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2.5.3 Der Staat als Ersatz für freiwillige Kooperation? 41 2.5 DILEMMATA 2.5.1 Das klassische Beispiel: Gefangenen-Dilemma Das Problem, mit dem wir uns in diesem Abschnitt beschäftigen wollen, lässt sich folgendermaßen umreißen. Eine Gruppe von Personen ist durch die Zahlung individueller Beiträge in der Lage, ein Gut zu produzieren, von dessen Nutzung kein Gruppenmitglied ausgeschlossen werden kann, weil es sich um ein öffentli- ches Gut handelt. Verhandlungen zwischen den Gruppenmitgliedern sind auf- grund prohibitiv hoher Transaktionskosten ausgeschlossen. Die in einer solchen Situation ökonomisch interessante Frage lautet: Wird es zur Erstellung des Gutes kommen, und wird es in einer effizienten Menge produziert werden? Um etwas darüber zu lernen, welche Schwierigkeiten in solchen Situationen auftreten und wie man ihrer Herr werden könnte, bedienen wir uns wiederum ei- nes spieltheoretischen Konzepts. Obwohl wir letztendlich Situationen beschreiben wollen, in denen viele Akteure beteiligt sind, werden wir dabei zunächst „klein“ anfangen und einen Fall betrachten, in dem nur zwei Personen auftreten. Gemeint ist das berühmte Gefangenen-Dilemma. Es dürfte nicht auf den ersten Blick klar sein, was die Dilemma-Situation, die wir gleich darstellen werden, mit dem Um- weltproblem zu tun hat. Aber es wird sich relativ schnell zeigen, dass das Gefan- genen-Dilemma nicht nur direkte Einblicke in die grundlegende Struktur des Um- weltproblems erlaubt, sondern auch als Ausgangspunkt für weitere Betrachtungen dienen kann, bei denen dann mehr als zwei Personen einbezogen werden. Versetzen wir uns für einen Augenblick in einen Gerichtssaal irgendwo in den USA. Zwei Gefangene sitzen in separaten Zellen und haben keinerlei Möglichkeit, miteinander Kontakt aufzunehmen. Sie sind einer gemeinsam begangenen Tat angeklagt, die man ihnen jedoch nicht nachweisen kann. Der Richter unterbreitet nun beiden folgendes Angebot: Gesteht nur einer von beiden, so wird der Gestän- dige sofort auf freien Fuß gesetzt, und der andere muss für 6 Jahre hinter Gitter. Gestehen beide, so müssen sie für je 5 Jahre hinter schwedische Gardinen, und gestehen beide nicht, so wird ihnen eine Strafe von einem Jahr für ein kleineres Delikt auferlegt, das man ihnen auch ohne Geständnis nachweisen kann. Diese „Kronzeugenregelung“ ist vor allem aus dem amerikanischen Strafrecht bekannt, darum haben wir die Handlung in die USA verlegt. Wir können diese Situation als ein Spiel auffassen, dessen Normalform die folgende Tabelle wiedergibt.

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2.5.3 Der Staat als Ersatz für freiwillige Kooperation? 41

2.5 DILEMMATA 2.5.1 Das klassische Beispiel: Gefangenen-Dilemma

Das Problem, mit dem wir uns in diesem Abschnitt beschäftigen wollen, lässt sich folgendermaßen umreißen. Eine Gruppe von Personen ist durch die Zahlung individueller Beiträge in der Lage, ein Gut zu produzieren, von dessen Nutzung kein Gruppenmitglied ausgeschlossen werden kann, weil es sich um ein öffentli-ches Gut handelt. Verhandlungen zwischen den Gruppenmitgliedern sind auf-grund prohibitiv hoher Transaktionskosten ausgeschlossen. Die in einer solchen Situation ökonomisch interessante Frage lautet: Wird es zur Erstellung des Gutes kommen, und wird es in einer effizienten Menge produziert werden?

Um etwas darüber zu lernen, welche Schwierigkeiten in solchen Situationen

auftreten und wie man ihrer Herr werden könnte, bedienen wir uns wiederum ei-nes spieltheoretischen Konzepts. Obwohl wir letztendlich Situationen beschreiben wollen, in denen viele Akteure beteiligt sind, werden wir dabei zunächst „klein“ anfangen und einen Fall betrachten, in dem nur zwei Personen auftreten. Gemeint ist das berühmte Gefangenen-Dilemma. Es dürfte nicht auf den ersten Blick klar sein, was die Dilemma-Situation, die wir gleich darstellen werden, mit dem Um-weltproblem zu tun hat. Aber es wird sich relativ schnell zeigen, dass das Gefan-genen-Dilemma nicht nur direkte Einblicke in die grundlegende Struktur des Um-weltproblems erlaubt, sondern auch als Ausgangspunkt für weitere Betrachtungen dienen kann, bei denen dann mehr als zwei Personen einbezogen werden.

Versetzen wir uns für einen Augenblick in einen Gerichtssaal irgendwo in den USA. Zwei Gefangene sitzen in separaten Zellen und haben keinerlei Möglichkeit, miteinander Kontakt aufzunehmen. Sie sind einer gemeinsam begangenen Tat angeklagt, die man ihnen jedoch nicht nachweisen kann. Der Richter unterbreitet nun beiden folgendes Angebot: Gesteht nur einer von beiden, so wird der Gestän-dige sofort auf freien Fuß gesetzt, und der andere muss für 6 Jahre hinter Gitter. Gestehen beide, so müssen sie für je 5 Jahre hinter schwedische Gardinen, und gestehen beide nicht, so wird ihnen eine Strafe von einem Jahr für ein kleineres Delikt auferlegt, das man ihnen auch ohne Geständnis nachweisen kann. Diese „Kronzeugenregelung“ ist vor allem aus dem amerikanischen Strafrecht bekannt, darum haben wir die Handlung in die USA verlegt. Wir können diese Situation als ein Spiel auffassen, dessen Normalform die folgende Tabelle wiedergibt.

42 2.5 Dilemmata

gesteht (G)

gestehtnicht (N)

gesteht (G) gesteht nicht (N)

5 , 5

6 , 0

0 , 6

1 , 1

Spieler II

Spieler I

Tabelle 2 (Auszahlungen: Spieler 1, Spieler 2)

Beide Spieler müssen sich zwischen zwei möglichen Strategien entscheiden, nämlich zu gestehen (G) oder nicht zu gestehen (N). Es ist klar, dass die Regeln, nach denen dieses Spiel abläuft, den Abschluss bindender Verträge zwischen den Gefangenen ebenso wenig zulassen wie freiwillige Verhandlungen, in deren Ver-lauf eine Selbstbindung der Spieler vereinbart werden könnte. Als Lösungskon-zept kommt daher nur die nichtkooperative Spieltheorie in Frage. Ein Spiel mit Hilfe dieses Konzepts zu analysieren bedeutet, dass man untersucht, ob es Nash-gleichgewichtige Strategiekombinationen gibt. Im Fall des Gefangenen-Dilemmas ist dies eine relativ leichte Aufgabe, denn hier existiert ein eindeutiges Nash-Gleichgewicht in dominanten Strategien. Um dieses Gleichgewicht aufzuspüren, brauchen wir uns nur in die Situation der Spieler zu versetzen. Für welche Stra-tegie wird sich Spieler I entscheiden, wenn er a) rational handelt und b) das Ziel hat, möglichst wenige Jahre im Knast zu verbringen? Die Antwort ist einfach: Er wird gestehen, denn: Wenn Spieler II gesteht, ist (G) die beste Antwort, die I dar-auf geben kann (da 5 < 6). Gesteht Spieler II nicht, so ist (G) ebenfalls beste Ant-wort für I, denn dann kann er sich (auf Kosten von II) als Kronzeuge die Freiheit erkaufen, während er andernfalls zu einem Jahr verurteilt würde. Für Spieler I ist (G) also unabhängig davon, was Spieler II tut, immer die beste Antwort, d. h. (G) ist für ihn dominante Strategie. Für Spieler II gilt natürlich die gleiche Überle-gung. Auch für ihn ist (G) dominante Strategie, und somit ist (G,G) das eindeutige Nash-Gleichgewicht dieses Spiels.

Der Staatsanwalt wird mit diesem Resultat sicherlich zufrieden sein, die Ge-fangenen können es natürlich nicht. (G,G) ist für sie keine effiziente Lösung, denn mit (N,N) existiert ein Strategiepaar, bei dem sich beide besser stünden, oder an-

2.5.1 Das klassische Beispiel: Gefangenen-Dilemma 43

ders ausgedrückt: Das Nash-Gleichgewicht des Spiels ist nicht Pareto-effizient. Die Gefangenen befinden sich in einem echten Dilemma! Gerade weil beide die für sie beste Strategie wählen, müssen sie 5 Jahre absitzen, obwohl sie mit einem Jahr hätten davonkommen können. Wie kommt es zu diesem für die Gefangenen sicherlich unbefriedigenden Resultat? Ganz offensichtlich liegt das Problem in den Spielregeln. Dadurch, dass durch sie jegliche Kommunikation ausgeschlossen ist, hat keiner der Spieler die Möglichkeit, die Freifahrer-Option des anderen aus-zuschalten. Sobald einer von den beiden „dichthält“, ist es für den anderen rational zu gestehen, ohne dass der nicht Geständige dies verhindern könnte. Dass die Ineffizienz des Gleichgewichts tatsächlich auf die Regeln zurückzuführen ist, wird deutlich, wenn man das Spiel unter „geeigneteren“ Regeln ablaufen lässt.

