2015-06-02 Griechenland - Wer kein Geld hat stirbt - Tagesspiegel

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2015-06-02 Griechenland - Wer kein Geld hat stirbt - Tagesspiegel

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  • 4.6.2015 Ein griechischer Arzt berichtet: Wer kein Geld hat, der stirbt - Sonntag - Welt - Tagesspiegel

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    Ein griechischer Arzt berichtet

    Wer kein Geld hat, der stirbtVon Harald Schumann

    Griechenland muss sparen, und das sieht so aus: Krebskranke bleiben ohne

    Hilfe, Polio kehrt zurck, Diabetiker erblinden. Georgis Vichas berichtet aus

    der Praxis.

    GIORGIOS VICHAS, 53, ist Arzt und Herzspezialist in einem Athener Krankenhaus.

    Nebenbei leitet er seit vier Jahren eine Poliklinik, wo rzte und andere medizinische

    Fachkrfte in ihrer Freizeit allen Patienten ohne Krankenversicherung kostenlos Hilfe

    bieten. Vichas ist verheiratet und hat zwei Tchter.

    Herr Vichas, mssen Sie frchten, bald einen Herzinfarkt zu bekommen?

    Nein, warum sollte ich?

    02.06.2015 15:34 Uhr

    Georgis Vichas leitet eine Poliklinik, w o rzte allen Patienten ohne Krankenversicherung kostenlos Hilfe bieten. - FOTO: YANNISKOLESIDIS

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    Weil Sie zwei Vollzeitjobs gleichzeitig machen. Sie sind fest angestellter

    Kardiologe in einem Krankenhaus und leiten auch noch eine Einrichtung, wo

    Sie und Ihre Kollegen ehrenamtlich tausende Patienten behandeln, die

    ansonsten keine medizinische Hilfe mehr bekmen. Das hlt niemand auf

    Dauer durch.

    Ich arbeite viel und schlafe nur fnf Stunden pro Tag, das stimmt. Aber ich bin fit, und ich

    wrde ganz bestimmt richtig krank werden, wenn ich es nicht tun und abseitsstehen

    wrde, whrend viele unserer Landsleute so hart kmpfen mssen und leiden.

    Ihre Familie macht das mit?

    Meine Tchter haben vor einem halben Jahr aufgehrt zu fragen, wann die Krise mal zu

    Ende ist. Und meine Frau arbeitet selbst bei uns mit, sie sieht, wie ntig wir gebraucht

    werden.

    Wie kamen Sie dazu, eine Klinik mit Freiwilligen fr kostenlose Behandlungen

    zu grnden?

    Ich arbeite seit vielen Jahren in einem ffentlichen Krankenhaus, und so sah ich im

    Frhjahr 2011 die Folgen, als die Menschen pltzlich zu Hunderttaussenden ihren Job und

    damit auch ihre Krankenversicherung verloren. Damals hatte ich einen 52-jhrigen

    herzkranken Patienten, der fast gestorben wre, weil er ein halbes Jahr lang die ntigen

    Medikamente nicht bekommen konnte. Das hat mich tief getroffen, ich fhlte mich

    schuldig.

    Warum? Sie konnten doch nichts dafr.

    Ich sah, wie die Menschen litten, und tat nichts dagegen, weil ich nicht wusste, wie. Das

    nderte sich erst im August 2011. Ich war bei einem Konzert mit Mikis Theodorakis,

    unserem groen Komponisten. Er hielt eine leidenschaftliche Rede und sagte unter

    anderem, was ich die ganze Zeit schon dachte, nmlich dass die rzte endlich etwas

    unternehmen sollten, um den Menschen ohne Versicherungsschutz in ihrer Not und

    Angst beizustehen. Das hat mich kalt erwischt. Das Konzert fand hier auf dem Gelnde

    des alten Flughafens statt, und dann kam mir die Idee: Es gab all die leer stehenden

    Gebude, und ich dachte, in einem knnen wir vielleicht ein freies Ambulatorium

    einrichten. Zum Glck hat uns dann der Brgermeister des Bezirks untersttzt. Er

    berlie uns dieses Haus, Strom und Wasser werden bezahlt.

    Lsst denn Ihr Arbeitgeber Sie einfach eine weitere Arbeit machen?

