27 - Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

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27 27 Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe Josef Köhrle, Petro E. Petrides 27.1 Hypothalamisch-hypophysäre Beziehungen – 843 27.1.1 Hypothalamus – 843 27.1.2 Hypophyse – 845 27.1.3 Regulation von Hypothalamus und Hypophyse durch die Zielgewebe – 845 27.1.4 Hormone des Hypophysenmittel- und -hinterlappens – 846 27.2 Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenhormonachse – 847 27.2.1 TRH Biosynthese, Freisetzung und Abbau – 847 27.2.2 Wirkung von TRH auf die TSH-Bildung in der Adenohypophyse – 848 27.2.3 TSH-regulierte Synthese und Freisetzung von Schilddrüsenhormonen – 850 27.2.4 Schritte des Iodstoffwechsels und der Schilddrüsenhormonsynthese – 850 27.2.5 Verteilung und Transport der Schilddrüsenhormone im Blut – 854 27.2.6 Regulierte Aufnahme, Aktivierung und Inaktivierung von Schilddrüsen- hormonen in Zielzellen der Hormonwirkung – 855 27.2.7 Zelluläre Wirkungen der Schilddrüsenhormone – 857 27.2.8 Molekularer rezeptorvermittelter Wirkungsmechanismus von Schilddrüsen- hormonen – 858 27.2.9 Pathobiochemie – 859 27.3 Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden- (Zona fasciculata-)Achse – 862 27.3.1 Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse – 862 27.3.2 Regulation von Hypothalamus und Hypophyse – 863 27.3.3 Hormone der Zona fasciculata der Nebennierenrinde – 863 27.3.4 Transport des Cortisols im Blut – 865 27.3.5 Abbau des Cortisols – 865 27.3.6 Molekularer Wirkungsmechanismus des Cortisols – 866 27.3.7 Zelluläre Wirkungen des Cortisols – 866 27.3.8 Zusammenhänge zwischen hypothalamisch-hypophysärer NNR-Achse und Immunsystem – 868 27.3.9 Synthetische Glucocorticoidhormone – 868 27.3.10 Pathobiochemie – 869 27.4 Hypothalamus-Hypophysen-Gonadenachse – 870 27.4.1 Der hypothalamische GnRH-Pulsgenerator – 870 27.4.2 Hormonelle Regulation des hypothalamischen GnRH-Pulsgenerators und der hypophysären Gonadotropinsekretion – 871 27.4.3 Entwicklung steroidproduzierender Gewebe: Nebenniere und Gonaden – 873

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27 Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

Josef Köhrle, Petro E. Petrides

27.1 Hypothalamisch-hypophysäre Beziehungen – 84327.1.1 Hypothalamus – 84327.1.2 Hypophyse – 84527.1.3 Regulation von Hypothalamus und Hypophyse durch die Zielgewebe – 84527.1.4 Hormone des Hypophysenmittel- und -hinterlappens – 846

27.2 Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenhormonachse – 84727.2.1 TRH Biosynthese, Freisetzung und Abbau – 84727.2.2 Wirkung von TRH auf die TSH-Bildung in der Adenohypophyse – 84827.2.3 TSH-regulierte Synthese und Freisetzung von Schilddrüsenhormonen – 85027.2.4 Schritte des Iodstoffwechsels und der Schilddrüsenhormonsynthese – 85027.2.5 Verteilung und Transport der Schilddrüsenhormone im Blut – 85427.2.6 Regulierte Aufnahme, Aktivierung und Inaktivierung von Schilddrüsen-

hormonen in Zielzellen der Hormonwirkung – 85527.2.7 Zelluläre Wirkungen der Schilddrüsenhormone – 85727.2.8 Molekularer rezeptorvermittelter Wirkungsmechanismus von Schilddrüsen-

hormonen – 85827.2.9 Pathobiochemie – 859

27.3 Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-(Zona fasciculata-)Achse – 862

27.3.1 Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse – 86227.3.2 Regulation von Hypothalamus und Hypophyse – 86327.3.3 Hormone der Zona fasciculata der Nebennierenrinde – 86327.3.4 Transport des Cortisols im Blut – 86527.3.5 Abbau des Cortisols – 86527.3.6 Molekularer Wirkungsmechanismus des Cortisols – 86627.3.7 Zelluläre Wirkungen des Cortisols – 86627.3.8 Zusammenhänge zwischen hypothalamisch-hypophysärer NNR-Achse

und Immunsystem – 86827.3.9 Synthetische Glucocorticoidhormone – 86827.3.10 Pathobiochemie – 869

27.4 Hypothalamus-Hypophysen-Gonadenachse – 87027.4.1 Der hypothalamische GnRH-Pulsgenerator – 87027.4.2 Hormonelle Regulation des hypothalamischen GnRH-Pulsgenerators

und der hypophysären Gonadotropinsekretion – 87127.4.3 Entwicklung steroidproduzierender Gewebe:

Nebenniere und Gonaden – 873

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27.5 Zielgewebe der Gonadotropine beim Mann – 87427.5.1 Funktionen von Leydig- und Sertolizellen des Hodens – 87427.5.2 Transport der Androgene im Blut – 87627.5.3 Periphere Aktivierung oder Umwandlung von Testosteron – 87627.5.4 Abbau der Androgene – 87727.5.5 Zelluläre Wirkungen des Testosterons – 87727.5.6 Molekularer Wirkungsmechanismus des Testosterons – 87727.5.7 Synthetische Androgene und Antiandrogene – 87727.5.8 Pathobiochemie – 877

27.6 Zielgewebe der Gonadotropine bei der Frau – 87827.6.1 Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse – 87827.6.2 Hormone des Ovars (Östrogene und Progesterone) – 88027.6.3 Transport der Hormone im Blut – 88227.6.4 Abbau der Hormone – 88227.6.5 Zelluläre Wirkungen der Hormone – 88227.6.6 Molekularer Wirkungsmechanismus der Hormone – 88327.6.7 Synthetische Progesterone, Östrogene und Phytoöstrogene – 88427.6.8 Weitere Hormone des Ovars – 88427.6.9 Hormone der Placenta – 884

27.7 Die Wachstumshormon-IGF-Achse – 88527.7.1 Regulation der GH-Sekretion durch hypothalamisches GHRH, Somatostatin

und durch Ghrelin aus der Magenmukosa – 88527.7.2 Direkte GH Wirkungen und Effekte über das GH-regulierte Mediator-

system IGF1-IGF1-Bindeproteine – 88727.7.3 Prolactin – 88827.7.4 Pathobiochemie – 889

27.8 Antidiuretisches Hormon (Vasopressin) und Oxytocin – 890

Literatur – 891

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27.1 · Hypothalamisch-hypophysäre Beziehungen27843

>> Einleitung

Das hypothalamisch-hypophysäre System stellt zusammen mit seinen Zielgeweben ein komplexes neuroendokrines System dar, das die Funktionsfähigkeit elementarer Lebensvorgänge wie Wachstum, Fortpflanzung oder adäquate Reaktionen auf Stress garantiert. Dieses System besteht aus Hypothalamus, Hypophysenvorderlappen und verschiedenen Hormone produzie-renden peripheren Geweben wie Schilddrüse, Zona fasciculata der Nebennierenrinde, Keimdrüsen (Hoden bzw. Ovarien) und Leber. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Bestandteilen dieses Systems erfolgt über Hormone, Wachstumsfaktoren und Cytokine. Der Hypothalamus integriert biochemische Informationen aus verschiedenen Hirnarealen und gibt diese an die Hypophyse weiter, in der sie in endokrine, d.h. die Regulation entfernter Zielorgane bestimmende Informationen umgesetzt werden. Von den Zielorganen erfolgt eine hormonelle Rückkoppelung über den Blutweg. Angeborene und erworbene Stö-rungen dieser verschiedenen Achsen führen zu Krankheiten, die an Störungen des Wachstums und der Entwicklung, der Fertili-tät oder der Reaktion auf Stresssituationen erkennbar sind. Da praktisch alle an diesen Systemen beteiligten Hormone oder ihre Analoga chemisch synthetisiert oder gentechnologisch hergestellt werden können, sind die Achsen durch synthetische Hor-mone gezielt beeinflussbar geworden.

monen (RH) über welche die Freisetzung (= engl. release) von Hormonen aus dem Hypophysenvorderlappen (Ade-nohypophyse) gesteuert wird (. Tabelle 27.1). Die regula-torischen Polypeptide des Hypothalamus stellen eine Grup-pe von Molekülen mit Längen von 3 bis etwa 60 Amino-säuren dar, die sich u.a. dadurch auszeichnen, dass ihr C-terminaler Rest amidiert und damit vor Proteolyse ge-schützt ist. Alle hypothalamischen Hormone entstehen durch limitierte Proteolyse aus hochmolekularen Vorstu-fen. Die Klonierung der Vorstufen für die einzelnen Poly-peptide hat gezeigt, dass jeweils ein in der Vorstufe dem C-Terminus anliegender Glycylrest als Amiddonor für die enzymatische Amidierung dient. Fast alle hypothala-mischen Regulatorhormone finden sich auch in extrahypo-thalamischen Arealen und anderen Geweben des Organis-mus, ohne dass jedoch ihre dortige Funktion in jedem Fall bekannt ist.

! releasing -Hormone werden pulsatil aus dem Hypotha-lamus freigesetzt.

Einen weiteren essentiellen Bestandteil des neuroendokri-nen Systems stellt eine biologische Uhr dar, die verschie-dene hormonelle Zyklen steuert, die auch mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus verbunden ist. Wie diese Uhr circadiane Rhythmen wie den der Cortisolsekretion (7 Kap. 27.3.7) hervorbringt, ist noch unbekannt. Andere reproduzierbare Veränderungen werden nicht von einer tageszeitlichen Rhythmik bestimmt, sondern z.B. davon, wann man ein-schläft: So kommt es etwa 60–90 min. nach dem Einschla-fen zu einem starken Anstieg der Wachstumshormonsekre-tion. Eine weitere bedeutende Form der Periodizität findet sich z.B. bei der Sekretion des releasing-Hormons GnRH (aber auch bei den anderen releasing-Hormonen): die pul-satile Freisetzung, d.h. das Hormon wird nicht kontinuier-lich, sondern stoßweise in Abständen von 90–120 min. aus dem Hypothalamus sezerniert. Dieses Sekretionsmuster, das eine wesentliche Voraussetzung für die biologische Wirkung der releasing-Hormone darstellt, bleibt auch dann

27.1 Hypothalamisch-hypophysäre Beziehungen

27.1.1 Hypothalamus

! Der Hypothalamus kommuniziert mit der Hypophyse über Peptidhormone.

Der Hypothalamus (. Abb. 27.1) erhält Informationen von der Hirnrinde (Cortex), dem limbischen System (Hippo-campus, Nucleus amygdalae, Septumregion), dem Thala-mus, dem retikulären ascendierenden System und von Ner-venfasern des Rückenmarks. Diese Einflüsse werden inte-griert und über neuroendokrine Zellen, d.h. spezialisierte Neurone mit endokriner Funktion, an die Hypophyse wei-tergegeben. Diese neuroendokrinen Zellen werden durch Neurotransmitter aktiviert, die an den synaptischen Ver-bindungen der verschiedenen Neuronen, die sich an diesen Zellen treffen, freigesetzt werden. Die Aktivierung der neu-roendokrinen Zellen führt zur Freisetzung von Polypepti-den mit regulatorischer Funktion, den sog. releasing-Hor-

. Abb. 27.1. Die einzelnen Anteile des Hypothalamus

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844 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

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bestehen, wenn z.B. in pathologischen Situationen die Rückkoppelung von der Peripherie gestört ist.

! Die hypothalamischen Neuropeptidhormone Neuro-medin U, Galanin, und Calcitonin-Gen-verwandtes Peptid modulieren hypothalamische Funktionen, Ver-halten, Schmerzempfindung, physiologische Regula-tionsvorgänge.

Im Hypothalamus werden noch weitere neurohypophysäre Hormone gebildet:

Neuromedin U, ein aus 23-Aminosäuren bestehendes Neuropeptid, welches über zwei verschiedene G-Protein gekoppelte Rezeptoren wirkt. Der Neuromedin U-Rezeptor 2 ist vorwiegend im paraventrikulären Nucleus, entlang des 3. Ventrikels und im Hippocampus exprimiert. Im Tiermo-dell erhöht Neuromedin U die Freisetzung von ACTH. In-tracerebrale Injektion von Neuromedin U stimuliert über noradrenerge Neurone in magnozellulären Neuronen den Neuromedin U-2-Rezeptor, welcher auf die Freisetzung von Vasopressin und Oxytocin (7 Kap. 27.8) in der Neuro-hypophyse positive Effekte ausübt.

Galanin, ein Peptid aus 29 Aminosäuren, wird eben-falls im Hypothalamus in hohen Konzentrationen gefun-den. Über drei verschiedene gewebespezifisch exprimierte heptahelicale G-Protein gekoppelte Rezeptoren beeinflusst es Nahrungsaufnahme, Reproduktionsverhalten, Schmerz-empfindung und Immunmodulation. Osmotische Stimuli erhöhen die Galaninexpression in magnozellulären Nuclei und wirken damit wiederum aktivierend auf die Neurophy-pophyse durch Steigerung der Vasopressin- und Oxytocin-sekretion.

Ein aus 60 Aminosäuren bestehendes Galanin ähn-liches Peptid (galanin like peptide, GALP), dessen Amino-säuren 9-21 identisch mit dem N-Terminus von Galanin sind, wird vorwiegend im anteroventralen periventriku-lären Nucleus (AVP) und der Neurohypophyse exprimiert. GALP stimuliert die Nahrungsaufnahme, den Stoffwechsel und die GnRH-Freisetzung. Chronischer Stress oder chro-nische Entzündung erhöhen die GALP Expression und steigern die Sekretion von Vasopressin, Oxytocin und ACTH. Damit kann GALP die adrenale Corticoidausschüt-tung erhöhen unter Bedingungen wo CRH erniedrigt ist z.B. bei chronischem Stress.

Durch alternatives Spleißen entsteht im Hypothalamus aus der Calcitonin-Prä-mRNA das Calcitonin-Gen-ver-wandte Peptid CGRP (calcitonin gene related peptide) (7 Kap. 8.5.3, 28.6.3). CGRP wirkt über G-Protein gekop-pelte Rezeptoren auf das kardiovaskuläre System durch Er-höhung der Herzfrequenz, des Blutdrucks und auch der Noradrenalinsekretion, wenn die Substanz dem Versuchs-tier intracerebral gegeben wird. Die periphere Anwendung führt zur Vasodilatation mit Tachykardie und erhöhter Katecholaminsekretion. Die biologische Funktion des CGRP ist vermutlich der Grund, warum dieses Gen in der Evolution beibehalten wurde, da Calcitonin, welches in den neuroendokrin aktiven Calcitonin produzierenden C-Zellen der Schilddrüse gebildet wird, beim Menschen nicht lebenswichtig ist.

. Tabelle 27.1. Hypothalamische releasing-hormone (RH, Liberine) und adenohypophysäre glandotrope Hormone (Tropine)

Hypothalamisches releasingoder releaseinhibiting hormone

Abkürzung Anzahl Aminosäuren

reguliertes hypophysäres Hormon

Abkürzung Anzahl Aminosäuren

Cortictropin releasinghormone (Corticoliberin)

CRH 41 Adrenocorticotropes Hormon (Corticotropin)

ACTH 29

Thyrotropin releasing hormone (Thyroliberin)

TRH 3 Thyroideastimulierendes Hormon(Thyrotropin)

TSH 112 + 89*

Gonadotropin releasinghormone (Gonadoliberin)

GnRH 10 Luteinisierendes Hormon (Luteotropin)

LH 118 + 89*

Follikel stimulierendes Hormon (Follitropin)

FSH 115 + 89*

growth hormone (Somatotropin)releasing hormone (Somatoliberin)

GHRH 44 growth hormoneSomatotropinWachstumshormon

GH 191

Somatostatin SSt 14/28 growth hormoneSomatrotropinWachstumshormon

GH 191

Dopamin – – Prolaktin PRL 198

* TSH, LH und FSH haben eine gemeinsame -Untereinheit aus 89 Aminosäuren.

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27.1 · Hypothalamisch-hypophysäre Beziehungen27845

27.1.2 Hypophyse

Zwischen den hypothalamischen Kernen und der Hypo-physe bestehen enge anatomische und funktionelle Be-ziehungen (. Abb. 27.2). Entwicklungsgeschichtlich setzt sich die Hypophyse aus zwei verschiedenen Zelltypen zu-sammen:4 der Neurohypophyse (Hinterlappen), die über das In-

fundibulum (Hypophysenstiel) mit dem Hypothalamus verbunden ist, und

4 der Adenohypophyse (Vorderlappen), in der die Hor-mone gebildet werden, deren Sekretion durch die regu-latorischen Polypeptide des Hypothalamus gesteuert wird. Die verschiedenen in der Adenohypophyse vor-kommenden Zelltypen sind in . Tabelle 27.2 zusam-mengestellt.

! Die hypophysären Hormone sind untereinander struk-turverwandt.

Bisher sind sechs Hormone der Adenohypophyse charak-terisiert worden (. Tabelle 27.1): TSH, LH und FSH sind Dimere, die eine identische -Untereinheit besitzen und sich nur durch die -Untereinheit voneinander unterschei-den. Prolactin und Somatotropin (Wachstumshormon) leiten sich von einem gemeinsamen Vorläufergen ab, da sie etwa 50% Homologie besitzen. Die Vorstufe von ACTH, das Präpro-Opiomelanocortin, besitzt strukturelle Ähn-lichkeit mit dem Arginin-Vasopressin-Neurophysin, der Vorstufe des Vasopressins in der Neurohypophyse (7 Kap. 28.3.2).

27.1.3 Regulation von Hypothalamus und

Hypophyse durch die Zielgewebe

Die aus der Hypophyse freigesetzten Hormone wirken auf bestimmte periphere Gewebe, in denen sie die Biosynthese und Sekretion gewebespezifischer Hormone hervorrufen. Über diese Hormonprodukte, aber auch Substrate, wie z.B. Glucose, erfolgt eine Rückkoppelungshemmung

(. Abb. 27.3) auf der Ebene des Hypothalamus und/oder der Hypophyse (long loop feedback). So verursacht z.B. ein Abfall der Plasmakonzentration von Cortisol eine ver-mehrte ACTH-Produktion und -Sekretion durch die Hypo-physe, während auf der anderen Seite hohe Plasmacortisol-

. Tabelle 27.2. Zellen und Hormone der Adenohypophyse

Zelltyp Anteil Produkt Zielorgan

Corticotrop 15–20% ACTH-Lipotropin

NebenniereAdipozytenMelanozyten

Thyrotrop 3–5% TSH Schilddrüse

Gonadotrop 10–15% LH, FSH Gonaden

Somatotrop 40–50% GH alle Gewebe, Leber, Knochen

Lactotrop 10–15% PRL Brustdrüse,Gonaden

Folliculo-Stellarzellen 10–20% Cytokine,Wachstumsfaktoren

Hormon sezernierende Zellen der Adenohypophyse

. Abb. 27.2. Vasculäre und neurale Verbindungen zwischen Hypothalamus und Hypophyse. Fast das gesamte Blut, das den Hypophysenvorderlappen erreicht, muss zuerst das Gebiet der Emi-nentia mediana des Hypothalamus passieren. Dieses Netzwerk er-möglicht den Transport hypothalamischer regulatorischer Polypep-tide in die Hypophyse. Blut aus der Eminentia mediana fließt durch einen primären Kapillarplexus in die hypophysären Portalvenen

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846 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

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konzentrationen die ACTH-Sekretion hemmen. Neben der Hemmung durch von den peripheren Zielgeweben ge-bildete Hormone bilden einzelne Gewebe, wie z.B. die Gonaden, Proteohormone, die spezifisch auf hypophy-särer Ebene hemmend (Inhibin) oder aktivierend (Aktivin) wirken.

Darüber hinaus besteht offenbar auch zwischen Hypo-physe und Hypothalamus eine Rückkoppelungshemmung (short loop feedback).

27.1.4 Hormone des Hypophysenmittel- und -hinterlappens

Im Hypophysenmittellappen finden sich bei vielen Ver-tebraten, aber nicht beim Menschen, Hormone, die die Melaninablagerungen in den Melanozyten und damit die Pigmentierung der Haut stimulieren. Die beiden bisher charakterisierten Melanozyten stimulierenden Hormone (MSH) - und -MSH (7 Kap. 31.3.8) besitzen strukturelle Ähnlichkeit mit ACTH, einem Hormon des Hypophysen-vorderlappens (7 Kap. 27.3.1). Im Hypophysenhinterlappen finden sich die beiden Polypeptidhormone Ocytocin und Vasopressin, über deren Bedeutung bei der Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts in 7 Kapitel 28.3.2 berich-tet wird.

In Kürze

5 Das hypothalamisch-hypophysäre System ist ein komplexes neuroendokrines Regelwerk. Seine Kom-munikation erfolgt über releasing-Peptidhormone, die nicht kontinuierlich, sondern pulsatil in be-stimmten zeitlichen Abständen aus dem Hypothala-mus sezerniert werden

5 Unter dem spezifischen Einfluss hypothalamischer Faktoren werden aus der Hypophyse Hormone frei-gesetzt, die die Schilddrüse, die Nebennierenrinden, die männlichen oder weiblichen Geschlechtsgewe-be sowie die Leber und sekundär den Knochen be-einflussen

5 Die in diesen Erfolgsorganen gebildeten Hormone binden an oder in ihren Zielzellen Rezeptoren, deren Aufbau ein gemeinsames Strukturprinzip zu-grunde liegt

5 Über Rückkoppelungsmechanismen werden die Sys teme auf Hypophysen- bzw. Hypothalamus-ebene reguliert

. Abb. 27.3. Prinzip der Regulation des hypothalamisch-hypo-physären Systems und seiner peripheren Zielgewebe. (Einzelhei-ten 7 Text)

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27.2 Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenhormonachse

27.2.1 TRH Biosynthese, Freisetzung und Abbau

! Thyrotropin-releasing-Hormon (Thyroliberin, TRH) wird im paraventrikulären Nucleus des Hypothalamus aus einem großen Vorläuferprotein durch spezifische pro-teolytische Prozessierung und nach posttranslationaler Modifikation freigesetzt.

Hypothalamische TRH-Biosynthese und -Freisetzung. Das menschliche TRH-Gen codiert für das TRH-Prohormon (Prä-Pro-TRH), welches 6 Kopien des TRHs enthält (. Abb. 27.4). Im Lumen des endoplasmatischen Retikulums werden aus dem Pro-TRH-Protein mit Hilfe der Prohormonkon-vertasen PC1 und PC2, die an monobasischen oder diba-sischen Peptidsequenzen schneiden, 6 TRH-Vorläuferpep-tide der Sequenz Arg-Gln-His-Pro-Gly-Arg freigesetzt.

Für die Bildung des Tripeptids TRH aus dieser Sequenz sind folgende Schritte notwendig:4 Entfernung des Argininrests am N-Terminus durch die

Aminopeptidase B4 Entfernung des Argininrests am C-Terminus durch die

Carboxypeptidase E4 Bildung von Pyroglutamin aus dem N-terminalen

Glutamin mit Hilfe des Enzyms Glutaminylcyclase. Diese Modifikation schützt TRH vor zu schnellem Ab-bau durch Exopeptidasen. Ein analoger Schutzmecha-nismus findet sich auch bei anderen hypothalamischen Neuropeptiden, z.B. beim GnRH oder Vasopressin

4 Durch das Enzym Peptidylglycin-α-Monooxygenase (PAM) erfolgt eine Modifikation am C-Terminus. Die beiden enzymatischen Aktivitäten der PAM katalysie-ren durch eine α-Monooxygenase-Aktivität unter Sau-erstoffverbrauch und Reduktion die Hydroxylierung des N-terminalen Glycins zum α-Hydroxyglycin. Mit der zweiten enzymatischen Aktivität, einer Peptidyl-Aminoglycolat-Lyase, wird unter Freisetzung von Gly-colat das C-terminale Prolinamid im TRH gebildet

Das jetzt biologisch aktive TRH-Neuropeptid PyroGlu-His-Pro-amid wird durch Stimulation der TRH produzie-renden, neuroendokrinen Zellen in Pulsen freigesetzt. An-schließend erfolgt der Transport über den Portalkreislauf des Hypophysenstiels zu den thyreotropen Zellen der Hy-pophyse.

Die Biosynthese und Freisetzung von TRH wird als Teil des negativen Feedbacks durch das biologisch aktive Schild-drüsenhormon T3 unterdrückt (. Abb. 27.5). Die TRH-Freisetzung weist einen Tagesrhythmus mit einem Maxi-mum in den Abendstunden und zu Beginn der Nacht auf. Die Freisetzung von TRH wird positiv durch das von Adipo-zyten gebildete Hormon Leptin (7 Kap. 16.1.3) beeinflusst, während die Neurotransmitter GABA und Noradrenalin, sowie Somatostatin und Dopamin die Biosynthese und Freisetzung hemmen. Auch Glucocorticoide inhibieren die TRH-Produk tion und Freisetzung.

Auch die Prozessierung des TRH-Vorläuferpeptids wird durch Leptin beeinflusst. Leptin stimuliert die Ex-

. Abb. 27.4. Das hypothalamische TSH-releasing hormon. a Struktur der mRNA des Prä-Pro-TRH. An eine am 5’-Ende gelegene, nicht translatierte Region (5’-UTR) schließt sich das Signalpeptid an. Darauf folgt die Sequenz des Pro-TRH, die insgesamt sechsmal die TRH-Vorläuferpeptide (dunkelrot) enthält. Am 3’-Ende befindet sich eine große nicht translatierte Region sowie das Poly-A-Ende. b Struk-tur des TRH. Die Spaltstelle der Thyroliberinase ist angegeben. (Wei-tere Einzelheiten 7 Text)

. Abb. 27.5. Regulation der TRH- bzw. TSH-Sekretion durch die Schilddrüsen-hormone und andere Faktoren. (Einzel-heiten 7 Text)

27.2 · Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenhormonachse

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848 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

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pression der Prohormonkonvertasen PC1 und PC2 der Furinfamilie und führt damit zu einer verstärkten TRH-Produktion. Im Gegensatz dazu löst Nahrungsentzug eine Ver ringerung der PC1- und PC2-Genexpression im para-ventrikulären Nucleus des Hypothalamus aus. Seltene Stö-rungen der endgültigen Prozessierung der TRH-Tripeptide durch Defekte der Carboxypeptidase E führen zu einer Be-einträchtigung der TRH abhängigen Regulation der Kör-pertemperatur und der Gewichtsregulation.

Hypothalamischer TRH-Abbau: TRH hat eine sehr kurze Halbwertszeit von ca. 2 Minuten. Der Abbau erfolgt durch ein hochspezifisches Enzym, welches hormonell re-guliert wird und vorwiegend auf den lactotropen Zellen der Adenophypophyse exprimiert ist. Das TRH-degradierende Ektoenzym Pyroglutamylaminopeptidase II oder Thyroli-berinase spaltet TRH unter Freisetzung des Pyroglutamyl-rests und Bildung des Histidinprolinamids und beendet somit die TRH-Wirkung (. Abb. 27.4). Auch die Regula-tion des TRH degradierenden Ektoenzyms unterliegt dem Rückkopplungsmechanismus der Schilddrüsenhormon-achse. Durch das aktive Schilddrüsenhormon Triiodthyro-nin T3 wird nämlich dessen Expression stimuliert, durch Estradiol dagegen gehemmt.

Extrahypothalamisches TRH. Außer im Hypothalamus wird TRH auch noch im Zentralnervensystem und in peri-pheren Geweben, z.B. im Pankreas, Gastrointestinaltrakt und Hoden exprimiert, wo es als neurotransmitterartige Substanz wirkt und von einem konstitutiv exprimierten zweiten TRH degradierenden Ektoenzym abgebaut werden kann, welches nicht unter der für die Hypophyse beschrie-benen hormonellen Kontrolle steht.

