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2. Labor für neue Schreiblösungen Dokumentation des Workshops vom 17. und 18.03.2017 der SIG Freiberuflichkeit/Vielfalt

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2. Labor für neue Schreiblösungen

Dokumentation

des Workshops vom 17. und 18.03.2017 der SIG Freiberuflichkeit/Vielfalt

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SIG Freiberuflichkeit/Vielfalt der Gesellschaft für Schreibdidaktik und Schreibforschung ii

Inhaltsverzeichnis

Ein Wort zum Anfang .............................................................................................................. 1

1. Woran erkennt man einen guten (wissenschaftlichen) Schreibstil? ........................... 5

2. Änderungsfehler: neue Fehler, die beim Umformulieren von Sätzen entstehen ...... 7

3. Fragestellung festlegen .................................................................................................... 10

4. Transferfähigkeit: Anwendung auf die eigene Gliederung ......................................... 12

5. Rechtssicher und verständlich schreiben ...................................................................... 14

6. Von klischeehafter zu passender Ausdrucksweise ..................................................... 16

7. Wie kann ich Sprachgefühl vermitteln? ......................................................................... 18

8. Feedback geben (Mikroebene, Stil) ............................................................................... 20

9. Verweigerungshaltung von Studierenden in Workshops ............................................ 23

Zitationsvorschlag für diese Dokumentation: SIG Freiberuflichkeit/Vielfalt der Gesellschaft für Schreibdidaktik und Schreibfor-schung (2017): 2. Labor für neue Schreiblösungen. Dokumentation des Workshops vom 17. und 18.03.2017. URL: http://schreibdidaktik.de/index.php/1publikationen/materialien-zum-download

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Ein Wort zum Anfang

Liebe Kolleginnen und Kollegen in der Schreibberatung, am 17./18. März 2017 ging das „Labor für neue Schreiblösungen“ der SIG Freiberuf-lichkeit/Vielfalt in die zweite Runde. Es knüpfte vom Format und vom Ablauf her ziemlich exakt an das erste Treffen in dieser Gestalt im März 2016 an, das damals alle Teilnehmenden überzeugt und begeistert hatte. Die Grundidee: Wir wollen Lösungen für die „Schreib-Probleme“ der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Workshops und Einzelberatungen finden. Das bedeutet ein breites Spektrum an Themen und Situationen. Denn als SIG Freiberuflichkeit/Vielfalt haben wir unsere Schwerpunkte in zahlreichen Sparten: im wissenschaftlich-akademischen, im beruflichen, im kreativen, im erzählenden, im gesundheitsfördern-den Schreiben und in unterschiedlichen Kombinationen davon. In unser „Labor für neue Schreiblösungen“ können alle Teilnehmenden Schreibprob-leme einreichen, für die sie sich eine Bearbeitung durch die kollegialen For-schungsteams des Labors wünschen. Die Themenabfrage findet im Voraus per Brie-fing-Formular statt. Es können aber auch spontan Themen zum Treffen mitgebracht werden. Folgende Fragen befinden sich auf dem Formular zur Themenabfrage:

1. Wer hat das Schreib-Problem? Wer ist in dem Workshop / in der Beratungssi-tuation?

2. Worin besteht das Schreib-Problem? Was gelingt noch nicht, was ist schwie-rig, was soll sich ändern?

3. In welcher Situation tritt das Schreib-Problem auf?

4. Was wäre anders, wenn eine neue passende Lösung gefunden ist? Die in der Regel dreiköpfigen Forschungsteams werden nach dem Zufallsprinzip ge-bildet. Sowohl die Teams als auch die dazugehörige Forschungsfrage werden gelost. Anschließend ist noch kurz Zeit für Rückfragen. So können sich auch diejenigen gut in den jeweiligen Auftrag hineindenken, die eventuell in einem anderen Gebiet der Schreibberatung unterwegs sind. Dann hat jedes Forschungsteam eine Stunde Zeit, um das Problem zu diskutieren und Lösungen dafür zu finden. Für das Ausprobieren der vorgeschlagenen Lösungsübungen gleich vor Ort, wie es ursprünglich angedacht war, ist die Zeit zu knapp. Wichtiger ist uns, dass in zwei

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Forschungsrunden möglichst viele „Schreib-Probleme“ bearbeitet und auch alle Er-gebnisse präsentiert werden können. Als Ergebnisse entstehen aber erfahrungsge-mäß ohnehin nicht nur Übungen, sondern auch neue Beratungsansätze. Deshalb geben wir lieber der Vorstellung und Diskussion breiten Raum. Im ersten Schritt arbeitet an jedem Problem erst einmal ein Forschungsteam. Viel-leicht schlummern bei den anderen aber auch noch viele weitere Ideen und Lösun-gen dazu? Diese Ideen werden im Nachhinein ergänzt, wenn die Forschungsteams ihre Lösungsansätze im Plenum vorstellen. Dieses 2. Labor haben Astrid Schürmann und Sigrid Varduhn organisiert und mode-riert. Daniela Liebscher besorgte wieder den Raum und Stefanie Pohle hat die Flip-charts aus den Präsentationsrunden der Forschungsteams fotografisch dokumentiert und in eine Dropbox gestellt. Ihnen allen sei herzlich gedankt. Das Fazit: Das „Labor für neue Schreiblösungen“ kam auch in der zweiten Runde so gut an, dass wir das Format beim nächsten Treffen am 9./10. März 2018 wieder ein-setzen wollen. Wir freuen uns über alle, die mitmachen und mit ihrer Expertise zur Anreicherung unserer kontinuierlich anwachsenden Fallstudiendokumentation beitra-gen. Dank der Labortreffen in den Jahren 2016 und 2017 konnten wir inzwischen 18 neue Schreiblösungen zu Schreib-Problemen zusammentragen und freuen uns, wenn die Sammlung jedes Jahr weiter wächst … Abschließend noch etwas zum „Gendern“ und zum Aufbau der einzelnen Darstellun-gen: Für die Bezeichnung von Personengruppen verwenden wir wahlweise substantivierte Partizipien („Teilnehmende“, „Lehrende“), substantivierte Adjektive („Betroffene“, „Vorgesetzte“), Paarformulierungen („der Künstler oder die Künstlerin“, „Autorinnen und Autoren“), neutrale oder Funktionsbezeichnungen („Lehrkraft“, „Seminarleitung“) oder Pronomen im Plural („alle“). Die Protokolle wurden nach folgendem dreiteiligen Schema erstellt: Titel, Nennung des Forschungsteams, Problemstellung, Vorüberlegungen, Lösungsansätze. An zwei Fotos zeigen wir exemplarisch, wie die Formulare der zu besprechenden Ausgangsfragen und die Präsentation der Lösungen im Plenum ausgesehen haben. Nun wünschen wir allen eine anregende Lektüre der Dokumentation. Das Redaktionsteam: Sven Arnold, Elisabeth Oehler, Juliane Strohschein Berlin, im Juli 2017

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Abb. 1: Problembeschreibung eines Falles (Thema 8: „Feedback geben“)

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Abb. 2: Visualisierte Vorstellung eines Lösungsvorschlags im Plenum (Thema 8:

„Feedback geben“)

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1. Woran erkennt man einen guten (wissenschaftlichen) Schreibstil?

