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90 E-Mail-Adresse: [email protected] 2.6 Die Massenbilanzen des Antarktischen und Grönländischen Inlandeises und der Charakter ihrer Veränderungen. CHRISTOPH MAYER & HANS OERTER Gletscher und Eiskappen sind auf der Erde auf nahezu allen Breitengraden anzutreffen. Die größten zusammen- hängenden Eismassen konzentrieren sich jedoch in den Eisschilden der Polargebiete, auf Grönland und in der Ant- arktis. Sie enthalten etwa 99% des gesamten Eisvolumens der Erde und repräsentieren etwa 80% der globalen Süßwasservorräte. Die gespeicherte Eismasse würde aus- reichen, um den Meeresspiegel weltweit um etwa 70 m anzuheben. Die ausgedehnten Eisflächen mit hoher Rück- streuung und die kontinentale Topographie machen die Inlandeise zu wichtigen Komponenten in unserem Klima- system, wobei Wachstum und Abbau der Eismassen vor allem von Änderungen der Lufttemperatur, der langwelli- gen Strahlung und des Niederschlags beeinflusst werden. Eisschmelze und Eisberge führen dem Ozean neues Was- ser zu. Schwimmende Gletscherzungen und Schelfeise ste- hen in steter Wechselwirkung mit dem Ozean und beein- flussen so auch die weltweite Ozeanzirkulation. Die Zeit- konstanten mit denen die Eiskörper in ihrer Dynamik auf klimatische Veränderungen reagieren liegen für den Grön- ländischen und Antarktischen Eisschild in der Größenord- nung von hundert bis zehntausend Jahren. Die beobachtete Veränderung der Eisschilde ist daher stets eine kombinier- te Reaktion auf klimatische Signale die vermutlich bis zum Ende des letzten Glazials vor 11.000 Jahren zurückreichen. Solche langfristigen Änderungen müssen bei der Diskussi- on des Einflusses der gegenwärtigen Klimaänderungen berücksichtigt werden. Das System Eisschild und Methoden der Massenbilanzbestimmung Ein Eisschild versucht immer einen stabilen Zustand zu erreichen, der entscheidend von der Geometrie des Unter- grundes, den temperaturabhängigen physikalischen Eigen- schafen des Eises, wie etwa seiner Viskosität, dem geother- mischen Wärmefluss, und den herrschenden Akkumu- lations- und Ablationsverhältnissen abhängt. Der Eisabfluss erfolgt entlang der stärksten Oberflächenneigung zum Eis- rand hin. Ein stationärer Zustand ist erreicht wenn die Massenbilanz ausgeglichen ist. Dazu muss die Menge des Schneezutrags im Akkumulationsgebiet dem Massen- verlust im Ablationsgebiet beziehungsweise dem Abfluss über die so genannte Aufsetzlinie, falls sich eine schwim- mende Gletscherzunge oder ein Schelfeis (die schwimmen- de Fortsetzung des Eisschildes auf dem Ozean) gebildet hat, entsprechen. Die Massenbilanz eines Eisschildes kann mit verschie- denen Methoden bestimmt werden. Die glaziologische Me- thode vergleicht den Eismassenverlust durch Schmelzen an der Eisoberfläche, das Kalben von Eisbergen sowie sub- glaziales Schmelzen mit dem Netto-Massengewinn durch Schneezutrag im Einzugsgebiet (Akkumulation). Die Schmelzbeträge an der Oberfläche werden punktuell ge- messen und müssen dann auf den gesamten Eisschild hoch- gerechnet werden. Ebenso wird mit der Akkumulation ver- fahren. Da in der Antarktis Schmelzen an der Oberfläche kaum die Massenbilanz beeinflusst, und Masse vorwiegend über die Schelfeise verloren geht, muss hier der Massenabfluss über die Aufsetzlinie bestimmt und dem Schneezutrag gegenüber gestellt werden. Die geodätische Methode bestimmt die Höhen- änderungen der Eisoberfläche in einem vorgegebenen Zeit- raum. Daraus können Volumen- und Massenänderung des Eisschildes berechnet werden. Die Anwendung dieser Methode für die großen Eisschilde Grönlands und der Ant- arktis wurde erst in den letzten Jahrzehnten durch den Ein- satz von Satellitenaltimetern möglich. Mit den Missionen von ERS1/2 konnten die Oberflächenhöhen im Innern der Antarktis bis 81,5° S und das Innere des Grönländischen Eisschilds vermessen werden, wo die Neigung der Schnee- oberfläche gering ist. Mit dem Laseraltimeter von ICESat wird es möglich sein Daten von der Antarktis bis 86° S und von Grönland zu erhalten. Die vorläufig gescheiterte CryoSat Mission sollte ein Radaraltimeter mit einer besse- Mass balance of the ice sheets of Antarctica and Greenland and their changes: The freshwater resources of the two ice sheets in Antarctica and Greenland represent a potential rise of the global sea level of 70m. Until now it has been assumed that for a moderate rise in global temperature, the enhanced ice melt in Greenland will be compensated by higher accumulation rates in the interior of Antarctica. Only a further increase in temperatures will lead to a noticeable contribution to the sea level from the polar ice sheet. A number of recent investigations demonstrate that the sensitivity of the ice sheets to temperature changes is much higher. Not only higher melt rates, but also ice dynamic effects will lead to the disappearance of the Greenland Ice Sheet if temperatures rise a further three degrees. Even in Antarctica some areas, especially the West Antarctic Ice Sheet and the Antarctic Peninsula, are already reacting very sensitively to the ongoing climatic change which is leading to a positive contribution to the global sea level.

