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In einerViertelstundereissen wir das Ding!

Erfahrungen im Kampf gegen Gentech&Überlegungen zu Strategie und Aktionsformen

Gespräch Nr. 1… mit oder ohne „Faucheurs volontaires“ (Frankreich)… über dieWiederaufnahme des Kampfes in der Schweiz

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Einleitung p.3

Gespräch zwichen Camille, Rémiund Christophe p.6

Aktionen der "Faucheurs" 2014­2015 p.34

Einige kritische Überlegungen p.38

erste übersetzte AusgabeMärz 2016, Editions A l'Arrache

Kontakt: [email protected]

diese Broschüre ist herunterladbar von https://infokiosques.net

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EinleitungDer Kampf gegen die genmanipulierten und patentiertenPestizidpflanzen, das heisst die sogenannten «GVO», ist ein Kampfgegen die technologischen und industriellen Gefahren, der in denletzten zwanzig Jahren vor allem in Europa an Stärke gewonnen hat.

Dieser Kampf wurde in den verschiedenen Ländern mitunterschiedlichen Aktionsformen geführt und hat – je nach Kontext –ein anderes Intensitätslevel erreicht. Dieses hängt nicht zuletzt vonden Kompromissen ab, die von den Staaten gemacht wurden, wiebeispielsweise den Moratorien, welche die Gemüter beruhigen undden Lobbies Zeit verschaffen, um ihre Arbeit zu leisten. DieWissenschaftler*innen und anderen Diener*innen der Industriewerden denn auch dafür bezahlt, ununterbrochen zu arbeiten. Sielassen keine Kampffront ungenutzt und eröffnen andauernd neue.Was tun angesichts dieser Mächte? Die Versuchung ist gross, aufneue Gesetze zu setzen: Mensch stellt sich vor, so könnten gewisseDinge definitiv verboten werden. Doch, wie alle Aktivist*innen in der«besten Demokratie der Welt» wissen, ziehen in einerrepräsentativen Demokratie diejenigen die Fäden, die Milliardeninvestieren können...

Zwei gewichtige Argumente sprechen also dafür, auf andere Weiseein Kräfteverhältnis herzustellen, als vom Gesetz vorgesehen ist: 1.Diejenigen, die an der Macht sind, geben nicht nach, solange sienicht dazu gezwungen sind; 2. Um die andauernde Welle neuerKontrolldispositive (technologischer und anderer) zu stoppen, mussdie bestehende Ordnung richtiggehend umgestürzt werden. Dasheisst, dieser Kampf muss mit den entsprechenden Mitteln geführtwerden. Das erste Argument ist vereinbar mit an den Staatgerichteten Forderungen nach reformistischen Anpassungen, wiebeispielsweise die Faucheurs Volontaires zeigen, während daszweite die Perspektive zahlreicher Menschen darstellt, die sich demWiderstand in einer radikaleren Sichtweise angeschlossen haben.Doch die beiden Gruppen sind nicht klar voneinander getrennt. Dieaktivistischen Tätigkeiten der einen Seite nützen manchmal auch deranderen Seite; doch wenn die grundsätzlichen Differenzen zu Tagetreten, kommt es häufig zu grossen Spannungen. Dennoch sind dieindividuellen Lebenswege der Aktivist*innen divers.

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Die Faucheurs Volontaires wurden in Frankreich von anarchistischen,anti­industriellen Kreisen stark als Aushängeschild der«citoyennistischen» Bewegung kritisiert, siehe auch Kapitel «Einigekritische Überlegungen» auf Seite 37. Auch wenn der Autor dieserBroschüre diese Kritik weitestgehend teilt, so blieb er mit einigen –nicht ganz kleinen – Fragezeichen zurück, auch aufgrund desAbstands, den er als Aktivist aus einem anderen Land hat. Wieweiter, wenn die Partie scheinbar verloren ist, die Kämpfe von einigenAkteur*innen und ihren Interessen vereinnahmt worden sind, dersoziale Frieden noch verstärkt worden ist? Gehen wir einfach zumnächsten Kampf über? Wie lässt sich erklären, dass dieSabotageakte der Faucheurs Volontaires weitergegangen sind1, auchnachdem Einige Feinde der besten aller Welten 2004 ihr definitivesUrteil verkündet hatten2 («Es ist unübersehbar, dass die Transgeneseder Welt aufgezwungen wird (…) Der Kampf gegen GVO kann nichtgewonnen werden, weder in Europa, noch anderswo.»)? Und wiesteht es um den Aspekt, dass diese Bewegung, die sich auf diedirekte Aktion beruft, in der Bevölkerung breit abgestützt ist, und wiesteht es um Fragen der Hierarchie und der Autonomie? Kann menschsich trotz allem von dieser Bewegung inspirieren lassen, um sich denKampf wieder anzueignen?

Für mich, der am erneuten Aufflammen des Kampfes in der Schweizbeteiligt war, wurden diese Fragen umso aktueller – insbesondere dasich die Aktionen dieser neuen Kampfphase momentan auf denEinsatz von Farben und Plakaten beschränken – und ich hoffte, baldschon Erfahrungsberichte von Menschen sammeln zu können, die andiesen Bewegungen teilgenommen hatten. Letzten Sommer hatte ichdas Glück, Menschen kennen zu lernen, die sich in in diesenBewegungen engagiert haben oder damit in Kontakt kamen, aberkeine Parteifunktionäre sind und daneben auch über andereErfahrungen verfügen. Diese sympathische Begegnung hat zumAustausch geführt, der in dieser Broschüre aufgezeichnet ist.

Die Fragen zum Sinn, den die Aktionsformen und die Forderungenrund um die Beherrschung oder die umfassendenEmanzipationsperspektiven verleihen, dürfen nicht von einfachentaktischen oder strategischen Notwendigkeiten erstickt werden.Dennoch scheint es mir notwendig, Urteile nicht ein für allemal

1 Siehe Kapitel Aktionen 2014­2015 am Ende dieser Broschüre.2 OGM Fin de partie, https://infokiosques.net/spip.php?article204

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festzuschreiben, denn das hiesse vorzugeben, über die absoluteWahrheit zu verfügen. Es ist wichtig, mit den Akteur*innen derKämpfe zu sprechen, die kritisch und unabhängig sind. Denn siekönnen sich selber weiterentwickeln, wie auch uns mit ihrenErfahrungen und Überlegungen ins Nachdenken bringen.

Dieser Austausch war meinerseits von der Entscheidung geleitet (undes scheint mir, dass dieser Wunsch auch von den anderenTeilnehmenden geteilt wurde), nicht allzu sehr nach möglichenMeinungsverschiedenheiten zu suchen, sondern die anderen ihreGesichtspunkte ausführen zu lassen und davon auszugehen, dasssie genügend Interessantes beinhalten, damit die Kritik weitergedachtwerden kann.

Das Hauptziel dieser Übung war klar, die Vorstellungen davon zunähren, was im Kampf in der Schweiz alles möglich wäre, denn diesesind meiner Meinung nach momentan sehr bescheiden. So könntedies der Beginn eines internationalen Austauschs vonKampferfahrungen und strategischen Überlegungen sein, der für alleBeteiligten nützlich wäre. Denn nach bald zwanzig Jahren Widerstandgegen GVO sind die Herangehensweisen und Praxen bestimmt sehrdivers. Falls schon ähnliche Initiativen existieren, bin ich froh, wennich via der E­Mailadresse auf Seite zwei darauf aufmerksam gemachtwerde.

Weil die Partie noch nicht verloren ist, weil die Forschungununterbrochen neue Technologien hervorbringt, die zu neuenOffensiven führen, und weil nicht feststeht (egal, was einige sagen),dass das Verlangen nach Freiheit verkümmert, denn wir sind viele,die es in uns brodeln spüren:

Auf dass der Widerstand zunimmt, dass der Kampf wieder in dieOffensive geht!

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Dieser Gespräch wurde irgendwo in Frankreich in Juli 2015durchgeführt. Die Vornamen sind erdichtet.

Camille : Hi, ich heisse Camille und ich wohne in der Region Rhône­Alpes. Ich bin seit knapp 10 Jahren Imker und ich werde eucherklären, was 2009 passiert ist, genauer gesagt Ende 2009, als michdie „Faucheurs“ [die „Faucheurs Volontaires“ (absichtliche Mäher)sind eine französische Bewegung, die Gentechfelder zerstört]kontaktiert haben, um über Organisationsformen undFunktionsweisen zu diskutieren im Zusammenhang mit Bienen, diegegen Gentech kämpfen.

Ich war schon immer fasziniert von der „Faucheur“­ Bewegung.Seit2007 gibt es eine Gruppe von 300 bis 400 Personen, die angefangenhaben, „Nein“ zu sagen zum Anbau von Gentech­Mais in Frankreich.Es war ja geplant, 2007 auf 70‘000 Hektaren Mais zu pflanzen, undohne diese Gruppe von Leuten wäre Frankreich heute vollerGentech­Mais. Ich fand ihre Herangehensweise also toll und ich habemir gesagt: „Das ist mal eine interessante Gruppe, die etwasbewegen wird im Kampf gegen die Biotechnologie in derLandwirtschaft.“

Ich wurde also Ende 2009 von den „Faucheurs“ kontaktiert, weil es inDeutschland einen Fall gab, bei dem es um einen deutschen Hobby­Imker ging, der sich direkt mit Monsanto anlegte. Dieser Imker hatseinen Honig nach der Ernte analysieren lassen und darin wurdenSpuren des Pollens Mon810 gefunden, des Aushängeschilds vonMonsanto zu dieser Zeit, der Gentech­Mais, der in ganz Europaverbreitet ist. Der besagt Imker, der Bablok heisst, beschuldigt alsoMonsanto seinen Honig verschmutzt und vergiftet zu haben. DerProzess geht vor Gericht, ich weiss nicht mehr welches, und dasGericht dreht die Situation schliesslich gegen den Imker und erklärtihm ausdrücklich, er habe die Sicherheitsabstände zwischen seinenBienenstöcken und dem Monsanto­Feld, das einige hundert Meter

Gespräch zwichen Camille,Rémi und Christophe

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von den Bienenstöcken entfernt lag, nicht eingehalten. Der armeImker muss nun plötzlich Monsanto eine Entschädigung zahlen, wasnun wirklich ein bisschen verkehrte Welt ist, und das hat dann einenDomino­Effekt ausgelöst, eine Kettenreaktion, technisch gesehenwurde der rechtliche Status in ganz Europa enorm verändert undkonkret blieb Ende Sommer 2011 der ganze spanische Honig an denZöllen hängen, wurde von den Zöllen beschlagnahmt und es warunmöglich, den spanischen Honig in den Handel zu bringen, denn erenthielt Mon810­Maispollen. Er wurde deshalb als ungeeignet fürmenschlichen Verzehr betrachtet, weil Monsanto es nicht geschaffthat, bestätigen zu lassen, dass die Pollen juristisch gesehen einenrechtlichen Status hatten, der sie für den menschlichen Verzehrgeeignet machte. Sie waren also von vornherein schädlich, und alleSpuren von Mon810­Pollen, die man im Honig finden konnte,machten diesen ungeeignet für den menschlichen Verzehr.

Das hat die Imkerinnen und Imker dann doch ziemlich aufgerütteltund sie haben also versucht, etwas gegen diese Umkehrung derSituation zu tun. Als Krönung des Ganzen hat die EU auch nochentschieden, das Moratorium aufzuheben, das den Anbau vonMon810­Mais verbot. Das war der Moment, als die Imker und die„Faucheurs“ begonnen haben, über Aktions­ undOrganisationsformen nachzudenken, um zusammen zu arbeiten.Ganz einfach, weil mensch weiss, dass die Biene so etwas wie einSchlüsselelement wird im Kampf gegen GVO und auch wenn es umBiotechnologie geht, weil die Biene als massgeblich für dieBestäubung und vor allem die Verbreitung der Pollen gilt. Stellt euchvor, sie kann von einem Feld zum nächsten fliegen und zum Beispielein Biomaisfeld verunreinigen mit Pollen, die auf dem ersten Feldgesammelt wurden, das ein Feld mit transgenen Pflanzen war. Sowird das Prinzip der Koexistenz in Frage gestellt. Die Koexistenz istein Prinzip, das gesetzlich festgeschrieben wurde, damitbeispielsweise ein Biobauer das Recht hat, ein Feld anzubauenneben dem Feld eines Nachbarn, der konventionell produziert undgenveränderten Mais anbauen kann. Beide sollten alsonebeneinander arbeiten können, ohne durch die Arbeit des anderengestört zu werden. Und da stört nun die Biene in diesem Schema,denn sie kann frei fliegen und arbeiten, wo sie will, und man kann dasüberhaupt nicht kontrollieren.

