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2.3 Dekubitus 47 2.3 Dekubitus Synonym: Druckgeschwür, Dekubitalgeschwür, Wundliegegeschwür Definition Der Begriff Dekubitus stammt von dem lateinischen Wort decubare – liegen bezie- hungsweise von decumbere – sich niederlegen und beschreibt einen trophischen Gewebeschaden, der durch unphysiologischen Druck auf Gewebe entstanden ist. Ätiologie Pathophysiologisch kommt es durch eine länger andauernde exogene Druckeinwir- kung zu einer Kompression kutaner Gefäße. Meist reicht das Eigengewicht eines unbewegten Körperteils auf einer entsprechenden Unterlage aus, um einen Druck von etwa 30–70 mmHg aufzubauen. Überschreitet der von außen auf die Gefäße einwir- kende Druck den Kapillardruck der Gefäße, so kommt es zu einer Ischämie und in der Folge zu trophischen Störungen im Haut- und in den Unterhautgeweben, die zu der Ausbildung einer Nekrose (Abb. 2.3-1) und schließlich zu einem Ulkus (Abb. 2.3-2) führen. Für die Entwicklung eines Dekubitus müssen verschiedene Faktoren zusam- mentreffen. Grundsätzlich unterscheidet man hierbei zwischen intrinsischen und extrinsischen Faktoren, die die Entstehung eines Dekubitus begünstigen können (Tab. 2.3-1). Abb. 2.3-1 Dekubitus – Nekroseplatte, die sich zum Teil bereits spontan über einer Ulzeration gelöst hat.

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2.3 Dekubitus

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2.3 Dekubitus

Synonym: Druckgeschwür, Dekubitalgeschwür, Wundliegegeschwür

Definition

Der Begriff Dekubitus stammt von dem lateinischen Wort decubare – liegen bezie-hungsweise von decumbere – sich niederlegen und beschreibt einen trophischen Gewebeschaden, der durch unphysiologischen Druck auf Gewebe entstanden ist.

Ätiologie

Pathophysiologisch kommt es durch eine länger andauernde exogene Druckeinwir-kung zu einer Kompression kutaner Gefäße. Meist reicht das Eigengewicht eines unbewegten Körperteils auf einer entsprechenden Unterlage aus, um einen Druck von etwa 30–70 mmHg aufzubauen. Überschreitet der von außen auf die Gefäße einwir-kende Druck den Kapillardruck der Gefäße, so kommt es zu einer Ischämie und in der Folge zu trophischen Störungen im Haut- und in den Unterhautgeweben, die zu der Ausbildung einer Nekrose (Abb. 2.3-1) und schließlich zu einem Ulkus (Abb. 2.3-2) führen.

Für die Entwicklung eines Dekubitus müssen verschiedene Faktoren zusam-mentreffen. Grundsätzlich unterscheidet man hierbei zwischen intrinsischen und extrinsischen Faktoren, die die Entstehung eines Dekubitus begünstigen können (Tab. 2.3-1).

Abb. 2.3-1Dekubitus – Nekroseplatte, die sich zum Teil bereits spontan über einer Ulzeration gelöst hat.

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Intrinsische Risikofaktoren

• Begleiterkrankungen, z. B. Herzinsuffizienz, Schock oder Neoplasien• Dehydratation, Exsikkose• eingeschränkte Mobilität, Immobilität• Gefäßkrankheiten• Inkontinenz• Lebensalter (>65 Jahre, <5 Jahre)• Malnutrition (Fehl- und/oder Mangelernährung)• Medikamente, z. B. Analgetika, Sedativa oder kreislaufaktive

Medikamente wie beispielsweise Adrenalin oder Dopamin• sensorische Störungen, z. B. periphere Neuropathien

bei Diabetikern oder Rückenmarksverletzten

Extrinsische Risikofaktoren

• Druckkräfte• Feuchtigkeit• Reibekräfte• Scherkräfte• Temperatur

Tab. 2.3-1Risikofaktoren für die Entwicklung eines Dekubitus.