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2.6 Die Massenbilanzen des Antarktischen und GrönländischenInlandeises und der Charakter ihrer Veränderungen.CHRISTOPH MAYER & HANS OERTER

Gletscher und Eiskappen sind auf der Erde auf nahezuallen Breitengraden anzutreffen. Die größten zusammen-hängenden Eismassen konzentrieren sich jedoch in denEisschilden der Polargebiete, auf Grönland und in der Ant-arktis. Sie enthalten etwa 99% des gesamten Eisvolumensder Erde und repräsentieren etwa 80% der globalenSüßwasservorräte. Die gespeicherte Eismasse würde aus-reichen, um den Meeresspiegel weltweit um etwa 70 manzuheben. Die ausgedehnten Eisflächen mit hoher Rück-streuung und die kontinentale Topographie machen dieInlandeise zu wichtigen Komponenten in unserem Klima-system, wobei Wachstum und Abbau der Eismassen vorallem von Änderungen der Lufttemperatur, der langwelli-gen Strahlung und des Niederschlags beeinflusst werden.Eisschmelze und Eisberge führen dem Ozean neues Was-ser zu. Schwimmende Gletscherzungen und Schelfeise ste-hen in steter Wechselwirkung mit dem Ozean und beein-flussen so auch die weltweite Ozeanzirkulation. Die Zeit-konstanten mit denen die Eiskörper in ihrer Dynamik aufklimatische Veränderungen reagieren liegen für den Grön-ländischen und Antarktischen Eisschild in der Größenord-nung von hundert bis zehntausend Jahren. Die beobachteteVeränderung der Eisschilde ist daher stets eine kombinier-te Reaktion auf klimatische Signale die vermutlich bis zumEnde des letzten Glazials vor 11.000 Jahren zurückreichen.Solche langfristigen Änderungen müssen bei der Diskussi-on des Einflusses der gegenwärtigen Klimaänderungenberücksichtigt werden.

Das System Eisschild und Methodender MassenbilanzbestimmungEin Eisschild versucht immer einen stabilen Zustand zuerreichen, der entscheidend von der Geometrie des Unter-grundes, den temperaturabhängigen physikalischen Eigen-schafen des Eises, wie etwa seiner Viskosität, dem geother-mischen Wärmefluss, und den herrschenden Akkumu-lations- und Ablationsverhältnissen abhängt. Der Eisabfluss

erfolgt entlang der stärksten Oberflächenneigung zum Eis-rand hin. Ein stationärer Zustand ist erreicht wenn dieMassenbilanz ausgeglichen ist. Dazu muss die Menge desSchneezutrags im Akkumulationsgebiet dem Massen-verlust im Ablationsgebiet beziehungsweise dem Abflussüber die so genannte Aufsetzlinie, falls sich eine schwim-mende Gletscherzunge oder ein Schelfeis (die schwimmen-de Fortsetzung des Eisschildes auf dem Ozean) gebildethat, entsprechen.

