3. Wie kann’s gehen? – Inklusive Didaktik - · PDF file(Feuser 2005, 173f,...

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  • 3. Wie kanns gehen? Inklusive Didaktik

    Inklusion im Unterricht steht und fllt miteiner angemessenen Didaktik und Methodik.Diese kann keine Sonder-Didaktik, dies mussfolgerichtig die Didaktik einer AllgemeinenPdagogik sein. Denn es geht um die Bildungaller Kinder. Fr eine allgemeine inklusiveDidaktik grundlegend ist die ber 370 Jahrealte pansophische Idee von Johann Amos Come-nius (15921670) die er in seiner Panpaediapdagogisch durchdekliniert hat. Sie gipfeltzusammenfassend in dem Satz:

    Eine vollkommen ihrem Zweck entsprechendeSchule nenne ich die, die in Wahrheit eineMenschen-Werkstatt ist (. . . ), wo alle in allemallseitig (omnes omnia omnino) unterrichtetwerden.

    Dieser dreigliedrige Grund-Satz findet sich inder Groen Didaktik (Didacta magna, 1638)von Comenius, jedoch erst in der Druckfassungvon 1657 (Schaller 2004, 53). Dabei geht Come-nius nicht vom Wissensbegriff, sondern vomWeisheitsbegriff aus. Weisheit (sapientia) ist darauf weist die Wurzel sap hin ein unmit-telbares Schmecken und Riechen, ein unmittel-bares Merken (vgl. Schaller 2004, 34; Gomann/Scheilke 1992, 126ff).

    Die in der Lehrerbildung seit den 80erJahren bis heute prgende Didaktik liegt in dergeisteswissenschaftlichen Traditionslinie vonJohann Amos Comenius. Es ist die kritisch-konstruktive Didaktik von Wolfgang Klafki. Siegrndet in seiner kategorialen Bildungstheorie.Auch sie hat eine Relevanz fr die Leitidee derInklusion. Denn seine allgemeine Didaktik istfr jedes Kind an jeder Schule konzipiert. Sieist in der Lage, verschiedene Methoden zu inte-grieren, und kritisiert den Versuch zu homoge-nisieren. Obgleich Klafki das Phnomen derHeterogenitt und das Anliegen der Inklusionnicht eigens ins Auge fasst, ist seine didaktischeGrundlegung den Herausforderungen einerSchule fr alle gewachsen (vgl. Platte 2005,167f).

    Da die Realisierung von Inklusion auf einepassgenaue inklusive Didaktik angewiesen ist,knnte hier ein ergebnisreiches Wissenschafts-feld vermutet werden. Dies ist jedoch nicht derFall. Dennoch findet sich in der entwicklungslo-gischen Didaktik von Georg Feuser ein beach-

    tenswerter Ansatz. Sein Verdienst ist die Wei-terentwicklung von Klafkis Didaktik in Rich-tung Inklusion. Seine Didaktik in der philoso-phischen Tradition des Materialismus basiertauf einer Persnlichkeitstheorie und einer Ent-wicklungspsychologie. Mit ihr vollzieht er einenPerspektivenwechsel von der Stoff- und Inhalts-orientierung zur Person- und Entwicklungs-orientierung auf der Grundlage einer nichtselektierenden und segregierenden AllgemeinenPdagogik (vgl. Platte 2005, 185). Er beschreibtseine integrative bzw. inklusive Didaktik als

    eine Allgemeine (kindzentrierte und basale)Pdagogik in der ALLE KINDER UND SCH-LER in KOOPERATION miteinander AUF IH-REM jeweiligen ENTWICKLUNGSNSVEAUnach Magabe ihrer momentanen Wahrneh-mungs-, Denk-, und Handlungskompetenzen inOrientierung auf die nchste Zone ihrer Ent-wicklung an und mit einem GEMEINSAMENGEGENSTAND spielen, lernen und arbeiten.(Feuser 2005, 173f, Hervorhebungen im Ori-ginal)

    Oder kurz gefasst:

    ALLE KOOPERIEREN am GEMEINSAMENGEGENSTAND.

