28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

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28 28 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts Armin Kurtz 28.1 Die Niere – 895 28.1.1 Durchblutung der Niere – 895 28.1.2 Aufbau und Funktion der Glomeruli – 896 28.1.3 Aufbau des Harnkanalsystems – 899 28.1.4 Reabsorption von Elektrolyten und Wasser – 899 28.1.5 Reabsorption von Monosacchariden, Peptiden und Aminosäuren – 905 28.1.6 Säure-Basen-Transport der Tubulusepithelien – 906 28.1.7 Transport von Protonen und Hydrogencarbonat – 906 28.1.8 Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen – 909 28.1.9 Energiegewinnung in der Niere – 909 28.1.10 Die Niere als endokrines Organ – 910 28.2 Der Endharn (Urin) – 914 28.2.1 Eigenschaften des Urins – 914 28.2.2 Chemische Zusammensetzung des Urins – 914 28.2.3 Pathobiochemie des Urins – 915 28.2.4 Harn- und Nierensteine – 916 28.3 Der Wasserhaushalt – 917 28.3.1 Wasserbilanz – 917 28.3.2 Hormonelle Regulation des Wasserhaushalts – 918 28.3.3 Pathobiochemie des Wasserhaushalts – 920 28.4 Der Natriumhaushalt – 921 28.4.1 Natriumbilanzierung – 921 28.4.2 Hormonelle Regulation des Natriumhaushalts – 922 28.4.3 Pathobiochemie des Natriumhaushalts – 926 28.5 Der Kaliumhaushalt – 928 28.5.1 Regulation des Kaliumhaushalts – 928 28.5.2 Pathobiochemie des Kaliumhaushalts – 929 28.6 Der Calcium- und Phosphathaushalt – 930 28.6.1 Calciumhaushalt – 930 28.6.2 Phosphathaushalt – 932 28.6.3 Hormonelle Regulation des Calcium- und Phosphatstoffwechsels – 933 28.6.4 Pathobiochemie des Phosphat- und Calciumhaushalts – 938

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28 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

Armin Kurtz

28.1 Die Niere – 89528.1.1 Durchblutung der Niere – 89528.1.2 Aufbau und Funktion der Glomeruli – 89628.1.3 Aufbau des Harnkanalsystems – 89928.1.4 Reabsorption von Elektrolyten und Wasser – 89928.1.5 Reabsorption von Monosacchariden, Peptiden und Aminosäuren – 90528.1.6 Säure-Basen-Transport der Tubulusepithelien – 90628.1.7 Transport von Protonen und Hydrogencarbonat – 90628.1.8 Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen – 90928.1.9 Energiegewinnung in der Niere – 90928.1.10 Die Niere als endokrines Organ – 910

28.2 Der Endharn (Urin) – 91428.2.1 Eigenschaften des Urins – 91428.2.2 Chemische Zusammensetzung des Urins – 91428.2.3 Pathobiochemie des Urins – 91528.2.4 Harn- und Nierensteine – 916

28.3 Der Wasserhaushalt – 91728.3.1 Wasserbilanz – 91728.3.2 Hormonelle Regulation des Wasserhaushalts – 91828.3.3 Pathobiochemie des Wasserhaushalts – 920

28.4 Der Natriumhaushalt – 92128.4.1 Natriumbilanzierung – 92128.4.2 Hormonelle Regulation des Natriumhaushalts – 92228.4.3 Pathobiochemie des Natriumhaushalts – 926

28.5 Der Kaliumhaushalt – 92828.5.1 Regulation des Kaliumhaushalts – 92828.5.2 Pathobiochemie des Kaliumhaushalts – 929

28.6 Der Calcium- und Phosphathaushalt – 93028.6.1 Calciumhaushalt – 93028.6.2 Phosphathaushalt – 93228.6.3 Hormonelle Regulation des Calcium- und Phosphatstoffwechsels – 93328.6.4 Pathobiochemie des Phosphat- und Calciumhaushalts – 938

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28.7 Der Magnesium- und Sulfathaushalt – 93928.7.1 Magnesiumhaushalt – 93928.7.2 Schwefelhaushalt – 941

28.8 Der Säure-Basen-Haushalt – 94228.8.1 Notwendigkeit der Konstanthaltung der Protonenkonzentration – 94228.8.2 Entstehung von Säuren im Stoffwechsel – 94228.8.3 Verteilung der Protonen zwischen Intra- und Extrazellulärraum – 94328.8.4 Puffersysteme – 94428.8.5 Regulation der Protonenkonzentration – 94528.8.6 Pathobiochemie des Säure-Basen-Haushalts – 946

Literatur – 950

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28.1 · Die Niere28895

>> Einleitung

Die Nieren scheiden endogen gebildete organische wasserlösliche Stoffwechsel-Endprodukte, anorganische Stoffe sowie exo-gen zugeführte, nicht abbaubare Substanzen wie Medikamente oder Vitamine aus. Sie dienen darüber hinaus der Erhaltung der Konstanz der Extrazellulärflüssigkeit, regulieren Volumen und Osmolarität der Körperflüssigkeiten durch selektive Reab-sorption oder Ausscheidung von Ionen und Wasser. Sie greifen durch Ausscheidung überschüssiger Säuren und Basen im Zu-sammenwirken mit den Lungen in das Säure-Basen-Gleichgewicht ein. Darüber hinaus sind die Nieren an der Regulation des Blutdrucks, der Erythropoiese und des extrazellulären Calciumspiegels beteiligt und syn thetisieren wichtige Verbindungen wie Glucose und γ-Amino butyrat. Die Funktion der Nieren steht in engem Zusammenhang mit den Regelsystemen, die für den Wasser- und Elektrolythaushalt verantwortlich sind.

Für die Regulation des Wasserhaushalts und des Natrium- und Kaliumstoffwechsels sind die Hormone Vasopressin, Al do-steron und das atriale natriuretische Peptid von besonderer Bedeutung. Ihr Ziel ist es, Natrium- und Kaliumverluste gering zu halten und eine ausgeglichene Wasserbilanz zu erreichen.

Für die Regulation des wichtigen Calciumstoffwechsels stehen drei Hormone zur Verfügung, das Parathormon, das D-Hormon sowie das Thyreocalcitonin.

28.1 Die Niere

28.1.1 Durchblutung der Niere

Die Durchblutung der Niere bewirkt eine ausreichende Versorgung mit Nährstoffen, gleichzeitig bestimmt sie aber auch das zur Filtration gelangende Blutvolumen. Zu-dem beeinflusst die Nierenmarkdurchblutung noch die Salz- und Wasserreabsorption. Beim Erwachsenen erhal-ten im Normalfall beide Nieren zusammen ca. 20–25% des Herzminutenvolumens in Ruhe, d.h. ca. 1,0–1,2 l Blut pro Minute, was einer sehr hohen spezifischen Gewebe-durchblutung von 4 ml min–1 g–1 entspricht.

! Die Nierenrinde ist wesentlich besser durchblutet als das Nierenmark.

Die Blutversorgung des Nierenmarks erfolgt nur über die efferenten Arteriolen derjenigen Glomeruli, die tief in der Rinde, nahe an der Rinden-Mark-Grenze (juxtamedullär) liegen. Diese Arteriolen gabeln sich, ziehen geradlinig und unverzweigt als vasa recta in Richtung Pyramidenspitze und übernehmen so die Versorgung des Parenchyms der Außen- und Innenzone des Marks. Wegen dieses speziellen Verteilungssystems fließen mehr als 90% des renalen Blut-stroms nur durch die Nierenrinde, womit das Mark, welches immerhin mehr als 60% der Nierenmasse ausmacht, ent-sprechend wenig Blut erhält.

! Die Nierendurchblutung wird über die Widerstände der afferenten und efferenten Arteriolen reguliert.

Der renale Blutfluss (RBF) wird von der treibenden Blut-druckdifferenz ( P) zwischen A. und V. renalis und dem gesamten intrarenalen Gefäßwiderstand R bestimmt:

Die für die Nierendurchblutung bestimmenden Gefäß-widerstände werden hauptsächlich von den afferenten und efferenten Arteriolen gebildet, welche daher die wichtigsten,

Regulationsorte der Nierendurchblutung sind. Die physio-logischen Regulationen von afferentem und efferentem Widerstand sind dahingehend ausgerichtet, den Blutdruck innerhalb der Glomeruluskapillaren und den Blutfluss-durch die Glomeruluskapillaren konstant zu halten.

Folgende Faktoren sind dabei von Bedeutung:4 Die Autoregulation der Nierendurchblutung bewirkt,

dass sich der renale Perfusionwiderstand in einem Druck bereich von ca. 70–180 mmHg parallel mit dem Perfusionsdruck ändert und somit der renale Blutfluss (RBF = P/R) in diesem Bereich konstant bleibt (. Abb. 28.1, Einzelheiten 7 Lehrbücher der Physiologie)

. Abb. 28.1. Abhängigkeit des renalen Blutflusses (RBF) und der glomerulären Filtrationsrate (GFR) vom Druck in der Nieren-arterie. Im oberen Bildteil ist schematisch die Druckabhängigkeit des inneren Durchmessers von afferenten Arteriolen sowie die Bedeutung des transmembranären Calciumeinstroms durch L-Typ-Calciumkanäle dargestellt. Eine druckabhängige Reduktion des Innendurchmessers um 25% führt dabei zu einem 3-fachen Anstieg des präglomerulären Strömungswiderstands (Hagen-Poiseuille-Gesetz) und bewirkt damit eine Konstanz von RBF und GFR

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896 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

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4 Regulation durch Neurotransmitter, die aus den sympa-thischen Nierennerven freigesetzt werden. Noradre-nalin führt über α1-Rezeptoren und Aktivierung des Phospholipase-C-(PLC)-Signalwegs zur Gefäßkon-traktion und damit zur Widerstandserhöhung, wäh-rend Dopamin über D-1-Rezeptoren und Aktivierung des cAMP-Signalwegs die Arteriolen relaxiert und damit den Widerstand senkt. Bei stärkerer Aktivierung der Nierennerven überwiegt die konstriktorische Wir-kung des Noradrenalins, was dazu führt, dass im Kreis-laufschock die Niere durch den Blutdruckabfall bei gleichzeitigem Anstieg des Nierenperfusionswider-stands sehr schlecht durchblutet wird, was ein akutes Nierenversagen nach sich ziehen kann

4 Die afferenten und efferenten Widerstände werden auch von einer Reihe von parakrinen Faktoren und von Hormonen beeinflusst. So erhöhen Angiotensin II, Serotonin, Endotheline und Thromboxan über den PLC-Signalweg den Widerstand, während PGE2, PGI2 über den cAMP-Signalweg und atriales natriuretisches Peptid (ANP) sowie das aus dem Endothel freigesetzte Stickoxid (NO) über den cGMP-Signalweg den Gefäß-widerstand erniedrigen

28.1.2 Aufbau und Funktion der Glomeruli

! In den Glomeruli werden wasserlösliche Plasmabe-standteile nach ihrer Größe und Ladung als Primärharn abfiltriert.

Aufbau eines Glomerulus. Die 1–1,5 Millionen Glomeruli (. Abb. 28.2) in jeder Nierenrinde verbinden das Blutgefäß- mit dem Harnkanalsystem. Sie haben einen Durchmesser von 150–300 μm und bestehen aus ca. 30 miteinander ver-bundenen Kapillarschlingen, die sich aus einer afferenten Arteriole aufteilen. Ein Glomerulus enthält 3 Zelltypen:4 gefensterte Endothelzellen, welche die Kapillarschlin-

gen innen auskleiden4 Podozyten, welche mit langen fußförmigen Fortsätzen

außen auf den Kapillarschlingen aufsitzen und4 Mesangiumszellen im Inneren des Glomerulus, welche

der mechanischen Halterung und Stützung der Kapil-larschlingen dienen

Im Rahmen von immunologischen Abwehrprozessen kön-nen die Mesangiumszellen stimuliert werden, worauf sie über Expression von MHCII-Komplexen (7 Kap. 34.2.2) zur Antigenpräsentation fähig werden und große Mengen an Cytokinen (z.B. IL-1 , TNF- ) bilden. Diese Vorgänge spielen eine Rolle bei intraglomerulären Entzündungsvor-gänge (z.B. Glomerulonephritis).

Filtration nach Molekülgröße. Durch einen dreilagigen Fil-ter, der aus dem fenestrierten Endothel im Kapillarinneren,

der Basalmembran an der Außenseite der Kapillaren und den Schlitzen zwischen den Fußfortsätzen der Podozyten besteht (. Abb. 28.2), wird in den Glomeruli aus dem Blut-plasma der Primärharn abgefiltert und über die als Trichter wirkende Bowman-Kapsel dem Harnkanalsystem zuge-leitet. Die Poren der Endothelzellen (Durchmesser 50–100 nm) verhindern den Durchtritt von Blutzellen. Die dreischichtige 300 nm dicke Basalmembran enthält Lami-nin, Fibronectin und Kollagen-Typ IV und stellt einen me-chanischen Filter für Stoffe dar, deren relative Molekül-masse größer als 400 kDa ist. Je 2 Kollagen IV-Monomere assoziieren am C-Terminus und jeweils 4 Monomere am N-Terminus. Durch diese Assoziation bildet sich ein supra-molekulares Maschenwerk aus (7 Kap. 26.2.2). Die Tripel-helix des Kollagens IV wird aus unterschiedlichen -(IV)-Ketten aufgebaut. Insgesamt sind bisher 6 Varianten der

-(IV)-Ketten bekannt. Eine dieser Ketten, die -III(IV), findet sich nur in der Basalmembran der Nierenglomeruli, der Lungenalveolen und einigen anderen Basalmembranen. Das erklärt warum bei einzelnen Erkrankungen, die mit Schädigungen der Basalmembran einhergehen, bevorzugt Lungen und Nieren betroffen sind. Die Fortsätze der Podo-zyten stehen mit verbreiterten Füßchen direkt auf der Ba-salmembran und lassen zwischen sich Schlitze frei, welche in vivo schmäler als 5 nm sind. Der effektive Porenradius des Glomerulusfilters beträgt etwa 1,5–4,5 nm. Damit kön-nen im Prinzip Moleküle mit einer Masse bis zu 5 kDa un-gehindert filtriert werden (. Tabelle 28.1). Darunter fallen Stoffwechselendprodukte wie Harnstoff, Kreatinin, Harn-säure etc., aber auch für den Körper wertvolle Substanzen wie Wasser, Monosaccharide, Aminosäuren, Peptide, Elek-trolyte etc.

Filtration nach Ladung. Die Fußfortsätze der Podozyten sind von einer dicken negativ geladenen neuraminsäu-rereichen Glycocalix (Hauptprotein Podocalixin, Mw 144 kDa) überzogen, welche die Moleküldurchlässigkeit durch die Filtrationsschlitze noch zusätzlich hinsichtlich der Ladung der Stoffe beeinflusst. Damit spielt für die Fil-trierbarkeit neben der mechanischen Einschränkung durch die Molekülgröße auch die Nettoladung der Moleküle eine

. Tabelle 28.1. Glomeruläre Filtrierbarkeit biologischer Moleküle

Molekül Molekülmasse (Da)

Glomeruläre Filtrierbarkeit

Wasser 18 100%

Harnstoff 60 100%

Glucose 180 100%

Insulin 5500 99%

Myoglobin 16000 75%

Ovalbumin 43500 22%

Hämoglobin 64000 3%

Albumin 66248 1%

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28.1 · Die Niere28897

wichtige Rolle. Moleküle mit negativer Ladung treten schwerer als solche mit positiver Ladung in die Schlitze zwischen den negativ geladenen Podozytenfortsätzen ein. Das ist funktionell besonders bedeutsam für die Protein-filtration, da die Plasma-Eiweißmoleküle in der Regel eine negative Überschussladung tragen, was neben ihrer Größe die Filtrierbarkeit zusätzlich reduziert.

! Mehrere Sicherungsmechanismen sorgen für eine Konstanz der glomerulären Filtration.

Aufgrund einer Druckdifferenz zwischen dem Kapillar-inneren und der Bowman-Kapsel werden ca. 20% des durchfließenden Plasmavolumens als wässriger, zellfreier und eiweißarmer Primärharn abfiltriert. In beiden Nieren eines Erwachsenen werden zusammen pro Minute im Normalfall ca. 125 ml Plasma-Ultrafiltrat als Primärharn erzeugt. Dieser Wert wird als glomeruläre Filtrationsrate (GFR) bezeichnet.

Da die Nierenfunktion des Menschen auf eine gleich bleibende Filtrationsleistung (GFR) ausgelegt ist, haben

. Abb. 28.2. a Schematische Darstellung eines Nierenglomeru-lus mit juxtaglomerulärem Apparat. Der juxtaglomeruläre Apparat besteht aus 3 Zelltypen, die alle miteinander in Kontakt stehen. Dies sind die extraglomerulären Mesangiumzellen, die sich zwischen der af-ferenten und efferenten Arteriole nach außerhalb erstrecken, die renin-

produzierenden Epitheloidzellen in der Wand der afferenten Arteriolen im Einmündungsbereich in das Glomerulus und die tubulären Macula densa-Zellen, welche den Endabschnitt der dicken auf steigenden Henle-Schleife (. Abb. 28.3 in Kap. 28.1.3) bilden. (Aus Schmidt et al. 2000) b Schematische Darstellung der glomerulären Filtermembran

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898 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

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. Abb. 28.3. Anordnung der Nephronsegmente und des Sam-melrohrsystems in den verschiedenen Nierenzonen. Zu beachten ist die charakteristische Ultrastruktur der jeweiligen Tubulusabschnit-te, insbesondere die Ausbildung des Bürstensaums zur Oberflächen-vergrößerung und die Größe und Dichte von Mitochondrien als Aus-druck aerober Energiegewinnung. 1 proximaler Tubulus, gewundener

Teil; 2 proximaler Tubulus, gerader Teil; 3 dünne absteigende Henle-Schleife; 4 dünne aufsteigende Henle-Schleife; 5 dicke aufsteigende Henle-Schleife; 6 Macula densa; 7 distaler Tubulus, gewundener Teil; 8 Verbindungstubulus; 9 corticales Sammelrohr (Hauptzelle); 10 inner-medulläres Sammelrohr (Hauptzelle). (Modifiziert nach Kaissling u. Kriz aus Seldin u. Giebisch 2000)

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28.1 · Die Niere28899

sich verschiedene Mechanismen entwickelt, die möglichen Schwankungen der GFR entgegensteuern:4 Die Autoregulation der Nierendurchblutung (7 o.),

welche auf einer myogenen Reaktion der afferenten Arteriolen (. Abb. 28.1) und dem tubulo-glomeru-lären Feedback (TGF) beruht. Dabei setzen die Macula densa Zellen des juxtaglomerulären Apparates (. Abb. 28.2) bei erhöhtem Salztransport (infolge erhöhter GFR) ATP frei. Dieses wird durch die 5 -Ektonucleo-tidase in Adenosin gespalten, welches wiederum die afferenten Arteriolen konstringiert (A1-Rezeptoren)

4 Bei Abfall des Nierenarteriendrucks sezernieren Epi-theloidzellen des juxtaglomerulären Apparats am glo-merulären Ende der afferenten Arteriolen das ge-speicherte Renin, welches über eine Reaktionskaskade (Renin-Angiotensin-System, 7 u.) zur Bildung von An-giotensin II führt. Angiotensin II erhöht den arteriellen Blutdruck und konstringiert in der Niere präferentiell die efferenten Arteriolen. Beide Ereignisse zusammen führen zu einem Wiederanstieg des hydrostatischen Drucks in den Glomeruluskapillaren und damit zur Aufrechterhaltung der GFR

28.1.3 Aufbau des Harnkanalsystems

! Die spezielle Struktur des Tubulussystems bestimmt die Ausscheidungsfunktion der Niere.

Im Primärharn befinden sich nicht nur ausscheidungs-pflichtige Verbindungen sondern auch Moleküle, welche für den Körper noch sehr wertvoll sind. Dazu gehören Mo-nosaccharide, Aminosäuren, Oligopeptide, Salze und na-türlich auch Wasser. Entsprechend findet sich im Anschluss an jeden Glomerulus ein Kanalsystem (Tubulussystem), dessen Aufgabe die Rückresorption der wertvollen Stoffe und die möglichst effiziente Eliminierung der giftigen Stoffwechselendprodukte ist.

Das System der Harnkanälchen besteht aus den Ne-phronen und aus dem Sammelrohrsystem, die sich onto-genetisch separat entwickeln (. Abb. 28.3).

Ein Nephron besteht aus:4 dem Glomerulus4 der Bowman-Kapsel4 dem proximalen Tubulus4 der Henle-Schleife4 der Macula densa4 dem Konvolut des distalen Tubulus sowie dem4 geraden Verbindungstubulus

Zwischen 8–10 Nephrone münden in die einzelnen Sam-melrohre, die aus der Rinde in Richtung Papillenspitze zie-hen. In der Innenzone des Marks konvergieren alle Sam-melrohre zu immer größeren Röhren bis hin zu den 10–20 Ductus papillares einer Pyramide, welche schließlich in

das Nierenbecken einmünden. Die Nephrone eines Men-schen haben je nach Länge der Henle-Schleife eine Gesamt-länge von 3–4 cm, die Sammelrohre sind im Mittel noch 2 cm lang.

! Der Extrazellulärraum der Niere ist kompartimentiert.

Das Harnkanalsystem durchzieht zweimal die Nierenrinde und zweimal das Nierenmark und wechselt dabei jeweils die Umgebungsbedingungen im Extrazellulärraum: Zwi-schen Rinde und Mark bestehen wesentliche Unterschiede in den O2-Partialdrucken (. Abb. 28.4). Wegen der relativ geringen Durchblutung des Nierenmarks nimmt die O2-Versorgung von der Nierenrinde bis zur Papille hin ab. Dementsprechend findet man die höchsten mittleren O2-Drucke in der Rinde (ca. 80 mmHg), die dann zur Papillen-spitze bis auf 10 mmHg abfallen.

Zwischen Rinde und Mark bestehen auch wesentliche Unterschiede in der Osmolarität des Interstitiums, welche in der Rinde 290 mosmol beträgt und bis zur Papillenspitze auf 1300 mosmol/l ansteigt (. Abb. 28.4). Die Erhöhung der Osmolarität beruht je zur Hälfte auf einem Anstieg der interstitiellen NaCl und Harnstoffkonzentration. Dieser Osmolaritätsgradient ist für die Wasserresorption in der Niere essentiell (zu seiner Entstehung 7 Lehrbücher der Phy-siologie).

! Die verschiedenen Funktionen der Niere sind jeweils verschiedenen Tubulussegmenten zugeordnet.

Die verschiedenen Tubulusabschnitte haben jeweils spe-zifische Funktionen zu erfüllen. Entsprechend werden die dafür notwendigen Funktionsproteine auch streng lokal exprimiert. Das gilt nicht nur für die zelluläre Expression als solche (. Abb. 28.5), sondern auch für die subzelluläre Lokalisation der Funktionsproteine, wobei deren selektiver Einbau entweder in die luminale oder basolaterale Zell-membran das Funktionsverhalten der verschiedenen Tubu-luszellen bestimmt. Das wird beispielsweise bei der tubu-lären Natriumresorption deutlich, für die die verschiedenen Tubuluszellen unterschiedliche luminale Transportsysteme entwickelt haben, während sie als Gemeinsamkeit alle in der basolateralen Membran die Na+/K+-ATPase enthalten, mit welcher sie aus der Tubulusflüssigkeit eintretendes Natrium wieder in die Blutbahn zurückpumpen.

28.1.4 Reabsorption von Elektrolyten und Wasser

Wegen der Größe der glomerulären Filtrationsrate erbrin-gen die Nieren eine gewaltige Leistung bei der notwendigen Reabsorption von Elektrolyten und Wasser. Hieran sind die verschiedenen Abschnitte des Nephron in unterschied-lichem Ausmaß beteiligt (. Tabelle 28.2). Die Reabsorption von Wasser und Natrium-Ionen macht mengenmäßig den größten Anteil aus.

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900 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

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. Abb. 28.4. Profil des Sauerstoffdrucks (oben) und der Osmo larität (unten) im Interstitium der verschiedenen Nierenzonen

. Tabelle 28.2. Reabsorptionsleistung der verschiedenen Abschnitte des Nephrons

Gesamt(mol/24 h)

Reabsorbiert in

Proximalem Tubulus

Henle-Schleife Distalem Tubulus

Dünnem Teil Dickem, auf-steigendem Ast

Sammelrohr

Na+ 23 65% 25% 9%

K+ 0.7 80% 10%

Ca2+ 0.2 65% 25% 9%

Mg2+ 0.1 15% 70% 10%

Cl– 19 65% 25% 10%

HCO3– 4.3 80% 10% 10%

H2O 104 65% 18% 10%

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28.1 · Die Niere28901

. Abb. 28.5a–o. Zonal spezifische Expression von Membran-transport-Proteinen in der Rattenniere. Der Nachweis der Expres-sion der jeweiligen Proteine erfolgte durch in situ Hybridisierung. a Natrium-Glucose-Cotransporter (SGLT2); b Natrium-Hydrogencar-bonat Cotransporter; c Natrium-Vitamin-C-Cotransporter (SVCT1); d Peptid-Transporter (PEPT2); e Natrium-Dicarboxylat-Cotransporter (SDCT1); f Natrium-Glucose-Cotransporter (SLGT1); g Natrium-Dicar-

boxylat-Cotransporter (SDCT2); h Glutamat-Transporter; i Kationen-Transporter (DCT1); j Harnstofftransporter (UT3); k Natrium-Calcium-Austauscher; l Harnstofftransporter (UT2); m Harnstofftransporter (UT1); n Glutamat-Transporter (GLAST); o Kontrolle. Der Balken in (o) bezeichnet eine Länge von 2 mm. (Nach Berger et al. aus Seldin u. Giebisch 2000)

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902 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

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! Über 99% des filtrierten Natriums werden im Tubulus-system reabsorbiert.

Das glomerulär filtrierte Na+ (23 mol/Tag) wird zu etwa 65% im proximalen Tubulus, zu 25% in der aufsteigenden Henle-Schleife, zu 7% im distalen Tubulus und zu 3% im Verbindungstubulus/Sammelrohr rückresorbiert. Im Nor-malfall werden weniger als 1% des filtrierten Natriums mit dem Urin ausgeschieden (. Abb. 28.6).

Allgemeine Triebkraft für die Na+-Resorption ist das zelleinwärts gerichtete Konzentrationsgefälle für Natrium zwischen der Tubulusflüssigkeit und der Tubuluszelle. Dieses Konzentrationsgefälle wird durch die Aktivität der Na+/K+-ATPase (7 Kap. 6.1.5) erzeugt, welche in der baso-lateralen Membran der Tubuluszellen lokalisiert ist.

Der Mechanismus der Na+-Aufnahme in die Tubulus-zellen hängt von deren Lokalisation ab:

Proximaler Tubulus. Hier erfolgt die apikale Na+-Aufnah-me hauptsächlich durch Symport mit Glucose, Aminosäu-

ren oder Säureanionen (7 u.) oder durch Antiport mit Protonen. Der Na+/H+-Austauscher befördert pro ein-tretendem Na+-Ion ein Proton aus der Tubuluszelle in die Tubulusflüssigkeit (. Abb. 28.7). Der Mechanismus der Regenerierung der für den Na+-Transport benötigten Pro-tonen ist in . Abb. 28.8 dargestellt und entspricht einem gleichartigen Transportsystem im Ileum (7 Kap. 32.2.4). Eine nicht selektive passive Na+-Resorption im proximalen Tubulus erfolgt zusätzlich durch den starken parazellulä-ren Wasserfluss (solvent drag,7 u.). Die Na+-Resorption im proximalen Tubulus wird durch Angiotensin II stimuliert (7 Kap. 28.1.10).

Dünner aufsteigender Teil der Henle-Schleife. Hier wird Natrium passiv reabsorbiert. Diese Tubuluszellen besitzen eine hohe Chloridpermeabilität wegen zahlreicher Chlorid-kanäle (ClC-Ka, chloride channel-kidney a) in der lumi-nalen und basolateralen Membran. Da die Interzellularkon-takte in diesem Tubulusabschnitt für Kationen permeabel sind, diffundiert aufgrund eines starken Konzentrations-

. Abb. 28.6. Die Mechanismen der Natriumresorption in den verschiedenen Tubulusabschnitten. Geschlossene Symbole geben

ATP-abhängige, offene Symbole sekundär aktive oder passive Trans-portvorgänge wieder. AS = Aminosäuren (Einzelheiten 7 Text)

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28.1 · Die Niere28903

gradienten zwischen der aufkonzentrierten Tubulusflüssig-keit und dem Interstitium NaCl passiv aus der Tubulusflüs-sigkeit in das Interstitium.

Dicker aufsteigender Teil der Henle-Schleife. Na+ wird hier über einen Na+/K+-2Cl–-Symport in der luminalen Membran resorbiert. Über zahlreiche Kaliumkanäle in der luminalen Membran diffundieren die über den Cotrans-port in die Zelle eintretenden K+-Ionen zum größten Teil in die Tubulusflüssigkeit zurück und stehen somit wieder für den Cotransport zur Verfügung. Die Cl–-Ionen verlassen mittels Diffusion die Zelle über spezifische Chloridkanäle (ClC-Kb, chloride channel-kidney b) und zu einem gerin-geren Teil über einen KCl-Symport an der basolateralen

Seite. Dabei entsteht bei diesem Transport eine negative Überschussladung im Interstitium. Diese Potentialdifferenz treibt Kationen (Na+, Mg2+, Ca2+, NH4

+) parazellulär in das Interstitium.

Konvolut des distalen Tubulus. Natrium wird über einen luminalen NaCl-Symport reabsorbiert, wobei auch hier das Konzentrationsgefälle für Natrium zwischen der Tubu-lusflüssigkeit und der Tubuluszelle die Triebkraft für den Cotransport liefert. Na+ wird basolateral hinausgepumpt und Chlorid verlässt die Zelle über einen KCl-Symport. Das hierfür benötigte K+ rezirkuliert über die Aktivität der Na+/K+-ATPase.

Überleitungsstück und Sammelrohr. Die Na+-Reabsorp-tion erfolgt über spezifische Na+-Kanäle in der apikalen Membran der Hauptzellen, während K+ im Gegenzug durch apikale K+-Kanäle aus der Hauptzelle in die Tubulusflüs-sigkeit diffundiert. Da basolateral über die Na+/K+-ATPase Na+ aus der Zelle und K+ in die Zelle gepumpt werden, fin-det in den Hauptzellen somit netto eine Natriumresorption und eine Kaliumsekretion statt. Die Zahl und Aktivität der Na+-Kanäle und der Na+/K+-ATPase in den Haupt zel len wird durch das Nebennierenrindenhormon Aldosteron (7 u.) gesteigert.

