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Prof. Dr. Martin Ebner – Basismodulvorlesung II: Literaturgeschichte des NT – SS 2010 13 3. Paulus von Tarsus 1. Paulus und seine Reisen: eine Gegeneroberung Röm 1,13: Ihr sollt wissen, Brüder, dass ich mir schon oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen, aber bis heute daran gehindert wurde … Apg 18,1–3: 1 Hierauf verließ er (sc. Paulus) Athen und kam nach Korinth. 2 Dort traf er einen Juden namens Aquila, aus Pontus gebürtig, der vor kurzem von Italien gekommen war, und dessen Frau Priszilla. Claudius hatte nämlich angeordnet, dass alle Juden Rom verlassen müssten. Diesen beiden schloss er sich an, 3 und da sie das gleiche Handwerk betrieben, blieb er bei ihnen, und sie arbeiteten zusammen. Sie waren Zeltmacher von Beruf. 1 Kor 16,15–19: 15 …Ihr wisst: Das Haus des Stephanas ist die Erstlingsfrucht Achaias … 19 Es grüßen euch die Ekklesien von Asia … Röm 15,26: Mazedonien und Achaia nämlich haben beschlossen …

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Prof. Dr. Martin Ebner – Basismodulvorlesung II: Literaturgeschichte des NT – SS 2010 13

3. Paulus von Tarsus

1. Paulus und seine Reisen: eine Gegeneroberung

Röm 1,13: Ihr sollt wissen, Brüder, dass ich mir schon oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen, aber bis heute daran gehindert wurde …

Apg 18,1–3: 1Hierauf verließ er (sc. Paulus) Athen und kam nach Korinth. 2Dort traf er einen Juden namens Aquila, aus Pontus gebürtig, der vor kurzem von Italien gekommen war, und dessen Frau Priszilla. Claudius hatte nämlich angeordnet, dass alle Juden Rom verlassen müssten. Diesen beiden schloss er sich an, 3und da sie das gleiche Handwerk betrieben, blieb er bei ihnen, und sie arbeiteten zusammen. Sie waren Zeltmacher von Beruf.

1 Kor 16,15–19: 15…Ihr wisst: Das Haus des Stephanas ist die Erstlingsfrucht Achaias … 19Es grüßen euch die Ekklesien von Asia …

Röm 15,26: Mazedonien und Achaia nämlich haben beschlossen …

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2 Kor 2,14–16: 14Dank sei Gott, der uns stets im Triumphzug Christi mitführt und durch uns an allen Orten den Duft der Erkenntnis Christi verbreitet. 15Denn wir sind Christi Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden, wie unter denen, die verloren gehen. 16Den einen sind wir Todesgeruch, der Tod bringt, den anderen Lebensduft, der Leben verheißt …

2. Paulus und seine Gemeinden: eine Gegengesellschaft (Gal 3,27f.)

27a Alle nämlich, die ihr auf Christus getauft worden seid, b Christus habt ihr angezogen.

28a Da ist nicht mehr Jude noch Grieche, b da ist nicht mehr Sklave noch Freier, c da ist nicht mehr männlich und weiblich. d Alle nämlich seid ihr ein Einziger in Christus Jesus.

3. Die Kehrtwende des Paulus: eine Berufungsgeschichte

Der vorchristliche Paulus

Gal 1,13f.: 13Ihr habt nämlich von meinem Lebenswandel einst im Judaismus gehört, dass ich im Übermaß die Gemeinde Gottes verfolgt habe und sie zu ruinieren versuchte, 14und Fortschritte machte im Judaismus über viele Altersgenossen in meinem Volk hinaus, wobei ich mich im Übermaß als Eiferer für die väterlichen Überlieferungen verhielt.

Die Wende in theologischer Interpretation

Gal 1,15: Als es aber (dem) gefiel, der mich aussonderte von Mutterschoß an und mich durch seine Gnade rief, zu enthüllen seinen Sohn in mir, damit ich als Evangelium ihn verkünde bei den Heidenvölkern …

Weitere Versprachlichungen: 2 Kor 4,1–6 (Erleuchtung); 1 Kor 15,8 (Christusvision).