Erarbeitet von: Daniela Liebscher, Stefanie Pohle, Sigrid Varduhn Problembeschreibung In einem Workshop für Studierende der Geisteswissenschaften schreiben die Teil-nehmenden im ersten Schritt ein Freewriting zu ihrem Forschungsthema. Durch die-ses nicht reflektierte freie Schreiben erschließen sie sich ihr Thema in einer eher persönlichen Wortwahl. Ziel des Workshops ist neben der Themenfindung auch die Entwicklung eines guten wissenschaftlichen Schreibstils. Die Auftraggeberin des Workshops ist davon überzeugt, dass es Studierende in der Fertigstellungsphase blockiert und demotiviert, wenn der Wechsel vom persönlichen zum wissenschaftli-chen Schreibstil zu früh vorgenommen wird. Daher wünscht sie sich Übungen für den schrittweisen Prozess vom Freewriting zum guten wissenschaftlichen Schreibstil. Vorüberlegungen In unserer Kleingruppe diskutieren wir zunächst, welche Vorstellungen die Studie-renden mit einem wissenschaftlichen Schreibstil verbinden könnten. Außerdem tra-gen wir zusammen, welche Stilelemente sich eventuell aus dem Freewriting ergeben und aus unserer Sicht nicht zum wissenschaftlichen Schreibstil passen könnten. Das könnten zum Beispiel sein: Meinungen, starke Emotionen, Kommentare, eine sehr deutliche Ich-Perspektive, Handlungsbeschreibungen. Wir sind uns allerdings dar-über einig, dass diese Elemente in wissenschaftlichen Texten durchaus vorkommen, weil ihr Stil verschiedenartig ausfällt. Auch die Studierenden sollten daher zunächst einmal die Bandbreite des Schreibstils von wissenschaftlichen Texten kennenlernen, um eventuell zu stark reglementierende Vorannahmen dazu zu hinterfragen. Die Entwicklung eines wissenschaftlichen Schreibstils kann zum Beispiel über die Auseinandersetzung mit Textbeispielen, das Erarbeiten von Kriterien, das eigene (Um-)Schreiben und das Hineinversetzen in die Perspektive von Lesenden erfolgen. Aus diesen verschiedenen Möglichkeiten haben wir zwei jeweils mehrschrittige Vor-gehensweisen entwickelt, deren Übungen sich auch verknüpfen lassen. Bei unserem ersten Vorschlag arbeiten die Teilnehmenden mit dem Material aus dem Freewriting weiter. Um diese Texte, die in einem intensiven und eventuell auch eher persönlich empfundenen Schreibprozess entstanden sind, zu schützen, wählen die Studierenden selbst aus, welchen ihrer Sätze sie bearbeiten möchten. Unser zweiter Vorschlag „Die Leserinnen und Leser im Blick“ beruht auf der Erfahrung, dass ein der Textsorte angemessener und guter Schreibstil sich auch dann ergibt,

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wenn wir uns mehr mit den Bedürfnissen der Zielgruppe beschäftigen, also „nah an den Lesenden“ schreiben. Lösungsansätze A) „Kriterien entwickeln und Sätze umformulieren“

1. Dem Thema näherkommen: Alle Teilnehmenden schreiben ein Freewriting zum jeweils eigenen Forschungsthema.

2. Varianten wissenschaftlicher Schreibstile: 6 Beispieltexte aus der wissenschaftli-chen Literatur aufhängen.

3. Was macht wissenschaftlichen Schreibstil aus? Anhand der Beispieltexte im Ple-num Kriterien entwickeln.

4. Ist das wissenschaftlich formuliert? Alle wählen einen Satz aus ihrem eigenen Freewriting-Text aus, bei dem sie glauben, dieser sei eventuell nicht wissenschaft-lich formuliert.

5. Wie lässt sich das anders schreiben? In Dreier-Gruppen formulieren die Teilneh-menden ihre ausgewählten Sätze nach den erarbeiteten Kriterien um.

6. Vorher-nachher-Auswertung: Im Plenum präsentieren die Gruppen sowohl ihre Beispiele als auch ihre Erfahrungen mit dem Umformulieren.

B) „Die Leserinnen und Leser im Blick“

1. Dem Thema näherkommen: Alle Teilnehmenden schreiben ein Freewriting zum jeweils eigenen Forschungsthema.

2. Das Thema vorstellen: Sich in Zweier-Gruppen die Texte entweder gegenseitig vorlesen oder sie mündlich zusammenfassen.

3. Was fragt sich die Leserin oder der Leser? In den Zweier-Gruppen Fragen auflis-ten, die zukünftige wissenschaftlich Lesende zum Thema haben könnten.

4. Schreiben nah an den Lesenden: Neues Freewriting (mit den Fragen der Lesen-den vor Augen).

5. Den zweiten Text lesen lassen: In den Zweier-Gruppen die Texte austauschen und Feedback geben.

6. Vorher-nachher-Auswertung: Im Plenum präsentieren die Gruppen ihre Erfahrun-gen aus dem ersten und zweiten Freewriting und zeigen eventuelle Unterschiede in den Texten auf.

Zeitbedarf: Die Übungen eignen sich zur Durchführung eines kompletten Workshops, lassen sich aber auch auf mehrere kürzere Veranstaltungen verteilen.