! Filtriertes Wasser wird zu 99% wieder reabsorbiert.

Das glomerulär filtrierte Wasser (180 l/Tag) wird zu etwa 65% im proximalen Tubulus, zu 18% in der dünnen ab-steigenden Henle-Schleife und im Konvolut des distalen Tubulus und zu 10% im Verbindungstubulus/Sammelrohr rückresorbiert (. Abb. 28.9). Im Normalfall wird daher nur

. Abb. 28.7. Modell der Membranintegration des Na/H-Austau-schers-1 (NHE-1). Die Zylinder stellen die transmembranären Do-mänen dar. Die für den Ionentransport verantwortlichen Domänen sind rot hervorgehoben. Die Regulation der Aktivität erfolgt über

das C-terminale cytosolische Ende. In der Zellmembran bilden wahr-scheinlich zwei Antiportmoleküle ein Dimer. (Verändert nach Ritter M et al. Cell Physiol Biochem 2001)

. Abb. 28.8. Regenerierung von Protonen für den Na+/H+-Aus-tausch im proximalen Tubulus bei gleichzeitiger Hydrogencar-bonat-Resorption. CAII = Carboanhydrase II, im Cytosol lokalisiert; CAIV = Carboanhydrase IV, mit einem GPI-Anker in der Membran des Bürstensaums verankert

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904 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

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weniger als 1% des filtrierten Wassers mit dem Urin ausge-schieden. Durch die transzelluläre Resorption von Natrium und anderen osmotisch wirksamen Molekülen (z.B. Mono-saccharide, 7 u.) im proximalen Tubulus sinkt die Osmo-larität der Tubulusflüssigkeit gegenüber dem Niereninter-stitium ab. Zum Osmolaritätsausgleich strömt nun Wasser aus dem Tubuluslumen in das Interstitium. Dies geschieht zum einen transzellulär durch spezifische Wasserkanäle (Aquaporin 1) in der Membran der proximalen Tubulus-zellen und zum anderen parazellulär durch die Interzellu-larverbindungen zwischen den Zellen Bei diesem starken parazellulären Wasserfluss werden gleichzeitig Ionen (z.B. Na+, K+, Ca2+, Mg2+ und Cl–) entsprechend ihrer Konzen-tration mitgerissen (solvent drag) und so resorbiert.

Das Tubulusepithel des dünnen absteigenden Teils der Henle-Schleife enthält spezifische Wasserkanäle (Aquapo-rin 1) und ist daher gut wasserdurchlässig. Da das Intersti-tium des Nierenmarks und der Papille hyperton gegenüber dem Plasma ist (. Abb. 28.4), wird im Bereich der dünnen absteigenden Henle-Schleife Wasser aus der Tubulusflüs-sigkeit entzogen, wodurch der Harn konzentriert wird. Wie stark, hängt von der Länge der Schleife ab. Das Epithel des Konvoluts des distalen Tubulus in der Nierenrinde ist

ebenfalls gut wasserdurchlässig. Da durch die Elektrolyt-Resorptionsaktivität der vorgeschalteten wasserimper-meablen dicken aufsteigenden Henle-Schleife die Tubulus-flüssigkeit hypoton (100 mosmol/l) wurde, strömt im dis-talen Tubulus zum Osmolaritätsausgleich Wasser aus dem Tubulus in das Interstitium und wird so resorbiert.

Die Einstellung der endgültigen Urinosmolarität er-folgt über die Hauptzellen des Verbindungstubulus und des Sammelrohrs. Die Sammelrohre tauchen auf ihrem Wege von der Rinde (in den Markstrahlen) an die Papillenspitze in Regionen zunehmender Osmolarität ein (. Abb. 28.4). Da der aus dem distalen Tubulus in das Sammelrohrsystem geleitete Harn plasma-isoton ist, entsteht mit zunehmender Passage durch das Sammelrohrsystem ein immer größerer osmotischer Gradient zwischen dem Niereninterstitium und der Tubulusflüssigkeit und damit ein zunehmender Sog auf das Wasser im Tubuluslumen. Die Interzellularkon-takte im Sammelrohr sind wasserimpermeabel. Deshalb kann das Wasser nur transzellulär durch die Zellen aus dem Tubulus in das Interstitium diffundieren.

Die Diffusion durch die luminale und basolaterale Membran erfolgt durch Aquaporine (7 Kap. 6.1). In der luminalen Membran der Hauptzellen findet man Aqua-

. Abb. 28.9. Die Mechanismen der Wasserresorption in den verschiedenen Tubulusabschnitten. AP = Aquaporin (Einzelheiten 7 Text)

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28.1 · Die Niere28905

porin 2, in der basolateralen Membran die Aquaporine 3 und 4 (. Abb. 28.10). Die Anzahl der luminalen Aquapo-rin-2-Kanäle limitiert die transzelluläre Wasserdiffusion. Der Einbau der Aquaporinkanäle in die luminale Membran wird vor allem durch das Antidiuretische Hormon (ADH oder Synonym: Vasopressin) reguliert (. Abb. 28.11). Dabei erhöht es in der apikalen Membran der Sammelrohr-epithelien die Zahl der Wasserkanal (Aquaporin 2)-Mole-küle, indem es eine Translokation von präformierten aber funktionslosen Wasserkanälen, die sich in intrazellulären Vesikeln befinden, in die apikale Plasmamembran indu-ziert. Diese Wirkung wird durch den V2-Rezeptor vermit-telt. Ähnlich wie der V1-Rezeptor gehört er zu den G-Pro-tein gekoppelten Rezeptoren. Im Gegensatz zu diesem ist er jedoch an die Adenylatcyclase gekoppelt.

Bei optimalem Wasserdurchfluss durch die Sammel-rohrzellen kann der Harn fast die Osmolarität des Nieren-interstitiums annehmen, welche an der Papillenspitze bis zu 1300 mosmol/l beträgt. Je geringer die Wasserdurchlässig-keit der Sammelrohrzellen ist, umso weniger Wasser wird reabsorbiert, umso weniger konzentriert ist der Endurin und umso größer ist das produzierte Urinvolumen (Diure-se). Die osmotische Konzentration des Urins kann dabei auf 50 mosmol/l absinken. ADH kontrolliert so mit seiner Aktivität ca. 10% der glomerulär filtrierten Wassermenge. Bei maximaler ADH-Sekretion kann das Urinvolumen auf etwa 0,7 Liter pro Tag reduziert werden (maximale Anti-diurese), während bei starker ADH-Suppression das Urin-volumen auf 20 Liter pro Tag ansteigen kann (maximale Diurese).

28.1.5 Reabsorption von Monosacchari-den, Peptiden und Aminosäuren

! Filtrierte Monosaccharide werden in der Regel im proxi-malen Tubulus vollständig reabsorbiert.

Die für die Reabsorption von Monosacchariden benötigten Transportsysteme sind in der luminalen und basolateralen Membran lokalisiert. Glucose wird aus dem Primärharn über luminale Na+-gekoppelte Cotransporter SGLT1 und SGLT2 (sodium dependent glucose transporter) in die pro-ximale Tubuluszelle transportiert (. Abb. 6.8). SGLT1 und SGLT2 unterscheiden sich nicht nur in ihrer Struktur, son-dern auch hinsichtlich ihrer Lokalisation, ihrer Transport-affinität und Transportkapazität. Im Anfangsbereich des proximalen Tubulus dominiert dabei der SGLT2, der ein Glucosemolekül zusammen mit einem Na+-Ion transpor-tiert. Mit diesem Transportsystem, welches eine hohe Kapazität aufweist, kann mit vergleichsweise niedrigem Energieaufwand (1 Na+) bereits der Großteil der Glucose resorbiert werden. Da die Glucosekonzentration in der Tu-bulusflüssigkeit durch die Resorption immer weiter absinkt, müssen die Cotransport-Triebkräfte stärker werden, um

. Abb. 28.10. Modellvorstellung zur Struktur eines Aquaporins (AP-1). Die Aquaporine bestehen aus 6 Transmembrandomänen (1–6). Die Verbindungsschleifen zwischen den Domänen 2 und 3 sowie 5 und 6 tauchen teilweise in die Lipiddoppelschicht ein und bilden darin jeweils eine halbe Pore. Durch Zusammenlagerung der beiden Halbporen entsteht dann ein Wasserkanal aus hydrophilen Aminosäuren. (Modifiziert nach Agre et al. aus Seldin u. Giebisch 2000)

. Abb. 28.11. Wirkungsmechanismus von Vasopressin (V) an den Sammelrohrepithelien der Nieren. Über V2-Rezeptoren (V2-R) kommt es zu einem Anstieg der zellulären cAMP-Konzentration. Diese löst über unbekannte Mechanismen eine Translokation von Wasser-kanälen aus intrazellulären Vesikeln in die Plasmamembran aus. PKA = Proteinkinase A

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906 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

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Glucose weiter zu resorbieren. Dies wird dann durch den SGLT1 bewerkstelligt, der ein Glucosemolekül zusammen mit zwei Na+-Ionen transportiert. Dieses Monosaccharid-transportsystem hat zwar eine hohe Affinität für Glucose, kommt jedoch in geringerer Menge vor und hat deswegen eine niedrigere Transportkapazität. SGLT1, der auch die Glucoseresorption im Darm vermittelt, wird vor allem im Endabschnitt des proximalen Tubulus exprimiert und sorgt dafür, dass im Normalfall die gesamte filtrierte Glucose aus dem Primärharn rückresorbiert wird. Die luminal auf-genommene Glucose verlässt die proximale Tubuluszelle basolateral wieder mittels des spezifischen (Natrium-unab-hängigen) Uniporters GLUT2 (7 Kap. 11.4.1).

Die tubuläre Resorption von Galactose erfolgt ebenfalls über den SGLT1. Fructose hingegen wird luminal über ei-nen Na-unabhängigen Uniporter (GLUT5) in die proximale Tubuluszelle transportiert.

! Filtrierte Proteine, Peptide und Aminosäuren werden fast vollständig resorbiert.

Trotz der weitgehenden Impermeabilität des glomerulären Filters gelangen täglich einige Gramm Albumin und eine Reihe anderer Proteine in das Primärfiltrat. Albumin wird wie auch andere Proteine mittels des Megalinrezeptors (7 Kap. 23.2.2) über clathrinabhängige Endozytose in die proximale Tubuluszelle aufgenommen und darin lysosomal abgebaut.

Größere Peptide werden über Endozytose (Pinozytose) in die proximale Tubuluszelle aufgenommen und darin in Lysosomen in einzelne Aminosäuren zerlegt. Oligo- und Polypeptide werden durch Peptidasen des Bürstensaums in Bruchstücke zerlegt und dabei entstehende Di- und Tri-Peptide über einen protonengekoppelten Transport direkt in die proximale Tubuluszelle aufgenommen.

Freie Aminosäuren, welche entweder durch glomeru-läre Filtration oder durch luminalen Proteinabbau in den proximalen Tubulus gelangen, werden dort vollständig re-absorbiert. Anionische (Glutamat, Aspartat) und neutrale Aminosäuren (Alanin, Glycin etc.) werden durch verschie-dene luminale Natrium-gekoppelte Cotransportport-systeme aufgenommen, kationische (Arginin, Glutamin, Lysin, Ornithin) Aminosäuren und Zystin werden über Natrium-unabhängige Transportsysteme resorbiert.

Durch diese sehr effektiven Rückresorptionsmechanis-men wird die Proteinurie im Endurin unter 30 mg pro Tag gehalten.

28.1.6 Säure-Basen-Transport der Tubulusepithelien

! Organische Basen und Säuren können im proximalen Tubulus sowohl resorbiert wie auch sezerniert werden.

Organische Kationen. Für die Ausscheidung zahlreicher kationischer Medikamente, die wegen ihres hydrophoben

Charakters häufig an Plasmaproteine gebunden sind und deshalb glomerulär nicht filtriert werden können, stellt die tubuläre Sekretion den Haupteliminationsmechanismus dar. Ebenso werden endogene Kationen, wie z.B. Cholin, biogene Amine etc. im proximalen Tubulus in der Regel sezerniert. Dazu werden die organischen Kationen mittels des polyspezifischen Uniporters OCT2 (organic cation transporter) basolateral in die Zelle aufgenommen und luminal über einen polyspezifischen Kationen/Protonen-Antiporter abgegeben.

Säureanionen. Anorganische (z.B. Phosphat etc.) aber auch kleine organische (z.B. Acetat etc.) Anionen wer-den normalerweise mittels Na+-gekoppelten Cotransport-Systeme (Na+-Mono(Di)carboxylat-Cotransporter, Na+-Phosphat-Cotransporter etc.) über die luminale Membran aufgenommen und in den Zellen des proximalen Tubulus angereichert. Durch die basolaterale Membran werden diese Anionen mit Hilfe passiver Transportsysteme wieder ausgeschleust.

Zahlreiche größere Anionen, dazu zählen oft auch Medikamente, werden über den proximalen Tubulus in den Harn sezerniert. In diesem Fall werden die Anionen baso-lateral mittels des polyspezifischen Anionenaustauscher OAT1 (organic anion transporter) in den proximalen Tubu-lus hineintransportiert und luminal über einen anderen Anionentransporter ausgeschleust.

Spezifität der Transportsysteme. Die Transportsysteme, welche die renale Sekretion von organischen Säuren und Basen vermitteln, sind polyspezifisch, das heißt, sie akzep-tieren Substanzen unterschiedlicher Struktur als Substrat und unterscheiden nicht zwischen körpereigenen Subs-tanzen oder Fremdstoffen. Da alle Transportsysteme ein begrenztes Transportmaximum haben, kann durch Fremd-stoffe wie z.B. Medikamente die Sekretion von körper-eigenen Abfallstoffen vermindert werden, was zur Akku-mulation dieser Stoffe im Körper führen und entsprechende Krankheitserscheinungen auslösen kann.

Eine besondere Rolle spielen diese Zusammenhänge bei der Entstehung und der Therapie der Gicht (7 Kap. 19.4.1).

28.1.7 Transport von Protonen und Hydrogencarbonat

! Protonensekretion und Hydrogencarbonatresorption sind miteinander gekoppelt und erfolgen im proxima-len Tubulus und im Sammelrohr.

Im Stoffwechsel des Menschen entstehen täglich je nach Nahrungszusammensetzung 50–100 mmol nichtflüchtige Säuren, deren Protonen über die Niere ausgeschieden werden müssen. Dafür stehen drei Mechanismen zur Ver-fügung:

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28.1 · Die Niere28907

4 Na+/H+-Austausch im proximalen Tubulus. Bei der Sekretion der Protonen in den Urin wird in der pro-ximalen Tubuluszelle CO2, das entweder aus dem Stoffwechsel der Zelle selbst stammt bzw. aus der Tu bu-lusflüssigkeit oder dem Blut entnommen wird, unter Katalyse des Enzyms Carboanhydrase II in Hydro-gencarbonat und Protonen umgewandelt. Während letz tere im Austausch gegen Natrium in die Tubulus-flüssig keit diffundieren, tritt Hydrogencarbonat im Cotransport mit Natrium (Stöchiometrie 3:1) in den Extrazellulärraum (. Abb. 28.8). Die intrazelluläre Kohlensäureproduktion ist dabei direkt abhängig vom pCO2. Je höher der pCO2 in der Zelle, umso mehr Pro-tonen werden sezerniert und Hydrogencarbonat-Ionen reabsorbiert. Sinkt der pCO2, dann sinken ebenfalls die Protonen ausscheidung und die Hydrogencarbonat-resorption

4 Protonen- und Hydrogencarbonatsekretion im Sam-melrohr. Schaltzellen des Typs A im Sammelrohr se-zernieren Protonen in den Urin (H+-ATPasen) und führen Hydrogencarbonat dem Extrazellulärraum zu (. Abb. 28.12a). Schaltzellen des Typs B sezernieren Hydrogencarbonat in den Urin und führen Protonen

dem Extrazellulärraum zu (. Abb. 28.12b). Zugrunde liegt wiederum eine intrazelluläre Bildung von Hydro-gencarbonat und Protonen. Das Verhältnis von Typ-A- zu Typ-B-Schaltzellen ist dabei variabel, da sie ineinan-der übergehen können. Je höher die Protonenkon-zentration im Blut ist, umso höher ist die Zahl der protonensezernierenden Typ-A-Zellen und umge-kehrt

4 Desaminierung von Glutamin im proximalen Tubu-lus. Glutamin wird in den perivenösen Zellen der Leber unter Energieaufwand durch die Glutaminsynthetase aus Glutamat unter Verbrauch von NH3 und H+ syntheti-siert (7 Kap. 13.1.2). Glutamin wird von der Leber in die Zirkulation abgegeben, wo es mit 600–800 mmol/l die weitaus höchste Plasmakonzentration aller Aminosäu-ren erreicht. Es wird glomerulär filtriert und im proxi-malen Tubulus mit anderen Aminosäuren resorbiert. Zusammen mit der zusätzlichen Aufnahme aus dem Blut steht dem proximalen Tubulus damit Glutamin in beträchtlichem Umfang zur Desaminierung zu Glu-tamat zur Verfügung (. Abb. 28.13). Das entstehende NH4

+ enthält damit ein Proton, welches dem Leber-stoffwechsel entnommen wurde. Durch eine weitere

. Abb. 28.12. Schaltzellen Typ A und B. a Protonen-sezernierende/Hydrogencarbonat-reabsorbierende Schaltzelle Typ A. b Hydrogen-carbonat-sezernierende/Protonen-reabsorbierende Schaltzelle Typ B. Links: Funktionsschema. Rechts: Ultrastruktur. Es sei auf die Umord-

nung der Mitochondrien und der oberflächenvergrößernden Mikro-villi hingewiesen. (Modifiziert nach Kaissling und Kriz aus Seldin u. Giebisch 2000)

b

a

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908 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

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Desaminierung von Glutamat zu -Ketoglutarat ent-steht dann ein weiteres NH4

+. Sein Proton entstammt der Protonierung der -Aminogruppe des Glutamats und ist damit auch dem Stoffwechsel entzogen worden. Die Bereitstellung von Glutamin seitens der Leber und die Desaminierung von Glutamin in der Niere sind pH-abhängig: Beide Prozesse werden bei einem Anstieg der Protonenkonzentration aktiviert und bei einem Ab-fall entsprechend blockiert. Bei schwerer Azidose kann die Niere pro Tag 300–400 mmol NH4

+ produzieren; allerdings benötigt sie für die erforderliche Anpassung mehrere Tage. NH4

+-Ionen werden von der dicken auf-steigenden Henle-Schleife auch anstelle von K+ mit dem Na+/K+/2Cl–-Cotransporter resorbiert und so im Nie-renmark akkumuliert, von wo sie direkt in das Sammel-rohr diffundieren und so zum Teil zumindest den Weg durch die Rinde abkürzen

! Die Ausscheidung von Protonen über den Urin erfor-dert effektive Puffer.

Die Nieren des Menschen können so täglich bis zu 1000 mmol (1 mol) Protonen ausscheiden bzw. 300–400 mmol einsparen. Die Nierentubuli sind imstande, die Wasserstoffionenkonzentration im Urin bis auf das 1000–fache zu erhöhen, von 40 nmol/l (der Konzentration im Blut und Glomerulumfiltrat) auf 40000 nmol/l (der Kon-zentration im Urin bei einem pH von 4,4). Diese 0,04 mmol/l sind jedoch nur ein sehr geringer Teil der täglichen Pro-duktion. Sollte die tägliche Bildung von durchschnittlich 60 mmol Protonen in der Tagesmenge von 1,5 l Urin aus-geschieden werden (entsprechend 40 mmol/l Urin), dann müsste ein Urin mit einem pH-Wert von 1,4 gebildet wer-den. Tatsächlich wird aber ein Urin-pH-Wert von 4,5 (Re-gelbereich 4,5–8,2) nicht unterschritten, weil die Protonen-pumpen im Sammelrohr nur maximal gegen eine H+-Kon-zentration von 30 mmol/l (pH 4.5) arbeiten können. Folglich können die anfallenden Protonen nur zum ge-ringen Teil in freier Form, sondern hauptsächlich nur in gebundener (gepufferter) Form im Endharn ausgeschie-den werden (7 Kap. 28.2.1). Bei einem durchschnittlichen

Urin-pH von 5,5 werden etwa nur 5 mmol H+ pro Tag in freier Form ausgeschieden. Dass die täglich produzierte Menge Protonen dennoch ausgeschieden werden kann, ist auf die Anwesenheit von Puffern im Urin zurückzuführen, die die sezernierten Protonen wegfangen und damit die weitere Protonensekretion in Gang halten.

Dihydrogenphosphat-Hydrogenphosphat-System. Dieses Puffersystem weist im Glomerulumfiltrat eine annähernd gleiche Konzentration wie im Plasma auf (1 mmol/l) und liegt beim pH-Wert des Glomerulumfiltrats (7,40) zu 80% als Hydrogen- und zu 20% als Dihydrogenphosphat (Ver-hältnis 4:1) vor. Aufgrund der günstigen Lage seines pK -Werts mit 6,80 (pH = pK ± 1 bei nichtflüchtigen Puffer-systemen!) eignet es sich vorzüglich zur Urinpufferung. Erst bei einem pH-Wert von 4,5 ist nahezu das gesamte Hydrogenphosphat durch Aufnahme von Protonen nach der Gleichung

in Dihydrogenphosphat umgewandelt. Auf diese Weise werden bis zu 50% der Protonen im Urin von diesem Puf-fersystem aufgenommen.

Durch Titration des Urins mit Base (NaOH 0,1 mol/l) wird diese Pufferung – in vitro – rückgängig gemacht und damit die abgepufferten Protonen quantitativ erfasst. Die-ser als titrierbare Acidität des Urins bezeichnete Anteil be-trägt beim Gesunden zwischen 10 und 40 mmol/24 h.

Die titrierbare Acidität des Urins steigt bei Säurebelas-tung spontan an.

Ammonium-/Ammoniak-System. Eine weitere Pufferungs-möglichkeit ist die Bildung von Ammoniak, die im Gegen-satz zu der des Phosphatpuffersystems in den Tubuluszellen erfolgt. Da die Konzentration von Ammoniak im Extrazel-lulärraum und damit auch im Glomerulumfiltrat aufgrund der entgiftenden Aktivität der Hepatozyten sehr niedrig ist, muss das von den Tubuluszellen in den Urin freigesetzte Ammoniak aus anderen Quellen stammen. Wesentlicher Ammoniakdonator ist die Aminosäure Glutamin, die in verschiedenen Geweben (Muskulatur, Gehirn, Leber) aus Glutamat und freiem Ammoniak gebildet wird, in den Ex-trazellulärraum übertritt und von den Tubuluszellen aus dem arteriellen Blut entnommen wird. Das in den Zellen des distalen und proximalen Tubulus sowie der Sammel-rohre durch enzymatische Hydrolyse aus Glutamin freige-setzte Ammoniak diffundiert in das Lumen und wirkt dort als Protonenakzeptor nach der Gleichung

Das entstandene Ammoniumion kann aufgrund seiner La-dung die Tubulusmembran nicht permeieren und verbleibt daher im Urin.

. Abb. 28.13. Verknüpfung von Glutaminabbau und Protonen-ausscheidung. (Einzelheiten 7 Text)

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28.1 · Die Niere28909

Die NH4+-Ausscheidung beträgt beim Gesunden etwa

30–50 mmol/24 h. Während das Phosphatpuffersystem auf eine Säurebelastung sofort anspricht, steigt die Ammonium-ausscheidung erst innerhalb mehrerer Tage allmählich an. Sie kann dafür jedoch erheblich stärker gesteigert werden als die titrierbare Acidität und Werte bis zu 500 mmol/24 h erreichen. Ammoniak eignet sich besonders als Puffer, da es als Endprodukt des Stickstoffstoffwechsels in nahezu unbegrenzter Menge zur Verfügung steht. Es wird zwar in Aminierungsreaktionen (Glutamatdehydrogenase- und Glu taminsynthetasereaktion) teilweise wieder fixiert (wie Kohlendioxid in Carboxylierungsreaktionen), in der tie-rischen Zelle gibt es jedoch keine Nettofixierung dieser Endprodukte. Bei Säurebelastungen – wie z.B. bei länger dauerndem Hunger, der mit einer Ketoazidose einhergeht – wird deshalb mehr Stickstoff in Form von Ammoniak als in Form von Harnstoff ausgeschieden.

Der pK-Wert des Ammonium-/Ammoniak-Puffer-systems liegt mit 9,40 relativ ungünstig zum pH-Wert des Glomerulumfiltrats. Somit müsste dieser Puffer in einem geschlossenen System schlecht wirken. Da jedoch durch die Tubuluszellen ständig Ammoniak nachgeliefert wird, liegt der Puffer praktisch in einem offenen System vor. Dem Urin können hohe Säuremengen zugeführt werden, ohne dass sich der pH-Wert wesentlich ändert, weil in wässriger Lösung das Verhältnis von Ammonium-Ionen (NH4

+) zu Ammoniak-Gas (NH3) sehr hoch ist (100:1 bei pH 7,40).

28.1.8 Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen

Die Eliminierung im Stoffwechsel entstehender toxischer Substanzen ist eine wichtige Funktion der Niere. Die dabei beteiligten Mechanismen sind in . Tabelle 28.3 zusammen-gestellt.

! Bei Niereninsuffizienz steht eine verminderte Ausschei-dungsfunktion im Vordergrund.

Ist die Ausscheidungsfunktion beider Nieren aufgrund einer Erkrankung oder Schädigung chronisch einge-schränkt, so kommt es zunächst zu einem Anstieg der harnpflichtigen Substanzen ohne allgemeine Vergiftungs-

erscheinungen und später zur vollen Ausbildung des kli-nischen Bilds, zur Urämie.

Neben der Erhöhung der harnpflichtigen Substanzen lassen sich regelmäßig Fehlregulationen des Wasser- (Was-serretention, Anstieg der Plasmaosmolarität durch Harn-stoff), Elektrolyt- (ungenügende Kaliumausscheidung) und des Säure-Basen-Haushalts (verminderte Protonenaus-scheidung) beobachten. Diese Veränderungen, sowie das Auftreten von Urämietoxinen wie Guanidinen, Phenolen und Aminen, führen zu gravierenden Störungen des Zell-stoffwechsels (z.B. Hemmung der mitochondrialen ATP-Bildung).

Die Behandlung der chronischen Niereninsuffizienz besteht in der Entfernung der Urämietoxine und harn-pflichtigen Stoffe sowie der Korrektur der Elektrolytentglei-sungen durch Dialyseverfahren wie Hämo- oder Peritoneal-dialyse. Durch die Entwicklung immer spezifischerer und nebenwirkungsärmerer Immunsuppresiva ist die Nieren-transplantation zur Erfolg versprechendsten Therapieform der Niereninsuffizienz geworden.

28.1.9 Energiegewinnung in der Niere

! Die Natriumresorption determiniert wesentlich den Energieverbrauch der Niere.

Die Zellen des proximalen Tubulus, der dicken aufstei-genden Henle-Schleife und des Konvoluts des distalen Tu-bulus besitzen eine hohe Dichte an Mitochondrien, welche palisadenartig an der basalen Zellmembran angeordnet sind. Dieser Mitochondrienreichtum ist ein Hinweis auf den hohen Bedarf an oxidativ erzeugter Energie in Form von ATP. 80% des Energieumsatzes wird zum Betrieb der Na+/K+-ATPase verwendet, welche in der basalen Mem-bran sitzt und den für den Natriumtransport wichtigen trans zellulären Natriumgradienten erzeugt und aufrecht erhält. Entsprechend korreliert der Energieverbrauch der Niere mit der tubulären Na+-Resorption (. Abb. 28.14), da alle luminalen Na+-Aufnahmesysteme von diesem Gra-dienten abhängig sind. Weil die tubuläre Na+-Resorption von der filtrierten Na+-Menge abhängt, wird der Energie-verbrauch der Niere von der glomerulären Filtrationsrate (GFR) bestimmt.

. Tabelle 28.3. Die Mechanismen der Eliminierung der im Stoffwechsel entstehenden toxischen Substanzen

Verbindung Entstehung Mechanismus der Ausscheidung Ausscheidung/24 h

Ammoniak Aminosäurestoffwechsel Tubuläre Desaminierung von Glutamin; Ausscheidung als Ammoniumionen

20–50 mmol

Harnstoff Harnstoffzyklus Glomeruläre Filtration, tubuläre Reabsorption 300–600 mmol

Harnsäure Purinabbau Glomeruläre Filtration, tubuläre Sekretion u. Reabsorption 2–12 mmol

Oxalat Abbau von Glycin Glomeruläre Filtration, tubuläre Sekretion u. Reabsorption 0,11–0,61 mmol

Kreatinin aus Kreatinin Glomeruläre Filtration 8–17 mmol

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910 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28! Die Sauerstoffversorgung der Niere ist inhomogen.

Die Niere erzeugt ATP hauptsächlich durch oxidative Phosphorylierung. Bei normaler GFR liegt der O2-Ver-brauch bei 0,06 ml min–1 g–1. Da die Durchblutung mit 4 ml min–1 g–1 recht hoch ist, braucht die Niere damit nur ca 7% (0,015 ml O2/ml Blut) des antransportierten Sauer-stoffes zu extrahieren, wodurch der Sauerstoffdruck im Nierenvenenblut mit etwa 60 mmHg noch sehr hoch bleibt. Diese Luxusdurchblutung darf aber nicht darüber hin-wegtäuschen, dass die Sauerstoffversorgung innerhalb der Niere recht inhomogen ist und die O2-Drucke im schlecht durchbluteten inneren Nierenmark bis auf 10 mmHg ab-sinken (. Abb. 28.5). Entsprechend ist der spezifische O2-Verbrauch in der Papille (0,004 ml min–1 g–1) um den Faktor 20 niedriger als in der Rinde (0,09 ml min–1 g–1).

! Fettsäuren und Ketonkörper sind die Hauptsubstrate für die renale Energiegewinnung.