Die Massenbilanz eines Eisschildes kann mit verschie-denen Methoden bestimmt werden. Die glaziologische Me-thode vergleicht den Eismassenverlust durch Schmelzenan der Eisoberfläche, das Kalben von Eisbergen sowie sub-glaziales Schmelzen mit dem Netto-Massengewinn durchSchneezutrag im Einzugsgebiet (Akkumulation). DieSchmelzbeträge an der Oberfläche werden punktuell ge-messen und müssen dann auf den gesamten Eisschild hoch-gerechnet werden. Ebenso wird mit der Akkumulation ver-fahren. Da in der Antarktis Schmelzen an der Oberflächekaum die Massenbilanz beeinflusst, und Masse vorwiegendüber die Schelfeise verloren geht, muss hier derMassenabfluss über die Aufsetzlinie bestimmt und demSchneezutrag gegenüber gestellt werden.

Die geodätische Methode bestimmt die Höhen-änderungen der Eisoberfläche in einem vorgegebenen Zeit-raum. Daraus können Volumen- und Massenänderung desEisschildes berechnet werden. Die Anwendung dieserMethode für die großen Eisschilde Grönlands und der Ant-arktis wurde erst in den letzten Jahrzehnten durch den Ein-satz von Satellitenaltimetern möglich. Mit den Missionenvon ERS1/2 konnten die Oberflächenhöhen im Innern derAntarktis bis 81,5° S und das Innere des GrönländischenEisschilds vermessen werden, wo die Neigung der Schnee-oberfläche gering ist. Mit dem Laseraltimeter von ICESatwird es möglich sein Daten von der Antarktis bis 86° S undvon Grönland zu erhalten. Die vorläufig gescheiterteCryoSat Mission sollte ein Radaraltimeter mit einer besse-

Mass balance of the ice sheets of Antarctica and Greenland and their changes: The freshwater resourcesof the two ice sheets in Antarctica and Greenland represent a potential rise of the global sea level of 70m.Until now it has been assumed that for a moderate rise in global temperature, the enhanced ice melt inGreenland will be compensated by higher accumulation rates in the interior of Antarctica. Only a furtherincrease in temperatures will lead to a noticeable contribution to the sea level from the polar ice sheet. Anumber of recent investigations demonstrate that the sensitivity of the ice sheets to temperature changes ismuch higher. Not only higher melt rates, but also ice dynamic effects will lead to the disappearance of theGreenland Ice Sheet if temperatures rise a further three degrees. Even in Antarctica some areas, especiallythe West Antarctic Ice Sheet and the Antarctic Peninsula, are already reacting very sensitively to the ongoingclimatic change which is leading to a positive contribution to the global sea level.

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Abb. 2.6-1: Antarktis und die wichtigstengeographisch/glaziologischen Einheiten.Der Bildhintergrund zeigt die aus denAkkumulationsdaten berechnete Gleich-gewichtsgeschwindigkeit. Massenbilanzenwurden für die einzelnen Einzugsgebiete(schwarz umrandet) berechnet (nachRIGNOT & THOMAS 2002).Bedeutung der Kürzel für die wichtigstenEinzugsgebiete:WHI: Whilliams Eisstrom,C: Eisstrom C,BYR: Byrd Gletscher,TOT: Tottengletscher,LAM: Lambert-, Mellor-, FishergletscherSUF: Support Eisstrom(für mehr Details siehe Originalaufsatz).

ren Bodenauflösung als ERS1/2 tragen und hätte deshalbauch in steiler geneigtem Gelände in den sehr variablenRandbereichen der Eisschilde messen können. Nach demmissglücken Start am 8. Oktober 2005 wird über einenNachbau des Satelliten diskutiert.