Die Imkerinnen und Imker sind also wirklich wütend geworden und

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haben sich den „Faucheurs Volontaires“ angenähert, um Ende 2009eine Reihe von Aktionen durchzuführen, die schliesslich zu einemkleinen Sieg und der Wiedereinführung des Mon810­Moratoriumsgeführt haben. Konkret waren das ziemlich interessante Formen derdirekten Aktion. Im Süden von Frankreich haben einige GenossenMonsanto in einem Saatgutlager einen kleinen Besuch abgestattet,sind in die Gebäude eingedrungen mit Bienenstöcken voller Bienen.Die Genossen trugen ihre Schutzkleidung und drohten der Direktionund den Leuten im Gebäude, die Bienenstöcke zu öffnen, falls dieDirektion ihre Forderungen nicht anhört, bei denen es darum ging,Rechenschaft zu fordern über die Verbreitung, Verteilung, und dieverschiedenen Bestellungen von Saatgut, die es im Laufe derEinführung geben könnte, weil das war zu der Zeit.

Es kam auch zu einer Reihe von Besetzungen in Monsantobetriebenin ganz Frankreich, wo wir den Sitz von Monsanto in Bron blockierthaben, um sie einen Tag am an der Arbeit zu hindern. Eine Artsymbolische Aktion, um deutlich zu machen, dass wir überhaupt nichteinverstanden sind mit dem, was gerade geschah. All das hat auchzu einer Reihe von Besetzungen der Räumlichkeiten der DRAAF(Direction régionale de l’alimentation, de l’agriculture et de la forêt ­Regionales Amt für Ernährung, Land­ und Forstwirtschaft), derlokalen Ableger des Landwirtschaftsministeriums, geführt. Es gab 13oder 15 Besetzungen in der gleichen Woche von den Imkern und„Faucheurs“, um von den Direktoren jedes DRAAF zu verlangen, demMinisterium die dringende Bitte weiter zu leiten, das Moratorium fürMon810­Mais wieder einzuführen, um zu verhindern, dass er einweiteres Jahr lang, im 2010 also, angebaut wird. Denn es wird imMärz­April ausgesät. Und all das hat geklappt, Bruno Lemaire, derLandwirtschaftsminister von Sarkozy zu dieser Zeit, hat dasMoratorium erneut durchgesetzt und so der EU eine lange Nasegedreht, die Monsanto die Möglichkeit gegeben hatte, deneuropäischen Markt mit GVO zu überschwemmen. Das Ganze hatalso mit einem kleinen Sieg geendet. Die Leute behielten es also gutin Erinnerung, als etwas, das ziemlich gut gelaufen ist.

Christophe : Und das Gutachten des Haut Conseil desBiotechnologies [Hoher Rat für Biotechnologie, HCB], kannst du unserzählen, was ihr da gemacht habt?

Camille : Was gemacht wurde, ist, dass das Moratorium ein Dekretist, das vom Landwirtschaftsministerium durchgesetzt wird. Das

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Ministerium trifft die Entscheidung aber nicht einfach allein: Es gibtauch den HCB, der aus Wissenschaftlern (die unabhängig seinsollten...), Industriellen und auch Landwirtschaftsgewerkschafternbesteht. Diese Leute können technisch analysieren, ob das Prinzipder Koexistenz immer noch aktuell ist, ob es noch angewendetwerden kann, wenn man zum Beispiel Bienenstöcke zwischen zweiFelder stellt. Es wird also debattiert und es entsteht eine Diskussionüber diese grundlegenden Prinzipien: Vorsorgeprinzip,Koexistenzprinzip, diese Dinge halt. Der HCB wird zudem technischunterstützt von einer Behörde, die jetzt ANSES (Agence nationale desécurité sanitaire de l'alimentation, de l'environnement et du travail –Agentur für Lebensmittel­, Umwelt­ und Arbeitssicherheit) heisst undfrüher AFSSA (Agence française de sécurité sanitaire des aliments ­Französische Agentur für die gesundheitliche Unbedenklichkeit vonLebensmitteln) hiess. Das sind Techniker, Ingenieure, die überprüfen,die die Marktzulassungen erteilen für alle Pflanzenschutzmittel oderTechnologien wie das umhüllte Saatgut, die garantieren, dasstechnisch gesehen alles OK ist, alles kompatibel ist und dass eskeine verhängnisvollen Auswirkungen oder Schäden geben wird. DerHCB ist also der wichtigste technische Rat, der kann... Es gibt aucheinige Philosophen in diesem HCB, Leute, die da sind um dafür zusorgen, dass etwas tiefgründiger, mit etwas mehr Abstandnachgedacht wird. Und die nachher, grob gesagt, die Gesetztestexte,die das Landwirtschaftsministerium produzieren wird, direktbeeinflussen.

Wir waren uns natürlich bewusst, dass alles, was der HCBvorschlagen konnte, völlig daneben war, wenn man so sagen kann,denn die Gewerkschaftsvertreter, die sind einfach von der FNSEA[die grösste landwirtschaftliche Gewerkschaft mit einer durchwegsproduktivistischen Einstellung], die technischen Verantwortlichen sindehemalige Angestellte grosser Agrochemie­Konzerne, die jetzt eineneue Beschäftigung gefunden haben... Ihre Unabhängigkeit stehtalso schwer in Frage, obwohl sie technisch, das heisst legal undgesetzlich gesehen, die Zulassung von transgenem Saatguterschweren sollten und darüber hinaus die der Biotechnologie, mitdem Einsatz von Pestiziden und all diesen technischen Lösungen,wie der Mutagenese, dem nächsten Schritt nach transgenen GVO.

Rémi : Wenn ich alles richtig verstanden habe, Camille, dann warstdu sehr aktiv in der «Faucheurs»­Bewegung und hast sie schliesslichverlassen. Bist du einverstanden, uns von den Umständen oder der

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Überlegung zu erzählen, die dich dazu gebracht haben, eine Kritik zuformulieren? Das ist nämlich interessant im Hinblick auf die Dynamik,darauf, wie man Teil einer Bewegung sein kann und sich irgendwanndarin nicht mehr erkennt, und warum.

Camille : Also, ich versuche es kurz zu halten... Ich habe von dieserNeuigkeit gesprochen, den kleinen technischen Fortschritten, die manMutagenese nennt, und von dem kleinen Sieg, den wir 2010 erkämpfthaben mit der Wiedereinführung des Moratoriums für den transgenenMon810­Mais. Ich betone das «transgen», weil es sich dabei umeinen technischen Vorgang handelt, um GVO herzustellen, und wirgleich darauf gemerkt haben, dass die transgenen GVO schonkomplett has been sind und dass die Zukunft Mutagenese heisst. Dasist eine andere technische Methode, mit der man eine mutiertePflanze erhält. Die Mutation von Pflanzen ist ein natürlichesPhänomen, das seit langem existiert: Die Pflanzen entwickeln sich imLaufe der Zeit weiter, aber in sehr, sehr langen Zeitspannen. DiePflanzen können sich beispielsweise einer Umgebung, einem Klimaanpassen... die Pflanzen passen sich also durch das Phänomen dernatürlichen Selektion natürlich an. Die Agrochimie, die sechswohlbekannten Konzerne (Monsanto, Dupont­Pioneer, BASF,Syngenta, Bayer und Dow Chemical) haben begriffen, dass siedieses Mutationsphänomen beschleunigen können, indem sie dasSaatgut mit Röntgenstrahlen bestrahlen, indem sie es verletzen, somuss man sich das ein bisschen vorstellen. Diese Mutation hat eineneinfachen Zweck, es geht immer ein bisschen ums Gleiche, darum,einen Raps oder eine Sonnenblume resistent zu machen gegen einHerbizid. Das scheint vollkommen verrückt, aber man kann grobgesagt Saatgut, eine Pflanze, produzieren, die ungefähr 15 cm grossist, man kann also problemlos mit einem Roundup­Zerstäuber durchein Sonnenblumenfeld gehen und alles Unkraut rund um diesePflanze vernichten und die einzige Pflanze, die überleben wird, ist dermutierte Raps oder die mutierte Sonnenblume zum Beispiel. Das istschon eine fantastische technische Heldentat, das Roundup wird derPflanze einfach nichts anhaben. Stellt euch vor, wie viel Herbizid diePflanze während ihres ganzen Wachstums aufsaugen und in sichbehalten wird... das führt dazu, dass wenn man am Schluss dasRaps­ oder Sonnenblumenöl analysiert, man merkt, dass imEndprodukt enorm viele Spuren von Insektiziden und hauptsächlichHerbiziden enthalten sind.

Das war also ein bisschen der logische nächste Schritt der

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Agrochemie, denn die transgenen GVO, wo man ein Saatgutprogrammiert, indem man ihm ein Gen einer anderen Pflanzeeinschleust, was dazu führt, dass diese Pflanze von sich aus eingiftiges Protein vom Typ DDT oder auf jeden Fall ein Insektizidproduziert. Während ihrer ganzen Lebenszeit wird diese Pflanze alsodas Pestizid aussondern, wie durch Zauberhand. Die Transgenese­Technologie war schon vorher da. Man darf nicht vergessen, dassdas Ziel aller Biotechnologien ist, total viel Pestizide einzusetzen, dasist der Zweck der GVO.

Christophe : Und das Saatgut patentieren zu lassen...

Camille : Das ist eine andere Geschichte, darauf können wir nochzurückkommen...

Christophe : Meine Frage ist: Ich kann mir vorstellen, dass siedieses mutierte Saatgut auch patentieren lassen.

Camille : Ja, aber in einem anderen Register. Ich wollte abernochmals auf den Einsatz von Pestiziden zurückkommen, dennFrankreich ist doch der grösste Verbraucher von Pestiziden in ganzEuropa und ich glaube, der dritt­ oder fünftgrösste weltweit, wenn esum die Menge im Vergleich zum landwirtschaftlich genutzten Landgeht. In Frankreich allein verbrauchen wir schon seit einer Weile20'000 Tonnen Pestizide pro Jahr, Tendenz steigend. Das heisst,dahinter steckt ein Markt und die Leute wollen auf keinen Fall, dasssich etwas ändert, das ist offensichtlich.

Der Zweck der ganzen Biotechnologie ist also, dass Pestizidegebraucht werden, landwirtschaftliche Betriebsmittel. Es geht darum,einen starken Markt zu unterstützen, der äusserst wichtig ist fürMonsanto und die gesamte Agrochemie. Man kann auch denZusammenhang mit der Patentierung des Lebens erklären, denn esgab einen Saatgutkatalog, ein Register, in dem das ganze patentierteSaatgut aufgeführt wurde, weil es technisch gesehen eineModifikation, Umhüllung, Transgenese oder Mutagenese durchlaufenhat. Das alles erlaubt es der Agrochemie, alles zu besitzen, ausserdem Nachbau, das heisst, dem Saatgut, das unsere Eltern oderGrosseltern von Jahr zu Jahr aussäten...

Christophe : … durch das geistige Eigentum. Was ich wichtig findean dem, was du sagst, ist nicht nur die verschiedenen Methoden zuverstehen, die ziemlich schwer zu begreifen sind – ich glaube, siefabrizieren auch Roundup­Resistenz mit der transgenen Methode,

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und es gibt heute neue Techniken wie die gezielte Mutagenese, dieich aber nicht verstehe – sondern, dass alle Methoden die gleichenZiele haben, dass alle zum gleichen Resultat führen. Und das all daszum gleichen Produktionssystem gehört, zur gleichen Wirtschaft,obwohl sie die Innovationen immer als revolutionär verkaufen. Wirsind eigentlich immer in der gleichen Logik.