Die quantitativ bedeutsamsten Substrate für die oxidative Phosphorylierung in der Niere sind Acetoacetat, β-Hydro-xybutyrat und Fettsäuren. Glucose spielt hierbei eine ge-ringere Rolle, da der für die Glucosenutzung notwendige Glycolysestoffwechselweg im proximalen Tubulus fehlt, der hinsichtlich seiner Zellmasse und seines Energieumsatzes in der Niere dominiert. Dadurch fehlt dem proximalen Tu-bulus allerdings auch das Pyruvat, welches normalerweise nach Decarboxylierung als Acetyl-CoA in den Citratzyklus zur oxidativen Energiegewinnung eingespeist wird, wes-halb Acetyl-CoA aus der -Oxidation der Fettsäuren oder dem Abbau von Ketonkörpern gebildet wird.

Das Fehlen des glycolytischen Stoffwechselwegs, und damit der Möglichkeit der anaeroben Energiegewinnung

im proximalen Tubulus hat allerdings nachteilig zur Folge, dass diese Zellen unbedingt auf Sauerstoff zur Energiege-winnung angewiesen sind. Sie reagieren deshalb sehr emp-findlich auf eine unzureichende Sauerstoffversorgung.

In den nachgeschalteten Tubulusabschnitten wird dann Glucose verstoffwechselt und dabei nimmt die Aktivität des Glycolysestoffwechselwegs zum distalen Nephron hin zu.

Der proximale Tubulus ist hingegen zur Gluconeo ge-nese fähig. Hierfür nutzt er die Aminosäure Glutamin, aus welcher 2-mal NH3 abgespalten (Glutaminase und Glutamat-dehydrogenase) wird und -Ketoglutarat entsteht, welches als Ausgangssubstrat für die Gluconeogenese dient.

28.1.10 Die Niere als endokrines Organ

Renin-Angiotensin-System (RAS). Renin ist eine Aspartyl-protease mit einer Molekülmasse von ca 40 kDa. Es wird als enzymatisch inaktive Vorstufe (Prorenin) von den Epithe-loidzellen des juxtaglomerulären Apparats synthetisiert und darin in Speichergranula verpackt. In diesen Vesikeln wird es durch Proteolyse zu Renin aktiviert, welches durch regulierte Exozytose aus den Zellen ausgeschleust wird. Das Prorenin umgeht die teilweise Einschleusung in die sekre-torischen Vesikel und wird konstitutiv sezerniert, weshalb im Plasma des Menschen im Gegensatz zu anderen Säugern sogar mehr Prorenin als Renin vorkommt.

Für Renin kennt man nur ein Substrat, nämlich das Glycoprotein Angiotensinogen (Molekülmasse ca. 60 kDa), das hauptsächlich in der Leber, daneben aber auch vom Fettgewebe gebildet wird. Renin spaltet im Plasma vom An-giotensinogenmolekül ein N-terminales Dekapeptid ab, das Angiotensin I, welches durch das angiotensin-I-conver-ting-enzyme (ACE) um zwei Aminosäuren zum Oktapeptid Angiotensin II (AngII) verkürzt wird. Wegen ihrer hohen Aktivität an converting enzyme spielen die Lunge und die Niere eine besonders wichtige Rolle (. Abb. 28.15).

Das menschliche ACE ist über eine C-terminale, hydro-phobe, -helicale Region in der Plasmamembran vieler Zellen, vor allen Dingen von Endothelzellen und glatten Muskelzellen verankert. In geringer Aktivität lässt sich ACE auch im Plasma nachweisen. Es wird von einem Gen von 21 kb Größe codiert, welches aus der Duplikation eines Vorläufergens entstanden sein muss, da es 2 alternative Promotoren enthält:4 Die unter Benutzung des 5 -gelegenen Promotors abge-

lesene mRNA codiert für das somatische ACE, welches ein Molekulargewicht von 170 kDa hat und zwei funk-tionelle Domänen mit je einem aktiven Zentrum ent-hält. Die Aminosäuresequenz am aktiven Zentrum entspricht derjenigen einer Zinkprotease

4 Außer diesem somatischen ACE gibt es noch ein Keim-zell-ACE, welches in reifen Spermatiden exprimiert wird, und welches für die männliche Fertilität wichtig ist. Es entsteht dadurch, dass der zweite Promotor des

. Abb. 28.14. Sauerstoffverbrauch der Niere in Abhängigkeit von der Natriumresorption

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28.1 · Die Niere28911

ACE-Gens benutzt wird und führt zu einer ACE-Form, die nur über ein aktives Zentrum verfügt

AngII als das eigentliche Hormon des Systems, entfaltet verschiedene biologische Wirkungen, die in der Kontrolle des Extrazellulärvolumens und des Blutdrucks zusam-menmünden. AngII löst in glatten Gefäßmuskelzellen eine Kontraktion aus, was in verschiedenen Gefäßgebieten zu einer Vasokonstriktion und damit zu einer Erhöhung des Kreislaufwiderstands führt. Diese rasch einsetzende Er-höhung des Kreislaufwiderstands führt so zu einem un-mittelbaren Anstieg des Blutdrucks. Durch verschiedene Mechanismen bewirkt AngII weiterhin eine Zunahme des Natriumbestands und damit auch des Extrazellulärvolu-mens (7 Kap. 28.2.3).

! An der Signaltransduktion von Angiotensin II sind AT1- und AT2-Rezeptoren beteiligt.

Alle Angiotensin II-Wirkungen werden über Angiotensin II-AT1-Oberflächenrezeptoren vermittelt. Sie gehören zur Familie der G-Protein gekoppelten Rezeptoren (7 Kap. 25.6). Ihre Effekte beruhen auf einer Aktivierung des Phos-phatidylinositolkaskade und damit auf einer Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration und Sti mula-tion der Proteinkinase C (7 Kap. 25.4.5). AT1-Rezeptoren können außerdem die Adenylatcylase sowie bestimmte K+-Kanäle hemmen und damit Zellen depolarisieren. In zahlreichen (vor allem fetalen) Geweben finden sich als weitere Isoform der Angiotensin-Rezeptoren die AT2-Re-zeptoren. AT1- und AT2-Rezeptoren sind in der Amino-säuresequenz zu 34% identisch. Die physiologische Be-deutung und der Signaltransduktionsmechanismus des AT2-Rezeptors sind noch nicht eindeutig geklärt. Beim Erwachsenen wird der AT2-Rezeptor im Areal von Haut-verletzungen besonders stark exprimiert. Man nimmt da-her an, dass er eine Rolle bei der Wundheilung spielt. Beo-bachtungen an AT2-Knockout-Mäusen sprechen weiterhin

dafür, dass AT2-Rezeptor-vermittelte Wirkungen die Blut-druckwirkungen des AT1-Rezeptors abschwächen.

! Die Aktivität des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) wird durch Rückkopplung reguliert.

Die wesentliche physiologische Funktion des RAS von Er-wachsenen besteht in der Erhöhung oder Normalisierung eines erniedrigten Extrazellulärvolumens oder Blutdrucks. Dabei kommt dem Renin eine Schlüsselfunktion zu:4 Seine Freisetzung wird durch einen Blutdruckabfall in

den afferenten Arteriolen der Niere und durch eine Re-duktion des Extrazellulärvolumens (z.B. bei Natrium-mangel) stimuliert (. Abb. 28.16a)

4 Weiterhin stimulieren Adrenalin und Noradrenalin ( 1-Rezeptoren) und Dopamin (D1-Rezeptoren) die Reninfreisetzung über die Aktivierung des cAMP-Signalwegs (. Abb. 28.16b). Entsprechend führt auch eine Aktivitätssteigerung der sympathischen Nieren-nervenfasern zu einer Stimulation der Reninsekretion, was erklärt, warum Stresssituationen mit einer ver-stärkten Reninsekretion einhergehen

4 Die blutdruck- und volumensteigernde Wirkung des RAS wird dadurch begrenzt, dass ein erhöhter Blutdruck bzw. Salzüberschuss die Reninfreisetzung wieder hemmt

4 Auch AngII selbst hemmt im Sinne einer direkten negativen Rückkopplung über AT1-Rezeptoren die Reninfreisetzung (. Abb. 28.16a), was sich auch daran erkennen lässt, dass die Behandlung mit AT1-Rezeptor-blockern oder ACE-Inhibitoren zu einer deutlichen Steigerung der Reninsekretion führt

Auf zellulärer Ebene wird die Reningenexpression durch cAMP und durch Calcium (Phosphatidylinositolweg) ge-genläufig reguliert (. Abb. 28.16b).

! Pathobiochemisch ist nur die Hypersekretion von Renin relevant.

Ein durch eine primäre Renin-Überproduktion und -Über-sekretion hervorgerufenes Krankheitsbild entwickelt sich bei einseitiger Stenose der Nierenarterien. Die dabei herab-gesetzte renale Durchblutung löst in der befallenen Niere eine massiv gesteigerte Reninproduktion und -freisetzung aus, die zu einer Steigerung der Angiotensin-II-Konzentra tion im Blut und aufgrund der vasopressorischen Wirkung die ses Hormons zur massiven Hypertonie führt. Bei Pa tien ten mit essentieller Hypertonie (ca. 95% aller Hyper tonie-Formen!) sind zwar erhöhte Reninkonzentrationen im Plasma eher selten, trotzdem führt eine Behandlung mit ACE-Hemm-stoffen meist zu einer sehr deutlichen Absenkung des Blut-drucks, woraus man auf die Existenz lokaler Renin-Angio-tensin-Systeme (z.B. in der Gefäßwand, Herz etc.) schließt.

Erythropoietin. Das Cytokinhormon Erythropoietin (EPO) ist der zentrale hormonelle Regulator der Erythropoiese. Daneben mehren sich die Befunde, dass EPO zusätzlich in

. Abb. 28.15. Biosynthese und Abbau von Angiotensin II. Die Umwandlung von Angiotensin I in Angiotensin II erfolgt vor allen an den Gefäßendothelien durch das angiotensin converting enzyme (ACE)

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912 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

ischä mischen Geweben (Gehirn, Herz) protektiv wirkt. Im Rahmen der Erythropoiese wirkt es als Mitogen, als Differen-zierungsfaktor und als Überlebensfaktor für erythroid deter -mi nierte Vorläuferzellen im Knochenmark (7 Kap. 29.1).

EPO ist ein Glycoprotein mit einer Molekülmasse von 30 kDa, wovon 16 kDa auf den Proteinanteil und 14 kDa auf den Kohlenhydratanteil entfallen. Der Kohlenhydratan-teil (v.a. die terminalen Sialinsäuren) wird für die In ter ak-tion von EPO mit seinem zur Familie der Cytokin rezeptoren zählenden Rezeptor auf der Zelloberfläche der erythroiden

Zielzellen nicht benötigt. Er ist aber sehr wichtig für die biologische Halbwertszeit und damit für die Verfügbarkeit von EPO. EPO wird in der Niere, Leber und im Gehirn gebildet. Während es vom Föten hauptsächlich noch in der Leber produziert wird, bilden ab dem Kin desalter die Nie-ren ca. 90% des gesamten EPO im Körper. In der Niere wird EPO von speziellen Fibroblasten zwischen den proximalen Tubuli in der Nierenrinde gebildet.

Für die EPO-Bildung ist der O2- Gehalt des Bluts ent-scheidend. Eine verminderte O2-Zufuhr zur Nierenrinde stimuliert die EPO-Bildung, eine erhöhte O2-Zufuhr un-terdrückt sie. Entsprechend führen arterielle Hypoxie und Anämie abhängig vom Schweregrad zu Steigerun-gen der EPO-Produktion und EPO-Plasmaspiegeln, wobei bis zu 10000-fache Erhöhungen gegenüber dem Normwert gemessen werden können. Ein O2-Überangebot an die Niere, z.B. bei Polyzythämie, führt zu einer Hemmung der EPO-Produktion. Zwischen der Hämoglobinkon zentration und der Plasma-EPO-Konzentration ergibt sich so ein in-verser Zusammenhang (. Abb. 28.17). Die EPO-Bildung in den peritubulären Fibroblasten wird direkt vom Gewebe-sauerstoffdruck reguliert, welcher vom Verhältnis des O2-Antransportes zu O2-Verbrauch bestimmt wird.

Die EPO-Bildung ist dabei die Folge einer verstärkten Transkription des EPO-Genes. Diese wird durch den Trans-kriptionsfaktor HIF (hypoxia-inducible factor) ausgelöst, der als Heterodimer aus einer - und einer -Untereinheit besteht. Beide Untereinheiten werden ständig mit kons-tanter Rate synthetisiert, die Stabilität des HIF- -Proteins

. Abb. 28.16. Regulation von Reninsynthese und Reninsekretion in renalen juxtaglomerulären Epitheloidzellen. a Regulation der Reninsekretion durch negative Rückkopplung. b Antagonistische Regulation der Reningenexpression und Reninsekretion durch Adre-nalin (über -Adrenorezeptoren) und Angiotensin II (über AngII-AT-1-Rezeptoren). Aktivierung der Adenylatcyclase (AC) und der damit verbundene Anstieg von cAMP stimuliert die Reningentranskription und die Reninsekretion, während eine Aktivierung der Phospholipase C (PLC) und die damit verbundene Stimulierung der Proteinkinase C (PKC) und den Anstieg der cytosolischen Calciumkonzentration Renin-gentranskription und Reninsekretion hemmt

. Abb. 28.17. Abhängigkeit der Plasmakonzentration von Erythro-poietin von der Hämoglobinkonzentration des Bluts bei Nieren-gesunden und Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz

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28.1 · Die Niere28913

In Kürze

Die Niere besitzt ein streng organisiertes Blutgefäß system, das die Glomeruli speist. An diesen entspringt ein speziell aufgebautes Tubulussystem, das den filtrierten Primär-harn zum Endharn aufbereitet und über das Sammelrohr-system dem Nierenbecken zuleitet. In den Glomeruli wird der Primärharn als Ultrafiltrat des Blutplasmas gewonnen. Die Filtrationsrate des Pri mär harns hängt vom effektiven Filtrationsdruck und der fil trierenden Kapillaroberfläche ab. Die Zusammensetzung des Primär-harns wird von der Filtereigenschaft des Glo merulus nach Molekülradius und Molekülladung bestimmt. Im proximalen Tubulus werden:4 über 60% des filtrierten Wassers, Kochsalzes und

Kaliums resorbiert,4 filtrierte Glucose und Aminosäuren vollständig und

Hydrogencarbonat zu über 90% resorbiert sowie4 Ammoniak und Protonen in Form von Ammonium-

ionen ausgeschieden.

Der proximale Tubulus hat die Fähigkeit:4 zur Gluconeogenese, nutzt selbst aber keine Glu cose

sondern Fettsäuren zur oxidativen Energiegewinnung und

4 zur Resorption oder Sekretion anorganischer und organischer Säuren und Basen.

Der interstitielle Osmolaritätsgradient zwischen Mark und Rinde ist die Voraussetzung für die Harnkonzentrie rung im dünnen absteigenden Teil der Henle-Schleife und im Sammelrohr. Der distale Tubulus resorbiert aktiv über 30% des filtrierten NaCl, sowie Ammonium, Calcium, Magne sium und Wasser. Im konvergierenden Sammelrohr system wird die Endzusammensetzung des Harns festgelegt. Die tubuläre Natriumresorption bestimmt hauptsäch-lich den Energieverbrauch der Niere. Die Energiegewin-nung erfolgt in der Rinde primär aerob, im Mark zuneh-mend auch anaerob, weil die Sauerstoffversorgung des Nierenmarks wesentlich schlechter als die der Rinde ist. Die Niere ist ein endokrines Organ:4 Mit der Bildung und Freisetzung von Renin, kontrolliert

die Niere die Aktivität des Renin-Angiotensin-Aldos-teron-Systems, das wesentlich zur Regulation des Blut-drucks und des Extrazellulärvolumens beiträgt.

4 Mit der Bildung von Erythropoietin steuert die Niere essentiell die Neubildungsrate von Erythrozyten.

ist jedoch abhängig vom O2-Druck. Bei höheren O2- Drucken wird HIF- durch eine O2-abhängige Prolinhy-droxylase hydroxyliert. Dies ist ein Signal zur verstärkten Ubiquitinylierung mit anschließendem Abbau im Protea-som (7 Kap. 9.3). Mit verminderter Verfügbarkeit von O2 (sinkender pO2) nimmt daher die Ubiquitinylierung von HIF- ab, weshalb es weniger rasch abgebaut wird. Damit steigt seine Konzentration in der Zelle, es wird mehr aktiver HIF gebildet und die Transkriptionsrate des EPO-Genes wird gesteigert (. Abb. 28.18).

Zusätzlich hemmt eine O2-abhängige Asparaginhy dro-xylierung noch das Transaktivierungspotential von HIF- .

Dieser Mechanismus der O2-abhängigen Modulierung von HIF ist in vielen Körperzellen zu finden und dient den Zellen zum Schutz vor Sauerstoffmangelzuständen. HIF aktiviert nämlich nicht nur die Bildung von EPO, sondern auch die Bildung von z.B. Glucosetransportern, glycolyti-schen Enzymen und Gefäßwachstumsfaktoren (VEGF).

Bei degenerativen Nierenerkrankungen ist die Regula-tion der EPO-Bildung deutlich gestört. Augenfällig wird dieser Defekt bei Betrachtung der Beziehung zwischen der Hämoglobinkonzentration und der Plasma-EPO-Konzen-trationen. Die für den Nierengesunden charakteristische inverse Beziehung zwischen der Hämoglobinkonzentration und der EPO-Konzentration ist beim chronisch Nierenkran-ken dahingehend verändert, dass die kranken Nieren bei Anämie nicht vermehrt EPO bilden (. Abb. 28.17), weshalb eine kompensatorische Stimulation der Erythopoiese aus-

bleibt. In der Folge bildet sich eine immer ausgeprägtere Anämie aus, welche charakteristisch für chronische Nieren-erkrankungen ist, und als renale Anämie bezeichnet wird. Menschliches EPO wird mittlerweile gentechnisch herge-stellt und steht so zur effektiven Therapie der renalen Anä-mie zur Verfügung.

. Abb. 28.18. Transkriptionsregulation des Erythropoietingens durch den Hypoxie-induzierbaren Faktor (HIF). (Einzelheiten 7 Text)

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914 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

28.2 Der Endharn (Urin)

28.2.1 Eigenschaften des Urins

! Der gesunde Mensch bildet in Abhängigkeit vom Alter und Geschlecht täglich zwischen 500 und 2000 ml Urin.

Das Urinvolumen wird durch die Flüssigkeits- und Nah-rungsaufnahme sowie durch extrarenale Flüssigkeitsabgabe mit Schweiß (Klima!), Atmung und Stuhl (Durchfälle) be-einflusst. Man spricht von einer:4 Oligurie bei einem Harnvolumen von weniger als

400 ml/24 h (16 ml/h)4 Anurie bei einem Harnvolumen von weniger als

100 ml/24 h (4 ml/h) und4 Polyurie bei einem Harnvolumen von mehr als

2,5 l/24 h

Stickstoffreiche Kost erhöht die Urinausscheidung, da beim Abbau der Aminosäuren Harnstoff gebildet wird, dessen Ausscheidung über die Nieren Lösungsvolumen erfordert, wohingegen das beim Fettsäuren- und Kohlenhydratabbau freigesetzte Kohlendioxid mit der Atemluft abgeatmet wer-den kann.

Das spezifische Gewicht in g/l hängt von Konzentration und Art aller gelösten Stoffe ab. Es liegt bei ausgeglichener Flüssigkeitsbilanz zwischen 1015 und 1022 (H2O = 1000), sinkt bei extremer Harnverdünnung auf 1001 (50 mosm/l H2O) und steigt bei extremer Konzentrierung bis auf etwa 1040 (1300 mosm/l H2O).

! Normaler Urin ist stroh- bis bernsteingelb.

Die wichtigsten Urinfarbstoffe sind die beiden Urochrome A und B, die sich spektralphotometrisch trennen lassen und 25 bzw. 70% des Harnfarbwerts ausmachen. Von un-tergeordneter Bedeutung ist der Gehalt an Uroerythrin (etwa 4%). Urochrom und Uroerythrin entstammen dem Hämabbau.

Die Farbe wird durch die Konzentration an gelösten Stoffen, durch pathologische Bestandteile, Arznei- und Nah-rungsmittel beeinflusst. Die 3 klinisch wichtigsten Ursa-chen eines roten Urins sind Hämaturie, Hämoglobinurie und Porphyrinurie. Bilirubin färbt den Urin dunkel-braun.

Medikamentös und alimentär bedingte Urinverfär-bungen sind ziemlich häufig. Zahlreiche Pharmaka und einige Nahrungsmittel bzw. deren Metaboliten können einen roten Urin verursachen. Grün gelbliche Fluoreszenz des Urins wird sehr häufig nach Einnahme von Multivi-taminpräparaten, die Riboflavin enthalten, beobachtet.

! Frisch gelassener Urin riecht aromatisch.

Der Harngeruch kann nach dem Genuss mancher Speisen, Gewürze und Arzneimittel verändert werden (z.B. durch Knoblauch und Spargel). Der normale Harngeruch wird

durch bakterielle Zersetzung von Harnstoff in Ammoniak (Ureasereaktion) stechend. Ein Obstgeruch weist auf die Ausscheidung von Aceton hin (Diabetes mellitus). Urin schmeckt bitter und salzig.

! Der Urin ist bei normaler Kost sauer.

Mit der pH-Messung (Normalbereich pH 5,6–7,0) werden nur die freien Protonen bestimmt, die weniger als 1% der von den Nieren täglich zu eliminierenden Wasserstoffionen ausmachen und somit keinen quantitativen Aufschluss über die Nierenleistung vermitteln. Daher müssen die »titrierbare Säure« sowie die Ammoniumionenkonzen-tration bestimmt werden. Bei der titrierbaren Säure han-delt es sich um diejenige Menge von Basenäquivalenten, die benötigt werden, um den Urin auf einen pH-Wert von 7,4 zu bringen. Diese Menge entspricht damit praktisch den phosphatgebundenen Protonen im Urin (ca 30 mmol/l). Die im NH4

+ gebundenen Protonen werden – wegen des hohen pK-Werts dieser Verbindung von 9 – damit nicht erfasst (sog. nicht titrierbare Säure). Nach längerem Stehen wird Urin durch die Aktivität harnstoffspaltender Bakte-rien (7 o.) alkalischer.

28.2.2 Chemische Zusammensetzung des Urins

Die chemische Zusammensetzung des Urins wird durch Menge und Zusammensetzung der Nahrung (pflanzliche und/oder tierische Kost) sowie Alter und Geschlecht be-stimmt (. Tabelle 28.4). Da die Konzentration der gelösten Stoffe im Laufe eines Tages erhebliche Schwankungen zei-gen kann (z.B. die Phosphatausscheidung), sind für quanti-tative chemische Analysen Durchschnittsproben des 24-h-Urins erforderlich. Der täglich von den Nieren ausgeschie-dene Urin enthält durchschnittlich etwa 60 g (50–72 g) Trockensubstanz. Die im Urin vorkommenden Substanzen werden eingeteilt in solche, die physiologischerweise ausge-schieden werden (normale Harnbestandteile), und solche, die nur infolge von Krankheiten nachgewiesen werden können (pathologische Harnbestandteile).

! Die meisten ausgeschiedenen organischen Stoffe ent-halten Stickstoff.

Außer den in . Tabelle 28.4 genannten harnpflichtigen Subs-tanzen enthält Urin:4 Nitrat: Diese Substanz ist im Urin stets in geringen

Mengen vorhanden und stammt aus dem Abbau von NO. Da bestimmte Bakterien Nitrat in Nitrit umwan-deln, dient der Nitritnachweis im Urin (mit Teststrei-fen) als Hinweis für eine bakterielle Besiedelung der Harnwege

4 Freie Aminosäuren: Der normale Urin kann 1–3 g Aminosäuren/Tag enthalten. Bei Lebererkrankungen steigt die Ausscheidung sehr stark an (Entfall der Puf-

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28915

ferfunktion der Leber!) und kann zum Auskristallisie-ren von Leucin und Tyrosin führen

4 Aminosäurederivate (Hydroxyprolin, Methylhistidin und Pyridinolin-Derivate): Hydroxyprolin ist fast ausschließlich im Kollagen vorhanden. Da das beim Kollagenabbau freigesetzte Hydroxyprolin nicht für die Biosynthese dieses Bindegewebeproteins reutilisiert werden kann, sondern entweder zu Kohlendioxid und Wasser oxidiert (85–90%) oder in den Urin ausgeschie-den wird (10–15%), dient es als Indikator für einen veränderten Bindegewebestoffwechsel. Die Hydro-xyprolinbestimmung wird zunehmend durch die Be-stimmung der Pyridinolin-Abbauprodukte ersetzt (7 Kap. 24.2). 3-Methylhistidin, ein Bestandteil von Aktin und Myosin, gibt Informationen über den Mus-kelproteinumsatz (7 Kap. 30.2.2). Weitere stickstoff-haltige Substanzen sind Hippursäure (0,1–1,0g/24 h), N-haltige Phenole und Indican (4–20 mg/24 h).

4 Proteine: Je nach angewandter Untersuchungsme tho-de können 3–40 mg Protein im 24-h-Urin nachge-wiesen werden. Sie bestehen zu 2/3 aus Plasmapro te-inen (Albumin 60%, Immunglobuline und andere Globuline jeweils 20%) und zu 1/3 aus Gewebsprote-inen. Glycoproteine (Mucine) stammen aus der Schleim-haut der Blase und kommen ebenfalls im normalen Urin vor

4 Schwefelhaltige Substanzen: Der mit dem Urin ausge-schiedene Schwefel besteht im Wesentlichen aus an-organischem Sulfat. Da dieses beim Abbau der Amino-säuren Methionin und Cystein entsteht, wird seine täg-lich ausgeschiedene Menge (von 3–60 mmol/d durch die zugeführte Proteinmenge bestimmt. Etwa 10% des

ausgeschiedenen Sulfats liegen als konjugiertes Sulfat (z.B. Phenole und Steroide) vor und werden deshalb als Ätherschwefelfraktion bezeichnet. Die übrigen schwefelhaltigen Verbindungen wie Cystein, Taurin und Thiocyanat werden unter dem Begriff Neutral-schwefel zusammengefasst

4 Hormone und Vitamine: Im Urin vorkommende dia-gnostisch wichtige Hormone sind Adrenalin, Noradre-nalin, Steroide, Gonadotropine, Serotonin bzw. deren Abbauprodukte (Vanillinmandelsäure, 17-Hydroxy- und 17-Ketosteroide, 5-Hydroxyindolessigsäure). Von den Vitaminen sind – in Abhängigkeit von der zuge-führten Menge – hauptsächlich die wasserlöslichen B-Vitamine und Vitamin C vertreten

4 Phosphat: Die Ausscheidung von Phosphat ist nah-rungsabhängig und tageszeitlichen Schwankungen unterworfen. Im Glomerulumfiltrat liegt Phosphat – wie im Blutplasma – bei einem pH-Wert von 7,4 zu 80% als Hydrogenphosphat und zu 20% als Dihydrogen-phosphat vor. Verschiedene Krankheitszustände gehen mit einer Erhöhung (Hyperparathyreoidismus, 7 Kap. 28.6.4) bzw. Erniedrigung (Hypoparathyreoidismus, 7 Kap. 28.6.4) der Phosphatausscheidung einher

28.2.3 Pathobiochemie des Urins

Pathologische Urinbestandteile sind nach Schädigungen der Nieren (Permeabilitätsänderung der glomerulären Kapillarmembran bzw. Einschränkung der Tubulusfunk-tion) oder bei pathologischer Erhöhung der Plasmakonzen-tration eines Stoffes (Überlaufmechanismus) nachweisbar.

! Eine pathologische Proteinausscheidung tritt bei ent-zündlichen und degenerativen Nierenerkrankungen auf.

Bei Nierenerkrankungen, welche auch die glomeruläre Fil-terfunktion miterfassen, wird mehr Protein filtriert als in der proximalen Tubuluszelle maximal reabsorbiert werden kann. Entsprechend wird vermehrt Eiweiß im Endurin aus-geschieden.

Unter Proteinurie versteht man entweder eine Gesamt-ausscheidung von mehr als 150 mg Protein in 24 Stunden oder eine Abweichung vom Verteilungsmuster der physio-logisch im Harn vorkommenden Proteine.

Eine Sonderstellung nimmt die Mikroalbuminurie ein. Eine erhöhte Albuminausscheidung in den Urin von 20–300 mg/24 h weist auf glomeruläre Schäden bei Dia-betikern hin. Als nephrotisches Syndrom wird eine große Proteinurie mit mehr als 3,5 g pro Ausscheidung in 24 Stun-den bezeichnet. Beim Plasmocytom ist das Bence-Jones-Protein nachweisbar.

Einschränkungen der Reabsorptionsleistung können ebenfalls zur Proteinurie führen. Am bekanntesten hierfür sind genetisch bedingte Funktionsveränderungen von Ami-nosäuretransportern, welche zur Aminoazidurie führen.

. Tabelle 28.4. Organische Bestandteile des Urins

Tägliche Ausscheidung

Harnstoff (abhängig von der Aminosäurezufuhr)

0,33–0,58 mol

Harnsäure (abhängig von der Nahrungszufuhr)

2–11 mmol

KreatininFrauen: 88–222 μmol/kg KörpergewichtMänner: 160-280 μmol/kg Körpergewicht

8–17 mmol

Kreatin 54–135 μmol

Aminosäuren 1–3 g

Glucose bis 1,1 mmol

Ketonkörper 30–150 mmol

δ-Aminolävulinat unter 45 μmol

Porphobilinogen unter 10 μmol

Koproporphyrine unter 280 μg

Uroporphyrine unter 20 μg

Proteine 3–40 mg

-Amylase 100–2000 U/l

28.2 · Der Endharn (Urin)

Page 24: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

916 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

! Die renale Glucoseresorption hat ein Transportmaxi-mum; Glucosurie weist fast immer auf einen Diabetes mellitus hin.

Das Auftreten von Monosacchariden im Urin wird als Melliturie bezeichnet. Die wichtigste und häufigste Mellit-urie ist die Glucosurie (7 Kap. 26.4.1). Ausscheidungen an-derer Monosaccharide (Fructose, Lactose, Galactose, Pen-tosen) haben wegen ihres seltenen Auftretens nur geringe Bedeutung.

Die tubuläre Rückresorption von Glucose erfolgt über eine begrenzte Zahl von Transportmolekülen. Wenn die filtrierte Glucosemenge die maximale Transportkapazität der Na+-gekoppelten Symportsysteme überschreitet, er-scheint Glucose im Endharn (Glucosurie) und geht damit dem Körper verloren. Das geschieht, wenn die Glucosekon-zentration im Plasma (Normalwert 5 mmol/l) und damit auch im Primärharn 10 mmol/l überschreitet (sog. Nieren-schwelle).

