20.1 Behandlung vonThrombosen - bilder.buecher.de · Thrombin-Hemmung kann durch Dabigatran erzielt...
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Prophylaxe und Therapie vonThrombosenNach einer Gefäßverletzung werden dieThrombozytenaggegration und das Gerin-nungssystem (▶Abb. 20.1A) aktiviert, um ausThrombozyten und Fibrin-Molekülen einen„Pfropf“ entstehen zu lassen, der die Verlet-zung abdichtet und die Blutung zum Stehenbringt (Hämostase). Die unnötige Bildung einesGerinnsels in einem Gefäß, eine Thrombose,kann lebensgefährlich sein: Entsteht das Ge-rinnsel auf einer arteriosklerotischen Verände-rung einer Koronararterie, droht ein Herz-infarkt; ein Thrombus in einer tiefen Beinvenekann sich ablösen, in Lungenarterien ge-schwemmt werden und durch deren Verstop-fung zu einer Lungenembolie führen; bei Vor-hofflimmern können sich Thromben in denHerzvorhöfen bilden, die in Gehirnarterien ge-spült werden und damit einen Schlaganfallauslösen.
Zur Prophylaxe von Thrombosen dienenPharmaka, die die Gerinnbarkeit des Blutes he-rabsetzen sowie Hemmstoffe der Aggregationvon Thrombozyten (S.166), welche besondersin Arterien an der Thrombus-Bildung beteiligtsind. Zur Therapie von Thrombosen sind Phar-maka einzusetzen, die das Fibringerinnsel auf-lösen: Fibrinolytika, sog. Plasminogenaktiva-toren (S.164).
Nach einer Endothelläsion heften sich imBlut zirkulierende Thrombozyten an die freilie-gende Extrazellulärmatrix, sie werden raschaktiviert und bilden in wenigen Minuten einnoch labiles, thrombozytenreiches Aggregat(▶Abb. 20.1A). Dieser Vorgang wird primäreHämostase genannt. Liegen Zellen der Gefäß-wand oder Gewebezellen frei, die den Gewebe-faktor („tissue factor“, TF) in ihrer Zellmem-bran enthalten, startet die sekundäre Hämo-stase. Hieran sind zahlreiche Proteine des plas-matischen Gerinnungssystems beteiligt, diez. T. mit den Thrombozytenaggregaten inter-agieren und dann die Gefäßwunde mit einemFibrin-Thrombus verschließen, den Faktor XIIIastabilisiert.
Die Gerinnungsfaktoren sind Protein-Mole-küle, die durch Abspaltung von Protein-Bruchstücken (außer bei Fibrin und den Kofak-toren Va und VIIIa) zu aktiven Proteasen umge-wandelt werden. Einige aktivierte Faktoren,darunter die Vitamin-K-abhängigen FaktorenII, VII, IX und X benötigen für ihre proteolyti-sche Aktivität die Gegenwart von Phospholipi-den (Pl) und von Ca2+-Ionen. Im Körper domi-niert die durch Gewebefaktor im Komplex mitFaktor VIIa vermittelte Aktivierung der Gerin-nungskaskade. Früher wurde dieser Weg als„extrinsisches System“ bezeichnet. Das „intrin-
sische System“, welches durch Faktor XIIa an-gestoßen wird, kann durch negativ geladeneendogene (z. B. Kollagene) oder künstlicheOberflächen (z. B. Glas, Kaolin) aktiviert wer-den. Bei erblichen Gerinnungsdefekten (z.B.Hämophilie) können Faktoren aus humanemPlasma oder rekombinante Faktoren, z.B. Octo-cog alfa, Turoctocog alfa, substituiert werden.
Der Ablauf der Blutstillung kann in vivo fol-gendermaßen gehemmt werden (▶Abb. 20.1A):1. Thrombozytenaggregationshemmer, z. B.
Acetylsalicylsäure oder Clopidogrel verhin-dern die Bildung eines plättchenreichenThrombus. Sie wirken vor allem im arteriel-len System und werden z. B. bei der Pro-phylaxe und Therapie von Herzinfarkten(S.328) eingesetzt.
