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Die monatlichen Beilagen erscheinen in verschiedenen Sprachen in führenden internationalen Tageszeitungen: The Daily Telegraph, Le Figaro, The New York Times. de.rbth.com Deutsche Ausgabe Deutsche Ausgabe Diese bezahlte Sonderveröffentlichung wird dem HANDELSBLATT beigelegt. Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines (Russland) verantwortlich. Die Handelsblatt-Redaktion ist bei der Erstellung der bezahlten Sonderveröffentlichung nicht beteiligt. Mittwoch, 4. März 2015 Die Lehren der Krise SEITE 2 SEITEN 10-11 welche Fehler der Staat vermeiden sollte und was das Land braucht, um vom Öl wegzukommen. Alexander Ausan, einer der bekanntesten Ökonomen Russlands, spricht im Exklusivinterview darüber, wie es mit der Wirtschaft des Landes weitergeht, Traditionen und europäischer Handwerkskunst. Heute sind seine Werke Objekt der Begierde superreicher Russen. Die berühmten Eier aus der Hand des Juweliers Peter Carl Fabergé stehen heute in Russland für den Prunk vergangener Tage. Sein Erfolgsgeheimnis lag in der Verschmelzung russischer Vom Hofjuwelier zum Flüchtling UNSER THEMA DES MONATS SEITEN 4-6 Autobranche in der Krise: Vom Hoffnungsträger zum Sorgenkind In Deutschland wird die Printausgabe von RBTH dem Handelsblatt einmal monatlich beigelegt. Kontaktieren Sie unser Moskauer Büro per Tel. +7 (495) 775 3114 oder via e-mail: [email protected] RUSSIA BEYOND THE HEADLINES IST EIN MEHRSPRACHIGES INFORMATIONSANGEBOT ÜBER RUSSLAND. 20 Webseiten 30 Millionen Leser 13% einflussreiche Leser 2 Millionen Besucher monatlich 24 Länder 16 Sprachen 30 Printausgaben TOM KELLY AP

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März-Ausgabe. Thema des Monats: Russlands Autobranche in der Krise

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Die monatlichen Beilagen erscheinen in verschiedenen Sprachen in führenden internationalen Tageszeitungen: The Daily Telegraph, Le Figaro, The New York Times.

de.rbth.com Deutsche AusgabeDeutsche Ausgabe

Diese bezahlte Sonderveröffentlichung wird dem HANDELSBLATT beigelegt. Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines (Russland) verantwortlich.

Die Handelsblatt-Redaktion ist bei der Erstellung der bezahlten Sonderveröffentlichung nicht beteiligt.

Mittwoch, 4. März 2015

Die Lehren der Krise

SEITE 2 SEITEN 10-11

welche Fehler der Staat vermeiden sollte und was das Land braucht, um vom Öl wegzukommen.

Alexander Ausan, einer der bekanntesten Ökonomen Russlands, spricht im Exklusivinterview darüber, wie es mit der Wirtschaft des Landes weitergeht,

Traditionen und europäischer Handwerkskunst. Heute sind seine Werke Objekt der Begierde superreicher Russen.

Die berühmten Eier aus der Hand des Juweliers Peter Carl Fabergé stehen heute in Russland für den Prunk vergangener Tage. Sein Erfolgsgeheimnis lag in der Verschmelzung russischer

Vom Hofjuwelier zum Flüchtling

UNSER THEMA DES MONATS

SEITEN 4-6

Autobranche in der Krise: Vom Hoffnungsträger zum Sorgenkind

In Deutschland wird die Printausgabe von RBTH dem Handelsblatt einmal monatlich beigelegt.

Kontaktieren Sie unser Moskauer

Büro per Tel. +7 (495) 775 3114 oder via e-mail: [email protected]

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES IST EIN MEHRSPRACHIGES INFORMATIONSANGEBOT ÜBER RUSSLAND.

20 Webseiten

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16 Sprachen

30 Printausgaben

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2 RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

de.rbth.comÖkonomie

INTERVIEW ALEXANDER AUSAN

„Wir müssen das Steuer umlegen“ALEXANDER AUSAN, EIN BEKANNTER

RUSSISCHER ÖKONOM, SPRICHT IM

INTERVIEW ÜBER MÖGLICHE WEGE AUS

DER KRISE UND FEHLER, DIE ES JETZT

ZU VERMEIDEN GILT.

Kürzlich hat die Agentur Standard

& Poor’s Russlands Bonität auf spe-

kulatives „Ramsch“-Niveau herab-

gestuft. Duma-Abgeordnete droh-

ten daraufhin, den Ratingagentu-

ren die Arbeit im Land zu verbie-

ten, weil sie die Wirtschaft Russ-

lands „absichtlich unterbewerten“

würden. Wie wahrscheinlich ist

dieser Schritt und wozu kann er

führen?

Wenn die Leute anfangen, über Ratingagenturen zu diskutieren, vergessen sie häufi g, dass Ratings auf bestimmte Interessen ausge-richtet und dazu da sind, dass In-vestoren sich orientieren können. Wenn sich also die Meinung durch-setzt, dass uns das Rating egal sei, so bedeutet das, dass wir uns nicht für Investitionen aus anderen Län-dern interessieren. Wobei es im konkreten Fall nicht nur um jene Länder geht, zu denen der Zugang aufgrund der Sanktionen versperrt ist, sondern auch um jene, die keine Sanktionen gegen uns verhängt haben und die sich natürlich an den Ratings orientieren. Welche Finanzquellen verbleiben uns also? Eigentlich nur staatliche Investitionen. Das ist das, was ich als die „Mobilisierungsvariante light“ bezeichne, weil man mit Staatsmitteln versuchen kann, einen Weg aus der Krise zu fi nden und das Wirtschaftswachstum im Land anzukurbeln.

Sie haben mit der Warnung vor ei-

nem Mobilisierungsszenario, bei

dem es zu massiven staatlichen

Einmischungen in die Wirtschaft

kommt, für Diskussionen gesorgt.

Eine Ausprägung des Szenarios

können Kapitalkontrollen sein. Wie

stark würde sich dies auf den En-

thusiasmus der Geschäftswelt und

ausländischer Investoren auswir-

ken?

Bei Kapitalkontrollen handelt es sich um folgende Situation: Alle he-reinlassen, aber niemanden heraus-lassen. Wer kommt schon gerne zu Besuch, wenn er nicht weiß, ob er das Haus wieder verlassen kann und unter welchen Bedingungen? Die gegenwärtige Regierung und die Zentralbank sind derzeit, so scheint es, nicht darauf eingestellt, solche Maßnahmen zu veranlassen. Sie wollen das nicht, weil sie ver-stehen, dass sie neben einer einfa-cheren Marktregulierung damit eine Art „Sodbrennen“, also ne-gative Reaktionen, hervorrufen werden.

Wird es Ihrer Meinung nach in den

nächsten zwei bis drei Jahren zu

Protesten kommen, sollte die Wirt-

schaftskrise sich verschärfen?

Zu sozialen Spannungen kann es natürlich kommen, meines Erach-tens sogar recht bald. Die Infl ati-on und der Rückgang der Beschäf-tigung, der gegenwärtig zu beo-bachten ist und auch in den nächs-ten Monaten noch zu beobachten sein wird, wird ganz sicher – ge-linde gesagt – den Unmut der Be-völkerung hervorrufen. Es stellt sich die Frage, wie darauf reagiert werden sollte. Eine Möglichkeit besteht darin, genau so zu reagie-ren wie in den Jahren 2008 bis 2009. Zum einen wurde die Situ-ation damals „frei Hand“ geregelt: Dort, wo es am stärksten brann-te, wurden besondere Maßnahmen ergriffen. Zum anderen hob man damals die Renten und die Löhne in den Staatsbetrieben an. Mittel-fristig betrachtet war das sehr

schlecht, weil der Wirtschaft eine Last aufgebürdet wurde, die sie nicht zu tragen vermochte.Heute, so denke ich, sollte eine In-flationsanpassung der Löhne im staatlichen Sektor erfolgen. Außer-dem muss vor dem Hintergrund der Krise das Humankapital gerettet werden. Die Effektivität der Inves-titionen in das Humankapital muss sich durch eine Verbesserung der Bildung und des Gesundheitswe-sens erhöhen, aber die Finanzie-rung darf nicht gekürzt werden.

In welche Bereiche der russischen

Wirtschaft sollte jetzt, zu Zeiten

der Krise und der Unsicherheit,

am besten investiert werden?

Was die Wirtschaftszweige betrifft, gibt es ein Mantra, das ich stets wiederhole: Wenn wir die Entwick-lungsvarianten für Russland erör-tern, verweisen wir immer wieder auf unsere Bodenschätze und ver-gessen vollkommen, dass in diesem Land Menschen wohnen, die über eine gewisse Kultur, Psychologie und Fähigkeiten verfügen. Aus so-ziokultureller Sicht können wir, wie wir es heutzutage sehen, sagen, dass Russland ein schlechter Ort für Massenproduktion und Groß-serienfertigung ist, wir dafür we-sentlich besser Kleinserien einzig-artiger Produkte fertigen können. Deshalb würde ich sagen, dass ge-genwärtig, wie auch in anderen Pe-rioden, vor diesem kulturellen Hin-tergrund Investitionen in Versuchs-fertigungen, in kreative Industrien und in den Kleinserien-Maschinen-bau sinnvoll wären.

Kann denn Russland, wenn man

berücksichtigt, dass die russische

Regierung die Krise und Sanktio-

nen ständig als Chance zur Mo-

dernisierung bezeichnet, die Krise

tatsächlich nutzen und die Wirt-

schaft erneuern?

Ich glaube, nein. Wenn von einer Innovationsoffensive die Rede ist, sollte nicht vergessen werden, dass es für umfangreiche Innovationen unzureichend ist, sich in einer schwierigen Situation zu befi nden. Man muss über ein sehr gutes insti-tutionelles Umfeld verfügen. Man kann nicht behaupten, dass wir nicht versucht hätten, dieses Um-feld zu errichten, aber wir können auch nicht behaupten, dass wir das geschafft haben. Deshalb gehe ich davon aus, dass es in der Wirt-schaftsstruktur Russlands natür-lich zu Veränderungen kommen wird. Sie werden durchaus positiv sein und es wird wahrscheinlich zu einer gewissen Diversifi zierung kommen. Aber einen Innovations-schub wird es während der Krise nicht geben.

Was kann in diesem Falle die ne-

gativen Auswirkungen der gegen-

wärtigen Krise verringern, wenn

weder das institutionelle Umfeld

noch die entsprechenden Bedin-

gungen, Institutionen oder die

geopolitische Situation geeignet

sind?

Wenn wir davon sprechen, wel-chen positiven Effekt ich von der Krise erwarte, so ist das eine Überdenkung der Perspektive für Russlands Zukunft. Welche Leh-ren hätten wir aus der Krise 2008/2009 ziehen sollen? Dass wir nicht zu dem bisherigen, auf Na-turressourcen basierenden Wirt-schaftsmodell zurückkehren dür-fen. Nichtsdestoweniger hat die Regierung nach der Krise ver-sucht, den Status quo wiederher-zustellen. Das Ergebnis war der

Rückgang des Wachstums. Mei-ner Meinung nach müssen wir von der Wirtschaft der Rohstoffab-hängigkeit wegkommen und über-gehen zu einer Wirtschaft, die auf hochqualifi ziertem Human-kapi-tal basiert. Denn Russland ver-fügt über zwei Wettbewerbsvor-teile. Alle wissen von unserem Reichtum an Naturressourcen, aber allen ist auch etwas anderes bekannt: Seitdem wir in Russland über eine sehr gute Bildung und Wissenschaft verfügen, beliefern wir mit unseren Köpfen die ganze Welt. Diese unsere Ressource ist produktiver als unser Erdöl.

Aber andererseits haben wir es

gegenwärtig mit einer Abwande-

rung von Fachkräften, der Krise

in der Ukraine, wirtschaftlicher In-

stabilität und Unsicherheit zu tun,

und die politische Realität ver-

stärkt den Abfluss des geistigen

Kapitals nur noch mehr. Wie soll-

te man damit umgehen?

