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1 I 2017 E N E R G I E W I R T S C H A F T · W A S S E R W I R T S C H A F T · A B F A L L W I R T S C H A F T FACHBEREICH Befristung verhindert Zukunft Ein Spitzengespräch soll Bewegung in die verfahrenen Tarifverhandlun- gen zum Ausbildungstarifvertrag bei RWE bringen. Seite 2 ENERGIEWIRTSCHAFT Energiewende ist nicht nur Strom Bei der energie- und tarifpolitischen Tagung in Hannover pochen Ex- perten auf die Einbeziehung von Wärme und Mobilität in die Ener- giewende. Seite 4 Dunkelflaute bleibt Schreckensszenario Experten sind sich sicher: Fossile Kraftwerke müssen noch jahrelang die Stromversorgung sichern. Seite 6 Das ist kein schlüssiges Konzept Verbände und ver.di lehnen Regie- rungsentwurf zum Netzentgelt- modernisierungsgesetz ab: Das ist Diskriminierung der Kraft-Wärme- Kopplung. Seite 6 WASSERWIRTSCHAFT Nitratbelastung kann Haushalte teuer kommen BDEW-Gutachten spricht von hohen Mehrkosten für die Wasserversor- ger: Fast ein Euro pro Kubikmeter Wasser. Seite 7 INTERNATIONALES Mord an Gewerkschafter in Kolumbiens Kohlegruben Steinkohle aus Kolumbien wird auch nach Europa geliefert. Seite 7 WASSERWIRTSCHAFT „Wir brauchen faire und soziale Abkommen“ Aktueller Stand von TTIP, TISA und CETA: Der Widerstand geht weiter. Seite 8 ver.di fordert von Vattenfall soziale Verantwortung für die Beschäftigten ver.di kritisiert Vorhaben des Ener- giekonzerns Vattenfall, in Berlin und Hamburg Outsourcing und Arbeits- platzabbau weiter voranzutreiben. Hintergrund ist die Intention Vatten- falls, rund 200 Arbeitsplätze im Bereich der Business-Services abzubauen. „Ein Unternehmen, das keine zu- kunftssicheren Arbeitsplätze schafft und stattdessen Personalabbau und Outsourcing als Schwerpunkt unter- nehmerischer Tätigkeit betrachtet, löst Existenzängste und Frustration bei den Beschäftigten aus“, betont Volker Stü- ber, ver.di-Bundesfachgruppenleiter Energie. „Wer gutes Geld mit Dienst- leistungen für Bürger verdient, sollte auch daran interessiert sein, in ihrem Sinne Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten und damit die Qualität in der Versorgung zu sichern.“ Der Ima- geschaden für das Unternehmen sei durch eine Unternehmenspolitik groß, der es vorrangig um die Maximierung von Gewinnen gehe. Offensichtlich spiele für den schwedischen Staatskon- zern die große Betroffenheit auch von langjährig Beschäftigten und ihrer Fa- milien keine Rolle. In der Vergangenheit habe es durch Outsourcing für zahlreiche Beschäftig- te bereits Lohneinschnitte von bis zu 50 Prozent gegeben. Im vergangenen Jahr sei die Streichung von rund 400 Arbeitsplätzen im Kundenservice sowie die Verlagerung in Callcenter zu we- sentlich schlechteren Konditionen vo- rangetrieben worden. Nun seien erneut mehr als 200 Beschäftigte vom Verlust ihres Arbeitsplatzes bedroht, weil Vat- tenfall Arbeitspakete ausgeschrieben habe. ver.di fordert die politisch Ver- antwortlichen auf, sich für den Erhalt der Arbeitsplätze einzusetzen. Die Lage ist bekannt: Ob öffentlicher Dienst oder Privatwirtschaft, ob Abfallwirtschaft, Wasser- oder Energiewirtschaft – in den Betrieben steigt das Durchschnittsalter. Gleichzeitig ist absehbar, dass in den kommenden Jahren überproportional viele Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand gehen. Eigentlich ist klar: In den Unternehmen muss gehandelt werden. Doch Fehlanzeige. Das, was passiert, ist zu wenig, ist ver.di überzeugt. All- zu zäh verlaufen die Tarifverhandlun- gen zur Demografie. Sicher, in den Betrieben wurde das eine oder andere Projekt ins Leben gerufen. So gibt es in verschiedenen großen Betrieben der öffentlichen Abfallwirtschaft Jahren Betriebs- und Personalvereinbarungen, in denen es um einen verbesserten Arbeits- und Gesundheitsschutz, um Lebensarbeitszeitkonten, aber auch um Altersteilzeitmodelle geht, gepaart mit Übernahmeregelungen für den Nachwuchs, damit das Wissen recht- zeitig an die nächste Generation wei- tergegeben werden kann. „Aber dies sind nach wie vor Leucht- türme“, weiß Sylvi Krisch, beim Bun- desfachbereich Ver- und Entsorgung zuständig für die Tarifkoordination private Energiewirtschaft und Abfall- wirtschaft. Sie betont: „Es braucht Regelungen für die Branchen.“ Und meint: Rahmenbedingungen, die für alle gelten – also gleiche Wettbe- werbsbedingungen für die Unterneh- men und Mindeststandards für die Beschäftigten. Doch davon kann bisher kaum die Rede sein. Vielmehr arbeitet ver.di da- ran, diese Rahmenbedingungen erst zu schaffen. Für den Bereich Tarifver- trag Versorgung (TV-V) laufen seit gut einem Jahr entsprechende Tarifver- handlungen. Ein neuer Termin ist für das Frühjahr angesetzt. Für die priva- te Energiewirtschaft, die unter die Tarifgemeinschaft Energie fällt, wurde nach zähem Ringen eine entsprechen- de Vereinbarung erzielt. Jetzt müssen diese Vereinbarungen in einzelnen Haustarifverträgen mit Leben gefüllt werden. Doch was die private Abfall- wirtschaft betrifft: Zwar wäre gerade in diesem Bereich ein Tarifvertrag zur Demografie dringend nötig – weil vie- le Ältere hier arbeiten, weil körperliche Arbeit zum Alltag gehört – und viele Beschäftigte aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zur regulären Rente in ihrem Job arbeiten können. Aber bisher ist an eine solche Vereinbarung nicht zu denken. Warum aber tun sich die Arbeitge- ber mit solchen Vereinbarungen of- fensichtlich so schwer? „Auch die Regelungen zur Demografie kosten Geld“, stellt Krisch nüchtern fest. Jetzt. Zwar sparen Regelungen zum Gesundheitsschutz den Unternehmen langfristig Geld. Es fällt den Verant- wortlichen aber oft schwer, diesen langfristigen Nutzen in ihre heutigen Überlegungen miteinzubeziehen. Hin- zu kommt: Lösungen für die Heraus- forderungen sind wichtig, aber nicht akut. „Es kommen immer wieder an- dere aktuelle Probleme dazwischen, die gelöst werden wollen“, sagt Krisch. Und so wird die Demografie wieder nach hinten geschoben. Lei- der. Denn: Wenn in wenigen Jahren fast ein Drittel der heutigen Beleg- schaften in Rente geht, werden aus den latenten Herausforderungen aku- te Probleme. Nur: Es ist leicht voraus- zusagen, dass dann der Arbeitsmarkt die Fachkräfte nicht bereithalten wird, die gebraucht werden. Rahmenvereinbarungen zur Demografie nehmen in der Ver- und Entsorgung nur langsam Kontur an Seite 3 DEMOGRAFIE MUSS IN DEN FOKUS FOTO: ROETTGERS

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1 I 2017

E N E R G I E W I R T S C H A F T · W A S S E R W I R T S C H A F T · A B F A L L W I R T S C H A F T

FACHB ER E I CH

Befristung verhindertZukunft

Ein Spitzengespräch soll Bewegungin die verfahrenen Tarifverhandlun-gen zum Ausbildungstarifvertragbei RWE bringen. Seite 2

EN ERG I EW I RT S CHA F T

Energiewende ist nichtnur Strom

Bei der energie- und tarifpolitischenTagung in Hannover pochen Ex-perten auf die Einbeziehung vonWärme und Mobilität in die Ener-giewende. Seite 4

Dunkelflaute bleibtSchreckensszenarioExperten sind sich sicher: FossileKraftwerke müssen noch jahrelangdie Stromversorgung sichern.

Seite 6

Das ist kein schlüssigesKonzeptVerbände und ver.di lehnen Regie-rungsentwurf zum Netzentgelt-modernisierungsgesetz ab: Das istDiskriminierung der Kraft-Wärme-Kopplung. Seite 6

WASS ERW I RT S CHA F T

Nitratbelastung kannHaushalte teuer kommenBDEW-Gutachten spricht von hohenMehrkosten für die Wasserversor-ger: Fast ein Euro pro KubikmeterWasser. Seite 7

I N T E RNAT IONAL E S

Mord an Gewerkschafter inKolumbiens KohlegrubenSteinkohle aus Kolumbienwird auchnach Europa geliefert. Seite 7

WASS ERW I RT S CHA F T

„Wir brauchen faire undsoziale Abkommen“

Aktueller Stand von TTIP, TISA undCETA: Der Widerstand geht weiter.

Seite 8

ver.di fordert von Vattenfall soziale Verantwortung für die Beschäftigten

� ver.di kritisiert Vorhaben des Ener-giekonzerns Vattenfall, in Berlin undHamburg Outsourcing und Arbeits-platzabbau weiter voranzutreiben.Hintergrund ist die Intention Vatten-falls, rund 200Arbeitsplätze im Bereichder Business-Services abzubauen.„Ein Unternehmen, das keine zu-

kunftssicheren Arbeitsplätze schafftund stattdessen Personalabbau undOutsourcing als Schwerpunkt unter-

nehmerischer Tätigkeit betrachtet, löstExistenzängste und Frustration bei denBeschäftigten aus“, betont Volker Stü-ber, ver.di-BundesfachgruppenleiterEnergie. „Wer gutes Geld mit Dienst-leistungen für Bürger verdient, sollteauch daran interessiert sein, in ihremSinne Arbeitsplätze zu schaffen undzu erhalten und damit die Qualität inder Versorgung zu sichern.“ Der Ima-geschaden für das Unternehmen sei

durch eine Unternehmenspolitik groß,der es vorrangig um die Maximierungvon Gewinnen gehe. Offensichtlichspiele für den schwedischen Staatskon-zern die große Betroffenheit auch vonlangjährig Beschäftigten und ihrer Fa-milien keine Rolle.In der Vergangenheit habe es durch

Outsourcing für zahlreiche Beschäftig-te bereits Lohneinschnitte von bis zu50 Prozent gegeben. Im vergangenen

Jahr sei die Streichung von rund 400Arbeitsplätzen imKundenservice sowiedie Verlagerung in Callcenter zu we-sentlich schlechteren Konditionen vo-rangetriebenworden.Nun seien erneutmehr als 200 Beschäftigte vom Verlustihres Arbeitsplatzes bedroht, weil Vat-tenfall Arbeitspakete ausgeschriebenhabe. ver.di fordert die politisch Ver-antwortlichen auf, sich für den Erhaltder Arbeitsplätze einzusetzen.

Die Lage ist bekannt: Ob öffentlicher Dienst oder Privatwirtschaft, obAbfallwirtschaft, Wasser- oder Energiewirtschaft – in den Betrieben steigtdas Durchschnittsalter. Gleichzeitig ist absehbar, dass in den kommendenJahren überproportional viele Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestandgehen. Eigentlich ist klar: In den Unternehmen muss gehandelt werden.

�Doch Fehlanzeige. Das, was passiert,ist zu wenig, ist ver.di überzeugt. All-zu zäh verlaufen die Tarifverhandlun-gen zur Demografie. Sicher, in denBetrieben wurde das eine oder andereProjekt ins Leben gerufen. So gibt esin verschiedenen großen Betrieben deröffentlichen Abfallwirtschaft JahrenBetriebs- und Personalvereinbarungen,in denen es um einen verbessertenArbeits- und Gesundheitsschutz, umLebensarbeitszeitkonten, aber auchumAltersteilzeitmodelle geht, gepaartmit Übernahmeregelungen für denNachwuchs, damit das Wissen recht-zeitig an die nächste Generation wei-tergegeben werden kann.