Abb. 2.3-2Dekubitus, der sich als Ulkus mit untermi­nierten und zum Teil mazerierten Wund­rändern klinisch manifestiert.

Gefährdete Hautareale für die Entstehung eines Dekubitus

• Beckenknochen • Ellbogen • Ferse • Fußknöchel • Hinterkopf • Kniescheiben • Kreuz-, Steißbein

• Ohrmuschel • Rippen • Schultern • Stirn • Trochanter major • Wirbelsäule • Zehen

Tab. 2.3-3

Klassifikation des Dekubitus nach EPUAP (European Pressure Ulcer Advisory Panel) und NPUAP (National Pressure Ulcer Advisory Panel). Die beiden zusätz-liche Kategorien wurden 2014 neu beschrieben und finden sich nicht im ICD-10-Code. Allerdings werden Sie im ICD-11-Code aufgenommen.

Grad 1 Nicht wegdrückbares Erythem bei intakter Haut (Abb. 2.3-3). Zudem können Ödeme, Verhärtungen oder eine lokale Über-wärmung vorliegen.

Grad 2 Oberflächlicher Hautdefekt bis maximal in die Dermis reichend. Klinisch kann sich eine Blase (Abb. 2.3-4), eine Erosion (Abb. 2.3-5) oder ein flaches Ulkus (Abb. 2.3-6) zeigen.

Grad 3 Tiefer Hautdefekt, der alle Hautschichten betrifft und bis zu den Faszien reichen kann (Abb. 2.3-7 bis 2.3-15).

Grad 4 Tiefer Gewebedefekt mit freiliegenden Muskeln, Knochen oder Sehnen (Abb. 2.3-16).

Zusätzliche Kategorien (Abb. 2.3-17 bis 2.3-19)

Uneinstufbar/ Die Tiefe des Dekubitus kann nicht beurteilt werden, da die nicht Wunde beispielsweise mit Krusten oder Nekrosen bedeckt ist. klassifizierbar Es handelt sich hierbei meist um einen Dekubitus Grad 3 oder 4.

Vermutete tiefe Vermutete tiefe Gewebeschädigung/Farbänderung bei intakter Gewebeschä- Haut oder hämorrhagischer Blase aufgrund einer in der Tiefe digung – unbe- liegenden Schädigung des Weichgewebes durch Druck oder kannte Tiefe Scherkräfte.

Tab. 2.3-2

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Abb. 2.3-3Nicht wegdrückbares Erythem als klinische Manifestation eines sakral lokalisierten Dekubitus Grad 1.

Spezifische Diagnostik

Meist ist die genaue klinische Inspektion nach Erhebung der (Fremd-)Anamnese für die Diagnose ausreichend. Bildgebende Verfahren sind nur dann notwendig, wenn Kompli-kationen, wie beispielsweise eine Osteomyelitis, ausgeschlossen werden sollen.

Klinischer Befund

Der klinische Befund eines Dekubitus ist sehr variabel und kann in verschiedene Sta-dien eingeteilt werden (Abb. 2.3-3 bis 2.3-19). Die klinische Einstufung kann entspre-chend der Einteilung nach ICD-10 oder EPUAP (European Pressure Ulcer Advisory Panel) beziehungsweise NPUAP (National Pressure Ulcer Advisory Panel) erfolgen (Tab. 2.3-2). Als Prädilektionsstellen für das Auftreten eines Dekubitus werden nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamts bei 40 % aller Patienten die sakrale Region und bei 18 % die Fersen angegeben. Allerdings können auch zahlreiche an-dere anatomische Lokalisationen potenziell betroffen sein (Tab. 2.3-3).

Abb. 2.3-4Initialer Dekubitus Grad 2. Neben dem Erythem (Pfeil 1) finden sich bereits ver­einzelte Erosionen (Pfeil 2) und Reste eines Blasendaches (Pfeil 3).

Abb. 2.3-5Dekubitus Grad 2 gluteal mit oberflächlichen Ulzerationen.