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2. Änderungsfehler: neue Fehler, die beim Umformulieren von Sätzen entste-hen

Erarbeitet von: Sibylle Preuß, Astrid Schürmann Problembeschreibung Beim Umformulieren von Sätzen können durch Änderungen neue Fehler in anderen Satzteilen entstehen. Zum Beispiel beim Wechsel von der Einzahl zur Mehrzahl oder wenn sich das Subjekt ändert und damit auch die Verbform. Vorüberlegungen Der Begriff „Änderungsfehler“ beschreibt ein Phänomen, das in der Schreibphase der Überarbeitung auftritt – sowohl von kurzen als auch längeren Texten. (Je nach Textsorte und Komplexität des Inhalts, der dargestellt werden soll, können sich Form und Gründe dieser Fehler erheblich unterscheiden.) Der Schreibprozess durchläuft in der Überarbeitung mehrere Stufen gedanklicher und sprachlicher Präzisierung und „Veredelung“. Die Schreibenden steigen auf die nächste Stufe der Textqualität und überprüfen von dort aus noch einmal, ob sie in-haltlich die Quintessenz der vorherigen Stufe mitgenommen, einbezogen, sauber dargestellt und ausgedrückt oder ob sie einen Teil ausgelassen haben. Dabei nähern sich die Schreibenden durch versuchte und wieder verworfene oder beibehaltene Textvarianten Wort für Wort und Schritt für Schritt der Textversion an, mit der sie bereit sind, ihren Arbeitsprozess (vorerst) abzuschließen Sie erkennen den treffenden Ausdruck daran, dass dieser in ihrer Wahrnehmung „glüht“, ein zum Leben erwachter Ausdruck dessen ist, was sie tatsächlich sagen wollen. Außerdem bemühen sich die Schreibenden, die je nach Schreibaufgabe oder Schreibanlass vorgegebene Form oder Konvention zu erfüllen, ohne allzu viel Schwund bei Inhalt und authentischem Ausdruck (ihrer Schreibstimme) hinnehmen zu müssen. Die Häufigkeit der sogenannten „Änderungsfehler“ könnte dabei ein Indikator für die Intensität dieses Annäherungsprozesses sein.

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Lösungsansätze A) Denkbare Gründe für „Veränderungsfehler“

• Die Angst des oder der Schreibenden vor Fehlern und deren Stigmatisierung. Diese Haltung kann die Textüberarbeitung zu etwas Belastendem machen, das Schreibende, die in dieser Weise vorgeprägt sind, vermeiden oder mög-lichst schnell „hinter sich bringen“ wollen.

• Mangelnde Distanz zum Text.

• Die inhaltliche und formale Korrektur bindet weitgehend die Aufmerksamkeit.

• Die Bedeutung des Lektorats/Korrektorats für den Erfolg eines Textes wird von dem oder der Schreibenden unterschätzt. („Das Eigentliche ist doch ge-schafft, jetzt habe ich keine Lust mehr auf dieses öde und genaue Überprü-fen“). Ein Bild hierfür: Die unterschwellige Überzeugung, dass jemand anders für den Abwasch zuständig sei, wenn man selbst mit viel Temperament ge-kocht hat.

• Mangelnde Vorstellung davon, wie verwirrend (und damit verheerend) ein feh-lerreicher Text auf die Leserinnen und Leser wirkt. Und davon, dass Form- und Schreibfehler Lesende auch den Inhalt eines Textes in Zweifel ziehen lassen. Oder dass potenzielle Lesende, wenn sie die Freiheit dazu haben, ei-nen solchen Text oft gar nicht erst lesen.

Übung: In einem Workshop könnte hier die Aufgabe gestellt werden, einen vergleichbar fehlerhaften Text selbst zu lesen und zu bearbeiten. Die Teil-nehmenden erfahren dann am eigenen Leibe, wie sehr auch ein guter Text unter solcher Form der Vernachlässigung leidet – und mit ihm die Lesenden, für die hierdurch auch Empathie geweckt werden kann.

• Schreibende, die an der Überarbeitung ihres Textes sitzen, müssen auf vielen Ebenen Änderungen vornehmen. Bei längeren, inhaltlich für sie schweren Texten könnte es daher hilfreich sein, ihnen für die Überarbeitung selbst eine Strukturierung anzubieten und wenn es geht, bereits einige mögliche Fehler-quellen aufzuzeigen.

B) Rollenwechsel – vom Schreiben zum Lektorieren und zurück Bei der Überarbeitung wechseln Schreibende immer wieder auf die andere Seite des Textes – sie werden selbst zu Leserinnen oder Lesern, die ihren Text ändern und verbessern dürfen/sollten. Dabei schreiben sie gleichzeitig wieder einen neuen. Oft lesen sie an dieser Stelle ihren bisherigen Text oder einzelne Textpassagen das ers-te Mal im Ganzen durch.

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Für diese Aufgabe ist es hilfreich, wenn der oder die Schreibende-Lesende erst ein-mal Abstand zum eigenen Text gewinnt.

• Zeitlich, indem er oder sie einige Stunden, besser einen Tag, wartet bis zur Überarbeitung.

• Gestalt des Textes: Verfremdung durch Umwandlung des Textes in andere Schriftart, Farbe, Größe.

• Durch eine spielerische und zugleich ehrgeizige Haltung zur Aufgabe: z. B. sich selbst auf die Schliche kommen wollen und daher genau hinsehen; die Rolle eines Sherlock Holmes einnehmen auf der Suche nach Überresten ei-nes liegen gelassenen Gedankens, der anders ausgedrückt oder zur Seite ge-räumt werden sollte.

Der oder die Überarbeitende produziert hierbei wieder neuen unbearbeiteten Text oder Textfragmente, die ihrerseits wieder überarbeitet und korrigiert werden müssen. Hier geht es darum, ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass auch dieser Text ein An- und Unterbau des vorherigen Textes ist (durch Ersatz, Einfügung, Streichung). Diese Veränderungen zerreißen Satzstrukturen und verändern Worte (Zeiten, Partizipien, Pronomen, Überleitungen, Adverbien usw.). Neues wird eingebracht und muss in einem nächsten Schritt zusammengefügt, angepasst, gefeilt, geschliffen und auf blinde Flecken, Lücken, Gedankenspäne und Sprachkrümel durchsucht werden, die noch von einer früheren Überarbeitungsstufe übrig geblieben sind, damit der Text lesbar wird. Für dieses Phänomen und diese Aufgabe könnten Schreibberaterinnen und -berater die Schreibenden bereits zu Beginn des Schreibprozesses sensibilisieren, diese Feh-ler exemplarisch vorstellen und behandeln.

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3. Fragestellung festlegen

Erarbeitet von: Theda Bader, Katja Frechen, Elisabeth Oehler Problemstellung Eine Studentin der Kunstgeschichte möchte eine Hausarbeit zu einem selbstgewähl-ten Thema schreiben (über eine Performance). Sie hat bereits mehrere Fragen ent-wickelt, die sich aus verschiedenen Perspektiven dem Thema nähern, kann sich je-doch nicht für eine konkrete Fragestellung entscheiden. Die Übung „Dreischritt“1 (Thema – Frage – Ziel) mag sie nicht. Nun würde sie gerne mit dem Schreiben be-ginnen, weiß aber noch gar nicht, was genau sie untersuchen möchte. Vorüberlegungen Wir haben uns zunächst gefragt, worin die Ablehnung der Übung „Dreischritt“ be-gründet sein könnte. Unserer Erfahrung nach haben Studierende häufig Schwierig-keiten, die Übung selbstständig und ohne Anleitung durchzuführen. Daher besteht unser Lösungsvorschlag aus zwei Teilen: 1. Thematisierung dieser Ablehnung sowie ggf. die gemeinsame Durchführung 2. Alternative Herangehensweisen/Übungen Lösungsansätze 1) Ablehnung des „Dreischritts“ thematisieren

• Wurde die Übung alleine durchgeführt und wirklich verstanden? Sind die Bei-spiel-Antworten zu fachfremd?