Nehmen wir beispielsweise an, die Gefangenen dürften miteinander verhan-deln und könnten bindende Verträge abschließen. Nehmen wir weiter an, die Ver-handlungen liefen nach folgender Regel ab: Spieler I unterbreitet im ersten Schritt Spieler II einen Vertrag, indem er ihm eine Strategiekombination vorschlägt. Im zweiten Schritt kann Spieler II diesen Vertrag annehmen oder ablehnen. Lehnt er ihn ab, treffen beide im dritten Schritt ihre Strategieentscheidung unabhängig voneinander. Diese Spielregeln sind offensichtlich denen sehr ähnlich, die wir im vorangegangenen Kapitel benutzt haben, um eine nicht-kooperative Lösung bilate-raler Verhandlungen zu modellieren. Entsprechend werden wir auch hier das Kon-zept teilspielperfekter Gleichgewichte benutzen, um das Nash-Gleichgewicht dieses Gefangenen-Spiels zu ermitteln. Wir beginnen also mit der dritten Stufe: Beide Spieler wissen, dass, wenn der Vertragsvorschlag abgelehnt wird, das Re-sultat auf dieser Stufe (G,G) sein wird, denn dann befinden sich beide wieder im Gefangenen-Dilemma. Also wird Spieler II jeden Vertrag annehmen, der ihn bes-ser stellt als (G,G). Andererseits wird Spieler I natürlich nur einen Vertrag anbie-ten, der ihm ebenfalls ein besseres Ergebnis bringt als (G,G). Da nur der Vertrag (N,N) beide Bedingungen erfüllt, wird Spieler I diesen vorschlagen, und Spieler II wird ihn akzeptieren. Unter den neuen Spielregeln ist also die effiziente Lösung (N,N) ein „teilspielperfektes Gleichgewicht“.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir die effiziente Lösung nicht dadurch erreichbar machen, dass wir den Gefangenen nunmehr andere Motive unterstellen. Nach wie vor handeln beide ausschließlich im Eigeninteresse und haben keineswegs das „Gemeinwohl“ im Sinn. Dass die Gefangenen das Dilemma vermeiden können, liegt ausschließlich an den veränderten Spielregeln, denn nun können sie selbstbindende Angebote unterbreiten und dadurch die Freifahrer-Optionen gewissermaßen aus dem Spiel nehmen. Dadurch stehen nur noch die Strategiekombinationen (G,G) und (N,N) zur Auswahl, und es ist klar, dass sich beide dann für (N,N) entscheiden werden. Allerdings müssen wir dieses Resultat mit einer sehr wesentlichen Einschränkung versehen. Die Änderung der Spielre-geln muss dergestalt sein, dass die Einhaltung des Vertrages gewährleistet werden kann. Genau darin liegt das Problem. Der Vertrag ist nämlich nicht „self-infor-ceing“. Das bedeutet, dass es für die Vertragspartner nicht rational ist, den Vertrag zu erfüllen. Sollte beispielsweise Spieler I seinen Teil des Vertrages erfüllen und nicht gestehen, so ist es für Spieler II beste Strategie, den Vertrag zu brechen.

44 2.5 Dilemmata

Man kann sich dieses Problem auch noch etwas anders verdeutlichen. Ein Vertrag, der die gegenseitige Verpflichtung zur Kooperation enthält, ist gleichbe-deutend damit, dass die Spieler sich zu nicht rationalen Verhalten verpflichten. Wie glaubwürdig ist diese Verpflichtung? Wenn beide Spieler strikt rational sind und wenn beide Spieler wissen, dass beide Spieler strikt rational handeln, dann werden beide nicht daran glauben, dass der andere den Vertrag einhält. Technisch gesprochen: Wenn Rationalität der Spieler Common Knowledge 14 ist, dann ist eine Selbstbindung, die die Verpflichtung zur Kooperation enthält, nicht möglich, weil diese Verpflichtung im Widerspruch zu der Voraussetzung rationalen Ver-haltens steht. Mitunter wird dieses Problem auch als das Commitment-Problem bezeichnet. Angewandt auf unser Beispiel der Gefangenen besteht es darin, dass die beiden Spieler ohne die tätige Mithilfe eines Dritten nicht in der Lage sein werden, den Vertrag, der ihnen schon nach einem Jahr die Freiheit bringt, abzu-schließen. Ein solcher Dritter müsste in der Lage sein, den beiden Spielern für den Fall des Vertragsbruches glaubhaft Sanktionen anzudrohen, um so die Einhaltung des Vertrags zu einer rationalen Strategie zu machen.

In diesem Sinne besteht also tatsächlich für unsere Gefangenen die Möglich-

keit, dem Dilemma zu entgehen, allerdings nur eine theoretische, denn es ist kaum anzunehmen, dass sich der Staatsanwalt auf die neuen Spielregeln (inklusive der Einschaltung eines Schiedsrichters) einlassen wird. Auf diesen Gedanken sind wohl auch einige interessierte Kreise der Unterwelt gekommen und haben ver-sucht, Abhilfe zu schaffen. Beispielsweise ist das berühmte Schweigegesetz der Mafia, die Omerta, u.a. auch eine „Spielregel“, die das Gefangenen-Dilemma auszuschalten versucht. Indem die Strategie (G) mit dem Tode bedroht wird, än-dert sich natürlich die Situation grundlegend: Unter dieser Regel ist auch ohne direkte Absprache (N) dominante Strategie für beide Gefangenen. Die Omerta löst das Commitment-Problem, denn unter den Regeln der Omerta ist die Ver-pflichtung zu schweigen höchst glaubwürdig.

Warum aber sollte nun das Gefangenen-Dilemma auch für Nichtmafiosi inter-essant sein und was hat es mit dem Umweltproblem zu tun? Der Zusammenhang zum Umweltproblem wird schnell deutlich, wenn wir zu unseren Fischzüchtern zurückkehren. Angenommen, unterhalb der Papierfabrik sind zwei Züchter ansäs-sig. Nehmen wir weiterhin an, durch Zahlung eines Betrages Z = 5 sei der Papier-fabrikant dazu zu bewegen, eine Kläranlage zu bauen, weil diese Seitenzahlung die Kosten der Flusssäuberung deckt. Der zusätzliche Gewinn, den jeder der bei-den Fischzüchter F1 und F2 aus dem sauberen Wasser zieht, betrage π = 4. Die Fischzüchter haben die Entscheidung zu treffen, ob sie sich je zur Hälfte an den

14 Der Begriff Common Knowledge ist ein Terminus technicus der Spieltheorie. Rationa-lität ist für die Spieler des Gefangenen-Dilemmas dann Common Knowledge, wenn beide wissen, dass beide Spieler rational sind, sie weiterhin wissen, dass beide wissen, dass beide rational sind, sie außerdem wissen, dass beide wissen, dass beide wissen, dass beide ratio-nal sind, usw.

2.5.1 Das klassische Beispiel: Gefangenen-Dilemma 45

Kosten der Kläranlage beteiligen (Strategie K) oder nicht (Strategie S). Die Aus-zahlungsmatrix des Spiels hätte folgende Gestalt:

Spieler 2

Spieler 1

K

S

K S

1.5 , 1.5

4 , -1

-1 , 4

0 , 0

Tabelle 3 (Auszahlungen: Spieler 1, Spieler 2)

Im Unterschied zu dem in Tabelle 2 wiedergegebenen Auszahlungsplan exi-stiert hier ganz offensichtlich mehr als eine Pareto-effiziente Strategiekombinati-on15. Effizienz ist bereits dann gesichert, wenn das Klärwerk gebaut wird, unab-hängig davon, wer es bezahlt. Dennoch befinden sich die beiden Fischzüchter in einem Gefangenen-Dilemma, jedenfalls dann, wenn sie die Entscheidung zwi-schen (K) und (S) unabhängig voneinander treffen müssen. Für beide wäre in einem solchen Fall (S) dominante Strategie: Gleichgültig, ob F2 nun (K) oder (S) wählt, in beiden Fällen ist für F1 die Strategie (S) die beste Antwort. Da für F2 die gleiche Überlegung gilt, ist (S, S) das Nash-Gleichgewicht dieses Spieles und damit ausgerechnet das Strategienpaar, das nicht Pareto-effizient ist.

15 Pareto-Effizienz ist dabei als maximale Gesamtzahlung zu verstehen. Im Gefangenen-Dilemma (Tab.2) wird der Gesamtpayoff bei (N, N) maximal. Um diese Strategiekombina-tion jedoch als einziges Pareto-Optimum bezeichnen zu können, müssen wir Kompen-sationszahlungen zulassen. Andernfalls wären auch (N, G) und (G, N) Pareto-effizient, weil sich ohne Kompensation nicht beide Spieler verbessern können.

46 2.5 Dilemmata

Nun sind Fischzüchter in aller Regel nicht in Zellen eingesperrt, sondern kön-nen sich frei bewegen. Was sollte also unsere beiden Züchter davon abhalten, miteinander in Verhandlungen zu treten, um dem Dilemma durch den Abschluss eines Vertrages zu entgehen, in dem sich beide verpflichten, einen Teil der Kosten zu übernehmen? Lassen wir solche Verhandlungen zu, so sind wir damit bei genau den Problemen, die wir im zweiten Abschnitt diskutiert haben. Wenn beide voll-ständig informiert sind, werden sie sich einigen, und das Klärwerk wird gebaut. Kennen die Fischzüchter dagegen nur den eigenen Gewinn, den sie aus dem Pro-jekt erzielen und nicht den des Verhandlungspartners, so wissen wir aus den Ar-beiten von Myerson und Satterthwaite bzw. Rafael Rob, dass keineswegs sicher ist, ob es zum Bau der Kläranlage kommt.

Nur am Rande sei erwähnt, dass bei vollständiger Information die Spieltheorie zwar die Prognose erlaubt, dass es zu einer Einigung kommt, wie diese jedoch aussieht, d. h., wer welchen Anteil an den Gesamtkosten trägt, ist nicht eindeutig vorauszusagen. Diese Kostenaufteilung wird von dem Verhandlungsprozedere ab-hängen, etwa davon, wer als erster einen Vorschlag unterbreitet und wie viele Verhandlungsrunden zugelassen sind. Man kann solche Verhandlungen als ein Spiel begreifen, bei dem es um die Aufteilung eines „Kuchens“ vorgegebener Größe zwischen zwei Kontrahenten geht. Die Fischzüchter verhandeln, wie der Gesamtgewinn aus der Kläranlage (2π – 5 = 3) aufgeteilt wird. Die Spieltheorie gestattet konkrete Prognosen über die Aufteilung nur dann, wenn sehr spezielle Verfahren dabei zur Anwendung kommen. Allerdings hat die experimentelle Wirtschaftsforschung gezeigt, dass dabei auf die Prognosen der Spieltheorie wenig Verlass ist, wenn man (wie üblich) unterstellt, dass die Verhandlungspartner ratio-nal sind und versuchen, ihren Anteil am Kuchen zu maximieren. Es zeigt sich, dass bei solchen Verhandlungen, auch andere Dinge eine wichtige Rolle spielen, nicht nur die Frage, mit wie viel Geld in der Tasche man vom Tisch aufsteht. Wir werden auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen, wenn wir uns mit der expe-rimentellen Perspektive auseinandersetzen.

