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71 Neue Thrombozytenaggregationshemmer und Antikoagulantien – Konsequenzen für die Anästhesie W. GOGARTEN Das individuelle Thromboembolierisiko variiert in Abhängigkeit von der Größe und Art des operativen Eingriffs (expositionelle Risikofaktoren) sowie den indivduellen dispo- stionellen Risikofaktoren. Das Risiko beträgt ohne eine medikamentöse Thromboembo- lieprophylaxe je nach Eingriffsart 10-80 %. Thrombosen stellen damit die zweithäufig- sten Komplikation sowie die dritthäufigste Todesursache postoperativ dar. Bei den opera- tiven (expositionellen) Risiken wird generell zwischen einem niedrigen, mittleren und hohen Thromboembolierisiko unterschieden. Niedriges Risiko: kleinere Eingriffe ohne größeren Weichteilschaden und ohne dispositionelle Risiken. Eine medikamentöse Thromboembolieprophylaxe ist nicht erforderlich. Mittleres Risiko: Länger andauernde Operationen, postoperative Immobilisation, abdominelle und uro- logische oder gynäkologische Operationen ohne Tumor. Eine medikamentöse Throm- boseprophylaxe ist erforderlich, niedermolekulare Heparine sollten den unfraktionier- ten Heparinen vorgezogen werden. Hohes Risiko: Elektiver Hüft- oder Kniegelenksersatz, Polytrauma, Schenkelhalsfrakturen, Tumor- operationen, größere thorakale oder abdominelle Operationen, Wirbelsäulen- oder Beckenoperationen. Die medikamentöse Thromboseprophylaxe sollte bevorzugt mit niedermolekularen Heparinen oder Fondaparinux erfolgen. Für alle Patienten gilt, dass Basismaßnahmen wie eine Frühmobilisation sinnvoll sind und angewendet werden sollten. Das Vorliegen dispositioneller Risikofaktoren kann eine medikamentöse Thromboseprophylaxe auch bei Eingriffen mit geringem expositionellen Risiko erforderlich machen. Umgekehrt spielen dispositionelle Risiken bei Patienten, bei denen bereits ein hohes expositionelles Risiko besteht, keine Rolle, da sich an der Art und Dosis der medikamentösen Thromboseprophylaxe nichts ändert. Zu den dispositionellen Risikofaktoren gehören Thrombophilie, Hämostasedefekte Frühere Thrombosen/Lungenembolien Maligne Erkrankungen Alter über 60 Jahre Positive Familienanamnese Chronische Herzinsuffizienz Akute Infektionen, Entzündungen Therapie mit oder Blockade von Sexualhormonen Schwangerschaft, Peripartalperiode Chronisch venöse Insuffizienz, Varikosis Nephrotisches Syndrom Zur Thromboseprophylaxe ist eine Vielzahl von Substanzen zugelassen, wobei für nieder- molekulare Heparine die meiste Erfahrung besteht. Im Vergleich mit unfraktionierten Heparinen bieten niedermolekulare Heparine zahlreiche Vorteile. Die Bioverfügbarkeit ist höher, die Substanzen sind aufgrund einer fehlenden Bindung an Akut-Phase-Proteine

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Neue Thrombozytenaggregationshemmer und Antikoagulantien – Konsequenzen für die Anästhesie

W. GoGarten

Das individuelle Thromboembolierisiko variiert in Abhängigkeit von der Größe und Art des operativen Eingriffs (expositionelle Risikofaktoren) sowie den indivduellen dispo-stionellen Risikofaktoren. Das Risiko beträgt ohne eine medikamentöse Thromboembo-lieprophylaxe je nach Eingriffsart 10-80 %. Thrombosen stellen damit die zweithäufig-sten Komplikation sowie die dritthäufigste Todesursache postoperativ dar. Bei den opera-tiven (expositionellen) Risiken wird generell zwischen einem niedrigen, mittleren und hohen Thromboembolierisiko unterschieden.

• Niedriges Risiko:kleinere Eingriffe ohne größeren Weichteilschaden und ohne dispositionelle Risiken. Eine medikamentöse Thromboembolieprophylaxe ist nicht erforderlich.

• Mittleres Risiko:Länger andauernde Operationen, postoperative Immobilisation, abdominelle und uro-logische oder gynäkologische Operationen ohne Tumor. Eine medikamentöse Throm-boseprophylaxe ist erforderlich, niedermolekulare Heparine sollten den unfraktionier-ten Heparinen vorgezogen werden.

• Hohes Risiko:Elektiver Hüft- oder Kniegelenksersatz, Polytrauma, Schenkelhalsfrakturen, Tumor-operationen, größere thorakale oder abdominelle Operationen, Wirbelsäulen- oder Beckenoperationen. Die medikamentöse Thromboseprophylaxe sollte bevorzugt mit niedermolekularen Heparinen oder Fondaparinux erfolgen.