• Fühlt sich die Ratsuchende überfordert, die Fragen des Dreischritts in der ge-botenen Kürze zu formulieren?

• Empfindet die Ratsuchende den Dreischritt als zu technisch? Hier könnte eine andere Darstellungsform helfen oder auch die Umformulierung der Fragen bzw. ein gemeinsames mündliches Bearbeiten.

1 Zu Funktion und Aufbau der Übung „Dreischritt“ siehe Grieshammer/Liebetanz/Peters/Zegenhagen (2012), „Zukunftsmodell Schreibberatung“, S. 178 f.

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2) Alternative Herangehensweisen/Übungen

• Visualisierung des Entscheidungsproblems (s. Abb. Fotoprotokoll): In welchem Verhältnis stehen die möglichen Fragestellungen zu ihrem Untersuchungsge-genstand und wo sieht sie ihr größtes Interesse verortet?

• Gesprächssituation vorstellen und durchspielen, um so das Hauptinteresse herauszukristallisieren: Die Studentin erzählt jemandem von ihrem Vorhaben und beobachtet dabei, welchen Aspekt sie selbst in den Vordergrund rückt.

• Texte oder Briefe aus verschiedenen Perspektiven schreiben, z. B. aus der Perspektive des Publikums an den Künstler oder die Künstlerin oder auch an die Performance an sich.

• Künstlergespräch vorstellen: „Welche drei Fragen würdest du dem Künstler oder der Künstlerin stellen, wenn ihr euch zufällig treffen würdet?“

• Und wenn gar nichts anderes geht: die verschiedenen Fragestellungen durch-nummerieren und würfeln! (Beim Würfeln kann die eigene Reaktion beobach-tet werden: Hoffe ich auf eine bestimmte Zahl? = dann ist das meine Frage! Oder: Hoffe ich, dass eine bestimmte Zahl auf keinen Fall kommt? = dann streiche ich diese Frage!)

Abb. 3: Beispielhafte Visualisierung des Entscheidungsproblems (Fotoprotokoll)

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4. Transferfähigkeit: Anwendung auf die eigene Gliederung

Erarbeitet von: Nadja Damm, Julia Roßhardt, Juliane Strohschein Problemstellung Bachelor-Studierende einer Fachhochschule/Fernstudiengang können die im Work-shop vorgestellten Gliederungsbeispiele nicht auf ihre eigene Gliederung transferie-ren. An den Beispielen gezeigte und besprochene Probleme werden am eigenen Thema nicht erkannt.

Vorüberlegungen Was wirkt unterstützend für die Transferleistung der Studierenden? Involvierung: Hilft es Teilnehmenden, ihre Gliederungen nach der Erfüllung bestimm-ter (vorher besprochener) Kriterien gegenseitig zu „prüfen“? Ressourcenorientierung: an Gliederungen der Teilnehmenden beispielhaft aufzeigen, was schon gut gelungen ist. Wie könnte die Strukturierung noch bes-ser/verständlicher/klarer werden? Checkliste: Kriterien für eine sinnvolle Gliederung gemeinsam erarbeiten (danach evtl. bestehende ‚offizielle’ Kriterienliste ergänzen) und den Sinn hinter bestehenden Normen begreifbar machen.

Lösungsansätze A) Haltung seitens der Seminarleitung

• Teilnehmende involvieren („Wie und in welche Teilaspekte haben Sie Ihr Thema gegliedert?“)

• Reziprokes Lernen und kollegiale Beratung untereinander fördern („Was mei-nen Sie dazu? Wie finden Sie diese Gliederung im Vergleich zu jener?“)

• Ressourcenorientierung: an Beispielen der Teilnehmenden aufzeigen, was

schon da ist und funktioniert

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B) Workshopaufbau in Modulen/Phasen

1. Plenum: eine Gliederung aus der Gruppe besprechen. Was gefällt den ande-ren Teilnehmenden daran? Was fällt Ihnen auf? Wie würde das Thema sich noch besser in die Gliederung umsetzen lassen? Möglichst alle Teilnehmende involvieren, Feedback teilen lassen. Die Seminarleitung sammelt beispielswei-se am Whiteboard oder Flipchart die Kriterien oder Aspekte, die benannt wer-den. Eventuell kann sie danach ergänzend eine exemplarische Vorlage oder einen Kriterienkatalog einbringen. Ziel: Es ist klar, worum es geht und was ei-ne Gliederung zu einer besseren Gliederung macht.

2. Kleingruppe: anschließend in Kleingruppen über je eine Gliederung eines Gruppenmitglieds beraten oder für die spätere Vergleichbarkeit/Ergänzbarkeit der Ergebnisse in allen Kleingruppen die gleiche Gliederung besprechen.

3. Plenum: Ergebnisse (Visualisierung? Vorher/Nachher-Gliederungen …) be-

sprechen und wertschätzen, auf Fragen eingehen, Erkenntnisse festhalten, Entwicklungsprozess einer Gliederung aufzeigen.

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5. Rechtssicher und verständlich schreiben

Erarbeitet von: Sven Arnold, Eva-Maria Lerche, Franziska Nauck Problemstellung Wenn Teilnehmende (TN) in Seminaren zur modernen Verwaltungssprache lernen sollen, verständlicher zu schreiben, wenden sie oft ein, dass durch die Vereinfachung von Satzstrukturen, Formulierungen oder einzelnen Wörtern die Rechtssicherheit der Texte bedroht sei. Deshalb trauen sie sich dann nicht, das Handwerkzeug des ver-ständlichen Schreibens anzuwenden, wodurch die Wirkung des Seminars verpufft. Vorüberlegungen Woher kommen diese Befürchtungen? a) Die TN verstehen die standardisierten, „rechtssicheren“ Formulierungen selbst nicht. b) Die Vorgesetzten tragen das Konzept der verständlichen Sprache nicht mit, da sie nicht oder zu wenig in die Konzeption von Schulungen und deren Zielsetzung einge-bunden sind. Sie sind über die Schulungsinhalte nicht informiert und ziehen nicht mit den Dozierenden an einem Strang. Das erzeugt bei den TN Unsicherheit und Angst, etwas falsch zu machen. Auch glauben TN häufig, dass sie veränderte, einfachere Formulierungen bei ihren Vorgesetzten „nicht durchbekämen“. Lösungsansätze Aus den Vorüberlegungen ergeben sich zwei Ebenen, für die wir Lösungen vorschla-gen: der Kontext des Arbeitsalltags (A) und das Seminar selbst (B). A) Kontext

• Verantwortung im System klären: Was würde passieren, wenn aufgrund der verständlicheren Formulierung eines Textbausteins ein inhaltlicher Fehler auf-träte? Wer trägt dann die Verantwortung? Welche Konsequenzen hätte ein solcher Fehler?