    Seine didaktische Schlssel-Idee ist der gemein-same Gegenstand, mit dem sich alle kooperativbeschftigen. Dieser Gegenstand ist jedoch nichtgegenstndlich zu verstehen. Er konstituiertsich in der doppelten Erschlieung der Objekt-und Subjektseite sowie den Begriffen des Fun-damentalen und Elementaren (vgl. Klafki).Diesen komplexen Zusammenhang verdeutlichtFeuser am Bild eines Baumes (siehe S. 31).

    Die Kooperation am Gemeinsamen Gegen-stand kann in ihrer didaktischen Struktur miteinem Baum verglichen werden. Sein Stammsteht fr die uere thematische Struktur einesThemas, an dem alle SuS gemeinsam arbeiten.Die Wurzeln entsprechen dem jeweils mglichenErkenntnisstand der Wissenschaft und derWelt. Die ste und die Zweige stellen die Viel-falt derHandlungsmglichkeiten in derBeschf-tigung mit dem Gemeinsamen Gegenstanddar. Die Astanstze entsprechen den sinnlichkonkreten Handlungsmglichkeiten. Sie erstre-

    3. Wie kanns gehen? Inklusive Didaktik30

    (c) Calwer Verlag, Stuttgart 2012

  • cken sich bis zu den Astspit-

    Abb.: Die didaktische Struktur einer Allgemeinen integrativen Didaktik(Feuser 2005, 179)

    zen, in denen sich die ab-strakt-logischen und symbo-lischen Zugnge von Sprache,Schrift oder Formeln wider-spiegeln. In dieser ausdiffe-renzierten Form wird derGemeinsame Gegenstand fralle Mdchen und Jungen aufallen Entwicklungsniveaussubjektiv erfahrbar und er-fassbar (vgl. Feuser 2005,178ff bzw. 2002, 287).

    Die didaktische Analyseerfolgt in den drei Schritten:

    Sachstrukturanalyse,TtigkeitsstrukturanalyseHandlungsstrukturanalyse

    (Platte 2005, 188f).Dabei werden drei didak-

    tische Prinzipien befolgt:IndividualisierungInnere DifferenzierungKooperation

    Die folgenden Ausfhrungen entfalten diese frdie inklusive Pdagogik zentralen Prinzipienund ergnzen sie durch drei religionspdagogi-sche Prinzipien, die fr das inklusive Lernenvon besonderer Bedeutung sind:

    ElementarisierungHandlungsorientierungGanzheitlichkeit

    3.1 Individualisierung

    Individualisierung sowie die individuelle Diag-nostik und Frderung bilden das unterscheiden-de Wissenschaftsprofil der Sonderpdagogikund das Qualifikationsprofil von Sonderpdago-ginnen und Sonderpdagogen. Das in den Fr-derschulen lngst etablierte Prinzip der In-dividualisierung muss nun auch Eingang in dengemeinsamen Unterricht und in die Praxis derallgemeinen Schule finden. Denn es gilt: Allesind verschieden. Darum mssen im Kontexteiner allgemeinen inklusiven Pdagogik auchalle individuell verschieden wahrgenommen undgefrdert werden.

    Prinzip der Individualisierung: Fr jede Schle-rin und jeden Schler das Richtige!

    3.1.1 Individuelle Frderdiagnostik

    In der inklusiven Schulpdagogik hat jedesKind das Recht, individuell wahrgenommen undin seinem Lernen differenziert untersttzt zuwerden. Eine individuelle Diagnostik ist nichtmehr lnger ein Privileg von SuS mit einem be-sonderen Frderbedarf. Und umgekehrt istkeine Diagnose zu haben nicht mehr lngerein Vorzug von SuS ohne Behinderung. DieseAusweitung zu einer unterrichtsbezogenenDiagnostik fhrt nicht zu einer Qualittsminde-rung fr SuS mit besonderem Frderbedarf,sondern zu einer Verbesserung der individuellenFrderung fr alle. Die sog. Frderdiagnostik istdie diagnostische Schule der Inklusionspdago-gik. Die Kennzeichen der Frderdiagnose alsTeildisziplin der Psychologie sind:

    entwicklungsorientiert statt defizitorientiertnicht nur kind-, sondern auch institutionsbe-zogen (vgl. Kapitel 2.2.1)Informationserhebung fr die Frderung,statt Selektionsdiagnostik fr die Zuweisungkontinuierliche Lngsschnittdiagnostik stattTestdiagnostik im Querschnittmultidisziplinr statt mono-professional (sie-he Interdisziplinaritt Kapitel 2.2.2)transparent fr alle, nicht nur fr die Leis-tungstrger von Frdermanahmen