Im ZNS wirkt TRH über den TRH-Rezeptor II als Neu-rotransmitter und ist mit verschiedenen anderen neuroak-tiven Substanzen in Interneuronen colokalisiert. TRH beein-flusst verschiedene hypothalamische Funktionen, Anorexie, Körpertemperaturerhöhung und Unterdrückung der Flüs-sigkeitsaufnahme und aktiviert extrahypothalamische Funk-tionen, wie Schmerzempfindung, Verhaltensmuster im Sinne einer Aktivierung und antidepressiven Wirkung. Im Rü-ckenmark wirkt es excitatorisch und aktiviert sympathische Nervenbahnen, wobei die exakte physiologische und patho-physiologische Rolle dieser Wirkung noch erforscht wird.

Infobox Entdeckung des TRHTRH wurde aus den Hypothalami von ca. 1 Million Schweinen bzw. 2 Millionen (!) Schafen als erstes hypo-thalamisches neuroendokrines Peptid von Roger Guille-mins und Andrew V. Schallys Arbeitsgruppen isoliert, die dafür 1972 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Als dritte erhielt in diesem Jahr Rosalyn S. Yalow, die Pionierarbeiten durch die Entwicklung von Radioimmu-noassays für Hormone geleistet hatte, den Nobelpreis.

27.2.2 Wirkung von TRH auf die TSH-Bildung in der Adenohypophyse

! TRH stimuliert im Hypophysenvorderlappen die Biosyn-these und Sekretion des Glycoproteinhormons Thyro-tropin.

Das pulsatil freigesetzte TRH erreicht in hohen Konzentra-tionen über den Portalkreislauf des Hypophysenstiels die thyreotropen und lactotropen Zellen des Hypophysenvor-derlappens. Über die Aktivierung des TRH-Rezeptors I in thyreotropen Zellen werden Biosynthese, Glycosylierung und Sekretion des Thyrotropins oder Thyreoidea-stimu-lierenden Hormons (TSH) stimuliert (. Abb. 27.5).

Der TRH-Rezeptor I gehört in die Gruppe der G-Pro-tein-gekoppelten heptahelicalen Rezeptoren. Er wirkt über das G-Protein Gq11, wodurch die Bildung von Inositol-3-Phosphat als second messenger gesteigert wird. Dies löst eine Steigerung der intrazellulären cytosolischen Calciumkon-zentration und eine Aktivierung der Proteinkinase C aus. Außer in der Adenohypophyse wird der TRH-Rezeptor in neuroendokrinen Gehirnregionen und im autonomen Nervensystem exprimiert.

Außer dem TRH-Rezeptor I kommt ein TRH-Rezeptor II vor, der sich, was seine Bindungsaffinität oder Spezifität aufweist, nicht vom TRH-Rezeptor I unterscheidet. Er wird v.a. in neuronalen Geweben exprimiert.

Ein Fehlen von TRH bei Mensch und Tier reduziert die TSH-Biosynthese auf basale Werte und verringert seine biologische Aktivität wegen des dann veränderten Glyco-sylierungsmusters Die Stimulation der hypophysären TSH-Produktion und -sekretion in thyrotropen Hypo-physenzellen wird durch T3 reduziert, das hierfür den Schilddrüsenhormonrezeptor TR 2 benutzt. Auch in lac-totropen Zellen wird die Prolactinfreisetzung und Synthese durch TRH stimuliert.

Der TRH-Rezeptor I der thyreotropen Zellen wird in-vers zum TRH degradierenden Ektoenzym Thyroliberinase reguliert. T3 supprimiert die Expression und hypothyreote Stoffwechselbedingungen stimulieren die Expression des thyrotropen TRH-Rezeptors I, was wiederum eine Kompo-nente des negativen Feedback-Systems der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenachse darstellt.

Das unter der Einwirkung von TRH in den thyrotro-phen Zellen der Adenohypophyse produzierte und sezer-nierte Glycoproteohormon TSH besteht aus zwei Unterein-heiten (. Abb. 27.6). Diesen Aufbau zeigen auch andere hypophysäre Glycoproteohormone wie das luteinisierende Hormon, das Follikel-stimulierende Hormon oder das menschliche Chorion Gonadotropin. Die genannten Hor-mone unterscheiden sich lediglich durch ihre ß-Unterein-heit, während die α-Untereinheit für alle identisch ist.

Die -Untereinheit der hypophysären Glycoproteohor-mone wird auf Chromosom 6 in 4 Exons codiert, die TSH

-Untereinheit auf Chromosom 1 in drei Exons. Die -Un-

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27849

tereinheit enthält 92 Aminosäuren, die TSH- -Unterein-heit 110 Aminosäuren, was eine Molekularmasse von 26 kDa für das dimere TSH Protein nach Glycosylierung verschiedener Reste ergibt. Für die biologische Wirkung an den Zielorganen müssen die hypophysären Glycoproteo-hormone als glycosylierte Dimere vorliegen, da die Rezep-torinteraktion sowohl die - als auch die -Untereinheit zur Signaltransduktion erfordert (. Abb. 27.7).

Verglichen mit der sehr kurzen Halbwertszeit von TRH im Minutenbereich weist TSH eine biologische Halbwerts-zeit von ca. 50–70 Minuten auf (. Tab. 27.3). Die tägliche Sekretion von TSH liegt im Bereich von 50–200 μg und zeigt ein ausgesprochenes circadianes Profil, unterbrochen und überlagert von einzelnen pulsatilen episodischen TSH-Peaks. Die höchsten TSH-Spiegel werden am späten Abend und in der ersten Nachthälfte erreicht (. Abb. 27.8). Schlaf-entzug, Hunger sowie verschiedene pathophysiologische Konstellationen hemmen den nächtlichen TSH-Anstieg und unterbrechen auch die pulsatile Freisetzung des TSH.

Die TSH-Bestimmung im Serum ist der erste wichtige Nachweisparameter des Funktionszustands der Schilddrü-senhormonachse und erlaubt in der größten Zahl der Fälle bereits erste diagnostische Rückschlüsse. Berücksichtigt

werden muss jedoch, dass es Unterschiede zwischen immu-nologisch nachgewiesenem TSH und dem am Schilddrü-sen-TSH-Rezeptor wirksamen biologisch aktiven TSH ge-ben kann, welche u.a. vom Glycosylierungsstatus dieses Hormons abhängig sind.

Außerhalb der thyrotropen Zellen der Hypophyse wur-de keine TSH-Produktion und Sekretion gefunden. TSH

. Tabelle 27.3. Biologische Halbwertszeiten einiger mensch-licher Hormone

Hormon Anzahl Aminosäurenbzw. Molekularmasse*

Plasmahalb-wertszeit (min)

TRH 3 5

Oxytocin 9 3

Antidiuretisches Hormon

9 15

MSH 13 < 5

GnRH 10 2–5

Gastrin 17 7–8

ACTH 29 5–29

Glucagon 29 5–10

Endorphin 31 15

Calcitonin 32 3

CCK 33 2

Insulin 51 3–4

Proinsulin 86 18–25

C-Peptid 31 30

GH 200 20–30

Prolactin 199 10

TSH 28000* 60

LH 32000* 136

FSH 32000* 220

Cortisol 300* 90

Aldosteron 300* 35

T4 777* 7 Tage

T3 651* 24 h

. Abb. 27.6. Ähnlicher Aufbau der hypophysären Glycoproteohormone und des plazentaren hCG aus einer identischen α-Untereinheit und einer verwandten aber unterschiedlichen β-Untereinheit. (Einzelheiten 7 Text)

27.2 · Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenhormonachse

. Abb. 27.7. Thyrotropin Rezeptor-Thyrotropin Interaktion. Die Abbildung stellt die Bindung von TSH an den TSH-Rezeptor dar. Die Darstellung b ist im Vergleich zu der in a um 90° gedreht. Die α- und β-Kette des TSH sind blau und grün dargestellt, der TSH-Rezeptor violett und grau. Man kann deutlich erkennen, dass beide Untereinheiten des TSH an den Rezeptor binden müssen. (Mit freundlicher Genehmigung von Thyroid u. R.N. Miguel. Nach Miguel RN et al. Thy roid 2004;14:991–1011)

a b c

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850 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27produzierende Hypophysenadenome sind äußerst selten, bei denen es zur übermäßigen Produktion von TSH ohne negative Rückkopplung kommen kann. Nachgewiesen sind jedoch auch in seltenen Fällen konstitutiv aktivierende Mu-tationen des TRH-Rezeptors, welche ebenfalls zur kontinu-ierlichen und erhöhten TSH-Sekretion führen können. Auch seltene inaktivierende Mutationen des TRH-Rezep-tors sind beschrieben, bei denen die TRH-Stimulation nicht funktioniert und damit hypothyreote Stoffwechsellagen entstehen können.

Unter pathophysiologischen Bedingungen stimuliert TRH in geringem Umfang die Sekretion von Wachstums-hormon (z.B. bei Akromegalie und Diabetes mellitus) und von ACTH beim Cushing-Syndrom.

Vor kurzem wurde in den corticotrophen Zellen der Adenohypophyse ein weiteres Hypophysenglycoprotein, das Thyrostimulin entdeckt (. Abb. 27.6), welches eben-falls in der Lage ist, den TSH-Rezeptor der Schilddrüse zu aktivieren. Die biologische Relevanz dieses Hormons als mögliches backup-System zu TSH (Thryrotropin) muss noch geklärt werden. Thyrostimulin ist ein Heterodimer der Glycoproteinhormonuntereinheit 2 und der Glyco-protein 5-Untereinheit. Neben der Expression in cortico-tropen Adenohypophysenzellen wurde Thyrostimulin auch noch in Haut, Retina und Hoden gefunden.

27.2.3 TSH-regulierte Synthese und Freisetzung von Schilddrüsen-hormonen

! Der TSH-Rezeptor steuert die Schilddrüsenhormonsyn-these und Sekretion.

Das hypophysäre Glycoproteohormon TSH stimuliert in Thyrozyten der Schilddrüse die Biosynthese der Schild-drüsenhormone Tetraiodthyronin (T4) und Triiodtyronin (T3) (. Abb. 27.9). Der TSH-Rezeptor gehört zu den

GS -Protein gekoppelten heptahelicalen Rezeptoren und stimuliert vorwiegend die Produktion von cAMP durch Aktivierung der Adenylatcyclase. In geringem Umfang und bei hohen TSH-Konzentrationen wird jedoch auch der Phosphoinositol-Signalweg in Thyrozyten aktiviert. Der auf der basolateralen Zelloberfläche der Thyrozyten lokalisierte TSH-Rezeptor weist, wie die anderen Rezep-toren der Glycoproteohormonfamilie, eine sehr große Ex-trazellulärdomäne auf, die aus neun leucinreichen, repeti-tiven Sequenzen eine so genannte Hufeisenstruktur bildet und für die Bindung des intakten glycosylierten TSH ver-antwortlich ist (. Abb. 27.7). Im Gegensatz zu den ande-ren Rezeptoren dieser Familie hat der TSH-Rezeptor be-reits ohne Ligandenbindung eine gewisse Grundaktivität, die zu einer niedrigen basalen, aber messbaren Aktivie-rung der Adenylatcyclase und damit der Schilddrüsen-hormonproduktion und Freisetzung ohne TSH-Stimula-tion führt.

Der TSH-Rezeptor reguliert faktisch alle wichtigen Schritte der Schilddrüsenhormonproduktion, -Synthese und -Freisetzung und wird damit als zentraler Regulator der Schilddrüsenhormonachse angesehen.

27.2.4 Schritte des Iodstoffwechsels und der Schilddrüsenhormon-synthese

! Die Schilddrüse produziert Schilddrüsenhormone im Kolloidraum an der extrazellulären Oberfläche von Follikeln, die aus einschichtigem Thyrozytenepithel endodermalen Ursprungs gebildet werden.

Die normale Schilddrüse ist bei ausreichender Iodversor-gung beim Mann 18–25 ml, bei der Frau 15–20 ml groß. Die schmetterlingsförmig angeordneten beiden Schilddrü-senlappen sind durch einen so genannten Isthmus verbun-den und liegen vor dem Kehlkopf als tastbares, jedoch bei normaler Iodversorgung von außen nicht sichtbares Organ. Die Schilddrüse ist von einer Kapsel umgeben und eines der am stärksten durchbluteten Organe des Menschen. Die funktionelle Einheit der Schilddrüse sind die Follikel, wel-che aus einschichtigem, polarisiertem Epithel mit stark aus-geprägten tight junctions kugelförmig das so genannte Kol-loid umschließen, das aus abgelagertem Thyroglobulin besteht (. Abb. 27.10).

. Abb. 27.8. 24-Stunden-TSH-Tagesprofil der mittleren TSH-Serumkonzentration von 26 gesunden Männern. Die Blutentnah-me erfolgte in Abständen von 10 Minuten. (Mit freundlicher Genehmi-gung von Internist und G. Brabant, nach Brabant, G., Internist 1998; 39:619-622)

. Abb. 27.9. Struktur der Schilddrüsenhormone T3 und T4. Rot = zusätzliches Iodatom im T4

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27851

! Calcitonin wird in C-Zellen neuroektodermalen Ur-sprungs gebildet.

Zwischen den Follikeln oder auch Thyrozyten sind verein-zelt die Calcitonin (7 Kap. 28.6.3) produzierenden so ge-nannten C-Zellen neuroektodermalen Ursprungs eingela-gert. Thyrozyten sind endodermalen Ursprungs und entste-hen durch Ausstülpung und anschließende Wanderung der Schilddrüsenanlage aus dem endodermalen Keimblatt.

! Das in der Schilddrüse synthetisierte Thyreoglobulin und die aus ihm entstehenden Schilddrüsenhormone

Thyroxin (Tetraiodthyronin, T4) und Triiodthyronin (T3) sind die wichtigsten iodhaltigen Verbindungen im Organismus.

Da Iodid zu den Spurenelementen (7 Kap. 22.2.8) gehört, muss die Schilddrüse neben den enzymatischen Systemen zur Biosynthese der von ihr produzierten Hormone auch ein effizientes System zur spezifischen Aufnahme des Spu-renelements Iodid enthalten.

In der basolateralen Thyrozytenmembran ist der vor wenigen Jahren identifizierte Natrium-Iodid-Symporter (NIS) lokalisiert, der unter stimulatorischer Kontrolle des TSH-Rezeptors gegen einen bis zu 50-fachen Gradienten

. Abb. 27.10. Biosynthese der Schilddrüsenhormone. J– wird über den Transporter NIS in die Thyreozyten aufgenommen und konzentriert. Durch den Ionenkanal Pendrin wird Iodid ins Follikellu-men abgegeben und dort mit H2O2 in Iodonium-Ionen umgewandelt. Diese dienen der Iodierung von Tyrosylresten im Thyreoglobulin. Mit Hilfe der Thyreoperoxidase erfolgt die Kopplung iodierter Tyrosylreste im Proteinverbund des Thyroglobulins, sodass T3 und T4 modifizierte Aminosäurereste dieses Proteins darstellen. Thyreoglobulin wird von

Thyrozyten aus dem Follikellumen aufgenommen und intrazellulär lysosomal abgebaut, wobei die Schilddrüsenhormone T4 und T3 freigesetzt und anschließend sezerniert werden. Die genannten Vorgänge werden durch cAMP stimuliert, das unter dem Einfluss von TSH über einen heptahelicalen TSH-Rezeptor in der Thyrozytenmem-bran gebildet wird. TSH-R = TSH-Rezeptor; ThOx = Thyrooxidase; TPO = Thyreoperoxidase; Tg = Thyreoglobulin. (Weitere Einzelheiten 7 Text)

6

27.2 · Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenhormonachse

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852 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

Iodid aus dem Serum in die Thyrozyten zusammen mit 2 Natriumionen transportiert (. Abb. 27.10). Dieser nicht elektroneutral aktive Symporter wird durch den Natrium-gradienten betrieben, der durch die ebenfalls in der basola-teralen Zellmembran lokalisierte Na+/K+-ATPase mit Hilfe von cytosolischem ATP betrieben wird. Der Natrium-Iodid-Symporter transportiert außer Iodid andere große, voluminöse Anionen, wie z.B. Cyanat, Thiocyanat, Nitrat, was einen Teil der Erklärung negativer Auswirkungen des Rauchens auf die Schilddrüsenfunktion darstellt. Das vo-luminöse Anion Perchlorat (ClO4

–) wird nicht mehr trans-portiert und »friert« den Natrium-Iodid-Symporter NIS inhibitorisch ein. Mit Hilfe dieser Substanz kann die Iodid-aufnahme in die Schilddrüse effektiv blockiert werden. Für die Diagnostik von Schilddrüsenerkrankungen ist wichtig, dass NIS auch Pertechnat (TcO4

–) aufnimmt. Mit metasta-bilem 99-Pertechnat kann die normale Schilddrüsenfunk-tion hervorragend über das Isotopen basierte bildgebende Verfahren der Szintigraphie ermittelt werden. Pertechnat weist eine sehr kurze Halbwertszeit auf und wird nicht in Schilddrüsenhormone eingebaut, sodass es nicht zu radio-chemischen Störungen der Schilddrüsenfunktion kommt.

! Das aufgenommene Iodid wird in den Kolloidraum abgegeben.

Das aufgenommene Iodid wird schnell von den Thyrozyten über den in der apikalen Zellmembran lokalisierten Ionen-kanal Pendrin (. Abb. 27.10) in den kolloidalen Raum ab-gegeben. Möglicherweise ist auch ein apikaler Iodidtrans-porter (AIT) an dem Export des akkumulierten Iods in den Kolloidraum beteiligt. Pendrin transportiert auch Chlorid. Störungen dieses Moleküls können zur Strumabildung füh-ren. Die Expression von Pendrin wird durch einen ebenfalls in der apikalen Thyrozytenmembran lokalisierten, span-nungsabhängigen Chloridkanal ClC5 reguliert, dessen Fehlen auch zu einer Herunterregulation von Pendrin und ebenfalls zur Strumabildung führen kann.

Neben dem apikalen Export von Iodid kann es auch durch noch wenig charakterisierte Reaktionen zu einer Bil-dung von Iodlipiden (. Abb. 27.11) intrazellulär oder in der Thyrozytenmembran kommen. Das Iodolipid Iodohexade-canal und andere Metabolite ungesättigter Fettsäuren wur-den in Thyrozyten beschrieben und für die Feinregulation des Iodidhaushalts verantwortlich gemacht.

! Das Protein Thyreoglobulin ist das Synthese-, Träger- und Speicherprotein der Schilddrüsenhormone und wird als Kolloid im Follikellumen gespeichert.

Für die Biosynthese von Schilddrüsenhormonen ist neben einer ausreichenden Iodidversorgung auch die Synthese und apikale Sekretion des Schlüsselproteins der Schilddrü-senhormonbiosynthese Thyreoglobulin (Tg) erforderlich (. Abb. 27.10). Tg liegt als Dimer vor und ist mit einer Mo-lekülmasse von 2 × 330 kDa eines der größten Proteine des Menschen. Es wird über komplexe posttranslationale Pro-zessierung, Glycosylierung und Modifikation als dimeres Protein in das Kolloidlumen sezerniert.

Die Schilddrüsenhormonbiosynthese beginnt mit der Iodierung von Tyrosinresten und deren anschließender Kopplung zu Thyroninen im intakten Thyreoglobulin. Zwar kann Tg an vielen seiner Tyrosine iodiert werden, je-doch sind nur ausgewählte Tyrosinreste an der Bildung der Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3) beteiligt. Die hormonogenen Domänen des Tg sind im N- und C-Terminus lokalisiert, wobei in 3 dieser Domänen bevorzugt Thyroxin, in einer Domäne jedoch bevorzugt Triiodthyronin gebildet wird, insbesondere bei unzurei-chender Iodversorgung. Tg ist das wichtigste Protein des Follikellumens, das nach Iodierung und Bildung des Hor-mons innerhalb der Tg-Peptidkette im Kolloid abgelagert wird. Im Kolloid können Tg-Konzentrationen im Bereich von 700–1000 mg/ml entstehen und in »semisolider« Form die Schilddrüsenhormonversorgung bis zu drei Monaten ohne weitere Iodzufuhr beim Menschen sicherstellen. Nur 1% des Tg wird bei adäquater Iodversorgung pro Tag für die Hormonfreisetzung wiederverwertet.

! Die Iodierung von Tyrosylresten des Thyreoglobulins erfolgt extrazellulär im Follikellumen.

Die Iodierung von Tyrosylresten im Thyreoglobulin erfolgt in zwei Schritten (. Abb. 27.10):4 Extrazelluläre Bildung von H2O2. Für die Iodierung von

Tyrosylresten im Thyreoglobulin muss das im Kolloid-lumen vorhandene Iodid oxidiert werden. Dies ge-schieht mit Hilfe von H2O2. Seine Synthese erfolgt durch eine als Thyrooxidase (ThOx) bezeichnete NADPH-Oxidase. Diese ähnelt einem auch in Leuko-zyten vorkommenden Enzym (7 Kap. 29.3.1). ThOx ist ein integrales Membranprotein, das mit Hilfe von intra-zellulärem NADPH/H+ extrazelluläres H2O2 erzeugt

4 Iodierung von Tyrosylresten. Durch das bifunktio-nelle Hämprotein Thyreoperoxidase (TPO) wird zu-nächst Iodid auf die Stufe des Iodoniums (I+) oder des Iodradikals oxidiert. Dieses dient dann anschlie-ßend zur Iodierung von Tyrosinresten des Thyreo-globulins

. Abb. 27.11. Struktur der Iodolipide α-Iodohexadecanal (a) und 6-Iodo-5-hydroxy-8, 11, 14-eicosatrienoat-δ-lacton (b)

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27853

4 Neben der Mono- und Diiodierung von Tyrosinresten in 3- und 5-Position katalysiert die Thyreoperoxidase auch die H2O2 katalysierte Kopplung von iodierten Tyrosinresten, immer noch Träger gebunden im Tg, zu den Iodthyroninen Thyroxin oder Triiodthyronin. Der detaillierte Reaktionsmechanismus ist nicht endgültig geklärt und verläuft wahrscheinlich über Ein-Elektro-nentransfer-Reaktionen unter Bildung radikalischer Zwischenstufen der mono- oder diiodierten Tyrosin-reste. Die Kopf-Schwanz-Konjugation der iodierten Tyrosinreste unter Ausbildung einer Diphenyläther-struktur der Iodthyronine lässt im Tg die Aminosäure Dehydroalanin zurück, da ein Aromatenrest auf ein iodiertes Tyrosin übertragen wird (. Abb. 27.12)

Bei adäquater Iodidversorgung wird vorwiegend Thyroxin, bei inadäquater Iodversorgung auch Triiodthyronin an den hormonogenen Domänen des Tg-Proteins gebildet und im Kolloid abgelagert.

Da für die effektive und essentielle Schilddrüsenhor-monbiosynthese lebenslänglich eine TSH regulierte, extra-zelluläre Produktion von H2O2 erforderlich ist, hat sich auch ein antioxidatives Defensesystem gegen exzessiv gebil-detes oder bei Iodmangel nicht adäquat verbrauchtes H2O2 herausgebildet. Dieser Abbau von H2O2 erfolgt vorwiegend durch eine ebenfalls von Thyrozyten über die apikale Mem-bran sezernierte Glutathionperoxidase 3, ein Selenoenzym, welches H2O2 zu Wasser abbauen kann (7 Kap. 15.3). Die Expression dieses Schutzsystems für die Thyrozyten ist ver-mutlich der Grund dafür, dass die Schilddrüsen unter allen Körperorganen den relativ höchsten Selengehalt pro Mas-seneinheit aufweisen.

TPO ist der pharmakologische Angriffspunkt der Hem-mung der Schilddrüsenhormonbiosynthese durch Blocka-de des Hämoproteins TPO durch Thioharnstoffderivate (. Abb. 27.13). Auch nutritive Goitrogene (kropfbildende Substanzen), die z.B. in Pflanzen und Früchten von Kreuz-blütlern (z.B. Kohlarten) enthalten sind oder endokrin ak-tive Substanzen der Umwelt können die TPO-Aktivität hemmen und bei gleichzeitig bestehender unzureichender Iodversorgung zur Strumabildung (7 Kap. 27.2.9) führen.

! TSH-stimuliert wird hormonhaltiges Thyreoglobulin des Kolloids durch Mikropinozytose an der apikalen Membran in Thyrozyten aufgenommen und aus ihm werden durch komplette lysosomale Proteolyse die Schilddrüsenhormone freigesetzt.

Die Stimulation der Thyreozyten durch TSH katalysiert auch die Aufnahme von Tg aus dem Kolloidraum in die Thyreozyten durch Mikropinozytose (. Abb. 27.10). Das aufgenommene Tg wird dann in Lysosomen abgebaut. Die vollständige Proteolyse des Tg in den Lysosomen beginnt durch Einwirkung von Kathepsinen. Die dabei entstehen-den Tg-Fragmente werden anschließend durch weitere Ein-wirkung von Dipeptidyl-Peptidasen und Exopeptidasen

. Abb. 27.12. Mechanismus der durch die Thyreoperoxidase katalysierten Kopplung von iodierten Tyrosylresten im Thyreo-globulin. Mit Hilfe von H2O2 katalysiert die Thyreoperoxidase die Abstraktion von Wasserstoff an zwei benachbarten Tyrosylresten. Diese reagieren unter Bildung eines Chinol-Äther-Zwischenprodukts aus dem durch Rearrangement ein T4-Rest als modifizierte Aminosäu-re im Thyreoglobulin sowie ein Dehydroalaninrest entstehen. Tg = Thyreoglobulin; TPO = Thyreoperoxidase

27.2 · Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenhormonachse

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854 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

gespalten und dabei Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3) freigesetzt. Die meisten dieser letzten Teilschritte der Schilddrüsenhormonbiosynthese werden ebenfalls durch TSH stimuliert. T4 und T3 werden über die basolaterale Zellmembran an den Extrazellulärraum und die Blutbahn abgegeben. Der Mechanismus der Sekretion der Schilddrü-senhormone ist bisher nicht geklärt, vermutlich sind jedoch in der basolateralen Zellmembran spezifische Transport- und Exportsysteme (z.B. MCT8 oder OATP14) lokalisiert, welche diese mehrfach geladenen Aminosäurederivate über die Zellmembran abgeben.

Iodtyrosinreste des Tg, welche nicht zur Biosynthese von T4oder T3 verwendet werden, können durch das eben-falls auf der extrazellulären Kolloid orientierten Seite der apikalen Plasmamembran lokalisierte Enzym Iodtyrosin-dehalogenase (Dehal) metabolisiert werden, welches zu einer Wiedergewinnung des Iodids für die Hormonbiosyn-these führt. Insgesamt scheint sich im Laufe der Evolution der Landlebewesen ein aufwendiger, jedoch hocheffektiver, nachhaltiger Mechanismus der Akkumulation des essenti-ellen Spurenelements Iodids in der Schilddrüse entwickelt zu haben, welcher durch vielfältige Feinregulation und raf-

finierte Mechanismen dafür sorgt, dass einmal akkumu-liertes Iodid hoch angereichert in der Schilddrüse zur Hor-monbiosynthese verwendet und auch wieder verwendet wird.

Die Biosynthese der Schilddrüsenhormone beginnt be-reits in der 12. Schwangerschaftswoche, die Akkumulation von Iodid findet bereits im ersten Drittel der Schwanger-schaft in der fetalen Schilddrüse statt. Die Regulation durch den TSH-Rezeptor entwickelt sich erst im letzen Drittel der Schwangerschaft. Beim natürlichen Geburtsvorgang und in geringerem Ausmaß bei einer Sectio kommt es zu einer starken TRH-Ausschüttung beim Neugeborenen, durch welche die kindliche Schilddrüse und damit der Stoffwech-sel aktiviert werden.

27.2.5 Verteilung und Transport der Schilddrüsenhormone im Blut

! Der Transport der Schilddrüsenhormone im Plasma erfolgt wegen ihrer Hydrophobizität in Bindung an die drei Bindeproteine Thyroxin-bindendes Globulin (TBG), Transthyretin (TTR) und Albumin.

Schilddrüsenhormone sind als iodierte Aromaten sehr hy-drophob und werden nach ihrer Sekretion aus den Schild-drüsenfollikeln in die Kapillaren der Schilddrüse an Hor-monverteilungs- und Transportproteine des Bluts gebun-den. Die T4-Konzentration im Blut liegt bei ca. 110 nmol/l, die von T3 bei 2,1 nmol/l.