Wenn die Menschen auswandern, bedeutet das zunächst nicht, dass sie den Kontakt zum Land aufge-ben. Sollte es jedoch zu einem Mo-bilisierungsszenario kommen, wer-den wir unsere Know-how-Träger verlieren. Wer möchte schon unter solchen Bedingungen arbeiten? Of-fensichtlich nur jene, die im mili-tärisch-industriellen Bereich be-schäftigt sind, aber eben mit jenen Einschränkungen, die mit dieser Arbeit für sie und ihre Familien verbunden sind. Insgesamt scheint mir, dass wir in der Wirtschaft das Steuer umlegen müssen weg von Ressourcen hin zum Humankapi-tal. Wir müssen unsere Ziele um-formulieren und andere, inklusive Institutionen aufbauen, die die At-traktivität des Landes erhöhen. Ge-genwärtig sind unsere Institutio-nen vorwiegend extraktiv: Das führt dazu, dass wir aus unserem Land etwas herauspressen, was dann in einem anderen Land ge-nutzt wird.

Das Gespräch führte Pawel Koschkin.

Die ungekürzte Fassung des Interviews erschien zuerst bei Russia Direct und ist

in englischer Sprache unter › http://bit.ly/1zCmPsY verfügbar.

Alexander Ausan wurde 1954 in Norilsk, in Nordsibirien, geboren. Ab-solvierte 1979 ein Studium an der Wirtschaftsfakultät der Moskauer Staatlichen Universität (MGU). Erlang-

BIOGRAFIE

BERUF: ÖKONOM

ALTER: 60

te 1991 den Doktortitel und 1993 den Professorentitel an der MGU. Ist heute Dekan an der Wirtschaftsfakultät an seiner Heimatuniversität und Leiter des Instituts für Institutionelle Ökono-mie. Zwischenzeitlich war Ausan in verschiedenen Gremien als Berater des Präsidenten der Russischen Föde-ration tätig.

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3RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Konjunktur

ALEXEJ LOSSANRBTH

Russland braucht Kapital und

Technologien. Beides ist derzeit

Mangelware. Zusätzlich drohen

Maßnahmen zum Schutz der ei-

genen Hersteller, weiteren Scha-

den anzurichten.

Westliche Sanktionen haben die Energieunternehmen und das Ban-kensystem Russlands empfi ndlich getroffen. Das belegt eine Studie der Russischen Akademie für Volks-wirtschaft und öffentlichen Dienst. Äußere Faktoren seien demnach verantwortlich für die Misere. Ne-ben dem sinkenden Ölpreis sei die Einführung der Finanz- und Tech-nologiesanktionen ausschlagge-bend, heißt es in der Analyse. Habe man im Herbst noch von einer vo-rübergehenden Krise sprechen kön-nen, zeichne sich nun eine länger-fristige Tendenz ab.Das Exportverbot für amerikani-sche und europäische Technolo-gien im Energiebereich stellt bei-spielsweise die Förderung von Erdöl in schwer zugänglichen Regionen infrage. Das amerikanische Unter-nehmen ExxonMobil hat neun von zehn Projekten zur Förderung von

Öl und Banken unter DruckÖl und Banken unter Druck

Sanktionen Die Bilanz nach einem Jahr fällt für die Wirtschaft düster aus

Erdöl im Nordpolargebiet, in Westsi-birien und im Schwarzmeer-Schelf eingestellt. Partner in diesen Vor-haben war das staatliche russische Erdölunternehmen Rosneft. Nach einer vorliegenden Einschätzung werden 25 Prozent des russischen Erdöls mithilfe von Fracking-Ver-fahren gefördert, wofür die Aus-rüstung in erster Linie in den USA hergestellt wird.Nach Einschätzung Sergej Khesta-nows, Dozent an der Fakultät für Fi-nanzen und Bankgeschäfte der Aka-demie, könne die gegenwärtige För-

derung nicht ohne Serviceleistun-gen durch westliche Unternehmen gehalten werden. In den nächsten fünf bis sieben Jahren könnte im schlimmsten Fall ein Viertel der Fördermenge verloren gehen.Auch die Internationale Energie-agentur geht wegen der Sanktio-nen von einem Rückgang der För-derung um bis zu fünf Prozent aus. Dabei ist es gerade erst ein Jahr her, dass die Experten dieser Agen-tur ein Wachstum der russischen Erdölförderung um 200 000 Barrel pro Tag vorhergesagt haben.

Gewinne der Banken schrumpfenNicht weniger betroffen ist auch der Bankensektor. Finanzinstitute sind nun von westlichen Kapitalmärk-ten ausgeschlossen. So schrumpfte etwa der Gewinn der Sberbank, Russlands größtem Finanzinstitut, zum Jahresende 2014 um 22,1 Pro-zent auf etwa 4,3 Milliarden Euro. Um die Banken zu unterstützen, be-schloss die russische Regierung, ih-nen eine Billion Rubel (14,2 Milli-arden Euro) zukommen zu lassen. Mit den zusätzlichen Mitteln kön-

nen jedoch nur Banken rechnen, die die Kreditvergabe an Unternehmen aus der Realwirtschaft ausbauen und strenge Vorgaben erfüllen.

Industrieproduktion stocktDas Ausbleiben erschwinglicher Kredite und die Beschränkungen beim Technologieimport aus den Sanktionsländern führte dazu, dass Großbetriebe Investitionsprogram-me zurückfahren mussten. So wuchs nach Angaben der offiziel-len Statistikbehörde Rosstat die In-dustrieproduktion in Russland im Januar 2015 um 0,9 Prozent gegen-über dem vergleichbaren Vorjah-reszeitraum, während sie im De-zember noch um 3,9 Prozent gestie-gen war. Rechnet man den saisona-len Faktor heraus, so sank die Indus-trieproduktion im Januar zum Vor-monat sogar um 1,8 Prozent, wäh-rend sie zuvor noch gestiegen war. Am empfi ndlichsten erwiesen sich die Auswirkungen der Sanktionen für die russische Pharmaindustrie und die Produktion medizinischer Geräte. Nach Angaben von Rosstat ging die Produktion russischer me-dizinischer Erzeugnisse, inklusive chirurgischer und orthopädischer Waren, im Januar 2015 um die Hälf-te zurück. Anfang Februar be-schränkte die Regierung sogar den Einkauf von importierten medizi-nischen Geräten und Erzeugnissen seitens staatlicher und kommuna-ler Einrichtungen. Die Behörden begründeten den Schritt damit, die heimische Wirtschaft unterstützen zu wollen. Das Gesundheitsminis-terium machte sich jedoch gegen diese Reform stark: Im Ministeri-um befürchtet man, dass eine sol-che Art Unterstützung der russi-schen Hersteller möglicherweise zu einer Krise in der russischen Me-dizin führen werde.

CHRONIK

Russland-Sanktionen im Überblick

März 2014 • Als Reaktion auf die Ein-gliederung der Krim üben die Europäi-sche Union und die USA Druck auf Mos-kau aus. Brüssel untersagt 21 Ein zel per-so nen die Einreise und friert deren Konten und Vermögenswerte ein, die sich innerhalb der EU befinden. Auch die US-Regierung beschließt Einreise-verbote und Kontensperrungen gegen sieben russische Regierungsvertreter.

Zudem stehen vier ukrainische Politiker auf der Liste, darunter der ehemalige Präsident Viktor Janukowitsch.

April 2014 • Die US-Regierung führt Sanktionen gegen das Gasunterneh-men Tschernomorneftegas, mit Sitz auf der Krim, und gegen mehrere hochrangige Beamte von der Halbin-sel ein.

August 2014 • EU-Wirtschaftssanktio-nen treffen fünf russische Staatsban-ken: die Gazprombank, Wnescheko-nombank (VEB), Russian Agriculture Bank (Rosselkhozbank) und auch die in Deutschland vertretenen Sberbank und VTB. Sie dürfen in der EU keine neuen Aktien oder Anleihen mit einer Laufzeit von mehr als 90 Tagen verkaufen.

Februar 2015 • Trotz Waffenruhe und Friedensplan hält die EU an neuen Sanktionen gegen Russland fest. Die Reisebeschränkungen und Konten-sperrungen gelten für 19 weitere Per-sonen aus Russland und der Ukraine. Zudem dürfen Europäer keine Ge-schäftskontakte zu den prorussischen Kampfgruppen unterhalten.

Russlands Erdölriese Rosneft gehört zu den Leidtragenden der westlichen Sanktionen im Energiebereich.

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Thema des Monats

Für viele Manager der Branche ist es ein Déjà-vu. Bereits 2008 wurde Russland als neuer Star unter den Automärkten gehandelt. Dann kam die Vollbremsung 2009. Auch jetzt zieht der Absatz lange Brems-spuren hinter sich her, nachdem Russland zuvor wieder zum zweit-wichtigsten Markt in Europa auf-gestiegen war. Nach Angaben der Statistikbehörde Rosstat sank der Pkw-Verkauf im Januar 2015 um 45 Prozent zum Vormonat. Im Ver-

ALEXEJ LOSSANFÜR RBTH

Russlands Automarkt ist in Ka-

terstimmung. Nach Panikkäufen

im Dezember müssen Händler

und Hersteller nun einen drama-

tischen Einbruch der Verkaufs-

zahlen hinnehmen.

RUBELKRISE TRIFFT AUTOBRANCHE MIT VOLLER WUCHT

SO OPTIMISTISCH DIE HERSTELLER IN GUTEN JAHREN SIND, SO BITTER IST DIE STIMMUNG, WENN ES ZUR

KRISE KOMMT. ZUM ZWEITEN MAL SEIT 2009 MÜSSEN SIE EINEN DRAMATISCHEN EINBRUCH VERKRAFTEN.

RUSSLANDS AUTOMARKT

gleich zum Januar 2014 betrug der Rückgang immerhin 26 Prozent. Wie Analysten der Beratungsge-sellschaft PricewaterhouseCoopers erklären, liegt der Hauptgrund in der makroökonomischen Situati-

on im Land und der Schwäche des Rubels. Auch das gesamte vergan-gene Jahr, mit Ausnahme des letz-ten Quartals, lief holprig. Im Er-gebnis ist laut PwC der Verkauf von Neuwagen in Russland 2014 um 10,1 Prozent auf 2,3 Millionen

hohen Schutzzöllen belegt, um ei-nerseits den Lada-Hersteller Av-tovas zu schützen und andererseits ausländische Automobilkonzerne anzulocken. Bereits Ende 2008 er-öffnete in Moskau das Re-nault-

Werk, in Sankt Petersburg ging Toyota an den Start, in Kaluga, 180 Kilometer südlich von Mos-kau, ließ Volkswagen Autos zu-sammenbauen. Letzten Endes wurden 2010 bereits circa 90 Pro-zent der gefragtesten Pkw-Mar-

ken direkt in Russland produziert. Gleichzeitig garantierte die Regie-rung den Herstellern nach dem Beitritt Russlands zur WTO im Jahr 2012 eine Kompensation der Verluste, die durch eine zukünf-tige Senkung des Einfuhrzolls auf Gebrauchtwagen entstehen wür-den. Doch auch ungeachtet des WTO-Beitritts und der künftigen Zollsenkungen hat etwa Daimler 2013 die Produktion seines Sprin-ter Classic bei GAZ, dem ehema-ligen Wolga-Werk in Nischni Now-gorod, 420 Kilometer östlich von Moskau, aufgenommen. In den vergangenen Jahren wurde Russland immer wieder prophe-zeit, es werde zum größten Auto-mobilmarkt aufsteigen. Doch be-reits 2013 gerieten die Verkäufe ins Stocken. Die endgültige Wende

Im Dezember kam es zu Panikkäufen. Viele Verbraucher versuchten, ihre Rubelersparnisse vor dem Verfall zu retten.

Für die russische Volkswirtschaft haben der Pkw-Markt und die Autoindustrie eine große Bedeutung.

Stück zurückgegangen. Anders als bei der letzten großen Krise liegt der russische Markt nicht im glo-balen Trend. Schließlich konnten der japanische, europäische und amerikanische Absatzmarkt eine positive Entwicklung vorweisen.