Camille : Absolut. Weil diese Leute überzeug sind, dass sie dankihren Technologien und ihren Biotechnologien den ganzen Planetenwerden ernähren können. Das sagen sie die ganze Zeit, dass dankGVO und Biotech die gesamte Menschheit ernährt werden kann unddass wir ohne das keine Chance haben. Das ist schon ziemlichabsurd.

Um auf die erste Frage zurückzukommen... Ich habe zuerst einmalerklärt, wie wir auf die Mutagenese gekommen sind, was die Folgeder Zusammenarbeit zwischen Imkern und «Faucheurs» war. Das hatmich ziemlich interessiert, denn alle Pflanzen, die von derMutagenese betroffen sind, sind Pflanzen, die Honig produzieren. Ichwar also direkt betroffen. Raps und Sonnenblumen sind die ganzeZeit voller Bienen. Unsere Bienen bringen das also in dieBienenstöcke und wir finden das im Honig. Es hatte für mich alsonoch einen Sinn, in der «Faucheurs»­Gruppe zu bleiben, um diesenKampf weiter zu führen.

Wir haben also begonnen, Feldzerstörungszyklen zu organisieren.Zuerst kam es zu einigen symbolischen Aktionen und dann hat sichdas Ganze radikalisiert. Wir haben einige wirklich harteFeldzerstörungen gemacht, mit einer unglaublichen Aktion, bei der wiram gleichen Abend ungefähr zehn Felder in vier Departementenzerstört haben. Das war eine ganz klare Nachricht, um zu zeigen,dass wir wirklich entschlossen sind.

Christophe : Wann war das? Und wenn du sagst «wirklich hart», wiemeinst du das?

Camille : Hart im Sinne von massiv, das heisst, dass die Bauern... ichwerde ein anderes Wort brauchen: die landwirtschaftlichenUnternehmer, die diese Art von Saatgut verwenden, wirklich ihregesamte Ernte verloren haben. Das wirft auch die Frage auf: Wie sollman mit diesen Arbeitern umgehen, die auch ein bisschen die Pistoleauf der Brust haben. Sie werden uns nachher erklären, dass sieeigentlich keine Wahl haben, dass wenn sie bei der Genossenschaft

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ihre Saatgutsäcke abholen, es nur noch das gibt, was imSaatgutkatalog oder im Register aufgeführt ist, dass es keinenkonventionellen Raps mehr gibt, dass es keine konventionellenSonnenblumen mehr gibt. Das erklären sie uns also, mit ein paarTränen in den Augen, «wir können nichts machen, man setzt uns diePistole auf die Brust, wir sind gezwungen, so zu arbeiten.»

Ich erinnere mich an eine Zahl: 2010­2011 waren 70 % allerSonnenblumen in der Region Rhône­Alpes mutierte Pflanzen. Daswar doch total verrückt, und so ganz ohne juristischen Rahmen, ohnejegliche Information darüber, was da passiert. Weil die mutiertenSonnenblumen und Raps nicht als GVO galten. Juristisch gesehenwaren sie es nicht.

Christophe : Und die Ernten, die zerstört wurden, dienten die derHerstellung von Saatgut oder direkt der Lebensmittelherstellung?

Camille : Der direkten Produktion. Denkst du an die Hybridzüchtung,mit der F1­Samen hergestellt werden, die dann sehr leistungsfähigsein können?

Christophe : Nein, es ging um die Frage: In welchen Stadium setztder Kampf an? Wenn es noch Versuche sind, wenn es um dieVerbreitung geht oder um die Produktion? In diesem Sinne: Kannman noch etwas tun, wenn es schon um die Produktion geht?

Camille : Was ich erzählt habe, war, dass wir direkt auf dielandwirtschaftlichen Unternehmer los sind, und dass das wirklichFragen aufgeworfen hat. Wir haben nicht ein Labor angegriffen, daszum Beispiel ein umzäuntes Versuchsfeld hatte, ob nun ein privatesLabor von Pioneer oder Monsanto oder ein öffentliches Labor wie dasINRA. Es gab auch eine Zerstörung von Rebstöcken in Colmar [aufeinem INRA­Feld], die für viel medialen Wirbel gesorgt hat, das warauch eine sehr starke Aktion. Das war 2011, wenn ich mich nichttäusche, die Gerichtsverhandlung fand gleich darauf statt.

Ich spreche über die Gerichtsverhandlung, weil das ist ein bisschen,was den «Faucheurs» erlaubt, die Verhandlung als eine Plattform zunutzen, um der Bevölkerung zu erklären: «Da seht ihr, was vor sichgeht. Wir haben dieses Feld zerstört, das für uns illegal ist, und wirhaben es getan, weil wir finden, dass es wirklich legitim ist, das zutun, im Hinblick auf das Vorsorgeprinzip und das Prinzip derKoexistenz. Und für das Gemeingut, damit nicht das ganzeLandwirtschaftsland verunreinigt wird.» Diese politische Strategie, ich

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nenne sie die Jagd nach Prozessen, in den Aktionen und derOrganisationsform der «Faucheurs» ist wirklich fragwürdig.

Das Prinzip, wenn man an einer Feldzerstörung teilnimmt,normalerweise nachts, ist, dass alles im Geheimen geschieht, bisman das Feld verlässt, das man zerstört hat. Und dann schreibt manseinen Namen auf eine Liste und sagt: «Ja, ich heisse so und so undhabe am Abend so und so an der Zerstörung des Felds so und soteilgenommen.» Ein Akt des zivilen Ungehorsams, zu dem man sichlaut und deutlich bekennt. Etwas, das wirklich gewaltfrei und einedirekte Aktion ist. Voilà.

Die Liste mit 100, 200, 300 eingeschriebenen Personen wird amnächsten Morgen an die Polizei geschickt mit einem Brief, der dieForderungen der Aktion erklärt, und sagt: «Voilà, wir waren 300Personen, die gestern dieses Feld zerstört haben.» Weil wir wirklichfinden, es sei legitim, das zu tun. Dann lädt der Staatsanwalt 5 bis 7Personen aus der Liste vor und beginnt den ganzen juristischenProzess, der doch ziemlich schwer zu tragen ist und die betroffenenLeute ziemlich mitnimmt. Und das ist wirklich etwas ziemlichFragwürdiges. Die Solidarität ist natürlich da, es gibt Leute, diebezahlen Geld in eine Kasse ein, um die Bussen zu bezahlen und alldas, aber was man nicht mit einbezieht ist die Gewalt, die esbedeuten kann, in eigenem Namen vor dem Richter erscheinen zumüssen, um diese Aktion zu erklären. Ich habe Freund_innen, diedas erlebt haben, und die mir erzählt haben, wie schwierig es war,das zu tragen und schon zwei Wochen vor der Gerichtsverhandlungnicht mehr schlafen zu können, weil man so gestresst ist. Das istwirklich nicht etwas, mit dem man einfach so umgehen kann.

Christophe : Und während dem Prozess, sind die anderen dann da?Kommen sie in den Gerichtssaal? Ist die Unterstützung gross?

Camille : Die Unterstützung ist wirklich bedingungslos, es bildet sichsofort ein Unterstützungskomittee, und viele Leute sind vor demGericht. Es kommt nur selten vor, dass alle hineindürfen. Wir sindalso da, aber es sind trotzdem fünf Leute, die dran glauben müssen.Das bringt mich wirklich zum Nachdenken. Das heisst, das macht dasGanze unmöglich für Leute, die schon Vorstrafen haben und schonbestraft wurden oder die bedingte Strafen haben für Aktionen, die siein der Vergangenheit gemacht haben, die bekommen wirklichProbleme. Ich finde, das schliesst ziemlich viele Leute aus. Wennman also in der Vergangenheit etwas verbrochen hat, kann man

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seinen Namen nicht auf die Liste der «Faucheurs» setzen.

Diese Jagd nach Prozessen hat, finde ich, wirklich ihre Grenzen imHinblick darauf, was man erreichen kann, wenn man den Kampf auseiner globalen Perspektive betrachtet. Das heisst, Monsanto gewinntdie meiste Zeit die Prozesse und verlangt Schadenersatz zwischen50'000 und 100'000 Euro, die die «Faucheurs» auftreiben. Sieverkaufen Bier, Wein, Apfelsaft, T­Shirts, Buttons, all das aufnationaler Ebene, das macht ziemlich viel Geld, das in die Solikassengespült wird, um die Bussen zu bezahlen. Aber ich habe keine Lust,an den Soli­Abenden, die wir organisieren, Apfelsaft zu verkaufen unddabei zu sagen: «Voilà, dieses Geld findet sich dann in den Kassenvon Monsanto wieder!» Das ist wirklich etwas, das mich sehr zumNachdenken bringt. Das war einer der Punkte, mit denen ich wirklichnicht einverstanden war.

Und, um die Frage abzuschliessen, weshalb ich die Bewegungverlassen habe: Die Struktur war nicht wirklich komplett horizontal, sodass jede_r ihren/seinen Platz hätte finden können. Es gibt einKoordinationssystem mit zwei Referenzpersonen pro Gruppe. DieKoordinatorinnen und Koordinatoren jeder Lokalgruppe – einerGruppe aus der Bretagne, einer anderen aus Maine­et­Loire undeiner aus der Region PACA [Provence­Alpes­Côte d'Azur], zumBeispiel, ein bisschen überall in jedem Departement – vereinen sichund bilden eine Art Zentralkomitee, das sich einmal pro Monat trifftund die grossen Linien festlegt und über die nächsten Aktionenentscheidet. Die Leute, die am kollektiven Prozess teilnehmen,können überhaupt nicht mitreden und müssen durchführen, was vonden zwei Referenzpersonen im Komitee entschieden worden ist. Daswar ein echtes Problem für mich, dass es praktisch unmöglich wurde,eine Aktionsform in Frage zu stellen.

Christophe : Gibt es grosse Organisationen, die Einfluss auf diesenEntscheidungsfindungsprozess haben, wie die Conf' [dieConfédération Paysanne, französische Bäuer*innegewerkschaft,Mitglied von Via Campesina] oder andere?

Camille : Es gab immer eine Trennung, für den Anschein, glaube ich,zwischen der Confédération Paysanne und den «Faucheurs». Es gibtUnterstützung, aber die «Faucheurs» möchten nicht der «bewaffneteArm» der Confédération Paysanne sein. Sie möchten da wirklichnicht mitspielen, das sind wirklich zwei unterschiedliche Gebiete,auch wenn es sich manchmal um die gleichen Akteurinnen und

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Akteure handelt.

Rémi : Es gab innerhalb der Confédération Paysanne auch immerwieder Stimmen, die forderten, man solle Abstand halten von denAktionen der «Faucheurs». Es gibt eine Unabhängigkeit undnotgedrungen auch Überschneidungen, denn der Kampf gegen GVOschliesst ganz viele andere Bewegungen mit ein.

Christophe : Aber das bliebt intern. Das heisst, ist es schonvorgekommen, dass die Conf' oder die «Faucheurs» klandestineAktionen öffentlich verurteilt haben?

Camille : Ich glaube nicht. Man muss wissen, dass es auch in derConfédération Paysanne eine Aktionsgruppe gibt, die zur Tatschreiten kann.1

Christophe : Ich frage das im Hinblick auf den Schweizer Kontext, indem der Hauptgesprächspartner der Medien, der StopOGM heisst,Medienmitteilungen veröffentlicht hat beispielsweise, um öffentlichFeldzerstörungen zu verurteilen. Ich habe mich gefragt, ob das auchin Frankreich vorkommt, diese ziemlich extreme Trennung derKämpfe.

Rémi : In der GVO­Frage habe ich nicht den Eindruck. Es wäre fastdazu gekommen nach der Zerstörung der Rebstöcke in Colmar, alssich Leute geäussert haben, die nicht einverstanden waren, aber imAllgemeinen gibt es eine Art Einheit – dem Anschein nach, aber auchreal, der Unterstützung, ich weiss nicht, ob man von gegenseitigerAbhängigkeit sprechen kann. Auf jeden Fall war die ConfédérationPaysanne an der Gründung der «Faucheurs Volontaires» beteiligt,auch um diesen Kampf nicht allein tragen zu müssen, eingesellschaftlicher Kampf, der sich nicht so sehr hätte entwickeln unddiese Formen annehmen können, wenn es nicht auch andereStrömungen gegeben hätte, was Aktionen und Meinungen anbelangt.Und auch, um nicht die gesamten Auswirkungen derGerichtsverhandlungsstrategie tragen zu müssen.