Pro Tag werden beim normalen Erwachsenen 130 nmol T4 pro 70 kg Körpergewicht von der Schilddrüse produziert und sezerniert, die die einzige T4-Quelle des Körpers ist. Die T3-Gesamtproduktion von Normalpersonen liegt bei 50 nmol, wobei der 60–80%, des T3 durch Deiodaseenzyme z.T. außerhalb der Schilddrüse aus T4 gebildet wird (7 u.).

Die Transport- und Verteilungsproteine für Schilddrü-senhormone haben unterschiedliche Affinität und Bin-dungskapazität für die Hormone und puffern einen Bereich von 6 Größenordnungen ab von der Konzentration des freien T4 im Blut bei 30 pmol/l bis zur Löslichkeitsgrenze von T4 die bei 2 μmol/l liegt (. Tabelle 27.4).

Das Thyroxin-bindende Globulin (TBG) ist ein von der Leber sezerniertes Glycoprotein mit einer Molekular-

. Abb. 27.13. Antithyroidale Substanzen, welche als Inhibitoren der Thyreoperoxidase wirken. MMI = Methimazol; PTU = 6-Propyl-2-Thio-Uracil; MTU = 6-Methyl-2-Thio-Uracil; CBZ = Carbimazol

Tabelle 27.4. Transportproteine für Schilddrüsenhormone

Bindungsprotein Thyroxin Triiodthyronin

KA [M–1] kd [sec–1] KA [M–1] kd [sec–1]

Thyroxin bindendes Globulin 1010 0,018 4,6 × 108 0,16

Transthyretin 7 × 107 0,1 1,4 × 107 0,7

Albumin 7 × 105 1,3 105 –

KA = Assoziationskonstante, kd = Dissoziationsgeschwindigkeitskonstante.

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masse von 54 kDa. Ungefähr 70% des T4 und 80% des T3 sind im Blut an TBG gebunden. Es gehört wie andere Hor-monbindeproteine (z.B. für Steroide) zur Gruppe der Serin-proteinase-Inhibitoren (Serpine), jedoch ist bisher keine Serinproteinase gefunden worden, die durch TBG spezi-fisch gehemmt wird. Es gibt seltene Mutationen von TBG, die zu einem partiellen oder kompletten Verlust der T4-Bindung führen. Dies hat veränderte Schilddrüsenhormon-Konzentrationen im Serum zur Folge, jedoch sind bisher keine pathophysiologischen Konsequenzen nachgewiesen worden. In der Schwangerschaft und unter Steroidhormon-Therapie (Antibaby-Pille!) steigen die TBG-Konzentra-tionen im Blut an, da der Abbau von TBG verringert wird, möglicherweise wegen eines veränderten Glycosylierungs-musters.

Transthyretin besteht aus vier identischen Unterein-heiten mit einer Masse von je 13,5 kDa. Ca. 10% von T4 und T3 sind an Transthyretin gebunden, das vorwiegend von der Leber sezerniert wird, jedoch auch vom Plexus Choroideus synthetisiert und in die Cerebrospinalflüssigkeit abgegeben wird.

Etwa 20% des T4 und 10% des T3 sind lose an Albumin gebunden. Die so gebundenen Schilddrüsenhormone ste-hen für schnellen Austausch und Aufnahme in Zielzellen der Schilddrüsenhormon-Wirkung zur Verfügung.

Gemeinsam bewirken die drei Bindeproteine, dass sich die stark hydrophoben Schilddrüsenhormone nicht in die Lipidmembran einlagern und nicht direkt mit der glomerulären Filtration verloren gehen, sondern an ihre Zielzellen verteilt werden können. Die Proteinbindung von Schilddrüsenhormonen ist auch der Grund für ihre relativ langen Halbwertszeiten. Diese liegen für T4 bei sie-ben Tagen und für T3 bei etwa einem Tag. Mehr als 99,9% des T4 im Serum sind proteingebunden und mehr als 99,5% des T3.

27.2.6 Regulierte Aufnahme, Aktivierung und Inaktivierung von Schild-drüsenhormonen in Zielzellen der Hormonwirkung

! Schilddrüsenhormone sind geladene hydrophobe Aminosäurederivate und werden von spezifischen Transportern reguliert durch die Plasmamembran der Zielzellen transportiert.

Schilddrüsenhormone sind iodierte hydrophobe Derivate der Aminosäure Tyrosin und damit bei neutralem pH des Serums geladene Moleküle. Die Alaninseitenkette bei T4 und T3 liegt als geladenes Zwitterion vor. Wegen der ortho-Iod-Substitution ist die 4 -OH-Gruppe des T4 bei neutralem pH als Phenolat dissoziiert (pKa = 6.8) und negativ gela-den. T3 liegt bei neutralem pH an der 4 -OH-Gruppe (pKa = 8.4) in undissoziierter Form vor. Somit ergibt sich, wie für andere Aminosäuren, die Notwendigkeit Schild-drüsenhormone über erleichterten oder aktiven Trans-port in Zielzellen aufzunehmen. Vor kurzem wurden die ersten Transporter für Schilddrüsenhormone identifiziert und charakterisiert. Der Monocarboxylattransporter 8 (MCT8) nimmt T3 bevorzugt vor T4 in Zellen auf und ist auch am geregelten Export von T3 beteiligt (. Abb. 27.15). Die Expression von MCT8 wurde in mehreren Geweben beschrieben, u.a. Leber, Niere, Schilddrüse, Neuronen, Fol-likulostellarzellen der Hypophyse und anderen Zelltypen. Daneben gibt es einen weiteren spezifischen Schilddrüsen-hormontransporter aus der Familie der organischen Anio-nentransportproteine: OATP1C1. Dieser transportiert so-wohl T4 als auch T3.

! T3 ist die biologisch aktive Form der Schilddrüsenhor-mone.

. Abb. 27.14. Wirkung der Deiodasen auf Thyroxin. Die 5’-Deiodasen DIO1 und DIO2 entfernen das Iod in der Position 5’ des Thyroxins und wandeln dieses in das biologisch aktive T3 um. Die 5-Deiodase DIO3 entfernt das Iod in der Position 5 und wandelt Thyroxin in reverses T3 um, das keine biologische Aktivität zeigt. (Weitere Einzelheiten 7 Text)

27.2 · Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenhormonachse

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856 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

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Für T4 sind bisher keine direkten biologischen Wirkungen nachgewiesen worden, da es im Gegensatz zum biologisch aktiven T3 nicht an die Schilddrüsenhormonrezeptoren (TR) in Zellen bindet. Da T4 durch Deiodasen (7 u.) in T3 umgewandelt werden kann, erfüllt eher es die Funktion eines Prohormons.

Der größte Teil der T3-Bildung im Körper erfolgt nicht durch direkte Hormonsynthese in der Schilddrüse sondern durch enzymatische reduktive Monodeiodierung von T4 in 5 -Position des phenolischen Rings unter Bildung des biologisch aktiven T3 (. Abb. 27.14). Zwei von unterschied-lichen Genen codierte Enzyme, katalysieren diese Reaktion in Zielzellen der Schilddrüsenhormonwirkung sowie in parenchymalen Geweben, die Typ I und die Typ II 5 -Dei-odase (DIO1 und DIO2). Der physiologische Cofaktor die-ser reduktiven Deiodierung ist bisher nicht identifiziert worden. Beide 5 -Deiodasen gehören zur Gruppe der Sele-nocystein-haltigen Enzyme und sind gewebespezifisch und entwicklungsabhängig unterschiedlich exprimiert und re-guliert. Sie zeigen auch unterschiedliche Substrataffinität und -spezifität. DIO1 ist vor allem in Leber, Niere, Schild-drüse der euthyreoten Adenohypophyse und einigen ande-ren Zellen exprimiert, weist mit einem KM-Wert von 2 μmol/l relativ niedrige Affinität für T4 auf und wird durch Schilddrüsenhormone induziert. Kohlenhydratentzug, proinflammatorische Cytokine, verschieden Pharmaka und Nahrungsinhaltsstoffe hemmen die Aktivität dieses En-zyms. Es wird angenommen, dass die DIO1 für einen Groß-

teil der Produktion des im Serum zirkulierenden T3 verant-wortlich ist, wobei die genaue Verteilung der anteiligen T3 Produktion auf die unterschiedlichen Organe noch unklar ist. Dio2 weist für T4 eine wesentlich höhere Affinität mit einem KM-Wert von 2 nmol/l auf. Die Expression dieses Enzyms wurde in Astrozyten, der hypothyreoten Adenohy-pophyse, der hypothyreoten Schilddrüse, im Muskel sowie einigen anderen Zelltypen und Organen beschrieben. Bis-her wird angenommen, dass dieses Enzym für die lokale T3-Produktion in den entsprechenden Zellen aus T4 verant-wortlich ist und nicht in größerem Umfang zum im Serum zirkulierenden T3 beiträgt. DIO2 weist eine recht kurze Halbwertszeit von weniger als einer Stunde auf, wird durch das Substrat T4 inaktiviert und durch verschiedene physio-logische und pharmakologische Agenzien in der Expres-sion verändert. Der Liganden induzierte, mit der enzyma-tischen Katalyse verbundene Abbau der DIO2 erfolgt über proteosomale Inaktivierung. Die Typ 3 5-Deiodase (DIO3) wird durch ein drittes Gen codiert und ist das wichtigste Enzym der Inaktivierung der Schilddrüsenhormone durch 5-Deiodierung am Tyrosylring. DIO3 kann Thyroxin zu reversem T3 (3,3 ,5 -Triiodthyronin, rT3) abbauen. rT3 ist biologisch inaktiv, bindet nicht an die T3-Rezeptoren, weist jedoch möglicherweise regulatorische Funktionen während der Embryonalentwicklung, der neuroglialen Migration während der ZNS-Entwicklung und als kompetitiver Inhi-bitor der DIO1 auf. Dio3 kann auch T3 unter Bildung von 3,3 -T2 abbauen, das ebenfalls weitgehend biologisch inak-

. Abb. 27.15. Molekularer Wirkungsmechanismus der Schilddrü-senhormone. Die Schilddrüsenhormone T3 und T4 werden durch die Transporter MCT 8 bzw. OATP 1C1 in die Zielzellen aufgenommen. T4 wird dort durch die 5’-Deiodasen in T3 umgewandelt. Nach Transloka-tion in den Zellkern bindet T3 an den T3-Rezeptor. Dieser wirkt entwe-

der als Homodimer oder häufiger als Heterodimer mit dem Retinoat-rezeptor RXR und bindet in dieser Form an entsprechende Enhancer-elemente der DNA. Dies führt zur veränderten Transkription entspre-chender Gene. TR = T3-Rezeptor; RXR = Retinoat-X-Rezeptor; RA = Re-tinoat. (Weitere Einzelheiten 7 Text)

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tiv zu sein scheint. Das DIO3 Enzym ist vor allem in jenen Geweben und Zellen exprimiert, die nicht auf Schilddrü-senhormone ansprechen. Es hat eine zentrale Bedeutung beim Schutz von Zellen und Organen vor inappropriater T3-Expression, was Zeitpunkt, Konzentration und Ort an-belangt. Hohe Konzentrationen der DIO3 werden in Neu-ronen, Haut, Plazenta und einigen anderen Organen gefun-den, insbesondere auch in vielen Geweben während der Embryonalentwicklung. Unter pathophysiologischen Kon-stellationen kann es zu einer »Neoexpression« der DIO3 in Leber, Herz, Schilddrüse und anderen Organen kommen, wo das Enzym beim gesunden Erwachsenen in der Regel nicht zu finden ist.

Schilddrüsenhormone sind als Phenole auch Substrate für Sulfotransferasen und Glucuronidasen. Die Konjuga-tion der Schilddrüsenhormone durch Glucuronidierung führt zur Inaktivierung unter Verlust der Rezeptorbin-dungsfähigkeit und Ausscheidung über Galle und Fäzes. Sulfotransferasekonjugation kann ebenfalls zur Elimina-tion der Schilddrüsenhormone führen. Von Bedeutung ist jedoch, dass sulfatierte Iodthyronine auch der Deiodie-rungsreaktion zugeführt werden können. T3-Sulfat ist ein wesentlich besseres Substrat für die DIO1 als unkonju-giertes T3 und wird deshalb bevorzugt durch das DIO1-Enzym durch 5-Deiodierung (!) am Tyrosylring inaktiviert. Die an der Schilddrüsenhormonkonjugation beteiligten Sulfotransferasen sind auch am Steroidhormonstoffwechsel und Xenobiotikametabolismus beteiligt.

! T3, T4 und andere Iodthyronine werden in weitere biolo-gisch aktive Substanzen umgewandelt.

In geringem Umfang erfolgt auch eine Verstoffwechselung der Schilddrüsenhormone durch Umbau und Abbau der Alaninseitenkette. Durch oxidative Decarboxylierung ent-stehen die auch im Serum nachweisbaren Schilddrüsenhor-monderivate der Tetraiodthyro-Essigsäure (TETRAC) und Triiodthyro-Essigsäure (TRIAC). Die letzteren Metabolite sind sehr kurzlebig und werden durch die Deiodaseenzyme vor ihrer Ausscheidung weiter deiodiert. Vor kurzem wurde auch beschrieben, dass durch kombinierte Decarboxylie-rung und Deiodierung Monoiodthyronamin (T1AM) und das iodfreie Thyronamin (T0AM) gebildet werden und spe-zifische Wirkungen über so genannte trace-amine associa-ted Rezeptoren (TAAR) entfalten können. In aktivierten Monozyten und Makrophagen können Schilddrüsenhor-mone auch durch Spaltung der Diphenyletherstruktur un-ter Bildung von Diiodtyrosin (DIT) und oxidativer Zer-störung des phenolischen Ringanteils abgebaut werden. Anstiege der DIT-Produktion und Konzentration im Se-rum werden z.B. bei Sepsis beobachtet. Es wird angenom-men, dass Iodid, welches bei diesem Abbauweg unter oxi-dativen Bedingungen freigesetzt wird, zur oxidativen Iodie-rung von körperfremden Proteinen verwendet werden kann, die damit »antigener« werden und der zellulären Im-munabwehr und Phagozytosereaktion zugeführt werden.

27.2.7 Zelluläre Wirkungen der Schilddrüsenhormone

! Schilddrüsenhormone wirken auf Stoffwechsel, Wachs-tum und Differenzierung sowie die Kontraktionskraft des Myokards.

Schilddrüsenhormone beeinflussen den Intermediärstoff-wechsel. Sie aktivieren die Gluconeogenese, Glycogenolyse und Liponeogenese. Die Liponeogenese wird durch Stimu-lierung des Malatenzyms, der Glucose-6-phosphat-Dehy-drogenase und der Fettsäuresynthase vermittelt. T3 wirkt auch auf den Cholesterinstoffwechsel, da ein Abfall der T3-Konzentration mit einer Erhöhung des Plasmacholeste-rinspiegels verbunden ist, sowie auf die Expression der Gene der Na+/K+-ATPase. Dieses ATP-abhängige Enzym ist für einen beträchtlichen Anteil des Sauerstoffverbrauchs der Gewebe verantwortlich. T3 stimuliert dieses Enzym-system, sodass der Sauerstoffverbrauch vieler Gewebe unter dem Einfluss von Schilddrüsenhormonen steigt. Ein Teil der bei der ATP-Spaltung freiwerdenden Energie wird in Form von Wärme frei und trägt wesentlich zur Thermoge-nese bei. T3 führt außerdem zusammen mit einer adrener-gen Stimulation von 3-Rezeptoren zu einer gesteigerten Expression des mitochondrialen Entkopplungsproteins UCP1 (7 Kap. 15.1.5) am braunen Fettgewebe.

Die Transkription der Gene für verschiedene lysoso-male Enzyme steht ebenfalls unter dem Einfluss von T3. Möglicherweise führt die verringerte Expression des Hy-aluronidasegens bei T3-Mangel zu der bei Schilddrüsenun-terfunktion auftretenden Störung des Bindegewebsstoff-wechsels (Myxödem).

T3 fördert das Wachstum zum einen über eine Stimulie-rung der Biosynthese von Wachstumshormon in der Hypo-physe (7 Kap. 27.7.1) und zum anderen über einen direkten Effekt auf den Knochen, der möglicherweise durch Poly-peptidwachstumsfaktoren (wie z.B. IGF und EGF, 7 Kap. 25.5) vermittelt wird. T3 besitzt auch eine Schlüsselfunk-tion bei Differenzierungsvorgängen wie z.B. der Hirn-entwick lung bei Neugeborenen durch Förderung der Den-dritenbildung (möglicherweise unter Vermittlung neuro-tropher Faktoren, 7 Kap. 31.4.5) und der Myelinisierung (7 Kap. 31.4.1).

T3 verringert den peripheren Gefäßwiderstand, erhöht die Kontraktilität des Herzmuskels und besitzt einen positiv chronotropen Effekt am Herzen. Die Wirkungen werden über eine Verstärkung der Aktion von Katecholaminen durch Zunahme der 1-Rezeptoren im Herzmuskel vermit-telt. Am Myokard fördert T3 weiterhin die Expression der Gene für die sarkoplasmatische Ca2+-ATPase, Na+/K+-ATP-ase sowie verschiedene Kaliumkanäle und hemmt die von Phospholamban, Adenylatcyclasen V und VI, des T3-Re-zeptors- sowie des Na+/Ca2+-Austauschers. Damit kön-nen elektrochemische und -mechanische Eigenschaften des Herzmuskels beeinflusst werden.

27.2 · Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenhormonachse

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858 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

27.2.8 Molekularer rezeptorvermittelter Wirkungsmechanismus von Schild-drüsenhormonen

! T3-bindende Schilddrüsenhormonrezeptoren werden von zwei verschiedenen Genen codiert und können die Transkription reprimieren oder stimulieren.

T3 wirkt sowohl direkt als auch permissiv auf die Genex-pression für die meisten Stoffwechselvorgänge während der Entwicklung und im erwachsenen Organismus.

Ein Großteil der Wirkung des 3,3 ,5-Triiodthyronins (T3) wird durch die Liganden regulierten Kernrezeptoren für T3 aus der c-erbA–Rezeptorfamilie vermittelt (. Abb. 27.15). Das humane Genom besitzt zwei Gene für T3-Re-zeptoren (TR), aus denen mehrere TR-Formen durch Ver-wendung unterschiedlicher Startstellen der Transkription und alternatives Spleißen der Prä-mRNAs gebildet werden können. Der Aufbau dieser T3-Rezeptoren ist vergleichbar der Modulstruktur der anderen Rezeptoren für niedermo-lekulare hydrophobe hormonell oder nutritiv regulierte Liganden. Unter den TR-Formen sind TR 1, TR 1 und TR 2 in der Lage, T3 zu binden und als Liganden regulierte Transkriptionsfaktoren die Expression Schilddrüsenhor-mon-abhängiger Gene zu modulieren. Hierbei sind sowohl repressive als auch aktivierende Mechanismen beschrieben. Die TR 2-Form und die TR 3-Form haben keine funktio-nelle Ligandenbindungsstelle, jedoch kompetieren sie um die Bindung an Schilddrüsenhormon responsive Elemente der T3 empfindlichen Gene (TRE). Von Bedeutung ist, dass auch auf dem Gegenstrang des TR -Locus auf Chromosom 17 eine verwandte Rezeptorstruktur codiert ist. Dieses so genannte rev-erbA ist ein Protoonkogen, welches keine Li-ganden bindet, aber DNA binden kann und zentral an der molekularen Regulation der zellulären Uhren und Rhyth-men beteiligt ist. Die Schilddrüsenhormonrezeptoren und ihre verwandten, nicht Liganden bindenden Formen zeigen ein spezifisches Entwicklungs-, Zell- und Funktions-ab-hängiges Expressionsmuster, aus dem sich die Empfindlich-keit der einzelnen Zellen und Gewebe für T3 ergibt.

In der Regel wirken TR als Heterodimere zusammen mit dem Retinsäurerezeptor RXR (7 Kap. 23.2.1). Die T3-hormonresponsiven Elemente in Promotoren und En-hancern (TREs) weisen eine relativ konservierte Konsensus-sequenz AGGTCA auf, die in unterschiedlicher Orien-tierung und Anordnung in der Regel in zwei Kopien organisiert ist.

Im Gegensatz zu Glucocorticoidrezeptoren (7 Kap. 27.3.6) sind TRs auch ohne Liganden im Chromatin loka-lisiert und binden dort an TREs der responsiven Gene, was in der Regel zur Repression führt. Die Ligandenbindung kann diese Repression aufheben oder gar zu einer zusätz-lichen Transkriptionsstimulation führen. Dieser neue duale Mechanismus (Repression und Stimulation) kann viele der Wirkungen von T3 während der Embryonal- und Ge-

hirnentwicklung klären, wo Genrepression zu bestimmten Entwicklungszeitpunkten in bestimmten Zellen durch sys-temische oder lokale Bildung des aktiven Liganden T3 auf-gehoben wird oder an manchen TREs und in bestimmten Zellen auch stimuliert werden kann. In manchen Genen kommt es nach T3-Bindung an TR-Rezeptoren und Bin-dung dieser Komplexe an TRE aber auch im Gegensatz zur zuvor beschriebenen Derepression und Aktivierung zu ei-ner Liganden modulierten Hemmung der Genexpression. Diese Mechanismen der Liganden modulierten Repression bestimmter Schilddrüsenhormon responsiver Gene, wie z.B. der TSH -Untereinheit sind molekular noch nicht voll-ständig bekannt. Wichtig erscheint auch, dass eine TR -Form in Mitochondrien gefunden wird und dort offen-sichtlich an der hormonell regulierten Genexpression mitochondrialer DNA beteiligt ist, wie es auch für Gluco-corticoidrezeptoren beschrieben wurde. Neben diesen TR vermittelten Schilddrüsenhormonwirkungen müssen auch direkte Effekte an der Zellmembran durch Aktivierung von Kinasekaskaden, am Ribosom durch Modulation der Trans-lationseffizienz sowie an anderen subzellulären Strukturen oder direkt Schilddrüsenhormon responsiven Proteinen berücksichtigt werden. Hier sind allosterische Effekte der Aktivitätsmodulation verschiedener Enzyme beschrieben, welche durch T3, möglicherweise aber auch durch T4 oder sogar durch rT3 hervorgerufen werden können.

! Serum-TSH Werte sind ein integrativer Marker der Funk-tion der Schilddrüsenhormonachse.

Die Serumkonzentrationen von Schilddrüsenhormonen sind nur integrale Indikatoren des Gesamtfunktionszu-stands der Schilddrüsenhormonachse, die nur begrenzte Aussagen über die lokale zelluläre T3-Konzentration und T3-Wirkung zulassen. Diese wird durch die lokal regu-lierten Hormontransporter, Deiodaseenzyme und T3-Re-zeptoren gesteuert.

Der systematische Nachweis der funktionellen Rele-vanz der Deiodaseenzyme in Zielzellen und Nichtzielzellen der Schilddrüsenhormonwirkung erschwert die Diagnostik und Beurteilung der Homöostase der Schilddrüsenhormo-nachse sowie die Interpretation der im Serum, Blut oder Körperflüssigkeiten gemessenen Schilddrüsenhormonkon-zentrationen. Es muss davon ausgegangen werden, dass durch para-, auto- und intrakrine Regulationsvorgänge in-trazellulär Schilddrüsenhormonaktivierung bzw. -inakti-vierung erfolgen kann, die nicht durch entsprechende Ver-änderungen der T3-Konzentrationen oder entsprechender weniger iodiderter Metaboliten im Plasma oder Serum re-flektiert wird. Hier wird es erforderlich sein, Organ-, Gewe-be- und zellspezifische Endpunkte der Schilddrüsenhor-monwirkung, so genannte Biomarker, zu identifizieren, welche für die organ- und gewebespezifische Schilddrüsen-hormonwirkung aussagekräftiger sein sollten als Gesamt- oder freie T3-Konzentrationsbestimmung im Serum. Diag-nostisch ist bisher die TSH-Konzentration im Serum als

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integrativer Parameter des Schilddrüsenfunktionszustands von höchster Relevanz (. Abb. 27.16), ergänzt in be-stimmten Fällen durch Bestimmung der Gesamt- oder freien T4-Konzentration sowie in Sonderfällen auch der Konzentration von TBG.

27.2.9 Pathobiochemie

! Unzureichende Iodversorgung eines Drittels der Menschheit ist eine einfach vermeidbare Ursache von verschiedenen Entwicklungsstörungen bei Kindern und Beeinträchtigungen der Stoffwechselfunktion bei Erwachsenen.

Iodmangelstruma. Inadäquate Iodversorgung der Mutter, des Kinds oder des erwachsenen Menschen führt zur Be-

einträchtigung der Schilddrüsenhormonproduktion und -freisetzung und damit zur Stimulation der hypothala-mischen TRH- und der hypophysären TSH-Produktion, um diesem Iodmangel und der unzureichenden Schilddrü-senhormonbiosynthese entgegen zu wirken. Die kontinu-ierliche Stimulation einer iodverarmten Schilddrüse stellt einen mitogenen Proliferationsreiz dar. Durch Bildung von IGF-1 und anderen für die Schilddrüse relevanten Wachs-tumsfaktoren kommt es zur Thyrozytenproliferation, Neu-bildung von Follikeln und zur Vergrößerung der Schilddrü-se oder Struma (umgangssprachlich Kropf, . Abb. 27.17). Erhöhte Zellteilung und beschleunigtes Zellwachstum der Thyrozyten sind die Basis für die Entwicklung von auto-nomen Bereichen der Schilddrüse (so genannte »heiße Knoten«), die nicht mehr unter hypothalamisch-hypophy-särer Feedbackkontrolle stehen. In diesen autonomen Ade-nomen werden somatische, konstitutiv aktivierende Muta-

. Abb. 27.16. Beziehung von TSH und freiem Thyroxin (FT4) bei verschiedenen Störungen der Schilddrüsenfunktion. Verglichen ist die Serumkonzentration an freiem T4 mit der leichter zu bestimmenden Serumkonzentration an TSH. Die Normal-bereiche sind in dunklerem Grün unterlegt. NTI = schwere nicht-thyreoidale Allgemein-erkrankung; TSHom = TSH sezerniernder Hypophysen tumor. Schraffierte Bereiche geben die Referenzbereiche für TSH und freies T4 an. (Mit freundlicher Genehmigung von Thyroid. Modifiziert nach Baloch Z. et al. Thyroid 2003; 13:3-126)

Infobox IodmangelstrumaDer römische Satiriker Juvenal hat bereits im 1. nach- christlichen Jahrhundert einen Beitrag zur Epidemiologie des Kropfs publiziert: »Quis tumidum guttur miratur in alpibus?« (13.Sat., Vers. 162). Das heißt »Wer wundert sich schon über einen Kropf in den Alpen?« und er meinte damit die Iodmangelstruma.

Das deutsche Wort »Kropf« ist uralt und bedeutet »Auswuchs am Hals von Mensch und Tier«, man denke zum Beispiel an die Kropftaube.

Die Schilddrüse hat nicht die entfernteste Ähnlich-keit mit einem Schild und sollte korrekt Schildknorpel-drüse genannt werden, denn ihr Name geht lediglich auf die enge topographische Nachbarschaft zum Schild-knorpel (Cartilago thyreoidea) des Kehlkopfs zurück. »Thyreos« stammt aus der Odyssee und bezeichnet eine Steinplatte zum Verschluss eines Höhleneingangs bzw. auch die Tür eines Hauses. Beides diente im Notfall oft als Schild.

27.2 · Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenhormonachse

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860 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

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tionen des TSH-Rezeptors oder des Gs-Proteins gefunden. Die Bildung von Adenomen und in Iodmangelregionen vorwiegend auftretenden follikulären Schilddrüsenkarzi-nomen kann als Konsequenz erfolgen. Iodmangel indu-zierte Schilddrüsenfehlfunktionen sind weltweit noch im-mer die wichtigste Ursache vermeidbarer Entwicklungsstö-rungen, Beeinträchtigungen der Intelligenzentwicklung und verschiedener schilddrüsenhormonabhängiger Stoff-wechselstörungen bei Kindern und Erwachsenen.

! Stimulierende Autoantikörper gegen den TSH-Rezeptor lösen eine Schilddrüsenüberfunktion aus.