• Vorgesetzte mit in die Schulung holen und verbindliche Inhalte schaffen und abstimmen.

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• Strukturen im Arbeitsalltag der TN verändern: zum Beispiel kontinuierliches Feedback auf neue, verständliche Textbausteine organisieren.

� Alle diese Ansätze sollen die Nachhaltigkeit und Umsetzbarkeit der Seminar-

inhalte gewährleisten und auch die Unsicherheit der TN verringern.

B) im Seminar selbst

• Ziele definieren

o Zweck von Verständlichkeit klären: Vorteil für die TN selbst � weniger Arbeit durch weniger Rückfragen, Missverständnisse, falsch oder un-vollständig ausgefüllte Anträge, Ärger, ...).

o Die Erkenntnis vermitteln, dass ein Inhalt nicht zu einer bestimmten Formulierung zwingt.

• Maßnahmen, um die Ziele zu erreichen

o Die „rechtssicheren“ Formulierungen für die betreffenden Adressatinnen und Adressaten übersetzen, mit Formulierungen wie: „Das heißt für Sie konkret“; sich dabei an der mündlichen Sprache orientieren (Wie würde ich es am Telefon sagen?). Das bedeutet, der „rechtssichere“ Text bleibt stehen, wird aber ergänzt durch eine konkrete, adressatenbezo-gene Übersetzung.

o Bedeutung von Aussagen klären: gemeinsam in der Gruppe oder in Kleingruppen. Dadurch werden die TN sicherer und begreifen, dass man denselben Inhalt verschieden formulieren kann. Dieses Vorgehen kann dann auch als Feedbackmethode in den Alltag der TN transferiert werden.

o Textbausteine „modernisieren“.

o Juristinnen oder Juristen im Workshop hinzuziehen, um „Übersetzun-gen“ abzusegnen.

o Mit authentischen Texten der TN arbeiten, um die TN zu aktiver Mitar-beit zu motivieren und ihnen praxisrelevante Lösungen mitzugeben.

o Ein zweischrittiges Seminar durchführen: Beim ersten Termin geht es um Sensibilisierung, Akzeptanz und erstes Ausprobieren. Im zweiten Termin bringen die TN authentische Beispiele aus ihrer Praxis mit, bei denen sie verständlichere Formulierungen verwendet haben. Diese Beispiele werden in der Gruppe gemeinsam reflektiert.

o Einen Leitfaden entwickeln, der für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Behörde verbindlich gilt.

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6. Von klischeehafter zu passender Ausdrucksweise

Erarbeitet von: Franziska Nauck, Juliane Strohschein, Sigrid Varduhn Problemstellung Eine Klientin möchte im Rahmen des kreativen Schreibens eine fiktive Geschichte entwickeln, rutscht dabei jedoch nach eigener Aussage schnell in Klischees ab. Bei-spielsweise bei der Beschreibung einer Figur: „Der Adlige trägt ein seidenes Hals-tuch“ oder einem sprachlichen Ausdruck wie: „… von Schmerz und schlechtem Ge-wissen gepeinigt …“. Die Autorin wünscht sich, dass es ihr gelingt, die persönliche Entwicklung der Figuren besser in Handlung und Sprache zu übersetzen. Vorüberlegungen Wo gelingt das gewünschte Schreiben ohne Klischees bereits? Wodurch gelingt es? Und andererseits: Was ist ihr Hintergrund, klischeehaft zu schreiben? Was passiert, wenn sie es damit einmal bewusst übertreibt? Hier sollte der Klientin Mut zum eigenen Ausdruck gemacht werden. Außerdem sollte sie darin unterstützt werden, präzise zu beschreiben, was sie tatsächlich sieht. Diese Strategien fördern eine ungewöhnlichere und speziellere Beschreibung ohne Kli-schees. Ein dritter Ansatz könnte darauf zielen, anfangs bewusst eingeführte Kli-schees im Laufe der Handlung aufzulösen. Lösungsansätze Wo gelingt das nicht klischeehafte (gewünschte) Schreiben bereits? Wie lässt es sich auf die Passagen übertragen, in denen es noch nicht funktioniert? 1) „Mut zum Klischee“ Die Klientin bekommt zunächst die Aufgabe, einen Text voll mit Klischees zu packen. – Motto: Wenn schon, denn schon! Bei dieser paradoxen Intervention geht es um die psychologische Wirkung: Die Klientin kann sich zunächst an ihren Ressourcen orien-tieren und das „klischeehafte“ Schreiben auf seine Möglichkeiten und Varianten hin erforschen. Im nächsten Schritt wird sie aufgefordert, alle Klischees bewusst wegzu-lassen bzw. durch nicht-klischeehafte Formulierungen zu ersetzen.

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2) „Klischees brechen“ Klischees neu kombinieren:

Die Klientin wird aufgefordert, in einem Cluster klischeehafte Adjektive, Substantive, Typen und Accessoires zusammenzustellen. Diese kann sie je nach Wortart auf ver-schiedenfarbige Kärtchen schreiben und anschließend, z. B. per Los, neu unterei-nander kombinieren, also damit spielen.

Dekonstruktion:

Hier kann die Klientin ein Stereotyp bewusst aufrufen und dann im Laufe der Hand-lung peu à peu dekonstruieren und umdeuten. Für den Adeligen mit dem Seidentuch kann das bedeuten, dass sich herausstellt, er ist gar nicht adelig oder das Tuch ist gar keine Seide o. ä. Der Effekt: Die Bedeutungen verschieben sich und werden komplexer. 3) „Genau hinschauen“ Die Klientin sollte aufgefordert werden, genau hinzuschauen und nur zu beschreiben, was auch beobachtbar ist. Sie sollte jedem erwähnten Gegenstand eine Funktion für die Handlung zuweisen (Sinn). So löst sich das Klischee „seidenes Tuch“ auf, wenn z. B. später jemand da-mit erdrosselt wird.

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7. Wie kann ich Sprachgefühl vermitteln?