Für alle Patienten gilt, dass Basismaßnahmen wie eine Frühmobilisation sinnvoll sind und angewendet werden sollten. Das Vorliegen dispositioneller Risikofaktoren kann eine medikamentöse Thromboseprophylaxe auch bei Eingriffen mit geringem expositionellen Risiko erforderlich machen. Umgekehrt spielen dispositionelle Risiken bei Patienten, bei denen bereits ein hohes expositionelles Risiko besteht, keine Rolle, da sich an der Art und Dosis der medikamentösen Thromboseprophylaxe nichts ändert.

Zu den dispositionellen Risikofaktoren gehören• Thrombophilie, Hämostasedefekte• Frühere Thrombosen/Lungenembolien• Maligne Erkrankungen• Alter über 60 Jahre• Positive Familienanamnese• Chronische Herzinsuffizienz• Akute Infektionen, Entzündungen• Therapie mit oder Blockade von Sexualhormonen• Schwangerschaft, Peripartalperiode• Chronisch venöse Insuffizienz, Varikosis• Nephrotisches Syndrom

Zur Thromboseprophylaxe ist eine Vielzahl von Substanzen zugelassen, wobei für nieder-molekulare Heparine die meiste Erfahrung besteht. Im Vergleich mit unfraktionierten Heparinen bieten niedermolekulare Heparine zahlreiche Vorteile. Die Bioverfügbarkeit ist höher, die Substanzen sind aufgrund einer fehlenden Bindung an Akut-Phase-Proteine

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besser steuerbar und das Risiko einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie ist geringer. Obwohl niedermolekulare Heparine (NMH) bei mittlerem Risiko den unfraktionierten Heparinen (UFH) nicht überlegen sind, sollten sie unter Berücksichtigung von Nutzen, Blutungsrisiko und Reduktion des Risikos einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie den unfraktionierten Heparinen vorgezogen werden. Für die einzelnen NMH gibt es keine vergleichenden Untersuchungen, ob eine Substanz der anderen überlegen ist. Das Risiko einer Akkumulation bei Niereninsuffizienz scheint jedoch bei Dalteparin (Fragmin®) etwas geringer zu sein als bei den anderen NMH. In der täglichen Anwendung ist Nadro-parin (Fraxiparin®) am aufwendigsten anzuwenden, da die Dosis zum einen vom Körper-gewicht abhängt, zum anderen die Dosis in den ersten 3 Tagen postoperativ niedriger als in den Folgetagen ist. So erhält z.B. ein 60 kg-Patient in den ersten 3 Tagen postoperativ 2850 iE, ab dem 4. postoperativen Tag 3800 iE; ein Patient mit mehr als 70 kg erhält in den ersten 3 Tagen 3800 iE, ab dem 4. postoperativen Tag 5700 iE. Substanzen mit einer einzelnen Dosis unabhängig vom Gewicht sowie einer einheitlichen Dosierung unabhängig vom postoperativen Tag sind aus Gründen der Praktikabilität vor-teilhaft. Werden unfraktionierte Heparine (UFH) zur Thromboseprophylaxe bei Patienten mit hohem Risiko eingesetzt, so sollte die Dosis so adjustiert werden, dass die aPTT im oberen Normbereich bzw. wenige Sekunden darüber liegt. Bei einer therapeutischen Anti-koagulation sollte die aPTT hingegen auf das 1,5-2fache verlängert sein.

Die aktuell zur Thromboseprophylaxe zugelassenen Substanzen finden sich in Tabelle 1, wobei jeweils zwischen der Dosierung bei mittlerem und hohem Risiko zur Thrombose-prophylaxe sowie der Dosierung bei einer therapeutischen Antikoagulation unterschieden werden muss. Wichtig ist, dass auch bei Operationen mit hohem Risiko und dem gleich-zeitigen Vorliegen dispositioneller Risiken die Dosis für das hohe Risiko nicht überschrit-ten sondern eingehalten wird. Eine Ausnahme stellt die Adipositas per magna (siehe unten) dar.

Mittleres Risiko Hohes Risiko Therapie

UFH 3 x 5000 iE s.c. aPTT-adjustiert s.c. aPTT-gesteuert

Enoxaparin 1 x 20 mg s.c. 1 x 40 mg s.c. 2 x 1 mg/kg s.c.

Dalteparin 1 x 2500 iE s.c. 1 x 5000 iE s.c. 2 x 100 iE/kg s.c.

Tinzaparin 1 x 3500 iE s.c. 1 x 5000 iE s.c. 1 x 175 iE/kg s.c.

Nadroparin 1 x 2850 iE s.c. 1 x 2850-5700 iE s.c. 2 x 3800-9500 iE s.c.

Certoparin 1 x 3000 iE s.c. 1 x 3000 iE s.c. 2 x 8000 iE s.c.

Reviparin 1 x 1750 iE s.c.

Fondaparinux 1 x 2,5 mg s.c. 1 x 2,5 mg s.c. 1 x 5-10 mg s.c.

Rivaroxaban 1 x 10 mg p.o.

Dabigatran 1 x 110/220 mg p.o.

Tab. 1: Aktuell zugelassene Substanzen zur medikamentösen Thromboseprophylaxe.