Hyperthyreose. Pathophysiologisch relevant ist, dass der TSH-Rezeptor auch das Ziel von Schilddrüsenautoantikör-pern ist. Die durch sie ausgelöste Erkrankung wird auch als Morbus Basedow (engl. Graves’ disease) bezeichnet. Das pathogenetische Prinzip der Erkrankung sind Autoantikör-per, die den TSH-Rezeptor stimulieren. Dadurch wird ver-mehrt Schilddrüsenhormon produziert und sezerniert. Da unter dieser Konstellation die Funktion der TSH-Rezepto-ren durch das fehlregulierte Immunsystem nicht mehr un-ter der negativen Rückkopplungskontrolle der Hypothala-mus-Hypophysenachse steht, kommt es zur Hyperthyreose mit allen schwerwiegenden Folgen. Klinisches Zeichen der Überfunktion sind Tachykardie, Nervosität, vermehrte Schwitzneigung, Wärmeintoleranz und Gewichtsverlust. Bei Patienten mit Hyperthyreose treten Tachykardie, ver-größerte Blutdruckamplitude und vermehrtes Herzzeitvo-lumen auf. Dem liegt eine erhöhte adrenerge Aktivität des Myokards bei normalen Plasma-Katecholaminspiegeln zu-grunde. Ursache dafür sind Änderungen der Expression der Gene für 1-Rezeptoren, Adenylatcyclasen etc. Die Therapie erfolgt entweder mit Substanzen, welche die TPO-

katalysierte Schilddrüsenhormonsynthese blockieren (Thyrostatika), durch chirurgische komplette Entfernung der Schilddrüse oder Zerstörung der Schilddrüse durch Gabe von radioaktivem Iodid. Eine direkte Hemmung der Produktion der TSH-Rezeptor stimulierenden Autoanti-körper ist bisher nicht gelungen.

Durch die kontinuierliche Stimulation des TSH-Rezep-tors durch die Autoantikörper wird nicht nur die Biosyn-these von Schilddrüsenhormonen stimuliert, sondern auch durch den Phosphoinositol-Signalweg Wachstum und Pro-liferation der Thyrozyten. Deswegen kommt es trotz Schild-drüsenüberfunktion zur Bildung eines Kropfs (Struma). Da TSH-Rezeptoren auch im dermalen und retroorbitalen Bindegewebe vorkommen, findet sich beim Morbus Base-dow auch eine Störung der Glycosaminglykan-Produktion sowie eine Proliferation der retroorbitalen Fibroblasten und Fettzellen mit Raumforderung, die zum klinisch schwie-rigen und schwer therapierbaren Bild des endokrinen Exophthalmus führt.

! Blockierende TSH-Autoantikörper führen zur Zerstö-rung der Schilddrüse.

Hypothyreose. Beim Morbus Hashimoto kommt es zur Bildung von blockierenden Antikörpern gegen die TSH-Rezeptoren, sodass die Schilddrüsenhormonproduktion abnimmt. Darüber hinaus führt diese Autoimmunerkran-kung zur langsamen aber kontinuierlichen zytotoxischen Zerstörung der Thyrozyten unter Fibrosierung des Gewe-bes, sodass es im Laufe der Zeit zu einem kompletten Ver-lust funktioneller Thyrozyten und Follikelstrukturen des Organs mit der Folge der durch synthetische Schilddrüsen-hormone behandlungspflichtigen Hypothyreose kommt. Diese Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse treten prinzipiell in allen Lebensphasen auf, sind jedoch am häu-figsten bei Frauen im geschlechtsreifen Alter zu beobachten (wie die meisten anderen Autoimmunerkrankungen). Die Ursachen für diese geschlechtsspezifischen Unterschiede sind bisher nicht geklärt. Es gibt jedoch Hinweise, dass die Östrogenspiegel der geschlechtsreifen Frauen durch Akti-vierung der induzierbaren NO-Synthase in Antigen präsen-tierenden Zellen zu einer fehlerhaften Überaktivierung des Immunsystems führen, die auch körpereigene Antigene er-fasst.

! Angeborene Hypothyreosen kommen bei 1 auf 3500 Neugeborenen vor und werden durch ein weltweit obligatorisches neonatales TSH-Screening in einem Blutstropfen nachgewiesen.

Die Entwicklung der Schilddrüse erfolgt im ersten Drittel der Schwangerschaft. Dazu ist die kombinierte und sequen-ziell organisierte Expression von mindestens vier Trans-kriptionsfaktoren erforderlich. Störungen der Expression oder Mutation in diesen vier Transkriptionsfaktoren (TTF1, PAX8, NKX2.1 und HEX) führen zu beeinträchtigter Or-ganentwicklung oder Hormonsynthese oder zum kom-

. Abb. 27.17. Patientin mit iodmangelbedingtem Kropf. (Aus: Der Internist (1998):8 Titelseite)

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pletten Ausfall der Organentwicklung. Eines von 3500 Neugeborenen weltweit weist eine Störung oder komplettes Fehlen der Schilddrüsenanlage oder -funktion auf. Im Rahmen des obligatorischen Neugeborenen-Screenings auf erhöhtes TSH im Blut können diese Säuglinge identifi-ziert werden und müssen innerhalb der ersten zwei Lebens-wochen einer T4-Substitutionstherapie zugeführt werden. Diese muss lebenslänglich aufrechterhalten werden, um normale körperliche und geistige Entwicklung und Stoff-wechselfunktionen sicher zu stellen. Während der Schwan-gerschaft kann das mütterliche Schilddrüsenhormon T4 die normale körperliche und geistige Entwicklung des Embryonen und Fetus ermöglichen, natürlich nur unter der Voraussetzung, dass die mütterliche Schilddrüsenfunk-tion normal ist.

! Störungen der »nachhaltigen Bewirtschaftung« des essentiellen Spurenelements Iod in Schilddrüsenfolli-keln können zur angeborenen Hypothyreose, zu Strumabildung und zu Schilddrüsentumoren führen.

Störungen der Funktion oder Expression einzelner Kompo-nenten der Schilddrüsenhormonbiosynthese führen in der Regel zur Hypothyreose und Strumabildung. Dies ist jeden-falls für die seltenen Mutationen von Tg, TPO, Thox und Dehal sowie TSH-Rezeptor beschrieben worden.

! Funktionsstörungen der Deiodase-Selenoenzyme haben starke Auswirkungen auf die Schilddrüsenhor-monhomöostase und die Bildung des hormonell ak-tiven T3.

Funktionsstörungen der drei Deiodase-Enzyme wirken sich unterschiedlich auf die Homöostase der Schilddrü-senhormone aus. Eine Überexpression der DIO2 in Meso-theliomen (gutartige Tumoren der Pleura) und bei Schild-drüsenkarzinomen kann zur erhöhten T3-Bildung und

Sekretion in die Zirkulation beitragen, wodurch eine hyperthyreote Stoffwechsellage entstehen kann. Diese Tumoren sind sehr selten. Die Überexpression des Schild-drüsenhormon inaktivierenden DIO3 wurde bei kind-lichen Hämangiomen beschrieben (gutartige Gefäßge-schwulste). Hier kann es durch die teilweise extrem hohe Inaktivierungskapazität der DIO3 zu einer so genannten konsumtiven Hypothyreose kommen, bei der sämtliche Schilddrüsenhormone abgebaut werden. Über- oder Un-terexpression der DIO1 auf Grund von Erkrankungen wurde nicht beschrieben, jedoch ist bekannt, dass bei schweren Allgemeinerkrankungen, Kohlenhydratentzug, nach chirurgischen Eingriffen sowie bei Ausschüttung proinflammatorischer Cytokine die Aktivität der DIO1 gehemmt und die der DIO3 stimuliert werden kann, so-dass es zu einem starken Abfall der Serum-T3-Spiegel, Anstieg von reversem T3 bei normalem bis erniedrigtem T4 und teilweise nicht verändertem TSH kommen kann. Diese Konstellation wird als das so genannte Nieder-T3-Syndrom oder NTI (non thyroidal illness) oder ESS Syn-drom (euthyroid sick syndrome) bezeichnet. Es wird davon ausgegangen, dass dies eine adaptive protektive Schutzre-aktion des Körpers bei derartigen pathophysiologischen Stoffwechselveränderungen und Erkrankungen darstellt, weil T3-abhängige Stoffwechselprozesse heruntergefahren werden. Auch globale Störungen der Selenoproteinbio-synthese wirken sich auf die Deiodaseexpression und Funktion aus. So haben Mutationen des Selencysteinbin-deproteins 2 (SBP2), eines Schlüsselproteins der kontrans-lationalen Selenoproteinbiosynthese und des Einbaus am Ribosom zur Folge, dass insbesondere die DIO2-Aktivität beeinträchtigt ist, die Schilddrüsenhormonökonomie ne-gativ beeinflusst wird und betroffene Kinder Wachstums- und Gedeihstörungen sowie verzögerten Pubertätseintritt zeigen.

In Kürze

5 Die Biosynthese der Schilddrüsenhormone wird durch das hypothalamisch-hypophysäre System reguliert. Es besteht aus dem hypothalamischen TRH und dem hy-pophysären TSH, deren Biosynthese und Sekretion durch ein komplexes System aus stimulierenden und inhibierenden Faktoren gesteuert wird

5 Die Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Triiodthy-ronin (T3) sind iodierte Verbindungen, deren Biosyn-these durch Iodierung von Tyrosylresten des Proteins Thyreoglobulin mit anschließender Kopplung noch im Proteinverbund erfolgt

5 Die freien Hormone T4 und T3 werden durch Proteolyse aus Thyreoglobulin freigesetzt

5 Im Blutplasma werden die Schilddrüsenhormone in Bindung an Proteine transportiert. Aus dem als Prohor-mon dienenden T4 wird das biologisch aktive T3 durch intrazelluläre Deiodasen gebildet

5 Die Rezeptoren für T3 gehören zur Klasse der liganden-aktivierten Transkriptionsfaktoren. Sie beeinflussen In-termediärstoffwechsel, Wachstum und Differenzierung. Ein spezielles Zielorgan stellt das Myokard dar

5 Iodmangel führt über eine vermehrte TSH-Sekretion zur Struma. Auto-Antikörper gegen den TSH-Rezeptor können diesen stimulieren oder blockieren und zu ei-ner Hyper- oder Hypothyreose führen

27.2 · Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsenhormonachse

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862 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

27.3 Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-(Zona fasciculata-)Achse

27.3.1 Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse

! CRH besitzt eine Schlüsselfunktion bei der Stressant-wort.

Die Regulation der corticotropen Zellen der Hypophyse durch den Hypothalamus erfolgt durch das Corticotropin-releasing-Hormon (CRH), ein am C-Terminus amidiertes Polypeptid. Auch CRH entsteht durch proteolytische Pro-zessierung eines Prohormons (. Abb. 27.18). Dieses zeigt strukturelle Ähnlichkeiten mit den Proopiomelanocortin- (7 Kap. 31.3.8) und Arginin-Vasopressin-Neurophysin-II-Vorstufen (7 Kap. 28.3.2), was für die Existenz einer ge-meinsamen phylogenetischen Vorstufe spricht.

CRH ist ein wichtiger Bestandteil der Stressantwort. Bei dieser Reaktion, die auch als allgemeines Adaptations-syndrom bezeichnet wird, handelt es sich um ein stereo-

typisches Muster physiologischer Reaktionen, die sich im gesamten Säugetierreich finden. Die Aktivierung des Stress-systems erhöht die Aufmerksamkeit, die Muskelreflexe und die Konzentration, senkt Appetit und sexuelle Erregbarkeit und erhöht die Schmerzschwelle. Die Stressantwort wird durch das Gehirn vermittelt und integriert. Dabei haben das hypothalamisch-hypophysäre Nebennierenrinden-(NNR-)System und das sympathische Nervensystem eine Schlüsselfunktion. Die Verabreichung von CRH in den Hirnventrikel von Versuchstieren führt zu Verhaltensände-rungen sowie kardiovaskulären und Stoffwechselände-rungen, die große Ähnlichkeiten mit der Stressantwort aufweisen.

CRH wird in den parvozellulären Neuronen des Nucle-us paraventricularis (. Abb. 27.1) gebildet. Daneben kön-nen CRH und seine beiden CRH-Rezeptoren auch in ver-schiedenen Teilen des limbischen Systems und in Hirnare-alen, die die Verbindung zum sympathischen Nervensystem herstellen, nachgewiesen werden (. Abb. 27.19). Die Re-zeptoren kommen darüber hinaus noch in weiteren Spleiß-varianten vor, von denen z.B. der CRH-2 -Rezeptor für Nahrungsaufnahme und Abwehrverhalten verantwortlich

. Abb. 27.19. CRH-immunoreaktive Zellen im Rattenhirn (grünhervorgehoben). Die wesentlichen Fasern, die den Hypophysenvorder-lappen regulieren, entstehen aus dem Nucleus paraventricularis (NP), jedoch gibt es auch andere CRH-positive Regionen, insbesondere um den Hypothalamus herum. A1 und A5 = noradrenerge Zellgruppen 1 bzw. 5; NST = Nucleus der Stria terminalis; CC = Corpus callosum; NCA = Nucleus centralis (Amygdala); ZGS = zentrale graue Substanz;

NRD = Nucleus raphes dorsalis; NDV = Nucleus dorsalis n. vagi; HIP = Hippocampus; LC = Locus coeruleus; LTN = lateraler tegmentaler Nucleus; LZH = laterale Zone des Hypothalamus; EM = Eminentia mediana; THAL = Thalamuskerne der Mittellinie; NPM = Nucleus praeopticus medialis; MVM = Nucleus vestibularis medialis; NP = Nuc-leus parabrachialis; NO = Nucleus n. oculomotorii; HHL = Hypophysen-hinterlappen; SEPT = Septumregion; SI = Substantia innominata

. Abb. 27.18. Präpro-Hormonstruktur des CRH. Die CRH-Sequenz am C-Terminus ist violett hervorgehoben

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27863

ist. CRH und noradrenerge Neurone innervieren und sti-mulieren sich gegenseitig. Die Aktivität des hypothala-mischen CRH-Neurons wird durch mindestens zwei Sti-mulusarten reguliert, von denen eine stressinduziert ist und die andere einem biologischen Rhythmus folgt, der für die circadiane ACTH- und Cortisolsekretion (7 u.) verant-wortlich ist.

! ACTH entsteht durch Proteolyse aus dem Prohormon Pro-Opiomelanocortin.

Adrenocorticotropes Hormon (ACTH, Corticotropin) wird in den basophilen Zellen der Hypophyse synthetisiert und in Sekretgranula gespeichert. Die Biosynthese erfolgt über ein hochmolekulares Prohormon, das Pro-Opiomelanocortin (POMC), das auch die Information für die opioiden Peptide

-Endorphin, -Lipotropin und - und -MSH enthält (7 Kap. 31.3.8). Die proteolytische Prozessierung des Prohor-mons erfolgt durch Prohormonconvertasen (PC) der Furin-familie in Regionen, die sich durch die Aufeinanderfolge von Aminosäuren mit basischer Seitenkette (Lysin, Arginin) aus-zeichnen. Außer CRH sind auch noch andere Hormone wie z.B. Arginin-Vasopressin, Cholecystokinin und die Katecho-lamine an der basalen oder stressinduzierten Sekretion des ACTH beteiligt. ACTH besteht aus 39 Aminosäuren, von denen die 24 N-terminalen für die biologische Aktivität ver-antwortlich sind. Für Diagnostik und Therapie wird deshalb ein chemisch synthetisiertes Polypeptid verwendet, das nur diese Aminosäuren enthält. -Endorphin und die anderen Peptide können mit ACTH cosezerniert werden. Die Nach-lieferung von ACTH erfolgt über eine Stimulierung der Transkription des POMC-Gens durch CRH.

! CRH und ACTH werden pulsatil sezerniert.

Die menschliche Hypophyse enthält etwa 250 μg ACTH, von denen täglich etwa 10 bis 20% sezerniert werden. Die Halbwertszeit des Hormons im Plasma beträgt 20 bis 25 Minuten. Der gesunde, nicht gestresste Mensch hat jeden Tag etwa 7 bis 10 kurz andauernde Perioden, in denen es zu einer vermehrten ACTH-Sekretion kommt. Der Großteil dieser Sekretionsperioden tritt in den frühen Morgenstun-den auf und ist für den morgendlichen Plasma-Cortisolan-stieg verantwortlich (. Abb. 27.20). Der kurzdauernde An-stieg der ACTH-Sekretion ist seinerseits durch kurzfristige Anstiege der CRH-Konzentration im hypophysären Portal-system (2–3 Stöße pro Stunde) bedingt.

27.3.2 Regulation von Hypothalamus und Hypophyse

Cortisol ist für die negative Rückkopplungshemmung ver-antwortlich: Es hemmt sowohl die CRH-Sekretion auf Hy-pothalamusebene als auch die ACTH-Biosynthese über eine Hemmung der POMC-Transkription und -Sekretion auf Hypophysenniveau.

Verschiedene Cytokine wie Interleukin-1, TNF- und Interleukin-6 oder Lipidmediatoren stimulieren das hypo-thalamisch-hypophysäre Nebennierenrindensystem auf allen drei Ebenen. Sie stellen damit eine Verbindung zwi-schen dem Stresssystem und der immunvermittelten Ent-zündung her. Auf der anderen Seite hemmt Leptin das hy-pothalamisch-hypophysäre NNR-System, wahrscheinlich über eine Hemmung der Cortisolsynthese via Leptinrezep-toren in den NNR-Zellen.

27.3.3 Hormone der Zona fasciculata der Nebennierenrinde

! Cortisol leitet sich vom Cholesterin ab.

Die Wechselwirkung von ACTH mit seinem Zellmembran-rezeptor auf Zellen der Zona fasciculata führt zur Aktivie-rung der cAMP-abhängigen Proteinkinase A, die eine Cho-lesterinesterhydrolase phosphoryliert und damit aktiviert. Durch dieses Enzym wird Cholesterin aus den zahlreichen, cytosolisch gelegenen Lipidtröpfchen mobilisiert, in denen es als Ester gespeichert ist. In Steroidhormon produzie-renden Zellen ist das in den Lipidtröpfchen gespeicherte Cholesterin entweder durch Neusynthese aus Acetyl-CoA

. Abb. 27.20. Täglicher Plasma-CRH-, ACTH- und Cortisolrhyth-mus bei einem gesunden, nicht gestressten Menschen. Die Pha-sen, in denen ACTH sezerniert wird (etwa 7 bis 10 mal/24 h), treten häufig in den frühen Morgenstunden auf. Die entsprechende Cortisol-ausscheidung zu dieser Zeit führt als Folge der relativ langen Plasma-halbwertszeit des Cortisols zu einer Akkumulation und damit zu dem täglichen Cortisolanstieg am Morgen. Somit führt eine Veränderung der Frequenz der ACTH-Sekretionsstöße zu einer Modulation der Amplitude des täglichen Cortisolrhythmus. Die sekretorischen Phasen des Cortisols sind auf eine entsprechende Anzahl von Phasen zurück-zuführen, in denen CRH in das hypophysäre Portalblut sezerniert wird

27.3 · Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-(Zona fasciculata-)Achse

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864 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

entstanden oder aus low-density-Lipoproteinen (LDL, 7 Kap. 18.5.2) aufgenommen worden. Steroide produzie-rende Zellen besitzen deshalb eine höhere Anzahl an LDL-Rezeptoren als Zellen, die keine Steroide synthetisieren. Bei akuter Stimulation der Zona fasciculata durch ACTH wird die Neusynthese aus Acetyl-CoA durch Aktivierung der HMG-CoA-Reduktase erhöht (7 Kap. 18.3.3). Nach län-gerer Stimulation durch ACTH verarmen die Zellen an Cholesterin und reagieren darauf mit einer Vermehrung der LDL-Rezeptoren an der Zelloberfläche, sodass ver-mehrt Cholesterin aus dem Extrazellulärraum aufgenom-men werden kann (. Abb. 27.21).

! Die Cortisolbiosynthese ist auf zwei Zellkompartimente verteilt.

Der initiale Schritt bei der Biosynthese aller Steroidhor-mone (Glucocorticoide, Mineralocorticoide, Androgene, Östrogene, Gestagene) besteht in der Umwandlung von Cholesterin in Pregnenolon. Für diese Reaktion ist das En-zym Cholesterin-Desmolase (cytochrome P450-side chain cleavage enzyme (P450 SCC)) verantwortlich. Es ist in der mitochondrialen Innenmembran lokalisiert. Pregnenolon entsteht durch Abspaltung der Seitenkette zwischen den C-Atomen 20 und 22 des Steroidgerüsts mit Einführung einer Ketogruppe am C-Atom 20 (. Abb. 27.22). Nach sei-ner Bildung verlässt Pregnenolon die Mitochondrien und

wird durch Enzyme des endoplasmatischen Retikulums in die weiteren Zwischenprodukte der Steroidhormonbiosyn-these umgewandelt.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Produktion von Steroidhormonen vom Organismus sehr genau reguliert wird, ergibt sich die Frage nach dem geschwindigkeitsbe-stimmenden Schritt dieser Biosynthesen, der natürlich möglichst am Anfang der jeweiligen Biosynthesekette lie-gen sollte. Aufgrund sorgfältiger Analyse entsprechender Mutanten konnte schließlich ein Protein identifiziert wer-den, das diese regulatorische Funktion übernehmen kann und demzufolge als steroidogenic acute regulatory protein (StAR-Protein) bezeichnet wurde. Das StAR-Protein dient als Cholesterin-Translokator, der den Transfer des Chole-sterins aus dem Cytosol durch die äußere Mitochondrien-membran zur inneren Mitochondrienmembran katalysiert, mit der die Cholesterin-Desmolase assoziiert ist. Die Ex-pression des StAR-Proteins ist genau reguliert. Alle Fak-toren, die in den verschiedensten endokrin aktiven Gewe-ben die Produktion von Steroidhormonen stimulieren, sti-mulieren auch die Expression des StAR-Proteins. Dies trifft besonders zu für ACTH, FSH und LH (7 Kap. 27.1.2). Allen genannten Faktoren ist gemeinsam, dass sie über heptahe-licale Rezeptoren wirken, die G-Protein-vermittelt die Ade-nylatcyclase stimulieren. Tatsächlich findet sich im Promo-tor des StAR-Gens ein cAMP-responsives Element.

. Abb. 27.21. Bildung des freien Cholesterins (fCH) in der Stero-idhormon produzierenden Zelle. Die Zelle gewinnt freies Choleste-rin durch Freisetzung aus Lipoproteinen (LDL), Cholesterinestern (CE)

oder durch Biosynthese aus Acetyl-CoA in Abhängigkeit von der Dauer der Stimulierung [akut (B) oder länger anhaltend (C)]. (Einzel-heiten 7 Text)

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Nach Verlassen des Mitochondriums wird Pregneno-lon durch eine 3 -Hydroxysteroid-Dehydrogenase und Δ4,5-Ketosteroid-Isomerase in Progesteron umgewandelt (. Abb. 27.23). Durch ein weiteres spezifisches Cytochrom- P450-Enzym (P450c17) erfolgt anschließend die Hydroxy-lierung zu 17 -Hydroxyprogesteron (17α-Steroid-Hydro-xylase). Dieses Produkt wird in Stellung 21 hydroxyliert. Für die 21β-Hydroxylase existieren ein Gen und ein Pseu-dogen auf Chromosom 6 im Bereich der MHC-Gene (7 Kap. 34.2.2). Das entstehende Derivat diffundiert nun wieder in das Mitochondrium zurück, wo es durch erneute Hydroxylierung – diesmal in Stellung 11 – in Cortisol über-führt wird (11β-Steroid-Hydroxylase). Die Gene aller an der Cortisolbiosynthese beteiligten Hydroxylasen werden bei länger dauernder Stimulation durch ACTH vermehrt transkribiert. Pro Tag werden von der Zona fasciculata 5 bis 30 mg (14–84 μmol) Cortisol sezerniert.

27.3.4 Transport des Cortisols im Blut

Cortisol, das wie andere Steroidhormone auch nicht zellu-lär gespeichert sondern auf Bedarf produziert wird, wird nach Sekretion aus den Zona fasciculata-Zellen im Blut-

plasma aufgrund seiner schlechten Wasserlöslichkeit in Bindung an Transcortin, ein von der Leber sezerniertes

-Globulin, transportiert. Da Progesteron (7 Kap. 27.6.2) ebenfalls eine hohe Affinität zu diesem Bindeprotein be-sitzt, kann es Cortisol verdrängen und damit zu einem An-stieg des freien Hormons im Blut führen. Bei sehr hoher Cortisolkonzentration im Blut kommt es auch zur Bindung an Albumin.

Im Ruhezustand beträgt der radioimmunologisch be-stimmte Plasma-Cortisolspiegel 5–25 μg/100 ml (0,14–0,69 μmol/l) Plasma. Dieser Wert gilt für die morgendliche Nüchternblutabnahme (8.00 Uhr), da der Cortisolspiegel einem circadianen Rhythmus (. Abb. 27.20) unterliegt.

27.3.5 Abbau des Cortisols

Cortisol wird im Hepatozyten durch NADPH/H+-abhän-gige, enzymatische Hydrierung am Ring und durch NADH/H+- oder NADPH/H+-abhängige Hydrierung der Keto-gruppen inaktiviert. Die so entstandenen Tetrahydrover-bindungen – aber auch noch nicht hydrierte, unveränderte Steroidhormone – werden anschließend in Glucuronid- oder Sulfatester umgewandelt. Bei den 17-Hydroxyverbin-

. Abb. 27.22. Entstehung von Progesteron in den Zona fascicula-ta-Zellen der Nebennierenrinde. Nach Stimulation des ACTH-Rezep-tors und Anstieg der cAMP-Konzentration wird die Cholesterinester-hydrolase durch Phosphorylierung aktiviert. Das durch dieses Enzym freigesetzte Cholesterin wird vom StAR-Protein gebunden und durch

die äußere Mitochondrienmembran transloziert, sodass es von der in der inneren Mitochondrienmembran gelegenen Cholesterin-Desmo-lase umgesetzt werden kann. Die Reaktion benötigt O2 und reduzier-tes Ferredoxin. Als Produkte entstehen Progesteron, 4-Methylpentanal und oxidiertes Ferridoxin. (Weitere Einzelheiten 7 Text)

27.3 · Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-(Zona fasciculata-)Achse

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866 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

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dungen kann die Seitenkette abgespalten werden; es entste-hen 17-Ketosteroide, die eine zusätzliche Keto- bzw. Hydro-xygruppe am C-Atom 11 tragen. Freie und konjugierte Glucocorticoide werden über die Galle in den Darm sezer-niert und z.T. über den enterohepatischen Kreislauf reab-sorbiert, der Großteil wird in überwiegend konjugierter Form über die Nieren ausgeschieden. Da Cortisol primär in der Leber abgebaut wird, sind bei oraler therapeutischer Anwendung weitaus höhere Mengen als bei intravenöser Applikation erforderlich. Die Steroide gelangen nach ente-

raler Resorption über den Pfortaderkreislauf zuerst in die Leber und werden dort bereits z.T. inaktiviert (first pass effect).

27.3.6 Molekularer Wirkungsmechanismus des Cortisols

Nach seiner Aufnahme durch Diffusion in die Zielzelle wird Cortisol an den Cortisolrezeptor gebunden. Dieser ist ein Mitglied der Steroid/Schilddrüsenhormonrezeptor-Großfamilie. Der Rezeptor liegt in nicht-aktivierter Form in Bindung an die heatshock-Proteine HSP70 und 90 im Cytosol vor. Durch Bindung von Cortisol löst sich der Re-zeptor von diesen Proteinen, wird in den Zellkern translo-ziert und reguliert dort nach Dimerisierung die Transkrip-tion bestimmter Gene. Der Rezeptor zeigt den typischen Aufbau mit einer DNA-Bindungsregion mit Zinkfingerar-chitektur, die von einer N-terminalen, Species-spezifischen und einer C-terminalen, Liganden bindenden Region flan-kiert wird (7 Kap. 25.3.1).