Ziel dieses Abschnittes ist es, das Problem der Erstellung öffentlicher Güter

für den Fall zu thematisieren, in dem Verhandlungen wegen zu hoher Trans-aktionskosten ausgeschlossen sind. Das Gefangenen-Dilemma-Spiel hat den Vor-teil, dass man an ihm relativ leicht die grundlegende Problemstruktur dieses Falls erkennen kann. Allerdings benötigt man schon eine etwas konstruiert wirkende „Story“, um plausibel zu machen, warum es zu keinen Verhandlungen kommt. Aus diesem Grund sollte das Gefangenen-Dilemma auch eher als didaktisches Instrument gesehen werden und nicht als Abbild realer Probleme. Erheblich reali-stischer und für die Analyse des Umweltproblems relevanter sind dagegen Situa-tionen, die man als soziale Dilemmata bezeichnet, und die in ihrer Struktur einem N-Personen Gefangenen-Dilemma entsprechen.

2.5.2 N-Personen Gefangenen-Dilemma 47

2.5.2 N-Personen Gefangenen-Dilemma

Das folgende Problem dürfte jedem Bewohner einer Großstadt nur zu gut be-

kannt sein. Regelmäßig kollabiert in unseren Städten zur Rush-hour der gesamte Straßenverkehr. Tausende von Autos überfluten wie auf Kommando die Stadt, verstopfen die Straßen, veranstalten einen Höllenlärm, verpesten die Luft und verderben selbst dem gutmütigsten Innenstadtbewohner die Laune. Die Kosten, die dabei entstehen, sind gewaltig, und sie treffen alle Beteiligten. Die Autofahrer verlieren eine Menge Zeit und Nerven im mühevollen Stop and Go Verkehr und bei der schier aussichtslosen Jagd nach einem Parkplatz. Der Lärm und die Luft-verschmutzung belasten alle, die sich im Innenstadtbereich aufhalten, beeinträch-tigen Gesundheit und Wohnqualität der Anwohner. Die Schäden an Gebäuden, die von den aggressiven Autoabgasen verursacht werden, sind kaum abzuschätzen. Die Vorteile, die die Benutzung des Autos gegenüber anderen Verkehrsmitteln bringt, sind dagegen vergleichsweise gering. Angesichts der Tatsache, dass in vielen Städten der Verkehr teilweise vollkommen zum Erliegen kommt, ist der Zeitgewinn im Vergleich zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder des Fahrrades oft minimal. Der Fußweg vom mühsam erkämpften Parkplatz zum Büro oder Geschäft ist in der Regel länger als der zur nächsten Bushaltestelle.

Wohl die meisten Autofahrer haben sich angesichts dieser Zustände schon einmal überlegt, dass es eigentlich viel besser wäre, wenn alle sich darauf einigen würden, auf das Auto zu verzichten. Die Vorstellung, dass man ungehindert über die Straßen flanieren kann, ohne Angst haben zu müssen, über den Haufen gefah-ren zu werden und den Einkaufsbummel ohne Lärm und Abgasgeruch genießt, mag für viele verlockend sein. Aber warum fahren dann alle doch wieder mit dem Auto in die Stadt? Die Antwort darauf lautet: weil sie sich in einem sozialen Di-lemma befinden, in einem N-Personen Gefangenen-Dilemma.

Um klarzumachen, was damit gemeint ist, sei wiederum die Spieltheorie be-müht. Aus der Sicht jedes einzelnen Autofahrers verursacht der Verzicht auf sei-nen fahrbaren Untersatz Kosten in Form von Zeitverlust, Einschränkungen der Beweglichkeit etc. Seien bi die Kosten des i-ten Autofahrers. Nimmt er diese Ko-sten auf sich, so trägt er damit zur Produktion eines öffentlichen Gutes bei, näm-lich des Gutes „Umweltqualität der Innenstadt“. Bezeichnen wir dieses Gut mit z, so ist 16

∑=

=n

ii zb

1

β (23)

16 b und z stelle man sich jeweils als Größen vor, die die Dimension "Nutzeneinheiten eines privaten Numéraire-Gutes" haben.

48 2.5 Dilemmata

gewissermaßen eine Produktionsfunktion, die angibt, wie hoch die Umwelt-qualität in Abhängigkeit von den geleisteten Beiträgen ist. Der Parameter β ist ein Maß für die „Produktivität“ dieser individuellen Beiträge. Es ist klar, dass ein Bei-trag in Höhe von bi nicht einen Zuwachs des öffentlichen Gutes in gleicher Höhe auslösen wird, d. h., in aller Regel wird β < 1 sein. In unserem Beispiel dürfte β sogar sehr nahe bei Null liegen, denn wenn ein einzelner Autofahrer auf sein Fahr-rad umsteigt, wird dies die Umweltsituation in der Innenstadt praktisch nicht ver-ändern. Unter Verwendung von (23) können wir nun leicht die Auszahlungs-funktion für den i-ten Autobenutzer berechnen, wenn wir davon ausgehen, dass z von allen Spielern in gleichem Umfang konsumiert wird:

( ) ( ) iiiiiii vbbbvbz βββπ +−=−+=−= 1 , (24)

wobei ∑ ≠=

ij ji bv die Beiträge bezeichnet, die alle außer i erbringen.

In dem Spiel, das wir hier betrachten, ist es das Ziel jedes Teilnehmers, durch geeignete Wahl seines Beitrags die Auszahlung π zu maximieren. Gleichung (24) macht nun deutlich, dass für rationale Spieler b=0 eine dominante Strategie ist! Da β < 1, ist es für den einzelnen Spieler immer die beste Strategie, keinen Beitrag zu leisten, unabhängig davon, was die anderen tun. Auf unser Beispiel übertragen bedeutet dies: Das beste, was einem Spieler passieren kann, ist, dass alle anderen auf ihr Auto verzichten, nur er selbst nicht. Er könnte die nahezu bestmögliche Umweltqualität konsumieren und dabei ungestört mit seinem Wagen durch die Stadt fahren. Wenn umgekehrt alle anderen ihr Auto benutzen, wird dies auch unser i-ter Spieler tun, denn wenn er nicht mit dem Auto fahren würde, müßte er Kosten auf sich nehmen, ohne einen Ertrag zu erzielen, da sich die Umweltqualität durch seinen Verzicht nicht spürbar verbessert. Das Ergebnis des Spiels ist ange-sichts dieser Überlegungen klar und kann allmorgendlich in den Großstädten be-trachtet werden: Alle Spieler wählen ihre dominante Strategie und finden sich im Stau wieder.

Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass sich dieses Resultat auch dann einstellen wird, wenn für alle Spieler (i=1,...,n) gilt

0>−= ii bzπ (25) also alle eine Situation vorziehen, in der niemand das Auto benutzt (wenn alle

ihre dominante Strategie spielen, ist π = 0!). Wenn (25) gilt, haben wir es mit einer Situation zu tun, die der des Gefangenen-Dilemmas sehr ähnlich ist, denn hier wie dort ist dann das Nash-Gleichgewicht des Spiels nicht Pareto-effizient. Anders formuliert: Gerade weil alle die für sie individuell beste Strategie spielen, stellt sich ein Resultat ein, das für alle schlechter ist als dasjenige, das erreicht worden wäre, wenn alle eine Strategie gewählt hätten, die für sie „schlechter“ als b = 0 ist.

2.5.2 N-Personen Gefangenen-Dilemma 49

Individuell rationales Verhalten führt zu einem kollektiv nicht rationalem Ergeb-nis.

Nun könnte man auf den Gedanken kommen, dass die Ursache für das soziale Dilemma darin zu suchen ist, dass die Anzahl der Spieler so groß und die Wirkung der einzelnen Beiträge (gemessen durch β) so klein ist. Aber dies ist ein Trug-schluß, wie das folgende numerische Beispiel zeigen wird.

Eine Gruppe von 10 Leuten kann ein öffentliches Gut produzieren. Der Bei-trag, den jeder zu leisten hat, betrage 1, β sei 0,5. Tabelle 4 gibt den Auszah-lungsplan für einen beliebigen Spieler wieder, der unter Verwendung von Glei-chung (24) leicht zu berechnen ist.

Außer i zahlen

9 8 7 6 5 4 3 2 1 0

Spieler i zahlt Beitrag

4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 -0,5

Spieler i zahlt keinen Beitrag

4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0

Tabelle 4: Auszahlung an Spieler i

Wie man sofort erkennt, ist der Wert in der unteren Zeile immer größer als der in der oberen. Ganz gleich, wie viele Mitspieler einen Beitrag leisten, aus der Sicht des einzelnen Spielers ist es immer beste Antwort, sich vornehm zurückzu-halten und nichts zu bezahlen. Auch hier sind wir wieder in der typischen Dilem-ma-Situation: Würden alle einen Beitrag leisten, könnte jeder eine Auszahlung von 4 Einheiten erreichen, verhalten sich alle individuell rational, gehen sie ge-meinsam leer aus.