Die Satellitenmessungen bedürfen jedoch immer einerKalibrierung durch Bodenmessungen, um Dichte-schwankungen im Firnkörper, die zu Höhenänderungen derOberfläche führen können, oder auch die isostatische Be-wegung des Untergrundes durch Änderung der Eisauflastberücksichtigen zu können. Nach wie vor ist jedoch diekurze Zeitspanne für die vergleichende Satelliten-messungen vorliegen ein gewisses Problem.

Eine dritte Methode, bei der die Änderung der Eis-masse direkt durch Gravimetermessungen bestimmt wird,rückt durch neuere Satellitenmissionen wie GRACE oderCHAMP in den Bereich des Möglichen.

Das antarktische InlandeisDas antarktische Inlandeis ruht auf einer kontinentalenLandmasse um den Südpol. Es bedeckt eine Fläche von13,856 Mio. km² und repräsentiert ein Eisvolumen von26,37 Mio. m³ (Abb. 2.6-1). Etwa 50 % des Randes derAntarktis sind mit Schelfeisen gesäumt, an deren EisfrontTafeleisberge kalben und an deren Unterseite Eis schmilzt.Dies sind die beiden wesentliche ablativen Prozesse in derAntarktis, da Schmelzen an der Eisoberfläche nur im Be-reich der Antarktischen Halbinsel stattfindet und anson-sten vernachlässigbar ist.

Für eine Betrachtung des Eismassenhaushaltes derAntarktis sollten drei räumliche Einheiten unterschiedenwerden: der Bereich der Antarktischen Halbinsel, der West-antarktische und der Ostantarktische Eisschild. Letzteretrennt das Transantarktische Gebirge.

Die Antarktische Halbinsel reicht am weitesten nachNorden, bis etwa 62,5° S, und ist der klimatisch sensitivste

Bereich. Dort finden sich einzelne Gletscher und Eis-kappen, sowie mehrere kleinere Schelfeise. Der ost-antarktische Eisschild dagegen erreicht eine maximaleHöhe von 4.030 m und eine maximale Eisdicke von 4.776m. Die Oberflächentopographie im Innern ist relativ flach,weist aber dennoch einige lokale Dom-Strukturen auf.Mehrere lang gestreckte Rücken trennen einzelneEisabflussgebiete voneinander ab. Zum Rand hin behin-dern Gebirgszüge den Eisfluss und führen zur Bildung vonteils mehrere hundert Kilometer langen Eisströmen undAuslassgletschern, die Fließgeschwindigkeiten von überhundert Meter pro Jahr erreichen können.

Der Westantarktische Eisschild wird als mariner Eis-schild bezeichnet, da der Felsuntergrund in weiten Teilenunter dem Meeresspiegel liegt. Die Oberflächentopogra-phie des Eises weist drei Dom-Strukturen auf, und erreichtnie mehr als 2.400 m. Der Eisabfluss erfolgt vorwiegendüber schnell fließende Eisströme, die in die beiden großenSchelfeise, das Filchner-Ronne-Schelfeis (Weddellmeer)und das Ross-Schelfeis (Rossmeer) münden.

Die Massenbilanz der AntarktisDie glaziologische Massenhaushaltsmethode wird auf ab-gegrenzte Einzugsgebiete, die sich aus dem Ober-flächenrelief des Eisschildes ableiten lassen, angewendet.Die Netto-Akkumulationsraten werden meist aus Firn-bohrungen und Schneeschachtstudien bestimmt. Die ein-zelnen Werte müssen dann mit geeigneten Inter-polationsverfahren auf die gesamte Fläche des Einzugsge-bietes übertragen werden. Ein Nachteil dabei ist, dass dasverfügbare Messnetz die Antarktis immer noch nichtgleichmäßig abdeckt und die Untersuchungen unterschied-liche Zeiträume umfassen. Eine erste Zusammenstellungder Netto-Akkumulationsraten stammt von 1985(GIOVINETTO & BENTLEY 1985) und ist seither mit den in-zwischen verfügbaren Messdaten, einem neuen Höhen-