Verzwickte SituationFür die russische Volkswirtschaft hat der Pkw-Markt und die Auto-industrie eine große Bedeutung. Die ersten Fabriken wurden noch in den Neunzigerjahren errichtet – damals eröffneten Daewoo, Ford und General Motors ihre Monta-gewerke. Der Durchbruch kam 2006, als in Russland der Einfuhr-zoll auf Fahrzeugkomponenten für die Autoindustrie abgeschafft wurde. Gleichzeitig wurden ge-brauchte und auch neue Autos mit

Standorte der russischen Automobilindustrie

DPA/VOSTOCK-PHOTO

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5RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Thema des Monats

AvtotorKaliningrad

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AvtovasTogliatti, Ischewsk

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Premium-Marken sind in Krisenzeiten meistens weniger betroffen. Den Schaden haben zunächst Mittelklasse-Hersteller.

kam im Herbst 2014, als der Ru-belkurs gegenüber dem US-Dol-lar und dem Euro auf die Hälfte gefallen war. Das führte zu einer Verteuerung der Automobilkom-ponenten und zu einem Rückgang der Nachfrage. Am Ende wurde Mitte Februar dieses Jahres das Renault-Werk in Moskau für drei Wochen geschlossen, und die Fa-brik von General Motors in Sankt Petersburg arbeitet seitdem nur noch in einer Schicht. Auch Ford warnte davor, seine Bänder kurz-zeitig anhalten zu müssen. „Die Situation auf dem Pkw-Markt ist recht angespannt und in der nächs-ten Zeit kann damit gerechnet werden, dass eine Reihe Händler aufgeben wird“, sagt der Projekt-leiter von FinExpertisa Alexan-der Silberman. Ilja Balakirew, Analyst bei UFS IC, berichtet von Panikkäufen kurz vor Neujahr. Viele Käufer hätten so versucht, ihre Rubelersparnis-se zu retten. Die Produzenten ih-rerseits seien gezwungen gewesen, die Preise anzuheben, da der Ein-kaufspreis für Neuwagen von den Wechselkursen abhänge. „Unterm Strich hat sich auf dem Markt eine Art Schere gebildet: Auf der einen Seite befi nden sich die Verbrau-cher, die ihren Bedarf zum gro-ßen Teil bereits gedeckt haben, und auf der anderen die Hersteller, die

gezwungen sind, Preise anzuhe-ben“, erklärt der Experte.

Trübe AussichtenNach einer Prognose von PwC ist für 2015 mit einem weiteren Preis-anstieg zu rechnen, und im Zu-sammenhang mit dem Absatzrück-gang könnte es zu einem Rückzug einer Reihe von Marken vom rus-sischen Markt kommen. Das be-trifft vor allem die Autoproduzen-ten mit einem relativ kleinen Markt-anteil in Russland. „In einer weit-aus besseren Lage befi nden sich in der aktuellen Situation die Auto-hersteller, die über einen sehr ho-hen Lokalisierungsgrad in Russ-land verfügen, vor allem die rus-sischen Produzenten“, heißt es in einer PwC-Analyse. Nach Anga-ben des Unternehmens ist in ers-ter Linie die Rede vom größten russischen Autohersteller, dem Konzern Avtovas, der die in Russ-land populärste Marke Lada her-stellt. Aber selbst bei Avtovas steht bei Weitem nicht alles zum Bes-ten: 2014 stieg der Reinverlust um das 3,7-Fache auf 25,4 Milliarden Rubel (338 Millionen Euro). Wie man im Unternehmen erläuterte, sei einer der Gründe für die Ver-luste eben jener Rubelverfall, da die Fahrzeuge, die der Konzern produziert, zu etwa 20 Prozent aus Import-Komponenten bestehen.

Russlands größte Autobauer 2014 (Autoproduktion in Tausend, 2014)

AVTOVAS gehört mehrheitlich zu Ren-ault-Nissan und produziert die russi-sche Traditionsmarke Lada.HYUNDAI: Seit 2010 in Sankt Peters-burg stiegen die Koreaner 2014 zum größten ausländischen Hersteller auf.VW: Volkswagen hat nach Avtovas den meisten Local Content. Der Polo

Stufenheck besteht zu 60 Prozent aus russischen Teilen.AVTOTOR: Der Auftragsfertiger mon-tiert unter anderem BMW und Opel in Kaliningrad. RENAULT: Gehört zu den Veteranen der Autoindustrie und produziert seit 1999 in Moskau.

Bisher rechnen die Marktteilneh-mer mit einer Unterstützung durch den Staat. So hat die russische Re-gierung eine Art Abwrackprämie initiiert: Gebrauchtwagen werden beim Kauf eines Neuwagens in Zahlung genommen und der Käu-fer erhält einen saftigen Rabatt. Wie der russische Finanzminister Anton Siluanow am 18. Februar verkündete, seien alleine für das erste Quartal 2015 zehn Milliar-den Rubel (150 Millionen Euro) für dieses Programm bereitgestellt worden. „Wenn der Staat den Markt im ausreichenden Maße un-terstützt, wird der Verkauf von Personenkraftwagen in Russland zum Jahresende wahrscheinlich um 20 bis 25 Prozent zurückge-hen, andernfalls könnten es bis zu 35 Prozent werden“, sagt der Lei-ter der Pkw-Abteilung bei PwC in Russland Sergej Litwinenko. Auch Ilja Balakirew meint, dass der Markt mit einem deutlichen Einbruch rechnen müsse. Wie lan-ge dieser andauern werde, hänge von der allgemeinen Wirtschafts-lage, der Kreditvergabepolitik und weiteren Preisnachlässen seitens der Autohersteller ab. Andernfalls werde die Nachfrage sich endgül-tig auf den Gebrauchtwagenmarkt umorientieren – dort macht der Preisanstieg sich bisher nicht ganz so stark bemerkbar.

Luxusautos: In guten wie in schlechten Zeiten

MICHAIL BOLOTINFÜR RBTH

Russen lieben teure Autos. Daran

ändert die Krise vorerst nur we-

nig – zunächst muss die Mittel-

klasse Federn lassen. Wie lange

die Luxushersteller allerdings

verschont bleiben, weiß niemand.

Thomas Sterzel ist wohl selten so herumgekommen in Russland wie im vergangenen Jahr. Perm, Jeka-terinburg, Rostow am Don, Ka-san – bei der Eröffnung der neuen Autohäuser in Russland wollte der Chef von Porsche Russland per-sönlich dabei sein. „Es war ein sehr produktives Jahr, in dem wir un-sere Präsenz auf dem russischen Markt gestärkt haben“, erklärt der Manager. Die Zahlen geben Sterzel recht. Mehr als 4 700 Fahrzeuge konnte die Zuffenhausener Automobil-schmiede in Russland verkaufen, das ist ein Plus von fast 25 Pro-zent. Werte, von denen die meis-ten Hersteller auf dem kriselnden russischen Markt nur träumen können. Doch Porsche schwimmt längst nicht allein gegen den Trend. Auch andere Luxusherstel-ler haben ein erfolgreiches Jahr hingelegt. Mercedes-Benz erzielte im vergangenen Jahr ein Plus von elf Prozent und steigerte seinen Absatz auf 50 000 verkaufte Autos. In seinem Jahresbericht sprach der Konzern gar von einem Mercedes-Jahr in Russland. Die hauseigene Sport-Marke AMG konnte sogar um 50 Prozent auf 2 000 verkauf-te Exemplare zulegen. Auch an-dere Luxusmarken wie Landro-ver, Infi niti oder Lexus schnitten überdurchschnittlich gut ab.Wie aussagekräftig diese Zahlen derzeit sind, lässt sich allerdings schwer beurteilen. Schließlich hat

der Dezember mit seinem rapi-den Rubelverfall und einer regel-rechten Kaufpanik die Verkaufs-statistiken durcheinandergewir-belt. Russland landete in einem regelrechten Preisvakuum, weil die Hersteller mit den Preiserhö-hungen nicht hinterherkamen. „Nirgendwo auf der Welt gab es so günstige Preise für Luxusau-tos“, bemerkt Dmitri Baranow, Chef des Autohändlers Sportcar Center. Die Menschen erwarte-ten deutlich höhere Preise und rissen sich um vermeintlich güns-tige Autos.

Alte Liebe zu LuxuskarossenDass Russen, zumindest jene, die es sich leisten können, ein Faible für teure Wagen aus Deutschland oder Japan haben, ist kein Geheim-nis. In den 1990er-Jahren hatte

sich die S-Klasse von Mercedes in der Top-Variante S600 einen Ruf als das Gefährt für neureiche Rus-sen schlechthin erarbeitet. Nach einem Bericht des deutschen Nach-richtenmagazins Focus sollen in Moskau bis Mai 1993 angeblich mehr S-Klasse-Limousinen ver-kauft worden sein als 1992 in ganz Westeuropa. Die Marke BMW, im Jargon „Boomer“ genannt, erfreu-te sich dagegen großer Beliebtheit bei den schweren Jungs im Dunst-kreis der S-Klasse-Besitzer. Nach der Jahrtausendwende stieg der Wohlstand. 2007 erreichte der Verkauf des Stuttgarter Top-Mo-

in Euro gerechnet billiger werden, sinken bei allen Herstellern die Umsätze. Doch auch hier kommt die Oberklasse glimpfl ich davon. Während der Umsatz von Opel und Volkswagen etwa um ein Viertel zurückgegangen ist, blieb das Minus bei Land Rover, Porsche oder Lexus im einstelligen Pro-zentbereich.

Die Provinz liebt LamborghiniFast alle Experten sind über-zeugt, dass sich das Premiumseg-ment auch weiterhin stabiler ent-wickeln wird als der übrige Markt. Die Hauptlast der Krise trügen die Mittelklasse-Herstel-ler, meint Wladimir Mozhenkov vom Branchenverband der rus-sischen Autohändler ROAD. Dem-nach stiegen nur die wenigsten Käufer von Oberklassewagen auf billigere Marken um, während dies im unteren Mittelklasse-Seg-ment gang und gäbe sei. Dahinter steckt eine einfache Lo-

gik: Wer 90 000 Euro für ein Auto ausgibt – so viel betrug laut Au-tostat der durchschnittliche Kauf-preis eines Mercedes in Russland –, der kann meistens auch noch etwas tiefer in die Tasche grei-fen. Ähnlich sieht das auch Wjat-scheslaw Subarew, Chef des Ver-tragshändlers von Porsche in Ka-san, Hauptstadt der Teilrepublik Tatarstan. „Derzeit ist die Nach-frage höher als das Angebot. Da-rüber hinaus leidet das Premium-segment in Krisenzeiten am we-nigsten. Die Nachfrage nach lu-xuriösen Fahrzeugen entwickelt sich dynamisch“, sagte er bei der Eröffnung des neuen Autohauses in Kasan Ende Oktober. Im vergangenen Jahr hat Subarews Unternehmen auch das erste BMW-Autohaus in Kasan eröff-net. Denn Luxusautos sind längst nicht mehr nur in den beiden Me-tropolen Moskau und Sankt Pe-tersburg beliebt. Zwar liegt die Hauptstadt Moskau nach wie vor beim Marktanteil des Premium-segments von 25 Prozent ganz vorne. Doch insbesondere Pro-vinzhauptstädte im Fernen Osten liegen dank hohen Gehältern nur knapp dahinter. Auch der Urlaubs-ort Sotschi sowie Krasnojarsk in Sibirien und Kaliningrad liegen relativ weit vorn. Erst kürzlich schwärmte der Chef von Lamborghini Moskau über die breite Geografi e seiner Verkäufe. „Wir verzeichnen viele Verkäufe in den Regionen, weil es dort Men-schen gibt, die Wert darauf legen, ein Auto zu haben, das es nur ein Mal in der Stadt gibt“, erklärte Sergej Mordwin. Im vergangenen Jahr habe man jedenfalls die Russ-land-Quote bei Lamborghini schon vor dem großen Rubelsturz im De-zember ausgeschöpft.