! Nahrungskarenz führt zur Ketonurie.

Die normalerweise geringe Ausscheidung (3–15 mg/24 h bzw. 30–150 mmol/24 h) der Ketonkörper (Aceton, Acet-acetat, -Hydroxybutyrat) ist erhöht im Hungerzustand, bei Diabetes mellitus, während der Schwangerschaft und bei einigen Alkaloseformen. Bei kohlenhydratarmer und fettreicher Kost sind aufgrund der erhöhten Lipolyserate ebenfalls Ketonkörper im Urin nachweisbar.

Die frühzeitige Diagnose der diabetischen Ketonurie ist wichtig, da sie eine Stoffwechselentgleisung anzeigt. Die Bestimmung muss mit frisch gelassenem Urin sofort durch-geführt werden, da Acetacetat spontan zu Aceton decar-boxyliert, das flüchtig ist.

! Rotverfärbung des Urins tritt bei Hämoglobinurie, Hämaturie und Porphyrien auf.

Hämaturie. Treten Erythrozyten in den Urin über, so liegt eine Hämaturie vor.

Hämoglobinurie. Freies Hämoglobin kann nach schwerer Hämolyse oder schweren Verbrennungen, Myoglobin nach

Muskelverletzungen (»Crush-Syndrom«; quetschen, engl. to crush) in den Urin übertreten. Bei intravasaler Hämolyse tritt Hämoglobin in den Urin über sobald die Haptoglo-binbindungskapazität des Plasmas 7 Kap. 29.6.3) und die Reabsorptionskapazität der Tubuli für Hämoglobin über-schritten werden. Das ist in der Regel bei Hämoglobin-konzentrationen über 1,2 g/l der Fall.

Porphyrinurie. Das Vorkommen von Uroporphyrinen so-wie vermehrter Mengen von Koproporphyrinen im Urin wird als Porphyrinurie bezeichnet (7 Kap. 20.2). Die nor-male Koproporphyrinausscheidung im Urin beträgt 90–430 nmol (60–280 mg)/24 h.

Über die Anwesenheit von Bilirubin, Urobilin und Urobilinogen und ihre Beziehung zur Gelbsucht informiert 7 Kapitel 20.

28.2.4 Harn- und Nierensteine

! Zwei Drittel aller Harnsteine sind Oxalatsteine.

Die Konzentrationsleistung der Nieren bei der Bildung des Urins ermöglicht die Ausscheidung mancher Stoffe in rela-tiv hoher Konzentration. Dabei hängt die Löslichkeit derar-tiger Verbindungen weitgehend von der Protonenkonzen-tration des Urins ab, da die Wasserstoffionen des Lösungs-mittels die Dissoziation gelöster Stoffe und damit deren Löslichkeit bestimmen (je polarer, desto wasserlöslicher). Unter bestimmten Umständen stellt der Urin für eine Reihe von Verbindungen, v.a. Calciumoxalat und Calciumphos-phat, eine übersättigte Lösung dar. Citrat und einige Urin-proteine (7 u.) verhindern normalerweise das Ausfallen dieser Verbindungen und die Bildung von Steinen. Bei einem verminderten Gehalt des Urins an diesen Regula-tionsfaktoren und entzündlichen Veränderungen von Nie-ren und Harnwegen kommt es jedoch in Nieren (Nephro-lithiasis), der Harnblase oder Harnröhre (Urolithiasis) zu Ablagerungen und zur Bildung kleinerer oder größerer Steine oder Konkremente. Da die Zusammensetzung des Urins weitgehend durch die aufgenommene Nahrung be-stimmt wird, ist es wichtig, die chemische Zusammenset-

. Tabelle 28.5. Zusammenstellung häufiger Nierensteine

Bezeichnung Konkremente aus Ursache Häufigkeit (%)

Calciumoxalat-Steine Calciumoxalat undCalciumphosphat

Hypercalciurie, Hyperoxalurie (selten) 70

Struvit-Steine Magnesium-Ammonium-phosphat

Harnwegsinfekte mit harnstoffspaltenden Mikro orga-nismen. Dadurch gesteigerte Ammoniakbildung mit alkalischem Urin

15

Harnsäuresteine Harnsäure Hyperuricosurie wegen gesteigertem Purinabbau (Gicht) oder erhöhtem Zellumsatz bei Hyperacidität des Urins

10

Cystinsteine Cystin Cystinurie selten

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28917

zung der Harn-(Nieren-)Steine zu kennen, um durch eine entsprechende Diät ihrer weiteren Bildung entgegenwirken zu können. Die häufigsten Steinformen sind in . Tabel-le 28.5 zusammengestellt.

Die Steine kommen selten in reiner Form vor, 90% ent-halten einen oder mehrere zusätzliche kristalline Bestand-teile. Außerdem sind immer Proteine und Glycoproteine, die etwa 3% des Gesamtgewichts des Steins ausmachen, vorhanden.

Nierensteine gelangen oft in den Harnleiter und kön-nen dort eine Kolik auslösen. Kleinere Blasensteine verfan-

gen sich manchmal im inneren Harnröhrenostium und lösen so eine Kolik aus.

Verschiedene Nierenproteine hemmen die Steinbil-dung. Nephrocalcin, ein saures Glycoprotein, das die Amino säure -Carboxyglutamat enthält, hemmt die Bil-dung von Calciumoxalatsteinen. Ähnlich wirkt das Tamm-Horsfall-Glycoprotein. Uropontin, ebenfalls von den Nieren ge bildet, hemmt das Wachstum von Calciumoxalat-kristallen. Möglicherweise begünstigen Konzentrations-veränderungen derartiger Proteine die Entwicklung von Steinen.

In Kürze

Der gesunde Mensch bildet in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht täglich 500–2000 ml sauren Urin, der normal stroh- bis bernsteingelb ist und aromatisch riecht. Der Urin enthält in höherer Konzentration die was-serlöslichen Endprodukte des Eiweißstoffwechsels, die damit stickstoffhaltig sind. Die Proteinausscheidung über den Urin ist normalerweise sehr gering, nur bei entzündlichen und degenerativen Nierenerkrankungen tritt eine pathologische Proteinausscheidung (Protein-urie) auf.

Der Urin enthält normalerweise keine Glucose. Eine Glucosurie weist deshalb fast immer auf einen Diabetes mellitus hin. Bei Hungerzuständen steigt die Konzentration von Ketonkörpern im Urin (Ketonurie) an. Rotverfärbung des Urins tritt bei Hämoglobinurie, Hämaturie und Porphyrien auf. Durch Auskristallisieren von Salzen im Urin ent stehen Harnsteine, wovon die häufigsten Oxalatsteine sind.

28.3 Der Wasserhaushalt

28.3.1 Wasserbilanz

! Das Körperwasser verteilt sich auf verschiedene Kom-partimente.

Da das Fettgewebe im Vergleich zu anderen Körperge weben einen sehr viel geringeren Wassergehalt besitzt, sollte das Körperwasser eigentlich auf die fettfreie Körpermasse (lean body mass) bezogen werden. Bei einer großen Zahl von Säugetieren einschließlich des Menschen beträgt der Wassergehalt der fettfreien Körpermasse konstant 72–74% (. Abb. 28.19). Da das Körperwasser mit der Isotopendi-lutionsmethode gut bestimmt werden kann, lässt sich diese Beziehung zur Berechnung des Körperfettgehalts ver-wenden:

Bezieht man den Wassergehalt auf die Gesamtmasse, so ist dieser im Wesentlichen vom Körperfett abhängig, das je nach Geschlecht und Lebensalter schwankt. Bei Säuglin-gen macht das Körperwasser noch etwa 75% der Körper-masse aus, beim erwachsenen Mann etwa 60%, und bei der erwachsenen Frau etwa 50% (wegen eines höheren Fettge-websanteils).

Innerhalb des Körpers lassen sich 2 Wasserräume unterscheiden, nämlich der größere Intrazellulärraum (60–65% des Körperwassers) und der kleinere Extra-zellulärraum (35–40% des Körperwassers). Der Extra-zellulärraum lässt sich weiter unterteilen in den inter-stitiellen Raum (75% des Extrazellulärvolumens), das Blutplasma (25% des Extrazellulärvolumens) und die transzelluläre Flüssigkeit (z.B. Liquor cerbrospinalis etc.), die aber nur etwa 1 Liter beim Erwachsenen aus-macht.

! Die Wasserzufuhr dient der Kompensation obligater und nichtobligater Wasserverluste.

Der Mensch kann wochenlang auf die Zufuhr von Nah-rungsstoffen verzichten, jedoch nur wenige Tage auf die von Wasser und Elektrolyten. Die Wasserbilanz eines 70 kg schweren Erwachsenen ist in . Tabelle 28.6 zusammenge-stellt. Damit sie ausgeglichen ist, muss die Zufuhr die Was-serverluste kompensieren. Dabei ist zu beachten, dass fast 40% der Wasserverluste als Wasserdampf über die Lungen und die Haut erfolgen. Hierdurch gehen etwa 25% der Wärmeproduktion des Körpers verloren. Dieser obligate Wasserverlust spielt eine Rolle bei der Regulation der Kör-perwärme und nimmt auch bei hochgradigen Flüssigkeits-verlusten nur wenig ab.

Im Organismus entsteht Wasser bei der mitochon-drialen Oxidation der Nahrungsstoffe (Biooxidation). Die Oxidation von 100 g Fett liefert 107 ml, die von 100 g

28.3 · Der Wasserhaushalt

Page 26: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

918 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

Kohlenhydraten 55 ml und die von 100 g Protein 41 ml Wasser. Die vom Menschen täglich gebildete Menge Oxi-dationswasser beträgt etwa 300 ml. Der darüber hi naus-gehende Teil der Wasserbilanz muss durch Getränke und den Wassergehalt der Nahrungsmittel ausgeglichen werden.

In die Bilanz gehen die 5–10 l Verdauungssekrete, die in den Magen-Darm-Trakt abgegeben werden, nicht mit ein, da sie schließlich wieder reabsorbiert werden. Sie sind aber beim Erbrechen oder bei Durchfällen von Be-deutung.

! Die Regulation des Wasserhaushalts erfolgt hauptsäch-lich durch Osmoregulation.

Der Wasserhaushalt des Körpers wird über die Osmolarität der Extrazellularflüssigkeit geregelt, die normalerweise bei ca. 290–295 mosmol/l liegt und deren Konstanz vom Kör-per angestrebt wird. Entscheidend für die effektive Os-molarität im Extrazellulärraum sind vorwiegend Na-triumionen, welche in einer Konzentration von 140 mmol/l vorliegen, zusammen mit Chlorid- und Hydrogencar-bonat-Anionen. Die Osmolarität im Intrazellulärraum entspricht der des Extrazellulärraums. Im Intrazellulär-raum sind die Träger der effektiven Osmolarität im Wesent-lichen Kaliumionen und die organischen Phosphate bzw. die Proteine.

Die Osmolarität wird ständig durch die Osmorezep-toren des Hypothalamus kontrolliert, die Änderungen der Osmolarität des Extrazellulärraums mit hoher Sensitivität erfassen.

Diese regeln die Wasseraufnahme und -ausscheidung derart, dass die Osmolarität im Extrazellulärraum konstant bleibt, sodass sich im Normalfall Wasseraufnahme und -ausscheidung die Waage halten.

28.3.2 Hormonelle Regulation des Wasserhaushalts

! Das antidiuretische Hormon (ADH) ist das zentrale Hormon in der Regulation des Wasserhaushalts.

Als blutdrucksteigerndes, antidiuretisches Peptid kommt im Hypophysenhinterlappen das aus 9 Aminosäuren beste-hende antidiuretische Hormon, ADH (Synonym: Vaso-pressin oder Pitressin) vor (. Abb. 28.20). Die Cysteine in den Positionen 1 und 6 bilden eine Disulfidbrücke. Ein sehr ähnliches, ebenfalls im Hypophysenhinterlappen vorkom-mendes Peptidhormon ist das Ocytocin. Es unterscheidet sich vom Vasopressin lediglich in 2 Aminosäuren. Das Phenylalanin des Vasopressins ist im Ocytocin durch Isoleu-cin ersetzt, das Arginin durch Leucin. Ocytocin ist die wich-tigste zur Uteruskontraktion führende Substanz und wird infolgedessen im Rahmen der Geburtshilfe verwendet. Au-ßerdem führt es zu einer Kontraktion der glatten Muskula-tur der Brustdrüse, wodurch es zur Milchexkretion kommt.

! ADH (Vasopressin) wird als Prohormon im Hypothala-mus gebildet.

Vasopressin wird – wie Ocytocin – in den neurosekreto-rischen Neuronen der paraventrikulären Kerne des Hypo-thalamus gebildet. Das Vasopressin-Gen (. Abb. 28.21) ist ein Polyprotein-Gen, welches aus 3 Exons und 2 Introns besteht. Die nach Transkription und Entfernung der In-trons entstehende mRNA codiert für Prä-Provasopressin. Nach Abtrennung der N-terminalen Signalsequenz entste-hen Provasopressin und aus diesem durch weitere limitierte Proteolyse das N-terminal gelegene Nonapeptid Vasopres-sin, ein als Neurophysin II bezeichnetes Protein sowie ein Glycoprotein. Das Ocytocin-Gen ist sehr ähnlich aufgebaut und codiert für ein über weite Bereiche homologes Prä-proocytocin. Aus ihm entstehen Ocytocin sowie Neuro-physin I. Eine zum Glycoprotein des Vasopressinpräkur-

. Tabelle 28.6. Tägliche Zufuhr und Verlust von Wasser beim Erwachsenen

Wasserzufuhr ml Wasserverlust ml

Trinken (Wasser und Getränke)

1200(500–1600)

Urin 1400(600–1600)

Wasser der Nahrungsstoffe(Gehalt: 60–97% Wasser)

900(800–1000)

Lungen und Haut(Perspiration)

900(850–1200)

Oxidationswasser 300(200–400)

Faeces 100(50–200)

Insgesamt 2400(1500–3000)

2400(1500–3000) . Abb. 28.19. Beziehung zwischen Körperwasser und fettfreier

Körpermasse bei verschiedenen Säugern. (Daten nach Wang Z et al. 1999)

Page 27: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

28919

sors analoge Verbindung kommt beim Ocytocin nicht vor. Man nimmt an, dass das Vasopressin- und Ocytocin-Gen von einem gemeinsamen Vorläufer-Gen abstammen. Die Neurophysine dienen als Trägerproteine für Vasopressin bzw. Ocytocin während ihres Transports vom Ort der Bio-synthese entlang entsprechender Axone in den Hypophy-senhinterlappen, dem Ort ihrer Sekretion. Über die Funk-tion des C-terminalen Glycoproteins ist nichts bekannt.

! ADH (Vasopressin) wirkt vasokonstriktorisch über V1-Re zeptoren und fördert die renale Wasserrück-resorption über V2-Rezeptoren.

Gefäßwirkungen. ADH (Vasopressin) löst über V1-Rezep-toren eine Kontraktion der glatten Muskelzellen der Blut-gefäße aus. Das bewirkt einen Blutdruckanstieg durch die Erhöhung des Kreislaufwiderstands. Die V1-Rezeptoren gehören zur Familie der G-Protein gekoppelten Rezeptoren und sind an die Phosphatidylinositol-Kaskade gekoppelt, ihre Aktivierung führt also zu einer Erhöhung der cyto-solischen Calciumkonzentration.

Renale Wirkungen. Über V2-Rezeptoren wirkt ADH durch eine Stimulierung der Wasserrückresorption im Sammel-rohrsystem der Niere (7 Kap. 28.1.4).antidiuretisch. Da die Halbwertszeit des zirkulierenden ADH als Peptidhormon ca. 5 Minuten beträgt, wirken sich Änderungen der ADH-Freisetzung schnell auf die ADH-Konzentration im Plasma aus. So kann der Organismus sehr rasch auf Änderungen des Wasserbestands bzw. der Osmolarität reagieren und verhindern, dass es zu unerwünschten Volumenänderun-gen des Intrazellulärraums kommt.

! Die ADH-Freisetzung wird durch eine Erhöhung der Plasmaosmolarität, eine Verringerung des Extrazellulär-volumens und durch Hormone stimuliert.

Die Freisetzung von ADH aus dem Hypophysenhinterlap-pen wird durch osmotische und nichtosmotische Signale gesteuert:4 Die Plasmaosmolarität ist für die ADH-Sekretion von

besonderer Wichtigkeit. Die Schwelle für die ADH-Freisetzung liegt bei ca. 275–280 mosmol/l, weshalb

. Abb. 28.20. Chemische Struktur des Nonapeptids Vasopressin. Die Cysteinreste in Position 1 und 6 sind durch eine Disulfidbrücke

verknüpft, sodass eine zyklische Struktur entsteht. Im Ocytocin sind Phenylanalin durch Isoleucin und Arginin durch Leucin ersetzt

28.3 · Der Wasserhaushalt

Page 28: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

920 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

auch bereits im Normalzustand ADH sezerniert wird. Ein Anstieg der Osmolarität um nur 1% führt bereits zu einer messbaren Zunahme der ADH-Sekretion. Der osmotische Druck wird kontinuierlich in verschiede-nen Bereichen des Hypothalamus durch spezifische Osmorezeptoren erfasst, deren Signale auf die ADH produzierenden Zellen des N. suprapopticus und N. paraventricularis weitergegeben werden. Auch diese selbst sind an der Osmorezeption beteiligt

4 Der Füllungszustand des Extrazellulärraums bzw. der Blutdruck beeinflusst die ADH-Freisetzung über Baro-sensoren. Dadurch kann unabhängig von der Osmo-larität eine Steigerung der ADH-Produktion bei signi-fikantem Volumenmangel und/oder Blutdruckabfall ausgelöst werden. Eine Überfüllung des Extrazellulär-raums bzw. ein Blutdruckanstieg wirkt sich dagegen dämpfend auf die ADH-Freisetzung aus. Hierfür ge-nügen bereits Wasserdefizite oder Wasserzufuhr von 0,3–0,5 l

4 Angiotensin II aktiviert die ADH-Sekretion durch ei-nen direkten Effekt auf die Zellen des N. supraopticus und N. paraventricularis

4 Am Hypophysenhinterlappen stimulieren Acetyl cholin, Nikotin und Morphin die ADH-Freisetzung, Adrenalin und Ethanol sind dagegen Hemmstoffe

! Das Durstgefühl wird von Osmorezeptoren vermittelt.

Auch das Durstgefühl wird wesentlich über hypothala-mische Osmorezeptoren ausgelöst, die jedoch nicht genau lokalisiert sind. Angiotensin II wirkt ebenfalls fördernd auf die Entwicklung des Durstgefühls. Die Schwelle für die

Auslösung des Durstgefühls liegt nur 5–10 mosmol über der für die ADH-Freisetzung. Dadurch wird vermieden, dass es zu einer Erhöhung des osmotischen Drucks über den physiologischen Bereich (290–295 mosmol/l) kommt.

28.3.3 Pathobiochemie des Wasser-haushalts

Abweichungen des Wassergehalts vom Normalwert be-zeichnet man als Dehydratation bzw. Hyperhydration. Dabei ist zu unterscheiden, ob es sich um isotone Verän-derungen (Osmolarität bleibt normal) oder um hypo- bzw. hypertone Abweichungen handelt. Da hauptsächlich die Natriumkonzentration die Osmolarität des Extrazellulär-raums bestimmt, definiert sie auch die Zuordnung der De- bzw. Hyperhydratation. Isotone Veränderungen des Wassergehalts treten in der Regel sekundär zur Verän derung des Natriumhaushalts auf. Sie werden deshalb in 7 Kapitel 28.4 beschrieben. Nichtisotone Veränderungen gehen bei Wasserverlust (ohne Natriumverlust) in der Regel mit einer Hypertonizität (Hypernatriämie, Na+ >150 mmol/l), bei Überwässerung (ohne zusätzliche Na triumzufuhr) mit einer Hypotonizität (Hyponatriämie, Na+ <135 mmol/l) einher.

Dehydration bei Hypernatriämie. Sie entsteht durch den Verlust hypotoner Körperflüssigkeiten bei gleichzeitig un-zureichender Wasserzufuhr.

Beispiele hierfür sind:4 starkes Schwitzen (Schweiß ist hypoton!)4 Wasserverlust über die Atemwege bei anhaltender

Hyperventilation (z.B. bei Höhenaufenthalt)4 anhaltender Durchfall bzw. Erbrechen4 anhaltende Produktion eines hypotonen Harns (z.B. bei

Diabetes insipidus, Verabreichung von Diuretika etc.)

Wegen der hohen Membranpermeabilität für Wasser ver-mindert sich bei einer solchen hypertonen Dehydrata-tion nicht nur der Extrazellulärraum, sondern auch ent-sprechend der Intrazellulärraum, d.h. die Körperzellen schrumpfen. Besonders empfindlich auf Volumenände-rungen reagieren dabei Neurone, weshalb im klinischen Beschwerdebild Störungen des Zentralnervensystems im Vordergrund stehen. Rasche Dehydratation kann so zu Be-wusstseinstrübung bis hin zu Koma und Tod führen.

Wenn sich die hypertone Dehydratation langsam ent-wickelt, können Hirnzellen durch zusätzliche Bildung von Osmolyten (z.B. Inositol) ihre intrazelluläre Osmolarität erhöhen und so ihr Volumen weitgehend konstant halten.

Wassermangel und der damit assoziierte Anstieg der Plasmaosmolarität führen normalerweise zu einer maxi-malen ADH-Freisetzung und in Folge zur maximalen Anti-diurese, sowie parallel dazu zu einer Aktivierung des Durstgefühls. Durch die Kombination von renaler Wasser-retention und oraler Wasseraufnahme können Flüssig-

. Abb. 28.21. Genstruktur und Biosynthese von Vasopressin. Das Vasopressin-Gen enthält 2 Introns und 3 Exons. Nach Transkrip-tion und posttranskriptionaler Prozessierung codiert die mRNA für das Präpro-Vasopressin, das posttranslational durch Entfernung der Signalsequenz sowie Spaltung zu Vasopressin, Neurophysin II und einem C-terminal gelegenen Glycoprotein prozessiert wird. Arginin-Vasopressin (AVP) ist ein Nonapeptid (rot)

Page 29: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

28921

keitsdefizite und die damit verbundene Erhöhung der Osmolarität in kurzer Zeit ausgeglichen werden.

Beim Diabetes insipidus centralis kann die Neuro-hypophyse kein ADH mehr sezernieren (z.B. Tumoren oder idiopathisch). Als Folge des fehlenden ADH-Effekts auf die Wasserreabsorption in der Niere werden große Volumina hypotonen Harns ausgeschieden, wobei im Extremfall Werte bis zu 40 l/Tag beobachtet wurden. Die Behandlung der Erkrankung erfolgt durch Vasopressin-substitution.

Der ADH-resistente Diabetes insipidus renalis ist eine seltene, meist X-chromosomal vererbte Krankheit. Bei ihr liegt der Defekt in den Tubulusepithelien, die entweder keinen intakten Vasopressin-Rezeptor besitzen oder Muta-tionen in den Aquaporinen tragen, wodurch die Sammel-rohre selbst bei sehr hohen ADH-Konzentrationen die Wasserresorption nicht steigern können.

Hyperhydratation bei Hyponatriämie. Sie entwickelt sich bei übermäßiger Zufuhr von hypotonen Flüssigkeiten (z.B. Wasser, Infusionen) wenn gleichzeitig die renale Wasser-ausscheidung vermindert ist. Durch den Abfall des osmo-tischen Drucks im Extrazellulärraum schwellen die Zellen

an, was bei raschen Änderungen ein lebensgefährliches Hirnödem hervorrufen kann.

Eine gravierende Einschränkung der renalen Wasser-ausscheidung beobachtet man bei einer allgemeinen Ein-schränkung der exkretorischen Nierenfunktion (Nieren-insuffizienz) oder bei pathologisch gesteigerter ADH-Se-kretion.

Ein mit gesteigerter ADH-Sekretion einhergehendes Krankheitsbild (SIADH: syndrome of inappropriate anti-diuretic hormone secretion) findet sich relativ häufig. Es kommt besonders bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen, aber auch bei anderen Karzinomen (Pankreas-, Duodenal-, Blasenkarzinom, Lymphosarkom, Morbus Hodgkin) vor und wird durch eine ektopische Vasopressinsekretion der genannten Tumoren verursacht. Darüber hinaus kann das Krankheitsbild auch als Folge einer Reihe zentralnervöser Erkrankungen auftreten. Bei den Patienten findet sich eine Unfähigkeit, einen hypotonen Urin auszuscheiden. Dies führt zur Flüssigkeitsretention und infolge der dadurch ausgelösten Verdünnung zur Hyponatriämie. Die Patienten haben eine ausgeprägte Natriurese, die nicht durch Na-triuminfusionen sondern nur durch Verringerung der Flüs-sigkeitszufuhr reduziert werden kann.

In Kürze

4 Der Wassergehalt des Körpers sinkt mit zunehmen-dem Lebensalter und ist bei Männern höher als bei Frauen

4 Die Wasserräume des Körpers gliedern sich in den größeren Intrazellulärraum und den kleineren Extra-zellulärraum, welcher auch das Plasmavolumen umfasst

4 Der Wasserhaushalt des Körpers wird vor allem durch ADH reguliert, welches die orale Wasseraufnahme (über das Durstgefühl) und die renale Wasseraus-

scheidung aufeinander abgleicht. Die Sekretion von ADH wird wesentlich von der Osmolarität und dem Extrazellulärraum-Volumen bestimmt

4 Übermäßige Wasserverluste bzw. Zufuhr von hypo-tonen Flüssigkeiten können zu Dehydratation bzw. Hyperhydratation führen

4 Bei isotonen Veränderungen des Wasserbestands ver än-dert sich auch parallel der Natriumbestand des Körpers. Entsprechend ist die Regulation des Wasserhaushalts eng mit der Regulation des Natrium haushalts verflochten

28.4 Der Natriumhaushalt

28.4.1 Natriumbilanzierung

! Über 90% des Körpernatriums befinden sich in freier oder gebundener Form im Extrazellulärraum.

Der Gesamtnatriumbestand des Menschen liegt bei 55–60 mmol/kg Körpergewicht, welches sich zu 95% auf den Extrazellulär- und zu 5% auf den Intrazellulärraum verteilt. Davon befinden sich 30–40% des Natriums in gebundener Form im Knochen, weshalb nur 60–70% des Körperna-triums rasch austauschbar sind (. Tabelle 28.7).

Die obligaten täglichen Natriumverluste betragen bei normaler Schweißproduktion weniger als 3 g NaCl pro Tag. Normalerweise führt man mit der Nahrung täglich 5–20 g NaCl (80–320 mmol) zu. Diese Menge liegt damit über

dem täglichen Bedarf. Dabei enthält die täglich zugeführte Nahrung selbst selten mehr als 200 mmol Natrium, der Rest wird in Form von Tafelsalz (Kochen und Würzen) aufge-nommen.

Die Ausscheidung erfolgt im Wesentlichen über den Urin und liegt in Abhängigkeit von der zugeführten Menge bei 100–150 mmol/24 h. Die Ausscheidung unterliegt einem 24-Stunden-Rhythmus.

Eine geringe Menge (5 mmol/24 h) wird auch über den Stuhl ausgeschieden. Die Verdauungssäfte enthalten zwar viel Natrium, da sie aber normalerweise im Darm reabsor-biert werden, geht dem Organismus kein Natrium verloren. Störungen der Reabsorption (Durchfälle) können dagegen zu Natriumverlusten führen.

Über die Haut geht bei starkem Schwitzen Natrium ver-loren (20–80 mmol/l). Dabei nimmt die Natriummenge mit steigendem Schweißvolumen zu.

28.4 · Der Natriumhaushalt

Page 30: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

922 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28! Eine Erhöhung der Natriumausscheidung erfordert oft

auch eine Erhöhung der Wasserausscheidung.

Die natriumkonservierenden Mechanismen sind wie bei allen terrestrischen Lebewesen sehr effektiv, sodass es unter physiologischen Bedingungen und bei normaler Kost nicht zu einem signifikanten Natriummangel kom-men kann. Da die durchschnittliche Natriumzufuhr deut-lich über dem obligaten Natriumverlust liegt (7 o.), ist die Konstanz des auch das Extrazellulärvolumen bestim-menden Natriumbestands des Organismus an die fortlau-fende renale Elimination von überschüssigem Kochsalz gebunden. Dabei ist zu bedenken, dass wegen der Harn-stoffausscheidung bei maxi maler Konzentration des End-harns (1200 mosmol/l) die Konzentration von NaCl im Endharn höchstens 200 mmol/l (entspricht 400 mosmol/l) betragen kann. Entsprechend können höhere NaCl-Men-gen nur über ein erhöhtes Urinvolumen ausgeschieden werden, was natürlich auch eine erhöhte Trinkmenge an freiem Wasser erfordert (7 o.).

28.4.2 Hormonelle Regulation des Natriumhaushalts

Die Regulation der Natriumkonzentration des Intrazellu-lärraums erfolgt über die Na+/K+-ATPase (7 Kap. 6.1.5), die des Extrazellulärraums über das Renin-Angioten-sin Aldosteron-System und das atriale natriuretische Peptid.

! Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) sorgt für eine Zunahme des Natriumbestands.

Angiotensin II. Dieses aus Angiotensinogen gebildete Pep-tid ist das eigentliche Hormon des Renin-Angiotensin-Systems. Seine biologischen Wirkungen sind:4 zentrale Auslösung von Durstgefühl und Salzappetit,

was die Salz- und Wasserzufuhr in den Körper erhöht (7 Kap. 31.3.2)

4 Steigerung der ADH-Freisetzung aus dem Hypophy-senhinterlappen, welches die Wasserreabsorption in den Sammelrohren der Niere erhöht (7 Kap. 31.3.2)

4 Steigerung der Natriumresorption direkt am proxi-malen Tubulus

4 Stimulation der Bildung des Mineralocorticoidhor-mons Aldosteron in der Zona glomerulosa der Neben-nierenrinde

Der biochemische Mechanismus der Angiotensin II-Wir-kung beruht auf den Angiotensin II-Rezeptoren AT1 und AT2, die zu den G-Protein gekoppelten Membranrezep-toren gehören (7 Kap. 25.6)

! Aldosteron ist das wichtigste Mineralocorticoid des Menschen.