M. HENGEL/A. M. SCHWEMER (Hrsg.), Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels (WUNT 108), Tübingen 1998.

Die Abmachungen auf dem Apostelkonvent in Jerusalem (Gal 2,1–10)

Gal 2,9: … und nachdem sie erkannten die Gnade, die mir gegeben wurde, gaben mir Jakobus und Kephas und Johannes, die gelten Säulen zu sein, die rechte (Hand) der Gemeinschaft, damit wir zu den Heidenvölkern, sie aber zur Beschneidung gingen.

Das üble Nachspiel in Antiochia (Gal 2,11–14)

Gal 2,11–14: 11Als aber Kephas nach Antiochia kam, ins Angesicht widerstand ich ihm, weil er verurteilt war. 12Bevor nämlich kamen einige von Jakobus, (pflegte er) gemeinsam mit den Heiden zusammenzuessen. Nachdem sie aber gekommen waren, machte er einen Rückzieher und sonderte sich selbst ab, weil er die aus der Beschneidung fürchtete. 13Und es heuchelten zusammen mit ihm auch die übrigen Juden, so dass sogar Barnabas mit fortgerissen wurde mit ihnen durch die Heuchelei. 14Aber als ich sah, dass sie nicht auf geraden Wegen gingen zu der Wahrheit des Evangeliums, sagte ich dem Kephas im Angesicht von allen: Wenn du als Jude auf heidnische Weise und nicht auf jüdische Weise lebst, wieso zwingst du dann die Heiden zu judaisieren?

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Prof. Dr. Martin Ebner – Basismodulvorlesung II: Literaturgeschichte des NT – SS 2010 15

Die „Rechtfertigung“ des Paulus

Röm 3,28–30: 28Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch nur durch Glauben gerechtfertigt wird, unabhängig von Werken des Gesetzes. 29Ist denn Gott nur der Gott der Juden, nicht auch der Heiden? Ja, auch der Heiden. 30Denn es gibt nur einen Gott; er wird aufgrund des Glaubens sowohl die Beschnittenen wie die Unbeschnittenen gerecht machen.

Lutherische Paulusinterpretation und die „New Perspective“

„Luther war von der Tatsache überwältigt, daß er, wie wohl Christ, sich gleichwohl als ‚Sünder‘ empfand: Er litt unter Schuld. Paulus dagegen litt nicht unter einem Gewissen, das sich schuldig fühlte. Vor seiner Bekehrung zum Apostel Christi war er … ‚untadelig‘ hinsichtlich der ‚Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert‘ (Phil 3,6) … Luther, von Schuld gepeinigt, interpretierte die paulinischen Stellen über ‚Gerechtigkeit aus dem Glauben‘ so, als würde Gott einen Christen für gerecht erachten, selbst wenn er oder sie ein Sünder ist. Luther verstand ‚Gerechtigkeit‘ juristisch, als eine Unschuldserklärung, doch auch als fiktiven Status, der Christen ‚durch bloße Zurechnung‘ zugeschrieben wird, weil Gott gnädig ist. Luthers Ausdruck für die Verfassung des Christen war nicht Paulus’ ‚untadelig‘ oder ‚ohne Tadel‘ (z. B. 1 Thess 5,23), sondern vielmehr simul iustus et peccator … doch seine Probleme waren nicht die paulinischen, und wir interpretieren Paulus falsch, wenn wir ihn mit Luthers Augen sehen“ (E. P. Sanders, Paulus 64f.).

E. P. SANDERS, Paulus. Eine Einführung (Übers. E. Schöller) (recl 9365), Stuttgart 1995. J. D. G. DUNN, Die neue Paulus-Perspektive. Paulus und das Gesetz, in: KuI 11 (1996) 34–45. M. WOLTER, Eine neue paulinische Perspektive, in: Zeitschrift für Neues Testament 7 (2004) 2–9. M. BACHMANN (Hrsg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der

gegenwärtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182), Tübingen 2005.