Dass sich jemand von gewissen Aktionen distanziert, das passierthingegen häufig in den Anti­Atom­Kämpfen, die in Frankreich nichtsehr aktiv sind. Das letzte Mal ist das passiert während einer Demound dem Versuch einer Blockade des Atommüllzugs, der von LaHague in der Normandie nach Deutschland fuhr. Da hat sich die

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1 Und dennoch... Zwei öffentliche Denunziationen sind in « OGM : fin de partie »(p.19 ­ https://infokiosques.net/spip.php?article204) zitiert.

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Bewegung, die sich als offizielle Repräsentantin des Anti­Atom­Kampfs darstellt, «Sortir du Nucléaire», klar distanziert als es beidiesem Blockadeversuch zu einigen Situationen kam, die einbisschen krawallig waren, und das war wirklich schade.

Camille : Das erinnert mich auch an die Aktionen, die von den«Faucheurs» kollektiv beschlossen wurden... Die «Faucheurs» warennicht nur auf den Feldern aktiv. Man entscheidet, eine ganze Ernteoder einen Teil davon wegzuputzen, aber es gab auch Aktionen, diewirklich relevant waren, auf die Lorient­Brücke in der Bretagne zugehen, wo Riesenlaster voller transgenem Soja aus Lateinamerikadurchfahren, das dazu dienen wird, die gesamte Schweinezucht derBretagne zu ernähren. Das ist nämlich legal, das: Man hat nicht dasRecht, GVO im Land anzubauen, aber man kann sie ohne weiteresimportieren. Stellt euch also vor, dass es Laster gibt, die kommen mit200'000 Tonnen Soja an, ich glaube, ungefähr einmal pro Monat, unddie verteilen dieses Viehfutter allmählich auf dem ganzen Gebiet. Esgab also mehrere Aktionen, bei denen Sojaladungen neutralisiertwurden, wo die «Faucheurs» am frühen Morgen ins Schiff eindringen,und zuerst einen natürlichen Färbstoff, mehrere Dutzend LiterNussbranntwein, über die Ladung leeren. Sie öffnen die Frachträumeund schütten mehrere Dutzend Liter Nussbranntwein aus alssymbolischer Indikator, um zu sagen: «Wir möchten wissen, wo dieseLadung in den Umlauf gebracht wird.»

Und die darauffolgenden Male haben sie glatt die ganze Ladungsabotiert, indem sie Rizinusöl und Eibensud verschütteten glaube ich,natürliche tödliche Cocktails also, komplett, bio oder ökologisch. Siehaben, wenn ich mich nicht täusche, zwischen 300 und 500 Liter proLadung ausgeschüttet. Das heisst, dieser Sojavorrat wurdeungeeignet für den menschlichen Verzehr. So war man mit diesenAktionen einen Schritt weitergegangen und forderte nun richtigeSabotageakte. Ich denke, dass das doch ziemliche wirtschaftlicheAuswirkungen hatte, stellt euch vor, dass man auf einen Schlag200'000 Tonnen Soja vernichten kann, das tut schon ein bisschenweh, denke ich. Aber da kann man trotzdem nichts machen, derReeder hat einfach einen Bagger genommen und die oberste Schichtweggekratzt auf dem Schiff, und dann wurde er es los, still undleise... das wurde überhaupt nicht vom Zoll beschlagnahmt, dieBehörden haben nicht eingegriffen, um zu sagen: «Achtung, dieseLadung ist nicht für den menschlichen Verzehr geeignet oder ist giftig

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geworden.» Man hat dafür gesorgt, dass es trotzdem raus konnte unddass es in den normalen Vertriebskreislauf kam.

Die Genossen hatten hingegen natürlich Probleme. Es kam zu einemProzess und all das wegen dieser Aktion. Es gab auch noch andereEchos, denn in diesem Aktionstyp «man dringt am frühen Morgen aufein Schiff ein» waren die Bullen da und die Gewalt ist dann dochwirklich real, das heisst, man wird misshandelt. Und was passiert ist,war, dass das Komitee entschieden hatte, dass man «auf dieProvokationen der Polizei nicht antworten» solle, man solle nicht überdie Scharmützel sprechen und man will auf keinen Fall, dass dieseMomente gefilmt werden und der ganzen Welt gezeigt werdenkönnen, der Bevölkerung durch die Medien, unsere eigenen oder dieMassenmedien. Ganz einfach, weil das dem Kampf schaden würde,weil es Leute, ONG­Aktivisten und Leute, die im Rahmen desGesetzes und der staatlichen Regeln handeln möchten, davonabhalten würde, sich den «Faucheurs» anzuschliessen. Es wurdewirklich kollektiv entschieden, die Polizeigewalt, mit der dieseAktionsform konfrontiert war, nicht sichtbar zu machen. Und das warnoch einmal etwas, das mich einiges in Frage stellen liess, denn dieSchläge haben wir eingesteckt und man hatte nicht einmal das Recht,zu sagen, dass man doch ziemlich niedergeknüppelt wurde...2

Rémi : Schöne Überleitung... Ich heisse Rémi, ich komme aus demanti­autoritären, radikalen ökologischen und libertären Umfeld, würdeich mal sagen. Und wie jede Kampfbewegung, die eine gewisseAnzahl kollektiver Aspekte und so etwas wie Selbstverwaltung (auchwenn...) aufweist, die vielfältig ist und viele Menschen anspricht, sohat es mich vor ein paar Jahren interessiert, an den GVO­Zerstörungen teilzunehmen, zum Zeitpunkt als diese Aktionsformboomte. Ich war also als Teilnehmer dabei, ich war überhaupt inkeiner Struktur aktiv, um diese Art Aktion zu organisieren, aber wennes einen Aufruf zu Zerstörungen gab, bin ich mit einigen Leutenhingegangen, mit denen ich auch anderweitig aktiv war. Ich werdealso von drei Zerstörungen erzählen, die ich erlebt habe, und dienicht gleich herausgekommen sind. Um ein bisschen zu zeigen, dasses so und so und so gehen konnte...

Von meiner ersten Zerstörung behalte ich super Erinnerungen,

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2 Es gibt auch einen Bericht über eine Aktion in Lorient, wo die «Faucheurs» in denHafen eindrangen und dann auf die Sabotage verzichtet haben, weil keineMedien da waren...

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vielleicht, weil es die erste war, vielleicht, weil ich noch selten einensolchen Moment kollektiven Rausches erlebt habe. Wie davonerzählen? Wir haben uns an einem bestimmten Treffpunkteingefunden. Dann gab es in einem Gymnasium eine ganze Reihevon Erklärungen, weshalb die Zerstörungen nötig sind, und wirwurden vom Anwalt, der sich dann um den Prozess kümmern sollte(falls es zu einem kam), gebrieft. Voilà, das war ganz nett, einPicknick und so, und hopp, stiegen wir wieder ins Auto und fuhrendem Auto an der Spitze nach. Es hatte 100­200 Autos, ziemlich vieleLeute also. Wir halten am Strassenrand an und wir sehen, dass wirerwartet werden. Man ist unausweichlich identizfierbar, denn alleAutos, die eines nach dem anderen da stehen, werden sicheridentifiziert. Sie haben auf jeden Fall den Namen der Person, auf diedas Auto lautet. Nun ja, alle steigen aus, wir versammeln uns undsagen: «also, los geht's». Wir gehen einige hundert Meter über einenFeldweg und es war nicht schwierig, das Feld zu erkennen, das wirzerstören sollten, denn rund um das Feld waren mobile Gendarmenaufgestellt, das sind Soldaten, eine Art Gendarmen, die meistens aufdem Land zum Einsatz kommen. Ein Polizeikorps also, dass nicht anRepression gewöhnt ist wie die CRS in der Stadt oder diegewöhnlichen Gendarmen, die Strassenkontrollen machen und so.Die mobile Gendarmerie rückt praktisch nie aus, und da passiert malwas auf dem Land und sie rücken aus, aber ohne wirklicheRepressionserfahrung, also so habe ich zumindest den Eindruck.

Es gab da also die erste Reihe rund um das Feld, das nicht sehrgross war. Das war noch die Zeit der Versuchsfelder, derSaatgutproduktion... Hinter den mobilen Gendarmen befand sich einAbsperrgitter mit Stacheldraht, das so installiert war... ich weiss nicht,ob es solid war, aber es war sichtbar. Und hinter dem Gitter standenso eine Art ländlicher Milizen. Die Bewegung der «FaucheursVolontaires» wurde zu der Zeit langsam bekannt, und um ihr etwasentgegenzusetzen haben sich die «Semeurs Volontaires d'OGM» [dieabsichtlichen GVO­Aussäher] gegründet, unnötig zu sagen, dass essich um Bauern handelte, die komplett in den produktivistischenBereichen Getreide und Ölpflanzen tätig waren, um dieGenossenschaften, die FNSEA... Die «Semeurs Volontaires» warenmit Spatenstielen bewaffnet und ziemlich wütend. Gut, wir kommenalso auf diesem Weg daher, wir sehen das Feld, wir sehen die Bullen,wir sehen all das und sagen uns «hmm...». Es ist nämlich Sommer,

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es ist schönes Wetter, alle tragen Shorts und Sandalen, niemand istvermummt oder verkleidet, wir sind einfache Bürger, die gekommensind, um an einer legitimen Aktion teil zu nehmen und wir sindkomplett identifizierbar. Und trotzdem spüren wir eine Art kollektiveKraft, wir haben den Eindruck, zu einer Art Einheit zu gehören, diemacht, das wir nicht mehr vereinzelt sind. Ich sagte mir: «Hmm, nichtschlecht...». Aber die Personen, die ein bisschen anführten, sindüberhaupt nicht zurückgewichen und haben gesagt: «Kein Problem,wir gehen hin, bleibt zusammen, los geht's.» Also sind wirhingegangen.

Wir sind ein bisschen wie Schafe gefolgt und plötzlich befanden wiruns vor den mobilen Gendarmen, die uns sagen: «Kommt schon,lasst gut sein.» Es kommt also zu einigen Diskussionen, und plötzlichbeginnt es irgendwo, es kommt Bewegung auf an einem Ende, dannam anderen, die Leute beginnen zuzupacken, immer mehr, an denGendarmen, am Gitter. Und dann kam es zu einem wirklich genialenMoment, wo wir uns alle kollektiv selbst übertreffen, umdurchzukommen, um eine Bresche in diese Mauer zu schlagen! Undso ist's gekommen, an einem Moment gab es eine Lücke in der Reiheder Gendarmen, wir reissen das Gitter mit nackten Händen nieder,den Stacheldraht und alles, und es kam zum Durchbruch. Und da istdie ganze Menge, 300­400 Personen aufs Feld eingedrungen und inweniger als 10 Minuten war alles zerstört. Eine ziemlich komplizierteSituation, denn die ländlichen Milizen waren gewalttätig, und dieGendarmen mussten plötzlich gleichzeitig versuchen, uns davonabzuhalten, aufs Feld zu gelangen und uns vor den Schlägen derabsichtlichen Bauern zu schützen.

Das hat glaube ich nicht mehr als eine Viertelstunde gedauert, einenormes Beispiel kollektiver Kraft. Und ich erinnere mich, dass es zudieser Zeit schon einige Texte gab, die in den etwas radikalerenanarchistischen Zusammenhängen publiziert wurden, und die dieseArt von Aktion kritisierten, dass man mit unbedecktem Gesichthandeln muss bei Anlässen, zu denen öffentlich aufgerufen wird. Undsich Gefahren aussetzt, gegenüber der Justiz, der Polizei, derRepression. Es wurde gesagt: „Was für einen Sinn hat das denn, sichselbst den Löwen zum Frass vor zu werfen und sich einer nach demanderen niedermachen zu lassen?“ Ich fand diese Fragen ziemlichlegitim, aber weil das Ganze in einer Rhetorik daherkam, die man insolchen Analysen halt findet, fand ich, dass das nicht wirklich dem

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entsprach, was ich erlebt hatte, dieser kollektiven Kraft, wo wir dastehen in Shorts und Sandalen, mit Strohhüten, wir sind komplettunbewaffnet und sichtbar, und trotzdem: eine Reihe von Gendarmen,Stacheldraht, ländliche Milizen… wuusch! Wir gehen hin, machenalles kaputt! Wenn du das erlebst, dann sagst du dir, allez, dieGegengipfel, das nächste Mal machen wir es genau gleich!