2. Direkte Inhibitoren der Gerinnungs-kaskade hemmen die Proteaseaktivität derFaktoren Xa bzw. IIa (Thrombin).
3. Indirekte Faktor-Xa/IIa-Inhibitorenwirkenzum einen über die Verstärkung des phy-siologischen Hemmstoffs Antithrombin,s. Heparine (S.162), zum anderen vermin-dern Cumarin-Derivate (S.160) die Syn-these der γ-carboxylierten, aktivierbarenFaktoren II, VII, IX und X, indem sie derenCarboxylierung in der Leber hemmen.
Bei der Therapie von Thrombosen ist es not-wendig, zwischen arteriellen und venösenThromben zu unterscheiden. Arterielle Throm-ben sind Thrombozyten-Aggregationen aufWanddefekten, venöse Thromben Fibrin-Netz-werke, die an Stellen entstehen, an denen dasBlut zu langsam fließt oder stagniert.
▶ Direkte Hemmstoffe der Gerinnungskaska-de (▶Abb. 20.1B). Rivaroxaban und Apixa-ban sind selektive und reversible Inhibitorendes aktivierten Faktors Xa. Eine spezifischeThrombin-Hemmung kann durch Dabigatranerzielt werden, das als inaktive Estervorstufegegeben wird. Diese Inhibitoren werden zurVerhinderung von Venenthrombosen nachHüft- oder Kniegelenk-Ersatz sowie zur Pro-phylaxe von Schlaganfällen bei Vorhofflim-mern eingesetzt. Da Dabigatran vor allem renaleliminiert wird, muss die Nierenfunktionüberwacht werden, da bei Niereninsuffizienzder Plasmaspiegel und damit das Blutungsrisi-ko ansteigen können. Das Polypeptid Hirudinim Speichel des Blutegels (Hirudo medicinalis)hemmt die Gerinnung seines „Nahrungsmit-tels“ durch Blockade des aktiven Zentrums vonThrombin. Lepirudin und Bivalirudin sindgentechnisch hergestellte Analoga. Sie könnenbei Patienten mit heparininduzierter Throm-bopenie HIT II (S.162) bzw. bei akutem Koro-narsyndrom gegeben werden.
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A. Blutstillung und Fibrinolyse
B. Direkte Hemmstoffe der Gerinnungsfaktoren
N
O
O
N
O O HN
O
ClS
Faktor Xa-Inhibitoren
Rivaroxaban
Dabigatran-Etelixat (inaktive Vorstufe)
Ester-Spaltung
Dabigatran (aktiv)
EliminationNiere
Fibrinogen Fibrin
Xa
H2N
Thrombin-Inhibitoren
H2N
NO
O
NH N
N
O
N
N
O
O
H3C
H3CH3C
Hirudo medicinalis
Thrombin
Hirudin
Bivalirudin
Leucin Isoleucin
Thrombozyten-Aggregations-hemmer
Gefäßverletzung
extrinsischesSystem
TF
VIIa
IIa
Thrombozytenaggregation(primäre Hämostase)
Gerinnungskaskade (sekundäre Hämostase)
Fibrinolyse
Endothelzelle
Fibrinogen
Fibrin
VIIIa
IXa XIa XIIa
XIIIa
Vitamin-K-Antagonist
Plasminogen-Aktivatoren
Plasmin
Rivaroxaban
direkte Antikoagulanzien
DabigatranHirudin
indirekte Antikoagulanzien
Heparin
Thrombin
Va
Xa
Plasminogen
Anti-thrombin
IIa
intrinsischesSystem
Gerinnungs-faktor
Abb. 20.1
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▶ Hemmung der Synthese Vitamin-K-abhän-giger Gerinnungsfaktoren. Vitamin K fördertin der Leber die Anknüpfung von Carboxyl-Gruppen an Glutaminsäure-Reste in den Vor-stufen der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX, X(▶Abb. 20.2A). Vitamin K ist ein Kofaktor desEnzyms γ-Glutamylcarboxylase und wird beider Reaktion zum Vitamin-K-Epoxid oxidiert.Die COOH-Gruppen sind für die Ca2+-vermit-telte Bindung an Phospholipide und die maxi-male Aktivierung der Blutgerinnung nötig. Vit-amin-K-Epoxid wird durch die Vitamin-K-Ep-oxidreduktase in zwei Schritten wieder zumVit.-K-Hydrochinon zurückgeführt, sodass eserneut als Kofaktor zur Verfügung steht. Es gibtverschiedene Vit.-K-Derivate unterschiedlicherHerkunft: Vit. K1 (Phytomenadion) in Grün-pflanzen, Vit. K2 von Darmbakterien, Vit. K3(Menadion) chemisch hergestellt. Alle sind hy-drophob und benötigen Gallensäure zur Re-sorption aus dem Darm.