„Aber dies sind nachwie vor Leucht-türme“, weiß Sylvi Krisch, beim Bun-desfachbereich Ver- und Entsorgungzuständig für die Tarifkoordinationprivate Energiewirtschaft und Abfall-wirtschaft. Sie betont: „Es brauchtRegelungen für die Branchen.“ Undmeint: Rahmenbedingungen, die füralle gelten – also gleiche Wettbe-werbsbedingungen für die Unterneh-men und Mindeststandards für dieBeschäftigten.Doch davon kann bisher kaum die

Rede sein. Vielmehr arbeitet ver.di da-ran, diese Rahmenbedingungen erstzu schaffen. Für den Bereich Tarifver-trag Versorgung (TV-V) laufen seit gut

einem Jahr entsprechende Tarifver-handlungen. Ein neuer Termin ist fürdas Frühjahr angesetzt. Für die priva-te Energiewirtschaft, die unter dieTarifgemeinschaft Energie fällt, wurdenach zähem Ringen eine entsprechen-de Vereinbarung erzielt. Jetzt müssendiese Vereinbarungen in einzelnenHaustarifverträgen mit Leben gefülltwerden. Doch was die private Abfall-wirtschaft betrifft: Zwar wäre geradein diesem Bereich ein Tarifvertrag zurDemografie dringend nötig – weil vie-le Ältere hier arbeiten, weil körperlicheArbeit zum Alltag gehört – und vieleBeschäftigte aus gesundheitlichenGründen nicht bis zur regulären Rentein ihrem Job arbeiten können. Aberbisher ist an eine solche Vereinbarungnicht zu denken.Warum aber tun sich die Arbeitge-

ber mit solchen Vereinbarungen of-fensichtlich so schwer? „Auch die

Regelungen zur Demografie kostenGeld“, stellt Krisch nüchtern fest.Jetzt. Zwar sparen Regelungen zumGesundheitsschutz den Unternehmenlangfristig Geld. Es fällt den Verant-wortlichen aber oft schwer, diesenlangfristigen Nutzen in ihre heutigenÜberlegungenmiteinzubeziehen. Hin-zu kommt: Lösungen für die Heraus-forderungen sind wichtig, aber nichtakut. „Es kommen immer wieder an-dere aktuelle Probleme dazwischen,d ie gelöst werden wollen“, sagtKrisch. Und so wird die Demografiewieder nach hinten geschoben. Lei-der. Denn: Wenn in wenigen Jahrenfast ein Drittel der heutigen Beleg-schaften in Rente geht, werden ausden latenten Herausforderungen aku-te Probleme. Nur: Es ist leicht voraus-zusagen, dass dann der Arbeitsmarktdie Fachkräfte nicht bereithalten wird,die gebraucht werden.

Rahmenvereinbarungen zur Demografie nehmen in der Ver- und Entsorgung nur langsam Kontur an

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DEMOGRAFIEMUSS IN DEN FOKUS

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2 FACHB ER E I CH FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01·2017

Liebe Kolleginnen und Kollegen,�Unternehmensstrategien in Zeitender rapide voranschreitenden Energie-wende standen im Mittelpunkt derdiesjährigen ver.di-Betriebs- und Per-sonalrätekonferenz der Energiewirt-schaft, die Anfang Februar 2017 mitmehr als 500 Teilnehmerinnen undTeilnehmern in Hannover stattfand(Seite 4 und 5). Dabei wurde deutlich:Die Unternehmen, ganz gleich ob Ener-giekonzern oder Stadtwerk, müssenumdenken, müssen mit neuen Ge-schäftsideen die dezentrale, kunden-zentrierte und digitale Energieweltbesetzen, bevor es andere tun. Schnel-ler Wandel aber kann nur gelingen,wenn er transparent und offen füralle Beschäftigten gestaltet wird. Undjedem und jeder eine Chance gebotenwird, sich entsprechend den neuenAnforderungen weiterzuentwickeln,ohne Angst vor Dequalifikation odergar Jobverlust. Auf dem Weg in dieEnergiezukunft kommen wir schmerz-frei nur voran, wenn beide Schuhemaßgeschneidert passen: Ein schlüs-siges Unternehmenskonzept und dasdarauf abgestimmte Personalkonzept,untermauert mit Tarifverträgen bei-spielsweise zur Demografischen Ent-wicklung (Seite 1).Die Politik kann hilfreich sein und

denWeg der Unternehmen in die Ener-giewende durch kluge Weichenstel-lung öffnen – sie kann aber auch or-dentlich „Stöckchen werfen“. Weitge-hend Einigkeit unter Energieexperten

herrscht, dass die hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplung einen wichtigenBeitrag zumGelingen der Energiewen-de liefern kann, stromseitig, weil fle-xible KWK-Anlagen gut geeignet sind,vor Ort in den Verteilnetzen die wet-terabhängige, unregelmäßige Einspei-sung von Wind- und Solaranlagenauszugleichen und damit zur Entlas-tung der Netze beizutragen, wärme-seitig, um in den Großstädten die Er-reichung der Klimaziele im Wärmebe-reich zu gewährleisten. Jetzt hat derehemalige Bundeswirtschafts- undEnergieminister Sigmar Gabriel (SPD),als eine seiner letzten Amtshandlun-gen, den Entwurf eines Gesetzes durchdas Kabinett gepeitscht, das dieseKWK-Anlagen wieder in die Unwirt-schaftlichkeit treiben würde. KeinStöckchen, eher schon ein groberKlotz: Für KWK-Anlagen sollen die so-genannten vermiedenen Netzentgelteabgeschafft werden, die diese Anlagengenau dafür bekommen, was sie bis-lang immer erfolgreich bewerkstelligthaben – nämlich durch flexible, ange-passte Fahrweise regional Stromange-bot und Stromnachfrage auszuglei-chen, damit die übergeordneten Net-ze zu entlasten und damit – daher derName – Netzentgelte durch den sonstnotwendigen Ausbau der überregio-nalen Netze zu vermeiden. Das sindkeine Peanuts – für eine mittlere KWK-Anlage liegt das vermiedene Netzent-gelt in der Größenordnung der aktu-

ellen Förderung durch das KWK-Ge-setz. Wir sind guten Mutes, die Abge-ordneten des Deutschen Bundestages,die schlussendlich über das Gesetzentscheiden müssen, davon zu über-zeugen, dass sie derartigen energie-wirtschaftlichen Murks zu Lasten derKWK, der kommunalen Finanzen undder Arbeitsplätze in den Energieunter-nehmen noch abwenden (Seite 6).Unsere Trinkwasserqualität galt lan-

ge Zeit als eine der besten der Welt,nachdem es den Wasserwerken nochim letzten Jahrhundert gelungen war,gesundheitsgefährdende Schadstoffeweitgehend zu eliminieren. Die Technikist nach wie vor vorbildlich, doch diezunehmende Belastung stellt sie vor

große Herausforderungen. Besondersdramatisch hat die Gefährdung zuge-nommen, seit die Bauern immer grö-ßere Mengen von Gülle und Pestizidenauf die Äcker schmeißen, um das nunwirklich Letzte aus den ausgelaugtenBöden der Intensivlandwirtschaft he-raus zu pressen. Die Folge: Die Kon-zentrationen insbesondere von Nitratund Pestiziden nehmen stark zu, imOberflächen- und imGrundwasser, ausdem das Trinkwasser gewonnen wer-den muss. Doch eine Düngeverord-nung, die wenigstens das Aufbringenvon Nitrat wirksam begrenzen würde,wird von den Bauernverbänden undihrem Bundeslandwirtschaftsministerblockiert. Wieder einmal werden In-

dustrieinteressen – nichts anderes sindgroße Teile der Landwirtschaft heute– politisch höher gewertet als die Ge-sundheitsinteressen der Menschen.Das sieht auch die Europäische Unionso und hat gegen Deutschland ein Ver-tragsverletzungsverfahren wegen zuhoher Belastung im Grundwasser ein-geleitet. Peinlich, Herr Bundeslandwirt-schaftsminister, oder? (Seite 7).Bald, liebe Kolleginnen und Kolle-

gen, ist Wahltag. Und da meine ichzunächst einmal die Sozialwahlen. Ei-ne hohe Beteiligung ist hier unerläss-lich, um die berufsspezifischen Inte-ressen vertreten zu können. Und sichersind die ver.di-Kandidatinnen und-Kandidaten am besten in der Lage,diese Interessen dann auch durchzu-setzen. Also meine herzliche Bitte:Geht wählen und wählt die ver.di-Kandidatinnen und ver.di-Kandidaten!Und natürlich meine ich auch die

Landtagswahlen, die in diesem Früh-jahr anstehen. Hier gilt es vor allem zuverhindern, dass fremdenfeindliche,rassistische und demokratieverachten-de Parteien in die Landtage einziehen.Wir haben in den letzten Monatengesehen, dass da die Grenze zu faschis-tischen Positionen extrem durchlässigist. Und schon ein flüchtiger Blick indie Programme zeigt: Derartige Partei-en sind auch zutiefst arbeitnehmer-feindlich.

Viele GrüßeAndreas Scheidt

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Die Politik kann hilfreich

sein und den Weg der

Unternehmen in die

Energiewende durch kluge

Weichenstellung öffnen –

sie kann aber auch ordentlich

„Stöckchen werfen“.

I M P R E S S UM Der ver.di-Report Ver- und Entsorgung Nr. 1, März 2017 · Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), FachbereichVer- und Entsorgung, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin, v. i. S. d. P.: Frank Bsirske, Andreas Scheidt · Redaktion: Jana Bender, Reinhard Klopfleisch ·www.ver-und-entsorgung.verdi.de · Gesamtherstellung: apm AG Darmstadt, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt; Bildnachweis Icons: © MatthiasEnter – Fotolia.com, © FM2 – Fotolia.com

J U G END

Betriebs-, Personalräte-und JAV-KonferenzWasserwirtschaft vom16. bis 18. Mai in Dortmund

Von der Fachkräfte-gewinnung bis zurSpurenstoffstrategie

Eine lange Themenliste hat sichdie jährliche Konferenz der Bun-desfachgruppe Wasserwirtschaftbei ihrem 20. Treffen 2017 inDortmund vorgenommen: Vonder Fachkräftenachwuchsgewin-nung über die Digitalisierung inder Wasserwirtschaft bis zur Spu-renstoffstrategie der Bundesre-gierung will die Konferenz vom16. bis 18. Mai diskutieren. Wasbedeuten diese Herausforderun-gen für die Arbeitsbedingungen?,ist dabei jeweils der Blickwinkel.

Programm und Rückmeldebogensind zu finden auf www.ver-und-entsorgung.verdi.de

Strategie- und Aktions-konferenz am 24. und25. März 2017 in Kassel

TTIP, CETA, TiSA und Co

TTIP liegt auf Eis, CETA hat dieHürde des Europaparlaments ge-nommen und taumelt nun auf dieRatifizierungen in den Mitglied-staaten zu, gleichzeitig entwickeltdie Europäische Kommission vie-le neue Initiativen für eine Globa-lisierung im Interesse der Konzer-ne. Zeit also für neue Ideen undStrategien. Dazu treffen wir unsam 24. und 25. März 2017 in derUniversität Kassel.Wir wollen unsweiterbilden, vernetzen, beratenund strategische Entscheidungenüber die nächsten Schritte ge-meinsam treffen. Wir freuen unsauf den Austausch mit den vielenAktiven aus lokalen Bündnissenund Initiativen aus dem gesam-ten deutschsprachigen Raum.

Mehr dazu unter http://ttip-aktionskonferenz.de

T E RM IN E

BEFRISTUNGVERHINDERT ZUKUNFT

Spitzengespräch soll Bewegung in die verfahrenen Tarifverhandlungen bringen

Bei den Verhandlungen um denTarifvertrag „Ausbildung“ beimEnergiekonzern RWE ist nochkeine Einigung in Sicht. Bewe-gung in die zuletzt festgefahrenenTarifgespräche soll Anfang Aprilein Spitzengespräch zwischen denVerhandlungsführern von RWEund ver.di bringen.

�Die Tarifverhandlungen stehen unterdemMotto „Ein Herz für Übernahme“.ver.di will durchsetzen, dass sich derKonzern auf eine höhere Übernahme-quote verpflichtet. Die Arbeitgeber

sehen sich angesichts der „wirtschaft-lichen Situation gerade in der Braun-kohlesparte“ nicht in der Lage, ent-sprechende Zusagen zu machen.RWE hatte sich im jüngsten Tarif-

vertrag dazu verpflichtet, 40 der etwa400 Auszubildenden im Jahr unbefris-tet zu übernehmen. Tatsächlich über-nahm der Konzern etwa 140 Auszu-bildende. Für ver.di kann der Konzerndeshalb ohne weiteres eine deutlichhöhere Übernahme der Auszubilden-den per Tarifvertrag garantieren alsdie bisher geltenden 40 Stellen. Über-nommenwurde in allen Bereichen und

allen Berufen: Kaufleute, Elektriker,Techniker.ver.di will zudem erreichen, dass

keine Befristungen mehr aus ausge-sprochen, sondern dass die jungenLeute nur noch unbefristet übernom-men werden. Befristungen haben Un-sicherheit für die Betroffenen zur Fol-ge, argumentiert die ver.di-Jugend.Befristungen verhindern, dass Plänegeschmiedet oder eine Familie gegrün-det werden. „Mit einer befristetenStelle ist es nicht wirklich möglich,Entscheidungen für die Zukunft zutreffen“, sagt auch Sonja Browatzki,

bei ver.di-NRW zuständig für den Ta-rifvertrag „Ein Herz für Übernahme“.Weil es um Fragen geht wie: Bleibe ichin der Region oder muss ich dem Jobfolgen und weit weg ziehen? DieseUnsicherheit habe bei dem einen oderanderen auch zur Folge, dass sie oderer zugreift, sobald ein Arbeitgeber an-bietet, diese Unsicherheit mit einemunbefristeten Vertrag zu beenden.„Damit verliert RWE vielleicht gar dieBesten“, sagt Browatzki: „Um in derZukunft erfolgreich zu bleiben, brauchtder Konzern qualifizierten und moti-vierten Nachwuchs“. Jana Bender

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Echter Einstieg geschafftUnternehmenstarifverträge müssen den Rahmentarifvertrag nun mit Leben füllen

Die Grundzüge eines Demogra-fie-Tarifvertrags für die privateEnergiewirtschaft stehen fest: Füralle Mitgliedsunternehmen derTG Energiewirtschaft gilt nun einRahmentarifvertrag Demografie.„Das ist ein Meilenstein“, meintauch Sylvi Krisch, beim Bundes-fachbereich Ver- und Entsorgungzuständig für die Tarifkoordina-tion private Energiewirtschaft undprivate Abfallwirtschaft. Und Grundzur Freude. Doch eigentlich gehtdie Arbeit jetzt erst los. Denn nunmuss dieser Rahmentarifvertrag inunternehmensbezogenen Tarifver-trägen mit Leben gefüllt werden.