Erarbeitet von: Katja Frechen, Daniela Liebscher, Stefanie Pohle Problembeschreibung Die Schreibberaterin, die das Problem mit ins Labor brachte, berichtete aus ihren Seminaren zum beruflichen Schreiben, dass sie auf Teilnehmende trifft, deren Sprachgefühl vergleichsweise ‚blass’ ist. Das äußert sich z. B. darin, dass sie unge-lenk und schief schreiben, abgegriffene Phrasen benutzen oder Redewendungen falsch kombinieren. Es kommt der Schreibberaterin so vor, als ahmten sie einen be-stimmten Stil nach, wobei sie ihrer Meinung nach häufig knapp danebenliegen. Die Schreibenden kommen aus unterschiedlichen Branchen und haben das Problem bei jedweder Textproduktion. Vorüberlegungen Was ist eigentlich Sprachgefühl? Wie äußert es sich? Laut Duden ist Sprachgefühl: 1. „Gefühl, Sinn, für den richtigen und (im Sinne einer gültigen Norm) angemessenen Sprachgebrauch“, 2. „Stilgefühl“. Die Arbeitsgruppe trug folgende Ideen zusammen: Texte, deren Autorinnen und Au-toren ein gutes Sprachgefühl haben, sind verständlich und stimmig. Verwendete Me-taphern veranschaulichen deutlich das Gemeinte. Inhalt und Form gehen Hand in Hand. Und die Schreibenden haben die Beziehung zu ihren Adressatinnen und Ad-ressaten geklärt, was sich auch in einer passenden Ansprache und in der Tonalität des Textes zeigt. Lösungsvorschläge Für eine Lehreinheit zum Thema Sprachgefühl schlagen wir einen didaktischen Auf-bau vor. Er hat vier Phasen und kann folgende Anregungen und Übungen beinhal-ten: 1) Klischees bewusstmachen

• Klischees sammeln und überzeichnen

• Eine ‚Phrasen-Dreschmaschine’ gestalten, mit der branchentypische Ausdrü-cke wild und kreativ kombiniert werden können. Eine solche Maschine besteht

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aus drei Scheiben, auf denen 1. Adjektive, 2. Substantive und 3. weitere Sub-stantive notiert werden. Die Scheiben werden mit Klammern nebeneinander auf einem Karton befestigt. Durch Drehen der Scheiben entstehen bunte, kli-scheereiche Worthülsen. Unter folgendem Link ist die Phrasendreschmaschi-ne des Verlages ‚Straelener Manuskripte’ zu finden: http://www.straelener-manuskripte.de/phrasen-dreschmaschine.html

• Kriterien entwickeln, durch die klischeehafte Sprache leicht zu identifizieren ist 2) „Augen putzen“

• Wortfelder (eine Gruppe sinnverwandter Wörter) zu wichtigen, branchentypi-schen Schlagwörtern zusammenstellen – und anschließend Texte schreiben, in denen diese Wörter nicht benutzt werden dürfen

• Cluster (von einem Kernwort ausgehende Assoziationsketten) zu Begriffen entwerfen, die als besonders klischeereich und abgegriffen gelten; durch die assoziativen Verbindungen können neue Ideen entstehen

• DUDEN Wer hat den Teufel an die Wand gemalt? (Redensarten), Berühmte

Zitate und Redewendungen, oder Das Wörterbuch der Synonyme zum Über-prüfen oder Lernen hinzuziehen

• Zentralen, branchentypischen Begriffen Farben oder Stimmungen zuordnen (z. B. technische Begriffe sind blau, Texte aus der Kommunikationsabteilung dürfen sonnig sein) und dann Wortfelder bilden

3) Stilübungen

• Texte mit dem klischeefreien Material verfassen, das in der zweiten Phase ge-funden und entwickelt wurde

• Das Buch Stilübungen von Raymond Queneau nutzen, um die Variationsbreite von Ausdrucksmöglichkeiten sichtbar zu machen; Queneau schrieb über 100 Variationen zu einer alltäglichen Episode

4) Überarbeiten

• Zielsetzung: Klischees vermeiden, treffend formulieren, einen eigenen Schreibstil entwickeln, damit die Texte eine größere Wirkung entfalten können

• Kriterien anwenden, die in der ersten Phase entwickelt wurden

• Feedback-Übungen zu den Texten, die in der dritten Phase entstanden sind

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8. Feedback geben (Mikroebene, Stil)

Erarbeitet von: Sven Arnold, Theda Bader, Eva-Maria Lerche, Astrid Schürmann Problembeschreibung Ein Doktorand befindet sich in der Überarbeitungsphase seiner Dissertation. Er ist in Bezug auf seinen wissenschaftlichen Schreibstil unsicher und hat in der Vergangen-heit negatives Feedback bekommen. Er hat als Auftrag an die Schreibberatung for-muliert, Feedback auf seinen Stil zu erhalten. Die Schreibberaterin formuliert hieraus als Ziel, dass er seine Texte selbständig überarbeiten kann, Stärken und Verbesse-rungspotenziale an seinem Text selbst beurteilen kann, Überarbeitungsstrategien entwickelt und zu einem eigenen Stil in Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Normen findet. Vorüberlegungen Wir betrachten professionelles Feedback als zentralen Teil des Schreibprozesses und damit auch einer Schreibberatung. Bei dem formulierten Problem entstand bei uns der Eindruck, dass der Doktorand eigene Überarbeitungsstrategien entwickeln sollte, um auf das Feedback verzichten zu können. Wir schlagen vor, dass das Feedback als ein möglicher und sinnvoller Auftrag bestehen bleibt, der durch Über-arbeitungsstrategien ergänzt werden kann. Lösungsvorschläge A) Für uns stimmten der Auftrag des Doktoranden (Feedback geben) und das Ziel der Schreibberatung (den Doktoranden unterstützen, Überarbeitungsstrategien zu entwickeln) nicht überein. Deshalb schlagen wir als ersten Schritt eine differenzierte Auftragsklärung vor, bei der auch erläutert wird, was der Unterschied zwischen Feedback und Lektorat ist. Der Auftrag kann dann z. B. bestehen in:

• Feedback im Sinne von konkretem Spiegeln, Beschreiben, Diskutieren, Ana-lysieren mit dem Ziel, den Schreibenden zu motivieren und den Text stärker zu machen. Die Verantwortung bleibt bei dem Schreibenden, der durch das Feedback seine Schreibkompetenz verbessert.

• Stärken und Ermutigen im Sinne von Anfeuern, Unsicherheiten nehmen, auf-munternd begleiten.

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• Lektorat im Sinne von konkreten Verbesserungsvorschlägen. Im Mittelpunkt steht die Verbesserung des Textes, nicht mehr die Verbesserung des Schrei-benden.