Orale Antikoagulanzien. Die mit Vit. K struk-turell verwandten 4-Hydroxycumarine greifenals „falsches Vit. K“ in dessen Reaktionswegein. Hydroxycumarine hemmen die Vit.-K-Ep-oxidreduktase und erzeugen so einen Mangelan aktivem Vit. K. Neben Phenprocoumon (Eli-minationshalbwertszeit 2–5 Tage) stehen auchWarfarin (HWZ 1–2 Tage) und Acenocoumarol(2–6 h) zur Verfügung.
Cumarine werden nach oraler Gabe gut re-sorbiert. Ihre Wirkungsdauer unterscheidetsich erheblich. Die Gerinnungsfaktor-Synthesehängt von dem in den Leberzellen herrschen-den Konzentrationsverhältnis zwischen Vit. Kund den Cumarinen ab. Die für eine ausrei-chende Gerinnungshemmung notwendige Do-sis muss für jeden Patienten individuell gefun-den werden. Die Überwachung der Therapieerfolgt durch Kontrolle des INR-Wertes: Inter-national Normalized Ratio, hat den früher ver-wendeten Quickwert abgelöst.
▶ Indikationen. Hydroxycumarine dienenzur Thromboembolie-Prophylaxe bei entspre-chender Gefährdung, z. B. bei Vorhofflimmernoder nach Herzklappenersatz.
Die wichtigste unerwünschte Wirkung isteine Blutung. Bei dieser kann den Cumarinendurch Vit.-K1-Gabe entgegengewirkt werden;die Gerinnbarkeit des Blutes normalisiert sichjedoch erst nach Stunden oder Tagen, wenndie von der Leber wieder aufgenommene Syn-these carboxylierter Gerinnungsfaktoren einenausreichenden Anstieg der Blut-Konzentrationnach sich gezogen hat. In dringlichen Fällenmüssen daher die fehlenden Gerinnungsfak-toren zugeführt werden (z. B. als Frischblutoder Faktoren [Prothrombin]-Konzentrat).
Andere bemerkenswerte Nebenwirkungensind: hämorrhagische Hautnekrosen am Be-ginn der Therapie sowie Haarausfall; währendder Schwangerschaft gegeben, können sie beimFöten Knorpel- und Knochenbildung störenund ZNS-Schäden (infolge Blutungen) aus-lösen; ferner besteht die Gefahr von retropla-zentaren Blutungen.
Arzneimittel- undNahrungsinterferenzenDie Einstellung eines Patienten auf ein Hydro-xycumarin ist eine Gratwanderung zwischender Blutungsgefahr bei zu starker Wirkung undder Thrombose-Gefahr bei zu geringem Effekt(▶Abb. 20.2B). Nach erfolgreicher Einstellungauf eine bestimmte Dosierung kann ein „Ab-sturz“ in die eine oder andere Richtung erfol-gen, wenn Störfaktoren nicht berücksichtigtwerden. Ändert der Patient seine Ernährungs-gewohnheiten und verzehrt vermehrt Grünge-müse, so bekommt Vit. K ein Übergewicht ge-genüber dem Vitamin-K-Antagonisten. Wer-den die Vit.-K-produzierenden Darmbakterienim Rahmen einer antibakteriellen Therapie ge-schädigt, kann der Vit.-K-Antagonist Überhandgewinnen. Arzneistoffe, die die hepatische Bio-transformationskapazität im Sinne der Enzym-induktion (S.54) erhöhen, können die Elimina-tion eines Hydroxycumarins beschleunigenund so seinen Blutspiegel senken. Hemmstoffeder hepatischen Biotransformation (z. B. Azol-Antimykotika) steigern die Hydroxycumarin-Wirkung. Neben den pharmakokinetischen In-terferenzen sind pharmakodynamische Wech-selwirkungen zu beachten. So ist Acetylsalicyl-säure für den Patienten kontraindiziert, dennerstens wirkt sie als Hemmstoff der Thrombo-zytenaggregation verzögernd auf die Blutstil-lung und zweitens kann sie zu einer Schädi-gung der Magenschleimhaut mit Gefäßarrosio-nen führen.