Beginn der medikamentösen Thromboseprophylaxe

Traditionell wird die medikamentöse Thromboseprophylaxe in Europa präoperativ begonnen, während der Beginn in den USA meist 24-48 Stunden postoperativ liegt. Das europäische Regime beruht auf der Vorstellung, dass die Thromboseentstehung intraope-rativ beginnt und der Patient somit bereits in dieser Phase geschützt sein muss. Hierbei wird nicht bedacht, dass niedermolekulare Heparine, die am Abend vor der Operation verabreicht werden, vorwiegend in der Nacht ihre Wirkung entfalten, während die anti-Xa-Aktivität bei nierengesunden Patienten am OP-Tag morgens nicht mehr nachweisbar

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ist, ein wirkungsvoller Schutz intraoperativ also nicht besteht. Es existiert nur eine ver-gleichende Studie zum präoperativen versus postoperativen Beginn für Dalteparin, bei der kein Unterschied in der Wirksamkeit nachgewiesen werden konnte [1]. Die aktuelle S3-Leitlinie aller Fachgesellschaften zur Thromboembolieprophylaxe gibt an, dass eine medikamentöse Thromboseprophylaxe zeitnah zur Risiko-verursachenden Situation verabreicht werden soll, der Beginn kann sowohl präoperativ als auch postope-rativ sein [2]. Für neurochirurgische Patienten sowie Patienten, die Acetylsalicylsäure erhalten, wird prinzipiell der postoperative Beginn empfohlen. Mit Fondaparinux, Dabi-gatran und Rivaroxaban stehen mittlerweile 3 Substanzen zur Verfügung, die ausschließ-lich für den postoperativen Beginn zugelassen sind. Im klinischen Alltag wird es schwie-rig sein, die von den Herstellern empfohlenen unterschiedlichen postoperativen Startzei-ten umzusetzen.

Fondaparinux

Fondaparinux wirkt über Inhibition von Faktor-Xa und ist sowohl zur Thromboembolie-prophylaxe als auch zur Therapie von tiefen Beinvenenthrombosen zugelassen. Der Pro-phylaxebeginn ist postoperativ, wobei wenigstens 6 Stunden zwischen OP-Ende und der ersten Gabe von Fondaparinux liegen sollten. Im Vergleich mit niedermolekularen Hepa-rinen kommt es bei Patienten mit Hüft- und Kniegelenkendoprothesen zu einer signifi-kanten Reduktion tiefer Beinvenenthrombosen, allerdings wird ein leicht erhöhtes Blu-tungsrisiko beobachtet [3]. Blutungskomplikationen können reduziert werden, wenn die erste Gabe auf mehr als 12 Stunden postoperativ verzögert wird [4]. Fondaparinux rea-giert nicht mit HIT-Antikörpern und wird zur Thromboembolieprophylaxe bei Patienten mit einer positiven HIT-II-Anamnese häufig eingesetzt, obwohl es in dieser Indikation nicht zugelassen ist. Dies gilt allerdings nur für die positive HIT-Anamnese, nicht für Patienten mit einer akuten HIT II, die therapeutisch antikoaguliert werden müssen (z.B. mit Argatroban).

Fondaparinux hat eine mit 17 Stunden lange Halbwertszeit und akkumuliert bei Patienten mit Niereninsuffizienz. Bei Patienten mit einer Kreatininclearance von 20-50 ml/min soll die Dosis von 2,5 mg auf 1,5 mg s.c. reduziert werden, bei einer Kreatininclearance unter 20 ml/min ist Fondaparinux kontraindiziert. Zur Therapie von tiefen Beinvenenthrombo-sen ist Fondaparinux vergleichbar wirksam wie unfraktionierte Heparine intravenös. Die therapeutische Dosis beträgt 5 mg s.c. bei einem Körpergewicht unter 50 kg, 7,5 mg bei einem Körpergewicht zwischen 50 und 100 kg, sowie 10 mg bei einem Körpergewicht über 100 kg.Untersuchungen zu Fondaparinux bei Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom zei-gen, dass Fondaparinux in prophylaktischer Dosierung (2,5 mg s.c.) die Rate an akuten kardiovaskulären Ereignissen und Stentthrombosen im Vergleich mit einer therapeuti-schen Gabe von Heparinen senkt. Gleichzeitig kommt es aufgrund der niedrigen Dosie-rung zu deutlich weniger Blutungen [5]. Der Einsatz von Fondaparinux ist in dieser Indikation deshalb empfehlenswert.

Neue orale Antithrombotika

Im Jahr 2008 wurden zwei neue oral anzuwendende Antithrombotika zur Thromboembo-lieprophylaxe bei Patienten mit Hüft- oder Kniegelenksersatz zugelassen, der direkte Thrombininhibitor Dabigatran (Pradaxa®) sowie der Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban (Xarelto®). In den Zulassungsstudien wurden mehrere Hundert Patienten mit rücken-marksnahen Regionalanästhesien eingeschlossen, jedoch überwiegend Single-shot-Spi-nalanästhesien. In Fällen einer Epiduralanästhesie wurden die Katheter vor der ersten

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Gabe von Dabigatran oder Rivaroxaban entfernt. Patienten erhielten eine der beiden Sub-stanzen nur, wenn die Punktion atraumatisch war und nicht mehr als 3 Punktionsversuche benötigt wurden, d.h. unter äußerst kontrollierten Bedingungen. Hieraus kann bisher noch keine Sicherheit im Umgang mit rückenmarksnahen Regionalanästhesien abgeleitet wer-den, so dass in der Anwendung Vorsicht geboten ist.