Aldosteronbiosynthese. Die Mineralocorticoide 11-Des-oxycorticosteron und Aldosteron werden aus Cholesterin synthetisiert (. Abb. 28.22). Durch Oxidation am C-Atom 3 und Verschieben der Doppelbindung entsteht Proges-teron, durch Hydroxylierung an den Positionen 21 , 18 und 11 wird daraus 18-Hydroxycorticosteron. Das beim Menschen wichtigste Mineralocorticoid, das Aldosteron, wird aus 18-Hydroxycorticosteron durch Oxidation der Hydroxylgruppe am C-Atom 18 gebildet. Die dabei ent-stehende Aldehydgruppe, welche dem Aldosteron seinen Namen gibt, kommt der Hydroxylgruppe am C-Atom 11 so

. Tabelle 28.7. Daten zum Natriumstoffwechsel

Verteilung von Natrium im Organismus mmol/kgKörpergewicht

Prozentualer Anteil an der Gesamtmenge

Plasma 6,5 11,2

Interstitielle Flüssigkeit, Lymphe 16,8 29,0

Sehnen und Knorpel 6,8 11,7

Transzelluläre Flüssigkeit 1,5 2,6

Knochen (gesamte Menge) 25,0 43,1

Knochen (austauschbare Menge) 8,0 13,8

Gesamtmenge

im Extrazellulärraum (austauschbar) 39,6 68,3

im Extrazellulärraum (gesamt) 56,6 97,6

im Intrazellulärraum 1,4 2,4

im Organismus 58,0 100,0

Natriumkonzentration des Blutplasmas 140 mmol/l

Normalbereich 135–145 mmol/l

Tägliche Ausscheidung mit dem Urin 100–150 mmol

Tägliche Zufuhr mit der Nahrung 70–350 mmol

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28923

nahe, dass sich eine Halbacetalform des Aldosterons aus-bilden kann, in der es in wässriger Lösung bevorzugt vor-liegen dürfte. Durch Hydroxylierung in Position 11 wird 11-Desoxycorticosteron zum Corticosteron.

! Mineralocorticoide fördern die Natriumretention in der Niere.

Aldosteronwirkungen. Mit Ausnahme der Androgene steigern alle Corticosteroidhormone, besonders jedoch die Mineralocorticoide, die Rückresorption von Natrium-ionen in den Verbindungstubuli und Sammelrohren der Niere. Parallel zur gesteigerten Natriumretention kommt es zu einer gesteigerten Ausscheidung von Kalium-, Wasser-stoff- und Ammoniumionen, was zu einer Abnahme der Kaliumkonzentration im Serum führt. Auch in den Schweiß-drüsen, den Speicheldrüsen sowie im Intestinaltrakt wird die Ausscheidung von Natriumionen verlang samt.

In ihrer Wirksamkeit auf den Mineralstoffwechsel un-terscheiden sich die einzelnen Steroidhormone der Neben-nierenrinde beträchtlich voneinander. Aldosteron ist 1000-mal wirksamer als Cortisol und ungefähr 35-mal effektiver als 11-Desoxycorticosteron.

! Aldosteron wirkt über einen Rezeptor aus der Super-familie der Steroidhormonrezeptoren.

Der molekulare Wirkungsmechanismus des Aldosterons ähnelt dem der anderen Steroidhormone der Nebennieren-rinde. Das Hormon wird in die Zelle aufgenommen und bindet an einen cytosolischen Rezeptor, der zur Superfami-lie der Steroidhormon-Rezeptoren gehört (7 Kap. 25.3.1).

. Abb. 28.22. Biosynthese der Mineralocorticoide 11-Desoxy-corticosteron und Aldosteron. Für die Biosynthese des Aldosterons ist eine Hydroxylierung an den Positionen 21, 18 und 11 des Proges-terons notwendig. Vgl. hierzu die Hydroxylierung bei der Biosynthese des Cortisols (7 Kap. 27.3.3)

. Abb. 28.23. Molekularer Mechanismus der Aldosteronwirkung auf die Tubulusepithelien. Aldosteron (A) bindet an ein Rezeptor-protein (R), das nach Konformationsänderung im Zellkern die Trans-kription spezifischer Gene induziert. Es kommt damit zur gesteigerten Biosynthese eines Natriumkanals, der Na+/K+-ATPase sowie verschie-dener mitochondrialer Enzyme. (Einzelheiten 7 Text)

28.4 · Der Natriumhaushalt

Page 32: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

924 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

Eine besonders hohe Konzentration von Aldosteron-rezeptoren findet sich in den corticalen Abschnitten der Sammelrohre, darüber hinaus im Colon und den Schweiß-drüsen, was auf diese Organe als besondere Zielgewebe für die Mineralocorticoidwirkung hinweist.

Wie aus der . Abb. 28.23 hervorgeht, gelangt der Mi-neralocorticoid-Rezeptor-Komplex nach entsprechender Aktivierung in den Zellkern und beeinflusst dort die Ex-pression spezifischer Gene. Das führt in Natrium-reabsor-bierenden Zellen zur vermehrten Expression4 eines in der apikalen Zellmembran gelegenen Natrium-

kanals (ENaC)4 der Na+/K+-ATPase sowie4 einer Reihe von Enzymen des Citratzyklus, welche

wahrscheinlich einen gesteigerten Substratdurchsatz und damit eine vermehrte Bereitstellung des für den Transport benötigten ATP ermöglichen

Spironolactone. Sie sind eine Gruppe von Aldosteron-ana-logen Verbindungen, die über einen C-17-Lacton-Ring verfügen (. Abb. 28.24). Sie wirken als Mineralocorticoid-Antagonisten und werden als solche auch bei der Be-handlung des primären Hyperaldosteronismus eingesetzt. Ihr Wirkungsmechanismus beruht darauf, dass sie Al-dosteron kompetitiv vom cytoplasmatischen Rezeptor verdrängen. Der dabei gebildete Rezeptorantagonist-Kom-plex kann aber nicht die zum Übertritt in den Kern not-wendige Konformationsänderung (Aktivierung) durch-machen, weswegen die Änderung der Genexpression un-terbleibt.

! Die Bildung von Angiotensin II und von Aldosteron wird hauptsächlich durch die Größe des Extrazellulär-volumens reguliert.

Angiotensin II. Die Freisetzung des Renins als Schlüssel-regulator des Renin-Angiotensin-Systems wird durch eine Reduktion des Extrazellulärvolumens (z.B. bei Na-triummangel) stimuliert. Ein expandiertes Extrazellulär-volumen bei Salzüberschuss bewirkt eine Hemmung der Reninfreisetzung und damit eine Hemmung der AngII-Bildung.

Aldosteron. Folgende Faktoren sind für die Regula tion der Aldosteronbiosynthese und Sekretion von besonderer Be-deutung:4 AngII stimuliert über AT1-Rezeptoren die Aldosteron-

biosynthese und -sekretion. ACTH (7 Kap. 27.3.1) hat dagegen nur eine geringe Bedeutung

4 Jeder Anstieg der Plasma-Kaliumkonzentration stellt einen starken direkten Reiz für die Aldosteronsynthese dar (7 u.)

4 Zu einem Sistieren der Aldosteronbildung und Sekre-tion kommt es dagegen, wenn die Natriumretention durch die Nieren bzw. die Kaliumausscheidung ansteigt und es zu einer Erhöhung des extrazellulären Volumens bei gleichzeitigem Kaliumverlust kommt

! Das atriale natriuretische Peptid senkt den Natriumbe-stand des Körpers.

Die Funktion von Mineralocorticoiden und ADH besteht in der Natrium- und Wasserretention. Damit regulieren sie eine speziell für terrestrische Lebewesen essentielle Funk tion. Ein antagonistisches, natriuretisch wirkendes Hormon ist das vor allem im rechten Vorhof des Herzens synthetisierte, gespei-cherte und sezernierte atriale natriuretische Peptid (ANP).

! ANP wird in den Herzvorhöfen als Prohormon gebildet.

ANP-Biosynthese und Sekretion. Das atriale natriuretische Peptid (ANP) wird in myoendokrinen Zellen des Herz-muskels synthetisiert und in Sekretvesikeln gespeichert, die sich vorwiegend im rechten Vorhof, daneben aber auch im linken Vorhof und nur ganz vereinzelt im Herzkammer-gewebe befinden. Die . Abb. 28.25 gibt einen Überblick über die ANP-Biosynthese.

. Abb. 28.24. Struktur des Aldosteronantagonisten Spironolac-ton. Man beachte die Lactonstruktur an der Seitenkette des Rings D

. Abb. 28.25. Biosynthese des natriuretischen Atriumpeptids (ANP). Das zugehörige Gen besteht aus drei Exons und zwei Introns. Die Exons codieren für ein Präpro-ANP aus 151 Aminosäuren. Dieser Präkursor trägt C-terminal das aus 28 Aminosäureresten bestehende ANP (. Abb. 28.26)

Page 33: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

28925

4 Das Gen für ANP (beim Menschen auf Chromosom 1) enthält 3 Exons und 2 Introns

4 nach Transkription und posttranskriptionaler Prozes-sierung entsteht aus ihm die Prä-Pro-ANP-mRNA, wel-che für ein Protein mit 151 Aminosäuren codiert

4 Abtrennung des N-terminalen, aus 25 Aminosäuren bestehenden Signalpeptids führt zum Pro-ANP mit 126 Aminosäuren, welches in Vesikel gepackt wird

4 Vom Carboxyterminus des Pro-ANP wird ANP als ein 28 Aminosäuren umfassendes Peptid abgespal-ten. Hierfür ist die membrangebundene Serinprotease Corin verantwortlich

Da die Primärstruktur von ANP für die bislang unter-suchten Säuger praktisch identisch ist, scheint das ANP-System in der Evolution hoch konserviert zu sein. In we-sentlich geringerem Ausmaß als im Herzen wird Pro-ANP

auch noch in anderen Organen wie Gehirn, Nebenniere und Niere gefunden. Dabei spalten die Sammelrohrzellen der Niere spezifisch ein 32 Aminosäure umfassendes Peptid vom Carboxyterminus des Pro-ANP ab, das als Urodilatin bezeichnet wird. ANP und Urodilatin zeigen dieselben bio-logischen Wirkungen (7 u.), haben aber eine unterschied-liche biologische Stabilität. So erscheint Urodilatin wesent-lich resistenter als ANP gegenüber einer proteo lytischen Degradation durch die neutrale Endopeptidase zu sein, die gerade in der Niere in hoher Aktivität vorkommt. Neben dem ANP (sog. Typ-A der natriuretischen Peptide gibt es mit BNP (B-Typ) und CNP (C-Typ) noch 2 weitere natriure-tische Peptide, die wesentliche Struktur- und Funktions-ähnlichkeiten mit ANP besitzen (. Abb. 28.26). Sie werden von jeweils eigenen Genen codiert, aber im gesunden Her-zen im Vergleich zu ANP nur minimal exprimiert. Ihre phy-siologische Bedeutung ist noch nicht geklärt.

. Abb. 28.26. Schematische Darstellung der Struktur natriureti-scher Peptide. Pro-ANP ist der Vorläufer für ANP und Urodilatin. BNP und CNP werden von eigenen Genen codiert. Charakteristisch für die natriuretischen Peptide ist die Ringstruktur, die durch eine Disulfid-

brücke zwischen 2 Cysteinen und 15 dazwischengeschalteten Amino-säuren entsteht. (Modifiziert nach Forsmann et al. (1998) Histochem Cell Biol 111:335)

28.4 · Der Natriumhaushalt

Page 34: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

926 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

Der auslösende Reiz für die ANP-Sekretion ist ein Anstieg des Vorhofdrucks, der zu einer Wanddehnung und damit Dehnung der Myozyten führt. Über einen calciumabhän gigen Prozess führt eine solche Dehnung dann zur Sekretion von ANP. Der Anstieg des Vorhofdrucks kann durch eine Ex pansion des Extrazellulärvolumens (Plasmavolumen) z.B. durch vermehrte Kochsalzzufuhr, aber auch durch Hormone wie ADH, Katecholamine oder Angiotensin II, ausgelöst werden.

! ANP relaxiert Blutgefäße und fördert die renale Natri-um- und Wasserausscheidung.

ANP-Wirkung. ANP hat wie alle natriuretischen Peptide folgende Wirkungen:4 Eine Relaxation der glatten Muskulatur der Arteriolen.

Dies senkt den arteriellen Gefäßwiderstand und wirkt damit blutdrucksenkend

4 Der vasodilatierende Effekt ist auch an den renalen prä-glomerulären Blutgefäßen sehr ausgeprägt. Dies führt zu einer Erhöhung der glomerulären Filtrationsrate und zu einer Steigerung der Nierenmarksdurchblutung, was prinzipiell die renale Wasser- und Salzausschei-dung erhöhen kann

4 Über luminale Rezeptoren an den Sammelrohren der Nierenpapillen vermindert ANP direkt die Natrium- und Wasserresorption

4 ANP hemmt die Aldosteronfreisetzung sowohl durch einen direkten Effekt auf die Nebennierenrinde als auch indirekt durch Hemmung der Reninfreisetzung

In der Tat scheint diese Wechselwirkung mit dem Renin-Angiotensin-Aldosteron-System sehr bedeutsam für die Wirkung zu sein, da man eine deutliche natriuretische Wir-kung von ANP nur bei einem stimulierten Renin-Angio-tensin-Aldosteron-System beobachten kann. Möglicher-weise ist Urodilatin für die renalen Wirkungen wesentlich bedeutsamer als ANP selbst.

Rezeptoren für natriuretische Peptide ANP sind in einer Reihe von Geweben, wie z.B. den Nierenglomerula, Sammelrohrzellen und den medullären und papillären Vasa recta der Nieren gefunden worden, daneben aber auch im Zentralnervensystem, der Nebennierenrinde sowie Gefäß-muskel- und Endothelzellen. Man kennt derzeit 3 Rezep-toren, welche als A-, B- und C-Rezeptor bezeichnet werden. Der A-Rezeptor ist selektiv für ANP und BNP, der B-Re-zeptor für CNP und der C-Rezeptor bindet alle 3 Peptide. Der A- und B-Rezeptor sind membrangebundene Guanyl-atcylasen (7 Kap. 25.9.2), deren Aktivierung zu erhöh-ten cGMP-Konzentrationen in den Zielgeweben führt (. Abb. 28.27). Der C-Rezeptor vermittelt keine derzeit be-kannte Signalwirkung. Man nimmt an, dass es sich dabei um einen sog. clearance-receptor handelt, der die natriure-tischen Peptide bei hohen Konzentrationen abfischt und einer endosomalen Degradation zuführt. Dieser Mechanis-mus trägt so zur Elimination der natriuretischen Peptide bei, die hauptsächlich aber durch proteolytischen Abbau durch eine Metalloproteinase, die neutrale Endopeptidase (NEP), in Lunge, Leber und Niere erfolgt. Eine neue Stra-tegie bei der Behandlung von Kreislauferkrankungen (v.a. Bluthochdruck) beruht auf der pharmakologischen Hem-mung dieser Endopeptidase, wodurch die Konzentration der zirkulierenden vasodilatierenden natriuretischen Pep-tide erhöht werden kann.

28.4.3 Pathobiochemie des Natrium-haushalts

! Ein Natriumüberschuss entsteht durch eine auto-nome Sekretion von Aldosteron oder als Folge von Ödemen.

Primärer Hyperaldosteronismus (Conn-Syndrom). Er wird durch Adenome oder Karzinome der die Mineralocorti-

. Abb. 28.27. Aktivierung des A-Typ-Rezeptors für natriuretische Peptide durch ANP. Der Rezeptor besteht aus einer Extrazellulär- und Transmembrandomäne, einer intrazellulären kinaseähnlichen und einer intrazellulären Guanylatcyclasedomäne. Bindung von ANP

an die Extrazellulärdomäne führt zur Homodimerisierung des Rezep-tors, wodurch ATP an die kinaseähnlichen Domänen bindet. Dies führt dann zur Aktivierung einer Guanylatcyclaseaktivität

Page 35: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

28927

coide produzierenden Zellen der Nebennierenrinde verur-sacht. Das Krankheitsbild ist durch die Wirkung patho-logisch erhöhter, autonom sezernierter Mineralocorticoide, meist Aldosteron, geprägt. Typischerweise findet sich bei den betroffenen Patienten eine erhöhte Natriumretention bei gesteigerter Kaliumausscheidung. Der letztere Effekt des Aldosterons bewirkt eine Hypokaliämie mit Folge-erscheinungen wie Müdigkeit, Muskelschwäche u.a. Die gesteigerte Natriumretention führt zu einer gleichzeitigen Wasserretention und damit zur Ausbildung von Ödemen, häufig mit Hypertonie.

Sekundärer Hyperaldosteronimus. Dieser tritt oft bei ge-neralisierten Ödemen auf. Grundlagen für deren Entste-hung können sein:4 eine eingeschränkte renale Ausscheidung von Natrium

wie z.B. bei terminalem Nierenversagen4 eine Erhöhung des kapillären hydrostatischen Drucks

wie z.B. bei Herzinsuffizienz, Flüssigkeitsübertritt ins Interstitium und damit einer Reduktion des Plasma-volumens

4 eine Abnahme des kapillären kolloidosmotischen Drucks durch Proteinverlust (nephrotisches Syndrom) oder eingeschränkte Neubildung von Albumin (Hun-gerzustände, Lebercirrhose). Bei der Lebercirrhose löst die Erhöhung des Portalvenendrucks zusätzlich die Bildung von lokalen Ödemen im Bauchraum (As-zites) aus

Die mit den generalisierten Ödemen einhergehende Hypo-volämie löst entsprechende gegenregulatorische Maßnah-men zur Wiederherstellung des Volumens aus und führt zur Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems. Durch die verstärkte AngII- und nachfolgend stimulierte Aldosteronbildung entwickelt sich daraus ein sekundärer Hyperaldosteronimus.

Reninhypersekretion. Eine unregulierte Mehrsekretion von Renin und damit einhergehende Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems kann ebenfalls zu einer Erhö-hung des Natriumbestands führen. Eine klassische Situa-tion hierfür stellt die Nierenarterienstenose dar (7 o.). Ein vor allem nächtlich auftretender Abfall der Nierenperfusion bei Herzinsuffizienz führt ebenfalls zu einer Steigerung der Reninfreisetzung und Aktivierung des Renin-Angio-tensin-Systems. Dies führt bei den Patienten in der Folge

zu einer Salz- und Wasserretention, welche die einge-schränkte Pumpfunktion des Herzens noch weiter ver-schlechtert.

! Natriumüberschuss und Ödeme können mit Hemm-stoffen des Renin-Angiotensin-Aldosteron-System beseitigt werden.

Klinisch machen sich Ödeme bemerkbar, wenn ca. 3–4 l Flüssigkeit in das Interstitium eingelagert wurden. Das erfordert eine zusätzliche Retention von 0,5 mol NaCl oder mehr, was ein Anzeichen für eine unangemessen hohe Ak-tivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-System ist. Aus diesem Grunde werden bei erhaltener Nierenfunktion Ödeme häufig mit Diuretika oder Antagonisten des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems behandelt. Seine Hem-mung gelingt mittlerweile therapeutisch sehr gut mit spe-zifischen Blockern der AngII-AT1-Rezeptoren oder durch Hemmer des angiotensin-I-converting-enzyme, welche die Bildung des biologisch aktiven AngII verhindern.

! Durch Salzverlust kann rasch ein Natriumdefizit ent-stehen.

Natriummangelzustände führen aus osmotischen Gründen zu einer Verringerung des Extrazellulärraums und damit auch des Plasmavolumens. Entsprechend ist die Füllung des Kreislaufsystems vermindert und es kann sich ein hypovolämischer Kreislaufschock ent-wickeln.

Ursachen dafür können sein:4 Verluste aus dem Magen-Darmtrakt durch Erbrechen

oder Durchfall (Darminfektionen wie z.B. Cholera)4 Starke Schweißproduktion: Bei einer Schweißproduk-

tion von >3 l/Tag muss zusätzlich Natrium angeboten werden, da die in der Nahrung enthaltene Menge an Kochsalz (ca. 10 g/Tag) den Verlust nicht mehr kom-pensiert

4 Hypoaldosteronismus: Eine verminderte Biosynthese und Sekretion von Mineralocorticoiden, speziell von Aldosteron, ist ein relativ seltenes Krankheitsbild. Es entwickelt sich im Verlauf einer allgemeinen Neben-niereninsuffizienz (Morbus Addison) sowie gelegent-lich beim adrenogenitalen Syndrom (7 Kap. 27.3.10). Die Folge derartiger Krankheitsbilder besteht in einem Salz verlustsyndrom mit Hyponatriämie und Hyperkali-ämie

4 Unkontrollierter Einsatz von harnfördernden Mitteln

28.4 · Der Natriumhaushalt

Page 36: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

928 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

In Kürze

Der Natriumbestand des Körpers wird vor allem über die Kontrolle des Extrazellulärvolumens reguliert. Eine Ab-nahme des Volumens aktiviert über arterielle Presso-rezeptoren den Sympathikus, was in der Niere direkt die Na+-Reabsorption fördert und über eine Stimulation der Reninsekretion das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System aktiviert. Auch die Aktivierung der Niederdruckrezeptoren (in Hohlvenen und Herzvorhöfen) stimuliert das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System über eine verstärkte Reninsekretion. Parallel dazu wird ADH freigesetzt und das Durstgefühl ausgelöst. Die durch Angiotensin II induzierte Bildung von Al dosteron fördert die renale Natriumresorption im

Sammelrohr, begleitet von einer ADH-bedingten Wasser-retention. Ein Anstieg des Natriumbestands des Körpers und da-mit verbunden eine Vergrößerung des Extrazellulärvolu-mens hemmt die:4 Reninsekretion und damit die Angiotensin II-Bildung4 Aldosteronproduktion und4 ADH-Sekretion

Ein Anstieg des Drucks im Niederdrucksystem aktiviert in den Herzvorhöfen die Freisetzung von ANP, welches die Ausscheidung von Natrium und Wasser in der Niere stimu-liert.

28.5 Der Kaliumhaushalt

28.5.1 Regulation des Kaliumhaushalts

! Das Körperkalium befindet sich zu 98% im Intrazellulär-raum.

Kalium ist in mehrfacher Hinsicht ein biochemisch-phy-siologisch sehr bedeutsames Ion. Es bestimmt wesentlich das Membranpotential und damit das elektrische Verhalten von Zellen. Weiterhin aktiviert es eine Reihe von Enzymen. Es ist außerdem wichtig für die Regulation des Zellvolu-mens wie auch für die zelluläre pH-Regulation.

Den obligaten Kaliumverlusten in Höhe von 25 mmol/24 h steht eine durchschnittliche Nahrungszufuhr von 50–150 mmol/24 h gegenüber. Dieser nahrungsbedingte Kaliumüberschuss muss eliminiert werden, wobei sich

die Kaliumausscheidung durch die Nieren problemlos auf 500 mmol/24 h steigern lässt. Etwa 10% der täglichen Kaliumausscheidung erfolgt im Intestinaltrakt.

Die Gesamtkaliummenge des Körpers liegt bei 40–50 mmol/kg Körpergewicht (d.h. 3,5 mol bei einer Person mit 70 kg), wovon sich 98% im Intrazellulärraum befinden. Die intrazelluläre Kaliumkonzentration liegt bei durch-schnittlich 140 mmol/l. Die Kaliumkonzentration des Blutplasmas beträgt demgegenüber im Mittel nur 4 mmol/l (Normbereich 3,5–5,5 mmol/l), sodass der Gesamtbestand an extrazellulärem Kalium nur 60–80 mmol beträgt (. Ta-belle 28.8).

! Enterale Kaliumaufnahme, Verschiebungen von Kalium zwischen dem Intra- und Extrazellulärraum sowie die renale Kaliumausscheidung sind die wesentlichen Determinanten der Plasmakaliumkonzentration.

. Tabelle 28.8. Daten zum Kaliumstoffwechsel

Verteilung des Kaliums im Organismus mmol/kgKörpergewicht

Prozentualer Anteil an der Gesamtmenge

Plasma 0,2 0,4

Interstitielle Flüssigkeit, Lymphe 0,5 1,0

Sehnen und Knorpel 0,2 0,4

Knochen (gesamte Menge) 4,1 7,6

Transzelluläre Flüssigkeit 0,5 1,0

Gesamtmenge

im Extrazellulärraum 5,5 10,4

im Intrazellulärraum 48,3 89,6

im Organismus 58,0 100,0

Kaliumkonzentration des Blutplasmas 4,0 mmol/l

Normalbereich 3,5–5,5 mmol/l

Tägliche Ausscheidung mit dem Urin 60–80 mmol

Tägliche Zufuhr mit der Nahrung 50–150 mmol (Durchschnitt 65 mmol)

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28929

Kaliumaufnahme. Das Membranpotential der meisten Körperzellen hängt wesentlich vom elektrochemischen Gleichgewichtspotential (Nernst-Potential) für Kalium und damit vom Verhältnis der intra- und extrazellulären Kalium konzentrationen ab (7 Lehrbücher der Physiologie). Wegen der stark unterschiedlichen Konzentrationen von Kalium im Intrazellulärraum (ca. 140 mmol/l) und Extra-zellulärraum (ca. 4 mmol/l) können bereits quantitativ geringe Relativverschiebungen von Kaliumionen zwischen den beiden Kompartimenten das Verhältnis der Konzen-trationen und damit das Membranpotential stark be-einflussen. Besonders empfindlich auf solche Verände-rungen re agieren dabei elektrisch erregbare Gewebe wie Nerven- oder Muskelzellen. Am Herzmuskel resultieren daraus Stö rungen der Erregungsbildung und -fortleitung im Herzen, die lebensbedrohlich (Kardioplegie!) sein können. Entsprechend müssen die intrazellulären und extrazellulären Kaliumkonzentrationen sehr genau regu-liert werden.

Nach der Resorption wird mit der Nahrung aufgenom-menes Kalium zum größten Teil in den Intrazellulärraum überführt, wobei das während der Nahrungsaufnahme aus der Bauchspeicheldrüse freigesetzte Insulin eine wich-tige Rolle spielt (7 Kap. 26.1). Es stimuliert die Na+/K+-ATPase-Aktivität in Leber und Muskel, die dadurch zu-sätzlich Kalium aufnehmen. Der im Extrazellulärraum ver-bleibende Rest des Nahrungskaliums wird unmittelbar über die Nieren ausgeschieden. So wird eine Überflutung des Extrazellulärraums mit Kalium und damit eine Hyper-kaliämie und in der Folge eine Depolarisation von Zell-membranen vermieden.

Wenn die Insulinwirkung abklingt, verlässt das Kalium langsam die Zellen und wird über die Nieren ausgeschie-den. Angesichts dieser Wirkung von Insulin wird die Hy-perkaliämie bei entgleistem Diabetes Typ1 verständlich (7 Kap. 26.4.1).

Renale Kaliumausscheidung. Die renale Kaliumausschei-dung wird durch folgende Faktoren reguliert:4 Aldosteron reguliert die renale Kaliumausscheidung

indirekt, da es über die Steigerung der Natriumre-absorption die Kaliumausscheidung erhöht. Erhöhte Plasmakonzentrationen von Kalium stimulieren dabei die Sekretion von Aldosteron aus der Nebennieren rinde (. Abb. 28.28). Die aldosterongesteuerte Kaliumaus-scheidung in den Verbindungstubuli und Sammel-rohren der Niere kann in einem weiten Bereich unter-schiedlichen enteralen Kaliumaufnahmen angepasst werden, ohne dass es zu pathologischen Änderungen der Plasmakaliumkonzentration kommt, weil sich die renale Kaliumausscheidung bis auf 500 mmol/Tag stei gern lässt (vgl. eine mittlere tägliche Aufnahme von 65 mmol). Bei erhöhter Kaliumzufuhr steigt unter der Wirkung von Aldosteron die Na+/K+-ATPase- Aktivität und die Kaliumsekretionsrate in den Sammelrohren

4 Da die Aktivität der Kaliumkanäle im Sammelrohr auch durch die Protonenkonzentration reguliert wird, führt eine Alkalose zu verstärkten Kaliumverlusten und eine Azidose zu einer Verminderung der Kaliumsekretion und damit zur Kaliumretention

4 Der Harnfluss im Sammelrohr beeinflusst ebenfalls die Kaliumausscheidung. Je höher der Harnfluss, umso mehr Kalium kann ausgeschieden werden. Bei niedri-gen Harnflussraten akkumuliert Kalium in der Tubulus-flüssigkeit, wodurch der Ausstrom aus den Sammel-rohrzellen gebremst wird

28.5.2 Pathobiochemie des Kalium-haushalts

Da Kalium ganz vorwiegend intrazellulär lokalisiert ist, lassen Bestimmungen der Plasmakaliumkonzentration keine verlässlichen Abschätzungen des Gesamtkörper kaliums zu. Indirekten Aufschluss hierüber gibt die Messung von Ka-lium im Erythrozyten. Störungen des Kaliumhaushalts beru-hen meist auf Störungen der renalen Ka lium ausscheidung.

Hyperkaliämie. Hyperkaliämien, die durch einen Anstieg der Plasmakaliumkonzentration über 5,5 mmol/l gekenn-zeichnet sind, sind meist ein Zeichen einer unzureichenden Nierenfunktion (Niereninsuffizienz). Weiterhin kann auch eine ungenügende Produktion von Aldosteron (Hypoaldos-teronismus), eine vermehrte Freisetzung aus dem Gewebe bei Verletzungen oder Hämolyse zu einer Hyperkaliämie führen. Auch ausgeprägte Azidosen gehen mit einer Hyper-kaliämie einher (. Abb. 28.29).

Eine Hyperkaliämie macht sich zuerst im EKG durch eine Veränderung des Kammerkomplexes (»hohe T- Welle«)

. Abb. 28.28. Abhängigkeit der Plasma-Aldosteronkonzentration von der Plasma-Kaliumkonzentration. (Modifiziert nach Guyton, Textbook of Medical Physiology. Saunders 1986)

28.5 · Der Kaliumhaushalt

Page 38: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

930 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

bemerkbar; am Herzen treten Arrhythmien, bis hin zum Herzstillstand auf. Bei bedrohlicher Hyperkaliämie kann durch die gleichzeitige Verabreichung von Insulin und Glucose Kalium aus dem Extrazellulärraum in den Intra-zellulärraum verschoben werden. Mit der oralen Gabe von

Ionenaustauscherharzen kann die intestinale Resorption von Kalium gehemmt werden.