Luxushersteller schwammen 2014 in Russland gegen den Trend: Im

Land der Luxus-Liebhaber konnten sie ihren Absatz weiter steigern.

dells etwa 12 000 Stück pro Jahr. Wer herausstechen wollte, musste schon zur Luxusmarke Maybach greifen. Etwa 130 Stück gab es in Moskau vor der Weltwirtschafts-krise 2008, so viele wie nirgend-wo sonst. Auch der Bestand von Bentleys konnte sich mit etwa 700 sehen lassen. Dabei sei die Kun-denstruktur der Luxusmarken völ-lig anders als in Westeuropa ge-wesen, berichteten Händler west-licher Autokonzerne. Beispiels-weise habe das durchschnittliche Alter mit 25 bis 45 Jahren deut-lich niedriger als das der europä-ischen Kunden gelegen. Heute dominieren die günstigen Modelle von Lada oder Hyundai die Zulassungsstatistiken. Doch der Blick auf die Umsätze zeigt, dass Luxushersteller noch immer viel Geld verdienen. Mit etwa 4,1 Milliarden Euro landet Mercedes auf Platz zwei hinter Toyota. Gleich-zeitig offenbart sich auch das Pro-blem der Konzerne. Weil die Autos

RenaultMoskau

150

HyundaiSankt Petersburg

237

VWKaluga

188

AP

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6 RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Produktion

Auto-Zulieferer rechnen mit Nachfrage nach „Made in Russia“

Deutsche Mittelständler sehen Russlands Autoindustrie trotz Krise als strategischen Zukunftsmarkt

Russland ist einer der größten Automobilmärkte – was fehlt, sind qualifizierte Zulieferer und Produzenten.

MICHAIL BOLOTIN FÜR RBTH

Russlands Automarkt befindet

sich im freien Fall. Deutsche Fir-

men denken dennoch schon an

die Zeit danach. Wer lokal fer-

tigt, könnte sich mehr denn je

einen Vorteil verschaffen.

Sergei Volkov reckt stolz einen goldglänzenden Riesenschlüssel in die Höhe. Zuvor hatte der Werks-leiter der neuen Schaeffler-Fabrik in Uljanowsk zusammen mit der Bürgermeisterin der Stadt und dem Gouverneur der Region Sergej Morozov ein symbolisches Band zerschnitten. Auch der Europachef von Schaeffler Dietmar Heinrich und der Leiter der Automobilab-teilung Norbert Indlekofer haben sich auf den Weg ins neue Indus-triegebiet Zawolschje am Ostufer der Wolga gemacht. Noch immer ist es ein Großereig-nis, wenn ausländische Automo-bilfi rmen in Russland an den Start gehen. Auch wenn die Investitio-nen von etwa 40 Millionen Euro und die 300 geschaffenen Arbeits-plätze auf den ersten Blick nicht beeindrucken. Vor knapp zehn Jahren hatte Russlands Regierung mit dem in Branchenkreisen be-rühmten „Dekret 166“ die Auto-industrie zu einem der wichtigs-ten Objekte ihrer Wirtschaftspo-litik gemacht. Seitdem haben fast alle großen in-ternationalen Hersteller eigene Produktionsstandorte in Russland eröffnet, vor allem um die hohen Zölle zu umgehen, die Russland aufgestellt hat. Einen festen Stand hat die Branche allerdings noch lange nicht. Der Mangel an inlän-dischen Zulieferern lässt den Au-tomobilbau auch weiterhin am Im-porttropf hängen. Die Einfuhr von Autokomponenten allein aus Deutschland hat sich zwischen 2008 und 2014 auf über 1,5 Milli-arden Euro verdoppelt – während die Einfuhr von deutschen Pkw im gleichen Zeitraum, nach einem zwischenzeitlichen Anstieg, bei-nahe um ein Fünftel auf 2,2 Mil-liarden Euro zurückgegangen ist.

Für Schaeffler wird der symboli-sche Schlüssel der neuen Fabrik ohne Zweifel auch das Tor zum russischen Zulieferermarkt öff-nen. Die Nachfrage ist groß und gute Zulieferer in Russland sind schwer zu fi nden. Dabei bestehen etwa die russischen Volkswagen-Modelle wie der Polo-Stufenheck zu drei Vierteln aus eingekauften Komponenten. Zunächst sollen in Uljanowsk Kupplungen und Getriebeteile für den russischen Markt produziert werden. Auch in Zeiten der Ab-schwächung bleibe Russland einer der größten Automobilmärkte Europas, ist man sich bei Scha-effler sicher. „Die Hersteller wer-den den Druck auf Lieferanten er-höhen, um Komponenten ‚made in Russia‘ zu bekommen“, rechnet man sich in der Konzernzentrale in Herzogenaurauch aus.Einer der Gründe, der die Loka-lisierung in Russland derzeit be-günstigt, ist der extrem schwache Rubel. „Autoproduzenten sind gut

beraten, mehr Kosten in den Ru-belbereich zu verlagern“, sagt Edu-ard Cherkin, Automobilexperte der Beratungsgesellschaft Roland Berger. Bisher haben Konzerne vor allem arbeitsintensive Produkti-onsschritte und die Fertigung von großen Bauteilen wie Karosse-rien oder Autositzen nach Russ-land verlagert. Der Großteil im Hightech-Bereich musste impor-tiert werden.

Fortschritt zu langsamObwohl Russland seit Jahrzehn-ten über eine eigene Automobil-industrie verfügt, hat es nie ein dichtes Netz von mittelständischen Zulieferern gegeben. Vielmehr haben die Hersteller von Lada, Wolga und Co die Produktion weit-

gehend selbst in die Hand genom-men. „Deshalb fehlt es Russland an spezialisierten Betrieben, etwa im Bereich des Präzisionsgusses“, erklärt Cherkin. Gleichzeitig wa-ren die Volumen der Produktion ausländischer Hersteller in Russ-land vielerorts noch zu gering, um eine rentable Produktion von hoch-wertigen Teilen zu rechtfertigen und genügend Investoren im Zu-liefererbereich anzulocken. Bereits im vergangenen Sommer klagte Frank Haase, Einkaufsma-nager von Volkswagen Russland, es sei schwierig, lokale Zulieferer zu fi nden, die den Qualitätsstan-dards genügten. Zumal das Un-ternehmen sich mehr Unabhän-gigkeit von den Währungskursen wünscht. „Wir kommen voran, aber wir kommen nicht schnell genug voran“, sagte der Manager. Erst kürzlich hat die Testphase im neuen VW-Motorenwerk in Kalu-ga begonnen. Viele Projekte be-fi nden sich noch in der Umsetzung. So baut der japanische Zulieferer Unipres ein Werk für Karosserie-teile in Sankt Petersburg. Nemak aus Mexiko zieht nur wenige Meter neben dem Schaeffler-Werk eine Fabrik für Motorteile hoch. Im lau-fenden Jahr will Bosch in Sama-ra einen zweiten Standort für die Produktion von Autokomponen-ten in Betrieb nehmen und mit der Fertigung von ABS-Systemen, Ge-neratoren und Startern loslegen. Klar ist, dass die Vollbremsung auf dem Automobilmarkt auch die

Pkw-Herstellung in Russland trifft. Im Januar sank die Produk-tion im Vergleich zum Vorjahres-monat um ein Viertel auf 85 000 Fahrzeuge. Im Gesamtjahr 2014 fi el die Produktion mit 1,7 Milli-onen Autos um zehn Prozent ge-ringer aus als im Jahr zuvor. „Die Situation ist für die Zuliefe-rer sehr zwiespältig“, erklärt Edu-ard Cherkin, weil einerseits Auf-

träge wegfallen, andererseits eine lokale Produktion gegenüber Im-porten nun deutlich größere Preis-vorteile bietet. Welcher von beiden Effekten überwiegt, lasse sich noch nicht sagen. Vieles werde davon abhängen, welche Strategie die Hersteller wählen. „Jemand, der viel Geld hier investiert hat, wie etwa Hyundai oder Ford, der wird die Krise aussitzen und Möglich-keiten zur Kostensenkung su-chen“, meint Cherkin. Wer in Russ-land konkurrenzfähig sein will, der muss seine Produktion mittel-fristig so weit wie möglich lo-kalisieren.

Nach der KriseDas wissen auch die Zulieferer. „Unsere Investitionen in Russland

haben strategischen Charakter. Langfristig rechnen wir mit einem Wachstum des russischen Mark-tes, und darauf möchten wir vor-bereitet sein“, erklärt Gerhard Pfeifer, Präsident der Bosch-Grup-pe in Russland, und ergänzt: „Es wird auch eine Zeit nach der Krise geben.“ Unter der Voraussetzung, dass sich die politische und wirt-schaftliche Lage entspanne, sei wieder ein langfristiges und kon-stantes Wachstum der Produkti-on zu erwarten. Ein fast noch größeres Problem als die Absatzkrise sind die fehlen-den Zulieferer aus der zweiten Reihe. „Einerseits gibt es nur re-lativ wenige Zulieferer. Anderer-seits besteht Nachholbedarf etwa hinsichtlich der Modernisierung der Produktionsanlagen oder bei der Prozessstabilität und -quali-tät als auch bei der Zertifi zierung. Der Anteil der Unternehmen, die westliche Qualitätsstandards bei der Fertigung von Automobilen erfüllen, bewegt sich im einstel-ligen Prozentbereich“, meint Bosch-Chef Pfeifer. Seine Firma hat des-halb bereits zwei Zulieferermes-sen veranstaltet, um internationa-le und russische Unternehmen zu motivieren, sich an der Wertschöp-fungskette in Russland zu betei-ligen. „Es wird nach der derzeit schwierigen Lage auch wieder bessere Zeiten geben. Deshalb be-grüßen wir es, wenn auch weitere Unternehmen sich in Russland engagieren.“

Autohersteller und Zulieferer suchen händeringend nach lokalen Produzenten. Die Auswahl ist gering.

Die Krise könnte mehr Lokalisierung begünstigen, wenn die Autohersteller in Russland bleiben.

Rubelverfall: Russland wird zum

Billig-Reiseland

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Südosteuropa, Nahost und BRICS:

Putins neue Freunde

Russland und Abchasien bald ohne befestigte Grenze?

Erinnerungen an den Vater: Briefe aus

dem Gulag

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Regionen

Ein Jahr nach OlympiaSotschi Moderne Liftanlagen, gigantische Arenen – das Olympiagelände wird nicht nur für den Wintersport genutzt

BRYAN MACDONALDFÜR RBTH

Eventanfragen gäbe es genug

für Sotschi – doch die Betten

sind ausgebucht, die Lifte über-

füllt. Unkenrufe, das olympische

Gelände stände in Zukunft leer,

haben sich nicht bewahrheitet.

Internationale Medien haben pro-phezeit, dass Sotschi nach den Olympischen Winterspielen zu einer Geisterstadt mutiere. Heute, ein Jahr nach den Spielen, hat sich die Prognose nicht bewahrheitet. Erstaunlich, aber wahr: Ausge-rechnet in der Wirtschaftskrise wachsen die Ski-Resorts, die für die Spiele errichtet wurden.Der Klub Treugolnik in Adler, der südlichen Vorstadt von Sotschi un-weit des Flughafens, ist voll wie eine Sardinenbüchse. Es ist Janu-ar. Zum ersten Mal seit vier Jah-ren ist in Sotschis Küstenregion Schnee gefallen. Die langen rus-sischen Neujahrsferien neigen sich dem Ende zu.Der schwache Rubel, der Appell von Präsident Putin, die Ferien in der Heimat zu verbringen, und die neuen Sporteinrichtungen, die sich sehen lassen können, treiben im-mer mehr Touristen in die Regi-on. Menschenmassen stürmen auf die 40 Kilometer langen Bergpis-ten und reizen das Tageslimit von 10 500 Skifahrern bis an die Gren-zen aus.Sotschis Geschäftsleute können ihr Glück kaum fassen. Jedenfalls die, die ihre Häuser oder ihr Eigen-tum im Zuge der kontrovers dis-kutierten Zwangsaufkäufe beim Bau der olympischen Stätten nicht verloren haben. Dabei ist es noch nicht lange her, dass die Medien warnten, Sotschi würde eine Geis-terstadt werden, wenn der olym-pische Zirkus einpackt und weg-zieht.Doch nicht alles ist so rosig. Der Küsten-Cluster, das Herzstück der Spiele, bleibt außerhalb von Fei-ertagen geradezu unheimlich still, und manche Wohnhäuser stehen halb fertig da.Dmitrij Bogdanow, Direktor des Hotels Sanatory Znanie, bedau-ert, dass die Stadt nicht noch mehr

ALEXEJ LOSSANRBTH

Die Olympischen Spiele in Sot-

schi sollten der russischen Wirt-

schaft Vorschub leisten. Aller-

dings haben Sanktionen und

fallende Ölpreise diesen Effekt

zunichtegemacht.