Gut. In Wahrheit ist es nicht immer so gelaufen. Im gleichen Jahr gabes eine ganze Reihe von Zerstörungen, jede Woche, anverschiedenen Orten in Frankreich. Ich habe an einer zweiten Aktiondieser Art teilgenommen und da waren wir wirklich viele, der Kontextwar ungefähr der gleiche. Wir spazieren ein bisschen durch dieintensiv genutzten Anbauflächen im Süden Frankreichs und es warauch hier nicht schwierig, das betreffende Feld zu erkennen. Nurdass es hier sogar einen Helikopter gab, der uns verfolgte, und vorOrt die Feuerwehr, der SAMU [Service d'Aide Médicale Urgente, aufDeutsch: medizinischer Notfallhilfsdienst], die von der Präfekturgerufen worden waren. Der Vertreter der Polizei hat eine Redegehalten, um zu sagen: „Lasst es sein, wir werden laden, es wirdVerletzte geben, ihr werdet was erleben!“ Wir in Sandalen, Shorts,Strohhüten, im Rollstuhl… José [Bové] nimmt das Megafon und sagt„Die Frauen und Kinder nach vorne, damit die Polizei Mitleid kriegt“,was schon eine ziemlich fragwürdige Strategie war. Nun ja, wirglauben dran, wir gehen hin. Wir hatten nicht einmal Zeit, 20 Metervoranzukommen und schon hat der Heli geladen, wir wurden vonallen Seiten beschossen: Blendgranaten, Tränengas überall,allgemeine Panik, und wirklich einige Verletzte. Ich wurde verletzt,einigermassen glimpflich, ein Blendgranatensplitter im Bein. Und esstimmt schon, zum Glück war die Feuerwehr da, es gab keineSchwerverletzten, aber die repressive Strategie ist zweifelloskomplett aufgegangen.

Und das wirft natürlich schon Fragen auf, ob man aus dem ganzenLand anreisen soll, um so zu scheitern, am helllichten Tag,öffentlich… Obwohl es andere Mittel gäbe, dieses Feld unschädlichzu machen. Es wurde während knapp einer Woche bewacht, aber wirhaben später erfahren, dass es trotzdem sabotiert worden ist.

In einem anderen Zusammenhang haben wir entdeckt, dass in demDepartement, wo ich wohnte, obwohl es eine Art Moratorium aufDepartementsebene gab, ich weiss nicht genau, aber auf jeden Fallhat es in der Landwirtschaftskammer und der Präfektur

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Abstimmungen gegeben, um die Aussaat von GVO im Departementzu verhindern. Und zu dieser Zeit verteilte Greenpeace Kits, mitdenen man Mon810­Mais erkennen konnte. Ich habe nie verstanden,wie das funktioniert, ich weiss nicht, ob es dem zu verdanken ist,dass Felder identifiziert wurden oder ob es Insiderinformationenwaren. Zu diesem Zeitpunkt waren wir schon etwas mitgenommenvon der Gerichtsstrategie, es waren ziemlich viele Prozesse amLaufen, bei denen es um mehrere Hunderttausend Euro ging, und diesichtbare Seite der Bewegung – „Faucheurs d’OGM“ und andere –hat entschieden, das durch gewerkschaftliche Aktionen zu regeln, zuversuchen, Druck zu machen, damit die Präfektur eine Entscheidungtrifft, denn es war gegen die lokalen Regeln, was aber eigentlichüberhaupt keinen Wert hat, denn es zählen sowieso die Gesetze derRepublik [Frankreich]… Nun ja, weil es in diesem Departement dieseAbstimmung gegeben hatte, dachten die Leute, dass sich auf derjuristischen Ebene irgendetwas machen liesse, mit politischen Druck,Druck machen auf die Abgeordneten, damit das Feld wegkommt,damit man den Bauern zwingt, das Feld weg zu machen.

Während diesem ganzen Verfahren, das auch ziemlich fragwürdigwar, das Fragen aufwarf darüber, wie das die Leute demobilisierenkann zu einem Zeitpunkt, in dem die Bewegung Aufschwung hat, dieLeute warteten darauf, dass entschieden wird, das Feld zerstören zugehen, am helllichten Tag und alles… Und weil das nie passierte,haben gewisse Leute entschieden, sich zu organisieren, damit es beiNacht geschieht. Ich wurde kontaktiert, um an dieser Aktionteilzunehmen. Das habe ich gern gemacht, denn ich fand es auchinteressant, einmal etwas mit einem selbstorganisierten Kollektiv zumachen und eine nächtliche direkte Aktion zu erleben, die ebengenau nicht sichtbar ist, , im Vergleich zu meinen anderenErfahrungen. Gut, ich werde jetzt nicht erzählen, wie alles gelaufenist, nur eine kleine Anekdote. Wir haben uns in drei Gruppenaufgeteilt, weil es drei Felder gab. Es geschah also bei Nacht. Mitmeiner Gruppe liessen wir uns mit einem Auto hinbringen, das unsneben einem Graben rausliess, und in dem Moment, in dem wirausstiegen, was sahen wir? Scheinwerfer, die aus derentgegengesetzten Richtung kamen, obwohl das wirklich eine kleineLandstrasse war, auf der niemand unterwegs ist nachts. „Schnell,versteckt euch!“ Hopp! Und es waren wirklich die Gendarmen, diezwei Meter von uns entfernt durchgefahren sind, wir lagen gutversteckt im Graben und sie haben uns nicht gesehen. Ich weiss

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nicht, was sie da gemacht haben, eine Patrouille vielleicht? Ichglaube nicht, dass sie von etwas wussten, denn die Strategie desKollektivs war „keine Mails, kein Telefon, keine Briefe, kein Blabla.“Einfach: „Wir kennen uns, wir machen das.“ Gut, wir sind ganz knappdavon gekommen, aber wir haben nicht lange gewartet, sind zumFeld und hopp, haben wir diesen Mais ausgerissen. Und es war gut,dass wir das gemacht haben, denn es war wirklich nicht sicher, ob dielegale Strategie funktionieren würde, und ich glaube es hat auf jedenFall alle Leute erleichtert. Vielleicht sogar, wer weiss, den Bauernselbst, der zwischen die Schusslinien geraten war. Schliesslich hatdas für alle mit diesem Hin und Her Schluss gemacht. Und es warwirklich eine tolle Erfahrung.

(Pause)

Rémi : Wir möchten nochmals auf die Frage zurückkommenbekennen/nicht bekennen, nächtliche Aktionen/Aktionen am Tag,sichtbar/nicht sichtbar, wie wir uns da verhalten. Persönlich habe ichda keine klare Meinung. So wie ich mir die Frage stelle, ist sieziemlich einfach: Wenn es Felder gibt und Leute, die sichorganisieren, um sie zu zerstören, finde ich es am besten, wenn siezerstört werden. Mir genügt das eigentlich und für mich sind alleMittel recht. Es stimmt schon, mit nichts abzuziehen, weil es nichtgeklappt hat, weil die gegenüber stärker waren, finde ich schade,wenn man die Möglichkeit hat, in der Nacht zu gehen und mit demFeld abzurechnen. Und ob man sich dann bekennen will oder nicht,kommt immer darauf an.

Camille : Mir sagt es schon viel mehr zu, wenn man sich zur Aktionbekennt, ich finde, politisch gesehen zeigt das eine wirklicheEntschlossenheit. Das ist nicht zu vernachlässigen. Und was dieFrage sichtbar/klandestin angeht, hat es in einer solchen Arbeitimmer auch eine Dimension Geheimhaltung/relative Geheimhaltung,weil es ist doch ziemlich viel Arbeit, die Felder auszukundschaften,den Transport der Leute zu organisieren, um diskret in der Nachthandeln zu können. Ich frage mich auch wegen der Felder, die manmit den Erkennungskits, von denen du vorher gesprochen hast,finden kann, das sind wirklich sehr interessante Instrumente, damitman sich persönlich die Mittel zum Erkennen der Felder aneignenkann. Kits, die man einfach so kaufen kann, das ist super praktisch.

Aber es geht doch um riesige Flächen. Das ist nicht nichts: In einerRegion kann man beispielsweise 7‘000, 10‘000, 15‘000 Hektaren

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Mais finden… Ich geh ja gerne einmal in einer Nacht ein Feld demErdboden gleichmachen, kein Problem, aber man kann nicht allesnachts machen, das ist nicht möglich. Dazu muss manzurückkommen, nochmals kommen, und das bedeutet unweigerlichmehr Risiken, weil klandestine Aktionen immer wieder durchzuführen,das geht vielleicht nicht bis zum Schluss. Denn mir geht es nichtdarum, einfach nur etwas Symbolisches zu tun. Nur ein Feld demErdboden gleich zu machen, das bleibt symbolisch. Wenn man10‘000 Hektaren dem Erdboden gleichmacht, dann hingegen, ja dannhat das Konsequenzen. Das heisst, dass die Genossenschaft dasJahr darauf vielleicht das Saatgut wechselt für dielandwirtschaftlichen Unternehmer, die dieses Produkt angebauthaben. Ich finde, das ist eine gute Frage: Wie kann man sich imGeheimen organisieren, damit nicht zu viele Risiken entstehen für dieLeute, denn ich finde, es ist doch ziemlich einfach nachts zum Feldzu fahren, ohne Scheinwerfer, da zu parken, mit einer Gruppe kannman schnell ziemlich viel Schaden anrichten. Aber wenn man eineganze Region ist, die die Kulturen zerstören will, die man loswerdenwill, dann ist das nicht banal. Da muss man viel nachdenken darüber,wie man vorgehen will, um nicht einfach etwas Symbolisches zu tun,damit man sich dazu bekennen kann, und damit man die Leute nichtgefährdet, die etwas tun, das klandestin oder halb­klandestin seinkann. Das ist eine offene Frage, um die Möglichkeiten für die Zukunftzu sehen.

Christophe : Für mich hängt diese Frage vom Kontext haben, dasheisst, wenn wir es mit einem kommerziellen Anbau zu tun haben,der in der Region schon massiv verbreitet ist, ist das etwas anderes,als wenn es um Forschung geht, um Versuchsfelder, da finde ich,kann ein einzelner Sabotageakt schon ziemliche Auswirkungenhaben auf das, was da vor sich geht. Das heisst, er spricht einbisschen für sich. Ich bin aber auch ziemlich dafür, einer Aktion Sinnzu geben, ihr mit einem Kommuniqué mehr Tiefe zu verleihen. Aber ingewissen Fällen ist das nicht unbedingt notwendig, zum Beispiel,wenn man die Forschung angreift. Das kann sogar zum Teil dieSicherheitsfragen erschweren, das kann dabei helfen, zu sehen,woher das kommt, aus welchem Umfeld die Aktion kommt, manchmalsieht man das dem Stil des Texts an… Ich bin aber nicht dafür, dieFrage der Wirkung irgendwelchen Prinzipienfragen zu opfern, obGeheimhaltung oder Sichtbarkeit zum Beispiel. Ich denke, das mussstrategisch entschieden werden.

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Camille : Was die Frage der Sicherheit angeht, die man sich beidirekten Aktionsformen (Sabotage, Zerstörungen,…) stellen kann,kann ich noch hinzufügen, dass die „Faucheurs“ einen rechtlichenSchutzapparat aufgebaut haben, der doch sehr verhält. Sie habenAnwälte, Juristen in der Organisation, die sich um die Leutekümmern, die vorgeladen, angeklagt, untersucht wurden. Das istnicht bloss ein Detail: Die Leute erklären dir, dass es um dieGerichtsverhandlungen geht, aber dahinter stehen auch Mittel undAntworten auf diese Dinge. Das ist eine grosse Stärke der„Faucheurs“.

Christophe : In anderen Situationen ist mensch isolierter und daskann die Dinge ändern. Das bringt mich zur Frage, ob es nichtinteressant wäre, politisch darauf hin zu arbeiten, diese Isolation zudurchbrechen, eine Meinung zu vertreten, die die direkte Aktionlegitimiert, je nach der politischen Kultur, in der man sich befindet. Inder Schweiz beispielsweise ist das nur sehr wenig präsent, es gibteine sehr schwache Kultur der direkten Aktion und das beschäftigtuns sehr.