    Der Geschftsfhrer unseres Krankenhauses war der Erste, den ich berzeugte. Er sah ja

    die Not und arbeitet selbst mit. Die Mittel fr den staatlichen Gesundheitsdienst sind mit

    den Auflagen der Kreditgeber und ihrer Troika aus Internationalem Whrungsfonds, EZB

    und EU-Kommission um mehr als 40 Prozent gekrzt worden. Die Hlfte aller rzte in

    den ffentlichen Krankenhusern und Ambulatorien wurde entlassen. Gleichzeitig verlor

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    rund ein Viertel der Bevlkerung mit den Jobs auch ihre Krankenversicherung. Und selbst

    jene, die noch Lhne oder Renten bekamen, haben oft so wenig, dass sie die hohen

    Zuzahlungen fr die Medikamente oder Behandlungen nicht zahlen knnen.

    Was heit das praktisch, wenn jemand nicht mehr versichert ist?

    Stellen Sie sich vor, Sie werden krank und mssen wegen einer Operation oder

    Behandlung ins Krankenhaus. Dann bekommen Sie eine Rechnung ber ein paar tausend

    Euro. Und wenn Sie nicht bezahlen, dann rechnet Ihnen das Finanzamt das als Schulden

    gegenber dem Staat an, und die Beamten erffnen ein Verfahren gegen Sie, mit dem sie

    Ihr Haus oder Ihre Rente pfnden oder Sie sogar ins Gefngnis werfen lassen knnen.

    Und das geschieht wirklich?

    Zum Glck nur ab und zu. Die Drohung ist jedoch real und hat schlimme Folgen: Die

    Menschen vermeiden jede Behandlung, solange sie nur knnen, und machen damit ihre

    Krankheit hufig viel schwerer, als sie sein msste.

    In Griechenland sterben Menschen, nur weil sie nicht mehr versichert sind?

    Ja, so ist das. Nur wird das von keiner Statistik erfasst. Doch wir haben es in unserer

    Praxis erfahren. Wir hatten in den ersten drei Jahren 200 Krebspatienten. Davon kamen

    zehn Prozent erst in einem sehr spten Stadium der Krankheit, die Hlfte von ihnen ist

    gestorben, weil sie nicht rechtzeitig therapiert wurde. Und die gleichen Erfahrungen

    berichten Kollegen aus den anderen Freiwilligen-Kliniken. Wir mssen davon ausgehen,

    dass Tausende gestorben sind, weil sie nicht behandelt wurden.

    "Was bei Diabetikern gespartwurde, wird knftig 200 MillionenEuro Kosten verursachen"

    Gibt es Krankheiten, die typisch fr

    die Krise sind?

    Aids, Tuberkulose und Hepatitis. Die

    Infizierten sind oft gerade die Armen, die

    sich keine Behandlung leisten knnen.

    Darum stecken sie weitere an, und die

    Infektionen breiten sich aus. Hart trifft es

    auch Diabetiker, die ihre Dit nicht halten

    knnen oder nicht gengend Insulin

    bekommen, ihnen drohen Blindheit oder Amputationen. Und viel hufiger als frher

    sehen wir unterernhrte Mtter, Babys und Kinder. Das wird viele Kinder fr ihr ganzes

    Leben schdigen.

    Wenn das stimmt, dann sind die Krzungen selbst gemessen an rein

    konomischen Kriterien vllig unsinnig.

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    Das ist ja das Absurde. Diese Sparmanahmen werden die griechische Volkswirtschaft am

    Ende mehr kosten, als sie der Staatskasse insgesamt einbringen. Allein was bei den

    Diabetikern in den drei Jahren nach 2010 gespart wurde, wird knftig 200 Millionen Euro

    an zustzlichen Kosten verursachen. Das wurde in einer Studie genau vorgerechnet.

    Hat das die Verantwortlichen nicht ins Grbeln gebracht?

    Hren Sie, wir hatten hier bis August vergangenen Jahres einen Gesundheitsminister, der

    hat sogar verfgt, dass die Krankenhuser den Mttern ihre neugeborenen Babys nicht

    geben, bis sie ihre Rechnung bezahlt haben. Den interessierte das nicht!

    Sie bertreiben.

    Das ist tatschlich geschehen, sechs Monate lang wurde das in den ffentlichen Kliniken

    praktiziert. Und noch schlimmer ist, dass sogar bei den Impfungen gespart wird. Die

    meisten Kinder, die zu uns kommen, sind nicht geimpft. Darum mssen wir nun damit

    rechnen, dass die Polio, die Kinderlhmung, wieder ausbricht. Das ist ein Risiko fr ganz

    Europa. Die Erreger werden nicht an den Grenzen haltmachen.

    Haben Sie je mit Vertretern der Kreditgeber aus der Eurozone oder der Troika

    darber gesprochen, wie kontraproduktiv die Krzungen sind?