Spiele nur zum Spaß: BIP-Effekt von Sotschi verpufft weitgehend

Olympia Positive Effekte auf Wirtschaftswachstum sind wegen der Krise kaum spürbar

Der Olympia-Effekt sorgt für eine Rekordzahl an Touristen in der Re-gion Krasnodar. Wie die Nachrich-tenagentur Tass berichtet, besuch-ten nach Angaben der lokalen Be-hörden insgesamt 13 Millionen Tou-risten das Schwarzmeer-Gebiet, in dem auch Sotschi, der Austragungs-ort der Winterolympiade 2014, liegt. Die Anzahl der Touristen in der Olympiastätte selbst sei um 31 Pro-zent gestiegen und habe insgesamt etwa fünf Millionen betragen. „Das Projekt hat sich im Bezug auf die Effektivität staatlicher Investitio-nen als recht erfolgreich erwiesen“, sagt Timur Nigmatullin von der In-vestmentgesellschaft Finam. Jeder zehnte Tourist in Sotschi sei aus dem Ausland angereist. Insgesamt bescherten die Olympischen Spiele der russischen Wirtschaft etwa 0,3 Prozent zusätzliches Wachstum, be-

merkt der Finam-Experte. Aller-dings hätten die Sanktionen den wirtschaftlichen Nutzen der Spiele zunächst einmal zunichtegemacht, so Nigmatullin weiter.

Katalysator für StrukturreformenNoch zu Beginn des vergangenen Jahres, vor der sportlichen Groß-veranstaltung, erwartete die rus-sische Zentralbank für 2014 eine Steigerung der Wirtschaftsleistung zwischen 1,5 und 1,8 Prozent. Zu-dem hätten die Olympischen Spie-le nach Prognosen des Finanz-dienstleisters Merrill Lynch zu ei-nem Katalysator für Struktur-reformen werden können. Diese sind zur Beschleunigung wirtschaftli-chen Wachstums und zur Optimie-rung staatlicher Regulierungsme-chanismen in Russland notwendig. Angesichts von Sanktionen und fal-lenden Ölpreisen blieb das BIP-Wachstum 2014 mit 0,6 Prozent ge-genüber dem Vorjahr hinter allen Prognosen zurück. Das Wachstum war seit 2009 am langsamsten. Zum Vergleich: 2012 stieg das russische BIP um 3,4 Prozent, 2011 um 4,3 Prozent und 2010 um 4,5 Prozent.

ZukunftsaussichtenNach Einschätzung von Timur Nig-matullin schaffte das gute Voraus-setzungen, um den Fremdenverkehr sukzessive anzukurbeln. Die Schwä-che des Rubels sei im Moment der Motor für die wachsende Binnen-nachfrage im Reisesektor. Das er-folgreiche Formel-1-Rennen in Sotschi im Herbst 2014 ist eben-falls der Olympiade zu verdanken: „Die Rennstrecke wurde im Olym-pischen Park gebaut“, erinnert Sergej Bespalow. Ihm zufolge be-wirken allein die publikumswirk-samen Formel-1-Veranstaltungen, dass zumindest ein Teil der enor-men Ausgaben für Olympia wieder hereinkomme. In Zukunft werde Sotschis Attraktivität für auslän-dische und russische Touristen davon abhängen, ob die Behörden es schaffen, große internationale Wettkämpfe, allen voran die Win-tersport-Weltmeisterschaften, nach Sotschi zu holen.„Aber die Eskalation der geopoli-tischen Spannungen und die Sank-tionen werden kaum dazu beitra-gen, dass die wirtschaftlichen Vo-raussetzungen, die durch die Olym-pischen Spiele geschaffen wurden, in vollem Umfang zum Tragen kom-men“, sagt Bespalow. Zugleich kön-ne man aber, wenn sich die Situa-tion entspanne, damit rechnen, dass große Investoren bei ihren Entschei-dungen hinsichtlich Russlands die positiven Erfahrungen von Sotschi berücksichtigten.

Besucher aufnehmen kann. „Das ganze Land braucht neue Touris-museinrichtungen. Wegen fehlen-der Erfahrungen beim Managen solcher touristischer Riesenpro-jekte gibt es heute einige Proble-me mit den Kapazitäten und nach-haltiger Rentabilität“, sagt er. „Ich erinnere mich an die Sowjetzei-ten, als über 1,5 Millionen Men-schen im Jahr nach Sotschi kamen. Vor ein paar Jahren waren es ge-rade mal 50 000. Es ist offensicht-

Vorstellungen pro Woche.“ Das Sprachtalent erläutert: „Im Speed-Skating-Zentrum ist seit fast ei-nem Jahr eine Tennis-Akademie untergebracht. An anderen Ver-anstaltungsorten fanden diverse Events statt: die Schachweltmeis-terschaft, Wirtschaftsforen, Aus-stellungen. Interessanterweise wa-ren die Küstenhotels während der Olympischen Spiele nicht komplett belegt, wohl aber im letzten Herbst beim russischen Formel-1-Grand-Prix.“In Krasnaja Poljana war die Über-füllung das größte Problem in die-sem Winter. Die Hotels waren be-reits lange vor den Neujahrsferien ausgebucht. Die Preise für einen sechstägigen Skipass wurden auf 13 500 Rubel (170 Euro) angeho-ben, am Ende konnten nur noch Hotelgäste den Pass ergattern. Die Stadtregierung ließ im Dezember gar Werbespots im Fernsehen lau-fen, um die einheimische Bevöl-kerung davon abzubringen, im Ja-nuar in die Berge zu fahren.Bogdanow sagt, dass die Schwä-che des Rubels gegenüber dem Euro ein Geschenk des Himmels gewesen sei, gibt aber zu beden-ken, dass dies nicht von langer Dauer sein könne. „Die Menschen gaben uns diesen Winter eine Chance, weil die Finanzen eine wesentliche Rolle bei ihrer Reise-planung spielten. Jetzt kommt es darauf an, ihnen den richtigen Service zu bieten, damit sie auch wiederkommen. Das ist die große Herausforderung.“

lich, dass wir noch einiges Wachs-tumspotenzial haben.“

Leoparden im Bolschoi-EispalastDer Cluster um das Olympiasta-dion, das schon während des Baus als Fehlinvestition bezeichnet wur-de, scheint die meiste Zeit über leer zu stehen. Doch Andrej Ponoma-renko, Geschäftsführer des G8-Sprachendienstes und eng in die internationale Öffentlichkeitsar-

beit von Sotschi eingebunden, sagt, der Schein trüge. „Bei den Spie-len des lokalen Eishockey-Teams, der Sotschi-Leoparden, kommen im Bolschoi-Eispalast zwischen 7 000 und 9 500 Fans zusammen. Im September hat dort der Chan-nel One Cup mit Mannschaften aus aller Welt stattgefunden. Der Schaiba-Eispalast beherbergt im Februar den Cirque du Soleil, und in der Eisberghalle lief sechs Mo-nate lang ein Musical mit fünf

1,8 ProzentBIP-Wachstum prognostizierte die russi-sche Zentralbank aufgrund der Olympi-schen Spiele 2014.

5.000.000Menschen besuchten Sotschi im Jahr 2014, zehn Prozent von ihnen kamen aus dem Ausland.

ZAHLEN

„Die Winterolympiade war ein po-litisches Vorhaben, weswegen an-fänglich niemand ernsthaft davon ausging, dass das Projekt sich voll und ganz auszahlen würde“, sagt Sergej Bespalow vom Zentrum für öffentliche Politik und Staatsfüh-rung am Institut für Gesellschafts-wissenschaften der Russischen Akademie für Wirtschaft und Ver-waltung. Der größte Teil der Aus-gaben sei allerdings in den Ausbau der Infrastruktur von Sotschi in-vestiert worden, dem wichtigsten Urlaubsort Russlands.

Ein Jahr nach den Olympischen Spielen zieht Sotschi mit diversen Großveranstaltungen an.

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8 RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Meinung

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HILFE FÜR DEN KREISLAUF DER WIRTSCHAFT

Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise beschloss die russische Regierung,

etwa 13 Milliarden Euro zur Ka-pitalerhöhung der größten russi-schen Banken zur Verfügung zu stellen. Dieser Betrag soll in ers-ter Linie die Kreditvergabepoli-tik im Lande stimulieren, die hohen Zinssätze allerdings schrän-ken die Chancen, einen Kredit zu erhalten, deutlich ein.Die aktive Unterstützung des Ban-kensystems auf staatlicher Ebene während der Krise ist unumgäng-lich, da die Banken den „Blutkreis-lauf“ der Wirtschaft darstellen und eine „Verstopfung der Blut-gefäße“ zu äußerst unangenehmen Folgen führen kann. So war auch das Erste, was die USA nach Aus-bruch der Krise von 2007 unter-nahmen, eine umgehende Unter-stützung der Banken. Die Regie-rung stellte zusätzliches Kapital zur Verfügung und setzte ein groß angelegtes Programm zum Auf-kauf von Aktiva, vor allem von Pfandbriefen, um. Eine ähnliche Maßnahme führten später die Europäische Union während der Krise 2011 und Japan während der Krisenphase der Neunzigerjahre durch.Wenn man den Abfl uss von Ein-lagen aus dem Bankensystem als Hauptkriterium für eine Krise betrachtet, zeigt sich, dass es im russischen Bankensystem eigent-lich gar keine Krise gibt. Das Vo-lumen der Geldmittel, die von Un-ternehmen und Privatpersonen im Bankensystem eingelegt wurden, stieg innerhalb eines Jahres um 25 Prozent auf 44 Billionen Rubel (586 Milliarden Euro). Unter an-derem wirkte die Entwertung des Rubels sich 2014 auf dieses Wachs-tum aus. Warum stellt also der Staat den Finanzinstituten eine solche Summe zur Verfügung?Das hängt vor allem mit der Not-wendigkeit zusammen, das Wirt-schaftswachstum zu stimulieren, das sich ohne eine Verbesserung der Kreditvergabebedingungen für die Unternehmen nicht erho-len kann. Während des vergange-nen Jahres nahm die Menge des sich im Umlauf befi ndlichen Gel-des gerade einmal um zwei Pro-zent zu, was zur Gewährleistung des BIP-Wachstums viel zu wenig ist und, ganz allgemein gespro-

Konstantin

KorischtschenkoÖKONOM

chen, das Anzeichen einer restrik-tiven Geldpolitik darstellt. Im star-ken Maße liegt das Problem der zunehmenden Kreditversorgung an dem Anstieg fauler Darlehen im System: 2014 nahm deren Vo-lumen um 50 Prozent zu. Die Wirt-schaft braucht dennoch Geld, und hierfür ist der bereitgestellte Be-trag durchaus sinnvoll.