27.3.7 Zelluläre Wirkungen des Cortisols

Cortisol spielt eine wichtige Rolle als Regulator des Inter-mediärstoffwechsels und als Modulator des Immunsystems. Die ubiquitäre Präsenz von Cortisolrezeptoren in praktisch allen Zellen des Organismus erklärt die Vielfalt der Wir-kungen dieses Hormons. Der Plasmacortisolspiegel unter-liegt einer circadianen Rhythmik, die durch negative Rück-kopplung auf Hypophyse und Hypothalamus reguliert wird. In welchem Zusammenhang diese Rhythmik mit der biologischen Wirkung des Cortisols steht, ist noch unklar. Auf diese Rhythmik lagern sich die stressinduzierten Cor-tisolspiegel-Erhöhungen auf, die zu einer Unterdrückung der körpereigenen Abwehrreaktionen führen. Dadurch werden offenbar ein Überschießen dieser Reaktionen und damit eine Störung der Homöostase verhindert.

Cortisol wird in bestimmten Zellen, die nicht für Cor-tisol responsiv sind, durch das Enzym 11β-Hydroxysteroid-dehydrogenase zum inaktiven Cortison abgebaut. Dieses Enzym kann durch hohe Konzentrationen des Lakritzen-inhaltsstoffes Glycirhetin gehemmt werden.

! Cortisol stimuliert die Gluconeogenese.

Synergistisch mit Glucagon und den Katecholaminen wirkt Cortisol als Gegenspieler des Insulins bei der Regulation des Plasmaglucosespiegels (. Abb. 27.24). Während erstere schnell wirken, tritt die Wirkung von Cortisol langsamer ein, da eine Transkription von Genen erforderlich ist. Seine wesentliche Aktion liegt in der Verstärkung und Verlänge-rung des durch Glucagon oder Adrenalin hervorgerufenen Blutglucoseanstiegs. Der Effekt kommt über eine Förde-rung der Gluconeogenese und Glycogenolyse in der Leber

. Abb. 27.23. Biosynthese des Cortisols in verschiedenen zellulä-ren Kompartimenten. (Einzelheiten 7 Text)

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und über die gleichzeitige Hemmung der Glucoseauf nahme und -utilisierung im peripheren Gewebe wie Fettgewebe, Fibroblasten oder Lymphozyten zustande. Daher stammt auch die Bezeichnung Glucocorticoid für Cortisol. Das Ausmaß der Hyperglykämie wird durch die Nahrungszu-fuhr und Insulin als Antagonisten des Cortisols bestimmt: so führt z.B. die Gabe synthetischer Glucocorticoide beim Nichtdiabetiker zwar zu einer Erhöhung des Nüchternblut-zuckers, der jedoch i. Allg. noch im Normbereich liegt, wo-hingegen beim Diabetiker aufgrund der eingeschränkten Insulinproduktion eine wesentlich ausgeprägtere Hyper-glykämie auftritt. Die Stimulierung der Gluconeogenese durch Cortisol erfolgt durch

4 Induktion der Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase4 vermehrte Bereitstellung von Substraten für die Gluco-

neogenese aus peripheren Geweben sowie4 eine Verstärkung der Wirkung von Adrenalin und Glu-

cagon auf die Glucoseneubildung

Durch Hemmung der Proteinbiosynthese und gleichzeitige Stimulierung der Proteolyse (über die Aktivierung von Pro-teinasen) in Muskeln, Fettgewebe und Lymphozyten kommt es zur vermehrten Freisetzung von Aminosäuren. Weiter-hin wird die Gluconeogenese durch Freisetzung von Glyce-rin aus Adipozyten (verstärkte Lipolyse) und freie Fettsäu-ren (die als Energiequelle dienen) unterstützt.

! Cortisol wirkt antiinflammatorisch.

Erhöhte Cortisolkonzentrationen führen zu einer Unter-drückung immunologischer und entzündlicher Vorgänge. Synthetische Cortisolderivate werden deshalb dann thera-peutisch eingesetzt, wenn überschießende Entzündungs- oder Abwehrreaktionen zu Schädigungen des Organismus führen. Die physiologische Bedeutung der vermehrten Cortisolsekretion in Stresssituationen (wie z.B. bei Infek-tion oder nach Operation) ist im Einzelnen noch nicht be-kannt. Möglicherweise werden damit Autoimmunprozesse (7 Kap. 34.7.3) als Reaktion auf die Freisetzung von Anti-genen bei der Zerstörung von Zellen unterdrückt. Entzünd-liche Reaktionen werden über eine Hemmung4 der Produktion von Cytokinen4 der Bewegung von Leukozyten in entzündete Gewebe

über Adhäsionsmoleküle und4 der Funktion immunkompetenter Zellen unterdrückt

So hemmen Glucocorticoide die Produktion von Pro-staglandinen durch vermehrte Bildung von Lipocortin, das die Phospholipase A2 hemmt (7 Kap. 18.1.2). Außerdem werden die Cyclooxygenase 2 (COX-2, Bildung von Plate-let-activating factor) und die NO-Synthase 2 (Bildung von Stickstoffmonoxid) gehemmt. Die Gabe von Glucocortico-iden führt zu einer Abnahme der zirkulierenden Lympho-zyten, Monozyten und Eosinophilen, die durch eine Um-verteilung dieser Zellen aus der Zirkulation in andere Kom-partimente oder den programmierten Zelltod (Apoptose, 7 Kap. 7.1.5) zustande kommt. Gleichzeitig kommt es zu einem Anstieg der polymorphkernigen Leukozyten. Die Zahl dieser Zellen (wie auch von Makrophagen und Lym-phozyten) in entzündeten Geweben ist deshalb stark redu-ziert. Glucocorticoide beeinflussen auch die Lymphozyten-funktion: so ist z.B. die klonale Antwort von T-Lympho-zyten auf einen antigenen Reiz blockiert, was über eine Hemmung der Freisetzung des autokrinen Wachstumsfak-tors Interleukin-2 zustande kommt. Außerdem wird die Bildung von γ-Interferon blockiert, sodass der T-Lympho-zyt im Rahmen der Immunantwort keine Makrophagen mehr aktivieren kann. Die Wirkung von Glucocorticoiden auf B-Lymphozyten ist wesentlich geringer ausgeprägt als

. Abb. 27.24. Stoffwechseleffekte des Cortisols. (Einzelheiten 7 Text)

27.3 · Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-(Zona fasciculata-)Achse

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868 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

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auf T-Lymphozyten: Nach Gabe von Cortisol kommt es zu einem geringen Abfall der IgG-Fraktion aufgrund einer gleichzeitig verringerten Biosynthese und eines erhöhten Abbaus. Die Reaktion von B-Lymphozyten auf Antigene ist jedoch nicht eingeschränkt. Makrophagen reagieren beson-ders empfindlich auf die inhibierende Wirkung von Gluco-corticoiden. Die Hormone verursachen eine Monozytope-nie, indem sie die Bildung von Monozyten im Knochen-mark über eine Antagonisierung von M-CSF (7 Kap. 29.4) hemmen. Durch die Hemmung der Freisetzung von γ-In-terferon aus T-Lymphozyten entfallen die Aktivierung von Makrophagen und die Expression der für die Phagozytose wichtigen Fc-Rezeptoren (7 Kap. 34.3.4). TNF- , Interleu-kin-1, Interleukin-6 und Proteinasen wie Kollagenase (MMPs), Elastase oder Plasminogenaktivator werden nicht freigesetzt.

! Cortisol wirkt auch auf viele andere Zellen.

In Fibroblasten hemmen Glucocorticoide die Bildung von Kollagen und Glucosaminoglykanen durch Hemmung der Transkription der Gene für Kollagen sowie für die wichtigen Enzyme Kollagengalactosyltransferase und -hy-droxylase, was zu Wundheilungsstörungen führen kann. Ähnliche Wirkungen treten am Knochen auf, wo u.a. auch eine Hemmung der Osteoprotegrin-Transkription (7 Kap. 24.7.6) beobachtet wird. In vitro stimulieren Glucocorti-coide die Knochen resorbierende Aktivität von Makro-phagen, den Vorläufern der Osteoklasten (was eine Erklä-rung für die bei längerer Steroidgabe auftretende Osteo-porose sein könnte). Im Nebennierenmark, das ebenfalls an der Stressantwort beteiligt ist und durch welches das die Nebennierenrinde verlassende Blut fließt, führt das Hormon zu einer Aktivierung der Phenylethanolamin-N-methyltransferase, dem Enzym, das Noradrenalin in Ad-renalin überführt. In der fetalen (jedoch nicht der erwach-senen) Lunge regulieren Glucocorticoide die Biosynthese von Surfactant.

27.3.8 Zusammenhänge zwischen hypothalamisch-hypophysärer NNR-Achse und Immunsystem

Der entzündungsbedingte Stress teilt sich dem Hypothala-mus-Hypophysen-NNR-System durch humorale Media-toren mit. Die von Makrophagen, Lymphozyten und ande-ren Zellen des Immunsystems gebildeten Cytokine TNF- , Interleukin-1 und Interleukin-6 stimulieren die Freisetzung von CRH. Sie wirken wahrscheinlich über eine Stimulie-rung des Hypothalamus, wobei noch unklar ist, wie sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden können. Möglicherweise führen diese Cytokine zur sekundären Freisetzung von Überträgerstoffen durch Endothel- oder Gliazellen, von denen die hypothalamischen CRH-Neurone stimuliert werden. In der Adenohypophyse aktivieren proinflamma-

torische Cytokine die Follikulostellarzellen, welche ihrer-seits die Sekretion aller Adenohypophysenhormone außer ACTH hemmen.

27.3.9 Synthetische Glucocorticoid-hormone

Eine Reihe synthetischer Glucocorticoidhormone ist wirksamer als Cortisol, weil sie unterschiedliche Affini-täten zu Transcortin bzw. dem cytosolischen Cortisol-Re-zeptor besitzen oder langsamer abgebaut werden. Pred-nisolon z.B. (. Abb. 27.25), das eine Doppel- statt einer Einfachbindung zwischen den C-Atomen1 und 2 besitzt, ist stärker entzündungshemmend als Cortisol. Werden beim Prednisolon ein Fluoratom in Position 9 und eine Methylgruppe am C16 eingeführt, so entsteht 9 -Fluor-16 -Methyl-Prednisolon oder Dexamethason, das nur schwach an Transcortin bindet und etwa dreißigmal wirk-samer als Cortisol ist.

. Abb. 27.25. Synthetische Glucocorticoidhormone. (Einzelheiten 7 Text)

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27.3.10 Pathobiochemie

! Ein Hypocortisolismus kann durch einen genetischen Biosynthesedefekt bedingt sein.

Charakteristisch für die Unterfunktion der Zona fascicula-ta der Nebennierenrinde ist eine chronische Erniedrigung des Plasmacortisolspiegels auf Werte, die den Bedarf des Organismus unterschreiten. Dies ist auf eine Zerstörung der Zellen der Zona fasciculata zurückzuführen (in den meisten Fällen durch Autoantikörper, 7 Kap. 34.7.3) oder auf eine nicht ausreichende Produktion von CRH bzw. ACTH. Ein Hypocortisolismus kann auch durch einen ge-netischen Defekt eines der fünf Enzyme entstehen, die für die Biosynthese aus Cholesterin verantwortlich sind. In 90–95% der Fälle dieser kongenitalen, adrenalen Hyperpla-sien liegt ein 21-Hydroxylasedefekt vor, der durch Mutati-onen auf einem der beiden 21-Hydroxylasegene verursacht wird. 17 -Hydroxyprogesteron kann deshalb nicht in 11-Desoxycortisol umgewandelt werden, aus welchem norma-lerweise im nächsten Schritt Cortisol entsteht. Damit ent-fällt die negative Rückkopplung des Endprodukts auf das hypothalamisch-hypophysäre System, sodass der Plasma-ACTH-Spiegel ansteigt. Dies führt zu einer vermehrten Stimulation der Nebennierenrinde mit Mehrproduktion und Akkumulation von Vorstufen, die vor dem nicht funk-tionierenden 21-Hydroxylierungsschritt liegen, wie z.B. 17 -Hydroxyprogesteron, Progesteron und Pregnenolon. Diese Vorstufen werden dann vermehrt zur Androgenbio-synthese (in der Zona reticularis) und zur Aldosteronsyn-these (in der Zona glomerulosa) (. Abb. 27.31) verwendet, sodass es zu einem Anstieg des Plasmaandrogenspiegels mit nachfolgenden Störungen des intrauterinen Wachs-tums und der Entwicklung kommt (adrenogenitales Syn-

drom). Bei Jungen kommt es zur frühzeitigen Pubertät, bei Mädchen zur Virilisierung.

! Ein Hypercortisolismus ist meist auf die Mehrproduk-tion von CRH oder ACTH zurückzuführen.

Charakteristisch für eine Nebennierenrindenüberfunkti-on ist die chronische Erhöhung des Plasmacortisolspiegels auf Werte, die zur Erzeugung klinischer Symptomatik (Glucoseintoleranz, Bluthochdruck, Gewichtszunahme) ausreicht. Dem Hypercortisolismus liegen i.A. Tumoren zugrunde. Zwei Drittel aller Überfunktionen sind auf die tumorbedingte Mehrproduktion von CRH im Hypothala-mus bzw. ACTH in der Hypophyse zurückzuführen, die sekundär zur vermehrten Sekretion von Cortisol führt (nach seinem Erstbeschreiber als Cushing-Syndrom be-zeichnet). Liegen ein Adenom oder Karzinom der Neben-nierenrinde vor, so kommt es sekundär zu einer vollstän-digen Unterdrückung der ACTH-Freisetzung aus der Hypophyse. Das ektopische Cushing-Syndrom ist Folge der autonomen Produktion von ACTH durch extrahypo-physäre Tumoren, die zu einer Hemmung der hypophy-sären ACTH-Sekretion und zu einer Nebennierenrinden-hyperplasie führt. Obwohl viele Tumoren beim Menschen ACTH und ähnliche (aus der Vorstufe Pro-Opiomelano-cortin entstehende Substanzen) Polypeptide produzieren, ist das Bronchialkarzinom die häufigste Ursache. Bei kli-nischem Verdacht auf Cushing-Syndrom werden Unter-suchungen des Cortisol-Tagesprofils und verschiedene Funktionstests zur Diagnose und Differentialdiagnose der einzelnen Unterformen eingesetzt. Ein Hypercortisolis-mus ohne Zeichen des Cushing-Syndroms tritt bei der familiären Glucocorticoidresistenz auf, die durch Punkt-mutationen in der Liganden bindenden Domäne des Cor-tisol-Rezeptors verursacht wird.

Infobox Morbus AddisonEs ist weitgehend unbekannt, dass der 35. Präsident der USA, John Fitzgerald Kennedy (1917–1963) an einer unheilbaren Nebennierenrindeninsuffizienz, einem Mor-bus Addison, gelitten hat. Schwächeanfälle und Krank-heitsattacken in seiner Kindheit und Jugend wurden nicht richtig diagnostiziert, erst 1947 erkannte man die Unterfunktion der Nebennierenrinde. Die Behandlung bestand in einem Ersatz der fehlenden Hormone: einer-seits erhielt er alle drei Monate eine Hormonkapsel unter die Haut implantiert, andererseits musste er täglich eine bestimmte Cortisoldosis in Tablettenform schlucken. Kennedy war zu dieser Zeit bereits aktiver Politiker im Repräsentantenhaus, daher wurde seine Krankheit ver-

harmlost und der Öffentlichkeit verfälscht dargestellt. Sein Büro erklärte, es handle sich lediglich um Anfälle von Mala-ria, an der er ja im Pazifik-Krieg erkrankt war, und stellte es als unpatriotisch hin, weiter nachzufragen. Unter allen Umständen galt es zu verhindern, dass bekannt wurde, er leide an einer chronischen, lebensbedrohlichen Erkran-kung, sei von Medikamenten abhängig und dürfte ohne ärztliche Vorbereitung keiner akuten Belastungssituation ausgesetzt werden.

Sogar im Obduktionsprotokoll des am 22. November 1963 durch Kopfschüsse ermordeten Präsidenten werden die Nebennieren nicht erwähnt. Die Familie Kennedy hatte diesbezügliche Aussagen nicht gestattet.

27.3 · Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-(Zona fasciculata-)Achse

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870 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

27.4 Hypothalamus-Hypophysen-Gonadenachse

27.4.1 Der hypothalamische GnRH-Pulsgenerator

! Die hormonelle Regulation der Gonadenfunktion bei Frau und Mann wird vom neuroendokrin aktiven hypo-thalamischen Peptid (GnRH) gesteuert, dessen pulsatile Sekretion in Amplitude und Frequenz moduliert wird.

Die GnRH-Neuronen des mediobasalen Hypothalamus (. Abb. 27.2) setzen GnRH (gonadotropin-releasing hor-mone) in das portale Gefäßnetzwerk des Hypophysenstiels frei, über das es die gonadotropen Hypophysenzellen er-reicht. Die ca. 2000 GnRH produzierenden hypothala-mischen Neurone sind eng untereinander verschaltet und über kollaterale Dendriten vernetzt. Projektionen zu den GnRH produzierenden Zellen sind in über 50 Gehirnregi-onen nachgewiesen. Damit wird der GnRH-Pulsgenerator im Hypothalamus nicht nur von internen Signalen (meta-bolischer Zustand, hormonelle Konstellation, endogene Rhythmen) sondern auch durch Einflüsse der Umgebung, die über das ZNS verarbeitet werden, beeinflusst (Umwelt, Umgebungsfaktoren wie Temperatur, Licht, Gesellschaft und sonstige emotionale Komponenten).

Das GnRH-Netzwerk – von Ernst Knobil als Pulsgene-rator bezeichnet – weist intrinsische synchronisierte Aktivi-tätsrhythmen der beteiligten Neurone auf. Die hormonelle Regulation, Synchronisation und Koordination wird über weitere benachbarte und verschaltete Neurone moduliert, teils gehemmt, teils stimuliert. Davon abhängig kommt es zur rhythmischen, pulsatilen GnRH-Freisetzung. Neben neuro-nalen und hormonellen Einflüssen wird die Aktivität des Pulsgenerators auch durch Funktion und Sekretionsprodukte der umgebenden Astrozyten und Gliazellen beeinflusst.

Das aus 10 Aminosäuren bestehende GnRH-Decapep-tid (. Tabelle 27.1) wird aus dem vom GnRH-Gen codierten 92-Aminosäuren langen Präprohormon gebildet. Über die

biologische Aktivität des ebenfalls bei diesem Prozess frei-gesetzten, vom GnRH-Gen codierten 56-Aminosäuren lan-gen GnRH assoziierten Peptid (GAP) ist wenig bekannt.

Beim Menschen und bei einigen anderen Spezies gibt es ein zweites GnRH-Gen, das jedoch in anderen Gehirn-regionen und nicht in den hypothalamischen Neuronen exprimiert wird. Die Gonadenfunktion bei Mann und Frau ist obligat von der geregelten Freisetzung von GnRH abhängig (. Abb. 27.3, . Abb. 27.26). Die pulsatile Sekre-tion von GnRH kann direkt nur im Portalkreislauf analy-siert werden, da GnRH eine sehr kurze biologische Halb-wertszeit hat (. Tabelle 27.2). Die einzelnen Pulse der Freisetzung dauern nur wenige Minuten und in der hypo-physären portalen Zirkulation können regelmäßige GnRH-Pulse im Abstand von ein bis drei Stunden gemes-sen werden, die sich dann in der Peripherie in Form von hypophysären LH-Pulsen widerspiegeln, welche gut nach-weisbar sind (7 u.).

! Amplitude und Frequenz der GnRH- und der nachge-schalteten Gonadotropin-Pulse variieren während der Lebensphasen und steuern die Produktion von Sexual-hormonen.

Störungen der pulsatilen GnRH-Sekretion und experimen-telle oder therapeutische Dauergabe von GnRH-Analoga führen zu einer Unterbrechung der Gonadotropinsekretion der Hypophysenzellen. Die Dauerapplikation von GnRH oder GnRH-Analoga führt zur Desensitivierung der hypo-physären GnRH-Rezeptoren und der nachgeschalteten Signaltransduktion. Manche Störungen der GnRH-Pro-duktion, die zu einer verzögerten oder ausbleibenden Pu-bertätsentwicklung führen, können mit pulsatiler GnRH-Anwendung behandelt werden. Andererseits kann durch Anwendung kontinuierlicher GnRH-Gabe oder lang wirk-samer GnRH-Analoga die hypophysäre Gonadotropinse-kretion blockiert werden, was bei vorzeitiger Pubertät, bei der Behandlung Gonadotropin abhängiger Erkrankungen (Prostatakarzinom) oder auch in der experimentellen Fer-tilitätskontrolle angewendet wird.

In Kürze

5 Das im Hypothalamus (und anderen Hirnarealen) aus Pro-CRH freigesetzte CRH stimuliert in der Adenohypo-physe die Freisetzung von ACTH. Auch das Peptidhor-mon ACTH entsteht aus einer Vorstufe, dem POMC. So-wohl CRH als auch ACTH werden in Stößen sezerniert

5 CRH ist wichtiger Teil der Stressantwort, wobei auch enge Beziehungen zwischen dem Stresssystem und der immunvermittelten Entzündung bestehen

5 ACTH stimuliert in der Zona fasciculata der Nebennie-renrinde die Biosynthese und Sekretion von Cortisol. Dieses Hormon entsteht in einem auf zwei Zellkom-partimente verteilten Syntheseprozess aus Cholesterin

5 Cortisol stimuliert die Gluconeogenese, wirkt antiin-flammatorisch auf Entzündungszellen und hat verschie-dene Wirkungen auf andere Zielzellen

5 Synthetische Glucocorticoidhormone finden eine breite Anwendung in der ärztlichen Praxis bei der Behandlung von z.B. Asthma oder Autoimmunerkrankungen

5 Unter- und Überfunktionen der Zona fasciculata der Ne-bennierenrinde können angeboren oder erworben sein: Enzym- oder Rezeptordefekte und Tumoren mit konse-kutiver Hormonüberproduktion stellen die häufigsten Ursachen dar

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27871

Die Aktivität der GnRH produzierenden Neurone wird auch durch Wachstumsfaktoren der benachbarten Glia-zellen und der Endothelzellen sowie Prostaglandin E2 re-guliert. Zu den lokal aktiven Faktoren der GnRH-Neuron-regulation gehören TGF , TGF sowie Inhibine der TGF -Familie und Aktivin sowie Follistatin, die ebenfalls lokal im Hypothalamus produziert und sezerniert werden (7 Kap. 27.4.2).

Vor kurzem wurde erst ein weiterer wichtiger Faktor des hypothalamischen GnRH-Pulsgeneratorsystems iden-tifiziert, Kisspeptin (. Abb. 27.26). Das Kiss1-Gen codiert ein Protein aus 145 Aminosäuren, welches durch Prohor-monkonvertasen zum Kisspeptin-54 (54 Aminosäuren) oder Metastin verkürzt wird.

Infobox KisspeptinKisspeptin wurde ursprünglich als Peptid identifiziert, welches das Wachstum von Tumormetastasen hemmt (Metastin). Die Bezeichnung für das pubertätsauslö-sende hypothalamische Hormon erinnert an die be-rühmte Schokoladenmarke Kiss aus der Heimatstadt der Entdecker dieses Peptids, Hershey, USA.

Kisspeptin stimuliert die Gonadotropinsekretion der Hy-pophyse über die Regulation der GnRH-Bildung. Kisspep-tin bindet an seinen heptahelicalen Rezeptor GPR54, der auf GnRH-Neuronen exprimiert ist.

27.4.2 Hormonelle Regulation des hypo-thalamischen GnRH-Pulsgenerators und der hypophysären Gonadotro-pinsekretion

Das hypothalamische GnRH stimuliert die Produktion und Freisetzung der hypophysären Gonadotropine Luteinisie-rendes Hormon (LH, Luteotropin) und Follikelstimulie-rendes Hormon (FSH, Follitropin) aus den gonadotropen Zellen des Hypopyhsenvorderlappens (. Abb. 27.27). So-wohl LH als auch FSH gehören wie TSH (7 Kap. 27.1.2) zur Familie der dimeren hypophysären Glycoproteinhormone, die sich nur durch ihre -Untereinheit unterscheiden, alle aber die selbe -Untereinheit benutzen.

Die Aktivität der GnRH-Neurone unterliegt verschie-denen Regulationsmechanismen, zeigt ein spezifisches Ak-tivitätsprofil nach der Geburt, eine Suppression der Aktivi-tät zwischen dem zweiten Lebensjahr und Beginn der Pu-

. Abb. 27.26. Einfluss von Kisspeptin und GnRH auf die Funktion männlicher und weiblicher Gonaden. GnRH Neuronen projizieren in die Eminentia mediana und steuern direkt die hypophysäre Sekretion der Gonadotropine FSH und LH, welche die gonadale Steroidproduk-

tion regeln. Kisspeptin stimuliert über seinen heptahelicalen Rezeptor GPR54 die GnRH-Bildung. (Weitere Einzelheiten 7 Text). (modifiziert nach Sisk CL, Forrester DL Nature Neuroscience 2004; 7:1040-1047)

27.4 · Hypothalamus-Hypophysen-Gonadenachse

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872 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

bertät, eine deutliche Aktivierung während der Pubertät und wiederum verändertes Sekretionsverhalten im erwach-senen und alternden Menschen.

! Die gonadalen Sexualsteroide und Leptin regulieren im Hypopthalamus die Expression des neuroendokrinen Peptides Kisspeptin, das über den heptahelicalen GPR54-Rezeptor den GnRH-Pulsgenerator steuert und an der Auslösung der Pubertät beteiligt ist.

Die Regulatoren der postnatal hohen Aktivität und der Sup-pression des GnRH-Pulsgenerators während der vorpuber-tären Phase sind zurzeit noch unklar. In dieser Phase wird jedoch im männlichen Kleinkind die Testosteronproduk-tion über diesen Regelkreis stimuliert. Störungen der Funk-tion des GPR54-Kisspeptin-Rezeptors führen zur verzöger-ten Pubertät und zum hypogonadotropen Hypogonadis-mus. Komplette Inaktivierung des GPR54 durch Mutationen hat die Infertilität mit niedrigen Serumspiegeln von Gona-dotropin und Sexualsteroiden sowie unterentwickelter Go-naden zur Folge. Alle anderen Körperfunktionen scheinen sich jedoch normal zu entwickeln. Der GPR54 überträgt sein Signal über Gq/G11 -Proteine und Calcium als second messenger. Kisspeptin-Genexpression wird vor allem in Nu-cleus arcuatus und im anteroventralen periventrikulären Nucleus des Hypothalamus bzw. des ZNS gefunden. Die Expression des Kiss-Gens in beiden Kernen wird durch Es-tradiol und Testosteron reguliert, wobei Testosteron seine Wirkung erst nach lokaler Umwandlung zu Estradiol durch das Enzym Aromatase (7 Kap. 27.6.2) ausüben kann. Inte-ressanterweise ist die Antwort der Sexualsteroidhormon regulierten Kiss1-Genexpression in diesen beiden Kernen genau gegensätzlich. Während die Sexualsteroide im Nuc-leus arcuatus die Kiss1-Expression hemmen, wird sie im anteroventralen periventrikulären Nucleus (AVPV) sti-muliert. Man geht davon aus, dass die Stimulation der Kiss-

Expression im AVPV-Kern an der positiven Feedback-Regulation der Gonadotropinsekretion während der präo-vulatorischen Phase des Menstruationszyklus bei Frauen beteiligt ist, während die Suppression der Kiss1-Expression im Nucleus arcuatus bei der negativen Feedback-Regulati-on postovulatorisch eine Rolle spielt (7 Kap. 27.4.2). Muta-tionen im Kisspeptidgen oder im Gen für den Rezeptor GPR-54 lösen eine verzögerte Pubertät oder sogar das Aus-bleiben der Pubertät aus. Hieraus ergibt sich, dass das Kiss-peptin/GPR-54 System eine besondere Rolle bei der Aus-lösung der zur Pubertät führenden Vorgänge spielt. Von besonderem Interesse ist, dass Kisspeptin sezernierende Neurone über Leptinrezeptoren verfügen. Da Leptin in Abhängigkeit von der Fettgewebsmasse produziert wird (7 Kap. 16.1.3), erlaubt dieser Regelkreis den Beginn der Pubertät vom Vorhandensein entsprechender Fettdepots abhängig zu machen. Dies ist besonders für den weiblichen Organismus von großer Bedeutung. Ob neben Leptin noch andere Faktoren an der Kisspeptin-Expression und Stimu-lation der Pubertät beteiligt sind, ist zurzeit unklar.