Abb. 2.3-6Scharf begrenzter Dekubitus Grad 2 gluteal.

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Abb. 2.3-7Großflächiger Dekubitus Grad 3 gluteal mit nekrotischen Arealen auf einer Ulzeration, die bis in die Dermis reicht.

Abb. 2.3-8Sakral lokalisierter Dekubitus Grad 3 mit Fibrinbelägen.

Abb. 2.3-9Dekubitus Grad 3 sakral lokalisiert mit Granulationsgewebe und wenigen Fibrinresten.

Abb. 2.3-10Dekubitus Grad 3 an der Fußaußenseite.

Abb. 2.3-11Teils fibrinös belegter Dekubitus Grad 3 der Ferse mit mazerierten Wundrändern.

Abb. 2.3-12Dekubitus Grad 3 der Ferse mit aus­gedehnten nekrotischen Arealen.

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Abb. 2.3-14Rezidiv eines sakral lokalisierten Dekubi­tus Grad 3, der einige Jahre zuvor bereits mittels plastischer Deckung versorgt wurde.

Abb. 2.3-13Ferse mit Dekubitus Grad 3.

Abb. 2.3-15Dekubitus Grad 3.

Abb. 2.3-16Dekubitus Grad 4 gluteal, der in der Tiefe bereits Muskeln und Sehnengewebe zer­stört hat.

Abb. 2.3-17Nicht einstufbarer Dekubitus, da die tatsächliche Tiefe aufgrund der Nekrose nicht zu beurteilen ist.

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Abb. 2.3-18Nach aktueller EPUAP/NPUAP­Klassifika­tion nicht einstufbarer Dekubitus. Auf­grund der Beläge aus Fibrin und Nekrose kann die exakte Tiefe nicht beurteilt wer­den. Es handelt sich nach Inspektion mindestens um einen Dekubitus Grad 3.

Abb. 2.3-19Aufgrund der Nekroseplatte handelt es sich entsprechend der EPUAP/NPUAP­Klassifikation um einen nicht einstufbaren Dekubitus.

Spezifische Therapie

Nachdem Risikopatienten mit einer der verschiedenen validierten Bewertungsskalen identifiziert wurden, sollten möglichst rasch prophylaktische Maßnahmen eingeleitet werden. Die Faktoren, die zu der Entstehung eines Dekubitus bei Patienten geführt haben, können sehr unterschiedlich sein und müssen individuell adaptiert in ein the-rapeutisches Konzept mit einbezogen werden. Viele der intrinsischen Faktoren können allerdings nur unzureichend kausal therapiert werden. Dennoch kann es sinnvoll sein, beispielsweise anamnestische und serologische Faktoren der Ernährung zu bestim-men, um eine spezifische Substitution einzuleiten. Auch die Umstellung von Medika-menten oder die Einstellung insuffizient vorbehandelter Begleiterkrankungen kann hilfreich sein.

Da aber die Immobilisation der mit Abstand wichtigste Faktor ist, sollte hier immer ein Schwerpunkt der therapeutischen Konzepte ansetzen. Als Lagewechsel kommen 30 Grad zu beiden Seiten, das Heraussetzen oder Mobilisieren, aber auch die Bauch-lage in Betracht. Durch die konsequente Beachtung der Druckvermeidung, eventuell unter Hinzunahme von druckentlastenden Auflagesystemen, bietet sich die Möglich-keit, bereits frühzeitig, möglichst sogar präventiv, das Fortschreiten eines Dekubitus zu verhindern. So sollten Patienten mit einem hohen Risiko, einen Dekubitus zu ent-wickeln oder die bereits einen Dekubitus haben, nicht auf herkömmlichen Matratzen gelagert werden. Alternativ können Niedrigdruck- oder Wechseldruckmatratzen ein-gesetzt werden. Die Verwendung der immer noch weit verbreiteten Hilfsmittel, wie beispielsweise wassergefüllte Kissen, Schaffelle oder Ringkissen, ist hingegen wenig hilfreich und daher obsolet.

Literatur

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