    3.1 Individualisierung 31

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  • Frderdiagnostik Testdiagnostik

    Methoden Sensible, qualitative Erhebungsinstrumente, dieauch geringfgige Vernderungen erheben kn-nen, flexibel eingesetzt werden und die pda-gogische Arbeit begleiten (Lngsschnitt)

    Standardisierte Testverfahren mit festgelegtenDurchfhrungs- bzw. Auswertungsanweisun-gen, die fr den gelegentlichen Einsatz konzi-piert sind (Querschnitt)

    Aufgaben Informationen zusammentragen, die fr die p-dagogische Arbeit wichtig sind.

    Kinder, Jugendliche und Erwachsene und Insti-tutionen vergleichbar machen.

    Mindest-standards

    Die diagnostische Arbeit muss auf regelmi-ger Dokumentation basieren. Sie sollte vor al-lem darauf ausgerichtet sein, pdagogischeHandlungsmglichkeiten zu erschlieen. DieKlienten mssen in unterschiedlichen Situatio-nen beobachtet werden. Ein regelmiger (do-kumentierter) Austausch mit anderen Beobach-tern ist unverzichtbar.

    Die Instrumente mssen geeicht sein (Eich-stichproben mit zumindest mehr als 500 Teil-nehmern). Die Eichung darf nicht zu alt sein (5bis maximal 10 Jahre). Es mssen nicht nurProzentrnge, sondern zumindest auch T-Werte zur Verfgung gestellt werden. Das In-strument muss so genau messen, dass diag-nostische Aussagen berhaupt mglich sind(kleiner Standardmessfehler).

    Abb.: Aufgaben und Standards von Frder- und Testdiagnostik (Tabelle in Eberwein / Mand 2008, 96)

    Frderdiagnostik bedarf im Unterschied zurTestdiagnostik einer regelmigen Erhebungvon Daten. Denn Informationen ber die Lern-entwicklung sind nicht nur einmal erforderlich,sondern werden stndig bentigt, um passge-naue Lernangebote zu gestalten (vgl. Eberwein /Mand 2008, 93ff).

    Das Ma unserer Arbeit ist nicht das strksteund nicht das schwchste Kind das Ma istjedes einzelne Kind.

    Die Frderschwerpunkte nach den Kategoriender Kultusministerkonferenz (1994, 6f) sind:

    Emotionale und soziale Entwicklung (E)Lernen (L)Sprache (Spr)Sehen: blind und sehbehindert (Seh)Hren: gehrlos und schwerhrig (H)Kranke (Kr)Geistige Entwicklung (G)Krperliche und motorische Entwicklung (K)Autistisches Verhalten (A)

    Aus diesen Frderschwerpunkten leitet sich derName Frderschulen ab. Dieser Begriff wirdjedoch nicht bundesweit einheitlich verwendet.So wird z. B. in Baden-Wrttemberg von Son-derschulen gesprochen, whrend Frderschulenausschlielich die Schulen mit dem Frder-schwerpunkt Lernen bezeichnen.

    3.1.2 Instrumente der Frderdiagnostik

    Die prozessorientierte Frderdiagnostik findetberwiegend im Unterricht statt. Das zentraleErhebungsinstrument ist die Dokumentation.

    Lerntagebcher, Wochenplne, Schlerportfolio,Kreativprodukte, Bild-, Text und Tondateiensowie Beobachtungs- und Gedchtnisprotokollegeben regelmig Auskunft ber den Entwick-lungsstand jeder einzelnen Schlerin und jedeseinzelnen Schlers (siehe Dokumentationsfor-men unter 5.7). Freiarbeits- und Kooperations-phasen bieten Lehrkrften viele Gelegenheiten,zu beobac