• Patentrezept: „Sag mir, wie es richtig geht“. � Bei allen möglichen Aufträgen muss die Schreibberaterin entscheiden, ob dies

zu ihren Angeboten gehört oder nicht. B) Im Folgenden machen wir Vorschläge für den Auftrag „Feedback“ im oben be-schriebenen Sinne. Hier schlagen wir vor, zunächst den Feedback-Auftrag differen-ziert zu klären, z. B.:

• Aufgrund der negativen Feedbackerfahrung kann die Schreibberaterin nach-haken, was die Kritik war und in welchem Kontext sie geäußert wurde. Viel-leicht kann sie sie so „übersetzen“, dass sie konkret und spezifisch wird, dadurch für den Schreibenden nachvollziehbar wird und er sie annehmen und umsetzen kann.

• Die Schreibberaterin kann Ressourcen aus der Schreibbiografie des Dokto-randen aktivieren: Was sind positive, stärkende Erfahrungen? Welche Ent-wicklungen hat er schon gemacht? Was hat er sich schon angeeignet? Wann hat er sich schon sicherer in seinem Stil gefühlt? Welche Erfahrungen aus an-deren Kontexten kann er transferieren?

• Man kann mit ihm gemeinsam anhand seiner oder auch anderer Fachtexte erarbeiten, was seine eigenen sprachlichen Kriterien an seinen Text sind. Hiermit kann er darin gestärkt werden, seine eigene Stimme zu entwickeln und seine eigenen Kriterien mit wissenschaftlichen Konventionen in Einklang zu bringen.

C) Aus diesen drei oder auch weiteren Aspekten schlagen wir vor, einen gemeinsa-men Kriterienkatalog zu entwickeln, der eigene Ansprüche und wissenschaftliche Normen zusammen denkt und der auf die folgenden drei Aspekte zielt:

1. Muster erkennen. Wir vermuten, dass der Doktorand in seinem Stil bestimmte, wiederkehrende Muster anwendet. Hat er sie erkannt, kann er seine Texte systematisch überarbeiten bzw. ein gezieltes Feedback auf diese Muster als Feedbackwunsch formulieren.

2. Eigene Stimme. Wir sehen wissenschaftliche Texte als ein Wechselspiel zwi-schen Konventionen und eigener Stimme. Sind die Konventionen zu laut, ist es hilfreich, die eigene Stimme zu stärken und selbstbewusst zu vertreten. Dieses Selbstvertrauen erleichtert auch wiederum, Feedback anzunehmen oder auch Kritik abzufedern. Zudem wird der Schreibende hierdurch bestärkt, selbst die Verantwortung für seine Texte zu übernehmen und zu behalten.

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3. Feedback. Der Schreibende soll bestärkt werden, konkrete, zielgerichtete Feedback-Aufträge zu formulieren, die auf seine konkreten Wünsche und Be-dürfnisse abgestimmt sind. Die Feedbackaufträge kann er der Schreibberate-rin, aber auch der Betreuungsperson der Arbeit, Peers im Kolloquium etc. ge-ben. Durch die Erfahrung von positivem, konkretem und motivierendem Feed-back kann er die Kraft von Feedback für sich entdecken und negative Feed-backerfahrungen überwinden. Ein spiegelndes und beschreibendes Feedback stärkt ihn, die Verantwortung für sich und seine Texte ernst zu nehmen und damit als Schreibender zu wachsen.

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9. Verweigerungshaltung von Studierenden in Workshops

Erarbeitet von: Elisabeth Oehler, Sibylle Preuss, Julia Roßhart Problemstellung In Workshops zum wissenschaftlichen Schreiben kommt es immer wieder vor, dass Studierende ihre Ablehnung gegenüber kreativen Übungen äußern oder die Teil-nahme daran verweigern. Sie demonstrieren der Lehrkraft mit ihrem Verhalten oder ihrer Körpersprache die Haltung „Erzähl mir einfach, wie es geht, aber lass die blö-den Übungen“ oder äußern Vergleichbares verbal. Vorüberlegungen Uns scheint es wichtig, in diesem Fall (oder generell) den Einstieg in ein Schreibse-minar gut vorzubereiten und dafür Raum und Zeit einzuplanen. Es könnte hierbei hilfreich sein, sich zu vergegenwärtigen, dass Widerstände gegen das Schreiben, Schreibhemmungen, Versagensängste usw. auch in vielen Teilnehmenden schlum-mern, die diese aber nicht nach außen dringen lassen. Sie brechen den Widerstand innerlich und zwingen sich möglicherweise dazu, mit dem Schreiben anzufangen. Den Umgang mit solchen – auch inneren – Widerständen zu thematisieren, kann über das Seminar hinaus für die Teilnehmenden fruchtbar sein. Denn gerade solche Widerstände sind häufig die Ursache z. B. für Prokrastination. Lösungsansätze Wir haben einen Seminareinstieg entwickelt, der dem beschriebenen Widerstand Raum gibt. Er besteht aus mehreren Modulen. Übersicht der Einzelschritte

1. Diagnostik: Woher kommt der Widerstand?

2. Raum geben: zuhören, intervenieren, besprechen, Wünsche abfragen

3. Transparenz: Vorgaben der Lehrinhalte/wissenschaftliche Normen � Spiel-raum

4. Aussicht: Konkreter individueller Nutzen für alle Teilnehmenden

5. Hinweis: Übung als Angebot, nicht als Verpflichtung

6. Ausrichtung: auf die Erfahrungs- und Arbeitswelt der Teilnehmenden

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1. Diagnostik

Da wir als Kursleiterinnen und Kursleiter nicht die Gedanken der Teilnehmenden le-sen können, sollten wir uns auftretenden Widerständen nicht ignorierend oder ableh-nend gegenüber verhalten, um unser vorgesehenes Programm unverändert durch-ziehen zu können. Im Verweigerungsfall geht es zunächst darum, herauszufinden, woher der Widerstand der Betroffenen kommt („Diagnostik“) und eine Strategie zu entwickeln, wie wir so damit umgehen, dass wie die Interessen aller Beteiligten be-rücksichtigen (einzelne Betroffene, Gruppe, Lehrkraft, Auftraggeber oder Auftragge-berin).

Hinter der Verweigerungshaltung steckt möglicherweise eine allgemeine Skepsis gegenüber dem Sinn von kreativen Übungen, die sich hier bei dem Versuch manifes-tiert, ein unter Umständen ohnehin als fremdbestimmtes und im Grunde nicht wirklich frei gewähltes Schreibziel zu erreichen. Was das für Zweifel sind und woher sie kommen, können wir als Dozierende in der Regel nicht wissen. Der demonstrative Widerstand könnte ganz verschiedene Ursachen haben:

• Der oder die Studierende ist in großer Zeitnot, weil der Abgabetermin einer Hausarbeit unmittelbar bevorsteht. Kreative Schreibübungen erscheinen ihm oder ihr nicht zielführend, sondern zeitraubend.