�Über Demografie und ihre Folgenwird seit Jahren diskutiert. In größerenBetrieben passiert auch was. Gesund-heitstage gehören vielerorts inzwi-schen zum Standard, ebenso wieAngebote für eine Rückenschulung.Teilweise wird mit Arbeitszeitkontenexperimentiert, teilweise werden Sab-batjahre ermöglicht. Es gibt Modelle,mit denen Nachwuchs gefördert wer-den soll, und es wird über darübergestritten, wie mehr junge Leute über-nommen werden können. Es passierthier mal was, dann wieder dort. Kurz:In Sachen Demografie gibt es inzwi-schen bundesweit ein Flickenteppich.Nur: Meist sind die Maßnahmen, dieergriffen werden, um den Herausfor-derungen des demografischen Wan-dels zu begegnen, auf die großenUnternehmen beschränkt. Für die Be-schäftigten der kleineren Unterneh-men ist das Angebot oft mager, wennes überhaupt etwas gibt.Dabeiwird längst nichtmehr darüber

gestritten, dass den Herausforderun-gen des demografischenWandels drin-gend neue Konzepte entgegengesetztwerden müssen. Konzepte, die überdie Rückenschule, den Yogakurs unddie Ernährungsberatung hinausgehen.Arbeits- und Gesundheitsschutz istnicht erst ein Thema, wenn der Rückenlängst streikt oder die Kollegin oderder Kollege über Burnout klagt. Gera-de wenn es um körperlich schwereArbeit geht, können altersgemischteTeams für Entlastung sorgen, denndann übernehmen oft die Jungen dieschwere Arbeit, die die Älteren ge-

sundheitlich nichtmehr schaffen. Aber:Die Standardlösung können alters-gemischte Teams nicht sein. Denn dashätte zur Folge, dass die Jungen nochschneller als die Generation davor ge-sundheitliche Probleme bekommen.Deshalb: Altersgerechte Arbeit heißtnichts anderes als gute Arbeit. GuteArbeit wiederum ist nicht erst mit 50plus angesagt, sondern sie beginnt mitdem ersten Tag der Ausbildung.Warum aber wird ein Rahmentarif-

vertrag gebraucht? Für Sylvi Krisch istein solcher Tarifvertrag die Basis, aufdie alle unternehmensbezogene Maß-nahmen aufbauen. Der Rahmen wirdgebraucht, um sicherzustellen, dassalle Beschäftigten, die unter diesenTarifvertrag fallen, die gleichen Basis-

Ansprüche haben. Diese speziellenMaßnahmen, die jetzt verhandelt wer-den müssen, gehen auf die speziellenVoraussetzungen vor Ort ein. Das wie-derum kann nicht über einen einheit-lichen Tarifvertrag geregelt werden.„Dazu sind die Herausforderungen vonBetrieb zu Betrieb zu unterschiedlich“,weiß sie. So werden beim Rückbaueines Kernkraftwerks andereMaßnah-men gebraucht als in klassischen Kohl-kraftwerken oder in einem Netzbe-trieb. Oder in einem Bereich mit einemhohen Anteil an Rufbereitschaft

Verpflichtung zur Demografie-Analyse

Der nun abgeschlossene Rahmentarif-vertrag macht eines zum Muss: Die

Unternehmen sind verpflichtet, eineDemografie-Analyse zu erstellen. Dasheißt: Jeder Betrieb muss die Alters-struktur seiner Beschäftigten genauunter die Lupe nehmen. Wie sieht dasDurchschnittsalter der Belegschaftaus? Wie hat es sich in den vergange-nen Jahren entwickelt? Wer würdewann in reguläre Rente gehen? Inwelchen Bereichen muss darauf ge-achtet werden, dass Erfahrungswissenan die Jüngeren weitergegeben wird?Welche Fachleute müssen wann er-setzt werden? Und vieles mehr. ver.dihat auf diese Analyse gedrängt. Auch,weil sie in vielen Betrieben Maßnah-men gegen die Herausforderungen derdemografischen Entwicklung in Gangbrachte. Betriebsräte wissen: Die De-

mografie-Analyse erschreckt vieleChefs, weil durch sie deutlich wird,dass in Sachen Demografie Handelnüberfällig ist. Übrigens: Eine solcheAnalyse ist keine einmalige Sache. Siesoll alle drei bis fünf Jahre aktualisiertwerden, damit die Maßnahmen wie-der derWirklichkeit angepasst werdenkönnen.Daneben beinhaltet der Rahmen-

tarifvertrag Positionen und Ziele fürdie Arbeitsorganisation, für alterns-gerechtes Arbeiten, Qualifizierung,für den gleitenden Übergang in denRuhestand, Ausbildung und Übernah-me sowie Work-Life-Balance. Geradedie Work-Life-Balance scheint fürdie Nachwuchskräfte von enormerBedeutung. Wissenschaftler wissen:Heutige junge Leute ordnen der Kar-riere längst nicht mehr alles unter.Vielmehr dringen sie darauf, dassneben der Arbeit auch das Private,das Hobby, das Engagement in einerOrganisation und die Familie ihrenStellenwert haben und behalten sol-len.Doch das ist nicht alles: Teil des Ta-

rifergebnisses ist auch ein Altersteil-zeittarifvertrag für die Netzversorgerund die EBS-Gesellschaften. Die Alters-teilzeit kann frühestens mit 58 Jahrenbeginnen und endet mit dem 67. Ge-burtstag des Betreffenden, wobei dieVertragslaufzeit zwischen einem Jahrund fünf Jahren dauern kann. Die Ar-beitszeit kann auf 50 Prozent derdurchschnittlichen wöchentlichen Ar-beitszeit der letzten zwei Jahre redu-ziert werden. Die Rentenbeiträge wer-den vom Unternehmen auf 90 Prozentaufgestockt, das Bruttoaltersteilzeit-entgelt stockt der Arbeitgeber um30 Prozent auf. Jana Bender

FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01·2017 EN ERG I EW I RT S CHA F T

Zeitkonten machen flexibleres Arbeiten möglichWork-Life-Balance hat bei Jüngeren hohen Stellenwert – Betriebsvereinbarungen müssen Möglichkeiten und Grenzen austarieren

Lebensarbeitszeitkonten liegen offenbar im Trend. Oft werden sie auchim Zusammenhang mit Betriebsvereinbarungen zur Demografie einge-führt. Doch die Ernüchterung ist oft groß. Denn nicht immer haben sieden Erfolg und finden die Zustimmung, die sich all jene erhofft haben,die die Regeln für die Lebensarbeitszeitkonten ausgetüftelt haben. KeineFrage: „Ausschlaggebend sind die Details.“ Diese Erfahrung haben auchdie Wuppertaler Stadtwerke (WSW) gemacht: Deshalb hat die WSW hieran einer speziellen Ausgestaltung gefeilt. Entstanden ist dabei auch die„kurze Vollzeit“, wie das Modell bei den WSW heißt.

�Auf dem Lebenszeitarbeitskonto derWSW können Überstunden eingezahltwerden, Teile desmonatlichen Einkom-mens, aber auch Sonderzahlungen undGuthaben aus dem sogenannten Frei-zeitplus. Übrigens: Das Lebensarbeits-zeitkonto wird in Geld geführt, Urlaubkann generell nicht auf das Kontofließen. Und dann gibt es bei denWSWdie „kurze Vollzeit“ – und sie ist be-sonders attraktiv für die Beschäftigten.DasModell ist ein Kurzzeitkonto und

sieht Folgendes vor: Der Beschäftigtereduziert seine Arbeitszeit um bis zu20 Prozent und bekommt auch ent-sprechend weniger Geld. Sie oder erarbeitet aber 100 Prozent. Analog derprozentualen Reduzierung der monat-lichen Sollarbeitszeit, wird die Zeit aufdem Zeitsparbuch gutgeschrieben. Die

reduzierten 20 Prozent an Arbeitszeitwerden in Zeit geführt und könnenflexibel abgefeiert werden, es bestehtauch dieMöglichkeit bis zu 50 Prozentder angesparten Zeit auf das Lebens-arbeitszeitkonto zu übertragen. VonBeginn an – in denen nur 80 Prozentder Arbeitszeit gelten – können dieangesammelten Stunden so abgefeiertwerden, wie es dem Beschäftigtengefällt. Vorausgesetzt, es sprechenkeine betrieblichen Gründe dagegen.Der Beschäftigte kann die Zeit dafüreinsetzen, seinen Hobbys nachzuge-hen, er kann sie dafür verwenden, seinHaus oder seine Wohnung zu renovie-ren,, oder er kann sich eine Vier-Tage-Woche gönnen und regelmäßig einenkleinen Teil des Guthaben somit ver-brauchen. Gerade die Vier-Tage-Wo-

che scheint WSW-Kolleginnen undKollegen sehr attraktiv – der Freitagist frei genutzt. „Wir haben noch keinHomeoffice, aber dafür alternierendeTelearbeit.“

Kurze Vollzeit

Sonja Detmer, stellvertretende Be-triebsratsvorsitzende derWSW-Unter-nehmensgruppe, räumt ein: „Wir ha-ben uns das Modell der Berliner Was-serbetriebe zum Vorbild genommen.“Zunächst war nur eine Verminderungder Arbeitszeit von 10 Prozentmöglich–was nur verhalten angenommenwur-de. Mit der Erhöhung auf 20 Prozentkam der Durchbruch. Übrigens: Eswerden neue Stellen geschaffen.Wennzehn Kolleginnen oder Kollegen diesekurze Vollzeit nutzen, kommt eine zu-sätzliche Stelle dazu. Die Folge desModells: Die Zahl der Teilzeitkräfte, dieihre Arbeitszeit auf um die 30 Stundenfestgelegt haben, ging drastisch zu-rück. Für sie ist es attraktiver, auf diekurze Vollzeit umzusteigen.Welchen Stellenwert aber haben

solche Arbeitszeitmodelle für die He-rausforderungen, die sich Rahmen derdemografischen Entwicklung stellen?

So können Lebensarbeitszeitkontendazu beitragen, früher in Rente zu ge-hen. Dazu braucht es Anreize und auchGrenzen, damit die Beschäftigten die-se Möglichkeit auch nutzen. Anreizeheißt hier: Der Betrieb gibt auf dasGesparte auf dem Lebensarbeitszeit-konto einen Bonus – in welcher Formauch immer. Und: Die Betriebsverein-barung setzt Grenzen, was pro Jahrangespart werden kann. Damit nichtjede freie Minute oder gar der Urlaub,der für die Erholung und Regenerationdes Beschäftigten da ist, nur als An-sparpotenzial gesehen wird. Den Be-schäftigten hier Grenzen setzen, heißtauch: Keine Anreize zu Selbstausbeu-tung zu schaffen.Solche Arbeitszeitkonten zielen

aber nicht nur darauf ab, Möglichkei-ten für einen früheren Renteneintrittzu schaffen. „Gerade für Nachwuchs-kräfte hat eine ausgeglichene Work-Life-Balance einen hohen Stellen-wert“, weiß Detmer. Und Arbeitszeit-konten helfen dabei, dieseWork-Life-Balance auszugestalten: Mal wenigerzu arbeiten, wenn der der Marathon-Lauf ansteht und das Training inten-siviert werden soll zum Beispiel. Aber

es sind nicht nur die IT-affinen soge-nannten Nerds, die auf flexible Ar-beitszeiten abfahren. AuchMütter, dieKinder und Job stressfreier unter einenHut bringen wollen, bekommen beisolch flexiblen Arbeitszeiten glänzen-de Augen.„Starre Arbeitszeitmodelle schre-

cken viele junge Leute ab“, glaubtDetmer. Nicht alle, aber einen bemer-kenswerten Prozentsatz. „Wirmerken,dass viele Junge anders ticken.“ Siewollen selbst entscheiden, zu welcherTageszeit sie arbeiten. Arbeitszeitkon-ten kommen diesem Wunsch entge-gen. Aber keine Frage: Das Unterneh-men und der Betriebsrat bleiben in derVerantwortung. Sie müssen mit be-triebsinternen Regelungen dafür sor-gen, dass die Gesetze eingehaltenwerden, dass sie ihrer Fürsorgepflichtnachkommen. „Das ist eine Herausfor-derung,mit derwir umgehenmüssen“,stellt Sonja Detmer fest. Weil die Be-dürfnisse vorhanden sind. Und weilsolche Möglichkeiten, den Arbeitstagflexibler zu gestalten,womöglich künf-tig darüber entscheiden, wer das Ren-nen um die raren Arbeitskräfte macht.