Also… ich bin Christophe, ich engagiere mich in Gentechfragen in derSchweiz und bin auch in libertären, autonomen Zusammenhängenaktiv. Mit einigen Leuten haben wir eine Infotour organisiert, die imradikalen Umfeld begonnen hat, aber versucht ein bisschen mehrLeute zu erreichen, um diese strategischen Fragen zu stellen oderauf die Geschichte dieses Kampfes zurückzukommen, um darübernachzudenken, wie man handeln kann und über die Bewegungenund Aktionsformen.

Rémi : Kannst du den Schweizer Kontext erklären, welchen StatusGVO bei euch haben?

Christophe : In der Schweiz besteht seit 2005 ein allgemeinesMoratorium für den Anbau und Verkauf von transgenen GVO, das mitdem Gentech­Gesetz zusammenhängt. Dieses Moratorium wurdevon einer Koalition unterstützt aus NGOs, Parteien, Vereinen undeiner Bauerngewerkschaft, die sich zu einem Verein namensStopOGM zusammengeschlossen haben, der dieAbstimmungskampagne getragen hat. Man muss wissen, dass wir inder Schweiz ein System der semi­direkten Demokratie haben, in demes Initiativen und Referenden gibt. Das momentane Moratoriumerlaubt die Forschung, was eine gewollte Strategie derGentechgegner war, damit zur Gefährlichkeit der GVO geforscht

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werden kann, doch der Staat hat das übernommen in Form einesöffentlichen Forschungsprogramms, das zwischen 2008 und 2013durchgeführt wurde, und das zu Fragen gearbeitet hat wie zumBeispiel wie man die Einführung der GVO in der Schweiz vorbereitenkann, auf gesetzlicher und juristischer Ebene, aber auch wie man dieAkzeptanz in der Bevölkerung steigern kann für eine Technologie, diesie nicht will.

Dabei haben sie zwischen 2008 und 2010 insbesondereFeldversuche mit transgenem Weizen gemacht, die von denoffiziellen Gegnern wie StopOGM nur sehr schwach kritisiert wurden,gegen die es aber trotzdem mit diversen Aktionsformen Widerstandgab. Es gab eine lokale Bewegung in der Nachbarschaft eines derzwei Felder, das sich im städtischer Umgebung befand, in Pully nahebei Lausanne, wo die Gegner (unter anderem) rechtliche Rekurseeingesetzt haben, um die Versuche ein Jahr lang zu verzögern, aberohne sie verhindern zu können. Rund um das andere Feld, das sichin einem Vorort von Zürich befand, gab es keine solche lokaleBewegung aber eine klandestine Feldzerstörung im Juni 2008: Eineziemlich grosse Aktion – im Schweizer Kontext, versteht sich – mit(gemäss den Medien) 35 vermummten Personen, die am frühenMorgen gehandelt haben und die (nach einem Beschrieb, den eingentechfreundlicher Forscher in Umlauf brachte) auf die Minutegenau geplant zu sein schien. Mit dieser Aktion konnte ein Grossteilder Kulturen zerstört werden und die Teilnehmenden konntenflüchten.

Es handelte sich dabei um umzäunte Feldversuche, die von einerInstitution durchgeführt wurden, die Agroscope heisst und so etwadas Pendant zur französischen INRA ist. Diese Aktion hatte einegrosse Wirkung und wird noch heute in der öffentlichen Debatteerwähnt. Sie wurde von den verschiedenen Institutionen, aber auchvon StopOGM in einer Medienmitteilung verurteilt. Der Widerstandgegen diese Versuche hat auch während den zwei darauffolgendenJahren angehalten, in denen mit den gleichen Kulturenweitergearbeitet wurde, es gab Velokarawanen durch die Schweiz (andenen ich auch teilgenommen habe), von einem Feld zum anderen,Bürgerpicknicks… Eine kleine Anekdote: Während einer Diskussionmit einem Forscher, der zum Picknick gekommen war, um mit denGegner_innen zu diskutieren, wurde die Sabotage vom vorherigenJahr erwähnt und alle Umstehenden begannen zu applaudieren. Das

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zeigt, dass die klandestine Aktion von einem ziemlich breitenPublikum verstanden und geschätzt wurde. Während dieser zweiJahre, 2009 und 2010, kam es zu Sabotageversuchen mitHerbiziden, mit Wurfgeschossen, ohne Eindringen aufs Feld, wie inden Mitteilungen zu lesen war, die sich anonym dazu bekannten. DieSicherheitsvorkehrungen rund um die Felder waren aber auch extremverschärft worden im Vergleich zum Vorjahr.

Nach 2010 und dem Ende dieser Feldversuche kam es zu einemgewissen Erschlaffen dieser losen Bewegung. Der Widerstandbeschränkte sich darauf auf das Parlament und stützte sich auf dieResultate des Forschungsprogramms, das mit seiner sehrvoreingenommenen Forschung natürlich überhaupt keine Gefahrengefunden hat. Wir haben das scharf kritisiert, insbesondere diesoziologischen Studien, die Teil dieses von der Regierung in Auftraggegebenen Programms waren, und die ganz klar sagten, dass esdarum gehe, die Akzeptanz zu beeinflussen, die aber im Übrigenpraktisch nicht kritisiert wurden. Inzwischen wird im Parlamentgestützt auf diese Ergebnisse über eine mögliche Koexistenz vonGVO und konventionellen Kulturen diskutiert. Die offiziellen Gegnerverfolgen eine ziemlich schwammige Strategie, die sagt: „gegenüberdem Vorschlag, im Falle einer Legalisierung der GVO nach dem Endedes Moratoriums gewisse gentechfreie Zonen zu schaffen, sind wirfür das Gegenteil: Dass die gesamte Schweiz eine gentechfreie Zoneist und dass man eine spezielle Bewilligung haben muss, wenn manin gewissen „Gentechzonen“ Kulturen bewilligen will.“ Das sagt„StopOGM“ und anstatt einer klaren Message, die „Stopp OGM[GVO]“ wäre, heisst das dann „wir verhandeln über dieBewilligungsbedingungen von GVO“. Wir finden das momentanwirklich tragisch.

Vor allem weil letztes Jahr ein neues Versuchsfeld eröffnet wurde,immer noch in der Nähe von Zürich, wo schon die früheren Versuchestattfanden, das noch geschützter ist und das den Wünschen derWissenschaft zu entsprechen scheint – vor allem in der Schweiz,aber auch auf europäischer Ebene. Die Biotechforschung verlangt,dass der Staat gesicherte Felder einrichtet, und in der Schweiz hatsie im Frühling 2014 diesen Standort erhalten, der dauerhaft sein sollund nicht mehr an die Frage der Aufhebung des Moratoriumsgeknüpft ist. Bei seiner Einweihung gab es praktisch keine Proteste,der Schweizer Bauernverband – die grösste Gewerkschaft der

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produktivistischen Bauern – war dort und sagte: „Wir sind momentannicht für GVO, weil die Konsumenten sie nicht wollen, aber wenn dieForschung neue GVO findet, die von der Bevölkerung akzeptiertwerden und die wirtschaftlich interessant sind für die Bauern, sind wirdafür.“ Eine Legitimierung dafür, dass diese öffentliche Forschung alsTrojanisches Pferd eingesetzt wird, um für Akzeptanz in derSchweizer Bevölkerung zu sorgen.

Es gibt also eine neue Kampagne, die versucht, wieder Schritt fürSchritt eine klare und globale Position aufzubauen, zum ThemaGentech, aber auch zur wissenschaftlichen Forschung, vor allem zurstaatlichen Forschung, zur Rolle, die die technologischenInnovationen in der Erneuerung des Kapitalismus spielen. AlsResultat davon wurde Ende 2014 eine Broschüre publiziert, die „DasFeld der Kontrolle“3 heisst und die auf https://infokiosques.netheruntergeladen werden kann. Wir verwenden sie als Grundlage, umeine Infotour zu machen und Diskussionsveranstaltungen zuorganisieren. Wir haben den Eindruck, dass die Leute wieder etwaserwachen, nachdem die Bewegung vier Jahre lang eingeschlafenwar. Es gab wieder Demos [und Graffitis], vor allem am Aktionstaggegen Monsanto im Mai, an dem es in drei verschiedenen StädtenDemos gab mit insgesamt 4‘000 Personen – was nicht schlecht ist ineinem sehr ruhigen Land, wo stark für sozialen Frieden gesorgt wird– und es gibt vermutlich auch eine Demo [am 22. August] beim neuenVersuchsfeld in Zürich.

Wir stellen uns viele Fragen zur Dynamik dieser Bewegung und beider Infotour versuchen wir, über die Selbstorganisation in diesenKämpfen zu sprechen und die Delegation zu kritisieren, die in NGO­und Politkreisen stattfindet, an eine Repräsentations­ undLobbystruktur, die diesen Kampf dominiert. Wir versuchen auch überdie Notwendigkeit von direkten Aktionen zu sprechen und über dieKräfteverhältnisse und Ansatzpunkte ausserhalb des Parlamentsnachzudenken. Voilà, da stehen wir momentan.

Rémi : Ausser der Sabotage des Versuchsfelds, von der du unserzählt hast, gab es in der Schweiz keine breitere

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3 Eine Textsammlung gegen Gentech­Forschung und jegliche Herrschaft, miteinem Überblick über die bisherige Bewegung in der Schweiz und dieEntwicklungen im Bereich der Gentechnik, mit Gedanken zum ThemaWissenschaft und Forschung und allgemein zur die Frage der Technologie.https://infokiosques.net/spip.php?article1173

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Zerstörungsbewegung? Gehört das nicht zur kollektiven Praxis, zumVorstellbaren?

Christophe : Es gehört ganz klar nicht nur Praxis. In derUmweltschutzbewegung gibt es einige Ideen, die aus Frankreichkommen, José Bové kennt man aus den Medien, im NGO­Umfeldkennt man die „Faucheurs Volontaires“ ein bisschen. Vor einiger Zeit,2008 oder 2009, haben einige Libouban eingeladen, einer [von den„Faucheurs“], der von gewaltfreier direkter Aktion spricht und ziemlichpazifistisch drauf ist, im Sinne eines Bürgerrechtlers, ein Ghandist;und eine kleine linksradikale Partei hat angekündigt, einenZerstörungs­Workshop organisieren zu wollen, aber ich glaube, derfand gar nie statt. Ich glaube, die Leute in der Schweiz glauben starkan den Rechtsweg und haben schnell Angst, nicht mehr in derLegalität zu sein.

Rémi : Gibt es ausser StopOGM, die sich als offizielle und legitimeGesprächspartner präsentieren, nicht auch noch ein Netz vonOrganisationen… wie positioniert sich beispielsweise Via Campesinain der Schweiz in Bezug auf das Ende des Moratoriums und dieweiteren Perspektiven?

Christophe : Das Schweizer Mitglied bei Via Campesina ist dieGewerkschaft Uniterre. Sie sind momentan daran, Werbung für eineVolksinitiative zu machen, die das Prinzip der Ernährungssouveränitätgesetzlich festschreiben will [wozu auch ein Gentechverbot gehört].Volksinitiativen sind Vorschläge für Gesetzesänderungen oder neueGesetze, für die 100‘000 Unterschriften gesammelt werden müssenin einem Land mit 8 Millionen Einwohner_innen, und wenn man dasschafft, dann stimmt die ganze Bevölkerung – alle Erwachsenen mitSchweizer Pass, genauer gesagt – über diese Frage ab. Mit derMöglichkeit, dass die Regierung einen Gegenvorschlag machenkann. Darauf gibt es eine Kampagne in den Medien, in der dieeingesetzten Mittel oft sehr ungleich sind in dieser von Geld regiertenWelt, und nur sehr wenige Initiativen werden wirklich angenommen.Oft investieren die verschiedenen Verbände und Organisationen vielEnergie, vor allem bei der Unterschriftensammlung, um dann dieAbstimmung zu verlieren, aber nicht immer. Und wenn die Initiativendurchkommen, dann werden sie manchmal später durch neueparlamentarische Manöver umschifft.