Glucocorticoide der Nebennierenrinde sowie licht- und umgebungsabhängige Signale, die über höhere Gehirnzen-tren und den suprachiasmatischen Nucleus und Vasopres-sin an Kiss positive Neurone vermittelt werden, sind weitere Modulatoren der GnRH-Bildung und -freisetzung. Die Ef-fekte von Kisspeptin und damit von GnRH sind wesentlich stärker auf die LH- als auf die FSH-Bildung, wobei jedoch Pulsfrequenz und Amplitude der GnRH-Freisetzung be-rücksichtigt werden müssen, da die LH-Produktion und -freisetzung bereits durch niedrigere GnRH-Pulskonzen-trationen gesteigert wird.

! Inhibine und Aktivine sind Cytokine der TGFβ-Superfa-milie, die die Sekretion der Gonadotropine modulieren.

Sehr komplex ist die Feinregulation der beiden Gonadotro-pine LH und FSH. Die Tatsache, dass ihre Biosynthese und Sekretion in den gonadotrophen Zellen der Hypophyse durch GnRH stimuliert wird, gibt keine Erklärung dafür, dass beide Hormone mit unterschiedlichen Geschwindig-keiten sezerniert werden und während des weiblichen Zyklus unterschiedliche Konzentrationsverläufe zeigen (7 Kap. 27.6.1). Eine Erklärung hierfür liefert die Existenz dreier zusätzlicher Cytokine, die zur TGFβ-Superfamilie gehören, den Inhibinen, Aktivinen und Follistatinen:4 Inhibine werden überwiegend von den Sertoli-Zellen

des Hodens (7 Kap. 27.5.1) und von den Granulosazel-len des Ovars freigesetzt und hemmen in der Hypophy-se spezifisch die Sekretion von FSH

4 Aktivine werden sowohl in den Sertolizellen des Ho-dens und den Follikelepithelzellen der Ovarien, aber auch in Zellen des Hypophysenvorderlappens syntheti-siert und sind Stimulatoren der FSH-Biosynthese und Sekretion

4 Follistatin hemmt die Aktivinwirkung durch hoch af-fine Aktivinbindung

. Abb. 27.27. Stimulierung der Produktion von Sexualsteroiden durch das hypothalamisch-hypophysäre System und Rückkopplungs-hemmung durch Östrogene und Inhibine. (Einzelheiten 7 Text)

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27873

Wie . Abb. 27.28 zeigt, werden Inhibine und Aktivine durch unterschiedliche Dimerisierung zweier ß-Unterein-heiten und einer α-Untereinheit erzeugt.

27.4.3 Entwicklung steroidproduzierender Gewebe: Nebenniere und Gonaden

! Alle Steroidhormone sind vom Cholesterin abgeleitet und werden in hohen Konzentrationen in bestimmten Organen auf Bedarf produziert und ohne weitere Spei-cherung sezerniert.

Die Nebennierenrinde ist das Organ, welches von der Em-bryonalentwicklung bis zum Lebensende Steroidhormone produziert (. Abb. 27.29). Die von der Zona reticularis ge-bildeten Androgene Dehydroepiandrosteron (DHEA) und Dehydroepiandrosteron-Sulfat (DHEAS) zirkulieren im Serum in der höchsten Konzentration aller Steroidhor-mone (2–20 nmol/l). Die Gonaden produzieren vorwie-gend die Sexualsteroide Östrogen, Progesteron und Andro-gene bei der Frau sowie Androgene beim Mann. Während der Schwangerschaft werden auch Steroidhormone in grö-ßerer Menge von der Plazenta produziert und sezerniert. Viele Zellen des Körpers, einschließlich der neuronalen Zellen, haben darüber hinaus die Möglichkeit, aus zirkulie-renden Androgenen oder ihren Vorläufern, insbesondere aus DHEA und DHEAS der Nebenniere, lokal weitere Ste-roidhormone zu bilden und vor allem Testosteron über Aromatase zu Östradiol oder DHEA zu Androstendion umzuwandeln. Auch wird Testosteron gewebe- und zellspe-zifisch in verschiedenen Geweben durch die 5 -Redukta-sen zum spezifischen Androgen Dihydrotestosteron meta-bolisiert.

In verschiedenen Zellen wurden auch die Enzyme der Steroidogenese nachgewiesen, sodass auch aus Cholesterin

entsprechende hormonell aktive Metabolite unabhängig von der Produktion in Nebenniere, Gonaden oder Plazenta gebildet werden können. Die lokale Produktion, Umwand-lung und auch der Abbau von Steroiden ist ein zentraler Prozess der gewebespezifischen Feinregulation der hormo-nellen Wirkung und ist für mittlerweile fast alle Aktivie-rungs- und Inaktivierungsprozesse von Steroidhormonen beschrieben worden. Insbesondere während der Embryo-nalentwicklung, der Vorgänge des Alterungsprozesses so-wie der Tumorigenese und Anpassung des Organismus an verschiedene pathophysiologische Konstellationen muss mit veränderter lokaler Aktivierung oder Inaktivierung der Steroidhormone einschließlich der Sexualsteroid-hormone gerechnet werden. Die klassische Vorstellung, dass nur Gonaden Sexualsteroide produzieren oder die klassischen hormonproduzierenden Drüsen ausschließ-liche Quelle der Steroide seien entspricht nicht mehr dem aktuellen Wissensstand. Insbesondere geben die neuen Erkenntnisse auch die Grundlage für den Einsatz von ge-webespezifischen Aktivatoren oder Inhibitoren der Stero-idhormonproduktion oder des Abbaus, was für die Be-handlung von hormonabhängigen Tumoren ebenso rele-vant ist, wie für die therapeutische Beeinflussung von Hormonstoffwechselstörungen oder gestörter Hormon-wirkung.

. Abb. 27.28. Aufbau der Inhibinfamilie und Aktivin-Familie aus Untereinheiten. Aktivine entstehen durch Kombinationen von je 2 β-Untereinheiten, Inhibine durch Kombination einer α- mit einer β-Untereinheit. Inhibine supprimieren und Aktivine stimulieren die FSH Freisetzung

. Abb. 27.29. Biosynthese von Steroidhormonen in der Neben-nierenrinde. In der Nebennierenrinde werden das Mineralocorticoid Aldosteron, das Glucocorticoid Cortisol und das Androgen Androsten-dion synthetisiert. In peripheren Geweben (Kasten) können die ange-gebenen Umwandlungen zu Testosteron, Dihydrotestosteron und Östradiol durchgeführt werden. P450 scc = Cholesterin-Desmolase; 3β-HSD = 3β-Hydoxysteroid-Dehydrogenase; 17β-HSD = 17β-Hydoxy-steroid-Dehydrogenase; P450c17 = 17α-Steroid-Hydroxylase; 5α-R = 5α-Reduktase; StAR = steroid acute regulatory protein

27.4 · Hypothalamus-Hypophysen-Gonadenachse

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874 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

In Kürze

Bei beiden Geschlechtern wird die Funktion der Gonaden durch das hypothalamisch-hypophysäre System reguliert:5 Im Hypothalamus wird pulsatil das GnRH freigesetzt.

Seine Biosynthese und Sekretion wird wird durch den hypothalamischen Pulsgenerator reguliert, der durch eine große Zahl von Verbindungen mit dem Zentral-nervensystem beeinflusst wird

5 Eine stimulierende Funktion für den hypothala-mischen Pulsgenerator hat das ebenfalls im Hypotha-lamus gebildete Hormon Kisspeptin

5 Sexualhormone, besonders Östrogene, sind für die Rückkopplung des Pulsgenerators verantwortlich

5 In der Hypophyse löst pulsatil freigesetztes GnRH eine Stimulation von Biosynthese und Sekretion der Gona-dotropine LH und FSH aus. Ihre Sekretion wird durch Sexualhormone und z.T. parakrin wirkende Inhibine und Aktivine moduliert. Auch die Sekretion der Gona-dotropine erfolgt pulsatil

5 Werden FSH- oder LH-Rezeptoren durch kontinuierliche GnRH-Gabe dauerstimuliert, tritt eine Hemmung der Gonadotropinsekretion auf, was therapeutisch ausge-nutzt wird

27.5 Zielgewebe der Gonadotropine beim Mann

27.5.1 Funktionen von Leydig- und Sertoli-zellen des Hodens

Zielgewebe der Wirkungen von FSH und LH sind die Hoden, die aus zwei funktionellen Kompartimenten be-stehen:4 dem Zwischenzellkompartiment mit den die Andro-

gene produzierenden Leydig-Zellen und4 dem Tubuli seminiferi-Kompartiment mit den Keim-

zellen und Sertoli-Zellen

Zur Vereinfachung werden die beiden in Wechselwirkung miteinander stehenden Kompartimente gesondert bespro-chen.

! LH stimuliert die Androgenbiosynthese in den Leydig-Zellen.

Die Bindung von LH an spezifische heptahelicale Membran-rezeptoren (7 Kap. 25.3.3) der Leydig-Zellen in den Testes führt zur Stimulierung der Testosteronbiosynthese (. Abb. 27.30). Wie andere Steroidhormon produzierende Zellen enthalten auch Leydig-Zellen große Mengen endoplasma-tischen Retikulums, zahlreiche Lipidtröpfchen und viele Mitochondrien. Über einen Proteinkinase A-vermittelten Effekt wird die Umwandlung von Cholesterin in Pregneno-lon (. Abb. 27.22) und nachfolgend die Biosynthese der Androgene stimuliert, die auf zwei Wegen ablaufen kann, die vom Pregnenolon bzw. Progesteron ausgehen (. Abb. 27.31). Zur Produktion von Androgenen aus 17 -Pregne-nolon muss die Seitenkette durch eine C17,20-Lyase abge-spalten werden. Das Enzym überführt 17 -Hydroxypreg-nenolon zu Dehydroepiandrosteron (DHEA) bzw. 17 -Hy-droxyprogesteron zu Androstendion. Letzteres wird durch Reduktion der 17-Ketogruppe in Testosteron umgewan-delt. DHEA wird zu 5-Androstendiol hydriert und an-schließend durch einen Dehydrogenase-Isomerase-Kom-

plex in Testosteron überführt. Dank einer Aromataseakti-vität (7 u.) können in den Leydigzellen auch Androgene in Östrogene umgewandelt werden.

Da eine fast identische Enzymausstattung für die Bio-synthese der Androgene auch in der Nebennierenrinde existiert, können auch dort Androgene gebildet werden. In der Nebennierenrinde gebildetes Dehydroepiandrosteron (DHEA) wird jedoch dort sulfatiert, in das Plasma abgege-

. Abb. 27.30. Wirkung des hypothalamisch-hypophysären Sys-tems auf Leydig- und Sertolizellen. Die Syntheseprodukte beider Zellen, Testosteron, Östrogene und Inhibin sind für die Rückkopp-lungshemmung verantwortlich

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27875

ben und nach Aufnahme in die Testes als Testosteronvor-läufer verwendet.

Beim erwachsenen Mann werden täglich 4–12 mg (im Mittel 7 mg) Testosteron sezerniert. Im Vergleich dazu wer-den von der Nebennierenrinde etwa 0,2 mg/Tag gebildet. Auch die Sekretion von Testosteron erfolgt nicht kontinu-ierlich, sondern stoßweise.

Im Sinne einer negativen Rückkopplung hemmt Tes-tosteron die LH-Freisetzung in der Hypophyse sowie die GnRH-Freisetzung im Hypothalamus.

! Prolactin moduliert die LH-Wirkung.

Prolactin potenziert die Wirkung von LH auf Leydig-Zellen und wirkt synergistisch mit Testosteron am männlichen Reproduktionstrakt und an androgenempfindlichen Ge-weben.

Die Überproduktion von Prolactin durch als Prolacti-nome bezeichnete Hypophysentumore führt zur Hem-mung der Testosteronsynthese, u.U. durch die down-Regu-lation von LH-Rezeptoren an Leydig-Zellen. Ebenso wer-den Prolactinrezeptoren an Zielgeweben down-reguliert, sodass es zur peripheren Testosteronresistenz kommt. Durch die Gabe von Testosteron kann deshalb die dabei auftretende Impotenz nicht beseitigt werden, sondern nur dann, wenn gleichzeitig die Prolactinkonzentration im Plasma durch Dopaminagonisten (wie Bromoergokryptin) gesenkt wird.

! FSH und Testosteron sind durch Stimulation der Sertoli-Zellen essentiell für die Produktion von Spermatozoen.

Für die in mehreren definierten Schritten erfolgende Um-wandlung von Spermatogonien in Spermien sind die Ser-

. Abb. 27.31. Biosynthese des Testosterons aus Pregnenolon. P450c17 = 17α-Steroid-Hydroxylase. (Einzelheiten 7 Text)

27.5 · Zielgewebe der Gonadotropine beim Mann

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876 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

toli-Zellen von ausschlaggebender Bedeutung. Sie liegen auf einer Basalmembran in den Tubuli Seminiferi und pha-gozytieren beschädigte Samenzellen, ernähren die sich ent-wickelnden Spermatozoen, produzieren Proteine, die für ihre fortschreitende Differenzierung benötigt werden, so-wie eine für die Spermienbewegung wichtige kalium- und hydrogencarbonatreiche Tubulusflüssigkeit.

Für die Aufrechterhaltung der genannten Funktionen benötigen die Sertoli-Zellen sowohl FSH als auch Testoste-ron (. Abb. 27.30):4 FSH wirkt über den FSH-Rezeptor, der zur Gruppe der

G-Protein-abhängigen Rezeptoren gehört. Der Rezep-tor stimuliert die Adenylatcyclase. Die sich anschlie-ßenden Effekte sind allerdings pleiotrop: Stimulierung der Proteinkinase A, des MAP-Kinasewegs, der PI3-Kinase sowie der Phospholipase A2 (7 Kap. 12.4.2, 18.1.2). Die genannten Signaltransduktionswege führen zu einer Änderung der Genexpression in den Sertoli-zellen, die mehr als 300 verschiedene Proteine umfasst

4 Testosteron wirkt auf Sertolizellen über den zur Super-familie der Steroidhormon-Rezeptoren gehörenden Androgenrezeptor. Die Zahl der Gene, deren Trans-kription sich spezifisch in Sertolizellen unter seinem Einfluss ändert, ist allerdings gering. Von besonderer Bedeutung ist möglicherweise das Pem-Gen, welches als Homöobox-Gen die Transkription von sertolizell-spezifischen Genen reguliert. Testosteron zeigt darüber hinaus in Sertolizellen eine Reihe von Effekten, die au-ßerordentlich rasch erfolgen und nicht durch Ände-rungen der Genexpression erklärt werden können (so genanntes Testosteron-Paradox). Zu ihnen gehört eine Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration, eine Aktivierung des MAP-Kinasewegs sowie der Ade-nylatcyclase. Die genannten Effekte sind zwar abhängig von einem intakten Androgenrezeptor, benötigen je-doch keine Änderung der Gentranskription

Damit wirken Testosteron und FSH in konzertierter Ak-tion auf das Tubulusepithel. FSH initiiert die Spermiogene-se, und Testosteron hält diesen Prozess aufrecht. Testoste-ron wirkt auf die Spermatogonien und Spermatozyten I. Ordnung durch Förderung der mitotischen und meio-tischen Teilungen. FSH ermöglicht die Reifung der Sperma-tiden zu Spermatozoen.

Dass nach Entfernung der Hoden (Orchiektomie) die FSH-Sekretion aus der Hypophyse ansteigt, spricht für die Existenz eines im Hoden gebildeten Faktors, der die Se-kretion der Gonadotropine reguliert. Dieser Faktor wurde als das oben beschriebene Inhibin identifiziert. Neben Androgenen wird in den Leydig-Zellen das Insulin-ähn-liche Protein 3 (auch als Relaxin ähnlicher Faktor oder Leydig-insulinähnliches Protein bezeichnet) gebildet. Die Inaktivierung dieses Gens in transgenen Mäusen bewirkt eine Störung des Hodendescensus und führt zum Kryp-torchismus.

Die tägliche Spermienproduktion im menschlichen Hoden wird auf 3,5–7,5 Millionen Spermien pro Gramm Testis geschätzt und ist damit einer der produktivsten bio-logischen Prozesse im menschlichen Organismus. Die Re-gulation dieses enormen Synthese- und Differenzierungs-netzwerks ist von Wechselbeziehungen zwischen den rei-fenden Spermatogonien und den Sertolizellen über eine Reihe hormoneller Faktoren abhängig. So exprimieren dif-ferenzierende Spermatogonien den KIT-Rezeptor, dessen Ligand Stemcell-Factor von Sertolizellen gebildet wird. Ser-tolizellen sezernieren auch den Gliazell abgeleiteten neu-rotrophischen Faktor GDNF aus der TGF -Familie der Wachstumsfaktoren, welcher die weitere Differenzierung undifferenzierter Spermatogonien reguliert.

27.5.2 Transport der Androgene im Blut

Im Plasma werden Androgene zu 98% von einem Testoste-ron-Östrogen-bindenden Protein, auch Sexhoromon bin-dendes Globulin (SHBG) gennant, oder – mit wesentlich geringerer Affinität – von Albumin transportiert, sodass nur 2% in freier, d.h. biologisch aktiver Form vorliegen. Die normale Testosteronkonzentration im Plasma liegt bei Männern zwischen 3 und 10 ng/ml (10 und 35 nmol/l).

27.5.3 Periphere Aktivierung oder Umwandlung von Testosteron

Unter dem Einfluss des Enzyms 5 -Reduktase wird Testos-teron in den meisten seiner Zielgewebe zu 5- -Dihydrotes-tosteron (5 DHT) (. Abb. 27.32), reduziert, wodurch sei-

. Abb. 27.32. Periphere Umwandlung von Testosteron in 5α -Dihydrotestosteron. (Einzelheiten 7 Text)

Page 37: 27 - Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27877

ne biologische Aktivität um etwa das zweieinhalbfache zu-nimmt. Im menschlichen Genom existieren zwei Gene (auf den Chromosomen 2 und 5) für die 5 -Reduktasen, die für zwei Isoenzyme codieren:4 das Typ-1-Enzym findet sich in niedrigen Konzentra-

tionen in der Prostata4 das Typ-2-Enzym wird in der Prostata in hohen Spie-

geln exprimiert, aber auch in vielen anderen, androgen-empfindlichen Geweben (Samenbläschen, Talgdrüsen, Nieren, Hoden und Gehirn)

Testosteron dient als Prohormon für die Biosynthese von Östrogenen. Hierfür ist das Enzym Aromatase (7 Kap. 27.6.2) notwendig, das außer im Ovar und der Plazenta im Fettgewebe, Leydig- und Sertolizellen, vielen anderen Ge-weben sowie während der Embryogenese im Gehirn nach-weisbar ist. Östradiol wirkt über eine negative Rückkopp-lungshemmung auf Hypothalamus und Hypophyse (. Abb. 27.27; . Abb. 27.30).

27.5.4 Abbau der Androgene

Der Abbau von 5 DHT erfolgt in peripheren Geweben (30–50%) und in der Leber (50–70%) durch eine 3 -Hy-droxy-Steroiddehydrogenase zu 3 -Androstendiol. Die im weiteren Abbau entstehenden 17-Ketosteroide Androste-ron und Etiocholanolon treten in das Blutplasma über und werden entweder in freier Form oder als sulfatierte bzw. glucuronidierte Derivate in den Urin ausgeschieden.

27.5.5 Zelluläre Wirkungen des Testosterons

Testosteron fördert Wachstum und Differenzierung der männlichen Fortpflanzungsorgane wie Samenleiter, Pros-tata, Vesikulardrüsen und Penis (androgene Wirkung) wäh-rend der Embryogenese und nach der Geburt. Ebenso ist die Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale wie Bart-wuchs, virile Behaarung, Vergrößerung des Kehlkopfs und Verdickung der Stimmbänder androgenabhängig. Andro-gene stimulieren auch die Produktion von Erythropoietin (7 Kap. 28.1.10). Weiterhin fördern sie das Wachstum der Pektoralmuskulatur und fördern Libido und Potenz. Für einen Teil dieser Wirkungen ist die vorherige Umwandlung von Testosteron in 5aDHT in der Zielzelle notwendig. Außerdem ist Testosteron für die normale Spermatogenese erforderlich. Dagegen sind Wachstum und Differenzierung der Hoden von der Gegenwart der Gonadotropine (FSH und LH) abhängig. Unter dem Einfluss von Androgenen kommt es v.a. in der Pubertät zum typisch männlichen Muskel- und Skelettwachstum (anabole Wirkung). Inwie-weit Polypeptidwachstums- und -differenzierungsfaktoren und deren Rezeptoren (7 Kap. 25) an der Vermittlung der

androgenen Wirkung beteiligt sind, ist Gegenstand inten-siver Untersuchungen.

27.5.6 Molekularer Wirkungsmechanismus des Testosterons

Wie andere Steroidhormone bindet Testosteron oder – nach Aktivierung – Dihydrotestosteron an einen spezifischen, cytosolischen Rezeptor, der zur Großfamilie der Steroidre-zeptoren gehört. Mit diesen Rezeptoren hat der Androgen-rezeptor, ein Protein mit einer Molekülmasse von 86 kDa (Gen auf dem X-Chromosom), Architekturmerkmale und Wirkungsweise gemeinsam. Der ligandenbesetzte Andro-genrezeptor transloziert in den Zellkern und reguliert dort die Expression androgenabhängiger Gene.

27.5.7 Synthetische Androgene und Antiandrogene

Wie bei den Glucocorticoiden sind auch Androgenderivate chemisch synthetisiert worden, die sich vom Testosteron ableiten. 19-Nortestosteron stellt ein Derivat mit anabolen, aber geringeren androgenen Wirkungen dar. Antiandro-gene, d.h. Antagonisten des Testosterons, wie z.B. Cyprote-ronacetat oder Flutamid, verdrängen endogenes Testoste-ron kompetitiv vom cytosolischen Rezeptor und heben somit die Wirkung des Hormons auf. Sie finden klinische Anwendung z.B. beim Prostatakarzinom, einem androgen-abhängigen Tumor, bei dem die wachstumsfördernde Wir-kung der Hormone auf die Tumorzellen antagonisiert wer-den soll.

27.5.8 Pathobiochemie

Wie bei anderen Systemen können auch hier Mutationen in den Genen aller beteiligten Faktoren auftreten, so z.B. eine Keimbahn-Mutation in der β-Untereinheit von LH, die zum Verlust der Fähigkeit von LH führt, an seinen Rezeptor zu binden. Im homozygoten Zustand führt diese Mutation zu einem Verlust der Pubertätsentwicklung mit konsekuti-ver Infertilität. Bei heterozygoten Männern treten eine Stö-rung der Testosteronsynthese und häufig eine Infertilität trotz normaler sekundärer Geschlechtsmerkmale auf. Weib-liche Heterozygote weisen eine normale sexuale Entwick-lung auf und sind fertil.

Ein 5α-Reduktasemangel führt dazu, dass die Um-wandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron gestört ist, und damit die Entwicklung der äußeren Geschlechts-merkmale (Penis und Scrotum).

Mutationen im Androgenrezeptorgen verursachen ein breites Spektrum phänotypischer Veränderungen, die da-durch bedingt sind, dass aufgrund der androgenen Resis-

27.5 · Zielgewebe der Gonadotropine beim Mann

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878 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

tenz die Spiegel von Androgenen und Östrogenen ansteigen und damit östrogenempfindliche Gewebe vermehrt stimu-liert werden.

Bei Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom treten somatische Mutationen im Androgenrezeptorgen

auf, die die Rezeptoren durch eine Aminosäuresubstitu-tion konstitutiv aktivieren und damit von der Androgen-zufuhr unabhängig machen. Damit können diese Rezep-toren auch nicht mehr durch Antiandrogene blockiert werden (7 o.).

In Kürze

5 Zielgewebe der Gonadotropine LH und FSH sind die Hoden, in denen LH die Androgenbiosynthese in den Leydig-Zellen und FSH die Spermatozoenproduktion in den Keimepithelien stimuliert

5 Endprodukt der Androgenbiosynthese aus Pregneno-lon ist Testosteron, das in Zielgeweben in das aktive 5 DHT überführt wird

5 Testosteron und 5 DHT entfalten ihre Wirkung über den Androgenrezeptor, dessen Aktivierung Wachs-tum und Differenzierung männlicher Fortpflanzungs-organe stimuliert. Er ist ein ligandenaktivierter Trans-kriptionsfaktor

5 Prolactin, das ebenfalls in der Hypophyse gebildet wird, moduliert die Wirkung von LH. Eine Überfunktion von Prolactin führt durch down-Regulation der LH-Rezep-toren zur peripheren Androgenresistenz

5 Da nicht nur gesundes Prostatagewebe, sondern auch Prostatakarzinomzellen androgenabhängig sind, kann diese Krebserkrankung durch hormonelle Blockade der FSH-Sekretion oder Antiandrogene behandelt werden. Treten allerdings somatische Mutationen im Androgen-rezeptorgen auf, so werden die Tumorzellen antiandro-gen-resistent

27.6 Zielgewebe der Gonadotropine bei der Frau

27.6.1 Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse

! Auch bei der Frau wird GnRH pulsatil sezerniert.

Wie beim männlichen Organismus sind GnRH und die Go-nadotropine LH und FSH die entscheidenden regulato-rischen Polypeptide. Auch bei der Frau ist die pulsatile Se-kretion von GnRH für die Aufrechterhaltung der ebenfalls stoßweisen Gonadotropinsekretion essentiell.

Vor der Etablierung der Menstruationszyklen tritt eine Reifung der hypothalamisch-hypophysären Achse ein, die sich in wechselnden Mustern der Gonadotropinsekretion widerspiegelt (. Abb. 27.33). In den ersten 2–4 Monaten des postnatalen Lebens wird ein starker Anstieg der FSH- und – zu einem geringeren Ausmaß – auch der LH-Kon-zentration im Plasma beobachtet. Damit geht ein Anstieg der Plasmaspiegel von Östradiol und 17 -Hydroxypro-gesteron einher (7 u.). In den nächsten 3–4 Jahren kommt es dann wieder zu einem kontinuierlichen Abfall der Gona-dotropinspiegel.

Mit dem Einsetzen der Pubertät kann erstmalig die pul-satile Sekretion der Gonadotropine beobachtet werden, die jedoch vorerst nur während des Schlafs auftritt. Die Sekre-tion von FSH und LH steigt an, wobei jedoch die Amplitu-de der LH-Pulse größer ist als die des FSH. Mit der weiteren Reifung des Systems verschwindet das schlafbezogene Se-kretionsmuster, d.h. pulsatile Sekretionen treten jetzt wäh-rend des gesamten 24 h-Tages auf. Am Ende der reproduk-tiven Phase bei der Frau führt die abfallende Hormonpro-

duktion der Peripherie zu einem Fehlen des negativen Rückkoppelungsmechanismus (durch Steroide des Ovars und Inhibin, 7 u.) und damit zu einer ungehemmten Sekre-tion der Gonadotropine durch die Hypophyse.

Entscheidend für die biochemische Wirkung von GnRH ist die Bindung an spezifische GnRH-Rezeptoren der Hy-pophysenzellmembran. Die Konzentration dieser Rezep-toren wird durch GnRH selbst reguliert: Mit Zunahme der Amplitude der GnRH-Sekretion nimmt auch die Rezepto-ranzahl zu.

! Östrogene regulieren die Freisetzung von GnRH.

Die in den Ovarien gebildeten Steroidhormone (Östrogene und Progesteron) regulieren die Gonadotropinsekretion durch die Hypophyse über eine Änderung der Amplitude oder der Häufigkeit der GnRH-Freisetzung aus dem Hypo-thalamus. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Kisspep-tin-System (7 Kap. 27.4.1): je nach der Phase des Menstrua-tionszyklus bewirken Sexualhormone, bes. Östrogene, eine positive oder negative Rückkopplung der GnRH-Sekretion (7 u.). Progesteron kann ebenfalls den GnRH-Effekt ver-stärken, jedoch nur nach vorheriger Exposition der Hypo-physenzellen mit Östradiol. Somit sind die synergistischen Wirkungen beider Hormone entscheidend für den LH- und FSH-Anstieg während des Menstruationszyklus (7 u.). Im Gegensatz zu seiner Wirkung auf die LH-Sekretion hemmt Östradiol die Freisetzung von FSH. Eine zusätzliche – selek-tive – Hemmung der FSH-Sekretion erfolgt durch Inhibin (7 Kap. 27.4.2), das in der Follikelflüssigkeit des Ovars nach-weisbar ist.

