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300 JAHRE PHYSIK UND ASTRONOMIE AN DER KIELER UNIVERSIT ¨ AT CHARLOTTE SCHMIDT-SCH ¨ ONBECK Zweite, korrigierte Auflage, Kiel 2011

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300 JAHREPHYSIK UND ASTRONOMIE

AN DER KIELER UNIVERSITAT

CHARLOTTE SCHMIDT-SCHONBECK

Zweite, korrigierte Auflage, Kiel 2011

300 JAHREPHYSIK UND ASTRONOMIE

AN DER KIELER UNIVERSITAT

CHARLOTTE SCHMIDT-SCHONBECK

Zweite, korrigierte Auflage, Kiel 2011

Veroffentlicht vom Institut fur Experimentelle und Angewandte Physikder Christian-Albrechts-Universitat zu Kiel

Druck: Universitatsdruckerei der CAU, Kiel

c© 2011, Diese Ausgabe ist urheberrechtlich geschutzt.

Vorwort des Herausgebers

Die Geschichte der Physik und Astronomie ander Christiana-Albertina ist zuletzt anlasslich des300. Jahrestages unserer Universitatsgrundung inder Dissertation von Charlotte Schonbeck (geb.Schmidt) zusammenfassend dargestellt worden. Die-se Schrift ist nur in einer kleinen Auflage erschienenund leider lange vergriffen. Mit dem bevorstehen-den 350. Grundungsjubilaum im Jahre 2015 ist einaußerer Anlass gegeben, diese Quelle in zeitgemaßerForm wieder verfugbar zu machen. Frau Schonbeck,die sich als Wissenschaftshistorikerin u. a. mit demSpannungsfeld zwischen den Physikern Einstein undLenard einen Namen gemacht hat, gehort mein be-sonderer Dank, dass sie spontan zugesagt hat, ihreDissertation in einer zweiten Auflage wieder einerneuen jungen Leserschaft zuganglich zu machen.

Physik und Astronomie waren in Kiel Facher der er-sten Stunde: bereits im Grundungsjahr 1665 wurdeder Mathematiker, Naturforscher und Jurist Samu-el Reyher an die Christiana-Albertina berufen, derhier astronomische Beobachtungen anstellte und op-tische Demonstrationen durchfuhrte.

In Kiel finden sich große Namen der modernen Phy-sik, beginnend mit Gustav Karsten, dem Mitbe-grunder der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

Heinrich Hertz lehrte hier, der spater die elektroma-gnetischen Wellen entdeckte. Max Planck, der Be-grunder der Quantenphysik, fand in Kiel seinen er-sten Wirkungskreis. Hans Geiger, dessen Name mitder Entdeckung des Atomkerns verbunden ist, er-fand in Kiel das Zahlrohr, das seinen Namen undden seines Doktoranden Muller tragt.

Der Text der ersten Auflage wurde per OCR erfasstund ein vollig neuer Satz in LATEX erstellt. Dabeiwurden kleine Fehler korrigiert und die Bilder inden Text integriert. Als Format wurde eine preiswer-te Studienausgabe im A4-Format angestrebt. Durchdiesen neuen Satz haben sich jedoch die Seitenzah-len verschoben. Die Seitenumbruche wurden beibe-halten und mit den Seitenzahlen der ersten Auflageals Marginalien gekennzeichnet; der wissenschaftli-che Gebrauch der Schrift wird dadurch erleichtert.

Der Herausgeber und die Autorin danken HerrnFrank Hohmann herzlich fur seine kritische Durch-sicht des neu erstellten Textes, sowie fur seine Hilfebei der erneuten Einsicht einiger historischer Quel-len und bei der Prufung der Literaturangaben.