Dennoch haben kleine Gruppen gegenüber großen Vorteile in einer solchen Dilemma-Situation. In kleinen Gruppen lassen sich nämlich relativ leicht Spielre-geln einführen, die verhindern, dass es zu dem Dilemma kommt. In Abschnitt 2 haben wir gelernt, dass bei vollständiger Information Verhandlungen zu einem effizienten Ergebnis führen können. Bei einer Gruppe von 10 Leuten sind solche formellen Verhandlungen, die zum Abschluss selbstbindender Verträge führen, zwar komplizierter als im Zwei-Personen-Fall, aber man kann sich durchaus vor-stellen, dass sie ohne allzu große Transaktionskosten möglich sind. Im Gegensatz dazu dürfte es gänzlich ausgeschlossen sein, dass sich alle Autofahrer auf dem Verhandlungswege darauf einigen, ihr Auto stehen zu lassen.

In kleinen Gruppen sind Verhandlungen oftmals gar nicht notwendig, weil ab-gestimmtes, „kooperatives“ Verhalten auf gewissermaßen informellem Wege er-

50 2.5 Dilemmata

reicht wird. Wenn eine Belegschaft aufgefordert wird, Beiträge zur Finanzierung des Betriebsfestes zu leisten, wird natürlich jeder „freiwillig“ seinen Obolus ent-richten und keinesfalls an dem Fest teilnehmen wollen, ohne sich an den Kosten zu beteiligen. Der Grund ist offensichtlich: In einer kleinen, überschaubaren Grup-pe funktionieren soziale Sanktionsmechanismen, die kooperatives Verhalten be-lohnen und „Schwarzfahrer“ bestrafen. Wer verdirbt es sich schon gern mit den Kollegen, nur um ein paar Euro zu sparen? Solche Sanktionsmechanismen sind nichts anderes als Spielregeln, bei deren Gültigkeit individuell rationales Verhal-ten zu Kooperation führt, weil sie es erlauben, das Commitment-Problem zu lösen. Überspitzt formuliert erfüllen solche Sanktionsmechanismen im Prinzip die glei-che Funktion wie das Schweigegesetz der Mafia. Im Gegensatz dazu ist es unmit-telbar einsichtig, dass es bei großen Gruppen erheblich schwerer fällt, Regeln einzuführen, die das Commitment-Problem lösen. Wie sollte der Autofahrer schon sanktioniert werden, der doch nichts anderes tut als tausende andere auch! Warum sollte gerade er mit Missachtung gestraft werden, und wer sollte ihn strafen?

Fassen wir zusammen: Im Kontext des Gefangenen-Dilemmas haben wir dis-

kutiert, welche Möglichkeiten bestehen, auf dem Verhandlungswege Kooperation zu erreichen. Dieses Problem stellt sich bei einem sozialen Dilemma großer Grup-pen gar nicht erst, denn Verhandlungen sind wegen der prohibitiv hohen Transak-tionskosten ohnehin nicht möglich. Informelle Verhaltensabstimmungen durch soziale Sanktionen sind nur schwer durchzusetzen, wenn die Gruppe groß ist. Andererseits scheint aber kooperatives Verhalten, d. h. Verzicht auf die Frei-fahrer-Option, unbedingt geboten, denn sonst führt individuell rationales Verhal-ten zu ineffizienten Resultaten. Aber gibt es überhaupt einen Weg, der an diesen Resultaten vorbeiführt, solange wir unterstellen, dass sich die Individuen rational verhalten? Konkreter gefragt: Existieren Spielregeln, die Kooperation zur indivi-duell rationalen Handlungsalternative werden lassen, zur „besten Strategie“?

An dieser Stelle gilt es deutlich zu machen, dass solche Spielregeln nicht al-lein darin bestehen können, an das Gute im Menschen, an sein Umweltbewuss-tsein oder sein Verantwortungsgefühl zu appellieren. In einer sozialen Dilemma-Situation bedeutet ein solcher Appell nichts anderes, als dass von dem einzelnen erwartet wird, dass er sich irrational verhält. Selbst für den umweltbewusstesten Autofahrer gilt, dass allein sein Beitrag an dem Umweltproblem überhaupt nichts ändert. Weder er selbst, noch irgendein anderer hätte einen Nutzen davon, wenn er auf sein Auto verzichten würde. Ein Ausweg aus dem Dilemma kann nur darin bestehen, dass alle gemeinsam ihren Beitrag leisten und jeder einzelne sich dabei darauf verlassen kann, dass alle anderen „mitziehen“. Diese Form der Abstim-mung, der Kooperation gilt es zu erreichen, und es stellt sich die Frage, wie dies geschehen soll, wenn die Individuen weder formelle noch informelle Vereinba-rungen treffen können.

Auf den ersten Blick scheint es eine einfache Lösung für soziale Dilemmata zu geben: Der Staat könnte Kooperation durch gesetzliche Vorschriften erzwingen und so eine Pareto-effiziente Allokation herbeiführen. Im Falle des Innen-

2.5.2 N-Personen Gefangenen-Dilemma 51

stadtverkehrs wären beispielsweise nur ein paar Verkehrsschilder aufzustellen, und schon wäre das Problem gelöst. Ganz so einfach ist die Sache aber nicht. Staatlich erzwungene Kooperation wäre dann angebracht, wenn (25) für alle In-dividuen erfüllt ist, d. h., wenn alle eine autofreie Innenstadt höher bewerten als die Kosten, die ihnen durch den Autoverzicht entstehen. Wüßte ein staatlicher Planer, der das Ziel verfolgt, den Gesamtnutzen aller Individuen zu maximieren, dass Gleichung (25) für alle i=1,...,n gilt, müßte er in der Tat ein Fahrverbot aus-sprechen. Die Frage ist jedoch: Kann man damit rechnen, dass der Planer diese Information erhält? Die Gleichung (25) ist in gewisser Weise eine vereinfachte Darstellung, denn in ihr tauchen nur Auszahlungen auf. Genaugenommen müßten wir jedoch Präferenzen betrachten, denn letztlich geht es um die individuelle Bewertung des öffentlichen Gutes. Die für den Planer relevante Information wäre also, ob für alle Individuen gilt, dass

( ) ( )0,0*, iii ubzu >− (26)

wobei ui die Nutzenfunktion des i-ten Individuums ist und z* die Menge des

öffentlichen Gutes bezeichnet, die entsteht, wenn alle ihren Beitrag leisten (also das Auto zu Hause lassen). Gleichung (26) macht deutlich, dass die für den Planer entscheidende Information privater Natur ist, denn welchen Nutzen ein Indivi-duum aus dem Konsum des öffentlichen Gutes zieht, weiß natürlich nur das In-dividuum selbst. Das führt uns zu einer Fragestellung, die in ähnlicher Form be-reits im vorausgegangenen Abschnitt auftauchte. Dort ging es darum, ob damit zu rechnen ist, dass Individuen bei bilateralen Verhandlungen um die Produktion eines öffentlichen Gutes ihre wahren Präferenzen offenbaren werden. Wir waren zu dem Ergebnis gekommen, dass davon nicht ohne weiteres auszugehen ist. Hier stellt sich nun die Frage, ob die Mitglieder einer großen Gruppe einem zentralen Planer ihre Präferenzen verraten werden. Und wiederum ist es a priori keineswegs klar, ob sie dies tun werden, zumindest dann nicht, wenn die Beiträge, die vom Planer festgelegt werden, von den Präferenzbekundungen abhängen. Wir werden uns zu einem späteren Zeitpunkt noch ausführlich mit diesem Problem befassen, aber soviel sei schon jetzt verraten: Die Einführung eines Planers ändert praktisch nichts an den negativen Resultaten, die wir im bilateralen Fall erhalten haben. M.a.W., wir können uns keineswegs darauf verlassen, dass der Staat in der Lage ist, soziale Dilemmata zu beseitigen, weil überhaupt nicht gesichert ist, dass er die Informationen, die er dazu benötigt, auch besitzt.

2.5 Dilemata 52

2.5.3 Das Allmende Problem

Soziale Dilemmata entstehen vor allem deshalb, weil öffentliche Güter die Ei-genschaft besitzen, dass niemand von ihrem Konsum ausgeschlossen werden kann. Die Ursache dafür ist das Fehlen durchsetzbarer Eigentumsrechte. In Kapitel 2.3 und 2.4 haben wir sehr deutlich gesehen, welche Konsequenzen es hat, wenn das Eigentumsrechtessystem unvollständig ist. In großen Gruppen, die sich in einem sozialen Dilemma befinden, ist es das gleiche Lied: Die Ruhe in der Innen-stadt wird deshalb zu einem öffentlichen Gut, weil niemand von der Innenstadt-nutzung ausgeschlossen wird, das Betriebsfest bekommt den Charakter eines öf-fentlichen Gutes, weil jeder hingehen kann. Es sind letztlich die fehlenden Eigen-tumsrechte und die daraus resultierende fehlende Ausschließbarkeit vom Konsum, die dazu führen, dass Dilemma Situationen entstehen.

Das Fehlen durchsetzbarer Eigentumsrechte ist auch für so das genante All-mende Problem der Auslöser. Seinen Namen verdankt es der Dorfallmende, dem für jedermann nutzbaren Weideland, das es in früheren Zeiten in vielen ländlichen Regionen gab. Auf die Allmende konnte jeder sein Vieh treiben, es gab keinen Konsumausschluss. Damals war der Verzicht auf den Konsumausschluss eine bewusste Entscheidung der dörflichen Gemeinschaft. Schließlich ist es kein Prob-lem, Eigentumsrechte an Weideland zu schaffen und diese auch durchzusetzen. Anders verhält es sich in dem Fall, der als das Paradebeispiel für das Allmende Problem gilt, der Fischfang im offenen Meer. Hier ist der Konsumausschluss schon deshalb nicht ohne weiteres durchzusetzen, weil es auf hoher See keine Hoheitsrechte gibt. In internationalen Gewässern darf sich jeder aufhalten und im Prinzip auch jeder fischen. Trotz des fehlenden Konsumausschlusses sind Fisch-bestände im offenen Meer keine reinen öffentlichen Güter, denn Fische sind rivale Güter. Jeder Fisch kann nur einmal gefangen und erst recht nur einmal gegessen werden. Allmendegüter sind damit durch fehlenden Konsumausschluss bei gege-bener Rivalität gekennzeichnet.