    Nur mit Abgeordneten aus den nationalen Parlamenten und dem Europaparlament.

    Gerade erst war eine Delegation aus dem deutschen Bundestag hier. Die haben dann

    zugegeben, dass sie selbst schlechte Erfahrungen mit Sparmanahmen haben, die darum

    wieder zurckgenommen werden mussten. Ich sagte ihnen, dann sollten sie doch die

    Regierung von Frau Merkel dazu bringen, auch auf Rcknahme der Krzungen im

    griechischen Gesundheitswesen zu drngen. Da bekam ich von den Abgeordneten die

    Antwort, dafr sei die Troika verantwortlich, nicht die deutsche Regierung.

    Aber sie ist es, die gemeinsam mit den Regierungen der anderen Eurostaaten

    die Troika beauftragt hat, diese Manahmen in Griechenland durchzusetzen.

    Richtig. Die Abgeordneten fhlten sich trotzdem nicht zustndig.

    Auch nicht die aus den Regierungsparteien CDU und SPD?

    Nein, selbst die nicht. Stattdessen haben sie uns Spenden fr die Klinik hier angeboten.

    Es gab gute Grnde, das alte System grndlich zu reformieren. Schlielich war

    es hochgradig verschwenderisch und korrupt.

    Sicher, Reformen waren dringend ntig, es wurde jedoch nicht reformiert, das ganze

    System wurde zerstrt. Man htte die rzte und Praxen besser im Land verteilen mssen,

    man htte den Einkauf von Medikamenten billiger machen und den Einfluss der

    Pharmafirmen zurckdrngen mssen. Und natrlich musste die Korruption bekmpft

    werden. Das ist alles nicht geschehen, sondern es kam einfach nur zu Krzungen und

    Entlassungen.

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    Aber war das die Schuld der Glubiger aus Deutschland und der Eurozone?

    Die Verantwortung dafr liegt doch vielmehr bei der frheren griechischen

    Regierung aus Konservativen und Sozialdemokraten.

    Formal liegt die Hauptverantwortung sicher bei den frheren griechischen Regierungen.

    Und die Beamten der Troika werden das auch immer so sagen. Nur, wenn Sie die

    Memoranda und Berichte der Troika lesen, dann sehen Sie, dass sie dieses brutale

    Programm bis ins Detail geplant hat.

    Warum sollten unbeteiligte Beamte aus Brssel oder Washington so etwas

    wollen, wenn es gar nichts bringt?

    Das habe ich mich auch oft gefragt. Warum erzwingen sie eine so radikale

    Ausgabenkrzung, obwohl es doch nur zu noch mehr Schulden fhrt? Am Ende blieb nur

    eine Erklrung brig: Hier ging es darum, eine Ideologie umzusetzen, die sagt: Wer Geld

    hat, darf leben, wer keines hat, stirbt.

    "Viele schmen sich fr das, wasihre Regierungen in Griechenlanddurchgesetzt haben"

    Frher haben griechische rzte

    zustzlich zu ihrem staatlichen

    Gehalt auch von den Patienten noch

    Geld gefordert. Sie auch?

    Nein, habe ich nicht. Das Unertrgliche ist,

    dass es sogar heute noch vorkommt und

    keiner von denen bisher vor Gericht gestellt

    wurde, nicht ein einziger. Ich versuche seit

    Monaten, im rzteverband die dafr

    zustndigen Ausschsse dazu zu bringen, dagegen vorzugehen. Leider bisher ohne Erfolg.

    Gleichzeitig gibt es aber auch viele, die etwas gegen das Elend tun. Wie viele

    rzte arbeiten hier unbezahlt?

    Wir sind 100 rzte aus allen Fachrichtungen und dazu 200 Schwestern, Pfleger und

    Fachkrfte.

    Und wie viele dieser kostenlosen Ambulatorien fr Notleidende gibt es?

    In ganz Griechenland sind es 50, davon acht in Athen.

    Wie finanzieren Sie das?

    Wir nehmen grundstzlich kein Geld an, nur Sachspenden. Davon bekommen wir zum

    Glck sehr viel von Brgern aus ganz Europa, vor allem aus Deutschland und sterreich.

    Georgis Vichas leitet eine Poliklinik, w o rzte allen Patientenohne Krankenversicherung kostenlos Hilfe bieten. - FOTO:YANNIS KOLESIDIS

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    Ein kleinerer Teil kommt auch aus Frankreich und Italien. Vergangen Monat konnten wir

    mit dem Material unserer Spender sogar zwei ganze Lastwagenladungen an ffentliche

    Krankenhuser weitergeben.