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modell zur Bestimmung der Einzugsgebiete und der auspassiven Mikrowellendaten abgeleiteten räumlichen Ver-teilung der Akkumulationsraten verbessert worden(VAUGHAN et al. 1999). Obwohl dazu etwa 1800 Daten-sätze vorlagen, ist die Datendichte im Innern der Antarktisimmer noch unzureichend. VAUGHAN und andere (1999)berechneten die integrierte Netto-Akkumulation für den ge-samten, zusammenhängenden und aufliegenden Eisschildzu 1.811 × 1012 kg pro Jahr (entsprechend einer Akkumu-lationsrate von 149 kg m²/Jahr) und für den gesamten Kon-tinent, einschließlich der Schelfeise und eingeschlossenerIce Rises (Eishöcker) zu 2.288×1012 kg pro Jahr (entspre-chend 166 kg m²/Jahr, Tab.2.6-1). Die Unsicherheit derberechneten Werte beträgt ±5%.

RIGNOT & THOMAS (2002) haben den Versuch unter-nommen, die Massenbilanz für 33 ausgewählte Einzugs-gebiete der Antarktis, die 58% der Fläche des Inlandeisesabdecken, zu bestimmen. Die Ergebnisse geben Einblickin das unterschiedliche Verhalten von Ost- und West-antarktis. Die bedeutendsten Massenverluste mit 72±12km³/Jahr (entsprechend 64,8±10,8 ×1012 kg/Jahr) treten beiden Eisströmen auf, die aus der Westantarktis in dieAmundsensee fließen. Diese Verluste sind deutlich höher,als bisher angenommen. Den Massenzuwachs von 33 ±6km³/Jahr (entsprechend 29,7±5,4 × 1012 kg/Jahr) im Be-reich der ins Rossmeer mündenden Eisströme führen dieAutoren darauf zurück, dass Eisstrom C (neu: Kamb-Eis-strom) vor 50 Jahren zum Stillstand kam und sich EisstromB (neu: Whillans-Eisstrom) weiter verlangsamt. Die Zu-flüsse aus West- und Ostantarktis in das Filchner-Ronne-Schelfeis und damit ins Weddellmeer, scheinen im Gleich-gewicht zu sein, wobei keine Angaben zum Support-Eis-strom vorliegen, da die Höhenmessungen aus Satelliten-daten nur bis 81,5° S reichen und dessen Einzugsgebietsich viel weiter nach Süden erstreckt. Auch für die beob-achteten Einzugsgebiete zwischen 25° W und 165° O inder Ostantarktis kann ein Gleichgewichtszustand angenom-

men werden. Nur für den Eisabfluss aus der Ostantarktisin das Ross-Schelfeis zeichnet sich, wie für die Eisströmeaus der Westantarktis, eine positive Massenbilanz ab.

Im Bereich der Antarktischen Halbinsel ist in den letz-ten 50 Jahren eine deutliche Erhöhung der Lufttemperaturmessbar. An der Station Faraday/Vernadsky wurde einAnstieg von 0,55° C pro Jahrzehnt nachgewiesen. DieseTemperaturzunahme führte zu negativen Massenbilanzender dortigen Gletscher. Erhöhte Schmelzwasserproduktionführte zu einer Destabilisierung und dem völligen Kollapsmehrerer Schelfeise.

Das Grönländische InlandeisGrönland ist zu etwa 81% mit Eis bedeckt. Das Inlandeisstellt mit einer Fläche von 1,74 Mio. km² und einem Volu-men von etwa 3 Mio. km³ nach der Antarktis das zweit-größte Eisvorkommen auf der Erde dar (Abb. 2.6-2). Ob-wohl das Eisvolumen nur etwa 10% des antarktischen Eisesentspricht, spielt Grönland doch eine bedeutende Rolle hin-sichtlich der gegenwärtigen Diskussion um die Auswirkun-gen des Klimawandels. Ein vollständiges Abschmelzendieser Eisreserven entspräche einem mittleren Meeres-spiegelanstieg von etwa 7 m. In den folgenden Abschnittenwird nur die Variabilität des Inlandeises betrachtet, da dielokalen Gletscher aufgrund ihrer Verteilung über die ge-samte Ausdehnung der grönländischen Landmasse, vomklimatisch relativ milden Süden bei 60° N bis zum hoch-arktischen Norden bei 83° N, sehr große Sensitivitätsunter-schiede aufweisen.