Auch Allmendegüter sind potentielle Kandidaten dafür, ein soziales Dilemma herauf zu beschwören, d.h. eine Situation, in der das rationale Verhalten des Ein-zelnen zu einem ineffizienten, kollektiv nicht rationalem Ergebnis führt. Das Feh-len der Eigentumsrechte hat zur Folge, dass es bei dem Gebrauch der Allmende zu einer Nutzungsexternalität kommt. Der Fischer, der seine Netze füllt, berücksich-tigt bei seiner Fangentscheidung nur seine eigenen Kosten, nicht aber die Oppor-tunitätskosten, die dadurch entstehen, dass sich der Fischbestand für alle Fischer verringert. Allmendegüter sind wie eine große Schüssel, die in der Mitte des Ti-sches steht, und aus der die ganze Familie löffelt. Im Englischen werden Allmen-degüter deshalb auch „Common Pool Resources (CPR)“ genannt. Um das Prob-lem, das damit verbunden ist, zu verdeutlichen, benutzen wir wiederum ein einfa-ches spieltheoretisches Modell. Genauer gesagt, handelt es sich um das Modell einer einperiodigen, symmetrischen CPR mit zeitunabhängiger Nutzungsexternali-tät. Das bedeutet: Wir nehmen an, dass alle Akteure in dem Spiel identisch sind

2.5.3 Das Allmende Problem 53

(deshalb symmetrisch) und dass die Nutzungseinschränkung, die für die anderen Spieler davon ausgeht, dass Spieler i in Periode t die CPR nutzt, nur in t besteht und nicht auch in nachfolgenden Perioden (deshalb zeitunabhängig).

Die CPR muss man sich nun als etwas vorstellen, in das man investieren kann (Fischer kaufen Boote) und aus dem man Erträge erzielt (Fischer fangen Fische). Allerdings hängen die Erträge nicht nur davon ab, wie viel man investiert, sondern auch davon, wie viel die anderen investieren (das ist die Nutzungsexternalität). Nehmen wir an, es gibt N Spieler und alle i = 1,…,N Spieler haben eine Anfangs-ausstattung in Höhe von ei. Ihre Investition in die CPR sei xi mit 0 ≤ xi ≤ ei. Insge-samt wird dann

∑=

=N

iixX

1

(27)

in die CPR investiert. Welcher Ertrag daraus resultiert, hängt natürlich davon ab, welche produktionstechnischen Eigenschaften die CPR hat. Diese Eigenschaften lassen sich durch eine Produktionsfunktion F(X) abbilden, für die folgende Eigen-schaften angenommen werden sollen: F(X) ist eine konkave Funktion mit F’(0) > w und F’(N ei) < 0. Dabei ist w der konstante Grenzertrag, den ein Spieler reali-siert, wenn er nicht in die CPR investiert sondern in ein anderes Investitionsob-jekt.17 Gleichzeitig misst w die Opportunitätskosten des Fischfangs und da diese als konstant angenommen werden ist w auch als Grenzkosten interpretierbar. An-fänglich lohnen sich Investitionen in die CPR, weil der Grenzertrag über dem Ertrag der sicheren Alternative liegt. Wenn aber alle Spieler ihre gesamte Ausstat-tung investieren, ist der Grenzertrag negativ, d.h. die Grenzerträge aus der CPR fallen mit zunehmender Investition. Die Auszahlung an den i-ten Spieler ist dann:

( ) ii ewXh ⋅= falls xi = 0 (28)

( ) ( ) ( )XFXxxewXh i

iii ⋅+−⋅= falls xi > 0. (29)

Aus (29) kann man leicht ermitteln, wie eine Pareto-effiziente Nutzung der CPR aussehen müsste. Entscheiden wir kollektiv für alle N Spieler, und maximieren den Gesamtnutzen aus der CPR, so wird (29) zu H(X) = w (Nei – X) + F(X) und die notwendige Bedingung für eine effiziente CPR-Nutzung lautet: F’(X) = w (30)

17 Man kann sich darunter zum Beispiel eine mündelsicher Kapitalanlage mit sicherem Zinssatz w vorstellen.

54 2.5 Dilemmata

Effizienz ist gesichert, wenn die Allmende so genutzt wird, dass der Grenzertrag gerade gleich den Opportunitätskosten w ist. Im Prinzip unterscheidet sich diese Bedingung nicht von der Bedingung für die effiziente Produktion privater Güter in einem Wettbewerbsmarkt. Wie aber werden die N Spieler die Allmende nutzen, d.h. was geschieht, wenn nicht kollektiv entschieden wird, sondern jeder einzelne entscheidet? Aufschluss darüber gibt das Nash-Gleichgewicht des Spiels, das wir ermitteln können indem wir (29) bezüglich xi unter der Annahme gegebenen Ver-haltens aller anderen Spieler maximieren. Wir erhalten die notwendige Bedingung

( ) ( ) ( ) 0'1

1

12

1

1 =+−

+−=∂∂ ∑∑∑

∑∑

=

=

=

=

= N

i iN

i i

iN

i iN

i i

N

i ii

i

i xFx

xxFx

xxw

xπ (31)

Stellen wir uns für einen Augenblick vor, dass w = 0 wäre, also Investitionen in die Allmende keinerlei Opportunitätskosten verursachen. Der erste Term in (31) ist immer strikt positiv. Das bedeutet, damit (31) erfüllt sein kann, muss der zweite Term negativ sein und das kann nur dann passieren, wenn F’< 0 ist. Im Gleich-gewicht (bei w = 0) wird die Allmende damit in einem Umfang benutzt, bei dem ihr Grenzertrag negativ ist. Für w > 0 ist der Grenzertrag folglich kleiner als w, also kleiner als die Grenzkosten. Warum aber sollte ein Spieler seine Investition so gestalten, dass der Grenzertrag negativ wird? Warum hört er nicht dort auf zu investieren, wo der Grenzertrag gleich den Grenzkosten ist? Der Grund ist, dass er dann, wenn er über diesen Punkt hinaus investiert, seinen Anteil an der Allmende steigern kann und dadurch sein Gewinn auch dann noch steigt, wenn der Grenzer-trag bereits kleiner ist als die Grenzkosten. Im symmetrischen Fall investieren alle Spieler im Gleichgewicht das Gleiche, d.h.

∑ = ii Nxx . Nach einsetzen in (31) und vereinfachen folgt:

( ) w)X('F

N1

XXF

N1N

=+− (32)

Die Bedingung (32) lässt sich in interessanter Weise interpretieren. Wenn sich

die Allmende in privatem Besitz einer Person befindet und wenn diese Person die Nutzung der Allmende tatsächlich alleine kontrollieren kann, dann ist N = 1 und für diesen Fall ist (32) identisch mit (30), d.h. die Allmende wird effizient genutzt. Der Grund ist einfach. Wenn es nur einen Nutzer gibt, dann kann es zu keiner Nutzungsexternalität kommen und damit fällt der Grund für die ineffiziente Nut-zung weg. Das andere Extrem ist der Fall, in dem jeder freien Zugang zur All-mende hat. Wir können diesen Fall dadurch abbilden, dass wir N gegen unendlich gehen lassen. In diesem Fall verschwindet der zweite Term in (32) und der erste Bruch des ersten Terms geht gegen 1, d.h. (32) vereinfacht sich zu:

2.5.3 Das Allmende Problem 55

wXXF

=)( (33)

Bei freiem, unreguliertem Zugang zur Allmende wird diese so lange genutzt,

bis der Durchschnittsertrag gleich den Grenzkosten ist. Da F(X) eine konka-ve Funktion ist und folglich der Durchschnittsertrag fällt, gilt

)(')( XFXXF

> (34)

Damit ist klar, dass die Allmende bei freiem Zugang übernutzt wird, weil im Nash-Gleichgewicht eine Investition erfolgt, die größer ist als die Pareto-effizien-te. Abbildung 1 verdeutlicht das Ergebnis:

Abbildung 1: Nutzung einer CPR Unsere Analyse macht klar, dass es im Prinzip eine einfache und klare Lösung

für das Allokationsproblem von Allmenden gibt: Privatisierung. Wird die Kontrol-le auf eine Person konzentriert, verschwindet das Problem. Allerdings, diese Lö-sung ist nur dann eindeutig die bestmögliche, wenn man außer Acht lässt, dass die Herstellung privaten Eigentums unter Umständen mit erheblichen Transaktions-kosten verbunden sein kann. Im schlimmsten Fall sind diese Kosten prohibitiv hoch, so dass Privatisierungslösung per se nicht in Frage kommt. Das ist bei-

w

F’(X)

F(X)/X

Pareto

X

Nash

56 2.5 Dilemmata

spielsweise bei den Weltmeeren der Fall. Eigentumsrechte dort durchzusetzen würde extrem hohe Transaktionskosten verursachen. BALLAND & PLATTEAU (2003) weisen noch auf zwei weitere Aspekte in diesem Zusammenhang hin. Es kann gute Gründe geben, eine Allmende nicht in Privateigentum umzuwandeln, selbst wenn dies technisch möglich wäre. So lassen sich durch Gemeinschaftsei-gentum unter Umständen Skalenerträge realisieren, wie an folgendem Beispiel leicht deutlich wird. Benutzen alle Schafzüchter eine Weide gemeinsam, kann ein einziger Schafhirte die Herde betreuen und nicht jeder Züchter muss einen eigenen beschäftigen. Ein weiterer Grund dafür, es bei dem Gemeinschaftseigentum zu belassen ist die Möglichkeit der Risikostreuung, die sich daraus ergibt. Für einen Hochseefischer wäre es hoch riskant, wenn er nur in einem einzigen, ihn gehören-den Gebiet von ein paar Quadratkilometern fischen dürfte. Wenn er Pech hat, zieht der Heringsschwarm knapp an seiner Parzelle vorbei. Ist das Meer Gemein-schaftseigentum aller Fischer, kann das Risiko eines schlechten Fangs deutlich reduziert werden.