Camille : Das ist interessant, denn ich sehe da Gemeinsamkeiten mitdem, was in Frankreich momentan geschieht. Die „Faucheurs“ hatten

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immer ein starkes Argument, das einfach von einer Umfrage in derBevölkerung kam, ein Referendum war nicht nötig. Die „Faucheurs“sagten: „70 % der Bevölkerung stehen unserem Anliegen undunserem Kampf positiv gegenüber. Das heisst, 70 % derfranzösischen Bevölkerung möchten keine GVO, weder in ihrenTellern noch auf ihren Feldern.“ Das ermöglichte es, die Energieaufrechtzuerhalten, sich immer wieder zu sagen: „Wir sind legitim, wirsetzen uns für das Gemeinwohl ein.“ Das erinnert mich ein bisschenan diese Referendumgeschichte, weil ich glaube, das wäre gar nichtnötig gewesen, um die Energie zu finden und zur Tat schreitenkönnte. Eine kleine Umfrage und schon reicht das, um das denLeuten zu sagen und Energie zu verleihen für direkte Aktionen.

Christophe : Mmh… Oft verteidigen die Bewegungen dieUnterschriftensammlungen und Abstimmungskämpfe als eine Art undWeise, eine Debatte auszulösen, ein Thema auf den Tisch zubringen, insbesondere indem man mit den Leuten direkt diskutiertund später auch in den Medien. Was meiner Meinung nach denBewegungen auch schaden kann, je nachdem wie viele Mittel vonden Gegnern eingesetzt werden. Und es sorgt dafür, dass die Leutean einen gesellschaftlichen Wandel durch rechtliche Mittel glauben,was nicht sehr mobilisierend wirkt für alles ausserhalb diesesProzesses. Wenn man in Kräfteverhältnissen denkt, ist das ziemlichproblematisch, das macht es ziemlich schwierig. In der Schweiz zumBeispiel verteidigt StopOGM seine strategischen Entscheidungendamit, dass es in der Schweiz viele Leute gebe, die ein Interesse aneinem Widerstand gegen Gentech haben, vor allem weil dieLandwirtschaft noch kleinflächig ist und eine Koexistenz einzuführenzu kompliziert und zu teuer wäre, und so machen sie ihre politischeRechnung, dass das Gleichgewicht der Interessen im Parlament dasgleiche bleiben wird und zwar für ein Gentechverbot. Was sich aberändern könnte, zum Beispiel wenn der Bauernverband seine Meinungändert. Das ist ein bisschen ein Balanceakt. Momentan positionierensich die grossen Konsumentenschutzorganisationen und dieGrossverteiler gegen den Vertrieb von GVO.

Da fragt man sich also: Wie handeln in so einem Kontext, mit diesenAkteuren und Diskussionen? Wir finden es sehr wichtig, die Kritik aufdie Wissenschaft und Forschung auszurichten, weil damit wirdmomentan gekämpft, das ist, was von der Gegenseite als Mitteleingesetzt wird, vor allem um die Domination der Herrschenden in

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landwirtschaftlichen Fragen weiter auszuweiten. Im schweizerischenKontext ist das sehr wichtig, denn die wissenschaftliche Forschung istein bisschen wie Gold für die Schweiz, es ist die Hauptressource derSchweiz, die weder Schwerindustrie, noch Kolonien, noch Ex­Kolonien, noch Rohstoffe hat. Der Wohlstand des Landes hängt vonder Forschung und der Innovation ab, zumindest sagen das alleParteien, da sind sich alle einig. Und in legalistischenWiderstandsbewegungen scheint es unmöglich, eine Position zuvertreten, die gegen die wissenschaftliche Forschung ist oder ihrGrenzen setzen möchte, deshalb erlaubt das aktuelle Moratoriumauch die Forschung. Unserer Meinung nach war das politischesKalkül, damit das Moratorium durchkam. Wir finden, dass man dieRolle der wissenschaftlichen Forschung ansprechen muss, die Rollevon Forschungsanstalten wie Agroscope, die bei den Bauern übereine grosse Legitimität verfügen, für die sie eine wichtige Hilfe sind,agronomisch und technisch. Ihre Experten­ und Autoritätsposition istwirklich eine Möglichkeit für die Verbreitung von biotechnologischenMethoden, die die agronomische Forschung immer mehr dominieren.

Rémi : Im Hinblick auf den Platz, den die Schweiz weltweit einnimmt,gibt es auch Analysen der Überschneidungen zwischen denFinanzmärkten, den Multis und dem Einfluss, den das auf denKontext, den du soeben beschrieben hast, haben kann? Versucht ihrzu beobachten, wie der Kapitalismus funktioniert...

Christophe : Nun, in der Schweiz gibt es Syngenta, mit Sitz in Basel,weltweit grösster Pestizidproduzent und einer der Marktführer imGentechbereich und es ist klar, dass die einen grossen Einflusshaben, vor allem durch Lobbying. Es haben auch viele Multis ihrenSitz in der Schweiz, Rohstoffhändler, Spekulationsfonds, Banken...und dazu kommt auch die Frage der Steuerflucht und derGeldwäsche. Das hat natürlich ein grosses ökonomisches undpolitisches Gewicht in der Schweiz. Der Sitz von Monsanto fürEuropa und den Nahen Osten befindet sich zum Beispiel in Morges,in der Nähe von Lausanne, und bezahlt 0 % Steuern während 10Jahren. Die aktuelle Kampagne versuchen wir auf den Aspektauszurichten, dass die Schweiz ein „Zentrum der wissenschaftlichenForschung“ ist, insbesondere mit diesem gesichertenVersuchsstandort zu einem Zeitpunkt, wo es in Europa immerweniger Orte für Feldversuche gibt. Es gibt fast keine mehr, ausser inSpanien, Tschechien, Schweden und einigen anderen Ländern4. In

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diesem Zusammenhang versuchen wir vor allem darüber zusprechen, dass wenn man diese Forschung in der Schweiz angreift,das eine Art von Solidarität mit den Bewegungen im restlichenEuropa ist, um den Druck aufrecht zu erhalten, der daraus entstand,dass diese Forschungsstandorte in sehr vielen Ländern massivsabotiert wurden.

Rémi : Ich frage mich: Da scheint ziemlich viel Arbeit notwendig zusein, um eine Art von öffentlicher Meinung zurück zu erobern und vonda aus an die Möglichkeit grosser Aktionen mit der Bevölkerungdenken zu können, eine Energie, die man mehr ins Aufbauen vonZusammenhängen von Leuten, die sich verstehen, stecken sollte…Es bräuchte eine riesige pädagogische Arbeit, um zu sagen, dass derZeitpunkt gekommen ist, den Kampf in diesem Bereich wiederaufzunehmen, aber schliesslich denke ich, wenn man Adressen hat,könnte man sich Momente vorstellen, globalere Formen direkterAktion zu finden. Die Schweiz liegt zwischen Frankreich, Italien undDeutschland, man könnte sich vorstellen, diese Kräfte ein bisschenmobilisieren zu können, um diese Unternehmen oder Versuche einbisschen „breiter“ angreifen zu können. Diese Frage stelle ich mirmanchmal: Die Zeit, die man braucht, um die öffentliche Meinung zuverändern, während man auch einfach autonome Aktionsformenwählen könnte.

Camille : Ich muss da an eine Broschüre denken, die «SHAC attack»heisst.5 Es geht um eine Erfahrung in England von einemantispezistischen Kollektiv, das ein Labor angriff, das Tierversuchemachte. Das Labor war absolut unverwundbar, es war unmöglich,Druck aufzubauen. Die Leute haben Taktiken und Strategienausgearbeitet, um die Entscheidungsträger zu Hause aufzusuchen, inihre Häuser einzudringen… nur schon zu wissen, wo sie wohnen, ihreAdresse zu kennen und dann beginnen, direkt Druck auf diesePersonen auszuüben und nicht auf ein Unternehmen, eine Institutionoder etwas anderes, das eine weniger menschliche Fort hat.

Christophe : Sie gingen noch weiter, das heisst, sie haben dieStrategie, auf alle Partner des Labors Druck auszuüben, vor allemauch auf diejenigen, die es finanzieren.

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4 Liste der Anträge auf Genehmigung in Europa:http://gmoinfo.jrc.ec.europa.eu/gmp_browse.aspx

5 https://infokiosques.net/spip.php?article1037

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Camille : Das ist eine Strategie, die mich wirklich angesprochen hat,etwas Effizientes, das Resultate bringen kann. Mit einerinteressanteren Auswirkung als wenn man einfach den Sitz vonMonsanto blockiert und sie einen Tag lang am Arbeiten hindert, wasuns schon sehr viel Energie gekostet hat.

Christophe : Ähm, ich glaube nicht, dass das weniger Energiebräuchte, bei weitem nicht! In der jetzigen Situation, wo wir versuchen„Pädagogie“ zu machen, wie du sagst, oder auf jeden Fall die Leuteauf regionaler Ebene zum Nachdenken anzuregen, sind wir von einerLage ausgegangen, in der wir ein bisschen das Gefühl hatten, alleinauf weiter Flur zu sein. Und wir haben nicht den Eindruck, dass wirsicher sein können, dass irgendetwas passiert, wirklich nicht. Wirstellen uns also die Frage, welche verschiedenen Strategien möglichsind, auch angesichts der krassen Verschärfung derSicherheitsmassnahmen, es hat jetzt rund um die Uhr eineWachperson mit Hund und einem Alarmknopf am Handgelenk,Bewegungsmelder an den Gittern, Kameras, ein doppeltes Gitter mitStacheldraht – die sichtbaren Sicherheitsvorkehrungen sind schonein echtes Hindernis.

Rémi : Wenn wir 500 oder 2000 sind, erscheint mir das nichtunüberwindbar…

Camille : In einer Viertelstunde reissen wir das Ding! (Lachen)

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Aktionen der "Faucheurs"2014­2015Auszüge aus dem Artikel «La mobilisation des Faucheurss'intensifie» (Die Mobilisierung der Faucheurs wird stärker) vonChristophe Noisette, infogm.org, April 2015:

(…) Die Aktionen des zivilen Ungehorsams, mit denen die Faucheursvolontaires gegen Sonnenblumen und Raps kämpfen, die mittelsMutagenese resistent gegen Herbizide gemacht wurden, gehenweiter. Für sie weisen diese «versteckten GVO» genau die gleichenNachteile und Schwächen auf wie transgene Pflanzen.

Auch wenn die Technik ändert, mit der ins Genom eingegriffen wird,so bleibt das Ziel dasselbe: Pflanzen zu schaffen, die resistentgegen Herbizide sind. Die Gegner*innen sind der Ansicht, dieses Zielsei nicht von Interesse in einem landwirtschaftlichen undgesellschaftlichen Kontext, in dem nach einer Reduzierung derchemischen Hilfsmittel gestrebt wird. Dem widerspricht das «Centretechnique interprofessionnel des oléagineux et du chanvre (Cetiom)»(Interprofessionelles Fachzentrum für Ölsaaten und Hanf): In einerMedienmitteilung schreibt es, «die zerstörten Versuche entsprechenvollumfänglich den Zielen des Plan Ecophyto, der darauf abzielt, denEinsatz von phytosanitären Produkten zu reduzieren und sinnvollerzu gestalten. Diese Versuche erlaubten es auch, neue Techniken zurUnkrautkontrolle, wie den Einsatz von mechanischerUnkrautvernichtung, zu testen.» André Merrien, Studien­ undForschungsdirektor des Cetiom, bekräftigt, dass dank diesermutierten Rapspflanzen zehnmal weniger Herbizide eingesetztwerden könnten.

Interessanterweise werden immer die gleichen Argumentevorgebracht, um jede neue «technologische Innovation» zurechtfertigen. Schon die genmanipulierten Pflanzen, die resistentsind gegen Roundup, hätten den Einsatz von Besprühungenreduzieren sollen. Die Realität auf dem amerikanischen Kontinentsieht jedoch anders aus: Die Menge versprühter Herbizide steigtweiter an, genauso wie die Anzahl Unkräuter, die gegen Glyphosat«resistent» geworden sind.