    Die Spenden kommen von den Exilgriechen?

    Nein, nicht von Griechen, unsere Spender sind ganz normale Leute aus anderen

    europischen Lndern.

    Da leisten also Brger die Solidaritt, die ihre Regierungen verweigern?

    Es gibt eben auch in Deutschland oder Frankreich jene, die nicht mit dieser Politik

    einverstanden sind. Ich habe viele getroffen, die sich schmen fr das, was ihre

    Regierungen in Griechenland durchgesetzt haben.

    Knnen Sie und Ihre Kollegen in den anderen Freiwilligen-Gesundheitszentren

    nun die Versorgung leisten, die wegen der Krzungen im ffentlichen System

    fehlt?

    Ach, da ist gar nicht dran zu denken. Wir knnen das Leid lindern, aber das ersetzt keine

    ordentliche Gesundheitsversorgung. Es ist wirklich eine Tragdie. In den ffentlichen

    Krankenhusern fehlt es an allem, nicht nur an rzten, sondern sogar an

    Verbandsmaterial oder Desinfektionsmitteln. Das hat oft schlimme Folgen. Vergangenes

    Jahr gab es zum Beispiel in einer Geburtsklinik im Norden Griechenlands ber Monate

    keine richtigen Nabelschnurklemmen. Das hat viele Babys fast das Leben gekostet.

    Wenn die Lage so schlimm ist, rufen vermutlich jeden Tag viele Leute bei

    Ihnen an, und bitten dringend um Hilfe. Wie halten Sie das aus?

    Manchmal ist es furchtbar. Dann wache ich mitten in der Nacht auf und denke zum

    Beispiel an die Mutter, die ihr Kind nicht retten kann, oder den Krebskranken, der

    eigentlich eine teure Behandlung braucht, die wir ihm nicht bieten knnen. Es gibt Tage,

    da fhle ich mich sehr frustriert und deprimiert.

    Die neue Linksregierung hat versprochen, diese humanitre Notlage zu

    bekmpfen. Hat sich die Lage seit deren Amtsantritt im Februar nicht

    gebessert?

    Na ja, wenn ein Wagen mit Vollgas bergab fhrt, und man wechselt den Fahrer, dann ist

    die Fahrt in den Abgrund noch lange nicht vorbei. Immerhin gibt es jetzt

    Nahrungsmittelgutscheine und Strom fr die ganz Armen. Die neue Regierung hat

    auerdem ein Gesetz verabschiedet, wonach auch die Nichtversicherten Zugang zu den

    ffentlichen Kliniken haben. Praktisch ist das allerdings noch keine wirkliche Hilfe, weil

    das ffentliche System mangels Personal und Ausrstung vllig berfordert ist.

    Es fehlen rzte und Pfleger.

    Ja, sicher. 4000 rzte sind ins Ausland gegangen, davon 2500 nach Deutschland. Und

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    selbst wenn die Menschen einen Termin bekommen, heit es nicht, dass ihnen auch

    geholfen wird. Oft fehlen die ntigen Gerte, oder die Medikamente sind unbezahlbar

    teuer. Wir mssen also weiter kmpfen und die Regierung unter Druck setzen.

    Die Chance auf Besserung der Lage ist gering?

    Ehrlich gesagt, ich erwarte wenig von den Regierungen, sowohl hier als auch im brigen

    Europa. Die Lage ist zu verfahren und aufgeheizt. Am meisten Hoffnung schpfe ich aus

    der ungeheuren Solidaritt der Menschen untereinander bei uns und aus der groen

    Untersttzung unserer Freunde in Deutschland und anderen europischen Lndern. Das

    macht mir Mut.

    Haben Sie je erwogen, selbst in die Politik zu gehen, um das System auf diesem

    Weg zu ndern?

    Ja, ich habe darber nachgedacht. Mehr aus Verzweiflung als aus berzeugung. Ich habe

    mich sogar fr Syriza bei der vergangenen Wahl nominieren lassen, weil ich mich

    verpflichtet fhlte. Aber ich habe dann keinem Journalisten davon erzhlt, keinerlei

    Wahlkampf gemacht und bin auch nicht gewhlt worden. Darber bin ich jetzt ganz froh.

    Mein Platz ist bei den Kranken, die brauchen mich.

    Mehr ber die "Metropolitan Community Clinic" erfhrt man auf der englischsprachigen

    Website.