Offensichtlich gibt es hier einen trade off zwischen den Vorteilen des Privat-eigentums (Ausschluss von Nutzungsexternalitäten) und den oben genannten Vorteilen des Gemeinschaftseigentums. Welcher Aspekt bedeutsamer ist, hängt unter anderem auch davon ab, wie stark Nutzungsexternalitäten ins Gewicht allen und das ist wiederum davon abhängig, wie produktiv die Allmende ist. BALLAND & PLATTEAU machen das an einem schönen Beispiel deutlich. In den Alpen sind die sehr fruchtbaren Böden in den Tälern im privaten Besitz. Die Almwiesen je-doch, die aufgrund der Höhenlage wesentlich weniger produktiv sind, sind dage-gen häufig im Gemeinbesitz der Dorfgemeinschaften.

Allmenden entstehen also nicht nur deshalb, weil es zu kostspielig ist Eigen-tumsrechte zu schaffen und durchzusetzen, sondern auch deshalb, weil die ge-meinschaftliche Nutzung Vorteile verschafft. Damit diese Vorteile auch tatsäch-lich genutzt werden können, muss die Gemeinschaft der Nutzer den Zugang zur Allmende regulieren, denn sonst befindet sie sich sehr bald in der berühmten „Tragedy of the Commons“ die GARRETT HARDING in einem berühmten Artikel in Science bereits 1968 beschrieben hat und deren spieltheoretische Abbildung sich in den Gleichungen (27) bis (33) wieder findet. Wie diese Regulierung in der Praxis aussehen, ist Gegenstand einer großen Zahl empirischer Untersuchungen gewesen, die sich vor allem mit Allmenden in wenig entwickelten Ländern befas-sen, denn dort sind sie aufgrund des weniger ausdifferenzierten Rechtssystems häufiger anzutreffen als in den Industrienationen. Das zentrale Ergebnis dieser Studien besteht darin, dass es eine Vielzahl von institutionellen Regeln gibt, die eine effiziente Nutzung von Allmenden ermöglichen. Wir werden auf diesen Punkt noch zurückkommen, wenn wir uns mit Lösungsstrategien für konkrete Umweltprobleme befassen.

2.5.4 Das Umweltproblem als soziales Dilemma 57

2.5.4 Das Umweltproblem als soziales Dilemma

In den letzten drei Kapiteln haben wir verschiedene Ausprägungen ein und

desselben Problems kennen gelernt. Das Problem besteht darin, dass individuell rationales Verhalten zu Resultaten führen kann, die kollektiv nicht rational sind, zu denen es Alternativen gibt, die alle Individuen vorziehen würden. Das Gefan-genen-Dilemma in seiner ursprünglichen zwei Personen Variante zeigt die logi-sche Struktur des Problems. Aus der Sicht des Einzelnen ist es eine dominante Strategie genau das zu tun, was am Ende alle in das Dilemma führt. Die gleiche Struktur zeigt sich im N-Personen Gefangenen-Dilemma, in dem sich Menschen wieder finden, die versuchen durch freiwillige Beiträge ein öffentliches Gut zu erstellen und den Nutzern einer Allmende kann es genauso ergehen. Warum aber ist diese Struktur für das Umweltproblem von solch enormer Bedeutung?

Wenn wir von dem Umweltproblem sprechen, dann ist damit in Wahrheit eine

Vielzahl von Einzelproblemen gemeint, die verschiedene Umweltgüter betreffen. Eine Gemeinsamkeit haben viele diese Probleme jedoch: Fast immer besitzen die Güter oder Ressourcen, um die es dabei geht, Eigenschaften eines öffentlichen Gutes. Ob wir die Qualität der Luft, die Reinheit des Wassers unserer Flüsse oder den Verschmutzungsgrad der Meere nehmen, immer handelt es sich um Güter, die insofern öffentlich sind oder den Charakter einer Allmende haben, als in der Regel niemand von ihrer Nutzung ausgeschlossen werden kann. Und noch eine zweite Gemeinsamkeit kommt hinzu: Fast immer handelt es sich um Güter, die nur da-durch produziert oder in ihrem Bestand gesichert werden können, dass die Mitg-lieder großer Gruppen Beiträge leisten. Um das Klimaproblem zu lösen, müssen viele Emittenten Maßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen durchführen, um reines Flusswasser zu gewinnen, müssen alle Anlieger Anstren-gungen zur Abwasserklärung unternehmen, um das Ozonloch zu schließen, müs-sen weltweit die Unternehmen und die Konsumenten auf den Gebrauch von FCKWs verzichten. Öffentliche Güter und Produktion durch große Gruppen sind aber genau die Zutaten, aus denen soziale Dilemmata gemacht sind. Liegt es da nicht nahe zu vermuten, dass viele Umweltprobleme entstehen, weil sich die Men-schen in einem solchen Dilemma befinden?

Eine Detailbetrachtung konkreter Umweltprobleme bestärkt diesen Verdacht. Der einzelne Autobenutzer, durch dessen Auspuffrohre CO2 freigesetzt wird, das für den Treibhauseffekt verantwortlich ist, verhält sich vollkommen rational, wenn er auf seinen Wagen nicht verzichtet. Täte er es, würde das den Klimawandel nicht verhindern. Die einzige Folge wäre, dass er Kosten zu tragen hätte. Brandro-dungen sind eine Ursache für die Vernichtung der tropischen Regenwälder und die damit einhergehenden Probleme (Klimaveränderungen, Verlust von Tier- und Pflanzenarten). Selbst wenn dem einzelnen Wanderbauern bekannt ist, dass die Rodungen zur Folge haben können, dass eine Klimaveränderung seine eigene

58 2.5 Dilemmata

Lebensgrundlage zerstört, ist es für ihn dennoch rational, den Urwald ab-zubrennen. Verzichtet er auf die Rodung, wird dadurch das Problem nicht besei-tigt, sondern bleibt im vollen Umfang bestehen. Führt er dagegen die Rodung durch, so kann er aus den Erträgen des so gewonnenen Landes für etwa zwei Jahre seinen Lebensunterhalt bestreiten. Auch im Zusammenhang mit der Nutzung regenerierbarer Ressourcen treffen wir auf Dilemma-Situationen, die sich aus ihrer Allmende Struktur ergeben. Beispielsweise sind viele Fischarten durch Überfi-schung in ihrem Bestand gefährdet. Aus der Sicht des einzelnen Fischers ist dies kein Grund, seine Fangmengen zu reduzieren, selbst dann nicht, wenn durch die Überfischung die Art ausgerottet wird und der Fischer seine Existenzgrundlage einbüßt. Die Art könnte sich nur dann regenerieren, wenn alle weniger fangen. Reduzieren jedoch alle Fischer ihre Fangmengen, so ist unkooperatives Verhalten erst recht profitabel. Die Art wird erhalten, und der, der dazu keinen Beitrag leis-tet, kann obendrein seine Netze bis zum Rand füllen.

An den Allmende Gütern Regenwald und Fischfang wird auch deutlich, dass nicht nur auf der Ebene der Individuen Dilemma-Situationen entstehen können, sondern dass auch Nationen in ein soziales Dilemma geraten können. Das viel-leicht dramatischste Beispiel dafür betrifft keine Allmende, sondern ein reines öffentliches Gut. Das Klimasystem ist nichts anderes als ein globales öffentliches Gut. Wenn wir ein Problem damit haben, kann nur kooperatives Verhalten einer großen Zahl von Nationen dieses Problem bewältigen. Aber es ist immer das glei-che: Ganz egal, wie sich die anderen Länder verhalten, aus der Sicht des einzelnen Staates ist es immer die beste Strategie, die billige Kohle zu verbrennen und den Klimaschutz anderen zu überlassen.

Spätestens, wenn sich auf diesem Niveau Dilemma-Situationen ergeben, erüb-rigt sich der Ruf nach dem sozialen Planer vollends. Es existiert keine Welt-regierung oder eine vergleichbare Institution, die die Funktion eines solchen Pla-ners übernehmen könnte. Wie schwer es selbst kleinen Staatengruppen fällt, in Di-lemma-Situationen zu effizienten Lösungen zu gelangen, zeigt noch einmal das Beispiel Fischfang. Zahlreiche und zähe Verhandlungen zwischen den Fischerei-staaten über Fangquoten und Mengenbeschränkungen haben nicht verhindern können, dass es immer wieder zur Überfischung einzelner Arten gekommen ist. Das Beispiel Walfang zeigt, dass trotz internationaler Abkommen, trotz offenkun-diger Bedrohung vieler Walarten einzelne Nationen den Verlockungen der Frei-fahrer-Option nicht widerstehen konnten. Und das Klimaproblem? Ist nicht das berühmte Kioto-Protokoll ein leuchtendes Gegenbeispiel? BÖHRINGER & VOGT (2003) haben mit Hilfe eines rechenbaren Gleichgewichtsmodells zeigen können, dass die zahlreichen Nachverhandlungen, die es zum Kioto-Protokoll gegeben hat, im Ergebnis zu einem Emissionsverlauf führen werden, der nur noch unwesentlich von dem abweichen wird, der sich ohne das Kioto Abkommen eingestellt hätte.

All diese Beispiele machen deutlich, dass sich viele, wenn nicht gar die mei-

sten Umweltprobleme auf die Existenz sozialer Dilemmata zurückführen lassen. Insofern ist die Analyse, die wir in den letzten Kapiteln geleistet haben, von ele-

2.5.4 Das Umweltproblem als soziales Dilemma 59

mentarer Bedeutung. Sie verschafft uns ein tieferes Verständnis für die elementare Struktur von Umweltproblemen und die Spieltheorie erlaubt es, diese Struktur mit großer analytischer Klarheit zu beschreiben. Allerdings, bisher hat unsere Analyse noch keinerlei Hinweise darauf geliefert, wie das Problem, das wir so klar be-schreiben können, gelöst werden kann. Unter der Voraussetzung, dass sich Men-schen eigennützig und strikt rational verhalten (das ist die übliche Verhaltensan-nahme der Ökonomik) gibt es aus dem Gefangenen-Dilemma kein Entrinnen. Individuen sind nicht in der Lage, mittels freiwilliger Beiträge öffentliche Güter effizient bereit zu stellen. Die Botschaft der ökonomischen Analyse ist bis jetzt ausschließlich negativer Natur. Wir können zeigen, was alles nicht funktioniert, wir können demonstrieren, dass alle Versuche soziale Dilemmata zu beseitigen oder zu lösen schief gehen müssen, aber wir können bis jetzt keinen Hinweis dar-auf geben, wo nach einer Lösung des Problem zu suchen ist.