Jana Bender

TG EN E RG I E

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�E.ON�Uniper

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HanseGas GmbH

�TenneT TSO GmbH

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4 EN ERG I EW I RT S CHA F T FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01·2017

�Was wird aus den Energieunterneh-men, die vor wenigen Jahren noch Ga-ranten für satte Gewinne waren? Waswird aus den Stadtwerken, die bisherJahr um Jahr den Kommunen Millionenüberwiesen, mit denen auch der Nah-verkehr mitfinanziert wurde? Und waswird aus den Beschäftigten? Werdenihre Fertigkeiten und Qualifikationenkünftig noch gebraucht? Oder welcheAusbildung ist künftig angesagt? Fragen,die den Kolleginnen und Kollegen aufden Nägeln brennen. Geht es doch nichtnur um die Zukunft der Unternehmen,sondern auch um die Zukunft der Be-schäftigten. Kein Wunder, dass diesmalso viele Kolleginnen und Kollegen zurenergie- und tarifpolitischen Arbeitsta-gung der ver.di-Bundesfachgruppe Ener-giewirtschaft nach Hannover kamenwienoch nie zuvor – nämlich fast 500 Kol-leginnen undKollegen aus ganzDeutsch-land.

Sonne und Wind übernehmenRolle der Kohle

Wie sieht „die Zukunft der Energie-versorgung“ aus? Wie gestalten sich diePerspektiven für die Unternehmen unddie Beschäftigten? Das waren die zen-tralen Fragen der Tagung an die Expertenund an die Unternehmensleitungen.Patrick Graichen von Agora, einem Ber-liner Beratungsunternehmen für dieEnergiewende, hat zehn Trends ausge-macht: Unter anderem sieht er die Kos-ten für Wind- und Solarstrom weitersinken. Die Energiewirtschaft entwicklesich zu einer Investitionswirtschaft. So-bald die Anlagen stehen, entstünden fürdie Unternehmen nur noch geringe Kos-ten.Gleichzeitig wird künftig Strom nicht

mehr produziert, wenn er gebrauchtwird, sondern wenn die Wetterbedin-gungen dies ermöglichen. Vor allem diedezentrale Versorgung hat für ihn Zu-kunft. Ferner wird der Energieverbrauchlangsam, aber stetig sinken. Wenigergefragt sind fossile Rohstoffe wie Öl,Gas, Kohle. Die Folge: die Preise steigennichtmehr. Dennoch bleiben die fossilenEnergieträger unter Druck, denn der Kli-mawandel schreitet voran. Und so wer-den Kohle, Gas und Öl künftig im Bodenbleiben. Und was bedeutet das für dieKohle? Graichen plädiert für einen lang-fristigen Kohle-Konsens, der vorsehenkönnte, dass 2030/40 alle Kohlekraft-werke abgeschaltet sind. Für ältere Koh-lekraftwerke könnte das Aus bereits inzwei, drei Jahren blühen.

Auch Wärme und Mobilitätin den Fokus nehmen

Einigkeit herrscht unter den Fachleuten,dass es nicht reicht, die Stromwirtschaftin den Blick zu nehmen. Wichtig sei esauch, die Wärme und den Verkehr mit-einzubeziehen. Das betont nicht nurGraichen. Auch Hildegard Müller vonRWE innogy und Susanne Zapreva-Hennerbichler, die Vorstandsvorsitzen-de von enercity (Stadtwerke Hannover),halten es für unerlässlich, das Gesamt-paket in den Fokus zu nehmen – Mobi-lität, Strom, Wärme. Nach Ansicht vonZapreva-Hennerbichler braucht es nichtnur eine Stromwende, sondern aucheine Mobilitätswende und eineWärme-wende. Sie verweist darauf, dass dieWärmeerzeugung 51 Prozent des Pri-märenergiebedarfs verbraucht – gegen-über 20 Prozent der Stromversorgung.Während die Stromwende längst amLaufen ist, ist bei der Wärmewende undder Mobilitätswende noch gar nichtspassiert.Aber das ist nicht das Einzige, was

Zapreva-Hennerbichler umtreibt: „Die

Digitalisierung stellt die Welt auf denKopf“, ist sie überzeugt. Künftig gehees nicht mehr um die billigste Arbeits-kraft. Durch die Digitalisierung und inFolge der Entwicklung von künstlicherIntelligenz werden Produktionsprozes-se umgestellt. Künftig sei für ein Unter-nehmen entscheidend: Wo finde ich diebeste Infrastruktur? Wo die klügstenKöpfe? Wo sind die besten Rahmenbe-dingungen für eine gute Performance?Und damit steigen die Chancen, dassIndustriezweige, die in den vergange-nen Jahren in ein Land gezogen sind,wo sie billige Arbeitskräfte fanden, imZuge der Digitalisierung wieder zurück-kommen.Wobei: Vor allem kluge Köpfe werden

dringend gebraucht. Denn in SachenDigitalisierung sieht Zapreva-Hennen-bichler in Deutschland erheblichenNach-holbedarf. Der Digitalisierungsgrad inDeutschland betrage gerade mal zehnProzent. Wohin aber müssen sich dieUnternehmen entwickeln? Für Zapreva-Hennenbichler steht fest: Siemüssen denKunden besser in den Fokus nehmen.Dabei verweist sie auf Amazon. DenKunden ins Zentrum zu stellen, auf seineindividuellen Bedürfnisse eingehen – dashabe das amerikanische Unternehmen

groß gemacht. „Wir brauchen neue Ge-schäftsmodelle – und dazu brauchenwirganz neue Fähigkeiten“, sagt sie. Sowohlwas die Technik, als auch was die Struk-tur der Unternehmen angeht. Künftigwürden sich Energienetze vermutlichselbst überwachen – und gegebenenfallsselbst reparieren. Bei der Unternehmens-struktur sei Hierarchie out. Netzwerkelaute das Stichwort der Zukunft.

Wettbewerb um dieklügsten Köpfe

Die drei Ds sind für Hildegard Müller voninnogy SE die Treiber Energiewende:Dekarbonisierung, Dezentralisierungund Digitalisierung. Diese drei Trendstreiben sich gegenseitig an. Und auchsie spricht davon, dass die Sektoren end-lich gekoppelt werden müssen, dasssomit nicht nur die Stromversorgung inden Blick genommen, sondern auch dieWärmeversorgung und die Mobilität.„Aus der Stromwende muss eine echteEnergiewende werden“, die auch dieWärme und den Transport einbezieht.Sie ist sich sicher: „Wenn die Sektorennicht besser miteinander verknüpft wer-den, wird die Energiewende nicht gelin-gen.“ Und auch die Klimaschutzzielewürden bei weitem nicht erreicht.

Stichwort Speicher. Auch hier siehtMüller Handlungsbedarf – vor allem beiPower-to-heat. „Wir brauchen Speicher-kapazitäten für große Mengen und füreinen längeren Zeitraum“, fordertMüller.Das Verteilnetz müsse weiter gestärktwerden. Und sie will, dass die Stell-schrauben bei den Steuern und Abgabenso verändert werden, dass sie eine sek-torenübergreifenden Energiewende un-terstützen und nicht konterkarieren.Was passiert mit den Stellen? Die Digi-

talisierung treibt die Automatisierung, soMüller. Noch mehr einfache Tätigkeitenwerden von Maschinen übernommen.Und: Wissen veraltet schneller als jemals

zuvor. Wie Zapreva-Hennerbichler siehtauch Müller die Unternehmen in einemWettbewerb um die klügsten Köpfe.

Sozialverträglicher Ausstiegaus der Kohle

Dass das Ende der Stromproduktion ausKohle eingeleitet ist, bestreitet niemand.Auch der Leiter des BundesfachbereichsVer- und Entsorgung, Andreas Scheidt,betont: „ver.di hat nicht dafür demons-triert, die Braunkohle am Markt zu hal-ten. Wir haben auf die gravierendenFolgen der Dekarbonisierung für dieBeschäftigung hingewiesen.“ Für ver.dikann die Kohle nur sozialverträglich vomMarkt genommenund damit nicht gegendie Beschäftigten. Beispiel Lausitz: Dortbraucht es Ersatzarbeitsplätze. „Es gehtnicht ohne die Menschen vor Ort“, be-tont Scheidt. Eine von ver.di in Auftraggegebene Studie beschreibt verschiede-ne Szenarien: Ausstieg 2030, 2050 unddass die Kohlekraftwerke gar bis 2060gebrauchtwerden für die Tage, an denendie Sonne nicht scheint und der Windnicht weht.Für Zapreva-Hennerbichler sind sol-

che Szenarien „irrelevant“. „Wir habendas Problem jetzt“, sagt sie. Wobei siemit Problem meint, dass die Kraftwer-ke infolge der Energie aus Wind undSonne nur wenige Tage im Jahr laufen.Zu wenige Tage, als dass die Unterneh-men aus den roten Zahlen kommenkönnten. Wenn diese Kraftwerke nicht

auch Wärme liefern, kosten sie die Un-ternehmen nur Geld. Mit der Folge, dasssie das gesamte Unternehmen letztend-lich in wirtschaftliche Schieflage brin-gen können. Kein Wunder, dass dieUnternehmen damit liebäugeln, dieAnlagen eher früher als später abzu-schalten.Auch Müller plädiert für den „Blick

auf das, was ist“. Sie spricht dem Strom-markt ab, ein echter Markt zu sein, weildie Politik ja permanent eingreift. Siehält es für wenig sinnvoll, über denKohleausstieg zu diskutieren, weil esgenerell um die fossile Energieerzeu-gung geht – also auch um Gas. Und sie

fordert kluge Lösungen, bei denen nichtnur die Reduzierung von CO2 im Fokussteht, sondern auch die Beschäftigungund die regionale Strukturpolitik be-rücksichtigt wird. Und sie warnt: „WennIdeologien aufeinanderprallen, dannpassiert meist gar nichts. Das ist danndie schlechteste aller Lösungen.“ Gleich-zeitig ist sie davon überzeugt: Es wirdauf aufsehbare Zeit nicht ohne fossileEnergien gehen.

Intelligente Lösungenwerden gebraucht

Oft fällt in der Diskussion der Stichwort„intelligente Lösungen“. Auch mit Blick

auf die Versorgungssicherheit würdenintelligente Lösungen gebraucht, be-tont Scheidt. Wobei hängen bleibt, dasses für vieles noch gar keine Lösung gibt.Beispiel Beschäftigung. Je mehr Kraft-werke vom Netz gehen, desto wenigerBeschäftigte wird die Energiewirtschaftzählen. Energieberater Graichen meint,dass die Energiewende kaum Auswir-kungen auf die Arbeitsplätze hatte –zumindest unterm Strich gesehen. Aberer sagt auch, dass erneuerbare Ener-gien Investitionsenergien sind. Dasbedeutet: Wenn sie erst mal stehen,muss nicht mehr viel in sie investiertwerden. Ein bisschenWartung. Das wares. Beschäftigung in der traditionellenEnergiewirtschaft beschränkt sich dannauf die Netze. Jana Bender

Die Energiekonzerne haben sich auf die Reise gemacht, ihren Platz in derZukunft zu finden. Einfach wird das nicht. Die Unternehmen suchen nachneuen Aufgaben und neuen Betätigungsfeldern, die wieder gute Gewinnmar-gen versprechen. Dabei ist noch längst nicht immer klar, wo der Zielbahnhofsteht. Es kann durchaus sein, dass nicht nur die Route, sondern auch dasZiel über den Haufen geworfen wird und die Unternehmen stattdessen wie-der auf Start gehen. Vorausgesetzt, ihr Atem ist entsprechend lang.

Energiewende ist nicht nur StromExperten pochen auf die Einbeziehung von Wärme und Mobilität in die Energiewende

EN E RG I EW I R T S CHA F T

Ausbilden, weiterbildenWie sieht die Energiewirtschaft in Zukunft aus?Welche Jobs werden gebraucht?Was ist meine Ausbildung dann noch wert? Eigentlich sind diese Fragen heutenicht zu beantworten. Wissen altert derzeit so schnell wie noch nie. StändigeWeiterbildung bleibt damit das A und O – nicht nur auch, sondern möglicher-weise vor allem in der Energiewirtschaft, die sich den Herausforderungen derEnergiewende und der Digitalisierung stellen muss. Ver.di, Beschäftigte unddie Experten plädieren immer wieder für eine Ausbildungsinitiative – „nicht nurfür die jungen Menschen, sondern für alle Beschäftigten in der Energiewirt-schaft“, wie Susanne Zapreva-Hennerbichler, die Chefin von enercity Hannover,es ausdrückt. Doch eines macht die Sache schwierig: Die Unternehmen suchenderzeit nach den Aufgaben, nach neuen Beschäftigungsfeldern. Sie könnenkaum vorhersagen, welche Qualifikation sie in zehn Jahren von ihren Mitarbei-tern verlangen.

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5FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01·2017 EN ERG I EW I RT S CHA F T

Energieunternehmen geben ganze Bereiche ab – wie die EnBW, die vergan-genes Jahr ihr Großkundengeschäft dichtmachte. Andere Energiekonzerneversuchen, ganze Bereiche auszugliedern. Keine Frage: Es hat Auswirkun-gen auf die Beschäftigung und damit auch auf die Tariflandschaft, wennsich Unternehmen neu erfinden müssen. Die Energiewirtschaft ist weitermitten im Umbruch. Wie sieht die tarifpolitische Zukunft in der Energiewirt-schaft aus? Diese Frage stand im Mittelpunkt, als sich bei der energie- undtarifpolitischen Tagung Arbeitsdirektoren und Gewerkschaftsvertreter aufdas Podium setzten.