Vitamin-K-Antagonisten sind sehr wirk-same Pharmaka: Sie reduzieren das Risikoeines Schlaganfalls bei chronischem Vorhof-flimmern um bis zu 60%. Die korrekte Dosie-rung kann mittels INR-Wert im Labortest kon-trolliert werden. Bei Überdosierung oder Blu-tungen stehen Vitamin K und Faktorenkonzen-trat als Antidota zur Verfügung. Aufgrund dervielen möglichen Wechselwirkungen(▶Abb. 20.2B) ist die Therapie jedoch nur bei50–60% der Patienten korrekt eingestellt. Obdie direkten Thrombin- bzw. Faktor-Xa-Hem-mer ein besseres Nutzen-Risiko-Profil (S.24)zeigen, müssen weitere klinische Studien zei-gen.
20.2 Vitamin-K-Antagonisten und Vitamin K20
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–––––
Vitamin-K-Epoxidreduktase
CH3
O O
OH
H
–
++Ca
COO–
COO–
–
COO–
II, VII, IX, X
HOOC
HOOCCH CH2
NH2
CH
C
O
Vit. K2 Vit. K3Vit. K1
B. Interferenzmöglichkeiten
A. Hemmung Vitamin-K-abhängiger Gerinnungsfaktoren
Carboxylierung von Glutaminsäure-Resten
Vitamin-K-Hydrochinon
Vitamin-K-AntagonistenPhenprocoumon
Blutgerinnunggehemmt
nicht-γ-carboxylierterGerinnungsfaktor
γ-carboxylierterGerinnungsfaktor
Ca2+-KomplexierungCitratEDTAnur in vitro
Vitamin-K-Epoxid
Vermehrte AufnahmeVitamin-K-reicher Nahrungsmittel
Schädigung der Vitamin-K-produzierenden Darmbakterien durch Antibiotika
Steigerung
Vitamin-K-Wirkung
Verminderung
SteigerungVerminderung
Hydroxycumarin-Wirkung
Hemmung der enteralen Cumarin-Resorption durch Adsorbenzien, z.B. Antazida, Carbo medicinalis
Hemmung des hepatischen Cumarin-Abbausz. B. durch Cimetidin, Metronidazol
optimale EinstellungThrombose-Gefahr Blutungs-Gefahr
Förderung des hepatischen Cumarin-Abbaus: Enzyminduktion, z. B. durch Carbamazepin, Rifampicin
γ-Glutamyl-carboxylase
Abb. 20.2
20.2 Vitamin-K-Antagonisten und Vitamin K
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Heparin▶ Herkunft und Struktur. Heparin(▶Abb. 20.3A) kann aus der Darmmukosa vonSchweinen gewonnen werden. Dort liegt es(zusammen mit Histamin) in den Vesikeln vonMastzellen gespeichert vor. Heparin-Molekülesind Ketten aus Aminozuckern, die –COO–-und –SO3
–-Gruppen tragen. Die Kettenlänge istnicht konstant, die gerinnungshemmendeWirksamkeit hängt jedoch von der Kettenlängeab. Zur Standardisierung wird die Wirksamkeitunter Bezug auf ein Vergleichspräparat in in-ternationalen Einheiten (I.E.) angegeben. DasMolekulargewicht liegt bei unfraktioniertemStandardheparin zwischen 4000 und 40000mit einem Häufigkeitsgipfel um 15000. Dasniedermolekulare, fraktionierte Heparin lässtsich durch Spaltung von nativem Heparin her-stellen, die Molekülgröße ist weniger hetero-gen, das mittlere Molekulargewicht beträgt5 000 (z. B. Certoparin, Dalteparin, Enoxapa-rin). Das synthetische Fondaparinux (Mol.-Gew. 1728) gleicht dem für die Wirkung essen-ziellen Pentasaccharid-Grundbaustein von He-parin. Die zahlreichen negativen Ladungensind in mehrfacher Hinsicht wichtig:1. Sie tragen zur Komplexbildung mit Anti-
thrombin bei, worauf die gerinnungs-hemmende Wirkung beruht.
2. Die negativen Ladungen sind an der Zusam-menlagerung mit dem Heparin-InaktivatorProtamin beteiligt (polykationisches Proteinaus Lachs-Sperma).