Zurzeit bleibt uns noch eine Hoffnung. Wir haben bei unserer Analyse bisher noch nicht die Möglichkeit berücksichtigt, dass der Staat helfen könnte, eine effi-ziente Lösung herbeizuführen. Zumindest für nationale Umweltprobleme haben wir tatsächlich die Option, soziale Dilemmata durch kollektive Entscheidungen zu beseitigen. Wir werden deshalb im nächsten Kapitel einige Überlegungen dazu anstellen, wie sich die Situation ändert, wenn wir den Staat als zusätzlichen Spie-ler einführen. Dabei wird sich schnell zeigen, dass die Hoffnung auf den Staat leider vergeblich ist. Ausnahmsweise nicht deswegen, weil Politiker nicht das tun, was sie tun sollen, sondern, weil selbst idealtypische Politiker, die ausschließlich das Ziel haben die Wohlfahrt zu maximieren und die nie ein eigenen Ziel verfol-gen, nicht in der Lage sind, das Informationsproblem zu lösen, dass uns schon im Zusammenhang mit dem Coase-Theorem begegnet ist. Wir haben es im Kapitel 2..5.2 schon angedeutet. Wenn der soziale Planer ein soziales Dilemma beseitigen will, dann braucht er Informationen, die sich im privaten Besitz vieler beteiligter Individuen befindet. Die reine Theorie wird uns zeigen, dass der Staat im Prinzip in der Lage ist, in den Besitz dieser Informationen zu gelangen. Die Fähigkeit, Zwang auszuüben, die der Staat natürlich hat, verhilft ihm dazu. Die Instrumente, die dazu notwendig sind, lassen sich analytisch beschreiben – aber de facto nicht praktisch implementieren. Das zu zeigen wird Gegenstand des folgenden Kapitels sein, das die Darstellung dessen, was aus ökonomischer Sicht „des Pudels Kern“ ist, abschließen wird. Am Ende dieses Teil werden wir gezeigt haben, dass unter den Annahmen, unter denen die Wirtschaftstheorie üblicherweise arbeitet, tatsäch-lich fast ausschließlich negative Botschaften möglich sind. Aber wir haben ver-sprochen, auch noch andere Perspektiven einzunehmen und es wird sich noch zeigen, dass wir nicht so schwarz sehen müssen, wie es erscheinen mag, wenn man das Umweltproblem aus dem Blickwinkel der reinen ökonomischen Theorie betrachtet.

60 2.5 Dilemmata

2.5.5 Der Staat als Ersatz für freiwillige Kooperation?

Fassen wir die zentralen Einsichten, zu denen wir auf den ersten 60 Seiten

dieses Buches gekommen sind, noch einmal stichwortartig zusammen. Umwelt-probleme hängen essentiell mit externen Effekten zusammen, die entstehen, weil Eigentumsrechte nicht existieren oder nicht durchgesetzt werden können. Märkte sind dann, wenn externe Effekte vorliegen, nicht mehr in der Lage, effiziente Allokationen sicher zu stellen. COASE hat versucht, den Beweis anzutreten, dass damit keine automatische Berechtigung für einen staatlichen Eingriff verbunden ist, weil immer noch die Möglichkeit besteht, dass private Akteure durch Ver-handlungen zu einer effizienten Lösung kommen. Wir hatten allerdings gesehen, dass dazu sehr restriktive Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Wenn wir es mit externen Effekten zu tun haben, für die gilt, dass das Ausschlussprinzip nicht funktioniert, ist endgültig klar, dass private Verhandlungen nicht mehr zum Erfolg führen. In diesem Fall haben wir es mit öffentlichen Gütern zu tun und die eröff-nen den einzelnen Akteuren die Möglichkeit eine Freifahrerposition einzunehmen, aus der auch private Verhandlungen nicht herausführen. Auch wenn die Verhand-lungen eine effiziente Bereitstellung des öffentlichen Gutes vorsehen sollten, bleibt es dominante Strategie jedes Spielers, den Vertrag zu brechen. Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll sein kann, den Staat in die Pflicht zu nehmen, denn der ist unter Umständen in der Lage, die Spieler zu ihrem Glück zu zwingen. BALIGA & MASKIN (2003) formulieren es drastisch: „We conclude that, in the case of nonexcludable public goods, even a diehard Cosian should agree that outside intervention is needed to achieve optimality.” Für das Scheitern der privaten Verhandlungen war vor allem die Tatsache verant-wortlich, dass die Teilnehmer über private Informationen verfügten und es keinen Mechanismus gab, der zugleich Anreize zur Aufdeckung dieser Information schafft und effiziente Resultate garantiert. Möglicherweise ist der Staat, gewis-sermaßen als unbeteiligter Dritter, in der Lage, Anreize so zu setzen, dass indivi-duell rationales Verhalten zu wahrheitsgemäßer Präferenzoffenbarung und effi-zienten Resultaten führt. In die Sprache der Spieltheorie übersetzt lässt sich die Frage wie folgt formulieren: Ist der Staat in der Lage, die mit einem Umweltprob-lem konfrontierten Akteure mit einem Spiel zu konfrontieren, dessen Regeln dazu führen, dass es für die Spieler zu einer rationalen Strategie wird, die Wahrheit zu sagen? Beschreiben wir diese Situation etwas formaler, wird klar, was damit ge-meint ist: Angenommen j = 1,…,N Akteure müssen eine Entscheidung darüber treffen, wie viel sie in Zukunft von einem bestimmten Schadstoff emittieren wollen. Alle mög-lichen Entscheidungen sind in der Menge Y zusammen gefasst, deren Elemente wir mit y bezeichnen. Die Akteure unterscheiden sich voneinander, d.h. sie haben unterschiedliche Präferenzen im Hinblick auf das öffentliche „Schlecht“ das in der

2.5.Der Staat als Ersatz für freiwillige Kooperation? 61

Emission besteht, bzw. bezüglich des öffentlichen Gutes, das durch die Emissi-onsvermeidung hergestellt wird. Wir kennzeichnen den Typ einfach durch einen entsprechenden Parameter θi. Ui(y, θi) ist die Nutzenfunktion des Spielers i. Eine Entscheidung für den Umweltzustand y ist Pareto-effizient, wenn es kein y’ gibt mit

Ui(y’, θi) ≥ Ui(y, θi) für alle N Spieler und (35) Ui(y’, θi) > Ui(y, θi) für mindestens einen Spieler. Wenn es bei der Entscheidung um die Erstellung eines öffentlichen Gutes

geht, wir das y, das ohne staatliche Hilfe gewählt wird, die Bedingung (35) nicht erfüllen. Nehmen wir nun an, der Staat kann einen Mechanismus implementieren, der folgendermaßen konstruiert ist. Der staatliche Akteur erfragt von den Akteu-ren Informationen und konfrontiert sie mit einer Auszahlungsregel, die von den Informationen, die er erhält, abhängt. Konkret besteht ein solcher Mechanismus aus dem Paar (M, g), wobei M die Menge aller möglichen Informationen ist (das kartesische Produkt der individuellen Informationsmengen Mi) und g : M → Y eine Funktion, die den Informationen eine bestimmte soziale Entscheidung zuord-net.

Die Analyse solcher Mechanismen ist alles andere als trivial. Sie ist Gegens-tand des mechanism design, das uns bereits im Kapitel 2.4.2 begegnet ist, als es um die Frage ging, ob es Verhandlungsprozeduren gibt, die dazu führen, dass externe Effekte in privaten Verhandlungen effizient internalisiert werden. Der Unterschied zu den Mechanismen, die wir hier betrachten wollen, besteht darin, dass der Staat die beteiligten Spieler dazu zwingen kann, sich den Regeln des Mechanismus zu unterwerfen. Es ist deshalb für diese Mechanismen auch nicht notwendig zu fordern, dass es individuell rational sein muss, an dem Spiel teilzu-nehmen – die Teilnahme wird einfach erzwungen. Die formale Analyse des me-chanism design läuft wie folgt ab: 18

Um zu überprüfen, ob ein bestimmter Mechanismus zu dem gewünschten Er-gebnis führt, braucht man eine Annahme über das verwendete Gleichgewichts-konzept. Nehmen wir an, dass man das Nash-Gleichgewicht als Konzept wählt, Dann betrachtet man die Menge aller Nash-Gleichgewichte des Spiels, das durch die Anwendung des Mechanismus entsteht. Sei f(θ): Θ → Y eine soziale Entschei-dungsfunktion, die jeder Menge von Informationen, die die N Spieler dem Staat liefern, eine bestimmte Entscheidung (ein bestimmtes y) zuordnet. Man sagt, dass

18 Die folgende Darstellung sowie die bisher eingeführte Notation orientieren sich an BA-LIGA & MASKIN 2003. Die wichtigsten Ergebnisse der Mechanismus Forschung stammen bereits aus den siebziger und achtziger Jahren, in jüngerer Vergangenheit sind aber einige neue Übersichtsartikel erschienen. Vgl. neben BALIGA & MASKIN zum Beispiel JACKSON (2001).

62 2.5 Dilemmata

f(θ) effizient ist, wenn die Entscheidung Pareto-effizient für jedes θ ist. Der Me-chanismus (M, g) ist Nash implementierbar, wenn die Menge aller Nash-Gleichgewichte gleich f(θ) ist.