�Wenn es nach den Bekenntnissen derArbeitsdirektoren der EnBW, RWE oderE.ON edis geht, haben sie alle ein Inte-resse daran, dassweiterhin im jeweiligenUnternehmen ein Tarifvertrag gilt. „Wirwollen den Einheitstarifvertrag halten“,betont zumBeispiel RWE-ArbeitsdirektorUwe Tigges. Und er nennt gleich zweiGründe dafür:Wenn in einemUnterneh-men unterschiedliche Tarifverträge gel-ten, wird die Personalverwaltung sehrkomplex. Zudem sorgt ein Tarifvertragfür den Zusammenhalt in einem Unter-nehmen. „Und das ist ein Wert an sich“,sagt er. Dass das auch ver.di-Vorstands-mitglied Andreas Scheidt unterschreibt,liegt auf der Hand. ver.di hält den Ein-heitstarifvertrag hoch.Bernhard Beck, Arbeitsdirektor der

EnBW, stößt ins gleiche Horn. Auch erhebt den hohenWert eines einheitlichenTarifvertrages für ein Unternehmen her-vor. Doch diesemGrundbekenntnis folgtdas Aber. „Aber ich sehe“, sagt Beck,„dass sich die Anforderungen an die

einzelnen Sparten des Unternehmensändern.“ Er verweist auf die zunehmen-de Digitalisierung, auf die neuen Ge-schäftsfelder: „Wir haben das große Ziel,den Tarif zusammenzuhalten. Aber ichbrauche auch Flexibilität.“ Nur so seienwirtschaftliche Lösungen möglich. Beckspricht von einem Spagat. Wobei er da-rauf setzt, dass die Gewerkschaft unddie Beschäftigtenmit ihm diesen Spagatmeistern.Udo Bottländer, Arbeitsdirektor von

E.ONedis, sagt es deutlich: „Der Einheits-tarifvertrag gehört der Vergangenheitan.“ Er verweist auf die dezentrale Ener-gieerzeugung, auf die fehlenden recht-lichen Rahmenbedingungen und darauf,dass junge Leute seiner Ansicht nachVerschiedenheit als Plus bewerten. Bott-länders Fazit: „Wir müssen bei den Tarif-verträgen deutlich flexibler unterwegssein.“ Was nichts anders heißt, als dassder Einheitstarifvertrag bereits bröckelt.„Konzerntarifverträge sind gut, so lan-

ge wir Konzerne haben“, sagt der Leiterder Bundesfachgruppe Energie und Berg-bau, Volker Stüber, und verweist imnächsten Atemzug auf die gravierendenVeränderungen infolge der Energiewen-de: Konzerne, die vor wenigen Jahrennoch großwaren, schrumpfen oder spal-ten sich auf. Dennoch müsse auch wei-terhin gelten: Gleicher Lohn für gleicheArbeit. Stüber macht deutlich, dass esseiner Ansicht nach in 10 bis 15 Jahrenkeine klassischen Konzerntarifverträgemehr gibt. Doch selbst wenn man sichetwas anderes vorstellen kann als Kon-zerntarifverträge, sichere Regelungenwürden auch in Zukunft dringend ge-braucht – gerade in Zeiten von großenHerausforderungen, in Zeiten, in denendie Unternehmen neue Geschäftsfeldersuchen. Branchen-Lösungen können sei-ner Ansicht nach die Unternehmen ent-

lasten und den Beschäftigten die Sicher-heit geben, die sie brauchen.NachdenWorten von Jobst Kleineberg,

Geschäftsführer des VAEU (Vereinigungder Arbeitgeberverbände energie- undversorgungswirtschaftlicher Unterneh-mungen, Hannover), stellen die neuenGeschäftsfelder der Unternehmen ver-mutlich bald 20 bis 30 Prozent des En-gagements. Damit die hohe Tarifbindungder Branche erhalten bleibt,würden neueTariflösungen gesucht. Wobei eine leich-te Drohung mitschwingt, dass sich dieUnternehmen aus dem Tarif lösen, wennkeine neuen Lösungengefundenwerden.Könnten Branchenlösungen den Ein-

heitstarifvertrag ersetzen? EnBW-Ar-beitsdirektor Beck winkt ab. Nur in ho-mogenen Bereichen wie beim Rückbauder Kernenergie sind Branchen-Tarifver-träge für ihn praktikabel. Aber geradedie neuen Geschäftsmodelle sind allesandere als homogen. Einerseits betontBeck die Notwendigkeit der Solidaritätder Bereiche, die unter einem Unterneh-mensdach zusammengefasst werden.Andererseits müsse jede Sparte für sichlebensfähig und damit nachhaltig sein.Ist das nicht der Fall, kann ein Bereichden ganzen Konzern schwächen.Bottländer stört sich daran, dass nach

wie vor von der Energiebranche die Re-de ist. „Es gibt die Energiebranche nichtmehr, so wie wir sie vor 20 Jahren kann-ten.“ Links und rechts der klassischenEnergieproduktionwachsen nach seinenWorten die Herausforderungen und dieHerangehensweisen. Es sei kaum zu sa-gen, wie sie sich die Situation in zehnJahren darstellt. Es müsse darum gehen,nun die Rahmenbedingungen zu schaf-fen, damit die Aufgaben gemeistertwerden können, „die uns die Kundenüber den Zaun werfen“.Offenbar aber sind es nicht nur die

Kunden, die die Unternehmen vor neueHerausforderungen stellen. Auch dieneuen Mitarbeiter haben neue Ansprü-che. So jedenfalls sieht es RWE-Arbeits-direktor Tigges: Mitarbeiterinnen undMitarbeiter – vor allem jene, die in Fol-ge der Digitalisierung ins Unternehmenkommen – haben andere Ansprüche alsdie Kolleginnen und Kollegen der klas-sischen Bereiche. Bei ihnen stünden

Freiräume und flexible Arbeitszeitenganz oben auf der Agenda.Ergo: Es werden Lösungen für ganz

unterschiedliche Probleme gesucht. Dasind der klassische Bereich der Energie-wirtschaft und die klassischen Qualifi-kationen. Wobei diese Bereiche – wiedie Kernenergie – nicht mehr lange be-stehen werden. Dann gibt es die Berei-che, die derzeit in den Unternehmen alsunsicher betrachtet werden. Für EnBW-Arbeitsdirektor Beck können die Unter-nehmen in diesen Bereichen die Beschäf-tigten nicht dermaßen an sich binden,wie es wünschenswert wäre. „Wenn einUnternehmen Sicherheit gibt, muss esauch die Voraussetzungen, die Rahmen-bedingungen haben, um die Verspre-chen einhalten zu können.“ Was in denneuen Geschäftsmodellen nicht möglichwäre, denn hier „muss ein Teil auf Sichtgemanagt“ werden. Jana Bender

Tarifpolitik muss Haltelinien einziehenScheidt: Demografie, Digitalisierung und Übernahme der Auszubildenden sind zentrale Punkte der Tarifagenda

Sichere Rahmenbedingungen für dieklassischen Bereiche der Energie-wirtschaft wie für neue Geschäfts-bereiche – das steht ganz oben aufder Agenda, wenn es um die tarif-politische Zukunft der Energiewirt-schaft geht. Herausforderungen aufdiesem Weg sieht Andreas Scheidt,ver.di-Vorstandsmitglied und Leiterdes Bundesfachbereichs Ver- undEntsorgung, jede Menge.

�Da sind zunächst die Folgen der Ener-giewende. Stadtwerke wie Konzerneengagieren sich in neuen Geschäftsfel-dern und stellen zugleich den Einheits-tarifvertrag in Frage. Derzeit ist nochnicht ausgemacht, ob Branchen- oderSpartentarifverträgen die Zukunft ge-hört, ob mehr Haustarifverträge aus-gehandelt werden oder ob doch der

Einheitstarifvertrag erhalten bleibt. Fürver.di gibt es aber keine Diskussion: Auchkünftige Regelungen müssen sicherstel-len, dass gleiche Arbeit gleich bezahltwird, dass die Beschäftigten sichere Ar-beitsplätze haben und dass in der Bran-che faire Rahmenbedingungen herr-schen.Daneben sieht Scheidt große Heraus-

forderungen in Sachen Digitalisierung.Es müsse darum gehen, Haltelinien ein-zuziehen und die Zukunft zu gestalten.ver.di werde den neuen Entwicklungennicht imWege stehen. Aber zum Beispielbei der Arbeitszeit würden dringend Lö-sungen gebraucht, die den gesetzlichenVorgaben und denWünschen eines Teilsder Beschäftigten Rechnung tragen.Scheidt denkt dabei anMitarbeiterinnenund Mitarbeiter, die auf eine Flexibilisie-rung ihrer Arbeitszeit dringen.

„Wir brauchen Lösungen, damit dieBeschäftigten nicht ausbrennen“, betontScheidt. Er nennt dabei das Recht aufFreizeit, das Recht, auch mal nicht dieMails zu checken, eben nicht permanentfür das Unternehmen verfügbar zu sein.Bei allem Wettbewerb, bei aller Motiva-tion der Beschäftigten, gerade die en-gagierten Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter müssen teilweise auch vor sichselbst geschützt werden. Damit sie ebennicht ausgepresst werden, beziehungs-weise sich auspressen lassen wie eineZitrone.Nötig sind für Scheidt auch dringend

Regelungen zur Übernahme der Auszu-bildenden. Denn angesichts der Alters-struktur in den Unternehmen werden inwenigen Jahren überproportional vieleBeschäftigte in Rente gehen. „Wir wün-schen uns von den Arbeitgebern Lösun-

gen für das, was die Branche perspekti-visch braucht“, bekräftigt Scheidt. Unddas sind: Nachwuchskräfte, die ebennicht nur gut ausgebildet sind, sondernauch unbefristet übernommen werdenund denen so auch eine Karrierepers-pektive gegeben wird.An die Kolleginnen und Kollegen rich-

tet Scheidt den Appell, alles dafür zutun, dass der traditionell hohe Organi-sationsgrad in der Energiewirtschaftbestehen bleibt. Und weil es auch inder Energiewirtschaft Bereiche gibt, indenen der Organisationsgrad nochMöglichkeiten offen lässt, müssten auchhier die Bemühungen verstärkt werden.„Nicht überall sind wir so stark aufge-stellt, dass wir auf Augenhöhe disku-tieren“, erinnert Scheidt: „Augenhöheaber ist die Voraussetzung für guteRegelungen.“ Jana Bender

EN E RG I E

Betreiber wollen70 Kraftwerkeendgültig stilllegenDie Bundesnetzagentur hat ihre Lis-te zur Stilllegung von Kraftwerkenaktualisiert. Darin sind 70 Kraftwer-ke mit einer Leistung 13 292 Mega-watt von den Betreibern zur end-gültigen Stilllegung angemeldet.Wie die Behörde mitteilt, sind be-reits 27 Kraftwerke mit einer Kapa-zität von 5690Megawatt tatsächlichendgültig vom Netz genommenworden.Wie es weiter heißt, ergibt sich da-raus eine Differenz in Höhe voninsgesamt 7602 Megawatt „aussolchen zur endgültigen Stilllegungangezeigten, aber noch nicht durch-geführten Stilllegungen von Kraft-werksanlagen“. Darin enthaltenseien systemrelevante Kraftwerkemit einer Kapazität von 3264 Me-gawatt. Diese dürfen aus Gründender Versorgungssicherheit derzeitnicht endgültig stillgelegt werden.Dabei legen die Übertragungsnetz-betreiber fest, welche Kraftwerkefür die Versorgungssicherheit not-wendig sind und welche nicht.„Südlich der Mainlinie“ seien 30Kraftwerke mit 8315Megawatt zurendgültigen oder zeitweisen Still-legung angemeldet, so die Behör-de. Süddeutschland ist aufgrundder Abschaltung der Kernkraftwer-ke in Spitzenlastzeiten von Erzeu-gungsengpässen betroffen. Als„vorläufig geplant“ sind beispiels-weise die Gaskraftwerke Irsching 4mit 545 Megawatt und Irsching 5mit 846 Megawatt zur Stilllegungangemeldet. Beide Blöcke werdenaber von den Übertragungsnetzbe-treiber als systemrelevant einge-stuft und daher nicht zur Stilllegungfreigegeben.

Einheitstarifvertrag vor dem Aus?Betriebe dringen auf flexible Lösungen – ver.di: Es braucht sichere Regelungen

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Dunkelflaute bleibt SchreckensszenarioExperten: Fossile Kraftwerke müssen noch jahrelang die Stromversorgung sichern

In der ersten Januarwoche unddann wieder von der Monatsmittean war Streik in der deutschenEnergiewirtschaft. Rund 26.000Windkraftanlagen und mehr als1,2 Millionen Solaranlagen stell-ten ihre Arbeit ein. Verantwortlichwar die sogenannte Dunkelflaute:Ein Hochdruckgebiet sorgte fürzehntägige Windstille und Nebel –während zugleich der Strombedarfin Deutschland stark anstieg, weiles eisig kalt war. Noch konntendie konventionellen Kraftwerkeeinspringen, um die Versorgungzu sichern – ihr Betrieb wird aberzunehmend unwirtschaftlich.