4. Die Rekonstruktion der Chronologie

4.1 Die Quellen und ihre Auswertung

Fremdzeugnis: Apg Eigenzeugnisse: authentische Paulusbriefe (mit Rückblicken, Reisenotizen und Hinweisen auf die Abfassungsverhältnisse)

4.2 Relative und absolute Chronologie

Die biographischen Angaben des Paulus in Gal 1,13–2,1 13Ihr habt doch gehört, wie ich früher als gesetzestreuer Jude gelebt habe, und wisst, wie maßlos ich die Kirche Gottes verfolgte und zu vernichten suchte. 14In der Treue zum jüdischen Gesetz übertraf ich die meisten Altersgenossen in meinem Volk, und mit dem größten Eifer setzte ich mich für die Überlieferungen meiner Väter ein. 15Als es aber Gott gefiel, der mich ausgesondert hat von Mutterleib an und mich durch seine Gnade gerufen hat, 16zu offenbaren seinen Sohn in mir, damit ich ihn als Evangelium unter den Heiden verkünde, wandte ich mich Rat suchend nicht sofort an Fleisch und Blut, 17auch ging ich nicht hinauf nach Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel (waren), sondern ich ging weg in die Arabia und kehrte (dann) wieder nach Damaskus zurück. 18Dann nach drei Jahren ging ich hinauf nach Jerusalem, um kennen zu lernen KEPHAS, und ich blieb bei ihm 14 Tage, 19einen anderen der Apostel sah ich nicht, außer JAKOBUS,

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den Bruder des Herrn. 20Was ich aber euch schreibe, siehe im Angesicht Gottes: Ich lüge nicht. 21Dann ging ich in die Gegenden von Syrien und Kilikien. 22Ich war aber unbekannt dem Gesicht nach den Ekklesien Judäas, die in Christus sind. 23Nur gehört hatten sie: der uns einmal verfolgt hat, verkündet nun den Glauben als Evangelium, den er zu zerstören versuchte. 24Und sie priesen an mir Gott. 2,1Dann nach 14 Jahren ging ich wieder hinauf nach Jerusalem …(Apostelkonvent)

Kollekten und Reisenotizen in den Briefen, z. B. 1 Kor 16,1–8; 2 Kor 8f.; 2 Kor 1,15f.; 2,1–3; 12,14.18; 13,1

Apg 18,12–17 und die Gallio-Inschrift als Brücke zur absoluten Chronologie

4.3 Ein Konsensmodell

relative Chronologie (nach Gal 1f.)

Ereignisse – Orte absolute Chronologie

Briefe

Tod Jesu 30

Berufung des Paulus (Damaskus) 33/34

Arabia – Rückkehr nach Damaskus – Flucht

1. Jerusalembesuch („nach 3 Jahren“)

Paulus trifft Petrus und Jakobus 35/36

Syrien und Zilizien 2. Jerusalembesuch („nach 14 Jahren“)

Apostelkonvent 48/49

Antiochenischer Zwischenfall Alleingang des Paulus: Galatien –

Philippi – Thessalonich Korinth (Prokonsul Gallio)

50–52

1 Thess

Ephesus – über Mazedonien nach Korinth

1 Kor, Phil, Phlm 2 Kor, Gal Röm

3. Jerusalemreise Verhaftung – Gefangenschaft in Cäsarea – Überführung nach Rom

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57–59

S. SCHREIBER, Chronologie: Lebensdaten des Paulus, in: M. Ebner/S. Schreiber (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 2008, 265–276.

4.4 Alternativvorschläge

Frühdatierung des Apostelkonzils auf 43 n. Chr. (Suhl)

Vorverlegung der Europamission vor den Apostelkonvent (Lüdemann: „New Chronology“)

G. LÜDEMANN, Paulus, der Heidenapostel, Bd. 1. Studien zur Chronologie (FRLANT 123), Göttingen 1980. A. SUHL, Die Briefe des Paulus. Eine Einführung (SBS 205), Stuttgart 2007. R. SCHÄFER, Paulus bis zum Apostelkonzil. Ein Beitrag zur Einleitung in den Galaterbrief, zur Geschichte der

Jesusbewegung und zur Pauluschronologie (WUNT II/179), Tübingen 2004 (vgl. die Rezension von I. Broer, BZ NF 50 [2006] 99–104).