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Am 4. April 2015 haben die Faucheurs volontaires in La Pouëze(zwischen Angers und Segré) im Departement Maine­et­Loire eineVersuchsparzelle von einem Hektar Rapspflanzen zerstört, die durchMutagenese herbizidresistent gemacht worden sind. Diese Parzellewurde vom «Groupe d'Étude et de contrôle des Variété et desSemences (GEVES)» (Verband für Sortenprüfung und Saatgut)genutzt, der zuständig ist für das Aufnehmen neuer kommerziellerVarietäten in den Katalog des zugelassenen Saatguts. (...)

Im Juni 2014 hatten Aktivist*innen geplant, in der Gemeinde Ox imDepartement Haute Garonne gegen Raps­Vorzeigefelder zudemonstrieren. Weil Gendarmen vor Ort waren, wurde die Aktionjedoch abgebrochen. Daneben waren auch Aktivist*innen der FDSEA[Departementsverbände der konservativenLandwirtschaftsgewerkschaften] gekommen, was nicht überraschendzu verbalen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagernführte: Auf der einen Seite wurden die mutierten Pflanzen als«wissenschaftsgläubige Flucht nach vorne» angesehen, mit der dieHerausforderung der Ernährung der Weltbevölkerung nichtgemeistert werden kann; auf der anderen wurde argumentiert, ohne«dieses Saatgut, das auf der Höhe des Fortschritts ist» verliere diefranzösische Landwirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit und «dieamerikanischen oder asiatischen Landwirt*innen werden zu denHerrscher*innen über die weltweite Ernährung».

Die Faucheurs hatten aber noch nicht ihr letztes Wort gesprochen.Am Sonntag 15. Juni kehrten sie nach Ox zurück und«neutralisierten neun Parzellen von genmanipuliertem Raps, umgegen Herbizide zu protestieren, die üblicherweise für Getreideverwendet werden». Sie forderten weiterhin, dass «für dieseversteckten GVO die gleichen Bedingungen gelten wie fürdiejenigen, die durch Transgenese hergestellt werden.» Sie riefen dieLandwirt*innen dazu auf,«den wissenschaftlichen Trugbildern nichtzu verfallen, welche die Reaktionsfähigkeit der Natur ausser Achtlassen, die sich anpassen und systematisch Resistenzen gegenPestizide (Herbizide, Fungizide, Insektizide, Antibiotika …)entwickeln kann.» Für die Faucheurs können nur «gutelandwirtschaftliche Praktiken das Unkraut und die Schädlingelangfristig auf einem akzeptablen Niveau halten.»

Doch es war kein Dialog möglich: Am 30. Juni 2014 sagte derLandwirtschaftsminister Stéphane le Foll auf RTL [einem

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französischen Fernsehsender] einmal mehr: «Es gibt keineversteckten GVO: Es handelt sich um Genmutationen, ohne dasszusätzliche Gene eingeschleust werden.» Keine eingeschleustenGene, da sind sich alle einig, aber «versteckte GVO», denn selbstdie europäische Richtlinie 2001/18 besagt, dass die MutageneseGVO hervorbringt.

In der Nacht vom 19. auf den 20. Mai 2014 wurde in Savarit beiSurgères, in Charente Maritime, etwas mehr als ein Hektar mutierterRaps zerstört. Es handelte sich um einen anderen vom Cetiombetriebenen Versuchsstandort, wo am 20. Mai ein Feldbesuchstattfinden sollte. In seiner Medienmitteilung unterstreicht dasCetiom, dass diese Versuche sich in die «Agro­Ökologie»einschreiben: «Indem die Rapskulturen mit einemZwischenfruchtanbau von Hülsenfrüchten kombiniert wurden,arbeitete das Cetiom darauf hin, den Einfluss der klimatischenBedingungen zu begrenzen (…) und den Einsatz von Pestiziden zureduzieren.» So, fährt es fort, «hilft [die Mutagenese] sowohl derbiologischen als auch der konventionellen Landwirtschaft.» DieseMitteilung ist schockierend: Die biologische Landwirtschaft verbietetdie Verwendung von synthetischen Herbiziden. Diese Rapspflanzensind jedoch genetisch modifiziert, um genau gegen diese verbotenenHerbizide resistent zu sein. Und wenn die Zusammenführung vonKulturen und der Zwischenfruchtanbau tatsächlich interessantetechnische Lösungen sind, benötigen sie keineswegs den Einsatzvon Herbiziden, wie es das Cetiom selbst gezeigt hat. (…)

Am 2. April 2014 haben die Faucheurs Volontaires in Fontenoy­sur­Moselle, im Departement Meurthe­et­Moselle eine Versuchsplattformfür herbizidresistenten Raps «neutralisiert». Ihrer Ansicht nachdienten diese Feldversuche dem Cetiom dazu, diese Technik unterden Landwirt*innen «zu verbreiten». Das Cetiom hat diese Aktion als«blind, unverständlich und inakzeptabel» bezeichnet. Es bekräftigt:«Diese Technik hilft der biologischen wie der konventionellenLandwirtschaft. Sie wird seit über 50 Jahren angewandt und wurdeweitgehend von der öffentlich finanzierten Forschung wiebeispielsweise dem Inra [französisches Institut für landwirtschaftlicheForschung] entwickelt.» Auch wenn diese Technik seit 50 Jahrenbesteht, so werden die mutierten, herbizidresistenten Sorten erst seitKurzem grossflächig angebaut.

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Auszüge aus dem Artikel «Des cultures de maïs OGM MON810planent sur le Conseil d'Etat... les Faucheurs les neutralisent»(Kulturen von genmanipuliertem MON810 Mais schweben über demConseil d'Etat … die Faucheurs neutralisieren sie) von ChristopheNoisette und Pauline Verrière, infogm.org, Mai 2014:

Am Mittwoch 30. April 2014 hat sich der Conseil d'État mit demRekurs der Association Générale des Producteurs de Maïs (AGPM)[Verband der Maisproduzent*innen] gegen den Ministerbeschluss,der den Anbau von MON810­Mais verbietet, beschäftigt. Währendder Anhörung haben zwei Landwirt*innen zugegeben, diesen Maisausgesät zu haben. Am Freitag 2. Mai 2014 gegen 11 Uhr haben dieFaucheurs volontaires eine dieser Parzellen teilweise «neutralisiert».(…)

Die Faucheurs haben uns erklärt, sie wüssten noch von anderenAussaaten. Diese Information wurde von staatlicher Seite bestätigt.Der Conseil d'État würde diese Kulturen wieder legal machen, wenner den Ministerbeschluss suspendieren würde... und das Ministeriummüsste das Register der Parzellen, auf denen genmanipuliertePflanzen angebaut werden, veröffentlichen. «Wenn die MöglichkeitGV­Pflanzen anzubauen entgegen dem Willen der Bürger*innen undeiner sehr grossen Zahl von Landwirt*innen wieder geöffnet wird,würde sich das Kollektiv der «Faucheuses und Faucheursvolontaires» ungern, aber entschieden wieder auf den Weg zu dentransgenen Maisfeldern machen»... Und wenn der Conseil d'Étatden Ministerbeschluss nicht suspendiert, werden die Faucheursdarüber wachen, dass der Staat seine Verantwortung wahrnimmt:«Die «Faucheuses und Faucheurs Volontaires» werden noch vor derBlütezeit handeln, egal über welchen rechtlichen Status dieseKulturen verfügen», schreiben sie.

Greenpeace, anwesend vor Ort, «fordert die Regierung auf, diesesFeld zu neutralisieren und die Bürger*innen vor der von GVOausgehenden Gefahr zu schützen.» Die Faucheurs, dieConfédération paysanne und Greenpeace haben an dasLandwirtschaftsministerium geschrieben, um es auf die Existenzeiner MON810­Aussaat aufmerksam zu machen. Die Vereineverlangten die Zerstörung dieses Feldes. Nach dem Ausbleiben einerbehördlichen Antwort haben die Vereine schliesslich entschieden,diese illegale Kultur öffentlich zu denunzieren.

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Ohne allzu sehr auf die Kritik zurückkommen zu wollen, die schonanderweitig formuliert wurde, sollen hier einige Anmerkungengemacht werden zu einem Text, dessen Lektüre euch wärmstensans Herz gelegt wird. Dies, um die Kritik von Camille und Rémi miteinigen Aspekten zu komplettieren, welche die beiden nur wenigansprechen.

Im Kapitel «L'insoumission possible» (Der mögliche Ungehorsam)des Buches «La liberté dans le coma» (Die Freiheit im Koma)zitieren die Autor*innen der Groupe Marcuse den Kampf gegen GVOals schlechtes Beispiel, als Gegenteil des Ungehorsams, den siewünschen.

«Die Idee von Angriffen oder von Verteidigung gegen die Dispositive,die in Frage gestellt werden, wurde leider von Expert*innen derWiderstands konfisziert. Es ist inzwischen unmöglich geworden, vonUngehorsam zu sprechen, ohne an die Faucheurs Volontaires unddie politische Strategie von José Bové zu denken, die darin bestand,das kritische Potenzial der Sabotage von transgenen Kulturen zuentschärfen, um das Agitieren auf diesem Gebiet gegen einepolitische Karriere einzutauschen. (…) Die Formen des Widerstandsgegen die neuen Technologien wurden dadurch kompromittiert.»

Die Groupe Marcuse spricht von der «Beerdigung des Kampfesgegen die Gentechnik» und bezieht sich dabei auf den «Aufruf derFaucheurs Volontaires», der sich für die «Grundlagenforschung» –aber nur unter gewissen Bedingungen – ausspricht, und auf dieEntscheidung, «die Sabotagepraxis auf die Freisetzungsversuche zubeschränken» (und diese nicht mehr Sabotage, sondern fauchage,Mähen, zu nennen).

Einige kritische Überlegungen

1 Groupe Marcuse, La liberté dans le coma. Essai sur l'identification électroniqueet les motifs de s'y opposer, éd. La Lenteur, 2012, pp.185­199: Le mouvementdes "faucheurs volontaires" et autres dévoiements de la désobéissance civile

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Es ist zudem von «Ungehorsam, der den Staat zu 99 % respektiert»die Rede oder ganz allgemein von der Verteidigung des Staates, wassich bei den Faucheurs Volontaires in einem Diskurs ausdrückt, dersich nur selektiv gegen Multis wendet, in der Beweihräucherung deröffentlich finanzierten Forschung, in der Umbenennung des zivilenUngehorsams in «bürgerlichen Ungehorsam», der als eine«Forderung nach Recht» und nicht wie eine Kritik an der Autoritätverstanden wird, und in der Forderung nach einer Rückverfolgbarkeitder Lebensmittelproduktion unter staatlicher Kontrolle. Dies allesführt zusammen mit einer Strategie, welche die Medienwirksamkeit inden Vordergrund stellt und den Diskurs so weit wie möglichvereinfacht, zu einer immer stärkeren Entmachtung der einzelnenAktivist*innen.

Auch das Buch «Pour la désobéissance civique» (Für einenbürgerlichen Ungehorsam) von Gilles Luneau und José Bové wird anden Pranger gestellt: «All dies lässt letztendlich einen eherunangenehmen Eindruck zurück: denjenigen einer Dressur zumUngehorsam, die von der gewaltlosen Bürger*innenbewegungerfunden worden ist, welche dabei die Neutralisierung desWiderstands gegen transgene Pflanzen als Modell genommen hat.Es geht darum, die Aktionen zu organisieren und zu reglementieren,um jegliche Abweichung zu verhindern.»

Weitere Texte formulieren eine Kritik, die in eine ähnliche Richtunggeht: die Bücher von René Riesel, die im Verlag «l'Encyclopédie desNuisances» erschienen sind (in guten Buchhandlungen undBibliotheken erhältlich), oder die Broschüren «OGM: fin de partie»und «Des organismes génétiquement modifiés et du citoyen» desKollektivs «Quelques ennemis du meilleur des mondes», oder aber«Textes et documents choisis pour instruire le public et ceux qui fontmétier de l'informer sur la deuxième campagne contre le géniegénétique, août 1999­avril 2002» (in guten Infoläden erhältlich).

Damit alle ihren kritischen Geist schärfen und ihren eigenen Wegfinden!

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" Ich werde also von drei Zerstörungen erzählen,die ich erlebt habe, und die nicht gleichherausgekommen sind. Um ein bisschen zu zeigen,dass es so und so und so gehen konnte... "