• Der oder die Studierende nimmt mit Erwartungen am Workshop teil (z. B. „et-was geboten bekommen“), die sich nicht mit dem Kursprogramm (z. B. ge-meinsam etwas erarbeiten) decken.

• Der Nutzen der kreativen Übung leuchtet dem oder der Studierenden nicht ein, etwa weil er oder sie davon ausgeht, dass nach den „spaßigen Übungen“ ohnehin harte wissenschaftliche Normen entscheidend sind und er oder sie diese Übungen daher als nicht authentisch wahrnimmt.

• Der oder die Studierende bringt die Art der Übungen nicht mit seinem oder ih-rem Selbstbild zusammen (z. B.: Warum sollen „echte Männer“ Märchen schreiben?)

• Der oder die Studierende hat Angst, den Aufgaben nicht gewachsen oder nicht kreativ genug zu sein. Oder es zeigen sich hier ähnlich gelagerte Hem-mungen/Versagensängste, mit dem Schreiben überhaupt anzufangen, wie diese auch beim Schreibprojekt auftauchen. Denn auch Schreibübungen er-fordern, dass mit dem Schreiben begonnen wird.

Um den betroffenen Kursteilnehmenden die Chance auf einen Nutzen durch die Wahrnehmung dieser Übungsangebote zu eröffnen, ist es erforderlich, ihren Wider-stand dagegen nicht zu ignorieren, sondern ernst zu nehmen und professionell mit ihm umzugehen.

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2. Raum geben

Um herauszufinden, welche Ursachen die Verweigerungshaltung von Betroffenen hat, ist es notwendig, dem Widerstand Raum zu geben. Das kann ich auf verschie-dene Weisen tun:

Zuhören: die betreffende Person fragen, woher ihre Ablehnung der kreativen Schreibübung gegenüber kommt und ein offenes Gespräch mit ihr führen.

Intervenieren: Auf die Ablehnung der Übung mit einer unerwarteten Erwiderung rea-gieren. Z. B. provozierend: „Ok. Dann lassen wir das jetzt mit den Übungen. Ich gebe Ihnen einfach hier die Checklisten mit und wir beenden das Seminar.“ Oder: „Ach so. Sie sind hierhergekommen, um von mir allgemeingültige Lösungen zu bekommen, die ihre Schreibprobleme mir nichts, dir nichts in Luft auflösen. Solche Lösungen ha-be ich aber gar nicht. Und was machen wir jetzt?“ (Damit die Intervention authentisch wirkt, sollten Kursleitende die Form derselben so wählen und gestalten, dass sie zu ihnen passt.)

Wünsche abfragen: Wenn kreative Schreibübungen nicht das sind, was sich Teil-nehmende erhofft hatten, konkret nachfragen: „Was haben Sie sich gewünscht? Mit welchen Erkenntnissen möchten Sie heute hier rausgehen? Was wäre ein echter Fortschritt für Ihr Schreiben?“ 3. Transparenz

Bei wissenschaftlichem Schreiben gibt es eine Gleichzeitigkeit wissenschaftlicher Normen und Regeln einerseits und persönlicher Gestaltungsfreiheit beim Schreiben andererseits. Mit diesem Spannungsfeld und den damit verbundenen Widersprüchen gilt es, transparent umzugehen, sie also zu kommunizieren und gegebenenfalls zu besprechen.

Auch haben wir als Lehrende oft gewisse inhaltliche Vorgaben, was wir in unserem Kurs vermitteln müssen. Das sollten wir den Teilnehmenden gleich zu Beginn deut-lich machen, indem wir unseren Kursablauf erklären. Der Spielraum, den wir für be-sondere Interessen von Teilnehmenden zur Verfügung haben, hängt vom Umfang der Vorgaben sowie unseren zeitlichen und fachlichen Ressourcen ab.

Für Teilnehmende in Verweigerungshaltung ist es sinnvoll, den Umfang der kreativen Schreibübungen innerhalb des Seminars deutlich zu machen. 4. Aussicht auf individuellen Nutzen deutlich machen

Bei der Ankündigung kreativer Schreibübungen kann es helfen, sich als Dozentin oder Dozent ausreichend Zeit zu nehmen, um den Nutzen der Übungen zu erklären.

Übungen können so ausgewählt, eingeführt und begleitet werden, dass sie für die Teilnehmenden einen möglichst konkreten Nutzen für ihr individuelles und aktuelles Schreibprojekt haben. Sofern sich Lehrende an dieser Grundidee orientieren, können sie dies den Teilnehmenden einleitend auch so vermitteln. Die Schreibübungen be-

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gegnen den Teilnehmenden dann nicht als kreative „Vorab-Arbeit“ – vor „der eigentli-chen Arbeit“ –, sondern als konkrete Arbeit an der „akuten“ Schreibaufgabe.

Manche Skepsis lässt sich außerdem in Neugier auflösen, wenn man anschaulich von vergangenen unerwarteten Erfahrungen anderer Teilnehmer oder Teilnehmerin-nen oder gar der eigenen in Zusammenhang mit dieser oder jener Schreibübung be-richtet. 5. Hinweis auf Freiwilligkeit: Angebot statt Verpflichtung

Wir schlagen außerdem vor, den Teilnehmenden deutlich zu machen, dass niemand zur Teilnahme an einzelnen Schreibübungen verpflichtet ist: Wir machen als Kurslei-tende nur Angebote, die man annehmen kann oder nicht. 6. Ausrichtung einiger Übungen auf die Erfahrungs- und Arbeitswelt der Teilnehmen-den

Zu Beginn des Kurses kann es sich anbieten, die spezielle Expertise der Teilneh-menden einzuholen, um den Schreibübungen einen entsprechenden „letzten Schliff“ zu verpassen. Auf diese Weise eröffnet man den Teilnehmenden die Möglichkeit, an der Gestaltung der Schreibübungen mitzuwirken und erreicht, dass sie sich diese mehr zu eigen machen, weil sie ihnen vertrauter vorkommen.

Dass nicht alle Schreibaufgaben für alle Schreibenden gleichermaßen stimmig und hilfreich sein werden, gilt es ebenfalls anzuerkennen und zu kommunizieren. Wichtig scheint uns aber auch, grundsätzlich zum Mitmachen und Ausprobieren zu motivie-ren: denn dadurch können Schreibende entdecken, ob diese oder jene Vorgehens-weise für sie hilfreich ist oder nicht.

Auch ehrlich von eigenen Erfahrungen mit Schreibübungen zu berichten, kann hel-fen, zum Ausprobieren zu motivieren. Dabei sollten sowohl positive wie negative Er-fahrungen zur Sprache kommen sowie das Erleben eigener Widerstände gegen die ein oder andere Schreibaufgabe.