Kaliummangel und Hypokaliämie. Bei kaliumarmer Er-nährung kann die tägliche renale Kaliumausscheidung bis auf ca. 8–10 mmol/Tag herabgesetzt werden. Voraussetzung für die Entwicklung eines Kaliummangels sind daher in der Regel neben einer reduzierten Zufuhr auch starke Ver-luste über die Niere oder den Magen-Darm-Trakt (Diar-rhoe). Im Plasma liegt eine Hypokaliämie bei einen Kalium-Wert <3,5 mmol/l vor. Massive Essstörungen, wie z.B. bei Anorexia nervosa, aber auch Fehlernährung bei Alkoholis-mus, können die Kaliumzufuhr wesentlich vermindern. Ursachen für eine verstärkte renale Ausscheidung sind Hyperaldosteronismus oder massive Salzverluste durch Diuretika bzw. durch kongenitale genetische Salzverlust-syndrome, wie das Bartter-Syndrom oder das Liddle-Syn-drom (7 o.). Chronischer Kaliummangel führt zu degene-rativen Veränderungen im Myokard und am Skelettmuskel, die funktionelle Störungen, wie Muskelschwäche und Para-lyse, zur Folge haben. Hypokaliämie zeigt im EKG cha-rakteristische Veränderungen, so z.B. ein Abflachen der T-Welle und Auftauchen der sog. U-Welle.

. Abb. 28.29. Verschiebung von Kaliumionen zwischen Intra- (IZR) und Extrazellulärraum (EZR) bei Änderungen der Protonen-konzentration des Extrazellulärraums

In Kürze

Kalium ist mengenmäßig das Hauption des Intrazellulär-raums. Da das Membranpotential der meisten Körperzellen vom Verhältnis der intra- und extrazellulären Ka lium kon-zentration abhängt, ist es lebenswichtig, dass die relativ niedrige extrazelluläre Konzentration von Kalium in engen Grenzen gehalten wird. Insulin stimuliert die Aufnahme von Kalium in die Zellen und senkt dadurch akut die Kaliumkonzentra tion im Extrazellulärraum.

Der Mensch nimmt mit der Nahrung mehr Kalium auf als er obligat abgibt. Entsprechend wird Kalium über die Nieren reguliert ausgeschieden. Ein wichtiger Regulator dabei ist das Nebennierenrindenhormon Aldosteron, des-sen Produktion invers zur Plasmaka liumkonzentration re-guliert wird und das die Kaliumausscheidung in der Niere stimuliert. Störungen des Kaliumhaushalts sind häufig mit Stö-rungen des Säure-Basen-Haushalts vergesellschaftet.

28.6 Der Calcium- und Phosphat-haushalt

28.6.1 Calciumhaushalt

! Calcium ist an vielen zellulären Vorgängen beteiligt.

Knochenmineralisierung. Gemeinsam mit anorganischem Phosphat (7 u.) bildet Calcium in Form einer dem Hydro-xylapatit ähnlichen Struktur den anorganischen Anteil des Knochens sowie des – prinzipiell gleich aufgebauten – Den-tins und Schmelzes der Zähne (7 Kap. 24.7.1). Neben der mechanischen Funktion, die der Knochen als Stützgewebe erfüllt, dient das Knochengewebe auch als Speicherorgan für Calciumionen, aus dem es bei Calciummangel mobili-siert werden kann. Etwa 1% des Calciumpools der Knochen ist zu diesem Zweck verfügbar.

Blutgerinnung. Als freies Ion ist Calcium durch Bildung von Komplexen mit Phospholipiden und Gerinnungs-faktoren (Bindung an -Carboxyglutamylgruppen, 7 Kap. 23.2.4) an der Aktivierung des extra- und intravaskulären Systems der Blutgerinnung beteiligt (7 Kap. 29.5.3).

Stabilisierung des Membranpotentials. Die extrazelluläre Calciumkonzentration beeinflusst die neuromuskuläre Er-regbarkeit dahingehend, dass kleinere Membranpotentials-änderungen nicht zur Auslösung eines Aktionspotentials führen. Sinkt die Calciumkonzentration nur wenig unter den Normwert, so stellt sich eine neuromuskuläre Überer-regbarkeit bis zu tetanischen Krämpfen ein.

Zellaktivierung. Die Calciumkonzentration im Cytosol der meisten Säugetierzellen beträgt im Ruhezustand weniger als 10–7 mol/l. Da die extrazelluläre Konzentration an freien

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28931

Calciumionen bei etwa 1,7 10–3 mol/l liegt, besteht damit an der Plasmamembran ein etwa 10000-facher zelleinwärts gerichteter Calciumgradient. Der gesamte Calciumgehalt der Zelle und der Pool des austauschbaren Calciums sind hingegen viel höher als es die cytosolische Calciumkon-zentration vermuten lässt. Wäre z.B. das gesamte zelluläre Calcium ionisiert und gleichmäßig in der Zelle verteilt, so würde die intrazelluläre Calciumkonzentration etwa 2–10 mmol/l betragen und damit sogar über der Konzen-tration im Extrazellularraum liegen. Da durch die zahl-reichen Phosphat-übertragenden Prozesse ständig freies anorganisches Phosphat im Cytosol der Zelle entsteht, würde sich das freie Calcium – wenn es in so hohen Kon-zentrationen vorläge – mit dem Phosphat zu einem un-löslichen Komplex verbinden, wie es im Knochen zu beo-bachten ist. Daher sind über 90% des Zellcalciums nicht ionisiert, sondern befinden sich als Calciumphosphat-Komplex in den Mitochondrien oder an Proteine gebunden im endoplasmatischen Retikulum.

Als Zellaktivierung bezeichnet man die Anregung einer Zelle zur Ausübung ihrer spezifischen Funktionen, z.B. Muskelkontraktion, Nervenleitung, Sekretion, Ionentrans-port, Stoffwechselfunktionen etc. Bei vielen dieser Prozesse besitzt Calcium eine Signalfunktion, da es als second mes-senger bei der Signaltransduktion durch extrazelluläre Signalmoleküle wirkt (7 Kap. 25.4.5). Dabei steigt die cytosolischen Calciumkonzentration um den Faktor 10–100 an. Hierfür stehen prinzipiell 2 Möglichkeiten zur Ver-fügung, nämlich:4 Einstrom von Calcium aus dem Extrazellulärraum

oder4 Mobilisierung intrazellulärer Calciumspeicher

! 99% des Körpercalciums befinden sich im Knochen.

Calciumbedarf. Der tägliche Bedarf an Calcium liegt bei 20 mmol (0,8 g) beim Erwachsenen, bei 37,5 mmol (1,5 g) in der Schwangerschaft und Lactation, bei 25 mmol (1,0 g) für Kinder und bei 30 mmol (1,2 g) in der Adoleszenz.

Intestinale Resorption. Das Ileum ist quantitativ der we-sentliche Resorptionsort für Calcium, wobei Vitamin D ein entscheidender Regulator ist (7 Kap. 23.2.2).

Von der täglich zugeführten Menge werden 25–40% resorbiert. Je niedriger die Calciumzufuhr ist, desto hö-her ist die prozentuale Resorption und umgekehrt. Das Ausmaß der Calciumresorption fällt mit zunehmendem Alter ab. Die intestinale Calciumresorption kann durch in der Nahrung enthaltene Verbindungen, wie Phytin-säure (z.B. im Hafer) und Oxalsäure (z.B. im Spinat), die schwer lösliche Calciumkomplexe bilden, beeinflusst werden.

Verteilung im Organismus. Der Gesamtbestand des Or-ganismus beträgt 400 mmol/kg Körpergewicht (ca. 28 000 mmol beim Erwachsenen mit 70 kg). Im Knochen, der

einem ständigen Auf- und Abbau unterliegt, befinden sich 99% des Körpercalciums. Der Rest des Körpercalciums ist auf den Extra- und Intrazellulärraum verteilt.

Calcium im Blut. Erythrozyten enthalten sehr wenig Cal-cium, da sie dieses ständig aus ihrem Inneren herauspum-pen (7 Kap. 29.2.1). So findet sich das gesamte Calcium im Blutplasma, und zwar in drei Fraktionen:4 Ionisiertes Calcium. Da es durch die Kapillarmembran

in den interstitiellen Raum übertreten kann, wird es auch als diffusibles Calcium bezeichnet

4 Proteingebundes Calcium. Es kann die Kapillarmem-bran nicht passieren (nichtdiffusibles Calcium). Albu-min, aber auch Fetuin, ein spezielles, Calcium-binden-des Protein, spielen hierbei eine große Rolle

4 Komplexiertes Calcium. Es macht nur eine kleine Menge aus, die wahrscheinlich als Citrat- und Phos-phatkomplex vorliegt, und die in dieser Form in den interstitiellen Raum übertreten kann

Die . Abb. 28.30 zeigt das Verhältnis der einzelnen Frak-tionen, die miteinander im Gleichgewicht stehen. Die Calciumkonzentration liegt normalerweise zwischen 2,2 und 2,6 mmol/l (8,8–10,4 mg/100 ml). Obwohl sich mit weniger als 1% des Gesamtbestands nur ein sehr gerin-ger Teil des Körpercalciums im Blutplasma befindet, und obwohl die tägliche Aufnahme und Ausscheidung im Stuhl und Urin wie auch die Ablagerungen im Knochen großen Schwankungen unterliegen, wird die Plasma-konzentration von Calcium bemerkenswert konstant ge-halten.

. Abb. 28.30. Die einzelnen Fraktionen des Plasmacalciums. Dargestellt sind die Mittelwerte von 29 Normalpersonen. (Nach Moore EW (1970) J Clin Invest 49:318)

28.6 · Der Calcium- und Phosphathaushalt

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932 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

Der freie (ionisierte) Anteil des Plasmacalciums ist der biochemisch entscheidende. Die Nebenschilddrüsen reagie-ren durch Sekretion von Parathormon auf Änderungen des ionisierten Calciums (Regulation der extrazellulären Calciumkonzentration, 7 Kap. 28.6.3).

Die Bindung des Calciumions an die Carboxylat- und Phosphatgruppen der Plasmaproteine ist pH-abhängig (Dissoziation dieser Gruppen):4 Eine Erhöhung der Protonenkonzentration des Bluts

(Azidose) führt zu geringerer Dissoziation dieser schwach sauren Gruppen, sodass weniger Calcium ge-bunden werden kann

4 Eine Verringerung der Protonenkonzentration (Alka-lose, 7 Kap. 28.8.6) bedingt eine vermehrte Bindung von Calcium an Plasmaproteine

Auch Änderungen der Proteinkonzentration der Bluts (7 Kap. 29.6.4) gehen mit einer entsprechenden Änderung der Konzentration an freien Calciumionen einher. Die Calciumkonzentration in der interstitiellen Flüssigkeit be-trägt etwa 1,75 mmol/l (7 mg/100 ml), im Liquor cerebro-spinalis zwischen 1,12 und 1,24 mmol/l (4,5–6 mg/100 ml). Diese Werte entsprechen ungefähr der Konzentration des ionisierten Calciums, da das an Plasamproteine gebundene Calcium nicht frei diffusibel ist.

Ausscheidung. Calcium wird im Wesentlichen über die Nieren ausgeschieden. Das nichtproteingebundene Cal-cium (60%) wird glomerulär filtriert. Etwa 90% der glome-rulär filtrierten Ca2+-Menge wird im proximalen Tubulus und der dicken aufsteigenden Henle-Schleife vorwiegend parazellulär und ohne Regulation resorbiert. Die Regula-tion der Calciumausscheidung erfolgt im distalen Tubulus (Pars convoluta) durch Parathormon (7 Kap. 28.6.3) und 1,25-(OH)2-Cholecalciferol (7 Kap. 23.2.2), welche dort die Calciumreabsorption stimulieren und so die renale Calciumausscheidung vermindern. Im Normalfall werden nur etwa 1% der filtrierten Ca2+-Menge ausgeschieden, was bei normaler Ernährung einer täglichen renalen Ausschei-dung von 3,75–11,25 mmol (150–450 mg) entspricht. Die maximale Ausscheidung liegt bei nur 25 mmol (1 g) pro 24 h. Bei höheren Urinkonzentrationen fällt Calcium zu-sammen mit anderen Stoffen in Form von Nierensteinen aus (7 Kap. 28.2.4), da Calcium und Phosphat sich im Urin in einer übersättigten Lösung befinden. Mit dem Darm gelangen ebenfalls etwa 3,75–11,25 mmol (150–450 mg) zur Ausscheidung. Außerdem verliert der Orga-nismus Calcium mit dem Schweiß (Konzentration 0,3–15 mmol/l), mit dem plazentaren Kreislauf und der Milch (Lactation).

28.6.2 Phosphathaushalt

! Phosphor ist im Organismus als anorganisches oder organisches Phosphat vorhanden.

Zusammen mit Calcium ist Phosphat der Hauptbestandteil des anorganischen Anteils des Knochengewebes (Knochen-mineral). Zusätzlich ist es in Form organischer Phosphat-verbindungen (Nucleinsäuren, Phosphoproteine [Phos-phorylierung und Dephosphorylierung von Proteinen], Phospholipide, Zwischenprodukte des Kohlenhydratstoff-wechsels [Hexose- und Triosephosphate; 2,3-Bisphospho-glycerat] sowie Adenosintriphosphat und Kreatinphosphat) praktisch in jeder Zelle des Organismus zu finden. In der Zelle entsteht bei Reaktionen mit Adenylattransfer (z.B. Aktivierung von Fett- und Aminosäuren und Biosynthese von Carbamylphosphat) und bei der Bildung von cAMP Pyrophosphat, das durch Pyrophosphatasen zu Ortho-phosphat hydrolysiert wird.

Als Dihydrogenphosphat-Hydrogenphosphat-System wirkt Phosphat als Puffer im Intrazellulärraum (pK = 6,80!), Blutplasma und Urin (titrierbare Säure).

! Phosphat- und Calciumstoffwechsel sind eng ver-bunden.

Phosphatbedarf. Der tägliche Phosphatbedarf beträgt 25–30 mmol (800–900 mg). Milchprodukte, Getreide und Fleisch sind die besten Quellen.

Intestinale Resorption. Phosphat wird im Jejunum wie im proximalen Tubulus der Niere (7 Kap. 28.1.6) im Cotrans-port mit 2 Na+ durch die luminale Membran resorbiert. Das Cotransportsystem wird durch 1,25-(OH)2-Cholecalciferol stimuliert. Durchschnittlich werden 70% der zugeführten Menge resorbiert; der Prozentsatz steigt mit abnehmendem Phosphatangebot an. Da Phosphat mit Aluminium eine unlösliche – nicht resorbierbare – Verbindung eingeht, kann die Phosphatresorption therapeutisch durch Alumi-niumhydroxidgel gehemmt werden.

Organische Phosphatverbindungen werden durch Phos-phatasen im Darm hydrolysiert. Die Resorption erfolgt ausschließlich als anorganisches Phosphat. Phytinsäure (der Hexaphosphatester des Inositols), die reichlich in Ge-treidekörnern vorkommt, ist eine schlechte Phosphatquelle, da im menschlichen Verdauungstrakt keine Phytathydro-lase nachgewiesen werden kann.

Verteilung im Organismus. Etwa 85% des Phosphatbe-stands des Organismus befinden sich in Knochen und in den Zähnen. Die übrigen 15% verteilen sich auf die Mus-kelzellen (6%) und die übrigen Zellen (9%).

Phosphat im Blut. Im Gegensatz zur Calciumkonzentra-tion im Plasma, die in engen und während des gesamten Lebens gleichen Grenzen gehalten wird, fällt die Phos-

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28933

phatkonzentration im Plasma mit dem Alter ab und liegt beim Erwachsenen zwischen 1 und 2 mmol/l. Davon sind etwa 10% nichtcovalent an Proteine gebunden. Zusätzlich zum an organischen Phosphat finden sich im Plasma noch organische Phosphatverbindungen (Phosphatester und lipid gebundenes Phosphat). Phosphat wirkt im Blutplas-ma (und Urin) als Puffer, wobei seine Pufferkapazität aller-dings nur 1% der Gesamtpufferkapazität des Bluts be-trägt. Bei einem pH-Wert des Blutplasmas von 7,4 liegen 80% des anorgani schen Phosphats als HPO4

2– und 20% als H2PO4

– vor.Die Plasmaphosphatkonzentration ist die Resultante

aus der Resorption im Darm, dem Einbau und der Freiset-zung von Phosphat aus dem anorganischen Anteil des Kno-chengewebes, Verschiebung zwischen Extra- und Intra-zellulärraum sowie der Ausscheidung durch die Nieren. Die Konzentration von anorganischem Phosphat im Plasma unterliegt einem ausgeprägten – durch Parathormon nicht beeinflussbaren – Tag-Nacht-Rhythmus und hängt außer-dem von der mit der Nahrung zugeführten Menge ab. Mit diesem Rhythmus gehen Schwankungen der Phosphatkon-zentration im Urin parallel (. Abb. 28.31). Die Konzentra-tion des Plasma- und Urinphosphats ist am Vormittag am niedrigsten und am Abend am höchsten.

Ausscheidung. Die Ausscheidung von Phosphat erfolgt haupt sächlich über die Nieren, daneben auch über Schweiß und Stuhl. Da die Phosphatausscheidung in den Urin eben-so wie die Plasmakonzentration einem ausgeprägten Tag-Nacht-Rhythmus unterliegt, muss ihre quantitative Erfas-sung über den 24-Stunden-Urin erfolgen.

Anorganisches Phosphat wird glomerulär frei filtriert und ausschließlich im proximalen Tubulus zu 85–90% wie der reabsorbiert. Von den miteinander im chemischen Gleich gewicht stehenden Phosphaten der Tubulusflüssig-keit

wird HPO42– im Cotransport mit Na+ über spezifische

Transporter (NaPi) in der luminalen Membran in die Zelle geleitet. Basolateral wird Phosphat über einen Uniporter wieder ausgeschleust.

Die renale Phosphatausscheidung wird durch Para t-hormon, Calcitonin, Calciumzufuhr, Östrogene, Thyroxin und eine Azidose erhöht, durch Wachstumshormon, Insu-lin und Cortisol erniedrigt (7 u.).

Die Regulation der renalen Phosphatausscheidung ist nicht nur für den Phosphatbestand des Körpers an sich von Bedeutung, sondern hat auch direkte Auswirkung auf die Protonenausscheidung im Urin. Da HPO4

2– ein sehr effek-tiver Protonenpuffer im physiologischen pH-Bereich des Harns ist (7 o.), werden bei verminderter Phosphatresorp-tion wesentlich mehr Protonen (bis zu 30 mmol pro Tag mehr) ausgeschieden.

28.6.3 Hormonelle Regulation des Calcium- und Phosphat-stoffwechsels

! Die Plasmacalciumkonzentration wird durch das Zusammenspiel von Parathormon, Thyreocalcitonin und 1,25-Dihydroxy-cholecalciferol in engen Grenzen konstant gehalten.

Die Konzentration des freien (ionisierten) Calciums in der extrazellulären Flüssigkeit wird durch das Zusammenspiel von Parathormon (PTH), Thyreocalcitonin (CT) und 1,25-Dihydroxycholecalciferol als biologisch aktive Form der D-Vitamine (7 Kap. 23.2.2) erstaunlich konstant ge-halten.

Die . Abb. 28.32 gibt eine Zusammenfassung der Wech-selbeziehungen der 3 Hormone. Ein Absinken der Plasma-calciumkonzentration führt zu einer Sekretion von PTH durch die Nebenschilddrüsen. Dessen Effekt auf den Calciumstoffwechsel von Knochen und Nieren sowie die Biosynthese des D-Hormons bewirken eine rasche Nor-malisierung des Plasmacalciums. Steigt dieses über einen Sollwert an, kommt es durch eine gesteigerte Thyreocal-citoninfreisetzung zu einer Hemmung der Knochen-resorption und damit zum Absinken des Plasmacalciums. Der wichtigste Faktor für die enterale Calciumresorption ist das 1,25-Dihydroxycholecalciferol (1,25-(OH)2-D3).

. Abb. 28.31. Schwankungen des Plasmaphosphats und der Phosphatausscheidung in den Urin Mittelwerte von 3 gesunden Probanden. (Nach Stanbury SW (1958) Adv Intern Med 9:31)

28.6 · Der Calcium- und Phosphathaushalt

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934 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

! Parathormon entsteht durch limitierte Proteolyse eines Präkursors in den Nebenschilddrüsen.

Struktur des Parathormons. Parathormon (PTH) wird von den Nebenschilddrüsen sezerniert. Es sind meist 4 etwa linsengroße abgegrenzte Organe, die hinter den 4 Polen der Schilddrüse liegen. PTH ist ein Polypeptid aus 84 Amino-säuren. Die PTH verschiedener Spezies unterscheiden sich nur geringfügig, z.B. das des Rinds von dem des Schweins in nur 7 der 84 Aminosäuren. Untersuchungen mit synthe-tischen Teilsequenzen zeigten, dass für die biologischen Effekte des Hormons nur die ersten 27 N-terminalen Amino-säuren notwendig sind.

Biosynthese und Sekretion des Parathormons. Wie bei vielen anderen Polypeptidhormonen erfolgt auch die Biosynthese des PTH als größeres Vorläufermolekül. Die

. Abb. 28.33 zeigt den Aufbau des auf dem kurzen Arm von Chromosom 11 gelegenen Prä-Pro-PTH-Gens. Es codiert die aus 115 Aminosäuren bestehende Sequenz des Prä-Pro-PTH. Cotranslational wird im rauen endoplasma-tischen Retikulum die aminoterminale Signalsequenz abge-spalten, welche aus 25 Aminosäuren besteht, sodass als Zwischenprodukt das Pro-PTH entsteht (über die Funk-tion der Signalsequenz 7 Kap. 9.2.2). Im Golgi-Komplex erfolgt unter Bildung des reifen PTH die proteolytische Abspaltung eines N-terminalen Hexapeptids aus meist basischen Aminosäuren.

! Die PTH-Sekretion wird durch die extrazelluläre Cal-ciumkonzentration reguliert; PTH wird proteolytisch abgebaut.

Regulation der PTH-Sekretion. Da die Zellen der Neben-schilddrüsen nur relativ wenig Sekretgranula enthalten, kann man annehmen, dass PTH zum größten Teil konti-nuierlich synthetisiert und konstitutiv sezerniert wird. Die Sekretion von PTH wird durch die Konzentration an ioni-siertem Calcium im Blutplasma reguliert. Ein Abfall der Calciumkonzentration bewirkt einen Anstieg der cAMP-Konzentration und eine gesteigerte PTH-Sekretion (. Abb. 28.34a). Bei erhöhter Plasmacalcium-Konzentration sinkt der intrazelluläre cAMP-Spiegel in den Epithelkörperchen und die PTH-Sekretion kommt zum Erliegen. Die Verbin-dung zwischen der extrazellulärer Calciumkonzentration und der intrazellulären cAMP-Konzentration besteht dabei in einem membranständigen »Calciumrezeptor«-Protein, welches zur Familie der G-Protein-gekoppelten Rezepto-ren mit 7 Transmembrandomänen zählt. Ein Anstieg der extrazellulären Calciumkonzentration im physiologischen Bereich führt zur Aktivierung des Rezeptors und damit zur intrazellulären Calciummobilisierung über den Ino sitol-phos phatweg. Ein Anstieg der Calciumkonzentration hemmt wahrscheinlich die Aktivität der Adenylatcyclase (Typ VI) und senkt so den intrazellulären cAMP-Spiegel, worauf sich die PTH-Sekretion vermindert (. Abb. 28.34b).

Stoffwechsel des PTH. Sowohl innerhalb der Epithelkör-perchen selbst als auch in der Leber und möglicherweise in den Nieren, erfolgt ein proteolytischer Abbau des PTH. Da-bei kommt es zunächst zu einer Spaltung im ersten Drittel des PTH-Moleküls. Das dabei entstehende Bruchstück aus den Aminosäuren 1–33 besitzt noch die volle biologische Aktivität, das Bruchstück 34–84 ist dagegen inaktiv. Das N-terminale Fragment 1–33 wird offensichtlich schneller weiter abgebaut als das C-terminale. Jedenfalls geben Epi-thelkörperchen sehr viel größere Mengen dieses Fragments ans Blut ab als intaktes PTH und Fragment 1–33. Im Blut findet sich ein Gemisch aus vollständigem PTH sowie un-terschiedlich biologisch aktiven Bruchstücken.

! PTH erhöht die Plasmacalciumkonzentration durch seine Wirkung an Knochen, Nieren und Dünndarm.

. Abb. 28.32. Regulation der extrazellulären Calciumkonzen-tration. Ein Abfall des Plasmacalciums stimuliert die Freisetzung von Parathormon aus den Nebenschilddrüsen, das die Biosynthese von 1,25-(OH)2-D3 in den Nieren beschleunigt. Parathormon und 1,25-(OH)2-D3 fördern gemeinsam die Freisetzung von Calcium aus dem Skelettsystem. Außerdem fördert 1,25-(OH)2-D3 die intestinale Cal ciumresorption. Diese beiden Wirkungen führen dazu, dass der Plasmacalciumspiegel wieder den Normalwert erreicht. Das bei der Cal ciummobilisierung gleichzeitig aus dem Knochen freigesetzte oder im Darm resorbierte Phosphat hemmt direkt die Biosynthese von 1,25-(OH)2-D3 nach Art eines negativen Rückkoppelungsprozesses

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28935

Nach Zufuhr von PTH findet sich im Plasma ein Anstieg des Calciums sowie ein Abfall der Konzentration des anor-ganischen Phosphats. Diese Effekte lassen sich auf die PTH-Wirkung an den Knochen, den Nieren sowie der intesti-nalen Mukosa erklären:4 Am Knochen führt PTH durch die Aktivierung von

Osteoklasten zu einer Freisetzung von Calcium. Da-rüber hinaus beeinflusst PTH die organische Knochen-matrix, in dem es zu einer Auflösung von Kollagen und Knochengrundsubstanz führt. Diese Wirkung beruht auf der Aktivierung von Kollagenasen und von lysoso-malen Hydrolasen in den Osteoklasten. Als Folge wird vermehrt Hydroxyprolin aus dem Knochen freigesetzt. Die erhöhte Ausscheidung dieser Verbindung im Urin kann daher als diagnostischer Parameter für eine er-höhte PTH-Aktivität verwendet werden

4 Die Regulation der renalen Calciumausscheidung er-folgt im distalen Tubulus (Pars convoluta) durch PTH und 1,25-(OH)2-Cholecalciferol, welche dort die Cal-ciumresorption stimulieren. Die Regulation der renalen Phosphatausscheidung erfolgt im proximalen Tubulus,

wo Phosphat über einen Natriumcotransport (NaPi) resorbiert wird. NaPi wird in seiner Aktivität und auch in der Zahl der Transportmoleküle durch Parathor-mon und Calcitonin gehemmt. Entsprechend führen PTH und Calcitonin zu einer verstärkten Phosphat-ausscheidung im Urin (Phosphaturie). Bis zu 20% des filtrierten Phosphates können so ausgeschieden wer-den, was zu einem Abfall der Phosphatkonzentration im Plasma führt. Da die Konzentrationen von freiem Calcium und freiem Phosphat zusammen mit ihrem Produkt Calciumphosphat im reversiblen chemischen Gleichgewicht stehen, führt ein Abfall der Phosphat-konzentration gleichzeitig zu einem Anstieg der Cal-ciumkonzentration

4 Ein weiterer sehr wichtiger renaler Effekt des PTH besteht darin, dass es die Hydroxylierung von in der Leber gebildetem 25-Hydroxycholecalciferol zum bio-logisch aktiven 1,25-Dihydroxycholecalciferol stimu-liert. Es führt zu einer gesteigerten Expression der für die 1,25(OH)2–Cholecalciferolbildung notwendigen 1α-Hydroxylase (7 Kap. 23.2.2). Damit schafft es die

. Abb. 28.33. Das Prä-Pro-PTH-Gen und die Prozessierung seines Transkriptions- und Translationsproduktes. (Einzelheiten 7 Text)

28.6 · Der Calcium- und Phosphathaushalt

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936 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

Voraussetzung zur Steigerung der intestinalen Calcium-resorption bei erniedrigten Serumcalciumkonzentra-tionen. An der Dünndarmmukosa stimuliert PTH die Resorption von Calcium und Magnesium. Dieser Effekt ist jedoch im Vergleich zu den anderen Wirkungen des Hormons nur von geringer Bedeutung. Interessanter-weise lässt er sich auch nur dann demonstrieren, wenn die Kost relativ calciumarm ist

! Der Parathormonrezeptor ist über G-Proteine mit der Adenylatcyclase gekoppelt.

Parathormon wirkt auf seine Zielzellen über einen hepta-helicalen Rezeptor, welcher an heterotrimere, große G-Proteine gekoppelt ist und die Adenylatcyclase stimuliert. Die meisten, wenn nicht alle Effekte des PTH können durch Behandlung mit cAMP imitiert werden. Der Effekt des PTH auf die Adenylatcyclase der Tubulusepithelien der

Nieren führt sogar zu einer deutlichen Ausscheidung von cAMP im Urin. Der PTH-Rezeptor reagiert auch mit dem PTH related protein (PTHrP) (7 u.).

Mittlerweile sind Rezeptoren für PTH bzw. PTHrP in einer Vielzahl weiterer Gewebe nachgewiesen worden. Da man von diesen Geweben eigentlich nicht annehmen kann, dass sie eine besondere Bedeutung für die Regulation des Calcium- und Phosphatstoffwechsels haben, muss man vermuten, dass PTH und/oder das PTHrP (7 u.) noch un-bekannte weitere Funktionen haben.

! Parathormon-related-protein hat ähnliche Wirkungen wie PTH.