! Theca-Interna und Granulosa-Zellen sind die hormon-produzierenden Zellen des Ovars.

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27879

Die beiden weiblichen Sexualhormone sind das4 zu den Gestagenen gerechnete Progesteron, das auch

als Zwischenprodukt bei der Biosynthese von Gluco-corticoiden, Mineralocorticoiden und Androgenen auftritt, sowie

4 die Östrogene, v.a. das Östradiol, welche aus Andro-genen synthetisiert werden

Die Biosynthese von Progesteron und Östrogenen ist dabei im Ovar auf zwei zelluläre Kompartimente verteilt, die bei Frauen im Reproduktionsalter während des Ovulationszy-klus eine Reihe charakteristischer funktioneller Verände-rungen durchmachen (. Abb. 27.34).

Unmittelbar nach Beendigung der Menstruation in der Follikelphase des Zyklus steigt die Plasmakonzentration

des von der Hypophyse gebildeten FSH an. Dies führt zur Selektion eines Primärfollikels, dessen Oozyte in den fol-genden Tagen bis zur Ovulation reifen soll. Während dieses Vorgangs beginnen die Granulosazellen zu proliferieren und allmählich ansteigende Mengen an Östradiol abzuge-ben, welches u.a. für die weitere Reifung der Oozyte benö-tigt wird, jedoch auch in die Blutbahn abgegeben wird. Die allmählich ansteigenden Östradiolkonzentrationen führen zu einem Absinken der FSH-Sekretion in der Hypophyse. Wegen der Proliferation der Granulosazellen kann eine hohe Östrogenproduktion auch bei sinkenden FSH-Spie-geln aufrechterhalten werden.

Unter dem Einfluss von LH beginnt in den Zellen der Theca Interna die Produktion von Androstendion aus Cholesterin, welches zum Teil in die Blutbahn abgegeben,

. Abb. 27.33. Gonadotropinsekretion bei der Frau. Während der neonatalen und präpubertalen Phase ist die FSH-Sekretion ausge-prägter als die von LH; die stoßweise LH-Sekretion fehlt (A). Mit der Annäherung an die Pubertät steigt die LH-Sekretion während der Schlafphase (B). Nach Abschluss der Pubertät wird das für die erwach-sene Frau typische Muster erreicht, das zu einer stärkeren LH- als FSH-

Sekretion führt (C) und zu den zyklischen LH-Anstiegen (D) während der reproduktiven Phase. In der Zeit um die Menopause kommt es zu einem Sistieren der zyklischen LH-Ausschüttungen (E); die Spiegel beider Gonadotropine steigen aufgrund fehlender Rückkoppelung von den Ovarien an

27.6 · Zielgewebe der Gonadotropine bei der Frau

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880 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

zum Teil aber auch durch die Basalmembran zu den Granu-losazellen transportiert wird, wo es als Substrat für die Ös-trogensynthese dient. Ohne das zusätzlich von den Theca-Interna-Zellen bereitgestellte Androstendion könnten die Granulosazellen in diesem Stadium des Zyklus ihre hohe Östrogensynthese nicht beibehalten.

Etwa eineinhalb Tage vor der Zyklusmitte kommt es zu einem starken Anstieg der Freisetzung von LH und FSH. Dieser wird wahrscheinlich durch den Einfluss sehr hoher Östradiolkonzentrationen auf die GnRH-Sekretion im Hy-pothalamus ausgelöst, wobei die positive Rückkoppelung des Östradiols auf die Sekretion von Kisspeptin eine wich-tige Rolle spielt (7 Kap. 27.4.1). Der LH-Gipfel löst in der Eizelle die notwendigen Reifeteilungen aus, führt im Folli-kel zur Auflockerung der Granulosazellen und einer Erhö-hung der Progesteronkonzentration in der Follikelflüssig-keit.

Diese Vorgänge führen letztlich zur Ovulation, die etwa am 14. Zyklustag erfolgt. Danach beginnt die Luteal-phase des Zyklus mit der Bildung des Corpus luteum aus dem Granulosa-Theca-Interna-Zellkomplex. Für die Auf-rechterhaltung seiner Funktionen ist vor allen Dingen LH verantwortlich. Rezeptoren für LH steigen in der frühen Lutealphase an und erreichen ein Maximum in der mittle-ren Lutealphase, die mit einer deutlichen Steigerung der Progesteronbiosynthese und damit einhergehend der Pro-gesteronkonzentration im Serum einhergeht.

Die Luteolyse, d.h. die Rückbildung des Corpus lute-um, geht mit einem Abfall der Progesteron- und Östradiol-produktion einher. Dies löst einen leichten Anstieg der FSH-Konzentration im Blut aus.

27.6.2 Hormone des Ovars (Östrogene und Progesterone)

! Androgene stellen die Prohormone der Östrogene dar.

Östrogene und Progesteron sind die Hauptsynthesepro-dukte der Zellen des Ovars. Entscheidend für das Verständ-nis der Hormonbiosynthese ist die Verteilung der beteilig-ten Enzyme auf die beiden Kompartimente, d.h. die Theca Interna- und die Granulosazellen (die den Sertoli-Zellen des Hodens entsprechen, 7 Kap. 27.5.1).

Die Biosynthese beider Hormongruppen geht vom Pregnenolon aus, das einen Vorläufer aller Steroidhormone darstellt und aus Cholesterin synthetisiert wird. Progeste-ron entsteht in den Zellen der des Corpus luteum aus Preg-nenolon durch die 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase/Δ4,5Ketosteroid-Isomerase (. Abb. 27.35). Da die Zellen keine P450c21- bzw. P450c11 -Hydroxylasen (zur Corti-solbiosynthese, . Abb. 27.23) enthalten, sind Progesteron und Androstendion die Endprodukte.

Androgene stellen die Ausgangspunkte der in den Gra-nulosazellen stattfindenden Östrogensynthese dar. Der

. Abb. 27.34. Hormonsekretionsmuster während des 28 Tage dauernden Menstruationszyklus. In der ersten Hälfte der Follikel-phase steigen die Plasmaspiegel der Gonadotropine (FSH und LH) an, in der zweiten Hälfte der Follikelphase kommt es zu einem Anstieg der Plasmaspiegel der Östrogene, der Androgene sowie des 17-Hydro-xyprogesterons. Der Gipfel des Östradiolspiegels wird 1 Tag vor dem steilen Anstieg des LH-Spiegels (Ovulationsphase) erreicht. Mit dem Anstieg des Progesteronspiegels während der Lutealphase geht ein Anstieg der Körpertemperatur einher. In der späten Lutealphase fallen die Spiegel der Gonadotropine und Steroidhormone des Ovars vor dem Einsetzen der Menstruationsblutung wieder ab

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27881

Hauptweg hierfür ist der Δ4-Stoffwechselweg (. Abb. 27.35), in dem die Enzyme 17 -Hydroxylase (CYP17) und C17,20,-Lyase Progesteron in Androstendion überführen. Da diese Enzyme nicht in den Granulosazellen vorhanden sind, muss diese enzymatische Umwandlung in den Theca Interna-Zellen erfolgen. Das gebildete Androstendion dif-fundiert in die Granulosazellen, in denen es durch die 17 -Hydroxysteroid-Dehydrogenase teilweise zu Testos-teron reduziert wird. Der entscheidende Schritt ist nun die Umwandlung von Androstendion in Östron (E1) bzw. von Testosteron in Östradiol (di-ol, da 2 Hydroxyl-gruppen, E2) durch den Cytochrom P450-Aromatase-Komplex (auch als CYP19 bezeichnet). Das Enzym spaltet

die Methylgruppe (C19) ab und aromatisiert Ring A (. Abb. 27.36).

CYP17 und CYP19 sind Schlüsselenzyme der Östra-diolbiosynthese. Polymorphismen beider Gene sind in der Population nachgewiesen worden; Frauen, die für einen bestimmten CYP17-Polymorphismus hetero- oder homo-zygot sind, weisen hohe Östradiolspiegel auf.

! Aromatasehemmer blockieren die Östrogensynthese.

Durch Hemmstoffe kann die Aromatasereaktion und damit die Bildung von Östrogenen gehemmt werden, was thera-peutisch bei hormonabhängigen Formen des Mammakar-zinoms ausgenutzt wird.

. Abb. 27.35. Biosynthese der Östrogene und des Progesterons. Für die Synthese der Östrogene ist die Kooperation der Granulosa- und

Theca Interna-Zellen erforderlich. Der Aromatase-Enzym-Komplex ist für die Umwandlung der Androgene in Östrogene verantwortlich

27.6 · Zielgewebe der Gonadotropine bei der Frau

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882 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

Nach der Menopause (d.h. nach Einstellung der Funk-tion des Ovars) produziert das Ovar nur minimale Mengen von Östradiol bzw. Östron, sodass die Nebennierenrinde der wesentliche Faktor bei der Östrogensynthese wird. Dieses Organ setzt jedoch nicht Östrogene frei, sondern deren Prohormon Androstendion, das in extragonadalen Geweben, die den Aromatasekomplex besitzen (v.a. Fettge-webe aber auch Muskel, Leber, Haarfollikel, Knochen oder Gehirn), in Östron überführt wird.

Östron kann zu Östronsulfat konjugiert werden, das eine Speicherform darstellt, die in Östron rücküberführt werden kann. Östriol (E3) wird in der Schwangerschaft vom Syncytio trophoblasten durch Aromatisierung von 16 -Hydroxyandrostendion gebildet, das durch Desulfa-tierung aus dem fetalen 16 -Hydroxyepiandrosteronsul-fat, einem Produkt der fetalen Nebennierenrinde, entsteht. Die Kooperation von fetaler Nebennierenrinde und Leber mit der Plazenta wird als »fetoplazentare Einheit der Steroid-biosynthese« bezeichnet.

27.6.3 Transport der Hormone im Blut

Das Sexhormonbindeprotein (SHBG) im Plasma (7 Kap. 27.5.3) transportiert auch die Östrogene. Der Transport von Progesteron im Plasma erfolgt in Bindung an Transcortin, das Cortisol bindende -Globulin (7 Kap. 27.3.4).

27.6.4 Abbau der Hormone

Östrogene werden hauptsächlich über Hydroxylierungsre-aktionen abgebaut, die zu 2-, 4- oder 16-Hydroxymetabo-liten (Katechol-Östrogene) führen. Die 2- und 4-Hydroxy-

derivate werden durch die Catechol-O-Methyltransferase (7 Kap. 26.3.5) methoxyliert.

Bei der Verstoffwechselung der endogenen Östrogene durch die einzelnen Hydroxylierungswege bestehen indivi-duelle Unterschiede; so ist z.B. die 2-Hydroxylierung bei Raucherinnen erhöht, bei Frauen, die einen Polymorphis-mus im Cytochrom P1A1-Gen aufweisen, erniedrigt. Da die Hydroxymetabolite als potentiell karzinogen gelten, die Methoxyderivate aber nicht, sollen Frauen mit niedrigerer Catechol-O-Methyltransferase-Aktivität ein höheres Brust-krebsrisiko aufweisen. Ein Teil gelangt auch mit der Galle in den Darm und kann in geringerem Ausmaß über den enterohepatischen Kreislauf resorbiert werden. Ein man-gelnder Abbau und eine ungenügende Ausscheidung, z.B. bei einer Lebercirrhose, führen beim Mann zum Anstieg der Plasmaöstradiolspiegel und zur Feminisierung mit Gy-näkomastie (weiblicher Brustbildung) und zur Abdominal-glatze (Verlust der männlichen Behaarung).

Progesteron bzw. sein Hauptmetabolit 17 , 20 -Dihy-droxyprogesteron werden – nach Glucuronidierung oder Sulfatierung – zu gleichen Teilen über die Galle in den Darm und in den Urin ausgeschieden.

27.6.5 Zelluläre Wirkungen der Hormone

! Östrogene wirken unter Vermittlung von Polypeptid-wachstumsfaktoren.

Eine Konsequenz der komplexen Wechselwirkungen der einzelnen Bestandteile des Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Systems ist die Vorbereitung des Endometriums des Uterus auf die Implantation eines befruchteten Eies. Die Sequenz von

. Abb. 27.36. Reaktionsmechanismus des Cytochrom P450-Aromatase-Komplexes. Der Komplex besteht aus dem Hämprotein Cytochrom P450 XIXA I (Aromatase) und der NADPH: Cytochrom P450-Reduktase. Die Reaktion beginnt mit einer zweimaligen Hydroxy-lierung der Methylgruppe am C-Atom 19, wobei aus Testosteron das

19,19-Dihydroxytestosteron entsteht. Das nach Wasserabspaltung gebildete 19 Oxo-Testosteron wird ein drittes Mal mit O2 und NADPH/H+ umgesetzt, wobei unter Bildung eines hypothetischen Peroxy-Enzym-Intermediates das C-Atom 19 als Ameisensäure abgespalten und der Ring A aromatisiert wird

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4 Wachstum (proliferative Phase)4 Differenzierung (sekretorische Phase) und4 Rückbildung (Menstruation) des Endometrium wird

durch die in den Ovarien gebildeten Steroidhormone reguliert.

Die Expression der Rezeptoren für beide Hormone ist eben-falls zyklischen Schwankungen unterworfen. Der Östro-genrezeptor steigt zum Zeitpunkt der Zyklusmitte an und erreicht die maximale Expression während des mittleren bis späten Abschnittes der proliferativen Phase des Endometri-ums. Nach der Ovulation fällt der Östrogenrezeptorspiegel wieder ab.

Östrogene induzieren die Proliferationsphase und be-reiten den Uterus auf die anschließende Gestagenwirkung und die Schwangerschaft vor. Vermutlich unter der Ver-mittlung von Polypeptidwachstumsfaktoren (7 Kap. 25.5) kommt es zum Aufbau der Uterusschleimhaut, Verlänge-rung der uterinen Drüsen, Wachstum und Vermehrung der Muskelfasern und zunehmender Vaskularisierung. Gleichzeitig finden sich charakteristische Veränderungen im Eileiterepithel und in der Vagina. Diese beginnen un-mittelbar nach Beendigung der letzten Regelblutung. Wei-terhin sind Östrogene auch für die Ausprägung und Auf-rechterhaltung der sekundären weiblichen Geschlechts-merkmale verantwortlich (z.B. den Mammae). Östrogene beeinflussen in der Brust Stimulation von Wachstum und Differenzierung des Gangepithels, Induktion der mito-tischen Aktivität von Gangzylinderepithelien und des Wachstums des Bindegewebes. Sie wirken auf den Stoff-wechsel der Lipoproteine, indem sie die Konzentrationen von ApoB und ApoE erhöhen und diejenige der HDL er-niedrigen (7 Kap. 18.5).

Am Knochen hemmen Östrogene den Knochenabbau und fördern die Produktion anderer Hormone, die die Knochendichte erhöhen, wie 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3, Wachstumshormon und IGF-1 (7 Kap. 24.7.8). Dies erklärt die Abnahme der Knochendichte bei Frauen nach der Me-nopause (Osteoporose). In der Leber führen Östrogene zu einer gesteigerten Synthese bestimmter Proteine, so z.B. des Thyroxin bindenden Globulins.

Aufgrund ihres lipophilen Charakters sind Östrogene auch mit Hautpflastern anwendbar, durch die das Hormon transdermal in das Blut diffundiert.

! Progesteron bereitet die Nidation des befruchteten Eies vor.

Progesteron wird im Menstruationszyklus nach der Ovula-tion gebildet und führt zum Wachstum des Uterus sowie zur Umwandlung des Endometriums vom Proliferations- zum Sekretionsstadium, wodurch die Nidation des be-fruchteten Eies und die Ernährung des entstehenden Em-bryos vorbereitet werden. Progesteron hemmt die Ovula-tion und über eine hypothalamische Rückkoppelung die Sekretion von LH durch die Hypophyse.

Kommt es nicht zur Befruchtung, so fallen ungefähr am 26.Tag des Zyklus die Hormonspiegel an Östrogenen und Progesteronen steil ab (. Abb. 27.34), und die Uterus-schleimhaut wird in der Menstruation (beim Beginn des neuen Zyklus) abgestoßen. Prostaglandine sollen an die-sem Prozess beteiligt sein. Die nicht auftretende Coagulati-on des Menstruationsbluts wird auf die Gegenwart fibrino-lytischer Aktivitäten zurückgeführt (7 Kap. 29.5.4).

Kommt es zur Befruchtung, dann bleibt das Corpus lu-teum erhalten und wandelt sich in das Corpus luteum gra-viditatis mit gesteigerter Progesteronbiosynthese um, die dann in der zweiten Schwangerschaftshälfte von der Pla-zenta (7 Kap. 27.6.9.) übernommen wird. In den Mammae bewirkt Progesteron die Ausbildung eines sekretionsfä-higen Milchgangsystems. Eine direkte Einwirkung des Pro-gesterons auf das Temperaturzentrum im Gehirn führt zu einem Anstieg der Körpertemperatur um 0,4–0,8°C (ther-mogener Effekt, . Abb. 27.34). Extragenital wirken die Gestagene, wenn auch nur schwach, ähnlich wie Aldoste-ron oder Cortisol auf die Natriumretention und auf den Proteinkatabolismus.

27.6.6 Molekularer Wirkungsmechanismus der Hormone

Beide Steroidhormone binden an spezifische cytosolische Rezeptoren: für Östradiol existieren zwei Isoformen ( - und -), die aus 5 funktionellen Domänen (A-F) bestehen. Der klassische Östradiolrezeptor (auch als ERα bezeichnet) enthält 595 Aminosäuren mit einer zentralen DNA-bin-denden Domäne (DBD) und einer C-terminalen Hormon bindenden Domäne (HBD, . Abb. 27.37). Der neu ent-deckte Östradiolrezeptor (ER ) enthält nur 530 Amino-säuren. In der DB-Domäne weisen die beiden Isoformen eine hohe Homologie von 95% auf. Die beiden Rezeptoren besitzen wahrscheinlich unterschiedliche physiologische Funktionen. Da die Homologie in der HB-Domäne nur 53% beträgt, überrascht es nicht, dass z.B. das pflanzliche Östrogen (Phytoöstrogen) Genistein selektiv an den ER

. Abb. 27.37. Östradiolrezeptoren ERα und ERβ. Die beiden Östradiolrezeptoren sind nach dem allgemeinen Bauplan der Rezep-toren der Steroidhormon-Rezeptor-Familie aufgebaut. DBD = DNA-Bindungsdomäne; HBD = Hormon-Bindungsdomäne; AF-1 und AF-2 = Transaktivierungsdomänen

27.6 · Zielgewebe der Gonadotropine bei der Frau

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884 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

bindet. Die Ligandenbindung führt zur Translokation der Östradiolrezeptoren in den Zellkern und zur Transkrip-tionsmodulation Östrogen regulierter Gene. Die Östradiol-vermittelte Genaktivierung wird durch zwei unterschied-liche Transaktivierungs-Domänen (A/B = AF-1 und F = AF-2) stimuliert.

Die Expression der beiden Rezeptoren unterscheidet sich von Gewebe zu Gewebe: Granulosazellen und in Ent-wicklung begriffene Spermatiden exprimieren vorwiegend Typ β, welcher auch in Nieren, Darmmukosa, Lungenpar-enchym, Knochenmark, Knochen, Gehirn, Endothelzellen und Prostata nachweisbar ist. Dagegen enthalten Endome-trium, Mammatumorzellen und Stroma der Ovarien vor-wiegend Typ α-Rezeptoren.

Beim Mann führt der sehr seltene Mangel an Östro-genrezeptor zu schwerer Osteoporose und reduzierter Fer-tilität.

Für Progesteron steht der Progesteronrezeptor, ein Protein mit 930 Aminosäuren, zur Verfügung, der in den zwei Isoformen A und B vorkommt. Östradiol- und Proge-steronrezeptoren besitzen ausgeprägte Homologie zueinan-der und zu den Rezeptorproteinen für Cortisol und die Schilddrüsenhormone. Die quantitative Bestimmung die-ser Rezeptoren in maligne entartetem Mammagewebe ist Grundlage der Entscheidung, ob Östrogenantagonisten therapeutisch eingesetzt werden sollen.

27.6.7 Synthetische Progesterone, Östrogene und Phytoöstrogene

Eine Reihe synthetischer Progesterone und Östrogene ist verfügbar. Sie werden in der Leber nur verzögert abgebaut, sodass sie oral verabreichbar sind. Sie werden zur Hormon-substitution (nach der Menopause) oder Antikonzeption eingesetzt.

Antagonisten der Östrogene wurden bisher als Anti-östrogene bezeichnet. Der wichtigste Vertreter ist Tamoxi-fen, das initial über seine antiproliferative Wirkung auf gutartiges und maligne transformiertes Mammagewebe charakterisiert wurde. Später zeigte sich, dass Tamoxifen aber auch östrogenähnliche Wirkungen auf den Kno chen, den Fettstoffwechsel und das Endometrium aufweist. Tamoxifen kann östrogene Effekte auf bestimmte Gene und antiöstrogene Wirkungen auf andere entfalten, und dies sogar in derselben Zielzelle. Die Gruppe der Stoffe, als deren Prototyp Tamoxifen gilt, werden deshalb heute besser als selektive Östrogen-Rezeptor Modulatoren (SERMs) bezeichnet.

Verschiedene Pflanzenprodukte weisen strukturelle Ähnlichkeiten mit Östrogenen auf und werden deshalb als Phytoöstrogene bezeichnet. Genistein (das Enzyme der Steroidsynthese und Tyrosinkinasen hemmt) und Daidzein sind Isoflavonoide in Sojabohnen und Klee. Grüner Tee und verschiedene Hülsenfrüchte enthalten die Lignane En-

terolacton und Enterodiol. Phytoöstrogen-reiche Ernäh-rung soll krebsvorbeugend sein.

27.6.8 Weitere Hormone des Ovars

! Relaxin wirkt über eine Stimulierung der Aktivität von Metalloproteinasen.

Ein weiteres weibliches Sexualhormon, das in den Ovarien (im Corpus luteum) gebildet wird, das aber auch in der Plazenta und im Blut von Schwangeren nachgewiesen wer-den kann, ist Relaxin, ein Proteohormon mit einem Mole-kulargewicht von etwa 6 kDa, das zu Insulin, dem insulin-ähnlichen Protein 3 und den insulinähnlichen Wachstums-faktoren (IGFs) homolog ist. Auch Relaxin wird in Form einer einkettigen Vorstufe, dem Prorelaxin, gebildet, aus der durch Abspaltung eines – allerdings sehr langen (105 Aminosäuren) – C-Peptides das zweikettige Polypeptid entsteht.

Seine Wirkung besteht in einer Auflockerung der bin-degewebigen Verbindung der Symphyse und der Ileosacral-gelenke mit einer Auflösung und Quellung kollagener Fa-sern. Der Wirkung liegt wahrscheinlich die Aktivierung von Proteoglykan- und Kollagen abbauenden Enzymen zu-grunde. Folge ist die Erweiterung des Beckenrings und da-mit die Geburtserleichterung.

27.6.9 Hormone der Plazenta

! Der Nachweis von hCG im Urin dient als Schwanger-schaftstest.

Während der Schwangerschaft wird in der Plazenta eine Reihe von Hormonen gebildet. Jedes dieser Hormone be-sitzt ein Analogon in der Hypophyse oder im Hypothala-mus. Zu diesen Hormonen gehören das Choriongonado-tropin (CG) und das Chorionsomatomammotropin (CS). Weiterhin produziert die Plazenta ACTH-ähnliche Poly-peptide, Endorphine sowie hypothalamische Polypeptide wie GnRH, TRH oder Somatostatin.

CG (oder auch hCG für humanes CG) besitzt eine Mo-lekülmasse von 36–40 kDa und weist Strukturähnlichkeiten mit LH (7 Kap. 27.1.2) auf: Wie dieses ist es aus zwei Unter-einheiten aufgebaut, von denen die -Untereinheit mit der des LH identisch ist, während die -Untereinheit (für die 7 Gene auf Chromosom 7 existieren) die Spezifität des CG bestimmt. CG wird bereits 24 Stunden nach der Implanta-tion des Eies vom Blastocysten und später vom Syncytio-trophoblasten der Plazenta gebildet. Der Nachweis von CG im Urin dient deshalb als Grundlage eines Schwanger-schaftstests.

Maximale Werte werden zwischen dem 60. und 90. Tag der Schwangerschaft erreicht. Die Halbwertszeit des CG ist

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– im Gegensatz zu jener der Gonadotropine – sehr lang und beträgt etwa 35 h. CG gestattet offenbar die Umwandlung des Corpus luteum in das Corpus luteum graviditatis und damit die kontinuierliche Produktion von Progesteron für die Entwicklung der Decidua, bis die Plazenta die Progeste-ronproduktion übernimmt. Verschiedene Organe wie Hy-pophyse, Hoden oder der obere Gastrointestinaltrakt ent-halten CG-ähnliche Substanzen. Da verschiedene Tumoren (wie Leber, Pankreas, Magen oder Gonaden) CG produzie-ren (ektopische Produktion), findet hCG – insbesondere bei Chorionkarzinomen der Hoden oder der Ovarien – Verwendung als Tumormarker (7 Kap. 35.10). Aufgrund der Strukturverwandtschaft mit TSH (7 Kap. 27.1.2) kön-nen sehr hohe hCG-Konzentrationen im ersten Trimester

der Schwangerschaft auch zur Stimulation der Schilddrüse über den TSH-Rezeptor führen.

Chorionsomatomammotropin (humanes CS, früher auch als plazentares Lactogen bezeichnet) wird ebenfalls vom Syncytiotrophoblasten gebildet. Dieses Polypeptid mit 191 Aminosäuren weist 91% Homologie mit dem Wachs tumshormon (7 Kap. 27.7) auf. Es besitzt qualitativ ähnliche biologische Wirkungen wie GH, aber nur etwa 3% von seiner biologischen Aktivität. Es wird diskutiert, dass dieses Hormon nach Freisetzung in den mütterlichen Kreis-lauf auf den Stoffwechsel der Mutter wirkt und die Substrat-flüsse zur besseren Versorgung des Fetus beeinflusst.

Auch die Decidua produziert Hormone, wie z.B. Rela-xin oder Prolactin (7 Kap. 27.7.3).

In Kürze

5 In den Theca Interna-Zellen sowie im Corpus luteum des Ovars werden unter dem Einfluss von LH Progeste-ron und Androgene synthetisiert

5 In den Granulosazellen des Ovars werden unter dem Einfluss von FSH aus Androgenen unter Vermittlung des Schlüsselenzymes Aromatase die Östrogene syn-thetisiert

5 In der Postmenopause werden Androgene in der Ne-bennierenrinde synthetisiert und in peripheren Or-ganen durch die Aromatase in Östrogene überführt

5 Durch Aromatase-Inhibitoren kann die Östrogensyn-these gehemmt werden, was therapeutisch bei der Be-handlung des hormonabhängigen Mammakarzinoms ausgenutzt wird

5 Östrogene werden im Blut in Bindung an Transportpro-teine befördert; ihr Abbau erfolgt durch Hydroxylie-

rung an verschiedenen C-Atomen und mögliche an-schließende Methoxylierung durch eine Catechol-O-Methyltransferase. Da der Abbau individuell ver schie -den sein kann, unterscheidet sich das Muster der in den Urin ausgeschiedenen Metabolite von Frau zu Frau

5 Östrogene entfalten ihre biologische Wirkung über zwei Östradiolrezeptoren ( und ), die sich strukturell und funktionell unterscheiden

5 Östrogene wirken auf den Uterus, die Mammae, den Fettstoffwechsel, den Knochen und die Leber

5 In den Ovarien wird außerdem Relaxin gebildet, das den Beckenring zur Geburt erweitern kann

5 In der Plazenta werden verschiedene Hormone produ-ziert, zu denen auch HCG gehört, welches zum Schwan-gerschaftsnachweis bestimmt wird

27.7 Die Wachstumshormon- IGF-Achse

27.7.1 Regulation der GH-Sekretion durch hypothalamisches GHRH, Somatostatin und durch Ghrelin aus der Magenmukosa

! Die hypophysären Hormone Wachstumshormon und Prolactin sowie die plazentaren Wachstumshormon-formen sind strukturverwandt und bestehen nur aus einer durch Disulfidbrücken verknüpften Peptidkette.