3. Wegen seiner schlechten Membrangängig-keit muss Heparin injiziert werden.
▶ Wirkungsmechanismus. Antithrombin istein im Blut kreisendes Glykoprotein, das akti-vierte Gerinnungsfaktoren zu hemmen ver-mag. Antithrombin besetzt und blockiert irre-versibel dessen aktives Zentrum. Heparinwirkt gerinnungshemmend, weil es die Ge-schwindigkeit der Anlagerung von Antithrom-bin an den aktiven Gerinnungsfaktor um mehrals das 1000-fache steigert. Zur Inaktivierungvon Thrombin muss das Heparin-Molekülgleichzeitig mit dem Faktor und Antithrombin
in Kontakt treten. Bei Faktor Xa hingegenreicht die Kontaktaufnahme zwischen Heparinbzw. Fondaparinux und Antithrombin aus, umdie Beschleunigung der Inaktivierung zu erzie-len.
▶ Indikationen. Heparin dient zur Prophyla-xe und Therapie von Thrombosen. Zur Prophy-laxe genügen niedrige Dosierungen, die sub-kutan injiziert werden. Standardheparin mussetwa 3-mal tgl. gespritzt werden, bei fraktio-niertem Heparin und Fondaparinux kann 1-mal tgl. ausreichen. Bei vorhandener Thrombo-se muss Heparin in einer höheren Tagesdosisintravenös infundiert werden. Wird unfraktio-niertes Heparin im Rahmen einer Operation(z. B. zur Gerinnungshemmung bei OP mitHerzlungenmaschine) oder bei Herzkatheter-untersuchungen eingesetzt, kann seine Wir-kung nach Ende der Maßnahme vollständigdurch Protamin aufgehoben werden. Die Wir-kung von niedermolekularen Heparinen oderFondaparinux lassen sich nur schlecht bzw.nicht mit Protamin aufheben.
▶ Nebenwirkungen. Bei Therapie mit Hepa-rin muss mit Blutungen gerechnet werden. Dieheparininduzierte Thrombozytopenie vom TypII („HIT II“) ist eine weitere gefährliche Neben-wirkung (▶Abb. 20.3B). Sie beruht auf der Bil-dung von Antikörpern, die sich mit dem ge-bundenen Heparin auf Blutplättchen nieder-schlagen. Die Thrombozyten aggregieren undführen zu Gefäßverschlüssen. Wegen derThrombozytopenie können Blutungen hin-zukommen. Das Risiko für eine HIT II ist nachAnwendung unfraktionierter Heparine etwa10-fach größer als nach niedermolekularenHeparinen oder Fondaparinux. Tritt eine HIT IIauf, muss Heparin sofort abgesetzt werdenund die Therapie kann mit einem Hirudin-De-rivat fortgeführt werden (S.158).
Das Heparinoid Heparansulfat liegt im Arz-neistoff Danaparoid vor. Es handelt sich umKetten, die aus dem farbig unterlegten Teil desHeparin-Moleküls aufgebaut sind. Die Wir-kung ist AT-III-vermittelt.
20.3 Heparin20
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Gefahr der heparin-induziertenThrombopenie II
O
HN SO3–
CH2 OSO3–CH2 OSO3
–
OOH
O
HN C CH3
O
OCOO–
OH
OH
OO
CH2 OSO3–
OSO3–
HN SO3–
OOHCOO–
OSO3–
OO
OHO O
B. Heparin-induzierte Thrombozytopenie Typ II
A. Heparine. Herkunft, Struktur, Wirkungsmechanismus
MastzellePentasaccharid-Grundbaustein von Heparin
(= Fondaparinux)
aktivierterGerinnungs-faktor
vollständig
Antithrombin
FondaparinuxMW 1728
~1x tägl. s.c.
StandardheparinunfraktioniertmittleresMW ca. 15000
~3x tägl. s.c.
niedermolekularesHeparinfraktioniertmittleresMW ca. 5000
IIaThrombin
Heparin beschleunigtAntithrombin-Wirkung
Xa Xa
~1x tägl. s.c.
AntikörperHeparin
Blutplättchen
Plättchen-aggregation
Thrombo-embolie
Antidot Protamin
Antagonisierung
30–70% gering
ca. 3%ca. 0,3% Einzelfälle
(auch Xa)
Abb. 20.3
20.3 Heparin
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FibrinolytikaDas Fibrinnetzwerk eines Blutgerinnsels kanndurch Plasmin gespalten werden. Plasmin isteine Protease, die nicht nur Fibrin, sondernauch Fibrinogen und andere Proteine spaltenkann. Plasmin entsteht aus der im Blut vorhan-denen Vorstufe Plasminogen. Unter physiologi-schen Bedingungen wird eine Spezifität derPlasmin-Wirkung für Fibrin unter anderem da-durch erreicht, dass die Aktivierung bevorzugtam Fibringerinnsel stattfindet.