�Am Morgen des 24. Januar 2017brachten wie gewohnt elektrisch be-triebene Züge, U-Bahnen und Fahrstüh-le die Menschen an den Arbeitsplatz,nahmen die Fabriken ihre Arbeit auf,und weil es kalt war, liefen auch dieHeizungspumpen auf Hochtouren. DerStromverbrauchDeutschlands kletterteim Nu auf rekordverdächtige 83 Giga-watt. Die Windkraft an Land liefertejedoch fast über denganzenTaghinwegweniger als ein schlappes Gigawatt. InderMittagszeit halfen Solaranlagen, diegesamteÖkostromproduktion kurzmalauf schlappe drei Gigawatt zu hieven.

An jenem Tag im Januar decktenKohle-, Gas- und Atomkraftwerkemehr als 90 Prozent des deutschenStrombedarfs – fast wie in längst ver-gangenen Tagen. Ebenso an fast allenanderen Tagen zwischen dem 16. unddem 26. Januar. Stromspeicher, dieeine so lange Zeitspanne überbrückenkönnten, gibt es nicht. Der Ausstiegaus der Atomkraft ist längst im Gangeund Kohlekraftwerke sollen aus Klima-schutzgründen auch möglichst baldvom Netz gehen.„Der Januar hat deutlich gezeigt:Wir

brauchen weiterhin flexible konventi-onelle Kraftwerke, um die starkschwankende Stromeinspeisung ausWind und Fotovoltaik jederzeit ausglei-chen zu können“, warnt Stefan Kap-ferer, Hauptgeschäftsführer des Bun-desverbandes der Energie- und Was-serwirtschaft (BDEW). „Die Stromnach-frage muss bei jeder Wetterlagegedeckt und das Stromnetz stabilgehalten werden.“Die konventionelle Kraftwerkskapa-

zität in Deutschland schmilzt derweilauch ohne Ausstiegsfahrplan aus derKohle wegwie der Schnee in derMärz-sonne. „Die schlechten wirtschaft-lichen Rahmenbedingungen führendazu, dass etliche flexible Kohle- undGaskraftwerke zur Stilllegung ange-meldet werden oder vomNetz gehen“,klagt Kapferer.Be i den Stromnetzbetre ibern

herrschte während der Dunkelflauteim Januar jedenfalls ordentlich Stress.„Fast in allen umliegenden europä-ischen Ländern war die Last außeror-dentlich hoch und die Erzeugungs-situation angespannt“, meldete derbaden-württembergische Übertra-gungsnetzbetreiber TransnetBW.„Letztlich waren alle Reservekraftwer-ke mehrere Tage in Bereitschaft.“ Alle

verfügbaren Reservekraftwerke inDeutschland und Österreich seien an-gefahren worden. Die schnellstartfä-higen Anlagen wurden in Bereitschaftversetzt, zusätzlich wurden Reservenaus Italien angefordert.Dass aber ausländische Reserve-

kraftwerke Deutschland auch in Zu-kunft bei Dunkelflaute zur Seite ste-hen, ist alles andere als sicher. Auf dieschnell alternden französischen Atom-kraftwerke ist ohnehin längst keinVerlass mehr. Viele standen auch imJanuar wegen Sicherheitsüberprüfun-gen still, was die Wirkungen der Dun-kelflaute noch verstärkte. Frankreich,frühermeist Exporteur von Elektrizität,war auf deutsche Importe angewie-sen. „Wir brauchen sicher noch eineganze Weile flexible Gaskraftwerke,um windarme Wochen wie im Januar

überbrücken zu können“, stimmtPhilipp Vohrer, Geschäftsführer der„Agentur für Erneuerbare Energien“(AEE), zu.Das Bundeswirtschaftsministerium

winkt indes ab: Kein Handlungsbedarf.Zusätzliche Zahlungen für die Betrei-ber der Kohle- und Gaskraftwerkeseien unnötig, heißt es dort. Energie-staatssekretär Rainer Baake setzt aufden freien Strommarkt. Wenn weitereKohle- und Atomkraftwerke vom Netzgehen, dürften die Strompreise wiedersteigen. Der Betrieb der verbleibendenMeiler werde dann automatisch wie-der rentabler. Frank Bsirske, ver.di-Vorsitzender, hält das für eine Hoff-nung fern der Realität: „Die wenigenund nur sporadisch auftretenden Preis-spitzen an der Börse reichen nicht aus,um die Kosten für den Betrieb des

Kraftwerksparks zu decken, geschwei-ge dennNeuinvestitionen anzureizen.“Bsirske fordert den Aufbau eines ein-heitlichenMarktes für gesicherte Leis-tung. Doch den lehnt Baake katego-risch ab.Für Kapferer eine völlig unverständ-

liche Position: „Die Bundesregierungsieht doch, dass das jetzige Marktsys-tem nicht ausreicht, um Versorgungs-sicherheit zu garantieren.“ Sonst wür-de sie nicht verschiedene Kraftwerks-reserven im Markt halten und neueeinführen. Doch anstatt auf diesemstarren und entsprechend teuren Sys-tem zu beharren, sollte die Politik einmarktbasiertes System wählen, dasflexibel genug ist, um die fluktuieren-de Stromproduktion aus Erneuerbarenjederzeit abzusichern, meint er.

Reinhard Klopfleisch

EN ERG I EW I RT S CHA F T FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01·2017

Das ist kein schlüssiges KonzeptVerbände und ver.di lehnen Entwurf zum Netzentgeltmodernisierungsgesetz ab: Diskriminierung der KWK

Die Bundesregierung hat Ende Ja-nuar den Entwurf des Netzentgelt-modernisierungsgesetzes (NEMoG)beschlossen und den Parlamentenzugeleitet. Mit dem Gesetz soll dieVergütung für dezentrale Einspei-sung in die Stromnetze (vermie-dene Netzentgelte) gestrichenwerden, auch für die netzdienlichekommunale Kraft-Wärme-Kopp-lung (KWK). Dagegen wehrt sichdie Gewerkschaft ver.di – und istdabei nicht allein.

�Der geltende gesetzliche Rahmen derNetzentgeltregulierung stammt imKernaus dem Jahr 2005. Viele Grundprinzi-pien beruhen auf Verbändevereinba-rungen, die vor gut 15 Jahren zustandekamen. Und da sei es Zeit für eine Neu-justierung, begründete der damaligeBundeswirtschaftsminister Sigmar Ga-briel (SPD) seinen Gesetzentwurf, derdie allmähliche Abschaffung der soge-nannten vermiedenen Netzentgelte(vNE) für dezentrale erneuerbare Ener-gien und KWK vorsieht. Mit ihnen wer-den bislang dezentral in die Verteilnet-zeeinspeisendeStromerzeugerbelohnt,erneuerbare Energien-Anlagen ebensowie örtliche KWK oder Speicher.Mit der Liberalisierung des Strom-

marktes hat sich für Gabriel die Situa-tion aber radikal gewandelt. „Die Ein-bindung dezentral erzeugter Strom-mengen steht einer lokalen Zuordnungvon Netz- oder Umspannebenen odereinem Vor-Ort-Verbrauch entgegen.“Mithin entfalle bilanztechnisch dieEntlastung der Hoch- und Höchstspan-nungsnetze – und damit die Begrün-dung für die Sonderbehandlung.

Für Neuanlagen soll die Abschaffungder vermiedenen Nutzungsentgeltesofort in Kraft treten. Genauer: FürneueWind- und Solaranlagen, alsomitfluktuierender Erzeugung, sollen dievNE bereitsmit InbetriebnahmeabdemAnfang 2018 entfallen, und für alleübrigen, überwiegend in regelbarerKWK betriebenen, ab 2021. Für Be-standsanlagen ist ein schrittweisesAuslaufen der Zahlungen vorgesehen.So sollen die Zahlungen für bestehen-de Wind- und Solaranlagen bereits ab2018 in jährlichen 10-Prozent-Schrit-ten abgesenkt und somit bis Ende 2026gänzlich abgeschafft werden. Für be-stehende KWK-Aggregate oder Spei-cher beginnt die Absenkung 2021,ebenfalls in jährlichen 10-Prozent-Schritten, sodass ab 2030 generellkeine vermiedenen Netzentgelte mehrgezahlt werden.Darüber hinaus sieht der Regierungs-

entwurf vor, die Höhe der Übertra-gungs-Netzentgelte für die Berech-nungder noch übergangsweise gezahl-ten vNE auf dem Niveau von 2015„einzufrieren“, um zu vermeiden, dasssich aufgrund steigender Netzausbau-kosten steigende Netzentgelte für diegeplanten Stromautobahnen und Ab-schmelzen der vNE in den nächstenJahrenweitgehend aufheben könnten.Mit diesen Plänen ganz und gar nicht

einverstanden sind die Verbände derEnergiewirtschaft, der kommunalenSpitzenverbände und auch ver.di. Ge-meinsam laufen sie Sturm gegen denGesetzentwurf.Was sie vor allem stört:Dezentrale Einspeiser mit gänzlich un-terschiedlicher Wirkung auf die Netz-physik werden über einen Kamm ge-

schoren. Denn nach ihrer Sicht derDinge besteht ein fundamentaler Un-terschied zwischen den massenhaftinstallierten, wetterabhängigenWind-und Solaranlagen und den regelbarenund systemdienlichen KWK-Anlagenund den Speichern. Denn Einspeiserwie lokale KWK-Anlagen oder Speicherkönnen und sollen die örtlichen Netzestabilisieren. Sie würden genauso be-handelt wie all jene, die die Netze – jenach Wetterlage – destabilisieren.„Insgesamt vermissenwir ein schlüs-

siges Gesamtkonzept für den Themen-komplex der Netzentgeltsystematikund damit der Finanzierung der Strom-infrastruktur“, so die Verbände AGFW,BDEW und VKU, der Deutsche Städte-tag, der Städte- und Gemeindebundund die Energiegewerkschaft ver.diin einem gemeinsamen Brief vom14. Februar, der an die Landesregie-rungen und die Abgeordneten desDeutschen Bundestages ging. Es fehle

eine „differenzierende Betrachtungvon netzdienlichen steuerbaren Anla-gen im Vergleich zu Anlagen mit vola-tiler Erzeugung sowie ein klares Plä-doyer für den Bestands- und Vertrau-ensschutz für getätigte Investitionen“.Die Verbände zeigen Verständnis

dafür, dass die vollständige Abschaf-fung vermiedener Netzentgelte fürvolatil einspeisende Erneuerbare-Ener-gien-Anlagen ein überfälliger Reform-schritt ist. Aber: „Mit der Ausweitungder Abschaffung auf die steuerbarenAnlagen löst sich die Bundesregierungaber von dem Grundsatz, dass einetatsächliche, verlässliche dezentraleStromerzeugung über vermiedeneNetzentgelte honoriert wird.“ Ganzdavon zu schweigen, dass die im Ak-tionsplan Klimaschutz 2020 veranker-te und mit den KWK-Ausbauzielenangestrebte CO2-Einsparung so nichtzu erreichen wäre.

Reinhard Klopfleisch

AKT I ON

Brief an Abgeordnete schickenDasGesetzgebungsverfahrenwird sich nochbis zumFrühjahr hinziehen. Chan-ce für die Anwendung des „Struckschen Gesetzes“. Das stammt vom ehema-ligen Fraktionsvorsitzenden der SPD und besagt: „Kein Gesetzentwurf, dendie BundesregierungdemParlament vorlegt,wird unverändert verabschiedet.“ver.di hat einen Musterbrief entworfen und bittet alle Kolleginnen und Kol-

legen, diesen Brief an die oder den örtlichen Abgeordneten des DeutschenBundestages weiterzuleiten. Denn letztendlich entscheidet der Deutsche Bun-destag. Der Brief enthält einen konkreten Lösungsvorschlag, der negativeAuswirkungen auf Kommunalfinanzen und Arbeitsplätze vermeiden würde.Er ist ab sofort bei Martina Kupek zu [email protected]

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konv. Kraftwerke Solar Wind Onshore Wind Offshore WasserkraftBiomasse Stromverbrauch Quelle: Agora Energiewende

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Stromerzeugung und Stromverbrauch im Januar 2017

Care Energy istinsolventWenige Wochen nach dem TodvonUnternehmensgründerMartinRichard Kristek hat die Energie-dienstleistungsgruppe Care Ener-gy offiziell Insolvenz angemeldet.Care-Energy-Gruppe ist pleite.

Am 17. Februar wurde über denEnergieversorger Care Energy AGund die Hamburger Care EnergyHolding GmbH sowie über dieCare Energy Management GmbHdas Insolvenzverfahren eröffnet.Zum vorläufigen Insolvenzverwal-ter wurde der Bremer Anwalt JanH. Wilhelm bestellt. Sein Ziel:Nach Möglichkeit suchen, denGeschäftsbetrieb im Energiebe-reich auf Basis der Zusammenar-beit der drei Unternehmen fort-zusetzen. Dazu sollen die dreiGesellschaften restrukturiert undsaniert werden. Die HamburgerStaatsanwaltschaft ermittelte be-reits seit September 2016 wegendes Verdachts der Insolvenzver-schleppung und des Betruges ge-gen einzelne Mitarbeiter des Un-ternehmens.Die Unternehmensgruppe hatte

sich immer wieder mit Netzbetrei-bern, der Bundesnetzagentur undVerbraucherschützern gestritten.Den Netzbetreibern warf Firmen-chef Kristek falscheAbrechnungenbei den Netzentgelten und derBehörde mangelnde Kontrolle derNetzbetreiber vor. Durch eine un-durchsichtige und intransparenteUnternehmensstruktur versuchteKristek, sich als Energiedienstleis-ter und nicht als Energieversorgerzu bezeichnen, um so der Zahlungder EEG-Umlage zu entgehen. DieFolge waren zahlreiche Gerichts-verfahren und Prüfungen durchdie Bundesnetzagentur.