Auf die Banken, die an dem neuen Staatsprogramm teilnehmen, ent-fallen 85 Prozent aller Aktiva des russischen Bankensystems. Neben der „Kapitalerhöhung“ gibt es noch ein ganze Reihe anderer Vor-schläge, die in den Anti-Krisen-Plan der Regierung aufgenommen wurden. Dazu gehört auch die Gründung einer „Bad Bank“ für faule Kredite und die Erteilung von Staatsgarantien für Investi-tionsprojekte. Fairerweise muss angemerkt wer-den, dass nicht nur die Regierung, sondern auch die russische Zentral-bank und das russische Parlament die Bedeutung des Bankensystems für die Wiederbelebung der rus-

sischen Wirtschaft gut verstehen, was an den Maßnahmen zu erken-nen ist, die in jeder Hinsicht ein-geleitet wurden.Sämtliche Banken, die Geld vom Staat bekommen möchten, müs-sen strikte Voraussetzungen erfül-len. Diese sind durchaus markt-konform: ein obligatorisches Kre-ditwachstum von einem Prozent

pro Monat, die Erhöhung des Ei-genkapitals und ein eingeschränk-ter Anstieg der Lohnkosten. Al-lerdings lässt die gegenwärtige Konjunktur kaum darauf hoffen, dass sich sowohl in der Bevölke-rung als auch bei den Klein- und mittelständischen Unternehmen ausreichend viele qualifi zierte Kre-ditnehmer fi nden werden, die in der Lage wären, Milliarden von Ru-bel pro Monat zu den gegenwär-tig hohen Zinssätzen aufzuneh-men. Die Stabilisierung der Infl a-tion und des Rubelkurses stellt des-halb eine wichtige Bedingung für den Erfolg des Programms zur Ka-pitalerhöhung der Banken dar.Nicht ganz so publikumswirksam,

aber nicht minder wichtig war auch die Entscheidung der russi-schen Zentralbank über die Er-leichterung einiger Vergabekrite-rien während der Krise. Zum einen dürfen die Banken bis zum 1. Juli 2015 die Bewertung ihres Wert-papierportfolios nicht revidieren. Zum anderen wurden die Anfor-derungen zur Bildung von Anleihe-reserven herabgesetzt. Diese Än-derungen erleichtern ungeachtet ihres zeitlich begrenzten Charak-ters die Überwindung der wahr-scheinlich kritischsten Periode – der Neubewertung der Aktiva für die Zeit nach der Entwertung. Die aktuellen Zahlen zum Zustand des Bankensystems legen nahe, dass dieses Jahr kein leichtes werden wird. Das Volumen der überfälli-gen Verbindlichkeiten nimmt zu, ebenso wie die Rücklagen der Ban-ken für mögliche Verluste. Unterm Strich musste das Bankensystem Ende Januar einen, wenn auch klei-nen, aber immerhin spürbaren Ver-lust verzeichnen. Umso wichtiger ist es, alle vorgeschlagenen Maß-nahmen schnellstmöglich um-zusetzen.

Konstantin Korischtschenko ist Leiter des Lehrstuhls für Fondsmärkte und Finanzinstrumente an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst.

Sergej

SumlennySANKTIONSEXPERTE

Ein Jahr nach Inkrafttreten der US- und EU-Sanktionen gegen Russland ist die Welt

nicht sicherer geworden und bei der Ukraine-Krise ist noch immer kein nahes Ende in Sicht. Dafür sind die Folgen für die Wirtschaft ver-heerend. Laut einer Umfrage der AHK spüren 78 Prozent der in Russland tätigen deutschen Unter-nehmen eine Verschlechterung re-spektive eine starke Verschlechte-rung ihrer Geschäfte aufgrund der Ukraine-Krise. 49 Prozent der Fir-men befürchten eine Abkehr Russ-lands von der EU hin zu China. Auf westliche Unternehmen wir-ken die Texte und Formulierun-gen der Sanktionen oftmals ver-wirrend und abschreckend – selbst wenn ihre eigenen Geschäfte nach einer sachlichen Analyse unter kei-ne Restriktionen fallen. Schon aus diesem Grund bleibt zu hoffen, dass die Sanktionen so schnell wie möglich abgeschafft werden. Viel wichtiger wäre es aber, sich schon jetzt Gedanken zu machen, wie man die betroffenen Gebiete nach dem Konfl ikt wiederaufbau-en wird und wie man Russland und die Ukraine im Rahmen einer friedlichen Zusammenarbeit in einen gemeinsamen Wirtschafts-raum mit der EU integriert.Dies mag heute – da der Frieden im Donbass noch weit entfernt scheint – fast naiv klingen, aber wie naiv klangen in den 1940er-Jahren die Träume von einer Eu-ropäischen Union? Wer konnte es sich damals vorstellen, dass die einstigen Erzfeinde Deutschland und Frankreich als Motoren des Friedens und der europäischen Integration eine gemeinsame Zu-kunft gestalten werden? Daher besteht jetzt geradezu eine Not-wendigkeit, naiv zu sein und von einem Europa mit Russland und mit der Ukraine ohne Sanktionen und Grenzen zu träumen. Nur durch einen gemeinsamen Aufbau der zerstörten Region – mit der EU, mit Russland und mit der Ukraine – kann man eine nach-haltige Zukunft bauen. Eines Ta-ges wird man diese Naivität als Zukunftsvision bezeichnen.

Der Autor ist Head of Task Force Sanctions bei dem Beratungsunternehmen RUSSIA CONSULTING.

Aufbauvisionen anstelle von Sanktionen: Die Welt braucht naive Träumer

2014 nahm die Geldmenge nur um 2 % zu, was viel zu wenig ist, um ein BIP-Wachstum zu gewährleisten.

Die aktuellen Zahlen zum Zustand des Bankensystems legen nahe, dass dieses Jahr kein leichtes wird.

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9RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Gastronomie

INTERVIEW

ANATOLY KOMM

„Ein Küchenteam ist wie ein Orchester“DER STARKOCH HAT RUSSLANDS NATIONALKÜCHE IN DIE

SPHÄRE DER HAUTE CUISINE KATAPULTIERT. JETZT LOCKEN

NEUE HERAUSFORDERUNGEN.

Anatoly Komm wurde 1967 in Moskau geboren. Nach seinem Geophysik-Studium verdiente er das erste Geld mit dem Verkauf von Computern. An-fang der 1990er wechselte Komm ins Modegeschäft. Bereits als Kind hatte Komm ein Faible für die Küche. So

BIOGRAFIE

BERUF: KOCH

ALTER: 47

Anatoly Komm ver-

wendete als einer

der ersten Köche

Russlands in sei-

nem Restaurant

fast vollständig

Zutaten aus hei-

mischer Pro-

duktion.

Der russische Spitzenkoch Ana-toly Komm gehört zu den Besten der Welt. Seit vierzehn Jahren be-treibt er das Restaurant Varvary in Moskau. Anfang Februar eröff-nete er sein zweites Restaurant in der russischen Hauptstadt, das Anatoly Komm for Raff House. Mit RBTH spricht der Kochzar über die russische Küche und das Ge-heimnis seines Erfolgs.

Was ist neu in Ihrem zweiten Mos-

kauer Restaurant?

Alles dort ist neu! Ich würde es als gastronomische Brasserie be-zeichnen. Während das Varvary drei Michelin-Sternen entspricht, würde ich es hier bei einem Stern belassen. Ich übertreibe natürlich ein bisschen ...

Sie haben den Glauben der Rus-

sen an ihre nationale Küche wie-

derhergestellt. Im Michelin-Führer

sind Sie aber mit Ihrem ersten

Restaurant Green in der Nähe

von Genf vertreten.

Ich wollte ein Auswärtsspiel ge-winnen. Doch letzten Endes hat es mich wieder nach Russland ge-zogen. Leider war ich da offenbar der Einzige. Einer allein im Feld ist kein Krieger, wie ein russisches Sprichwort sagt. Die Skandinavi-er haben den Markt auch nicht nur mit René Redzepi (ein dänischer Koch, dessen Restaurant Noma in Kopenhagen viermal zum „besten Restaurant der Welt“ gekürt wurde, Anm. d. Red.) erobert. Hin-ter ihm stand ein ganzes Team von zehn bis 15 weiteren berühmten Chefköchen. Und die Trends, die heute Peru oder Mexiko in der Restaurantwelt vorgeben, sind ebenfalls nicht auf das Werk von nur ein oder zwei Köchen zurück-zuführen.

Sie kennen jeden Trend. Reisen

Sie oft in der Welt umher?

Ich habe ständig Gastspiele. Das letzte war in Lyon, der Hauptstadt der französischen Küche. Dort habe ich ein Dinner für namhaf-te Chefköche angerichtet.

Haben Sie das Dinner im russi-

schen Stil gekocht?

Ja, die russische Küche ist abso-lut meins und ich mag russische Lebensmittel. Vor acht Jahren ha-ben mir alle einen Vogel gezeigt, als ich sagte, dass ich nur heimi-sche Zutaten in der Küche verwen-de. Jetzt gibt es Köche, die bewusst Zutaten aus der Region einsetzen. Es freut mich, dass ich meinen be-scheidenen Beitrag dazu geleistet habe. Früher sagte man, dass ich

verrückt sei, als ich erstmals meine Gastro-Spektakel veranstaltete, jetzt verwenden alle diesen Be-griff. Selbst wenn Sie in die be-deutendsten Restaurants kommen, gibt es dort nur Spektakel. Das heißt mit anderen Worten: Alles entwickelt sich. Ich war nur der Zeit ein wenig voraus. Für mich sind diese Gastro-Spektakel schon wieder Vergangenheit.

Zurzeit gibt es viele Michelin-Kö-

che, die eine Brasserie eröffnen.

Außer einem „Menü“, einer Ab-folge von bestimmten Gerich-ten, die in einer „theatrali-schen“ Reihenfolge serviert wer-den, bekommen Sie dort aber nichts. À la carte können Sie in diesen Brasserien nicht be-stellen. In meinem neuen Res-taurant gibt es dagegen nur à la carte. Allerdings habe ich die Speisekarte so arrangiert, dass jeder sein eigenes Spek-takel zusammenstellen kann.

Sie eröffnen ein Restaurant, geben

jedoch weiter Ihre kulinarischen

Gastspiele. Wie vereinbaren Sie

beides miteinander?

Wenn Walerij Gergiev irgendwo ein Gastspiel gibt, werden da etwa im Mariinski-Theater alle Stücke abgesetzt? Ein etwas frecher Ver-gleich, zugegeben, aber dennoch. Anthony Bourdain, der US-ame-rikanische Koch, TV-Moderator und Buchautor, schrieb in „Medi-um Raw“ (auf Deutsch: „Ein biss-chen blutig: Neue Geständnisse eines Küchenchefs“, Karl Blessing Verlag): „Wenn Sie glauben, dass die berühmten Chefköche die gan-ze Zeit in ihren Restaurants arbei-ten, dann sind Sie auf dem Holz-weg. Wenn Sie in einem dieser Res-taurants zum Dinner sitzen, ist der Chefkoch wahrscheinlich gerade im Flieger unterwegs.“ Und das stimmt. Aber das Team, meine

Jungs, spielen dann nach Noten, wie das ein gutes Orchester tut.

Wann und wo geben Sie Ihr nächs-

tes Gastspiel?

Nach der Restauranteröffnung werde ich wohl im April wieder reisen. Als Erstes werde ich zum Abschluss der Ski-Saison in die Schweiz zum Zermatt Palace fah-ren. Im Mai geht es dann nach Sin-gapur zum World Gourmet Sum-mit, wo wir neben einem Work-shop ein Gala-Dinner ausrichten werden.

Sind Ihre Gastspiele immer aus-

verkauft?

Die Plätze reichen noch nicht ein-mal! Ich erinnere mich an ein Gastspiel vor einigen Jahren. Ich war im Les Airelles in Courche-vel, 157 Dinner-Tickets waren ver-kauft. Aber das Restaurant hatte nur 90 Plätze. Die Organisatoren haben deswegen im Nachbarres-taurant des berühmten Pierre Gag-naire Plätze angemietet.

Haben Sie im Ausland Lieblings-

restaurants? Welche Restaurants

sind für Sie die bedeutendsten?

Da gibt es einige. Zu nennen wären etwa das D.O.M. in São Paulo, das L’Astrance in Paris und das Noma in Kopenhagen. Allerdings kann ich mich für die nordische Küche nicht so begeistern. Ich sehe dort fast keine Entwicklung. Dass beim letzten Kochwettbewerb im Bo-cuse d’Or Norwegen den Sieg da-vontrug, erschien mir ziemlich un-gerecht. Die Amerikaner waren erheblich besser.