Der Gewebs-Plasminogen-Aktivator („tis-sue plasminogen activator“ = t-PA) wird vonEndothelzellen bei einem Stocken des Blutflus-ses in die Blutbahn abgegeben. Diese Proteasebesitzt neben dem katalytischen Zentrum wei-tere funktionelle Domänen, darunter solchefür die Anbindung an Fibrin. Im Kontakt mit Fi-brin ist die Aktivität zur Umwandlung vonPlasminogen in Plasmin vielfach höher als imströmenden Blut. Auch Plasminogen enthälteine Domäne zur Bindung an Fibrin.
Als Fibrinolytika werden die therapeutischverfügbaren Plasminogen-Aktivatoren be-zeichnet. Sie werden intravenös angewandt beiHerzinfarkt, Schlaganfall, tiefen Beinvenen-thrombosen, Lungenembolien und anderenthrombotischen Gefäßverschlüssen. Eine Eröff-nung des verschlossenen Gefäßes ist umsobesser zu erreichen, je rascher nach eingetrete-ner Thrombose mit der Behandlung begonnenwird.
Mit der erwünschten Wirkung ist als wich-tigste Nebenwirkung die Blutungsgefahr ver-bunden, denn neben dem intravasalen Fibrin-gerinnsel, das den Thrombus bildet, werdenauch Fibringerinnsel, die dem Verschluss vonGefäßwanddefekten dienen, aufgelöst. Darüberhinaus besteht unter der Gabe von Fibrinolyti-ka die Gefahr der Spaltung des im Blut kreisen-den Fibrinogens und anderer Gerinnungsfak-toren („systemischer lytischer Zustand“).
Streptokinase ist das am längsten verfüg-bare Fibrinolytikum. Sie ist selbst nicht enzy-matisch wirksam; erst nach Bindung einesPlasminogen-Moleküls entsteht ein plasmino-genaktivierender Komplex. Streptokinasestammt aus Streptokokken. Streptokinase-An-tikörper können als Folge von früher durch-gemachten Streptokokken-Infektionen vorhan-
den sein und zu Unverträglichkeitsreaktionenführen.
Urokinase ist ein körpereigener Plasmino-gen-Aktivator, der in verschiedenen Organenvorkommt. Die therapeutisch angewandteUrokinase wird aus menschlichen Nierenzell-kulturen gewonnen. Zirkulierende Antikörpersind nicht zu erwarten. Die Substanz ist teurerals Streptokinase und ebenfalls in ihrer Wir-kung nicht fibrinabhängig.
Alteplase ist ein gentechnisch hergestellter,rekombinanter Gewebs-Plasminogen-Aktiva-tor (rt-PA). Wegen der Herstellung in (den eu-karyonten) Ovarialzellen des chinesischenHamsters (CHO-Zellen) sind wie bei der nati-ven Substanz Kohlenhydratreste vorhanden.Die therapeutisch angewandte Dosis ist sohoch, dass Alteplase seine „Fibrin-Abhängig-keit“ der Wirkung verliert und auch zirkulie-rendes Plasminogen aktiviert. Alteplasescheint bei frischem Herzinfarkt zu besserenErgebnissen zu führen als Streptokinase.
Tenecteplase ist eine Variante der Alteplase,die durch 6 Punktmutationen so verändertwurde, dass die Plasmahalbwertszeit erheblichverlängert ist (HWZ Tenecteplase 20min, Alte-plase 3–4min). Tenecteplase wird nach demKörpergewicht dosiert und in einer intravenö-sen Bolusinjektion appliziert.
Reteplase ist eine Deletionsvariante vont-PA, welcher Fibrinbindedomänen fehlen unddie (wegen der Herstellung im prokaryontenE. coli) auch keine Oligosaccharid-Seitenkettenbesitzt. Sie wird langsamer eliminiert als Alte-plase. Während Alteplase infundiert wird,kann Reteplase deshalb in Form von zweiBolusinjektionen im Abstand von 30min zuge-führt werden.