Das Wachstumshormon (growth hormone, GH, Somato-tropin, STH) wird in somatotropen Zellen der Hypophyse gebildet. Es ist mit dem Prolactin (Prl) und dem plazentaren Chorionsomatomammotropin strukturverwandt, nicht glycosyliert und weist zwei intramolekulare Disulfidbrü-cken auf. Die GH-Polypeptidkette besteht aus 191 Amino-

säuren, welche durch gezielte Proteolyse aus einem Prohor-mon während der Biosynthese als sezerniertes Protein pro-zessiert wird. Im Blutplasma zirkuliert GH gebunden an spezifische Bindeproteine, die eine lösliche Form des zellu-lären GH-Rezeptors darstellen.

Die Freisetzung von GH aus der Hypophyse erfolgt in Pulsen mit einem Tag-Nacht-Rhythmus, wobei die höchs-ten Werte schlafabhängig in der Nacht im Blut erreicht werden. Die GH-Freisetzung wird durch verschiedene Fak-toren auf hypothalamischer und hypophysärer Ebene be-einflusst (. Abb. 27.38). Der wichtigste Stimulus ist das growth hormone releasing hormone (GHRH), ein aus 40 Aminosäuren bestehendes, einfaches Peptid, welches in parvozellulären, GHRH-positiven neuroendokrinen Zellen des Nucleus arcuatus und des ventromedialen Nucleus des Hypothalamus gebildet wird und über den hypophysären Portalkreis der Eminentia mediana die somatotropen Zel-len der Adenohypophyse erreicht. Über GHRH-Rezep-toren, die G-Protein gekoppelt sind, wird die Synthese und

27.7 · Die Wachstumshormon-IGF-Achse

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886 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

Freisetzung von GH durch Aktivierung der Proteinkinase A sowie der Phospholipase C stimuliert. Für die GH-Syn-these und Freisetzung ist ein basaler Tonus von Cortisol und Schilddrüsenhormonen erforderlich. Die GHRH-Pro-duktion im Hypothalamus wird durch -adrenerge Signale gehemmt, durch Schlaf, serotonerge, dopaminerge sowie

-adrenerge Signale stimuliert. 4–8 GH-Pulse werden über einen Tag beobachtet mit Steigerung nach Beginn des Schlafs. GH-Konzentrationen zeigen eine starke Abhängig-keit vom Lebensalter. Höchste Werte finden sich beim Fetus und Neugeborenen. Bis zur Pubertät werden nur niedrige GH-Konzentrationen beobachtet, bis dann wieder die Puls-zahl und Pulshöhe zunehmen. Im Alter sinken die GH-Se-kretion und GH-Spiegel wieder ab.

! Die GH-Freisetzung wird außer durch das hypopthala-mische Neuropeptid GHRH durch das von der Magen-mukosa sezernierte Hormon Ghrelin stimuliert und von Somatostatin gehemmt.

Vor Kurzem wurde ein zweiter wichtiger Stimulus der GH-Freisetzung identifiziert, das Hormon Ghrelin, welches von neuroendokrin aktiven oxyntischen Zellen der Magenmu-kosa produziert und ins Blut sezerniert wird (. Abb. 27.39). Das nur in sehr niedrigen femtomolaren Konzentrationen

im Serum zirkulierende Ghrelin ist ein aus 28 Aminosäuren bestehendes Peptidhormon, das, in der Endokrinologie bis-her einmalig, als posttranslationale Modifikation am Seryl-rest 3 mit Octanoat verestert ist. Diese Octanoylierung ist essentiell für die biologische Wirkung am Ghrelinrezep-tor. Die Ghrelin-Signalübertragung erfolgt über den G-Pro-tein gekoppelten heptahelicalen GH-Sekretagogrezeptor (GHSR) durch Stimulation der Phospholipase Cβ. Ghrelin ist ein stärkerer GH-Stimulator als GHRH und wirkt über Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration auf die GH-Sekretion.

Ghrelin wird antizipatorisch bereits vor der Nahrungs-aufnahme sezerniert und beeinflusst die hypothalamischen Neuropeptid Y produzierenden Neurone. Ghrelin hat einen diabetogenen Effekt auf den Kohlenhydratstoffwechsel so-wie verschiedene andere Wirkungen (Vasodilatation, posi-tiv inotrop am Herzen, Wirkung auf die Prolactin- und ACTH-Freisetzung).

! Aus dem Ghrelinvorläufer wird auch ein Ghrelin Anta-gonist, Obestatin, alternativ gebildet.

In der Magenmukosa wird aus dem Ghrelinvorläufer ein weiteres Hormon durch alternative posttranslationale Pro-zessierung gebildet, Obestatin, das die Nahrungsaufnahme hemmt. Das neue Sättigungshormon Obestatin, ein vom Magen sezerniertes 23 Aminosäuren langes Peptid, das sei-ne Bezeichnung vom lateinischen obedere (verschlingen) und statin (unterdrücken) erhielt, bewirkt über Bindung an seinen G-Protein gekoppelten heptahelicalen Rezeptor GPR39 im Hypothalamus eine Verringerung der Nah-rungsaufnahme im Gegensatz zu Ghrelin, das appetitanre-gend wirkt. Somit wird durch alternatives Spleißen aus einem Gen ein antagonistisches Peptidpaar gebildet (. Abb. 27.39), wobei die Regulation der Bildung dieser antagonis-tischen Peptidhormone aus einem Vorläufer noch unbe-kannt ist.

! Hypothalamisches Somatostatin ist der wichtigste Antagonist der GH Wirkung.

. Abb. 27.39. Bildung von Ghrelin und Obestatin aus Prä-Pro-ghrelin in Mukosazellen des Magens. Aus Prä-Proghrelin werden durch alternative posttranslationale Prozessierung Ghrelin bzw. Obe-statin gebildet, die antagonisch auf die Appetitregulation wirken

. Abb. 27.38. Regulation der Sekretion von Wachstumshormon. Wachstumshormon (GH) wird vom Hypophysenvorderlappen synthe-tisiert und sezerniert. Das hypothalamische Peptid GHRH sowie das von der Magenmukosa gebildete Ghrelin stimulieren diesen Vorgang. GH löst in verschiedenen Geweben, v.a. in der Leber, die Sekretion von IGF-1 und IGF-2 aus. Diese sind neben Somatostatin die wichtigs-ten Inhibitoren der GHRH- und GH-Sekretion. (Weitere Einzelheiten 7 Text)

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Das Peptid Somatostatin ist der wichtigste Inhibitor der GH-Sekretion. Es wird im Hypothalamus aus einem zu-nächst 116 Aminosäuren langen Präprosomatostatin über Prohormonkonvertasen zu dem aus 14 Aminosäuren beste-henden Peptid mit einer intramolekularen Disulfidbrücke gebildet. Weitere Syntheseorte sind verschiedene Neurone des ZNS, Inselzellen des endokrinen Pankreas sowie der Gastrointestinaltrakt. Somatostatin wirkt über verschie-dene G-Protein gekoppelte heptahelicale Rezeptoren, die eine Hemmung der Adenylatcyclase auslösen. Somatosta-tinrezeptoren sind auf sehr vielen Zelloberflächen expri-miert, insbesondere auch auf Tumorzellen, die durch Soma-tostatinanaloga in ihrer Proliferation und Funktion blo-ckiert werden können. Somatostatin hemmt auch die TSH-Freisetzung, die Insulin- und Glucagonfreisetzung des endokrinen Pankreas, die exokrine pankreatische Sekretion und blockiert auch die Magensäureproduktion, Sekretin, CCK, VIP-Produktion im Gastrointestinaltrakt, erhöht die Passagezeit der Nahrung.

27.7.2 Direkte GH Wirkungen und Effekte über das GH-regulierte Mediator-system IGF1-IGF1-Bindeproteine

! Viele Wirkungen des anabolen Hormons GH werden über GH-ahbängige lokale Bildung von IGF-I und IGF-Bindeproteinen vermittelt, welche zusammen Wachs-tum und Körperzusammensetzung kontrollieren.

Die Wirkung des GH wird ähnlich wie beim Prolactin über einen Cytokinrezeptor vermittelt. Die GH-Bindung an den

GH-Rezeptor induziert die Rezeptordimerisierung, die nachgeschaltete Aktivierung der JAK/STAT-Signaltrans-duktionskaskade, gefolgt von der Aktivierung GH regu-lierter Gene (. Abb. 27.40). Zu diesen gehören v.a. diejeni-gen für die wichtigsten Mediatoren der GH-Wirkung, nämlich die Insulin like growth factors-1 und -2 (IGF-1 und IGF-2). Diese wurden früher als Somatomedine bezeich-net, da sie einen Großteil der GH-Wirkung vermitteln. GH-Rezeptoren sind vor allem in der Leber exprimiert, jedoch auch in vielen anderen Körperzellen, z.B. Wachs-tumszonen auf Chondrozyten im Knochen, Knorpeln und verschiedenen anderen Geweben. Ein Großteil der zirku-lierenden IGF-1-Spiegel entstammt der Leber, jedoch wer-den auch lokal IGFs gebildet, die dann auto- oder parakrin wirken.

IGF-1 besteht aus 67, IGF-2 aus 70 Aminosäuren. Beide Peptide werden aus Vorstufen durch limitierte Proteolyse gebildet. IGFs zeigen hohe Homologie zu Insulin und bin-den auch an Insulinrezeptoren. Sie zirkulieren im Blut, gebunden an mehrere IGF-Bindeproteine (IGF-BP), die reguliert und teilweise von GH und/oder IGF gesteuert pro-duziert werden, sodass die wirksame freie IGF-Konzentra-tion para- und autokrin reguliert wird.

Neben Interaktion mit dem Insulinrezeptor bindet IGF-1 v.a. an einen spezifischen, aus zwei unterschied-lichen - und -Untereinheiten aufgebauten tetrameren IGF-1-Rezeptor, der Strukturähnlichkeit mit dem Insu-linrezeptor (7 Kap. 26.1.7) aufweist. Die Signalübertra-gung erfolgt ähnlich, wie beim Insulinrezeptor durch Ty-rosinkinaseaktivität der -Untereinheit nach Bindung des IGF-1-Moleküls an die -Untereinheit. Der IGF-2-Re-zeptor/Mannose 6-Phosphatrezeptor, zeigt einen ande-

. Abb. 27.40. Pleiotrope Signaltransduktionskaskade des GH-Rezeptors. Der GH-Rezeptor gehört in die Klasse der Cytokinrezepto-ren. Bindung von GH führt zur Dimerisierung des Rezeptors und der Anlagerung und Aktivierung von Januskinasen. Von diesen gehen der

STAT-Weg und der MAP-Kinase-Weg aus, die eine Änderung der Ge-nexpression einleiten. Die ebenfalls vom GH-Rezeptor ausgehende Aktivierung der PI3-Kinase löst eine Reihe metabolischer Effekte aus. (Weitere Einzelheiten 7 Text)

27.7 · Die Wachstumshormon-IGF-Achse

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888 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

ren Aufbau als der Insulin und IGF-I-Rezeptor und keine Tyrosinkinaseaktivität.

Hohe IGF-1-Spiegel werden neonatal und während der Pubertät gefunden. Die Serumkonzentration von IGF-1 wird diagnostisch als integrales Signal der GH-Wirkung verwendet, da die Analytik des GH wegen des-sen kurzer Plasmahalbwertszeit sowie der pulsatilen und vom Lebensalter abhängigen Ausschüttung nur von Spe-ziallabors sinnvoll durchgeführt und interpretiert werden kann.

Insbesondere für das Knochen- und Knorpelwachs-tum (7 Kap. 24.7) sind IGF-1 und die IGF-BPs essentiell. In vivo stimuliert IGF-1 am intakten Rippenknorpel den Einbau von Sulfat in Proteoglykane und den von Thy-midin in DNA. In vitro wirkt IGF-1 auf kultivierte Chon-drozyten in niedriger Zelldichte nur mitogen, hat je-doch keinen Einfluss auf die Proteoglykansynthese. Wenn die Zellen konfluent sind und ihr Wachstum einstellen, fällt der Thymidineinbau ab und IGF-1 führt nur zur Synthese extrazellulärer Matrix. Demnach wird die Reak-tion einer Zielzelle auf dieses Polypeptid durch ihren Proliferationszustand (Zellzyklus, 7 Kap. 7.1) bestimmt. Knorpel in verschiedenen Geweben reagiert unterschied-lich auf IGF-1, so z.B. die Wachstumsregion im Knor-pel der Röhrenknochen wesentlich besser als Gelenk-knorpel. In vivo führen die IGF’s bei hypophysektomier-ten Versuchstieren (die also kein Wachstumshormon bilden) zu einer Verbreiterung des Epiphysenknorpels der Tibia, zu einer Stimulierung des Thymidineinbaus in Rippenknorpel und einer Zunahme des Körperge-wichts, wobei die Wirkung von IGF-1 ausgeprägter ist als die von IGF-2.

Über ihre Effekte auf das Knochenwachstum hinaus stimulieren die IGFs weitere Wachstums- und Differenzie-rungsvorgänge im Körper. Hierzu gehört beispielsweise ihre Beteiligung an der Differenzierung von Adipozyten aus entsprechenden Vorläuferzellen.

IGF-1 hemmt durch negative Rückkopplung auf hypo-thalamischer Ebene die GHRH-Produktion und auf hypo-physärer Ebene die GH-Sekretion. GH hemmt hypothala-misch die GHRH-Sekretion, stimuliert die Somatostatin-Produktion und hemmt hypophysär die GH-Freisetzung, sodass ein mehrfach gesichertes, negatives Rückkopplungs-system das GH – IGF-I-System unter Kontrolle hält.

IGF-2 ist vor allem ein embryonaler und fetaler Wachs-tumsfaktor, zusammen mit Insulin.

Neben seinen Effekten auf die Biosynthese und Sekre-tion von IGFs hat GH direkte insulinantagonistische Wir-kungen, z.B. eine Hemmung der Glucoseaufnahme in Muskel- und Fettgewebe, Förderung der Gluconeogenese und Fettmobilisierung durch Lipolyse und Ketogenese. All diese Reaktionen bewirken eine Erhöhung der Konzentra-tion der Glucose und freien Fettsäuren im Blut. Als ana-boles Hormon stimuliert GH in den meisten Geweben Aminosäureaufnahme und Proteinbiosynthese, im Muskel

Fettsäureaufnahme und -Verwertung sowie Proteinbio-synthese.

27.7.3 Prolactin

! Das dem GH strukturverwandte Prolactin wirkt über einen Rezeptor der Cytokinfamilie durch JAK-STAT-Phyosphorylierungskaskaden auf die Brustdrüsenent-wicklung und Lactation.

Die lactotrophen Zellen der Hypophyse nehmen 20–50% der Adenohypophyse ein (. Tab. 27.2). Während der Schwan gerschaft erhöht sich die Zahl und Größe der lacto-trophen Zellen. Dieser physiologische Vorgang kann zu einer Vergrößerung der Adenohypophyse um bis zu 50% mit Nebenwirkungen auf die Sehnervenkreuzung führen, ist allerdings nach Beendigung von Schwangerschaft und Lactation rückläufig.

Das von lactotropen Zellen der Hypophyse freigesetzte, nicht posttranslational modifizierte Prolactin (molekulare Masse 23 kDa) ist strukturell verwandt mit GH, sowie dem plazentaren Chorionsomatomammotropin. Prolactin weist drei intramolekulare Disulfidbrücken auf und hat eine Plas-mahalbwertszeit von ca. 15 Minuten.

Prolactin hat direkte Wirkungen auf die Entwicklung des Brustdrüsenepithels während der Schwangerschaft und es gibt Hinweise darauf, dass Prolactin an der Tumorent-wicklung von Brust- und Prostatakarzinomen beteiligt ist. Prolactin wirkt über einen Klasse 1-Rezeptor der Cytokin-rezeptorsuperfamilie, welche die Rezeptoren für GH, Lep-tin, Erythroproetin und verschiedene Interleukine umfasst (7 Kap. 25.3.3). Die phosphorylierten Tyrosinreste des Pro-lactinrezeptors sind auch Andockstellen für die Adaptor-proteine SHC, GRB 2 und GAB 2 (7 Kap. 25.7.1). Dies hat die Bindung und Aktivierung von Ras und Raf und an-schließende Aktivierung der MAP-Kinasewege zur Folge. Über diesen Signalweg wird die Proliferation des Brust-drüsenepithels vermittelt. Auch Kinasen der Src-Familien können an den Prolactinrezeptor binden und Proteinki na-se B sowie Phosphatidylinositol 3-Kinasewege aktivieren. Diese Signalwege führen dann zur Hemmung der Apoptose und Stimulation der Zellproliferation.

! Bisher gibt es kein spezifisches hypothalamisches relea-sing-Hormon für PRL und Dopamin ist der wichtigste Prolactin-Inhibiting Factor.

Für Prolactin gibt es bisher im Gegensatz zu den anderen Hypophysenhormonen kein hypothalamisches releasing-Hormon, welches die Prolactinfreisetzung stimuliert. Im Gegenteil wird die Prolactinsekretion durch hypothala-misches Dopamin inhibiert. Dieser Effekt wird über Dopa-min D2-Rezeptoren vermittelt. Dopamin wird auch in der Literatur als prolactin inhibiting factor bezeichnet.

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Erhöhte, andauernde Prolactinsekretion wird bei Ade-nomen der lactotrophen Zellen, sog. Prolactinomen, beo-bachtet und führt zur Amenorrhoe und Galactorrhoe und Infertilität junger Frauen sowie verringerter Libido und Im-potenz bei Männern, da sekundär die Gonadotropinsekre-tion supprimiert wird. Prolactinome können durch Dopa-minagonisten oder transsphenoidale, selektive Entfernung des Prolactinoms behandelt werden.

27.7.4 Pathobiochemie

! Fehlfunktionen der Wachstumshormon-IGF-Achse führen zu Gigantismus, Akromegalie oder Zwergwuchs und können durch Hemmung der GH-Produktion bzw. Therapie mit rekombinantem GH teilweise behandelt werden.

Störungen der GH-IGF-1-Achse können entweder zum Gi-gantismus oder Zwergwuchs führen. In transgenen Maus-modellen konnte klar die unterschiedliche Wirkung von GH, GH-Rezeptor, GH-Antagonisten und IGF-1 sowie der Rezeptoren gezeigt werden (. Abb. 27.41). Bemerkenswert sind dabei Befunde, dass Mäuse, bei denen die GH-IGF-1-Achse gestört ist, und die kleiner sind sowie niedrigeren Energieumsatz haben, deutlich länger leben.

Die erste medizinische Beschreibung des Krankheits-bilds Akromegalie, erhöhte GH-Bildung bei Erwachse-nen, ist vom französischen Arzt Pierre Marie 1886 über-mittelt, der diesem Krankheitsbild den Namen nach dem griechischen akron (= hervorspringende Körperenden) und mega (= groß) gab. Für Patienten mit Akromegalie ist appositionelles Knochenwachstum an den Augenbrauen-wülsten, an Kinn und Fingerspitzen sowie eine Viscerome-

galie typisch. Oskar Minkowski erkannte 1888 den Zu-sammenhang mit der Vergrößerung der Hypophyse und Harvey William Cushing beschrieb 1909 die erhöhte GH-Sekretion und ihre Auswirkungen, insbesondere auf das Wachstum der Akren sowie der inneren Organe. Die er-höhte GH-Produktion und -freisetzung kann bereits wäh-rend der Jugend (Gigantismus) oder auch im Erwachse-nenalter nach Abschluss des Längenwachstums (Akrome-galie) auftreten und ist in der Regel auf Adenome der eosinophilen somatotrophen Zellen der Adenohypophyse zurückzuführen. In seltenen Fällen sind die Ursachen in erhöhter GHRH-Produktion bzw. konstitutiver Aktivie-rung des GHRH- oder GH-Rezeptors zu suchen. Unzu-reichende GH-Produktion führt zum Zwergwuchs und verringertem Körperwachstum. Hier können unterschied-liche Ursachen vorliegen. Zu diesen gehören hypo thala-mische oder hypophysäre Läsionen, isolierter GH-Mangel oder kombinierter Ausfall mehrerer Hypophysenhor-mone, Insensitivität des GH-Rezeptors für GH, IGF-1-Mangel oder Insensivität des IGF-1-Rezeptors für das Hormon. Eine Störung der GH-Signaltransduktion am GH-Rezeptor führt zum Bild des Laron-Zwergwuchses, einer autosomal rezessiven Erkrankung. Entsprechend der negativen Rückkopplung zeigen diese Patienten erhöhte zirkulierende GH-Werte, niedrige IGF-1-Werte, verrin-gertes Körperwachstum, niedrigem Blutzucker, ver-schlechterte Muskelentwicklung, Adipositas und Osteo-porose. GH und das davon abhängige IGF-1 und IGF-BP-System üben also einen zentralen Einfluss sowohl auf das Körperwachstum als auch auf die Körperzusammenset-zung aus.

GH-Mangel und IGF-1-Mangel können mittlerweile mit den entsprechenden rekombinanten Proteinen behan-delt werden.

. Abb. 27.41. Phänotyp transgener Mäuse, die GH oder GH Antagonisten (GHA) überexprimieren oder keinen GH-Rezeptor (GHR –/–) haben. GH = Überexpression des GH-Gens; +/+ = Normaltier; GHA = Überexpression des GH-Antagonisten; GHR –/– = GH-Rezeptor

knockout. GH-Antagonisten sind GH-Analoga, die an den Rezeptor binden, aber keine Signaltransduktion auslösen. (Mit freundlicher Genehmigung von Hormone Research, Kopchick JJ 2003, 60, Suppl 3:103-112)

27.7 · Die Wachstumshormon-IGF-Achse

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890 Kapitel 27 · Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe

27

Infobox Akromegalie heute:Podoliantsi, Ukraine: 18. April 2004, AP, berichtet in der Frankfurter Rundschau vom 19.4.20042.53 Meter großer Mann wächst noch mit 33 Jahren. Das ungewöhnliche Wachstum begann nach Gehirn-

operation im Alter von 14 Jahren. »Meine Grösse ist eine Strafe Gottes. Mein Leben hat keinen Sinn. … Mit dem Bus zu fahren ist für mich, wie wenn ein normal grosser Mensch in den Kofferraum eines Autos kriechen muss.«

. Abb. 27.42. Struktur von Vasopressin und Oxytocin. Die struk-turverwandten Neurohypophysenhormone Vasopressin (Andidiureti-sches Hormon) und Oxytocin steigern die renale Wasserrückresorp-tion (ADH) bzw. die Wehentätigkeit und Milchsekretion. Die intramole-kulare Disulfidbrücke ist essentiell für die biologische Wirkung

In Kürze

5 Die hypothalamischen Peptide GHRH und Somatosta-tin regulieren die Sekretion von Wachstumshormon (GH) durch die Hypophyse. Die Sekretion wird durch das im Magen gebildete Peptid Ghrelin gesteigert

5 Die Wirkung von GH wird über die in der Leber und in anderen Geweben gebildeten insulinähnlichen Wachs-tumsfaktoren (IGF-1 und -2) vermittelt

5 Der Transport der IGFs erfolgt in Bindung an Bindepro-teine, ihre Wirkung wird über Insulinrezeptor-ähnliche Strukturen vermittelt. Die IGFs fördern das Wachstum v.a. über eine Beeinflussung der Wachstumsregion im Knorpel der Röhrenknochen

5 Das von den lactotrophen Zellen des Hypophysenvor-derlappens gebildete Prolactin hat strukturell große Ähnlichkeit mit GH. Es stimuliert die Entwicklung der Brustdrüse in der Schwangerschaft. Seine Sekretion wird durch Dopamin gehemmt

5 Wachstumshormonmangel führt zum Minderwuchs, der mit rekombinantem Hormon behandelt wird. Hypophysentumore, die mit einer Überproduktion von GH verbunden sind, verursachen beim Erwachsenen die Akromegalie

27.8 Antidiuretisches Hormon (Vasopressin) und Oxytocin

! Magnozelluläre Neurone des Hypothalamus produ-zieren die aus 9 Aminosäuren bestehenden zykli-schen Peptide Vasopressin (Antidiuretisches Hormon) und Oxytocin, die in der Neurohypophyse direkt aus den Nervenendigungen in die Blutbahn sezerniert werden.

In der Neurohypophyse münden die hypothalamischen Nervenendigungen der Oxytocin und Vasopressin bzw. antidiuretisches Hormon (ADH) produzierenden ma-gnozellulären Neurone des paraventriculären (PVN) und supra optischen Nucleus (SON) des Hypothalamus (. Abb. 27.2). Die Zellkörper dieser neuroendokrinen Zellen lie-gen im Hypothalamus. Aus den Nervenendigungen wer-den die in sekretorischen Granula gespeicherten neuroen-dokrin aktiven Peptide direkt in den Kapillarplexus der Neurohypophyse abgegeben, welche durch die Arteria hypophysialis inferior versorgt wird. Oxytocin, ein aus 9 Aminosäuren bestehendes zyklisches Peptid, ist struk-turverwandt mit dem Arginin-Vasopressin (AVP) oder ADH (. Abb. 27.42) (7 Kap. 28.3.2). Die beiden durch Di-sulfidbrücken von Cysteinresten gebildeten zyklischen Neuropeptide werden auch in verschiedenen Neuronen des ZNS gebildet und freigesetzt und haben dort neuro-modulatorische Wirkungen. Beide neuroendokrin aktiven Substanzen sind in der Evolution hoch konserviert. Vaso-pressin zirkuliert im Plasma ohne Proteinbindung und hat nur eine kurze Halbwertszeit von circa 15 Minuten. Oxy-

tocin ist mit einer Plasmahalbwertszeit von 3 bis 12 Minu-ten ein besonders kurzlebiges Hormon (. Tab. 27.3) und zirkuliert ohne Bindeproteine im Blut. Einzelheiten der Biosynthese beider Hormone sind in 7 Kapitel 28.3.2 be-schrieben.

! Das »Kuschelhormon« Oxytocin beeinflusst den Ge-burtsvorgang, die Milchsekretion, die Mutter-Kind- und Paarbindung.

Oxytocin (. Abb. 27.42) ist an der Milchproduktion wäh-rend der Lactation sowie am Geburtsvorgang beteiligt. Während des Geburtsvorganges stimuliert Oxytocin die

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glatten Muskelzellen des Endometriums, um die Uterus-kontraktion zu erhöhen. Hier kommt es zu einem positiven Feedback durch Dehnungsrezeptoren im Geburtskanal, welche über zentrale neuronale Afferenzen die Oxytocin-freisetzung der hypothalamischen Neuronen verstärken bis der Geburtsvorgang mit der Austreibung des Neugebore-nen beendet ist und damit der positive Feedback durch Beendigung der Uteruskontraktionen unterbrochen wird (7 oben). Durch diesen Oxytocinanstieg wird auch bereits über myoepitheliale Zellen der Brustdrüse die Milchfreiset-zung stimuliert. Durch den Saugvorgang des Neugebore-nen an der Brust der Mutter wird über berührungssensitive Nervenendigungen der Brustwarze die Oxytocinfreiset-zung ins Blut ebenfalls erhöht, wobei es durch parakrine Mechanismen von Oxytocin im Supraoptischen Nucleus des Hypothalamus zu einer pulsatilen Oxytocinfreisetzung kommt. Oxytocin scheint auch an der Entwicklung der Mutter-Kind-Bindung und der Paarbindung bei Menschen und Tieren beteiligt zu sein (sog. »Kuschelhormon«), wobei sowohl die vaginalen als auch die zentralen Freisetzungs-mechanismen beteiligt zu sein scheinen. Daneben wird beim Mann Oxytocin auch beim Orgasmus in hohen Kon-zentrationen freigesetzt. Störungen der Funktionen von Oxytocin und dessen Rezeptoren sind bisher nicht be-schrieben.

In Kürze

5 In der Neurohypophyse werden die beiden im Hy-pothalamus synthetisierten Peptidhormone Vaso-pressin und Oxytocin gespeichert und sezerniert

5 Vasopressin beeinflusst Blutdruck und Wasserhaus-halt

5 Oxytocin löst während der Geburt Kontraktionen der Uterusmuskulatur aus, stimuliert die Milchpro-duktion und beeinflusst die Paarbildung bei Men-schen und Tieren

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