Es ist seit langem bekannt, dass bei verschiedenen malig-nen Tumorerkrankungen eine Hypercalciämie auftreten kann, welche auf die Bildung eines PTH-related-proteins (PTHrP) zurückzuführen ist. PTHrP ist ein aus 139 Amino-säuren bestehendes Protein, das jedoch in Fragmente mit biologischer Aktivität gespalten werden kann (PTHrP 1–36, 38–94 und 107–139). Die ersten 13 Aminosäuren sind iden-tisch mit dem biologisch aktiven aminoterminalen Ende von PTH, was die dem PTH ähnliche biologische Wirkung erklärt. PTHrP wird auch in einer Reihe normaler Gewebe des Erwachsenen exprimiert, wie z.B. Epidermis, Placenta, laktierende Mamma, Nebenschilddrüsen, Hirn, Magen und Leber. PTHrP ist auch in der fetalen Nebenschild drüse nachweisbar. Offensichtlich ist es wichtig für die Calcium-homöostase des Feten und für die Bereitstellung von Cal-cium für das fetale Knochenwachstum. PTHrP steuert die fetale Knochenentwicklung. Es wirkt relaxierend auf die Uterusmuskulatur, woraus geschlossen wurde, dass es für die Anpassung des Uterus an das fetale Wachstum und die Ruhigstellung des Uterus wichtig ist. Besonders auffallend ist, dass sehr hohe Konzentrationen von PTHrP in der Muttermilch nachweisbar sind. Geringere Mengen erschei-nen in der mütterlichen Zirkulation und sind möglicher-weise die Ursache der Calciummobilisierung aus dem mütterlichen Skelett. Die Ausschaltung des PTHrP-Gens durch knockout (7 Kap. 7.4.5) ist letal.

PTHrP wirkt über den PTH-Rezeptor. Allerdings konn-te gezeigt werden, dass PTHrP nicht nur sezerniert wird, sondern auch reversibel in den Zellkern transloziert werden kann. Sein dortige Funktion ist unklar.

! Thyreocalcitonin wird in der Schilddrüse gebildet.

Das in den C-Zellen der Schilddrüse gebildete, calcium-senkende (Thyreo)calcitonin scheint als spezifischer Ge-genspieler des PTH besonders für die Feinregulation des Calciumspiegels im Blut verantwortlich zu sein.

Thyreocalcitonin ist ein Peptid aus 32 Aminosäuren, welches N-terminal eine Disulfidbrücke aufweist und des-sen C-terminales Ende ein Glycinamid ist.

! Die Sekretion von Thyreocalcitonin wird durch Calcium stimuliert.

. Abb. 28.34. cAMP-Konzentration und PTH-Freisetzung in Epi-thelkörperchen. a 105 isolierte Zellen aus Epithelkörperchen wurden mit Calcium in den jeweils angegebenen Konzentrationen inkubiert und danach die intrazelluläre cAMP-Konzentration sowie die PTH-Abgabe in das Medium gemessen. b Signalweg der Regulation der PTH-Sekretion aus Epithelkörperchen durch die extrazelluläre Cal-ciumkonzentration. (Einzelheiten 7 Text)

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Thyreocalcitonin entsteht durch proteolytische Prozes-sierung eines aus 136 Aminosäureresten bestehenden Prä-kursors (. Abb. 28.35). Die Thyreocalcitonin-Sequenz ist von basischen Aminosäureresten flankiert, die die Signale für die proteolytische Abtrennung des Threocalcitonins sowie für die Aminierung des C-terminalen Glycins liefern. Ein über große Bereiche homologes Peptid, das calcitonin gene related product (CGRP) entsteht durch alternatives Spleißen desselben Gens, wird aber bevorzugt in Neuronen des zentralen und peripheren Nervensystems exprimiert. Es wirkt gefäßerweiternd und ist ein Chemokin für eosino-phile Granulozyten.

Jede Erhöhung des Spiegels an ionisiertem Calcium im Plasma führt zu einer Thyreocalcitoninabgabe aus der Schilddrüse. Ähnlich wirken die gastrointestinalen Hor-mone Gastrin oder Pankreozymin.

! Thyreocalcitonin senkt die Calciumkonzentration im Blut durch Wirkung auf Knochen, Darm und Niere.

Am Knochengewebe wirkt Thyreocalcitonin als direkter Antagonist des PTH, d.h. es hemmt die Calciumfreiset-zung. Dabei wirkt sich der Hormoneffekt über eine Hem-mung der Osteoklastentätigkeit und über die Stimulierung von Knochenanbauprozessen aus. Thyreocalcitonin senkt den Spiegel des ionisierten Calciums im Plasma in weniger als 30 Minuten, wirkt also rascher als PTH (60 min). Aller-dings ist sein Effekt von kurzer Dauer, was auch aus den unterschiedlichen Halbwertszeiten für die beiden Hormone hervorgeht. Die Halbwertszeiten des Thyreocalcitonins sind mit 4–12 Minuten etwa 2- bis 3-mal kürzer als die des PTH. Neben der Hemmung der Osteolyse verringert Thyreocalcitonin auch die Magensaft- und Pankreassekre-tion sowie die intestinale Motilität. Das bewirkt eine Ver-langsamung der Verdauungsvorgänge und damit der Cal-ciumresorption, wodurch einer vorübergehenden Hyper-calciämie entgegengewirkt wird. In den Nieren fördert es die Calciumausscheidung.

! Calcitoninrezeptoren sind über G-Proteine mit der Adenylatcyclase oder der Phospholipase C verbunden.

Calcitoninrezeptoren kommen in 2 Subtypen vor und sind Mitglieder der Familie von G-Protein gekoppelten Rezep-toren, zu denen auch die Rezeptoren für PTH, Sekretin, vasoaktives intestinales Peptid (VIP), glucagon-like peptide 1 (GLP-1) und Glukagon gehören. Der Rezeptor ist je nach Subtyp, über G-Proteine an das Adenylatcyclasesystem bzw. die Phospholipase C gekoppelt. Dementsprechend führt die Behandlung von Osteoklasten, aber auch anderer Zellen mit Thyreocalcitonin zur Erhöhung der cAMP- und Cal-ciumkonzentrationen. Die . Abb. 28.36 zeigt eine schema-tische Übersicht der molekularen Wirkung von Thyreo-calcitonin an Osteoklasten.

! 1,25-Dihydroxycholecalciferol reguliert die intestinale Calciumresorption.

Eine Schlüsselstellung bei der intestinalen Calciumresorp-tion nimmt das hierfür unerlässliche 1,25-Dihydroxy-cholecalciferol ein (7 Kap. 23.2.2). Damit kommt den Nieren eine wesentliche Funktion bei der Regulation der Calciumresorption und damit des Calciumbestands des Organismus zu. Da die renale Biosyntheserate von 1,25-Dihydroxycholecalciferol durch den Calciumspiegel regu-liert wird, erhalten die Mukosazellen über diesen Meta-boliten die Information über die Höhe des Plasmacalcium-

. Abb. 28.35. Aufbau des Thyreocalcitonin-Präkursors bei der Ratte

. Abb. 28.36. Signaltransduktion des Thyreocalcitonin an Osteo-klasten. Die beiden Rezeptorsubtypen sind über entsprechende G-Proteine an die Adenylatcyclase bzw. die Phospholipase C gekop-pelt. Man nimmt an, dass die Erhöhung der cAMP-Konzentration sowie der zellulären Calciumkonzentration zur Fixierung von Osteo-klasten in der G0-Phase des Zellzyklus und zu der für ihre Inaktivität typischen Formänderung führt

28.6 · Der Calcium- und Phosphathaushalt

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938 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

spiegels, die die Grundlage zur Förderung oder Hemmung der intestinalen Resorption bildet.

! Die Plasmaphosphatkonzentration wird über verschie-dene Hormonsysteme reguliert.

Eine Erhöhung der Plasma-Phosphatkonzentration kommt durch folgende Mechanismen zustande:4 Wachstumshormon fördert die Phosphatreabsorption

durch die Nieren und führt so zu einer höheren Plasma-phosphatkonzentration v.a. in der Wachstumsphase

4 Vitamin D, Parathormon, Thyroxin aber auch eine Azidose fördern den Knochenabbau und damit die Freisetzung von Phosphat und Calcium in den Extra-zellulärraum

Zu einer Erniedrigung der Plasma-Phosphatkonzentration kommt es durch:4 Parathormon, das eine Hemmung der Phosphatreab-

sorption im proximalen Tubulus auslöst4 Thyreocalcitonin, das die Plasma-Phosphatkonzen-

tration über eine Hemmung der Knochenresorption senkt

4 Insulin und Glucose, die zu einer vermehrten Auf-nahme von Phosphat in den Intrazellulärraum führen und so einen Abfall der Plasmaphosphatkonzentration bewirken

28.6.4 Pathobiochemie des Phosphat- und Calciumhaushalts

! Eine Hypophosphatämie beeinträchtigt den ATP-Haus-halt.

Gründe für eine Hypophosphatämie sind4 Phosphatverluste infolge Funktionsstörungen im Nie-

rentubulus, denen entweder ein genetischer Defekt oder eine erworbene Schädigung zugrunde liegt, oder

4 eine Verteilungsstörung, wenn z.B. bei parenteraler Er-nährung eine gesteigerte Aufnahme von Phosphat in den Muskel und ins Fettgewebe erfolgt

Hypophosphatämien führen u.a. zum ATP- und 2,3-Bis-phosphoglyceratmangel (2,3-BPG). Der Erstere löst u.a. ei -ne allgemeine Muskelschwäche und Myokard-Insuffizienz aus, Letzteres führt zu einer Verschlechterung der Sauer-stoffversorgung der peripheren Gewebe (7 Kap. 29.2.2)

! Eine Hypercalciämie ist meist osteolytisch bedingt und beeinträchtigt die Funktion zahlreicher Organ-systeme.

Bild der Hypercalciämie. Erhöhungen des Calciumspiegels im Blut über die obere Normgrenze (etwa 2,6 mmol/l) füh-ren zu Funktionsstörungen verschiedener Organe. Haupt-sächlich betroffen sind die Nieren (Polyurie, Polydipsie,

Hyposthenurie, Hypokalikämie), der Gastrointestinaltrakt und das Herz (EKG-Veränderungen).

Verursacht werden Hypercalciämien durch eine ge-steigerte Freisetzung von Calcium aus den Knochen oder eine vermehrte Resorption im Darm. Während ein Mangel an Thyreocalcitonin beim Menschen noch nicht als Ursa-che für eine Hypercalciämie nachgewiesen werden konnte, können Erhöhungen der Plasmacalciumkonzentration durch eine vermehrte Resorption bei der Überdosierung von Vitamin-D-Präparaten auftreten. Die wichtigste Ur-sache bilden jedoch die osteolytischen Syndrome, wobei man bedenken sollte, dass bei der Zerstörung von 1 g Kno-chen etwa 2,5 mmol (100 mg) Calcium freigesetzt werden.

Primärer und sekundärer Hyperparathyreoidismus. Die klassische Form für die osteolytischen Syndrome ist der primäre Hyperparathyreoidismus, bei dem durch Tu-moren der Nebenschilddrüsen oder auch durch eine ekto-pische Hormonproduktion anderer Tumoren unabhängig vom Bedarf Parathormon sezerniert wird, das dann eine gesteigerte Osteolyse in Gang setzt. Dies führt zu einer massiven Knochenentkalkung mit Knochenverbiegungen, cystischen Entkalkungsherden und schließlich Spontan-frakturen. Neben den erhöhten Calciumkonzentrationen sind erniedrigte Phosphatkonzentrationen im Serum ty-pisch für den primären Hyperparathyreoidismus.

Vom primären ist der sekundäre Hyperparathyreoi-dismus abzugrenzen, bei dem eine reaktive Überfunktion der Epithelkörperchen vorliegt. Sie wird durch Hypocalci-ämien aufgrund der verschiedensten Erkrankungen, wie Störungen der intestinalen Calciumresorption, Vitamin-D-Mangel, Nierenerkrankungen usw., ausgelöst. Typisch für dieses Krankheitsbild sind erniedrigte bis normale Serum-calciumspiegel bei erhöhten PTH-Konzentrationen.

Tumorhypercalciämie. Auch Tumoren, bei denen Tochter-geschwülste im Skelettsystem auftreten (z.B. bei Mamma- und Prostatakarzinom), können mit sog. malignen Hyper-calciämien einhergehen. An der Entstehung von Tumor-hypercalciämien sind von den Tumorzellen gebildete Hormone oder Cytokine (wie TNF-α oder PTH-related-protein) beteiligt, welche die Osteoklasten stimulieren.

! Eine Hypocalciämie kann verschiedene Ursachen ha-ben; sie erhöht akut die neuromuskuläre Erregbarkeit und führt chronisch zu Entwicklungsstörungen.

Ursachen der Hypocalciämie. Erniedrigungen der Plasma-calciumkonzentration treten bei intestinalen Resorptions-störungen, Unterfunktion der Nebenschilddrüsen (Hypo-parathyreoidismus, 7 u.), gesteigertem Calciumbedarf in der Schwangerschaft sowie gelegentlich bei Thyreocal-citoninüberproduktion auf. Ein akuter Abfall des ionisier-ten Calciums kann durch eine Hyperventilation bewirkt werden, da die dadurch verursachte Alkalose (7 Kap. 28.8.6) die Bindung von Calcium an die Plasmaproteine erhöht.

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28939

Der Abfall des ionisierten Calciums führt zu Muskelkrämp-fen (Tetanie) (7 o.), die sich vor allem in der Perioralmus-kulatur und der Fingermuskulatur bemerkbar machen.

Hypoparathyreoidismus. Die häufigste Ursache für eine Unterfunktion der Nebenschilddrüsen, einen Hypopara-thyreoidismus, ist die unbeabsichtigte Entfernung der Nebenschilddrüsen bei Operationen an der Schilddrüse. In seltenen Fällen kann auch eine Autoimmunerkrankung zu einer Unterfunktion der Parathyreoidea führen.

Die Hauptsymptome sind Muskelschwäche, erhöhte muskuläre Erregbarkeit und Tetanie. Hypoparathyreoi-dismus im frühen Kindesalter führt zu einem Wachstums-stillstand, einer defekten Zahnentwicklung und einer geis-tigen Retardierung.

Das Serumcalcium ist erniedrigt, der Serumphosphat-spiegel erhöht. Im Urin wird wenig bis kein Calcium ausge-schieden und auch die Phosphatausscheidung ist niedrig, ohne dass eine Nierenerkrankung vorliegt. Die Serum-spiegel an Magnesium und Hydroxyprolin sind ebenfalls erniedrigt. Die PTH-Spiegel, die normalerweise schon sehr niedrig sind, sind weiter abgesenkt und liegen unterhalb der Nachweisgrenze.

Zur Behandlung des Hypoparathyreoidismus werden Calcium, PTH und besonders Vitamin D oder verwandte Verbindungen angewendet. Die Wirkung des Vitamins D be ruht insbesondere auf einer Steigerung der Resorption von Calcium im Dünndarm und auf einer Stimulierung der Phos-phatausscheidung durch die Nieren, der Calciumspiegel im Blut wird deshalb angehoben. Beim so genannten Pseudo-hypoparathyreoidismus liegt kein Hormonmangel vor, sondern die Nierentubuli sprechen wegen Rezeptor de fekten nicht adäquat auf PTH an, weshalb die renale Ausschei dung von Calcium erhöht und von Phosphat vermindert ist.

Thyreocalcitoninüberproduktion. Eine Thyreocalcitonin-überproduktion findet man bei Schilddrüsenkarzinomen, die von den C-Zellen der Schilddrüse ausgehen. Trotz der teilweise erheblichen Thyreocalcitoninsekretion der artiger Tumoren kommt es nur bei einer Minderzahl der betrof-fenen Patienten zu einer Hypocalciämie. Der meist norma-le Calciumspiegel im Blut wird offensichtlich durch eine effektive Gegenregulation durch PTH aufrechterhalten. Auch bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen sowie bei Pankreaskarzinomen kommt es häufig zu einer ekto-pischen Thyreocalcitoninproduktion.

In Kürze

Der Calcium- und Phosphatstoffwechsel sind nicht nur mit dem Stoffwechsel des Skelettsystems eng verknüpft, sondern auch mit der Aufrechterhaltung nahezu aller zellulärer Funktionen. Die Regulation der extrazellulären Calciumkonzen-tration erfolgt durch die Hormone Parathormon (PTH), 1,25-Dihydroxycholecalciferol und Thyreocalcitonin. Zielgewebe dieser Hormone sind die Zellen der Darm-mukosa, der Nierentubuli und der Knochen. Das in den Nebenschilddrüsen gebildete Parat-hormon ist der wichtigste Regulator des Calciumspie-gels im Extrazellulärraum. Jeder Abfall der Konzentra-tion des ionisierten Calciums führt über einen spezi-

fischen Calcium-Rezeptor in der Membran der Neben-schild drü sen zellen zu einer erhöhten PTH-Sekretion. PTH erhöht die intestinale und renale Resorption von Cal cium und verringert die tubuläre Reabsorption von Phosphat. 1,25-Dihydroxycholecalciferol, die aktive Form des Vitamin D, wird in Abhängigkeit von PTH in den Nieren aus 25-Hydroxycholecalciferol gebildet. Es fördert die Calciumresorption im Intestinaltrakt und erleichtert die Wirkung von Parathormon am Knochen. Das in den parafolliculären Zellen der Schilddrüse produzierte Thyreocalcitonin senkt die extrazelluläre Konzentration an freiem Calcium.

28.7 Der Magnesium- und Sulfat-haushalt

28.7.1 Magnesiumhaushalt

! Magnesium ist an intrazellulären Reaktionen von Phos-phatgruppen beteiligt.

Magnesium nimmt an vielen Reaktionen teil, bei denen Phosphatgruppen übertragen, Phosphatester gespalten oder gebildet werden, da das Substrat dieser Enzyme (z.B. ATPasen in Membranen, alkalische und saure Phospha-tasen, Pyrophosphatasen) ein ATP2–-Mg2+-Komplex ist. Magnesium macht dabei das Phosphat einem nucleophi-

len Angriff zugänglich. Auch bei der oxidativen Phospho-rylierung in den Mitochondrien, verschiedenen Stufen der Proteinbiosynthese im Cytosol (Assoziation der ribo-somalen Untereinheiten, Aktivierung der Aminosäuren) und der Nucleinsäurebiosynthese im Kern ist Magnesium beteiligt.

Von klinischer Bedeutung ist die calciumantagonis-tische Wirkung des Magnesiums. Es blockiert Calcium -kanäle und damit den Einstrom von Calcium z.B. in synap-tische Endköpfe (vermindert damit Transmitterfrei setzung), in die glatte Gefäßmuskulatur und die Herzmuskelzelle. Darauf beruht die Anwendung pharmakologischer Ma-gnesiumgaben bei Muskelkrämpfen und Herzinfarkt mit Rhythmusstörungen.

28.7 · Der Magnesium- und Sulfathaushalt

Page 48: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

940 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

! Über 95% des Körpermagnesiums befinden sich im Intrazellulärraum.

Magnesiumbedarf. Der Magnesiumbedarf des Menschen ist unbekannt. Er hängt nicht nur vom Gesundheitszustand, sondern auch von der Zusammensetzung der Nahrung und insbesondere deren Calcium- und Proteingehalt ab. Mit 8,2–12,3 mmol (200–300 mg) pro Tag ist die Bilanz ausge-glichen. Von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung wird die tägliche Zufuhr von 14,4 mmol (350 mg) empfoh-len. Reich an Magnesium ist grünes Blattgemüse aufgrund seines hohen Chlorophyllgehalts sowie Nüsse und Ge-treide.

Intestinale Resorption. Nur etwa 30% des mit der Nahrung zugeführten Magnesiums werden aufgenommen. Seine Resorption erfolgt über einen noch unbekannten Mecha-nismus durch die Dünndarmmukosa, in geringeren Men-gen auch im Magen, nachdem das Magnesium des Pflan-zenchlorophylls durch Salzsäure abgespalten worden ist. Vitamin D3, Parathormon, Wachstums- und Schilddrüsen-hormone steigern die intestinale Resorption.

Verteilung im Organismus. Die Magnesiumkonzentration im Blut beträgt 0,8–1,0 mmol/l. Davon sind etwa 32% an Proteine (. Tabelle 28.9) gebunden. Der Liquor cerebro-spinalis enthält mit 1,25–1,5 mmol/l fast doppelt soviel Ma-gnesium. Aus dem Extrazellulärraum (1,3% des Gesamt-bestands) gelangt Magnesium in die Körperzellen (95% des Gesamtbestands), wobei es v.a. in Apatit und Proteinen des Skeletts (67%) und in Organen mit hoher Stoffwechselak-tivität wie Herz, Leber, Zentralnervensystem und Musku-latur (31%) angereichert wird.

Da die intrazelluläre Konzentration höher als die des Extrazellulärraums ist, weisen auch die Erythrozyten eine höhere Konzentration als das Blut auf (2,5–2,75 mmol/l). Im Knochen ist Magnesium nicht fest gebunden, sondern rasch mobilisierbar. Der Gesamtbestand des 70 kg schweren Erwachsenen beträgt bei 11,5–16,5 mmol/kg Körperge-wicht 800–1150 mmol (etwa 24–25 g) und nimmt mit dem Alter ab.

Ausscheidung. Die Ausscheidung erfolgt fast ausschließ-lich über glomeruläre Filtration in der Niere und wird durch die Reabsorption in den Tubuli begrenzt (7 o.). Im Normalfall werden ca. 5% des filtrierten Mg2+ mit dem Urin ausgeschieden (3–6 mmol/24 h). Wegen der Kompetition von Mg2+ mit Ca2+, führt jede Erhöhung des Serumcal-ciumspiegels zu einer stärkeren Magnesiumausscheidung und umgekehrt.

In geringen Mengen wird Magnesium auch mit dem Schweiß und in den Darm ausgeschieden.

! Über die Regulation des Magnesiumstoffwechsels ist bisher nur wenig bekannt.

Die intrazelluläre Magnesiumkonzentration ist erstaunlich unabhängig von der extrazellulären Magnesiumkonzentra-tion. In den Mitochondrien wird Magnesium in Form von Mg3(PO4)2-Komplexen angereichert, weswegen der Ma-gnesiumspiegel in Mitochondrien höher als im Cytosol ist. Die Schilddrüsenhormone beeinflussen den Plasma- (Er-niedrigung) und Zellgehalt (Erhöhung) sowie die Urinaus-scheidung von Magnesium (Erhöhung). Da auch die intes-tinale Resorption gesteigert wird, entsteht unter der Gabe von Schilddrüsenhormonen insgesamt eine positive Ma-gnesiumbilanz. Genau die entgegengesetzten Wirkungen werden bei der Schilddrüsenunterfunktion beobachtet.

! Ein Magnesiummangel wird durch vermehrten Ver-brauch oder verminderte Aufnahme hervorgerufen.

Die Magnesiumaufnahme beim Menschen kann durch proteinreiche Ernährung (hoher Magnesiumbedarf und Hemmung der Resorption), calciumreiche Kost, Mangel an Thiamin (B1) und Pyridoxin (B6), durch höheren Alkohol-konsum (hemmt Magnesiumresorption), und durch Ma-gnesiummangelernährung verringert sein. Auch die Be-einträchtigung der renalen Reabsorption von Magnesium kann einen Mangelzustand herbeiführen.

Symptome des Magnesiummangels sind nervöse Stö-rungen mit Schwindelzuständen, Kribbeln in Händen und Füßen sowie Muskelkrämpfe, die sich mit der Funktion von Magnesium bei der synaptischen Erregungsübertragung (neuromuskuläre Endplatte!) erklären lassen.

. Tabelle 28.9. Daten zum Magnesiumstoffwechsel

Verteilung von Magnesium im normalen Plasma

mmol/l Prozentualer Anteil an der Gesamtmenge

Ionisiert 0,53 55

Proteingebunden 0,30 32

Komplexiert 0,07 7

Nicht identifiziert 0,06 6

Gesamtmenge 0,96 100

Normalbereich im Blutplasma

0,8–1,0 mmol

Tägliche Ausscheidung mit dem Urin

3,0–6,0 mmol/24 h

Gesamtbestand des Organismus

115–165 mmol/kgKörpergewicht

Empfohlene tägliche Zufuhr mit der Nahrung

8–14 mmol

Page 49: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

28941

28.7.2 Schwefelhaushalt

! Sulfat ist Endprodukt des organischen Schwefelstoff-wechsels.

Schwefel ist wesentlicher Bestandteil der Seitenketten der proteinogenen Aminosäuren Cystein und Methionin. Methionin kann in Cystein überführt werden, bei dessen Abbau zu Kohlendioxid, Wasser und ATP der Schwefel

in Form von Schwefelwasserstoff frei wird. Dieser wird nach Oxidation zu anorganischem Sulfat (Plasmakon-zentration 0,5–1,5 mmol/l) in der Niere glomerulär fil-triert und im proximalen Tubulus im Cotransport mit 2Na+ wieder reabsorbiert. Basolateral verlässt es den proxi malen Tubulus dann wieder im elektroneutralen Austausch mit Cl–. Nicht reabsorbiertes Sulfat wird in Be gleitung von Ka tionen mit dem Urin ausgeschieden (an organisches Sulfat). Die tägliche Sulfatausscheidung

. Abb. 28.37. Aktivierung von Sulfat

. Abb. 28.38. Bildung, Verwendung und Ausscheidung von Sulfat

28.7 · Der Magnesium- und Sulfathaushalt

Page 50: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

942 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

2828.8 Der Säure-Basen-Haushalt

28.8.1 Notwendigkeit der Konstanthaltung der Protonenkonzentration

! Änderungen der Protonenkonzentration beeinträchti-gen eine Vielzahl von zellulären Reaktionen.

Die Interaktionen eines Enzyms mit seinem Substrat oder eines Hormons mit seinem Rezeptor werden u.a. von elek-trostatischen Wechselwirkungen bestimmt. Sie werden deshalb durch Änderungen der Wasserstoffionenkonzen-trationen beeinflusst, die eine Protonenabspaltung bzw. -anlagerung und damit Ladungsänderung der reagie-renden Moleküle verursachen. Der pH beeinflusst somit die katalytische Aktivität von Enzymen, die Funktion von Ionen kanälen oder die Bildung von Signalsubstanzen. Damit die zahlreichen, zeitlich und räumlich nebeneinan-der ablaufenden enzymatischen Reaktionen und Reak-tionsketten in der Zelle koordiniert funktionieren kön-nen, muss dem zufolge die Protonenkonzentration durch Puffersysteme in engen Grenzen konstant gehalten wer-den. pH-bedingte Störungen auf zellulärer Ebene machen sich systemisch als Funktionsstörungen (z.B. Arrhyth-mien) bemerkbar.

28.8.2 Entstehung von Säuren im Stoffwechsel

Als Endprodukte des Stoffwechsels entsteht v. a. CO2 sowie je nach Nahrungszusammensetzung 50–100 mmol Säuren wie Schwefelsäure, Phosphorsäure und organische Säuren.

Während CO2 in der Lunge abgeatmet wird (. Abb. 28.39), müssen diese über die Nieren ausgeschieden werden.

! Täglich werden bei körperlicher Tätigkeit etwa 24 mol (1,2 kg) Kohlendioxid über die Lungen abgeatmet.

Kohlendioxid wird bei vielen katabolen Reaktionen durch dehydrierende oder nicht dehydrierende Decarboxylierung freigesetzt (. Tabelle 28.10). Ein geringer Teil des freien Kohlendioxids kann in Carboxylierungsreaktionen wieder fixiert werden, der überwiegende Teil – etwa 24000 mmol pro Tag beim gesunden Erwachsenen mit normaler kör-perlicher Aktivität – wird durch die Carboanhydrase in Hydrogencarbonat und Protonen umgewandelt:

Hydrogencarbonat wird im Plasma zu den Lungen trans-portiert, die bei der Bildung von Hydrogencarbonationen entstehenden Protonen werden vorwiegend durch Hämo-globinmoleküle abgepuffert. Im Bereich der Lungen wer-den die Protonen wieder abgegeben und für die Carboan-hydrase-Rückreaktion verwendet. Das dabei entstehende CO2 wird abgeatmet.

! Der Abbau von Aminosäuren liefert einen Überschuss nichtflüchtiger Säuren.

Der Aminosäureabbau trägt wesentlich zur Produktion nichtflüchtiger Säuren bei:4 Beim Abbau der schwefelhaltigen Aminosäuren Cys tein

und Methionen entsteht als Endprodukt Schwefelsäure4 Der Abbau der basischen Aminosäuren Lysin, Arginin

und Histidin liefert neben neutralen Produkten ein Proton

In Kürze

4 Über 95% des Körpermagnesiums befinden sich im Intrazellulärraum

4 Über die Regulation des Magnesiumstoffwechsels ist bisher nur wenig bekannt

4 Ein Magnesiummangel wird durch vermehrten Ver-brauch oder verminderte Aufnahme hervorgerufen

4 Sulfat ist Endprodukt des organischen Schwefelstoff-wechsels

4 Sulfat ist Bestandteil von Proteoglykanen und wichtig für Konjugationsreaktionen

beträgt in Abhängigkeit von der zugeführten Protein-menge 30–60 mmol.

! Sulfat ist Bestandteil von Proteoglykanen und wichtig für Konjugationsreaktionen.

Sulfat kann auch zu Phosphoadenosylphosphosulfat (PAPS) aktiviert werden, das dann für Konjugationsreak-tionen oder zur Biosynthese von Glycosaminoglykanen (7 Kap. 17.3.5) oder Sulfatiden (7 Kap. 18.2) verwendet wird (. Abb. 28.37).

Die Konjugation mit Sulfat in der Leber ist Teil der Phase 2 des Biotransformationssystems (7 Kap. 33.3.1); die dabei entstandenen Konjugationsprodukte werden nach Ausscheidung in den Urin insgesamt als Äther-Schwefel-Fraktion bezeichnet. Beim Abbau sulfatierter Verbindungen wie den Glycosaminoglykanen oder Sulfatiden wird Sulfat durch spezifische Sulfatasen freigesetzt und kann nach Aktivierung erneut verwendet werden. In den Urin ausge-schiedenes Cystein und Taurin werden als Neutralschwefel bezeichnet (. Abb. 28.38).

Page 51: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

28943

4 Beim Abbau von Glutamat und Aspartat werden Pro-tonen verbraucht, was einer Nettoproduktion von HCO3

– entspricht.

Insgesamt resultiert aus dem Proteinabbau ein Überschuss an nicht flüchtigen Säuren, was auch als sog. Säureüber-schuss der Nahrungsproteine bezeichnet wird. Mit protein-reichen Nahrungsmitteln, wie z.B. Fleisch, Eiern oder Ge-treideprodukten entsteht ein saurer Urin, mit Milch, Obst und Gemüse (lactovegetabile Kost) ein alkalischer Harn. Die normale Mischkost aus säure- und basenüberschüs-sigen Nahrungsstoffen liefert täglich etwa 60 ± 20 mmol Protonen. Die durch extrem einseitige Ernährung erreich-baren Überschüsse sollen in beiden Richtungen bei etwa 150 mmol/24 h liegen.

