaustausch in ab-sehbarer Zeit fortzusetzen, um die zu erwartenden politischen Initiativenzur Intensivierung des Klimaschutzes in der Folge der Umsetzung der Ver-pflichtungen, die Deutschland und die EU auf dem Klimagipfel in Paris von2015 eingegangen ist, zu begleiten.Thorsten Pfirmann, Sprecher der Bundesfachgruppe Energie und BergbauAndreas Scheidt, Mitglied des Bundesvorstandes

FOTO

S(2):TH

ÜRINGER

FERNWASS

ERVER

SORGUNG

FOTO

:EN

BW