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7FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01·2017 WASS ERW I RT S CHA F T

Düngepraxis muss in enges KorsettWasserversorger dringen auf strengere Vorgaben und intensivere Kontrolle der Düngung

Die Allianz der öffentlichen Was-serwirtschaft (AöW) verlangt einentschiedenes Vorgehen gegen zuviel Nitrat- und Nährstoffeinträgein den Boden und damit strengereDüngeregeln. In einem Interviewmit dem Report bekräftigt AöW-Geschäftsführerin Christa Hechtdie Sorge der AöW-Mitglieder umdie Gewässerqualität. Es müss-ten endlich wirksame Maßnah-men ergriffen werden, damit derNitratgehalt in den Seen, Flüssenund auch im Grundwasser wiederdeutlich sinkt. Die Forderungender AöW gehen über die geplan-ten Maßnahmen der Bundesregie-rung hinaus.

�Der Bundestag hat mit dem neuenDüngegesetz den Weg für die neueDüngeverordnung frei gemacht. Sinddamit in Sachen Nitrat nun alle Prob-leme gelöst?Hecht: Schön wäre das. Aber ich war-ne vor allzu großen Erwartungen andas Gesetz. Auch bisher haben wirgute Gesetze, die den Nitrateintragbegrenzen. Aber es fehlte an der Kon-trolle. Deshalb sindwir uns sicher, dassein verschärftes Düngemittelgesetznicht die einzige Maßnahme bleibendarf, um die Nitratwerte imGrundwas-ser wieder in den Griff zu bekommen.

Die Allianz der öffentlichen Wasser-wirtschaft hat schon vor einigen Jahrenauf die Entwicklung hingewiesen.Kommt die Reaktion der Politik nunreichlich spät?Hecht: Besser überhaupt eine Reak-tion als gar keine. Aber natürlich hättenwir uns gewünscht, dass schon früherreagiert worden wäre. Denn in den70er-und 80er-Jahren sprengten dieNitratwerte schonmal die Grenzwerte.Wir wissen deshalb, dass es teuer wird,

die Nitratwerte im Trinkwasser zu re-duzieren. Daswiederumbedeutet, dassdie Wasserpreise steigen. Und wir wis-sen, dass es trotz vieler BemühungenJahrzehnte dauert, bis die Nitratwertewieder deutlich gesunken sind.

SteigendeNitratwerte imGrundwassersind somit für die AöW immer besorg-niserregend?Hecht: Und ob. Deshalb haben dieWasserversorger auch frühzeitig aufdiese Entwicklung hingewiesen. Leider

wurden wir nicht gehört. Man mussaber auch sagen, dass die Nitratbelas-tung nicht überall gleich hoch ist. Be-troffen sind vor allem Gegenden mithoher Tierhaltung. Denn viele Tiereheißt eben auch viel Mist, der auf dieFelder verbrachtwerdenmuss. Oftmalsfehlen den Landwirten die nötigenKapazitäten, um den Mist zu lagern.Sobald die vorhandenen Lager vollsind, wird die Gülle ausgebracht – teil-

weise eben auch im Winter,wenn keine Pflanzen auf denFeldern stehen, die die Nähr-stoffe aufnehmen können.Ergo: Alles sickert in den Bo-den und landet letztendlichim Grundwasser. H inzukommt: Für den Anbau vonPflanzen für Biogas sind dieRegeln längst nicht so strengwie bei Lebensmitteln. Sowird nach dem Motto ge-

düngt: Viel hilft viel. Mit verheerendenFolgen für das Grundwasser.

Wie wurde das Nitrat im Grundwasserin den 80er-Jahren gesenkt?Hecht:DieWasserversorger haben dieInitiative ergriffen. Einige Wasserver-sorger haben damals Flächen rund umdie Gebiete aufgekauft, aus denenGrundwasser entnommenwurde.Odersie haben mit Landwirten zusammen-gearbeitet und ihnen Entschädigungendafür bezahlt, dass sie das Land ebennicht intensiv nutzten. Das aber sindimmerMaßnahmen, die Zeit brauchen,damit sie wirken. Und es braucht Jahr-zehnte, bis die Nitratwerte wieder ineinem akzeptablen Bereich sind. Auchdeshalb müsste immer schnell gehan-delt werden, wenn zu hohe Nitratwer-te festgestellt werden. Die Belastungist erst spät erkennbar, denn es brauchtnatürlich auch Jahre, bis das Nitrat imGrundwasser angekommen ist. Zu se-hen ist das auch an Stoffen, die vor 30Jahren verbotenwurden. Heute findenwir sie immer noch im Grundwasser.Zu viel Dünger zeigt sich schneller inOberflächengewässern. Der Regenspült das Nitrat schnell in die Flüsseund in die Seen.

WelcheMaßnahmen braucht es, damitverschiedene Rädchen ineinandergrei-fen und relativ schnell die Nitratwertewieder sinken?Hecht: Eine strengere Düngeverord-nung ist ein wichtiger Schritt. Voraus-gesetzt, es wird auch kontrolliert, obsie wirklich umgesetzt wird. Da hapertes nach wie vor gewaltig. Es brauchtzudem entschiedene Vorgaben für dieDüngepraxis. Die Grenze von 170 Ki-logramm Nitrat pro Hektar und Jahrdarf nicht gelockert werden, Mineral-düngermüssen dabei einbezogenwer-den. Und es darf keine Ausnahme fürWirtschaftsdünger und Gärreste ge-ben. Und: Für Betriebe mit viel Vieh

darf es keine Lockerungen geben. Fer-ner fordert die AöW einen Nitrat-Ak-tionsplan nicht nur für besonders ge-fährdete Gebiete, sondern für ganzDeutschland.

Die AÖW drängt auf schnelles Han-deln.Hecht: Oh ja. Es müssen endlich kon-kreteMaßnahmen angepackt werden.Die Gewässer müssen entschieden vorzu viel Nitrat- und Nährstoffeinträgengeschützt werden. Wir fordern zudemvon der Landwirtschaft, dass auch ih-re Akteure Verantwortung für denZustand der Gewässer übernehmen– zum Beispiel indem sie mit der Was-serwirtschafft zusammenarbeiten.

Fragen von Jana Bender

AöWDie Allianz der öffentlichen Was-serwirtschaft e.V. ist die Interes-senvertretung der öffentlichenWasserwirtschaft in Deutschland.Mitglieder sind Einrichtungen undUnternehmen der Wasserversor-gung und Abwasserentsorgung,die ihre Leistungen selbst oderdurch verselbstständigte Einrich-tungen erbringen und vollständigin öffentlicher Hand sind. Ebensosind Wasser- und Bodenverbändesowie wasserwirtschaft l icheZweckverbände und deren Zusam-menschlüsse in der AöW organi-siert. Allein über den DeutschenBund der verbandlichen Wasser-wirtschaft (DBVW) sind über 2000wasserwirtschaftliche Verbände inder AöWvertreten. Außerdem sindPersonen, die den Zweck und dieZiele der AöWunterstützen, sowiesolche Interessenverbände undInitiativenMitglied in der AöW.DieAöW feiert 2017 ihr zehnjährigesBestehen.

Reform desDüngegesetzesDer Bundestag hat Mitte Februarfür die Reform des Düngegesetzesgestimmt. Das Gesetz regelt unteranderem die Ausbringung vonGülle auf landwirtschaftlichen Flä-chen. Durch die Reform soll dieentsprechende EU-Richtlinie innationales Recht übertragen wer-den und als Grundlage zur Über-arbeitung der Düngeverordnungdienen. Ziel der Richtlinie ist es,dass der Nitratbelastung der Bö-den und des Grundwassers durchdie Landwirtschaft infolge vonÜberdüngung vorgebeugtwerdensoll. Die Düngeverordnung kannerst nach der Reform des Dünge-gesetzes an die neuen EU-Vorga-ben angepasst werden.

Mord an Gewerkschafter in Kolumbiens KohlegrubenSteinkohle aus Kolumbien wird auch nach Europa geliefert

� Es klingt wie einGruselfilm aus derVergangenheit –und ist doch bit-tere Realität vonheute. Aldemar

Parra Garcia, bis zur Entlassung Arbei-ter in der kolumbianischen Kohleminevon El Hatillo,warGewerkschafter, under bekämpfte zudem die Ausdehnungder Mine, die sein Dorf gefährdet hät-te. Der Mann störte mächtige Kreise.Und die verloren die Geduld.Am 7. Januar 2017 ermordeten zwei

Pistoleros den Vater von drei Kindernauf offener Straße. Kein Einzelfall im

Bürgerkriegsland Kolumbien. ParraGarcia ist nur der bislang letzte in einerReihe von mindestens 200 Menschenin der Bergbauregion Cesar, die zwi-schen 2012 und 2016 Opfer von Dro-hungen, Angriffen und Morden wur-den, nur weil sie sich als Gewerkschaf-ter für die Rechte der Beschäftigteneinsetzten haben oder die Expansionder Kohlegruben kritisch sahen. Vielenaktiven Gewerkschaftern wurde ge-kündigt.Der Mord zeigt: Kolumbien ist auch

nach dem Friedensabkommen zwi-schen der Regierung und den FARC-Rebellen ein El Dorado für paramilitä-

rische Banden. Schwer vorstellbar,dass diese auf eigene Rechnung mor-den.Die Gruben in der Region Cesar ge-

hören den US-Konzernen Drummondund Prodeco/Glencore, und die habensich freilich von demMord distanziert.Eine Änderung ihres Verhaltens vorOrt lehnen sie indessen ab. Sie ver-handeln die Löhne weiterhin mit einer„gelben Gewerkschaft“, und Streiksder unabhängigen Gewerkschaft wer-den über Verfahrensfragen für illegalerklärt. Die Geschichte lehrt: Derarti-ge arbeitnehmerfeindliche Unterneh-mensstrategien sind nur erfolgreich

in einem Klima der Repression undAngst.Die Steinkohle wird auch nach Eu-

ropa geliefert. Internationale Nichtre-gierungs-Organisationen, allen vorandie niederländische PAX und urgewaldaus Deutschland, betonen die Mitver-antwortung der europäischen Partnerund fordern von der kolumbianischenRegierung, von den US-Konzernen,aber auch von den Kohleimporteurenein Umdenken. Die wichtigsten Forde-rungen:1 Die Gewerkschaftsrechte der Berg-arbeiter müssen de facto gesichertwerden.

2 Gewerkschaftsmitglieder, die we-gen ihrer Gewerkschaftsarbeit gekün-digt wurden, müssen wieder einge-stellt werden.3 Arbeitsbedingte Erkrankungen derBergarbeiter müssen anerkannt undentschädigt werden.4 Kohleimporteure müssen entspre-chend auf ihre Lieferanten einwir-ken.Der dänische Energieversorger

DONG Energy hat bereits 2006 Kon-sequenzen gezogen und wegen dermenschenunwürdigen Bedingungenden Konzern Drummond als Lieferan-ten ausgeschlossen.

Nitratbelastung kann Haushalte teuer kommenBDEW-Gutachten spricht von hohenMehrkosten für die Wasserversorger – fast ein Euro pro Kubikmeter Wasser

Die steigende Nitratbelastung derGewässer kann die Verbraucherinnenund Verbraucher teuer kommen.Nach einem Gutachten des BDEW(Bundesverband der Energie- undWasserwirtschaft e.V.) schlägt sichdie Nitratentfernung im Rahmen ei-ner technischen Aufbereitung für einWasserversorgungsunternehmenmitfast einem Euro pro KubikmeterWas-ser nieder. Dies ergab eine Umfrageunter 188 Unternehmen, von denen127 eine Nitratbelastung ihres Was-sers konstatierten.Nach dem Gutachten fallen je nach

Verfahren zur Nitratsenkung und jenach Qualität des Rohwassers fast ein

Euro Kosten pro Kubikmeter Wasseran. Entsprechendmüssten die Gebüh-ren für die Haushalte steigen. Die not-wendige Inbetriebnahme einer Deni-trifikationsanlagemit kostenintensiverVerfahrenstechnik aufgrund ungüns-tiger Gegebenheiten könnte die Ge-bühren für die Wasserversorgungeines Einfamilienhauses um 19 bis 49Prozent, für einen3-Personenhaushaltin einem 6-Familienhaus gar zwischen49 und 62 Prozent steigen lassen.Viele Wasserversorger gehen be-

reits bei einer geringen Nitratbelas-tung präventiv vor, indem sie Land-wirte beraten, Flächen rund umWas-serschutzgebiete kaufen oder pach-

ten und mit Landwirten freiwilligeVereinbarungen treffen. Der Grund:Nach Angaben der Wasserversorgerdauert es in 19 Prozent der Wasser-gewinnungsgebiete zwischen 30 und49 Jahre und in etwa 16 Prozent derWassergewinnungsgebiete sogarmehr als 50 Jahre, bis neu gebildetesGrundwasser die Brunnen erreicht.Die Autoren der Analyse befürchtendeshalb, dass die Kosten für verschie-dene Wasserversorger in Zukunftsignifikant steigen, weil eine Mi-schung von belastetem mit wenigerbelastetem Grundwasser nicht mehrmöglich ist, sondern dasWasser tech-nisch aufbereitet werden muss.