Dabigatran

Dabigatran ist ein direkter Thrombininhibitor, die orale Vorstufe Dabigatran Etexilat wird durch unspezifische Plasmaesterasen in die Wirksubstanz umgewandelt. Es wird in einer Dosierung von 110 mg am Operationstag erstmalig 1-4 Stunden nach OP-Ende, sowie 220 mg ab dem 1. postoperativen Tag eingesetzt. Bei Patienten mit einer Kreatininclearan-ce von 30-50 ml/min wird die Dosis auf initial 75 mg, gefolgt von 150 mg p.o. ab dem 1. postoperativen Tag reduziert. In den Zulassungsstudien war die postoperative Gabe von Dabigatran genauso wirksam wie der präoperative Beginn mit Enoxaparin in europä-ischer Dosierung [6], war jedoch der in den USA üblichen Dosierung von 2 x 30 mg Enoxaparin unterlegen. Die Halbwertszeit von Dabigatran ist mit 17 Stunden relativ lang, aufgrund der bevorzugten renalen Elimination ist mit einer erheblichen Akkumulation bei Patienten mit Niereninsuffizienz zu rechnen. Dabigatran führt bei normaler Nierenfunkti-on zu einer moderaten Verlängerung der aPTT, dieser Effekt ist bei eingeschränkter Nie-renfunktion wesentlich ausgeprägter [7]. Während eine routinemäßige Überwachung der Wirkung von Dabigatran nicht erforderlich ist, kann das Messen der aPTT oder der ECT zum Ausschluss einer Akkumulation bei Niereninsuffizienz sinnvoll sein. Wie bei den meisten Antithrombotika existiert kein spezifischer Antagonist.

Die Fachinfirmation von Dabigatran führt eine rückenmarksnahe Regionalanästhesie als Kontraindikation an, so dass aus medikolegalen Gründen auf die Gabe von Dabigatran bei liegendem Epiduralkatheter verzichtet werden sollte.

In höheren Dosierungen von 2 x 110 bis 2 x 150 mg hat Dabigatran eine vergleichbare bis überlegene Wirkung gegenüber Vitamin-K-Antagonisten bei Patienten mit Vorhofflim-mern, wobei mit der geringeren Dosierung weniger Blutungen als unter Warfarin beob-achtet wurden [8]. Die perioperativen Folgen einer oralen Antikoagulation mit Dabigatran in therapeutischer Dosierung sind noch nicht abschätzbar; im Vergleich mit Vitamin-K-Antagonisten ist von Vorteil die geringere Halbwertszeit, von Nachteil die fehlende Ant-agonisierbarkeit.

Rivaroxaban

Rivaroxaban wirkt über eine direkte Inhibition des Fakor Xa, die Ausscheidung erfolgt zu 66 % renal, der Rest wird hepatisch eliminiert; es ist deshalb im Vergleich mit anderen Antithrombotika mit einer geringeren Akkumulation bei Niereninsuffizienz zu rechnen. Die Halbwertszeit beträgt bei älteren Patienten 11-13 Stunden. Es ist zur Thrombosepro-phylaxe bei Patienten mit elektivem Hüft- oder Kniegelenksersatz zugelassen. Die erste Gabe von 1 x 10 mg erfolgt 6 bis 10 Stunden nach der Operation. Rivaroxaban führt im Vergleich mit Enoxaparin zu einer deutlichen Reduktion der Rate an Thromboembolien, ohne die Blutungsraten zu erhöhen [9]. Erste Studien zeigen eben-falls eine Überlegenheit im Vergleich mit niedermolekularen Heparinen und Kumarinen in der Therapie der tiefen Beinvenenthrombose [10]. Da mit der Gabe von Rivaroxaban erst postoperativ begonnen wird, bestehen bei rücken-marksnahen Regionalanästhesien zum Zeitpunkt der Punktion keine Bedenken. Mit Epi-duralkathetern bestehen bisher kaum Erfahrungen. Muss ein Epiduralkatheter während der Gabe von Rivaroxaban entfernt werden, so sollte mindestens 22-26 Stunden nach der

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letzten Gabe gewartet werden, die erneute Gabe von Rivaroxaban nach der Katheterent-fernung ist nach 4-6 Stunden möglich [11]. Das heißt, vor einer geplanten Katheterentfer-nung sollte eine Dosis von Rivaroxaban ausgelassen bzw. zeitlich verschoben werden. Auch für Rivaroxaban existiert kein spezifischer Antagonist. Eine Antagonisierung ist aber bei Dosierungen, wie sie zur Thromboseprophylaxe eingesetzt werden, auch nicht erforderlich.