Erwähnt sei hier noch ein direkt wirksamesPlasminanalogon: Ocriplasmin, in den Aug-apfel injiziert, soll schädliche Proteinbrückenzwischen Glaskörper und Netzhaut (vitreoma-kuläre Traktion) auflösen, die bei Älteren auf-treten können.
▶ Plasmin-Inhibitoren. Tranexamsäure undp-Aminomethylbenzoesäure (PAMBA) sindPlasmin-Inhibitoren, die bei Blutungskompli-kationen vorteilhaft sein können. Sie entfalteneinen Hemmeffekt über die Besetzung der Fi-brinbindestelle von Plasminogen bzw. Plasmin.
20.4 Fibrinolytika20
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NH2
COOH
A. Fibrinolytika
Urokinase
menschl. Nierenzellkultur
t-PA:Gewebs(tissue)-Plasminogen-Aktivator
Endothel
Streptokinase
Plasminogen-Aktivatoren
Alteplase = rekombinanter t-PA
CHO-Zellen
aktives Zentrum
cDNAStreptokokken
Antikörper von früheren Infektionen
Reteplase =nichtglykosylierteVariante des t-PA
E. coli
verkürzte cDNA
Fieber, Schüttelfrost, Inaktivierung
Tenecteplase = t-PA mit 6 Aminosäure-Mutationen
PlasminPlasminogen
Fibrin
Fibrinolyse
t-PA
Plasmin-Inhibitor
Tranexamsäure
Blockade der Fibrin-bindestelle vonPlasminogen/Plasmin
Abb. 20.4
20.4 Fibrinolytika
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Hemmstoffe derThrombozytenaggregationBei einer Verletzung der Gefäßwand oder beieiner Funktionsbeeinträchtigung des Endo-thels (z. B. durch Hypertonie, erhöhte LDL-Spiegel im Plasma, unbehandelter Diabetesmellitus, Rauchen) können Thrombozyten ag-gregieren. Durch die Interaktion mit Von-Wil-lebrand-Faktor und Kollagen haften dieThrombozyten an der Gefäßwand (Adhäsion)und werden aktiviert. Diese Aktivierung lösteine Formveränderung der Thrombozyten ausund bewirkt die Sekretion der in den intrazel-lulären Granula gespeicherten Substanzen(z. B. ADP, Serotonin). Zusätzlich wird die Cy-clooxygenase COX-1 stimuliert, sodass aus Ara-chidonsäure Thromboxan A2 gebildet wird.Freigesetztes ADP und Thromboxan A2 aktivie-ren G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (P2Y12bzw. TP-Rezeptoren), die schließlich eine Kon-formationsänderung des Glykoproteins GP IIb/IIIa in der Plättchenmembran auslösen. So ge-winnt das Glykoprotein Affinität für Fibrinogenund kann Thrombozyten miteinander vernet-zen. Es bildet sich über einem Endotheldefektein Thrombus, der den Blutfluss behindertoder sogar das Gefäß verschließt (z. B. beimHerzinfarkt oder Hirninfarkt).
Die Neigung der Plättchen zur Aggregationkann durch verschiedene pharmakologischeMaßnahmen vermindert werden(▶Abb. 20.5A): Acetylsalicylsäure (ASS) schal-tet die COX-1-vermittelte Thromboxan-Syn-these aus. Niedrige Tagesdosierungen (75–100mg) können ausreichen. Indikationen sindz. B. die Re-Infarkt-Prophylaxe nach einemHerzinfarkt und die Vorbeugung eines Hirnin-farktes. Nebenwirkungen wie Magen-Schleim-haut-Schäden oder Provokation von Asthma-Anfällen sind trotz der niedrigen Dosierungnicht ausgeschlossen.
ADP-Rezeptor-Antagonisten hemmen dieADP-vermittelte Thrombozytenaggregation.Clopidogrel und die neuere Substanz Prasu-grel blockieren P2Y12-ADP-Rezeptoren irrever-sibel. Dadurch wird die durch ADP ausgelösteThrombozytenaggregation für die Lebensdauerder Thrombozyten (ca. 7–10 Tage) verhindert.Beide Substanzen sind inaktive Vorstufen, diein der Leber durch Cytochrom P450 in einenaktiven Metaboliten umgewandelt werden, dersich kovalent an den P2Y12-Rezeptor bindet(▶Abb. 20.5B). Ein großer Teil einer Clopido-grel-Dosis wird durch Esterasen inaktiviert,
seine Bioverfügbarkeit kann durch genetischeCYP-Polymorphismen beeinflusst werden. Ti-cagrelor ist ein reversibler, kompetitiverP2Y12-Antagonist, der sofort wirksam ist undkeine Aktivierung in der Leber benötigt. ADP-Rezeptor-Antagonisten werden u. a. zur Ver-hinderung einer Stentthrombose und einesReinfarktes beim akuten Koronarsyndrom(S.328) eingesetzt.