Im Vergleich zur Antarktis herrscht in Grönland einetwas milderes Klima. In warmen Jahren wird auf mehrals der Hälfte der Oberfläche des Eisschildes Schmelzwas-ser produziert (THOMAS et al. 2001). Die Untersuchungenvon GREGORY et al. (2004) basierend auf numerischenModellrechnungen deuten darauf hin, dass bei einer wei-teren Erwärmung der Jahresmitteltemperatur in Grönlandum mehr als 3° C das gesamte Inlandeis abtauen könnte.

Quelle Akkumulation über dem Eisschmelze- Schmelz- Eisberg- Eistransport aufliegenden ges. Eisschild der wasser- produktion über die

Eisschild inkl. Schelfeise Schelfeise abfluss AufsetzlinieKOTLYAKOV et al. (1978) 2000 320 60 2400BUDD & SMITH (1985) 1800 2000 1800 1620JACOBS et al. (1992) 1528 2144 544 53 2016GIOVINETTO & ZWALLY (1995) 1752 2279BUDD et al. (1995) 2190JACOBS et al. (1996) 756BROMWICH et al. (1998) 2190TURNER et al. (1999) 2106VAUGHAN et al. (1999) 1811 2288HUYBRECHTS et al. (2000) 1924 2344GIOVINETTO & ZWALLY (2000) 1883 2326Mittelwert: 1843±76 2246±86 540±218 10±10 2072±304

Tab. 2.6-1: Ergebnisse von Massenbilanzberechnungen verschiedener Autoren für den antarktischen Eisschild(×1012 kg/Jahr) (modifiziert von CHURCH et al. 2001).

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Abb. 2.6-2: Grönland und das grönländische Inlandeis. InGraustufen ist die jährliche Akkumulationsrate über demInlandeis angegeben (mm w. äq.). Ausserdem sind die1.000er Höhenlinien dargestellt (BALES et al. 2001).

Diese Sensitivität des Eisschildes auf Klimaverände-rungen unter den derzeitigen Bedingungen, die beobach-tete Erwärmung an vielen Stationen in Grönland währendder letzten Jahrzehnte und die prognostizierte Tempe-raturentwicklung bis zum Jahre 2100 (CHURCH et al. 2001)machen deutlich, dass das grönländische Eis eine ent-scheidende Rolle in der Diskussion um Klimaverän-derungen und deren Auswirkungen, speziell den Anstiegdes Meeresspiegels, spielt.

Die Massenbilanz des InlandeisesNeben vielen Feldstudien in Eisrandgebieten, die teilweisebis vor das Internationale Geophysikalische Jahr 1957/58zurückgehen, hat sich vor allem das PARCA Projekt (Pro-gram for Arctic Regional Climate Assessment) mit denMassenumsätzen und den kurzfristigen Veränderungen derOberfläche des grönländischen Eisschildes befasst (THO-MAS et al. 2001). In den Jahren 1995–1999 wurden ausge-dehnte Messungen am Boden und mit Flugzeug getrage-nen Sensoren durchgeführt. Deutliche Fortschritte wurdeninsbesondere in der Bilanzierung der Akkumulation unddes Massentransports von den höher gelegenen Gebietendes Inlandeises in die Ablationszone erzielt. Nach wie vorist jedoch die Quantifizierung der Ablation in der teilweisebis zu 50 km breiten »Slush-Zone«, eines Bereichs wasser-gesättigen Firns in den höheren Regionen der Ablations-zone, nicht befriedigend. Trotzdem konnten mit den Er-gebnissen aus PARCA und neueren Modellstudien deut-lich verbesserte Informationen über die Massenbilanz desInlandeises gewonnen werden.