Werden Sie ein weiteres Restau-

rant im Ausland eröffnen?

Es gibt diverse Angebote – aus London, Monaco oder Montreux. Ich überlege es mir.

Das Gespräch führte Irina Mak.

folgte 2001 sein erstes Restaurant in Moskau und 2004 in Genf. Mit seinem Green in Genf schaffte es Komm als erster Russe auf die Liste der Köche, die für ein Lokal mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet sind. Nach seiner Rückkehr nach Moskau 2006 widme-te sich Komm der russischen und so-wjetischen Küche und interpretierte sie mit Kunstgriffen aus der Haute Cuisine und der Molekularküche neu.

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10 RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Kunst

FLORA MOUSSARBTH

Als Sohn eines Juweliers brachte

er die Firma seines Vaters zu

Weltruhm und erwarb die Gunst

des Zaren. Doch am Ende wurde

seine enge Bindung zu Russland

Carl Fabergé zum Verhängnis.

DIE FABERGÉ-SAGA: VOM UNTERGANG ZWEIER IMPERIEN

KAUM EIN JUWELIER UND EUROPÄER WURDE IN RUSSLAND SO BEWUNDERT WIE

CARL FABERGÉ. ER BELIEFERTE ADLIGE UND DEN ZARENHOF. DOCH DER

UNTERGANG DER MONARCHIE BRACHTE AUCH DIE FIRMA FABERGÉ ZU FALL.

SCHÄTZE DES ZAREN

Im Jahr 1883 gibt Zar Alexander III. zwei zikadenförmige Man-schettenknöpfe bei einem gewis-sen Carl Fabergé in Auftrag. Der junge Juwelier hatte die Aufmerk-samkeit des Zaren während der Russischen Industrieausstellung auf sich gezogen, die ein Jahr zuvor in Moskau stattfand.So begann das erste Kapitel einer langen Geschichte der Freund-schaft zwischen dem Haus der Romanows und einem Mann, des-sen Name bald für den Glanz und die Größe des Russischen Kaiser-reichs stehen würde. Mit dem Ausbruch der Oktoberrevolution dreißig Jahre später fand die Ge-schichte ein jähes Ende.Doch zuvor durchlebte das Kai-serreich eine Phase des Friedens und der Stabilität, eine Ära von industriellem Wachstum, Wohl-stand und Überfluss, gekenn-zeichnet durch große künstleri-sche Leistungen. Um dem an-spruchsvollen Geschmack ihrer Kunden gerecht zu werden, be-sannen sich die russischen Juwe-liere ihrer Wurzeln, kehrten von europäischen Standards ab und versuchten ihren Arbeiten einen authentischen Touch zu verlei-hen. Schmuck und Edelmetalle waren zu jener Zeit fester Bestand-teil des Alltags russischer Ade-liger und Angehöriger der Zaren-familie. Für Fabergé war das die Stunde der Gunst und Gloria.

Frischer Wind bei FabergéDer herausragende Erfolg des 1842 von Gustav Fabergé gegrün-deten Juweliergeschäfts geht wohl auch auf seinen Standort im Her-zen Sankt Petersburgs zurück, größtenteils aber auf die hervor-ragende Qualität, die es bot. Al-lerdings sei angemerkt, dass Fa-bergé senior zwar ein geschick-ter Juwelier, aber für seine Zeit nicht allzu innovativ gewesen ist, wie seine persönlichen Entwür-fe, die bis heute erhalten sind, belegen.Im Jahr 1872 übernahm sein äl-tester Sohn Peter Carl Fabergé die Führung des Familienunter-nehmens. „Ungeachtet seines jun-gen Alters – er war gerade 26 – war Carl ein erfahrener Juwelier.

für sie das erste seiner berühm-ten Ostereier. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein lackiertes wei-ßes Ei. Im Inneren enthält es aber goldenes Eigelb. Inmitten des Dotters befi ndet sich eine Henne mit einer Miniaturkrone aus Di-amanten und Miniatureiern aus Rubinen. Die Zarin war von dem Geschenk derart entzückt, dass der Zar mit Fabergé eine Verein-barung über die Lieferung von einem Osterei pro Jahr traf.Die Tradition überlebte den Kai-ser und ging an seinen Sohn und Nachfolger Nikolaj II. über. Von den insgesamt 71 Eiern, die das Unternehmen kreierte, waren 52 für die Zarenfamilie bestimmt. Zusätzlich erhielt das Haus Fa-bergé Aufträge anlässlich beson-derer Zeremonien, wie etwa die offizielle Krönung Nikolajs II. im Jahr 1894 oder das offizielle Ju-biläum zur 300-jährigen Regent-schaft der Romanows im Jahr 1913.

Vorabend eines turbulenten Jahrhunderts Aus Dankbarkeit für die Bemü-hungen des Juweliers half die Za-renfamilie eine Ausstellung sei-ner Arbeiten zu organisieren. Im März 1902 fand sie statt – das glorreiche Ereignis in der Unter-nehmensgeschichte dauerte zwei Tage. Ausgestellt wurden Faber-gés Arbeiten für die Zarinnen Maria und Alexandra Fedorow-na sowie für andere Angehörige der Zarenfamilie.Neben den berühmten Eiern fer-tigte das Haus Fabergé vielfälti-ge andere Juwelen, Statuen und Geschirr aus Edelmetallen. Jedes

Stück ist ein Meisterstück für sich. Fabergé wurde nicht nur in-nerhalb des Russischen Reiches, sondern auch über seine Grenzen hinaus hoch geschätzt: Seine Er-zeugnisse dienten oft als Ge-schenk für europäische Königs-häuser. Bald eröffnete Fabergé Nie-derlassungen in Moskau, Odes-sa, Kiew und London und liefer-te auch an den König von Siam oder die britischen Royals. Ein weiterer Erfolgsfaktor des Unternehmens war das Marke-ting- und Managementgeschick von Carl Fabergé. Laut dessen Biografen Walentin Skurlow hatte der Mann ein Gespür für die bes-ten Kunsthandwerker und Han-delsvertreter. Um auch Kunden aus entfernten Regionen den Zu-gang zu seinen Produkten zu er-öffnen, lieferte er Warenkatalo-ge an sie aus. Bis zum Jahr 1914 stellte sein Imperium nahezu 100 000 einzigartige Arbeiten her. Dennoch musste das Unterneh-men bald einen schweren Schlag hinnehmen. Während des Ersten Weltkriegs brach der Konsum von Luxusgütern ein und die Gewin-ne von Fabergé wurden durch eine Reihe von Niederlagen zu-nichte gemacht. Wie viele andere vom Konfl ikt betroffene Unter-nehmen versuchte auch Fabergé seine Produktion auf die Bedürf-nisse des Militärs umzustellen. Er nahm Aufträge der Armee zur Herstellung von Offiziersabzei-chen an. Doch die traumhafte Saga des Hauses Fabergé endete mit der Abdankung von Nikolaj II. und dem Sturz der russischen Monarchie. Die neue Regierung der Bolschewiki erklärte einen

3FAKTEN

ÜBER

FABERGÉ

1 Ein Fabergé-Museum, das dem russischen Milliardär Wiktor Wekselberg gehört, wurde am

19. November 2013 im Schuwalow-Schloss in Sankt Petersburg eröffnet. Das Schloss befand sich bis Mitte der 2000er-Jahre in einem desola-ten Zustand. Die Restaurierung des Gebäudes kostete mehr als 27 Milli-onen Euro. Die Grundlage der Aus-stellung bildet die Privatsammlung Wekselbergs. Sie besteht aus unge-fähr 4 000 Werken der dekorativen angewandten Kunst, inklusive einer Sammlung von Fabergé-Eiern, die 2004 von den Erben des US-Mag-naten Malcolm Forbes an den russi-schen Oligarchen verkauft wurden.

2 Heute existieren 62 Eier aus insgesamt 71 bekannten Schmuckstücken. Aus der

Kollektion des Zaren, die 54 Faber-gé-Eier umfasst, sind bis heute acht Stück verschollen. Die meisten Eier befinden sich in Museen in Russland und den USA.

3 Wie viele Fabergé-Eier ge-nau hergestellt worden sind, ist nicht bekannt, weil nur die

Zarenkollektion dokumentiert ist. Vor einigen Jahren sorgte der Verkauf des sogenannten Rothschild-Eies für Aufsehen. Dieses war ein ganzes Jahrhundert lang unbemerkt von der Öffentlichkeit aufbewahrt worden.

Er hatte in Europa studiert und Reisen nach Deutschland, Frank-reich und Italien unternommen, wo er das Beste vom Besten an Tra-ditionen und Know-how aufgriff“, erzählt Caroline Charron, Buchau-torin von „Fabergé: de la cour du tsar à l’exil“ (zu Deutsch: „Faber-gé: Vom Hof des Zaren ins Exil“). Während seiner Zeit in Europa lernte Carl mit dekorativem Glas, Opal, Amethyst und anderen Ma-terialien umzugehen, die von den Juwelieren seiner Zeit eher sel-ten verwendet wurden.Um auch die traditionelle Hand-werkskunst zu erlernen, bot Fa-bergé seine Dienste der Eremi-tage in Sankt Petersburg an. Kos-tenlos reparierte und restaurier-te er die Juwelensammlung des Museums und erlangte auf diese Weise schließlich die alten Hand-werkstechniken. Einige Jahre spä-ter führte er mit Unterstützung sei-nes Bruders Agathon und einem exzellenten Team an Dekorateu-ren und Kunsthandwerkern sein Unternehmen an die Spitze.

Lieferant des ZarenhofsIm Jahr 1884 wurde Fabergé zum Lieferanten des Zarenhofs und da-mit, wie man heute sagen würde, zu einem Big Player im Geschäft. Dabei war sein Geheimnis wirk-lich einfach: Carl legte größten Wert auf die Qualität seiner Mate-rialien. Zudem musste die Ver-arbeitung seiner Erzeugnisse ab-solut perfekt sein, bevor sie die Werkstatt verlassen durften. „Sei-ne Stärke war auch seine Geniali-tät: Fabergé verstand es, die euro-päische Kunst und Kultur mit russischen Traditionen zu ver-binden“, erläutert Caroline Char-ron den Unternehmenserfolg. Anders als andere Juweliere ver-wendete Fabergé nicht pures Gold allein, sondern erlaubte sich, hin und wieder Legierungen von wei-ßem und grauem Gold einzufü-gen. An den Edelsteinen schätz-te er deren ästhetischen Wert stets mehr als ihren aktuellen Preis. Dank der innovativen Lackiertech-nik seines Unternehmens wiesen seine Erzeugnisse ein einzigar-tiges Aussehen auf und die Ver-wendung halbedler Steine – ein außergewöhnlicher Kunstgriff zu seiner Zeit – garantierte seinen Produkten stets wettbewerbsfä-hige Preise.Die Zarin Maria Fjodorowna, Ehegattin Alexanders III., hatte einen Sinn für Diamanten und Smaragde. 1885 kreierte Carl Fa-bergé auf Bestellung des Zaren

1. Das Hennen-Ei, welches

1885 von Zar Alexander III.

als Geschenk für seine Frau,

Maria Fjodorowna, in Auftrag

gegeben wurde.

2. Carl Fabergé 3. Porträt von

Zar Alexander III., 1899.

4. Das Kuckucksei aus der

Privatsammlung von Wiktor

Wekselberg.

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11RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Kunst

JULIA WINOGRADOWAFÜR RBTH

Russische Milliardäre haben über

Jahre viele Kunstwerke erwor-

ben. Während einige den An-

blick privat genießen, teilen an-

dere ihren Kunstgeschmack

gerne mit der Allgemeinheit.