Bestimmung der anti-Xa-Aktivität zur Überwachung der Thromboseprophylaxe

Die antithrombotische Wirkung von NMH, Fondaparinux, Danaparoid und Rivaroxaban kann mittels Bestimmung der anti-Xa-Aktivität überwacht werden. Auch wenn solche Bestimmungen nicht routinemäßig empfohlen werden, können sie bei eingeschränkter Nierenfunktion, bei adipösen Patienten sowie in der Intensivmedizin in Einzelfällen hilf-reich sein. Bei der Bestimmung muss die Art der Thromboembolieprophylaxe angegeben werden, der Zeitpunkt der Messung richtet sich nach der Fragestellung. Ist das Überprü-fen einer ausreichenden Wirksamkeit das Ziel, so sollte die anti-Xa-Aktivität bei NMH, Fondaparinux und Rivaroxaban nach 4 Stunden erfolgen, stellt sich die Frage nach einer potentiellen Akkumulation und sollen Talspiegel überprüft werden, so erfolgt die Mes-sung frühestens 12 Stunden nach der letzten Gabe bzw. kurz vor der nächsten Dosis.

Anti-Xa-Zielbereich 4 Stunden nach der Gabe:

• Thromboembolieprophylaxe 0,3-0,5 iE/ml• Therapeutische Antikoagulation 0,6-1,0 iE/ml

Thromboseprophylaxe bei Adipositas per magna

Bei bariatrischen Eingriffen zeigen Messungen der anti-Xa-Aktivität, dass übliche Dosie-rungen von NMH nicht zur gewünschten antithrombotischen Wirkung führen. Dies ist möglicherweise auf eine Beeinflussung der Resorption durch die Dicke der Hautschichten zurückzuführen. In einzelnen Fallserien wurde deshalb die Dosis empirisch um 50 % erhöht. In einer Dosierung von 7500 iE s.c. führt Dalteparin bei ca. 60 % aller Patienten mit einem BMI von 50 kg/m2 zu einer anti-Xa-Aktivität von 0,2-0,5 iE/ml, bei 30 % ist die gemessene anti-Xa-Aktivität zu niedrig, während insbesondere bei Patienten mit einem BMI unter 50 kg/m2 eine zu hohe anti-Xa-Aktivität beobachtet wurde [12]. In einer anderen Fallserie führte eine solche empirisch erhöhte Dosierung von NMH bei Patienten mit einem BMI von 48 kg/m2 im Gegensatz zur Standarddosierung bei zumindest der Hälfte der Patienten zu einer anti-Xa-Aktivität über 0,2 iE/ml [13].Das American College of Chest Physicians empfiehlt eine höhere Dosierung von NMH bei adipösen Patienten ohne nähere Angaben zu einem Body-Mass-Index-Grenzwert oder der Dosierung von NMH zu machen [14]. In Analogie bisheriger Fallserien sollte die Dosis um 50 % erhöht und ggfs. die anti-Xa-Aktivität zur Überwachung 4 Stunden nach der Gabe bestimmt werden.

Thromboseprophylaxe in der Intensivmedizin

Prinzipiell richtet sich die Notwendigkeit einer medikamentösen Thromboseprophylaxe in der Intensivmedizin nach den zugrunde liegenden Risiken und der Art des operativen Eingriffs, wobei aufgrund der zusätzlichen Immobilisation und Beatmung in der Regel ein hohes Thromboserisiko besteht. Dies bedeutet, dass alle Intensivtherapiepatienten

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eine medikamentöse Thromboseprophylaxe benötigen. Die Surviving Sepsis Campaign empfiehlt bei allen Sepsispatienten die Gabe von UFH oder NMH, wobei bei Hochrisiko-patienten NMH bevorzugt werden sollten [15]. Hierbei muss jedoch bedacht werden, dass NMH bei Niereninsuffizienz erheblich akkumulieren und bei einer Kreatininclearance unter 30 ml/min kontraindiziert sind, da es sonst zu vermehrten Blutungskomplikationen kommen kann. Ein weiteres Problem bei Intensivpatienten ist eine verminderte Resorpti-on bei Patienten, die Vasopressoren erhalten [16]. Werden NMH in diesen Situationen eingesetzt, so sollte die anti-Xa-Aktivität überwacht und ggfs. die Dosis adaptiert werden. Alternativ kann es bei hämodynamisch instabilen Patienten sinnvoll sein, die Thrombo-seprophylaxe mit unfraktionierten Heparinen intravenös durchzuführen bis keine Vaso-pressoren mehr notwendig sind. Einschränkend muss angemerkt werden, dass es für die intravenöse Heparinisierung zur Thromboembolieprophylaxe kaum Daten gibt. Die Ziel-aPTT liegt bei einer intravenösen Heparinisierung mit dem Ziel der Thromboemboliepro-phylaxe im Gegensatz zur therapeutischen Antikoagulation im Bereich der oberen Norm, dass heisst, die jeweilige aPTT sollte wenige Sekunden oberhalb des Referenzwertes für den Normbereich liegen.Die alleinige Gabe von UFH wird nur noch in wenigen Intensivstationen praktiziert, über 50 % aller deutschen Intensivstationen setzen zurzeit ausschließlich NMH ein, über 30 % verwenden sowohl NMH als auch unfraktionierte Heparine. Letzteres Vorgehen erscheint aus den oben angeführten Gründen sinnvoll [17].