Ein Term der Gesamtablation, der nur schwierig zubestimmen ist, ist das Kalben von Eisbergen. Die Massedie durch direkten Eisverlust in das Meer jährlich verlorengeht liegt vermutlich in der Größenordnung von 239±33km³/Jahr (REEH et al. 1999, Tab. 2.6-2). Allerdings ist dieVariabilität des Eistransports in die Auslassgletscher in vie-len Regionen Grönlands sehr hoch. Das am besten unter-suchte Beispiel ist der Jakobshavn Isbræ, der gegen Endeder achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts merklich lang-samer wurde, bevor er danach bis heute seine Fliessge-schwindigkeit beinahe verdoppelte, wobei die Eisfront starkzurückging. Aber auch eine ganze Reihe anderer großerGletscher in Grönland zeigt eine starke Ausdünnung, dienicht allein durch höhere Schmelzraten erklärt werdenkann, sondern eine deutlich Zunahme der Eisgeschwin-digkeit erfordert (ALLEY et al. 2005).

ZWALLY (2002) hat nachgewiesen, dass Oberflächen-schmelzen die Eisgeschwindigkeit in den Ablations-gebieten deutlich beeinflusst. Zusätzlich zu den langfristi-gen dynamischen Änderungen des Inlandeises können da-mit auch kurzfristige Schwankungen des Eistransportes inden Auslassgletschern erklärt werden. Kalbungsraten undSchmelzen an der Eisoberfläche sind durch diesen Prozess

sehr viel direkter gekoppelt und die Zunahme der Eisberg-produktion mit steigenden Temperaturen könnte sehr vielrascher erfolgen als bisher angenommen.

Die Beträge von Akkumulation und Massenverlustendurch Schmelzen sind dagegen weitaus besser untersucht.Vor allem die Oberflächenschmelze, wurde an vielen Stel-len entlang des Inlandeisrandes eingehend studiert(BRAITHWAITE et al. 1992) und durch Modellstudien auf dasgesamte Inlandeis ausgedehnt (JANSSENS & HUYBRECHTS

2000; HANNA et al. 2005). Die Schmelzwasserproduktionist derzeit für etwa 57±9% des Massenverlustes verantwort-lich (CHURCH et al. 2001, Tab. 2.6-2). Ein Anstieg der Luft-temperatur über dem Eis um 1° C führt zu einer Zunahmeder Schmelzwasserproduktion um 20–50% (OHMURA et al.1996). Subglaziale Schmelzraten an der Unterseiteschwimmender Gletscherzungen und Schelfeise könneneinige Zehnermeter pro Jahr erreichen. Das Schmelzwas-servolumen ist aber wegen der begrenzten Größe derschwimmenden Eisflächen in Grönland von untergeordne-ter Bedeutung. In der Gesamtmassenbilanz wird dieseForm der Ablation außerdem in die Kalbungsraten einge-

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Quelle Akkumulation Schmelz Netto- Eisberg- Subglaziales Massen- über dem wasser- Akkumula- produktion Schmelzen Bilanz

Eisschild abfluss tionBENSON (1962) 500 272 228 215 +13BAUER (1968) 500 330 170 280 110WEIDICK (1984) 500 295 205 205 ± 0OHMURA & REEH (1991) 535 HUYBRECHTS et al. (1991) 539 256 283ROBASKY & BROMWICH (1994) 545GIOVINETTO & ZWALLY (1995a) 461VAN DE WAL (1996) 539 316 223JUNG-ROTHENHÄUSLER (1998) 510REEH et al. (1999) 547 276 271 239 32 ± 0OHMURA et al. (1999) 516 347 169JANSSENS & HUYBRECHTS (2000) 542 281 261ZWALLY & GIOVINETTO (2000) 216KRABILL et al. (2004) 305 -70HANNAH et al. (2005) 571 295 276 10Mittelwert: 520±26 298±32 225±41 235±33 32±3 -44 ± 53

Tab. 2.6-2: Ergebnisse von Massenbilanzberechnungen verschiedener Autoren für das grönländische Inlandeis (×1012

kg/Jahr) (modifiziert von CHURCH et al. 2001 und KRABILL et al. 2004).

rechnet, da der Massentransport von den Auslassgletschernin die schwimmenden Bereiche bereits als Massenverlustdes Inlandeises betrachtet wird.