1 Fabergé-Kollektion der Fami-

lie Forbes. Der russische Oli-garch Wiktor Wekselberg er-

warb im Jahr 2004 die Fabergé-Sammlung aus dem Besitz der amerikanischen Verlegerdynastie Forbes. Zur Sammlung gehören neun kaiserliche Fabergé-Eier so-wie 190 weitere Kunstwerke des Juweliers. Wie viel Wekselberg in-vestierte, ist nicht bekannt, doch der Wert der Sammlung soll 72 bis 96 Millionen Euro betragen haben. Die Sammlung wurde auf Ausstel-lungen gezeigt und fand 2013 im neuen Sankt Petersburger Fabergé-Museum der Stiftung Swjas wrem-jon („Verbindung der Zeiten“) eine Heimat. „Wir freuen uns, dass eine neue Ära in Russland die Rückkehr der Kunststücke möglich macht“, ließ die Forbes-Familie damals mitteilen.

2 Das „Schwarze Quadrat“

von Kasimir Malewitsch.

Wladimir Potanin schenk-Bis zum Jahr 1914 lieferte das Unternehmen von Carl Faberge insgesamt über 100.000 enzigartige Schmuckstücke aus.

Krieg gegen das alte Regime und begann mit der Auslöschung aller Spuren des Kapitalismus.

Das Ende des Imperiums Die meisten von Fabergés Kun-den fl ohen außer Landes, andere wurden verhaftet. Das Unterneh-men wurde verstaatlicht und sei-

ne Niederlassungen geschlossen. Auch Carl verließ Russland im September 1918. Zwei Jahre spä-ter verstarb der Unternehmer in der Schweiz. Seines Lebenswerks beraubt hatte er in der neuen Welt keinen Platz gefunden.Zwei Jahre nach seinem Tod grün-deten die Söhne Alexander und

Ewgenij Fabergé ihr eigenes Un-ternehmen in Paris, das sie Fa-bergé et Cie nannten. Dem Erfolg ihres Vaters, des Juweliers des russischen Zaren, wurden sie al-lerdings nicht gerecht. Die unschätzbaren Arbeiten des Hauses Fabergé begeistern nach wie vor Luxusliebhaber und Kunst-sammler. Im Jahr 2007 wurde das Rothschild-Ei von Carl Fabergé bei Christie’s für 12,5 Millionen Euro versteigert, wodurch es zum teuersten Objekt des russischen Kunsthandwerks aller Zeiten ge-worden ist. Die Marke Fabergé lebt weiter. An-fang des zwanzigsten Jahrhun-derts verkauften Alexander und Ewgenij sie an Samuel Rubin, der das auf Düfte spezialisierte Un-ternehmen Fabergé Inc. gründe-te. Es wurde später mehrere Male weiterverkauft, bis es schließlich 2012 von der Firma Gemfi elds für 142 Millionen US-Dollar über-nommen wurde.

Juwelen der Oligarchen: Die teuersten Kunstkäufe

te der Eremitage eines von Kasi-mir Malewitschs Gemälden vom Schwarzen Quadrat, das er 2002 aus der Insolvenzmasse der In-kombank für eine Million US-Dollar (890 000 Euro) kaufte. Das „Schwarze Quadrat Nr. 2“ von 1913 gehörte bis 1991 der Witwe des Malers und geriet nach ihrem Tod in den Besitz der Bank. Es gehört zur Dauerausstellung der Eremitage.

3 „Dora Maar au chat“ von Pa-

blo Picasso. Boris Iwa-nischwili, der 2011 die rus-

sische Staatsbürgerschaft aufgab, ersteigerte 2006 bei Sotheby’s für 95,2 Millionen US-Dollar (75 Mil-lionen Euro) Pablo Picassos „Dora Maar au chat“. Das Porträt seiner Freundin und Muse hatte Pablo Picasso 1941 im belagerten Paris gemalt. Es gehörte lange Zeit der Familie Gidwitz, US-amerikani-schen Multimillionären. „Dora Maar au chat“ gehört zu den zehn Werken, die bei offenen Auktionen den höchsten Preis erzielt haben. Mit diesem Werk fügte Iwanisch-wili seiner weitgehend unbekann-ten Sammlung, deren Wert auf über eine Milliarde US-Dollar geschätzt wird, ein weiteres Meisterstück hinzu.

4 „Studie für Improvisation

8“ von Wassily Kandinsky.

Ein russischer Privat-sammler soll 2012 Wassily Kan-dinskys „Studie für Improvisation 8“ für 23 Millionen US-Dollar (18 Millionen Euro) bei Christie’s in New York ersteigert und damit ei-nen neuen Preisrekord für Kan-dinskys Werke aufgestellt haben. Das Gemälde entstand 1909 in Murnau und ist Teil einer Serie aus

acht Bildern, die den Titel „Impro-visation“ tragen. Das Bild wurde nur durch Zufall entdeckt: Es war unter einem anderen Werk Kan-dinskys versteckt.

5 Fabergé-Ei von Rothschild.

Der Kunstsammler Alex-ander Iwanow ersteigerte

2007 für 18,5 Millionen US-Dollar (12,5 Millionen Euro) ein Fabergé-Ei, das für die Familie Rothschild angefertigt wurde. 2009 eröffnete Iwanow ein Fabergé-Museum in Baden-Baden mit über 700 Expo-naten, darunter auch ein Teil der berühmten Fabergé-Eier. Das Roth-schild-Ei gehört seit Dezember 2014 der Sankt Petersburger Ere-mitage. Iwanow hatte es zuvor an den Präsidenten der Russischen Föderation übergeben.

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12 RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Reisen

JOE CRESCENTEFÜR RBTH

Dank Erdöl entwickelte sich Sur-

gut zu einer Wirtschaftsmetro-

pole. Touristen haben die Wahl

zwischen moderner Industriege-

schichte oder der traditionellen

Welt der Ureinwohner Sibiriens.

Die älteren Bewohner Surguts er-innern sich noch an die gar nicht allzu lang vergangenen Zeiten, als Surgut ein Dorf war und in den Bevölkerungsregistern kaum Be-achtung fand mit seinen nur rund 6 000 Einwohnern. Der rasante Aufstieg zur modernen Stadt mit gigantischen Einkaufszentren, Restaurants, einem dekadenten Nachtleben und protziger Archi-tektur ist der Ölindustrie zu ver-danken. Heute haben hier wich-tige Konzerne entweder ihren Stammsitz, so wie Surgutneftgas mit über 82 000 Beschäftigten, oder unterhalten Niederlassungen wie der Gasriese Gazprom.

Vom Dorf zur StadtAn die Vergangenheit als Fischer-dorf erinnert auch der Name der Stadt, der einer Version zufolge in der chantischen Sprache so viel wie „Fischgrube“ bedeutet. Sur-gut liegt im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen, der Urein-wohner Sibiriens. Heute bilden sie in der Stadt mit ihren 300 000 Einwohnern die zweitgrößte Bevöl-kerungsgruppe.Wer Surgut sehen will, wie es einst vor dem Ölboom aussah, sollte zunächst nach Stary Surgut (zu Deutsch: „Altes Surgut“) fahren, ein kürzlich rekonstruiertes Dorf. In den 14 Holzhäusern sind unter anderem ein Museum für die in-digene Bevölkerung untergebracht, eine rekonstruierte Holzkirche, ty-pisch für den russischen Norden, und zudem einige Restaurants.

Das Museumsdorf erinnert daran, dass die Stadt eine der ältesten russischen Siedlungen Sibiriens ist. 1594 ließ der russische Zar Fjo-dor I., Sohn von Iwan dem Schreck-lichen, sie als Vorposten gründen. Ein eindrucksvolles Denkmal er-innert an die drei Gründungsvä-ter: einen Kosaken, einen Kauf-mann und einen Heerführer. Be-reits im 17. Jahrhudert wurde die Siedlung ein Ort des politischen Exils. Im 19. Jahrhundert lebten hier sogar einige Dekabristen.Nach der Revolution 1917 verlor die Siedlung ihren Stadtstatus, für einige Zeit galt sie als Dorf. Die Wende kam Ende der 1950er-Jah-re, als man mit der Suche nach Öl begann. Am 21. März 1961 ent-deckte der Geologe Farman Sal-manow ein großes Ölvorkommen. In Surgut brachen fortan andere Zeiten an.Heute widmet sich das Salmonow-Museum ganz dem berühmten Geologen. Das Haus, in dem er wohnte, als er 1957 zum ersten Mal nach Surgut kam, bietet außerdem einen Einblick in die Wissenschaft der Ölförderung. Das Gebäude selbst ist restauriert und zeigt die Lebensbedingungen im Surgut der 1960er-Jahre.Das Heimatmuseum von Surgut beherbergt eine Dauerausstellung über die Lokalgeschichte mit so unterschiedlichen Facetten wie dem Leben der Altgläubigen, der Ära des politischen Exils und der Revolutionszeit. Man kann hier auch einige demontierte sowjeti-sche Statuen sehen. Gezeigt wird außerdem eine Ausstellung über die Kindheit in der Sowjetunion mit Kleidung und Spielzeug. Das Surgut Art Museum präsentiert temporäre Ausstellungen zu den verschiedensten Themen, von lokalen Trachten bis zur Ikonen-malerei.

Surgut: Erdöl, Ski und Rentierreiten in Sibirien

Industrietourismus Bodenschätze brachten der Tundra-Stadt Surgut Wohlstand

Öl, Ski und RentierreitenNeben den klassischen Museen wird der sogenannte Öltourismus immer beliebter. Wer will, kann hautnah dabei sein, wenn das schwarze Gold gewonnen wird, und einen Bohrturm erklimmen oder ein Erinnerungsfoto in der Montur eines Ölarbeiters ma-chen. Besucher können versuchen, doch noch Einlass in das mittlerweile offiziell geschlossene Öl-Museum in der lokalen Geschäftsstelle von Gazprom zu bekommen. Denn für Reisegruppen und Schulklassen wird manchmal eine Ausnahme gemacht.Wer sich lieber aktiv erholen will, dem stehen zahlreiche Wintersport-optionen offen. Drei Orte, die unter anderem zum Skifahren einladen,

sind Olimpia, Sneschinka und Myss Kamennyj. Skifahren macht hungrig, wie gut, dass Gourmets in Surgut ebenfalls auf ihre Kosten kommen. Fisch ist die wichtigste Delikatesse, der Muksun steht hier an erster Stel-le. Stör und Weißlachs sind eben-falls sehr beliebt, man kann sie geräuchert oder frisch kaufen. Die Einheimischen bieten im Winter Fisch, Rentierfl eisch, Nüsse und Beeren auf der Straße an. Gesund-heitsbewussten Besuchern sei die Vegan Health Food Bar empfoh-len, in der man sonntags frühstü-cken, Smoothies trinken und Live-musik hören kann. Es lohnt sich übrigens, auch die Umgebung der Stadt zu erkunden und den rund 130 Kilometer lan-gen Weg von Surgut Richtung Nor-

den nach Russkinskaja auf sich zu nehmen. Die Tundra-Stadt bietet als eine der wichtigsten Sehens-würdigkeiten ein Naturkundemu-seum. Hier werden Ausstellungen über die heimische Tierwelt und die indigene Bevölkerung gezeigt. Ende März fi ndet in Russkinska-ja ein Festival der Jäger, Fischer und Rentierzüchter statt. Diese Zeit eignet sich besonders für eine Reise für jene, die sich einen le-bendigen Eindruck von der Kul-tur der Ureinwohner machen wol-len. Mutige können zudem einen Ritt auf einem Rentier riskieren. 95 Kilometer nordwestlich von Surgut liegt das malerische Chan-ten-Dorf Ljantor am Fluss Pim. Hier stellt ein ethnografi sches Mu-seum mit Freiluftgelände den Lebensraum der Chanten vor.

Tipps für Reisende

ANREISE Über Moskau gibt es tägli-che Flugverbindungen von Aeroflot und UTair nach Surgut (Flugzeit knapp drei Stunden).UNTERKUNFT bieten das preisgünsti-ge Ob Hotel (Zimmer ab 28 €) und das Hotel Centre für Geschäftsreisen-de (Zimmer ab 64 € ohne Frühstück).ESSEN Gesundheitsbewussten Besu-chern sei die Vegan Health Food Bar empfohlen. Das Lokal Sjem Pjatniz („Sieben Freitage“) bietet russische als auch europäische Gerichte an.

SHUTTERSTOCK/LEGION-MEDIA(2)

RAMIL SITDIKOV/ RIA NOVOSTI