Rückenmarksnahe Regionalanästhesie und medikamentöse Thromboembolie- prophylaxe Die Inzidenz von schwerwiegenden Komplikationen wie einem spinalen epiduralen Hämatom nach rückenmarksnahen Regionalanästhesien lässt sich aufgrund der Seltenheit des Ereignisses nicht anhand von prospektiven kontrollierten Studien, sondern nur anhand von Fallserien abschätzen, so dass von einer erheblichen Dunkelziffer ausgegangen wer-den muss. Ergebnisse der letzten Jahre weisen darauf hin, dass spinale epidurale Hämato-me wesentlich häufiger auftreten als bisher angenommen. So wird die Inzidenz nach Epiduralanästhesien mittlerweile auf 1: 2700 – 1: 18.000, nach Spinalanästhesien auf 1: 40.800 bis 1:156.000 geschätzt [18-20]. Das Risiko wird von der Art des chirurgischen Eingriffs, dem Alter und Geschlecht der Patienten, einer begleitenden Niereninsuffizienz, Schwierigkeiten bei der Punktion, dem Einführen oder Entfernen eines Epiduralkatheters sowie von der Gabe von Antithrombotika oder bestehenden Gerinnungsstörungen beein-flusst [21]. Die höchste Komplikationsrate wird bei weiblichen Patienten in der Orthopä-die sowie in der Gefäßchirurgie beobachtet, während junge Frauen in der Geburtshilfe mit 1:100.000 bis 1: 168.000 das geringste Risiko haben [20, 22, 23].

Da insbesondere die medikamentöse VTE-Prophylaxe sehr häufig mit spinalen epidura-len Hämatomen assoziiert ist, existieren seit langem Empfehlungen der nationalen Fach-gesellschaften und mittlerweile auch eine gemeinsame Europäische Empfehlung zum Einhalten von Zeitintervallen zwischen dem Zeitpunkt der medikamentösen VTE-Pro-phylaxe und einer rückenmarksnahen Punktion oder Katheterentfernung [11,24]. Diese Zeitintervalle beruhen auf der Pharmakokinetik der einzelnen Substanzen und sollen angeben, wann Talspiegel erreicht sind und somit von einer weitgehenden Normalisie-rung der Gerinnung ausgegangen werden kann. Es wird angenommen, dass das Einhalten der Zeitintervalle das Risiko von spinalen epiduralen Hämatomen reduzieren kann (Tabelle 2).

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Substanz Vor Punktion Nach Punktion/ Katheterentfernung

Kontrolle

Unfraktionierte Heparine 4 h 1 h Thrombozyten (aPTT)

NMH (Prophylaxe) 12 h 4 h Thrombozyten, (anti-Xa)

NMH (Therapie) 24 h 4 h

Fondaparinux (Prophylaxe) 36-42 h 6-12 h (anti-Xa)

Vitamin-K-Antagonisten INR < 1,4 nach Katheterentfernung INR

Hirudine 8-10 h 2-4h aPTT, ECT

Argatroban*** 4 h 2 h aPTT, ECT, ACT

Acetylsalicylsäure (100 mg) ****

keine keine

Clopidogrel 7 Tage nach Katheterentfernung

Dabigatran kontra-indiziert Nach Katheterentfernung (aPTT)

Rivaroxaban 22-26 h 4-6 h (anti-Xa)

Tab. 2: (nach [11]) * alle Zeitangaben beziehen sich auf Patienten mit einer normalen Nierenfunktion ** prophylaktische Dosierungen für NMH bei Hochrisikopatienten sind in Tabelle 2 aufgeführt *** verlängertes Zeitintervall bei Leberinsuffizienz**** NMH einmalig pausieren, kein NMH 36-42 h vor der Punktion oder der geplanten Katheterentfernung In der aktualisierten Version wurde Acetylsalicylsäure in niedriger Dosierung zur rücken-marksnahen Regionalanästhesie freigegeben, obwohl es keine Daten gibt, die die Sicher-heit dieses Vorgehens belegen. Diese Änderung wurde notwendig, da das Pausieren von Acetylsalicylsäure zu einem nicht vertretbaren Risiko für perioperative kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen oder einem implantierten Stent führt. Bei Patienten ohne Stentimplantation wurde bei perioperativem Absetzen von Acetylsalicylsäure eine kardiovaskuläre Ereignisrate von 10 % beobachtet, bei fortgesetz-ter Therapie betrug die Ereignisrate hingegen 2 % [25]. Die American Heart Association empfiehlt deshalb, bei allen Patienten mit koronarer Herzerkrankung, einem Metall- oder Medikamenten-freisetzenden Stent Acetylsalicylsäure lebenslänglich einschließlich der perioperativen Phase fortzuführen. Das Vorgehen ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abb. 1: Vorgehen nach perkutaner Koronarintervention mit oder ohne Stentimplantation (modifiziert nach [26]).