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8 J UG END /WAS S E R FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01·2017

Für eine Schule gab es nur ungenügendAuszubildende unterziehen die Berufsschulen in Berlin einem Check

Berufsschule ist Pflicht für alle Auszubildenden. Denn die Berufsschuleist Teil der Ausbildung. Sie soll das im Betrieb erworbene Wissenvervollständigen und sie ermöglicht es den Auszubildenden, sich mitAzubis auszutauschen, die in einem anderen Betrieb arbeiten. Ergo:Berufsschule sollte das Gegenteil sein von lästiger Pflicht. Ist sie aber oftnicht. Das wissen Auszubildende nur zu gut. Was kann man tun? Die Zeitabsitzen, denn sie ist bekanntermaßen begrenzt. Oder aber seinen Teildazu beitragen, dass die Berufsschule zu dem wird, was sie sein sollte– nämlich eine Einrichtung, zu der die Azubis gerne gehen. LetzterenWeg haben Azubis in Berlin mit dem Berufsschulcheck eingeschlagen.

�Der Auslöser zum Berufsschulcheckwaren immer wiederkehrende Klagenüber die Situation in den Berufsschulenin Berlin. Wobei die Auszubildendensowohl über die Räumlichkeiten dieNase rümpften als auch über die Bil-dungsqualitäten und Bildungsmaßstä-be, die in den Schulen vermittelt wur-den. Sie bemängelten die Ausstattungder Schulen und den Zustand derRäumlichkeiten. Andere fühlten sichschlecht auf die Prüfungen vorbereitet.Aber es sollte nicht bei dumpfen

Klagen bleiben. Die Auszubildendenvon Vattenfall und drei großen BerlinerBetrieben – nämlich der Berliner Ver-kehrsbetriebe, der Berliner Wasserbe-triebe und der Berliner Stadtreinigung– nahmen sich vor, der Sache auf denGrund zu gehen, erzählt Sascha Han-sen, inzwischen ausgelernter Informa-tikkaufmann bei Vattenfall. Es wurdeein Fragebogen entwickelt, 13 Berufs-schulen ins Visier und Rücksprachemitden Schulleitern genommen. Zunächstsollten nur Auszubildende befragtwer-den, später wurden dann aber doch

auch die Schulleitungen und die Lehrermiteinbezogen. Schade nur: Schullei-tungen und Lehrer zeigten sich reich-lich zugeknöpft, selbst die, die einerBefragung der Auszubildenden ausge-sprochen aufgeschlossen gegenüber-standen. Nur bei wenigen Schulennahm sich der Schulleiter Zeit für einGespräch und nur bei einer Schulekonnten die Auszubildenden die Leh-rer befragen.Und wie kam die Umfrage bei den

Auszubildenden an? Jede und jederZweite, die und der den Fragebogenzugeschickt bekam, füllte ihn aus undschickte ihn zurück. Ein guter Rücklauf,wissen all jene, die sich mit solchenBefragungen auskennen. Allerdings:Die Umfrage ist nicht repräsentativ –die Zahl der Befragten ist zu klein undsie sind nicht statistisch korrekt nachdem Zufallsprinzip ausgewählt. Es isteine Befragung – nicht mehr aber auchnicht weniger. Das Ergebnis zeigt einStimmungsbild und das lautet: Es liegteiniges im Argen in den Berufsschulen.So wurden nur bei einer der 13 Schu-

len keine größeren Probleme offenbar.Zusammengefasst lässt sich sagen: DieLehrer dieser Schule sind pünktlich; esgibt ein gutes Vertretungsmanage-ment, das heißt: Es wird nicht nur be-aufsichtigt und Blätter zum Selbststu-dium ausgeteilt, sondern es findetnormaler Unterricht auch dann statt,wenn die reguläre Lehrkraft krank ist.Und auch die sanitären Einrichtungensind unterm Strich in Ordnung.Für die Schule, die am schlechtesten

abgeschnitten hat, lautet das Fazit: Diesanitären Einrichtungenwaren teilwei-se nicht benutzbar und die Lehrer ver-schlossen die Toiletten deshalb auch.Die Klassenräume, selbst die Tischebeschrieben die Azubis mit „schmut-zig“. Die Lehrer dieser Schule seienzudem unfreundlich, sie gingen nichtauf Fragen ein und würden den Stoffroboterhaft abspulen. Ist ein Lehrerkrank, machen auch Kolleginnen undKollegen Vertretung, die sich fachlichnicht auskennen. Entsprechendschwach sei dann der Unterricht. Ins-gesamt bekam diese Schule von denAuszubildenden eine glatte „ungenü-gend“, während die beste Schule mit„gut“ bewertet wurde, also die Schul-note 2 bekam.

Dennoch: Gerade die Lehrer dieserSchule, die die schlechteste Bewertungvon den Auszubildenden bekam, stell-ten sich den Fragen der Auszubilden-den, die die Umfrage organisierten.Dabei wurde deutlich, dass auch dieLehrer sehr unzufrieden mit der Situa-tion sind, weiß Sascha Hansen. Den-noch fehlt es an Verbesserungsvor-schlägen von Seiten der Lehrerschaft.Ihrer Ansicht nach sind auch die Be-rufsschüler selbst zu einem gehörigenTeil schuld an der Misere – zumindestwas den Unterricht betrifft, gaben sichdie Lehrer überzeugt. Sie bemängeln,dass sich die Schülerinnen und Schülerzu leicht ablenken ließen und nichtinteressiert genug seien.Und was die Vertretungen angeht,

sehen sich auch nicht die Schulen inder Pflicht, sondern die Politik. Zwarhätten die Schulen eine Personalstärkevon 110 Prozent. Damit soll gewähr-leistet werden, dass immer genügendLehrkräfte da sind. Doch die Rechnunggeht so nicht auf, bemängeln die Schul-leitungen: Infolge von Dauererkran-kungen sei die Schule in der Regel nur100 Prozent besetzt. Wird eine Kolle-gin schwanger und geht in Mutter-schutz, fallen zudem andere Kollegin-

nen und Kollegen wegen Krankheitvorübergehend aus, liege die Perso-naldeckung bei 85 Prozent. Der Unter-richt könne dann nicht mehr sicherge-stellt werden, heißt es.Wie geht es nun weiter? Die Frage-

bögen werden von einem Studentenin einer Bachelor-Arbeit zusammenge-fasst und analysiert. Noch diesenHerbst soll die Arbeit fertig sein. Dasist dann der zweite Schritt. Die Jugend-und Auszubildendenvertretungen dervier Unternehmen haben auch schonKontakt zur Politik aufgenommen.„Wir wollen nicht nur Daten sammelnund Stimmungen einfangen“, sagt Sa-scha Hansen. Es soll sichwas bewegen.Die Zusammenfassung der Fragebögensollen deshalb noch im Herbst der SPDim Senat auf den Tisch gelegt werden.Und die Auszubildenden wollen mitden Schulleitern im Gespräch, damitdas,was schnell geändertwerden kann– wie der geregelte Zugang zu densanitären Anlagen –, künftig sicherge-stellt wird. Ansonsten haben sie einenlangen Atem, damit sich auch das zumBesserenwandelt, was viel Geld kostetwie eine bessere Personalausstattung– und deshalb oft länger dauert.

Jana Bender

„Wir brauchen faire und soziale Abkommen“Aktueller Stand von TTIP, TISA und CETA – Widerstand gegen die Freihandelsabkommen geht weiter

Es ist ruhig geworden um dieFreihandelsabkommen. Vor allemum TTIP und TISA. Wer aberglaubt, damit haben sich diesebeiden Abkommen in der jetzigenForm erledigt, der könnte irren,betont Clivia Conrad, Leiterin derver.di-Bundesfachgruppe Wasser-wirtschaft. Zusammen mit anderenOrganisationen arbeitet ver.di mitim Aktionsbündnis „Stoppt TTIP“.

� ver.di war enttäuscht über die Zu-stimmung des Europäischen Parla-ments zum EU-Kanada-AbkommenCETA. „Das EU-Parlament hat mit demVotum die unwiederbringliche Chanceverpasst, sein entscheidendes politi-sches Gewicht für ein wirklich gutesAbkommen einzusetzen“, sagte derver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Under fügte hinzu: „Wir sind der Überzeu-gung, dass wir ein gutes Handelsab-kommen mit Kanada brauchen.“Eine Politik desWiedererstarkens von

Protektionismus und Nationalismus indenUSA,mit unabsehbarenWirkungenauf Europa und seine Rechtspopulisten,

hätte ein starkes Zeichen der EU für einfaires und soziales Abkommen erfor-dert. Eins, das bei der Gestaltung vonoffenen Märkten und freiem Handelden Kriterien einer fairen Globalisie-rung verpflichtet sei und so dazu bei-trage, das Vertrauen der Bürger undBürgerinnen zu gewinnen. In der nunvorliegenden Form erfüllte CETA ausSicht von ver.di diese Gestaltungsan-forderungen jedoch nicht.Was ver.di an CETA kritisiert: Da wä-

ren die fortbestehende Privilegierungausländischer Investoren, der nichtlückenlose Schutz der öffentlichen Da-seinsvorsorge, die fehlende Sanktio-nierbarkeit von Verstößen gegen Ar-beitnehmerinnen- und Arbeitnehmer-rechte, die mangelnde Absicherungdes Vorsorgeprinzips und die unzurei-chende Garantie von Tariftreue im öf-fentlichen Beschaffungswesen. Zudemgibt es einen offenkundigen Wider-spruch zwischen dem eigentlichenCETA-Vertragstext und dem begleiten-den Auslegungsinstrument.Das Freihandelsabkommen CETA

muss nun von den Parlamenten der

einzelnen EU-Mitgliedsstaaten ratifi-ziert werden. Jedes dieser Parlamen-te muss dem Abkommen zustimmen,damit es letztlich in Kraft treten kann.ver.di-BundesfachgruppenleiterinWasserwirtschaft, Clivia Conrad, rech-net nach dem heutigen Stand derErkenntnisse nicht damit, dass einesder Parlamente gegen CETA stimmt.

Nach ihrem Wissen wird regelmäßigvon der Wirtschaft gegenüber denParlamentariern großer Druck aufge-baut, damit die Abkommen die Par-lamente passieren.Voraussichtlich wird dieses Abstim-

mungsprozedere innerhalb der Mit-gliedstaaten der EU zwei Jahre inAnspruch nehmen. Diese Zeit will

ver.di dazu nutzen, erneut über dasAbkommen aufzuklären. Zudem sollin der Bevölkerung gegen CETA mo-bil gemacht werden. Nur eine großegesellschaftliche Diskussion sei nochin der Lage, das Abkommen zu stop-pen.TTIP, das Abkommen zwischen der

USA und der EU, ist gestoppt. Es gibtkeinen neuenVerhandlungstermin. DieVerhandlungen zum Dienstleistungs-abkommen TISA wurden im Januarvorerst abgeschlossen – ohne Ergebnis.Ein weiterer Termin wurde nicht ver-einbart. TTIP und TISA sind damit vomTisch? Von wegen, befürchtet ver.di.Sie können schlicht umbenannt wer-den und unter einem anderen Namenwieder zu neuem Leben erwachen.„Aber wir haben Zeit gewonnen“,betont Conrad – um darüber zu dis-kutieren, wie ein faires Abkommengestaltet werden kann, was in einemsolchen Abkommen stehen muss. „Ichdenke,wir brauchenMindeststandardsin Sozial-, Verbraucherschutz- undUm-weltfragen, um die Globalisierung zugestalten“, so Conrad. Jana Bender

EN E RG I EW I R T S CHA F T

Erste Windturbine im Offshore-WindparkWikinger errichtetDer erste deutsche Offshore-Windpark des spanische Energiekonzerns Iber-drola nimmt Formen an: Die Iberer konnten dieser Tage die Errichtungsar-beiten der ersten Windturbine abschließen. Beim Projekt Wikinger, dessenStandort rund 35 kmnordöstlich der Ostsee-Insel Rügen liegt, sind insgesamt70 Turbinen des Herstellers Adwen mit jeweils 5 Megawatt Leistung vor-gesehen.Wikinger zählt zu den vier Offshore-Windparks, die wohl in diesem Jahr inder deutschen Nord- und Ostsee in Betrieb gehen. Zusammen mit denProjekten Veja Mate, Nordsee One und Nordergründe wird sich die vor dendeutschen Küsten installierter Offshore Kapazität um gut 1 200 Megawattbis Jahresende auf mindestens 5 350 MW erhöhen.Auch wenn noch nicht alle abschließenden Investitionsentscheidungen ge-troffen sind, ist absehbar, dass Deutschland Ende dieser Dekade über eineOffshore-Windkraftleistung von rund 7 650 MW verfügen wird.

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