Eine verlässliche Berechnung der Massenbilanz desgrönländischen Eisschildes ist nach wie vor schwierig. Eswird allgemein angenommen, dass die Massenbilanz der-zeit nahezu ausgeglichen ist (CHURCH et al. 2001), oder inden letzten Jahren allenfalls leicht negativ war (-70±12 km³/Jahr; KRABILL et al. 2004, Tab. 2.6-2). Letzteres Ergebnisentspräche einem jährlichen Beitrag zum globalenMeeresspiegelanstieg von etwa 0,18 mm. Im Verhältnis zurGesamtakkumulation beträgt damit das Ungleichgewichtetwa 13%. Inwieweit dieser leicht negative Zustand jedochvon Reaktionen des Eises auf vergangene Klima-veränderungen beeinflusst wird, ist nicht bekannt.

Neueste Auswertungen von Altimetriedaten dereuropaeischen Fernerkundungssatelliten ERS1/2 habengezeigt, dass ueber den Zeitraum der letzten elf Jahre dieOberflaeche im Inneren des groenlaendischen Inlandeisesoberhalb von 1500 m N.N. etwa um 6 cm pro Jahr ange-wachsen ist (JOHANNESSEN et al. 2005). Allerdings kann die-ser Massenzuwachs durch die hohen Schmelzraten in tie-fer gelegenen Teilen des Inlandeises, welche nicht mitAltimetrie untersucht werden koennen, mehr als ausgegli-chen werden. Ausserdem ist der Untersuchungszeitraumvon elf Jahren noch nicht lang genug, um einen eindeuti-gen Trend zu identifizieren.

Trotz der fehlenden Genauigkeit in der Bestimmungdes Kalbungsflusses kann zumindest die zeitliche Entwick-lung der Massenflüsse an der Oberfläche während der letz-ten Jahrzente durch Modellsimulationen analysiert werden(HANNA et al. 2005). Beide Komponenten, Oberflä-chenschmelzen sowie auch Akkumulation haben innerhalbder letzten 45 Jahre zugenommen. Dabei wird die erhöhte

Akkumulation durch deutlich höhere Schmelzvoluminaübertroffen. Die beobachtete Variation der Eisdynamik ent-lang der Eisrandzone in den letzten 30 Jahren und der damitveränderte Massenfluss, entspräche einem Beitrag zumMeeresspiegelanstieg von fast 0,3 mm/Jahr. Allerdings kannderzeit noch nicht entschieden werden, ob diese Beschleuni-gungen nur kurzfristige Fluktuationen darstellen oder Teileines längerfristigen Trends sind (ALLEY et al. 2005).

SchlussfolgerungIn Anlehnung an ein Resumée von RIGNOT & THOMAS

(2002) kann der derzeitige Wissensstand folgendermaßenzusammengefasst werden. Obwohl uns die beiden letzenJahrzehnte durch die verstärkte Anwendung von Fern-erkundungsmethoden große Fortschritte bei der Beschrei-bung weiter Flächen von Grönland und der Antarktis ge-bracht haben, ist es immer noch nicht möglich selbst dasVorzeichen der Massenbilanz für die Ostantarktis anzuge-ben, bevor nicht neue Messdaten erhoben worden sind. DieWestantarktis zeigt ein bimodales Verhalten, mit einer Zu-nahme der Eismächtigkeit im Westen und einem rapidenAusdünnen im Norden, und verliert insgesamt so viel anMasse um den Meeresspiegel um fast 0,2 mm/Jahr steigenzu lassen. Der Massenverlust des Grönländischen Eis-schildes reicht aus für einen Meeresspiegelanstieg von 0,13– 0,18 mm/Jahr. Geeignete Messungen müssen weiterge-führt werden, um zu erfahren, ob es sich dabei um einenlangfristigen Trend handelt. Gegenüber den weit verbreite-ten Gleichgewichtsbetrachtungen hat sich gezeigt, dass dieEisschilde gerade in den küstennahen Regionen sehr varia-bel sind und relativ rasch auf Änderungen der Umweltbe-dingungen reagieren können. Diese Änderungen sind weit-aus tief greifender als es noch vor wenigen Jahren vor-stellbar war♦