Neben dem „einfachen“ Nash-Gleichgewicht kann man natürlich auch Im-plementationen für andere Gleichgewichtskonzepte untersuchen. Beispielsweise sind Gleichgewichte in dominanten Strategien von besonderem Interesse. Der Grund dafür ist sehr einfach. Eine dominante Strategie ist beste Antwort auf alle möglichen Strategien der anderen Spieler. Das bedeutet, dass sich ein Spieler, der über eine solche Strategie verfügt, keine Gedanken mehr über das Verhalten seiner Mitspieler machen muss. Gleichgültig, was sie tun werden, für ihn ist es immer beste Antwort darauf, die dominante Strategie zu spielen. Existieren solche domi-nanten Strategien nicht, hat man ein echtes Problem, denn dann müssen die Spie-ler Erwartungen (so genannte beliefs) darüber bilden, was die anderen Spieler tun werden. Diese Erwartungsbildung ist deshalb ein Problem, weil Gleichgewichte dann nur noch existieren, wenn die beliefs der Spieler zueinander passen. Davon ist nur dann auszugehen, wenn man annimmt, dass die beliefs common knowledge sind – und das ist eine extrem harte Informationsanforderung.

Grundsätzlich besitzt der Staat die Möglichkeit, Anreize in Form von Steuern und Subventionen zu setzen. Die Funktion g (θ) kann also beispielsweise vorse-hen, dass die Spieler Transfers erhalten, die abhängig sind von den „Meldungen“ die sie an den sozialen Planer weitergeben. Bereits Anfang der siebziger Jahre haben CLARKE (1971) und GROVES (1973) untersucht, ob mit Hilfe dieser Instru-mente ein Mechanismus entwickelt werden kann, der in dem Sinne anreizkompa-tibel ist, dass die Aufdeckung privater Informationen dominante Strategie für alle Individuen ist.19 Tatsächlich konnten CLARKE und GROVES zeigen, dass solche Mechanismen existieren. Allerdings hat dieses auf den ersten Blick erfreuliche Resultat einen Haken. GREEN UND LAFFONT (1979) haben nämlich nachgewiesen, dass das Steuersystem, mit dessen Hilfe die Anreize zur Präferenzoffenbarung ge-schaffen werden, nie zu einem ausgeglichenen Budget führt. Außerdem kann bei dem Clarke-Groves-Mechanismus nicht ausgeschlossen werden, dass die Steuer-schuld eines Individuums höher ist als das verfügbare Einkommen. Diese beiden Eigenschaften lassen erhebliche Zweifel an der Praktikabilität und der Effizienz der von CLARKE und GROVES vorgeschlagenen Lösung aufkommen.

Unglücklicherweise haben alle Mechanismen, unter denen Informationspreis-

gabe dominante Strategie ist, die gleichen unangenehmen Nebenwirkungen. Um sie zu vermeiden, muss Anreizkompatibilität in einer schwächeren Form einge-führt werden. Ein natürlicher Kandidat ist das Nash-Gleichgewicht, d.h. die Forde-rung, dass es im Gleichgewicht beste Antwort sein muss, die Wahrheit zu sagen (ohne dass dies deshalb eine dominante Strategie sein muss). Eine zweite Mög- 19 Wir stellen diesen Mechanismus in Anhang 2 detailliert vor.

2.5.5 Der Staat als Ersatz für freiwillige Kooperation? 63

lichkeit der Abschwächung besteht darin, zu fordern, dass durch Preisgabe der privaten Information der erwartete Nutzen maximiert wird. D'ASPREMONT und GÉRARD-VARET (1979) benutzen die letztgenannte Variante und können zeigen, dass anreizkompatible erwartungsnutzenmaximierende Mechanismen existieren, die zu einem ausgeglichenen Budget führen und damit das beim Clarke-Groves-Mechanismus auftretende Problem lösen. Allerdings gelingt dieser Nachweis nur, wenn man die sehr weit gehende Annahme trifft, die wir eben besprochen haben: Die beliefs müssen common knowledge sein.

Auch wenn man einige Einschränkungen unter Umständen in Kauf nehmen

muss, zeigt die Analyse dennoch, dass es im Grundsatz möglich ist, durch ent-sprechende Transfers zu erreichen, dass Akteure, die mit einem Umweltproblem konfrontiert sind, die Wahrheit sagen und ihre Präferenzen offenbaren. Man zwingt sie gewissermaßen zu ihrem Glück, denn der Staat unterwirft sie dem An-reizschema, das es rational werden lässt, die tatsächlichen Präferenzen anzugeben. Wie ist diese Ergebnis zu beurteilen? Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus?

Zunächst einmal muss man das Coasianische Programm als weitestgehend ge-scheiter ansehen. Das Problem externer Effekte durch den Verweis auf private Verhandlungen zu lösen ist mit Sicherheit kein gangbarer Weg für die Umweltpo-litik. Die Informationsprobleme, die privaten Verhandlern im Wege stehen sind unüberwindbar. Diese Informationsprobleme lassen nicht nur das Coasianische Programm scheitern, sie führen uns geradewegs zu einem Ergebnis, das der urs-prünglichen Intention von Coase genau entgegen gesetzt ist. Coase ging es im Kern darum, staatliche Interventionen zurückzudrängen, ihnen die Berechtigung zu nehmen. Die Überlegungen in diesem Kapitel haben gezeigt, dass gewisserma-ßen andersherum ein Schuh daraus wird: Erst staatlicher Zwang ist wenigstens im Prinzip in der Lage, die Informationsprobleme in den Griff zu bekommen, die private Akteure daran hindern Effizienz zu erreichen.

Aber ist der Staat such tatsächlich in der Lage, erstbeste Lösungen zu imple-mentieren? Kann man sich vorstellen, dass dies mit dem Clarke-Groves-Mechanismus gelingen kann? Ein Blick in die reale Welt der Umweltpolitik macht skeptisch. Nirgends in der Welt ist ein Beispiel für einen solchen Mechanismus zu entdecken. Besteuerung wird zwar als Instrument der Umweltpolitik sehr wohl benutzt, aber nie als Instrument zur Aufdeckung der wahren Präferenzen. Ist das ein Problem der Politik oder ein prinzipielles Problem des Clarke-Grove-Mechanismus? Vermutlich beides, denn es ist höchst fraglich, ob der Mechanis-mus benutzt würde, wenn er denn in der Praxis brauchbar wäre. Der Test muss aber leider ausfallen, denn der Clarke-Groves-Mechansmus ist nicht praxistaug-lich. Es ist eine theoretisch interessante Frage, ob überhaupt Mechanismen vor-stellbar sind, die Anreizkompatibilität herstellen können. Aber auch wenn wir diese Frage positiv beantworten können, bedeutet das nicht, dass solche Mecha-nismen auch umgesetzt werden können.

64 2.5 Dilemmata

Zwei Gründe sprechen dagegen. Erstens ist, wie bereits erwähnt, beim Clarke-Groves-Mechanismus nicht ausgeschlossen, dass die Steuerlast die ein einzelner Akteur tragen muss, exorbitant hoch ausfällt. Der Mechanismus sieht vor, dass eine Besteuerung dann erfolgt, wenn die von dem Spieler i offenbarte Präferenz für Schadstoffvermeidung dazu führt, dass sich die optimale Vermeidungsmenge erhöht, verglichen mit dem Zustand, in dem i nicht berücksichtigt wird. Ist dies der Fall, muss i die gesamten zusätzlichen Kosten, die durch die gestiegene Ver-meidung entstehen, in Form einer Steuer tragen – und das kann extrem teuer wer-den. Der zweite Grund dafür, dass der Clarke-Groves-Mechanismus kein Kandidat für eine praktische Umsetzung sein dürfte, ist, dass der Mechanismus einfach zu kompliziert ist, als dass er sich in der Praxis bewähren könnte. Der Leser mache sich klar, welche Anforderungen an Wähler, Politiker und Bürokraten zu stellen sind, wollte man den in Anhang zwei vorgestellten Mechanismus tatsächlich zur Lösung konkreter Umweltprobleme einsetzen.

Damit erweist sich die Lösung des Problems einer effizienten Bereitstellung von öffentlichen Unweltgütern, die der Einsatz staatlicher Macht zunächst ver-spricht, bei näherem Hinsehen als Scheinlösung. Für eine tatsächliche Lösung kann die moderne Wirtschaftstheorie dem Politiker keine Handhabe reichen. Wie schon gesagt wurde: Die Botschaften, die die reine Theorie zu überbringen hat, sind vor allem negativer Natur. Wir können exakt beschreiben, worin das Problem besteht und wir können ebenso exakt beschreiben, warum wir es nicht lösen kön-nen. Verwundert es da noch, dass die Ökonomik von vielen als die „dismale science“ verunglimpft wird?

Eigentlich sollte es das nicht. Dennoch besteht kein Anlass, als Ökonom mit gesenktem Haupt durch die Universität zu wandern. Erstens sind auch die negati-ven Botschaften wichtig, weil erst sie das Verständnis für die wahre Problemlage ermöglichen und zweitens gibt es über das hinaus, was die reine Theorie zu be-richten weiß, eine ganze Reihe von ökonomischen Erkenntnissen, die ausgespro-chen positive Aspekte aufweisen. So ändern sich die Dinge gewaltig, wenn man von dem Ziel abrückt, First best Allokationen zu erreichen. In der Welt des Se-cond best, sieht vieles anders aus. In der First best Welt scheitert man permanent an der Frage, welcher Umweltzustand denn der tatsächlich effiziente ist. In einer Second best Welt ist diese Frage nicht mehr zu stellen, weil wir uns in dieser Welt damit abfinden, dass wir die effiziente Umweltsituation nicht kennen können und uns deshalb nur noch die Frage vorlegen, wie wir einen – wie auch immer be-stimmten – gewünschten Umweltzustand bestmöglich herstellen können.

Die Dinge ändern sich auch, wenn wir von der normativen Theorie, die wir bisher betrachtet haben, zu einer eher positiv theoretischen Sicht übergehen und uns die Frage vorlegen, wie sich reale Menschen (und nicht homines oeconomici, die nur in virtuellen Modellen existieren) verhalten, wenn sie in ein soziales Di-lemma geraten. Diese Frage wird uns als nächstes intensiv beschäftigen, denn in dem folgenden Kapitel werden wir Experimente vorstellen, die sich mit genau dieser Frage befassen.