! Das Phosphat der Nahrung ist ebenfalls eine Protonen-quelle.

Die übrigen mit der Nahrung zugeführten Protonen stam-men im Wesentlichen aus dem Nahrungsphosphat; anor-ganisches Phosphat, das z.B. in einem sauren Fruchtsaft überwiegend als Dihydrogenphosphat vorliegt, geht im al-kalischen Milieu des Darmes in Hydrogenphosphat unter Freisetzung von Protonen über.

28.8.3 Verteilung der Protonen zwischen Intra- und Extrazellulärraum

Gebräuchlicherweise wird die H+-Ionenkonzentration als pH-Wert angegeben:4 Im Blut und damit auch im Extrazellulärraum liegt der

pH im Mittel bei 7,4 (40 nMol H+/l) mit einem physio-logischen Schwankungsbereich von pH 7,36–7,44

4 Der intrazelluläre pH-Wert liegt in der Regel etwas unter dem extrazellulären im Bereich von pH 7,0–7,2

In fast allen Zellen existieren aktive Transportmechanis-men für den H+-Export bzw. Basenimport.

Im Stoffwechsel anfallende Säuren/Basen können die Zellmembran auf verschiedenen Wegen permeieren:4 durch nichtionische Diffusion der ungeladenen Form

schwacher Säuren und Basen wie z.B. NH3 oder CO24 über den Na+/H+-Antiport; hier wird der passive Na+-

Einstrom zum Export von H+ genutzt; es ist ein ubiqui-täres System, das in allen Zellen vorliegt und bei intra-zellulärer Azidose aktiviert wird

4 über H+/(K+)-ATPasen4 über die in vielen Zellen vorkommenden Cl–/HCO3

–- Antiporter bzw. Na+/HCO3

–-Cotransportsysteme, die

. Tabelle 28.10. Stoffwechsel von Kohlendioxid in der tierischen Zelle: Decarboxylierungen und Carboxylierungen (Auswahl)

Substrat Produkt Stoffwechselweg

Decarboxylierungen

Dehydrierende Decarboxylierung von -Ketosäuren

-Ketopropionat (Pyruvat) Acetyl-CoA Glucoseabbau

-Ketobutyrat Propionyl-CoA Threonin- und Methioninabbau

-Ketoisocapronat Isovaleryl-CoA Leucinabbau

-Ketovalerianat Isobutyryl-CoA Valinabbau

-Keto-β-Methylvalerianat -Methylbutyryl-CoA Isoleucinabbau

-Ketoglutarat Succinyl-CoA Citratzyklus

-Ketoadipat Glutaryl-CoA Lysin- und Tryptophanabbau

Decarboxylierung von β-Ketosäuren

Isocitrat -Ketoglutarat Citratzyklus

β-Keto-1-Phosphogluconat D-Ribulose-5-Phosphat Pentosephosphatweg

β-Ketobutyrat (Acetacetat) Aceton Ketonkörper

-Amino-β-Ketoadipat δ-Aminolävulinat Porphyrinbiosynthese

β-Keto-L-Gulonat L-Xylulose Urinsäureweg

Carboxylierungen

Pyruvat Oxalacetat Gluconeogenese

Ammoniak bzw. Glutamin Carbamylphosphat Harnstoff- bzw. Pyrimidinbiosynthese

Acetyl-CoA Malonyl-CoA Fettsäurebiosynthese

Propionyl-CoA D-Methylmalonyl-CoA Fettsäureabbau

β-Methylcrotonyl-CoA β-Methylglutaconyl-CoA Leucinabbau

5-Aminoimidazolribonucleotid 5-Aminoimidazol-4-carboxylat-Ribonucleotid Purinbiosynthese

28.8 · Der Säure-Basen-Haushalt

Page 52: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

944 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

in Abhängigkeit von den aktuellen elektrochemischen Gradienten eine Nettoverschiebung von Base (HCO3

–) zwischen Extra- und Intrazellulärraum erlauben

28.8.4 Puffersysteme

Während für die Pufferung im Intrazellulärraum Phos-phat- und Proteinat-Puffer (7 u.) entscheidend sind, wird der pH-Wert des Extrazellulärraums durch verschiedene andere Puffersysteme eingestellt.

! Das Kohlendioxid-Hydrogencarbonat-System und Proteine sind die wichtigsten extrazellulären Puffer.

Kohlendioxid-Hydrogencarbonat-Puffersystem. Von den Puffern des Extrazellulärraums – zusammenfassend als Pufferbasen bezeichnet – stellt das Kohlendioxid-Hydro-gencarbonat-System, das vorwiegend im Plasma lokalisiert ist, etwa die Hälfte dar. Es ist als sog. offenes Puffersystem von ganz besonderer physiologischer Bedeutung.

Mit den im Plasma nachgewiesenen Konzentrationen ergibt sich mit der Henderson-Hasselbalch-Gleichung (7 Kap. 1.2.6) bei einem pK von 6,1

Nicht-Hydrogencarbonatpuffer. Hierunter fallen die Aminosäureseitenketten der Proteine (Proteinatpuffer). Pro teine sind Ampholyte und können im physiologischen pH-Bereich Protonen vor allem an die Imidazolgruppen des Histidins und die SH-Gruppen des Cysteins assoziie-ren. Unter diesen Puffersystemen, deren Anteil an der Gesamtkonzentration 50%, an der Gesamtpufferkapazität (7 u.) jedoch nur 25% beträgt, nimmt das Hämoglobin aufgrund seiner hohen Konzentration (160 g/l Blut) und des hohen Gehalts an Imidazolgruppen (mehr als 50 mmol/l Blut), die vorrangige Stellung ein. Da der pK-Wert des desoxy genierten Hämoglobins mit 8,25 höher als der des oxygenierten Hämoglobins (6,95) liegt, ist Desoxyhä-moglobin die schwächere Säure und damit der bessere Puffer.

Die isoelektrischen Punkte der Plasmaproteine liegen ebenfalls im sauren Bereich (4,90–6,40). Sie sind daher bei pH 7,40 Anionen, deren Pufferkapazität etwa 5 mmol/l/pH beträgt.

Ein weiterer relevanter Nicht-Hydrogencarbonat-Puffer ist das Dihydrogen-/Hydrogenphosphat-System (H2PO4

H+ + HPO42–). Für seine Pufferkapazität wirkt

sich besonders günstig aus, dass der pK-Wert (6,880) fast mit dem Zell-pH von ca. 7,0 übereinstimmt. Wegen sei ner geringen Plasmakonzentration (1 mmol/l) ist es

jedoch nur mit 1% an der extrazellulären Gesamtpuffer-kapazität beteiligt. In der Zelle findet sich Phosphat in wechselnd hohen Konzentrationen (100–150 mmol/l), wobei es allerdings überwiegend an Makromoleküle ge-bunden ist.

Dem Ammoniak-/Ammonium-System kommt auf-grund seiner sehr geringen Konzentration (40 mmol/l) und des ungünstigen pK-Werts (9,40) keine Bedeutung bei der Pufferung im Extrazellulärraum zu.

Alle genannten Puffersysteme stehen – als Bestandteile einer gemeinsamen Lösung – miteinander im Gleichge-wicht:

! Pufferkapazität und Basenüberschuss des Bluts charak-terisieren die Pufferfähigkeit des Körpers.

Pufferkapazität. Unter Pufferkapazität versteht man die Menge an Säure oder Base (mmol/l), die benötigt wird, um den pH eines Liters Lösung um eine Einheit zu verändern. Die Pufferkapazität ist dabei von der Pufferkonzentration aber auch vom pH-Wert der Lösung und dem pK-Wert des Puffers abhängig. Sie ist am größten, wenn pH = pK ± 1. Da im offenen Puffersystem die Reaktionsprodukte der Puf-ferung entfernt werden, ist die Pufferkapazität deutlich höher als im geschlossenen System.

. Tabelle 28.11 zeigt die Pufferkapazität des Bluts, von der rund 3/4 auf das CO2/HCO3

–-System entfallen. Als geschlossenes System ergibt sich eine Pufferkapazität von rund 24 mmol/l/pH, als offenes System jedoch eine dreimal höhere. Durch die kompensatorischen Atemregulationen zur Einstellung des Kohlendioxidpartialdrucks, die aber streng genommen nicht mehr unter den Begriff der Puffe-rung fallen, können die Gesamtkapazität und auch der pro-zentuale Anteil des CO2-Hydrogencarbonat-Systems noch beträchtlich erhöht werden.

Basenüberschuss. Die Gesamtheit aller puffernden Basen-anionen im Blut (Hauptkomponenten HCO3

– und Hä-moglobin) ergibt die Gesamtpufferbasenkonzentration, die bei ca. 48 mmol/l liegt. Der so genannte Basenüber-schuss (base excess = BE) ergibt sich aus der Differenz der aktuel len Gesamtpufferbasenkonzentration zum physio-logischen Sollwert. Stimmen Sollwert und Istwert überein, ist der BE = 0. Als physiologisch werden BE-Werte zwi-schen –2,5 mmol/l bis +2,5 mmol/l angesehen. Bei einem stärker negativen BE ist Pufferbase verbraucht worden (z.B. metabo lische Azidose), bei positiveren BE Werten hat sich die Pufferbasenkonzentration erhöht (metabolische Alkalose).

Page 53: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

28945

. Tabelle 28.11. Aufschlüsselung der Pufferkapazität des Bluts

Bestandteil Pufferkapazität[mmol/l/pH]

%

Plasmaphosphat 0,4 1

Plasmaprotein 5,0 6

Plasmabicarbonat 2,6 3

Puffer im Blutplasma 8,0 10

Puffer in Erythrozyten(Hämoglobin)

16,2 21

Puffer im Gesamtblut(geschlossenes System)

24,2 31

Normale Ventilation 52,6 69

Gesamtblutpuffer einschließlich normaler Ventilation(offenes System)

76,8 100

Kompensatorische Atemregulation

41,6

Maximalwert 118,4

28.8.5 Regulation der Protonen-konzentration

Obwohl die Puffersysteme des Organismus die täglich ge-bildeten fixen Säuren leicht abpuffern können, wäre ein Überleben ohne Ausscheidung der Protonen und damit Regeneration der Puffer nicht möglich. Die beiden wesent-lichen Regulationsvorgänge werden durch die Lungen und die Nieren, vermittelt (. Abb. 28.39).

! Die Lungen sind an der Regulation über das Hydrogen-carbonat-Puffersystem beteiligt.

Durch die Atmung wird direkt nur das CO2/HCO3–-System

betroffen. Da jedoch in einer Lösung mit mehreren Puffer-systemen ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Puffern besteht, werden indirekt auch die anderen Puffer betroffen.

Die Konzentration von Kohlendioxid in den Körper-flüssigkeiten ist direkt vom Partialdruck des Kohlendioxids in den Lungenalveolen (40 mmHg) abhängig:

CO2 = s pCO2 (s = molarer Löslichkeitskoeffizient). Der alveoläre pCO2 ist dem Verhältnis aus CO2-Produktion des Körpers und alveolärer Ventilation proportional (7 Lehr-bücher der Physiologie).

Entsprechend führt eine erhöhte Ventilation bei gleich bleibender CO2-Produktion (Hyperventilation) zu einer Abnahme des CO2-Partialdrucks in den Alveolen, einer Abnahme der CO2-Konzentration im Plasma, zur Nachbil-dung von CO2 nach dem Massenwirkungsgesetz und da-durch zur Abnahme der Protonenkonzentration (Zunahme des pH-Wertes, Alkalose) (. Abb. 28.40). Diese Reaktion kann eine schnelle Änderung der Protonenkonzentration hervorrufen, dient jedoch nicht als primärer Mechanismus

zur Ausscheidung von Protonen, da bei diesem Vorgang die gleiche Menge Hydrogencarbonat verbraucht wird. Ein Teil der Protonen wird von Nicht-Hydrogencarbonatpuf-fern (insbesondere dem Hämoglobin) nachgeliefert. Weil dadurch der Anteil des dissoziierten Hämoglobins (Hb–) als

. Abb. 28.39. Grundzüge des Säure-Basen-Haushalts. Im Säure-Basen-Haushalt sind die Eliminationswege und Bilanzen für Kohlen-dioxid und die Protonen nichtflüchtiger Säuren völlig voneinander getrennt. Die Verknüpfung beider Komponenten zum Säure-Basen-Gleichgewicht erfolgt durch Puffersysteme

28.8 · Der Säure-Basen-Haushalt

Page 54: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

946 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

28

Pufferbase zunimmt, ändert sich trotz des Abfalls der Hy-drogencarbonatkonzentration die Gesamtpufferanionen-konzentration nicht.

Auf der anderen Seite führt eine herabgesetzte Atmung (Hypoventilation) zu einer Erhöhung des CO2-Partial-drucks in den Alveolen, zu einer Zunahme der CO2-Kon-zentration im Plasma, zu der Verlagerung der Reaktion auf die rechte Seite und dadurch zur Zunahme der Pro-tonenkonzentration (Abnahme des pH-Wertes, Azidose) (. Abb. 28.40). Diese Reaktionen, durch die der CO2-Par-tialdruck auf das 2- bis 3-fache (von 40 auf 80–120 mmHg) angehoben werden kann, führen zu einer Erhöhung der Hydrogencarbonatkonzentration. Da ein Teil der gebilde-ten Protonen durch Nicht-Hydrogencarbonatpufferanio-nen aufgenommen wird, ändert sich wegen des damit ver-bundenen Abfalls der Nicht-Hydrogencarbonatpuffer-anionen die Gesamtpufferbasenkonzentration trotz des Hydrogencarbonatanstiegs nicht.

. Abb. 28.40. Hyper- und Hypoventilation. a Die vermehrte Ab-atmung von CO2 bei Hyperventilation führt zur Abnahme des CO2-Partialdrucks, der Hydrogencarbonat- und der Protonenkonzentra-tion. Durch die Nicht-Hydrogencarbonatpuffer (Nb-PufferH) werden Protonen nachgeliefert und gleichzeitig Nicht-Hydrogencarbonat-pufferanionen gebildet, die den Verlust des Pufferanions Hydrogen-carbonat ausgleichen. Die Gesamtkonzentration der Pufferanionen bleibt deshalb unverändert. b Die verringerte Abatmung von CO2 bei Hypoventilation führt zum Anstieg des CO2-Partialdrucks, der Pro-tonen- und Hydrogencarbonatkonzentration. Durch die Nicht-Hydro-gencarbonatpuffer (Nb-Puffer–) werden Protonen aufgenommen und gleichzeitig Nicht-Hydrogencarbonatpufferanionen verbraucht, wodurch trotz der Erhöhung der Hydrogencarbonatkonzentration die Gesamtkonzentration der Pufferanionen konstant bleibt. Die Größen, deren Konzentration abfällt, sind mit einem grauen Raster, diejenigen, deren Konzentration ansteigt, mit einem roten Raster hinterlegt

! Die Nieren sind an der Regulation der Protonenkon-zentration über die Ausscheidung von Protonen und die Resorption von Hydrogencarbonat beteiligt.

Die Funktion der Niere ist entscheidend für die langfristige Kontrolle des pH, da über sie die Ausscheidung der nicht flüchtigen Säuren erfolgt und sie die bei der Pufferung verbrauchten Basenäquivalente regeneriert. Die obligate Rückreabsorption von HCO3

– im Bereich des proximalen Tubulus (7 Kap. 28.1.5) ist die Voraussetzung für die Kons-tanterhaltung der extrazellulären Pufferkapazität. Täglich werden ca. 4,8 mol Hydrogencarbonat in der Niere glome-rulär filtriert, das entspricht etwa dem 13-fachen Bestand des gesamten Extrazellulärraums. Zusätzlich können auch noch die B-Typ Schaltzellen des Sammelrohrs HCO3

– aus-scheiden. Die Ausscheidung der Protonen in der Niere erfolgt über Na+/H+ Austausch, H+-ATPasen und Freiset-zung von Ammoniak (7 o.).

! Die Leber nimmt über die Harnstoffsynthese an der Regulation des Protonenhaushalts teil.

Auch die Leber ist an der Regulation des Säure-Basen-Haushalts beteiligt. Bei der Oxidation des Nahrungspro-teins (etwa 90 g/Tag) entstehen Hydrogencarbonationen (etwa 60 g bzw. 1 mol/Tag), die nicht mit dem Urin ausge-schieden werden können, sondern stattdessen in die Harn-stoffbiosynthese eingehen: Aus jeweils 2 mol HCO3

– und NH4

+ entsteht 1 mol Harnstoff, d.h. Hydrogencarbonat- und Ammoniumionelimination sind miteinander gekop-pelt (7 Kap. 33.2.2). Muss Hydrogencarbonat eingespart wer den, so wird dadurch auch weniger Ammonium fixiert, sodass die NH4

+-Ausscheidung auf alternative Stoffwech-selwege verlagert werden muss.

Bei einem Anstieg der Protonenkonzentration wird die Harnstoffbiosynthese zur Einsparung von Hydrogencarbo-nat gedrosselt, das überschüssige Ammonium wird ver-mehrt durch Bildung von Glutamin fixiert, welches von der Leber abgegeben wird. Die Ammoniumionen werden dann in den Urin durch renale Freisetzung aus Glutamin ausge-schieden. Umgekehrt fließt bei einem Abfall der Protonen-konzentration vermehrt Hydrogencarbonat in den Harn-stoffzyklus; das in äquimolaren Mengen erforderliche NH4

+ wird durch die vermehrte intrahepatische Hydrolyse (peri-portale Zellen) von Glutamin (Glutaminase-Reaktion) be-reitgestellt, das in diesem Fall von der Leber aufgenommen wird (. Abb. 28.41).

28.8.6 Pathobiochemie des Säure-Basen-Haushalts

! Azidosen und Alkalosen sind die Störungen des Säure-Basen-Haushalts.

Page 55: 28 - Funktion Der Niere Und Regulation Des Wasser- Und Elektrolythaushaltes

28947

Definitionen von Störungen. Da die Kenntnisse über die Regulation des pH-Wertes im Intrazellulärraum noch nicht weit fortgeschritten sind, muss man sich bei der Beurtei-lung des Säure-Basen-Haushalts immer noch auf den Ex-trazellulärraum beschränken.

Eine Abweichung des pH-Wertes des Extrazellulär-raums in den sauren Bereich (ab 7,37) wird als Azidose (Azidämie), in den alkalischen (ab 7,44) als Alkalose oder Alkaliämie bezeichnet. Mit dem Leben vereinbar sind unter schwersten Komplikationen Abweichungen des pH-Wertes bis zu 6,80 (H+-Konzentration 160 nmol/l) nach unten und 7,70 (H+-Konzentration 20 nmol/l) nach oben. Dies be-deutet, dass der Mensch eine 8-fache Änderung der Pro-tonenkonzentration im Extrazellulärraum ertragen kann, was dem 4-fachen des tolerablen Natriumbereichs (100–200 mmol/l) und etwa demselben Bereich der Kaliumkon-zentration (1,5–12 mmol/l) entspricht.

Wird eine Azidose bzw. Alkalose durch eine Störung des pulmonalen Gasaustauschs verursacht, so handelt es sich um eine respiratorische Azidose bzw. Alkalose. Wird sie durch Stoffwechselprozesse hervorgerufen, so handelt es sich dagegen um eine nichtrespiratorischer oder besser metabolischer Azidose bzw. Alkalose. Zusätzlich gibt es auch gemischte Zustände, bei denen gleichzeitig respirato-rische und nichtrespiratorische Störungen vorliegen.

Kompensation von Störungen. Primär respiratorische Stö-rungen können durch nichtrespiratorische Vorgänge kom-pensiert werden, primär nichtrespiratorische Störungen durch respiratorische Vorgänge. Inwieweit es dabei dem Organismus gelingt, eine Störung durch Pufferung und aktive Kompensation auszugleichen, kann am pH-Wert ab-gelesen werden.

! Respiratorische Störungen resultieren aus einer Verän-derung der CO2-Abatmung.

Die respiratorische Azidose ist durch die ungenügende Abatmung des im Zellstoffwechsel gebildeten Kohlen-dioxids gekennzeichnet. Der Basenüberschuss ist unverän-dert (7 o.). Hauptursachen dafür sind Störungen des zen-tralen Atemantriebs (z.B. Sedativa, Alkohol), Störungen der Atemmuskulatur und besonders Lungenfunktions-störungen wie Asthma, chronische Bronchitis etc. Die da-durch verursachte Erhöhung des Kohlendioxidpartial-drucks (Hyperkapnie) (pCO2> 44 mmHg) bedeutet eine Vergrößerung des Nenners der Henderson-Hasselbalch-Gleichung

(s = molarer Löslichkeitskoeffizient für CO2). Als Folge des erniedrigten Quotienten HCO3

–/CO2 nimmt der pH-Wert ab (. Abb. 28.42).

. Abb. 28.41. Wechselwirkung zwischen Leber und Niere bei der Säure-Basen-Ausscheidung. Die Leber fixiert Protonen und Am-moniak zum einen direkt in der Harnstoffsynthese wie auch bei der Bildung von Glutamin aus Glutamat. Glutamin wird sowohl in der Leber wie auch der Niere durch Glutaminasen wieder desaminiert. In der Niere werden die Ammoniumionen mit dem Urin ausgeschie-den, in der Leber werden sie wiederum zur Harnstoffsynthese verwen-det. Da die Harnstoffsynthese Hydrogencarbonat benötigt, werden mit der Protonenausscheidung in Form von Harnstoff auch Puffer-basen verbraucht. Bei einer Säurebelastung des Körpers (Azidose)

wird die Glutaminase in der Leber gehemmt und in der Niere stimu-liert. Somit werden Protonen und Ammoniak direkt in der Niere aus-geschieden, es wird weniger Harnstoff gebildet, wodurch Pufferba-sen gespart werden. Bei einem Basenüberschuss (Alkalose) hingegen geschieht das Gegenteil. Durch die gegenläufige Aktivierung der hepatischen und renalen Glutaminasen, werden Protonen und Am-moniak in der Niere vermindert ausgeschieden. Entsprechend wird mehr Harnstoff gebildet wodurch auch vermehrt Pufferbasen ver-braucht und aus geschieden werden

28.8 · Der Säure-Basen-Haushalt

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948 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

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Nach ca. 24 Stunden setzen dann renale Kompensa-tionsmechanismen ein. Im proximalen Tubulus wird die HCO3

–-Resorption verstärkt, da eine intrazelluläre Azidose die luminale H+-Sekretion steigert (7 o.). Gleichzeitig wer-den verstärkt Protonen im Sammelrohr sezerniert, was mit einer Abgabe von Hydrogencarbonat an den Extrazellu-lärraum verbunden ist. Somit kann die Hydrogencarbonat-Konzentration im Plasma stark erhöht und dadurch der HCO3

–/ CO2-Quotient dem Normalwert von 20:1 wieder angenähert werden. Damit wird der pH-Abnahme entge-gengewirkt (. Abb. 28.42).

Die respiratorische Alkalose ist durch die vermehrte Abatmung von Kohlendioxid (Hyperventilation) gekenn-zeichnet. Der Basenüberschuss ist unverändert (7 o.). Die Hyperventilation kann physiologische Gründe haben (Hö-henaufenthalt), sie kann aber auch andere Ursachen haben

(häufig: Angst als Hyperventilationssyndrom; Schmerz). Die dadurch verursachte Verringerung des CO2-Partial-drucks (Hypokapnie) (<36 mmHg) bedeutet eine Verringe-rung des Nenners der Henderson-Hasselbalch-Gleichung und damit eine Zunahme des pH-Wertes (. Abb. 28.42).

Die renale Kompensation erfolgt durch eine Reduktion der Resorption von Hydrogencarbonat im proximalen Tu-bulus mit einer Einschränkung der luminalen H+-Sekretion aufgrund intrazellulärer Alkalose. Gleichzeitig werden ver-mehrt Typ-B-Schaltzellen im distalen Nephron gebildet, welche luminal Hydrogencarbonat sezernieren und an der basolateralen Seite Protonen in den Extrazellulärraum ent-lassen. So wird die Hydrogencarbonat-Konzentration ge-senkt, um den HCO3

–/CO2-Quotienten wieder dem Nor-malwert von 20:1 zu nähern und damit dem pH-Anstieg entgegenzuwirken (. Abb. 28.42).

. Abb. 28.42. Respiratorische und nichtrespiratorische Störungen des Säure-Basen-Haushalts. (Einzelheiten 7 Text)

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! Nichtrespiratorische Störungen entstehen meist aus Säureüberproduktion oder Säurenverlust.

Metabolische Azidosen entstehen bei einer Erhöhung der endogenen Säureproduktion (Lactatazidose im Schock, diabetische Ketoazidose) oder bei gesteigerten Verlusten von Hydrogencarbonat (Diarrhoe). Entsprechend wird der Basenüberschuss negativ. Nach der Henderson-Hassel-balch-Gleichung führt die Abnahme der Hydrogencarbo-nat-Konzentration zu einem Abfall des pH-Wertes des Extrazellulärraums (. Abb. 28.42). Durch Pufferung und kompensatorische Senkung des CO2-Partialdrucks (Hy-perventilation, weil Azidose das Atemzentrum stimuliert) wird versucht, den normalen HCO3

–/CO2-Quotienten von 20:1 wieder herzustellen und damit dem pH-Abfall entge-genzuwirken (. Abb. 28.42).

Die metabolische Alkalose ist durch den Verlust von nichtflüchtigen Säuren (z.B. durch Erbrechen von Ma-geninhaltausgelöster Verlust von HCl) oder durch einen Hydrogencarbonat-Überschuss charakterisiert. Entspre-chend wird der Basenüberschuss positiv. Die Hydrogencar-bonat-Zunahme bedeutet nach der Henderson-Hassel-balch-Gleichung eine pH-Erhöhung (. Abb. 28.42). Durch Pufferung und kompensatorische Erhöhung des CO2-Par-tialdrucks (Hypoventilation, weil Alkalose das Atemzen-trum hemmt) wird der pH-Verschiebung ent gegengewirkt

! Der Säure-Basen-Status kann durch Bestimmung der arteriellen Werte für pH, pCO2 und den Basenüber-schuss beurteilt werden.

Die im klinischen Einsatz befindlichen Geräte zur Erfas-sung des Säure-Basen-Status messen bzw. berechnen alle

relevanten Parameter: pH, pCO2 und pO2 werden direkt mit Elektroden im arteriellen Blut gemessen. Ergänzend werden Messungen der Hämoglobinkonzentration (wird benötigt für die Gesamtpufferbasenkonzentration) und der arteriellen Sauerstoffsättigung durchgeführt. Die abhän-gigen Parameter wie Gesamtpufferbasenkonzentration, Basenüberschuss und Standard-Hydrogencarbonat werden aus den Messdaten berechnet.

Der pH-Wert ist bei der Beurteilung Leitparameter, da er angibt, ob überhaupt eine Azidose oder Alkalose vor-liegt:

Geht eine Azidose mit einem erhöhten pCO2, bzw. eine Alkalose mit einem erniedrigten pCO2 einher, so ist von einer primär respiratorischen Störung auszu-gehen. Solange noch keine metabolischen Kompensa-tionen eingesetzt haben, bleibt der Basenüberschuss nor-mal. Erst bei metabolischen Kompensationen primär respiratorischer Störungen ändert er sich mit einem An-stieg bei einer Azidose bzw. einer Abnahme bei einer Alka-lose.

Geht eine Azidose mit einem normalen oder gar er-niedrigten pCO2 bzw. eine Alkalose mit einem normalen oder gar erhöhten pCO2 einher, so ist von einer primär metabolischen Störung auszugehen. Der Basenüberschuss ist verändert, und zwar erniedrigt bei einer Azidose und erhöht bei einer Alkalose. Auffällige Abweichungen des pCO2 vom Normalwert zeigen hier bereits respiratorische Kompensationen an.

Typische Konstellationen von kennzeichnenden Blutparametern für die verschiedenen Störungen des Säure-Basen-Haushalts sind in der . Tabelle 28.12 dar-gestellt.

. Tabelle 28.12. Blutparameter bei Störungen des Säure-Basen-Haushalts

Störung pH pCO2 (mmHg) BE (mmol/l)

Keine 7,36–7,44 36–44 2

Respiratorische Azidose << 7,36 > 44 2

Nach Kompensation 7,36 > 44 > 2

Respiratorische Alkalose >> 7,44 < 36 2

Nach Kompensation 7,44 < 36 < 2

Metabolische Azidose << 7,36 36–44 < 2

Nach Kompensation 7,36 < 36 < 2

Metabolische Alkalose >> 7,44 36–44 > 2

Nach Kompensation 7,44 > 44 > 2

28.8 · Der Säure-Basen-Haushalt

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950 Kapitel 28 · Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolyt-Haushalts

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In Kürze

Im Stoffwechsel entstehen Kohlendioxid (Kohlensäure) und andere nichtflüchtige Säuren als Endprodukte. Da Änderungen der Protonenkonzentration eine Vielzahl von zellulären Reaktionen beinträchtigen, müs-sen die anfallenden Protonen zunächst gepuffert und anschließend ausgeschieden werden. Proteine und Phosphat sind die wichtigsten intra-zellulären Puffer, das Kohlendioxid-Hydrogencarbonat-System und Proteine (Hämoglobin) die wichtigsten extrazellulären Puffer. Alle Puffersysteme stehen dabei miteinander im Gleichgewicht. Die Pufferfähigkeit des Körpers wird durch die Pufferkapazität und den Basenüberschuss des Bluts reflektiert. An der Ausscheidung von Protonen und Puffer basen bzw. deren Rückgewinnung sind die Lunge, Nieren und

Leber zentral beteiligt. Da die Ausscheidung von Proto-nen in den Nieren – im Gegensatz zur Lunge und Leber – nicht in chemisch gebundener Form erfolgt, sind im Urin effektive Puffersysteme wie Phosphat und Ammoniak er-forderlich. Störungen des Säure-Basen-Haushalts werden als Azi-dosen oder Alkalosen bezeichnet und können primär respiratorisch oder metabolisch bedingt sein. Respirato-rische Störungen resultieren aus einer Ver änderung der CO2-Abatmung, nichtrespiratorische Störungen meist aus Säureüberproduktion oder -verlusten. Respiratorische und metabolische Störungen des Blut- pH-Werts können sich wechselseitig kompen sieren. Der Säure-Basen-Status kann durch Bestimmung der arteriellen Werte für pH, pCO2 und den Basenexzess beur-teilt werden.

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