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Da bekannt ist, dass die Kombination von Heparinen mit Acetylsalicylsäure das Blutungs-risiko erhöhen kann, wird empfohlen, bei Patienten unter Acetylsalicylsäure, bei denen eine rückenmarksnahe Regionalanästhesie geplant ist, mit der Thromboseprophylaxe unabhängig von der gewählten Substanz erst postoperativ zu beginnen. Gleichermaßen sollte am Abend vor der geplanten Katheterentfernung die Thromboembolieprophylaxe einmalig ausgesetzt werden, um auch zum Zeitpunkt der Katheterentfernung die Kombi-nation aus Acetylsalicylsäure und Heparinen zu vermeiden (Abb. 2). Das American Col-lege of Chest Physicians empfiehlt, Zeitintervalle soweit möglich auch bei peripheren Nervenblockaden einzuhalten, um Hämatomen vorzubeugen und die perioperative Thromboembolieprophylaxe zusätzlich am Operationstag abends auszusetzen, wenn es zu einer blutigen oder traumatischen rückenmarksnahen Punktion gekommen ist [14].

Abb. 2: Vorgehen bei Patienten mit Acetylsalicylsäure und medikamentöser Thromboseprophylaxe (nach [24])

Thienopyridiene

Thienopyridiene inhibieren den ADP-Rezeptor von Thrombozyten und führen zu einer effektiveren Thrombozytenaggregationshemmung als Acetylsalicylsäure. Der am häufig-sten eingesetzte Vertreter dieser Gruppe ist Clopidogrel. Clopidogrel inhibiert den ADP-Rezeptor irreversibel, von einer Normalisierung der Thrombozytenfunktion ist 7 Tage nach Absetzen von Clopidogrel auszugehen. Aufgrund der intensiveren Thrombozytenag-gregationshemmung wurden im Gegensatz zu Acetylsalicylsäure bei Operationen schwe-re, transfusionspflichtige Blutungen beobachtet. Rückenmarksnahe Regionalanästhesien sind deshalb kontraindiziert.

Neue Thrombozytenaggregationshemmer

Neuere Thrombozytenaggregationshemmer sind Prasugrel und Ticagrelor. Bei Prasugrel handelt es sich wie bei Clopidogrel um ein Thienopyridin, das zu einem aktiven Metabo-liten umgewandelt werden muss, welcher die Thrombozytenfunktion irreversibel hemmt. Diese Konversion erfolgt rascher und ausgeprägter als bei Clopidogrel. Bei Patienten mit einer Stentimplantation wurde im Vergleich mit Clopidogrel eine geringere Rate an kar-diovaskulären Ereignissen und akuten Stentthrombosen beobachtet [27]. Die effektivere Thrombozytenaggregationshemmung führt jedoch auch zu einem deutlich höheren Blu-tungsrisiko, so dass von einer rückenmarksnahen Regionalanästhesie dringend abgeraten werden muss, wenn nicht ein Zeitintervall von 7-10 Tagen zwischen Absetzen von Prasu-grel und der Anästhesie möglich ist.

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Ein weiterer neuer Thrombozytenaggregationshemmer ist Ticagrelor. Die Thrombozyten-aggregationshemmung erfolgt über den ADP-Rezeptor ohne eine vorherige Metabolisie-rung. Die Wirkung von Ticagrelor ist schneller, ausgeprägter und mit einer geringeren Variabilität als die Wirkung von Clopidogrel. Die Wirkung von Ticagrelor ist reversibel mit einer Halbwertszeit von 48-72 h, die Gabe erfolgt zweimal täglich, 5 Tage nach Abset-zen wird eine normale Thrombozytenaggregation erreicht. Ticagrelor ist in der Vermei-dung kardiovaskulärer Ereignisse ebenfalls wirksamer als Clopidogrel, die Blutungsnei-gung etwas verstärkt [28]. Eine rückenmarksnahe Regionalanästhesie sollte frühestens 5 Tage nach Absetzen von Ticagrelor erfolgen.

Cilostazol

Cilostazol führt zu einer schwachen reversiblen Thrombozytenaggregationshemmung über noch nicht vollständig geklärte Wege. Zusätzlich führt es über eine Phosphodieste-rase-II-Hemmung zu einer Vasodilatation. Die Halbwertszeit beträgt 21 h, 42 h nach Absetzen ist von einer normalen Thrombozytenfunktion auszugehen [29]. Cilostazol wird von der ACCP als Therapie der Wahl bei Patienten mit Claudicatio intermittens empfoh-len, wenn eine operative Therapie nicht geeignet ist [30]. Das Risiko von perioperativen Blutungen kann aufgrund geringer Erfahrungen bisher nicht beurteilt werden.

Ein neuerer Einsatz von Cilostazol ist die Gabe nach koronarer Stentimplantation als sogenannte Triple-Therapie, d.h. Cilostazol wird zusätzlich zu Acetylsalicylsäure und Clopidogrel verabreicht. In bisherigen Studien wurde hierdurch eine Reduktion von kar-diovaskulären Ereignissen im Vergleich mit einer dualen Thrombozytenaggregationshem-mung ohne eine erhöhte Blutungsneigung beobachtet [31].