▶ Antagonisten am Integrin Glykoprotein IIb/IIIa. Die verfügbaren Stoffe eignen sich nurfür die parenterale Zufuhr und werden unterklinischen Bedingungen bei einer perkutanenkoronaren Ballondilatation sowie bei instabilerAngina pectoris angewandt. Sie blockieren dasFibrinogen-Bindeprotein und vermindern da-mit unabhängig von der auslösenden Ursachedie Vernetzung der Thrombozyten unterei-nander mittels des Fibrinogens. Abciximab istein chimäres Fab-Antikörperfragment gegenGP-IIb/IIIa-Protein. Kompetitive Antagonistenan der Fibrinogen-Bindungsstelle sind Tirofi-ban und Eptifibatid. Da Abciximab lange anGP IIb/IIIa haftet, dauert es Tage, bis die Plätt-chenaggregation wieder möglich ist. Die Effek-te von Eptifibatid und Tirofiban sind hingegeninnerhalb weniger Stunden abgeklungen. Dadie GP-IIb/IIIa-Antagonisten die gemeinsameEndstrecke der Plättchenaktivierung hemmen,besteht die Gefahr der Auslösung von Blutun-gen während der Therapie.
Präsystemische Wirkung vonAcetylsalicylsäure (ASS)
Die Hemmung der Plättchenaggregation durchASS entsteht durch eine Acetylierung(▶Abb. 20.5B) und damit Blockade der throm-bozytären Cyclooxygenase (COX-1). Die Spezi-fität dieser Reaktion kommt dadurch zustande,dass die irreversible Acetylierung dieses En-zyms bereits im Blut des Splanchnikus-Gebie-tes, also vor dem Erreichen der Leber, stattfin-det. Da ASS einer ausgeprägten präsystemi-schen Deacetylierung unterliegt, werden dieCyclooxygenasen, die posthepatisch lokalisiertsind (wie z. B. in den Endothelzellen), kaumbeeinträchtigt. Die Beschränkung der Acetylie-rung auf die Cyclooxygenase der Plättchenwird noch weiter dadurch verstärkt, dass nor-male kernhaltige Zellen das Enzym nachsyn-thetisieren, die kernlosen Thrombozyten diesjedoch nicht können.
20.5 Hemmstoffe der Thrombozytenaggregation20
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COX1
O
CH3O C
SerP2Y12
ss
P2Y12
TPP2Y12
COX1
ADP
CH3
Thrombus-bildung
Esterase
CYP450
B. Hemmung der Thrombozytenaggregation durch ASS und ADP-Rezeptor-Antagonisten
A. Hemmstoffe der Thrombozytenaggregation
Acetyl-salicylsäurein niedrigerDosis
Magen
aktiver Metabolit
Leber
Salicylsäure
Acetylierung
Gefäß
irreversibleHemmung
aktivierbarerThrombozyt
irreversibleHemmung
Clopidogrel-/Prasugrel-Metabolit
Clopidogrel
ClopidogrelPrasugrel
Ticagrelor
reversibleHemmung
GPIIb/IIIa
Fibrinogen
ADP-Rezeptor-Antagonisten
ASS
Abciximab,ein Fab-Fragment
Tirofiban,nicht peptidisch
Eptifibatid,ein Peptid
GPIIb/IIIa-Antagonisten
Clopidogrel,irreversibel
Throm-boxan A2
COX-Inhibitor
Endothel-Defekt 1. Adhäsion 2. Aktivierung
3. AggregationPrasugrel,irreversibel
Ticagrelor,reversibel
reversibel
irreversibel
Prasugrel
inaktiverClopidogrel-Metabolit
N
S Cl
OO
N
F
HN
N
N
NN
S
OH
OOH
HO
F
Abb. 20.5
20.5 Hemmstoffe der Thrombozytenaggregation
20Antithrombo
tika
167
Lüllmann/Mohr/Hein, Taschenatlas Pharmakologie (ISBN 9783137077077), © 2015 Georg Thieme Verlag KG