Koronarstents und dringliche Operationen

Entsprechend der Empfehlungen der American Heart Association und der European Society of Cardiology sollen Patienten mit einem Metall-Stent (BMS, Bare Metal Stent) für wenigstens 1-3 Monate mit einer dualen Thrombozytenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure und Clopidogrel behandelt werden, bei Medikamenten-freisetzenden Stents (DES, Drug Eluting Stent) beträgt dieses Intervall 12 Monate [32]. Bei Patienten mit einem sehr hohen Risiko für eine Stentthrombose (Diabetes mellitus, Niereninsuffizi-enz, geringe linksventrikuläre Ejektionsfraktion, Bifurkationsläsionen) wird zum Teil eine lebenslängliche duale Plättchenhemmung empfohlen [33]. In der Phase der Clopidogrel-gabe sollten Patienten aufgrund der hohen Rate an kardiovaskulären Ereignissen nicht elektiv operiert werden, sondern die Operation um die Dauer der notwendigen Clopido-grelgabe verschoben werden. Bei Patienten mit einem koronaren Stent, die einen nicht aufschiebbaren Eingriff haben (z.B. Frakturen, Malignome) muss das Blutungsrisiko gegenüber dem Risiko der akuten Stentthrombose abgewogen werden. Die ACCP emp-fiehlt bei nicht aufschiebbarem Eingriff und vertretbarem Blutungsrisiko (Ausnahme Herz- und Neurochirurgie) Operationen unter fortgeführter Therapie mit Clopidgrel durchzuführen [34].

Auch die fortgeführte duale Thrombozytenaggregationshemmung schützt nur bedingt vor perioperativen kardiovaskulären Ereignissen. Van Kuijk und Mitarbeiter [35] beobachte-ten eine 50 %ige Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen bei Patienten mit einem Metall-Stent, wenn diese innerhalb von 30 Tagen nach Stentimplantation unter einer dualen Plättchenhemmung operiert wurden, bei Medikamenten-freisetzenden Stents betrug die kardiovaskuläre Ereignisrate 35 % bei einer Operation innerhalb der ersten 30 Tage und 15 % innerhalb der ersten 6 Monate. Die Inzidenz schwerwiegender Blutungen

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wurde unter Acetylsalicylsäure mit 4 %, unter einer dualen Thrombozytenaggregations-hemmung mit 21 % angegeben. Operationen in dieser vulnerablen Phase sollten deshalb ausschließlich bei dringlicher Indikation aber keinesfalls elektiv durchgeführt werden.

In Einzelfällen wurde bei Patienten mit noch nicht abgeschlossener Clopidogrelgabe eine überbrückende Therapie mit Glykoprotein IIb/IIIa-Antagonisten wie Tirofiban unternom-men. Savonitto und Mitarbeiter [36] berichten über insgesamt 30 Hochrisikopatienten, die 5 Tage vor Tumoroperationen die Einnahme von Clopidgrel beendeten und eine überlap-pende Therapie mit Tirofiban erhielten. Postoperativ wurde entweder erneut mit Tirofiban begonnen oder eine Aufsättigung mit 300 mg Clopidogrel durchgeführt. In dieser Fallse-rie kam es nicht zu einer akuten Stentthrombose, lediglich 2 Patienten erlitten eine trans-fusionspflichtige Blutung. Vorteil einer überlappenden Therapie mit Tirofiban ist, dass die Zeitspanne einer normalen Thrombozytenfunktion perioperativ auf das äußerste beschränkt werden kann. Ob dieses Vorgehen sicher ist, kann anhand einer einzelnen Fallserie mit 30 Patienten nicht abschließend beurteilt werden und wird in den aktuellen Leitlinien der ACCP nicht empfohlen.

Der Stellenwert der perioperativen Thrombozytenfunktionsdiagnostik kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Es gibt eine Vielzahl von verschiedenen Testverfahren, am besten geeignet scheint die Multiplate Impedanzaggregometrie zu sein. Mittels dieses Testver-fahrens kann der Einfluss von Thrombozytenaggregationshemmern auf die Thrombozy-tenfunktion reproduzierbar bestimmt werden und somit insbesondere Patienten mit einer Resistenz für die einzelnen Substanzen detektiert werden. Die Bedeutung dieser Tests bezüglich der intraoperativen Risikoeinschätzung im Vergleich mit einer detaillierten Anamnese bleibt offen, zumal eine perioperative Normalisierung der Thrombozytenfunk-tion nicht angestrebt werden sollte, die Testergebnisse somit von untergeordneter klini-scher Bedeutung sind. Bei herzchirurgischen Patienten konnte das Risiko von Blutungen perioperativ mittels Gabe des vom Markt genommenen Aprotinin reduziert werden, eine aktuelle in vitro Untersuchung zeigt, dass Tranexamsäure die Thrombozytenfunktion bei Einnahme von Clopidogrel normalisiert [37]. Als ultima ratio bleibt bei massiver Blutung die Gabe von Thrombozytenkonzentraten unter Inkaufnahme eines erhöhten Risikos einer Stentthrombose.

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