Kiel, im Dezember 2011Alexander Piel

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Vorwort zur 2. Auflage

In der fast 350-jahrigen Geschichte der ChristianaAlbertina zahlten bedeutende Naturwissenschaftlerzu ihren Lehrern, unter anderem Heinrich Hertz,Max Planck, Philipp Lenard, Hans Geiger, ElisStromgren, Hans Rosenberg und Carl Wirtz. Trotz-dem hat sich an der Kieler Universitat weder in derPhysik noch in der Astronomie ein tieferes Verstand-nis fur die historische Entwicklung der physikali-schen oder astronomischen Forschung und fur dienaturwissenschaftliche Tradition fruherer Epochenbilden konnen. Es hat nie Kursvorlesungen uber dieGeschichte der Physik, geschweige denn einen Lehr-stuhl fur die Geschichte der Naturwissenschaften ge-geben. Singulare Vorlesungen1 fanden in den 50erJahren im Rahmen der Philosophie statt. Die we-nigen historischen Veroffentlichungen und Vortrageim letzten Jahrhundert entstanden nur aus personli-chem Interesse einzelner Lehrer. Die Mehrzahl derWissenschaftler und Studierenden war ausschließlichauf die aktuellen Forschungsaufgaben fixiert, einehistorische Verankerung moderner Probleme wurdekaum hinterfragt.

Das anderte sich zunachst im Zusammenhang mitdem 300-jahrigen Jubilaum der Christiana Al-bertina. 1965 erschien meine Arbeit

”300 Jah-

re Physik und Astronomie an der Kieler Univer-sitat“. Diese Untersuchung ging auf die Anregungmeines Doktorvaters, des Theoretischen Physikersund Astrophysikers Albrecht Unsold (1905–1995)zuruck, fur den – als Schuler von Arnold Sommer-feld –

”Physik und Historie“2 zum grundlegenden

Verstandnis der Physik als Teil unserer Gesellschaftgehorte. Unterstutzt wurde ich bei meinen Recher-chen auch von dem Experimentalphysiker WalterLochte-Holtgreven (1903–1987), der Doktorand vonJames Franck und Schwiegersohn von Walter Kos-sel war. Sein 80. Geburtstag wurde 1983 mit einemVortrag uber

”Kieler Physiker als Wegbereiter der

modernen Atomphysik“3 begangen.

1 Lorenzen, P., Die Entstehung der exakten Wissenschaften,Berlin/ Gottingen/ Heidelberg 1960.

2 Albrecht Unsold wahlte 1958 das Thema”Physik und

Historie“ als Titel fur seine Rektoratsrede. Er versuch-te in den Einfuhrungen zu seinen Vorlesungen und durchVeroffentlichungen uber M. Planck, H. Hertz, W. Kos-sel, uber die Astronomen P. ten Bruggencate, O. Struveund M. G. Minnaert Verstandnis fur historische Zusam-menhange zu wecken.

3 Charlotte Schonbeck: Vortrag im physikalischen Kolloqui-um der CAU uber

”Kieler Physiker als Wegbereiter der

modernen Atomphysik“, Kiel 1983.

Die erste Auflage der Arbeit war bald vergriffen. Einunveranderter Nachdruck erschien 1983 auf Initiati-ve des bereits 1986 verstorbenen Experimentalphy-sikers Johannes Richter. Dieser versuchte ganz ge-zielt, das Interesse der Studierenden auf die histori-sche Tradition ihres Faches zu lenken, auf ihn gehtdie Portraitsammlung Kieler Physiker zuruck, derenBilder er meiner Arbeit entnahm und im Institutfur Experimentalphysik ausstellte. Auch von diesemNachdruck sind nur noch wenige Exemplare im Um-lauf.

Ende der 80er Jahre verschwand das Interesse an dereigenen Geschichte im Fach Physik fast vollstandig,auch von der verhangnisvollen Verquickung von Po-litik und Naturwissenschaften wahrend des drittenReiches war wenig bekannt.4 Allein in der Astrono-mie wurden von 1980–2009 regelmaßig Vorlesungenuber die

”Geschichte der Astronomie“ angeboten.5

Zurzeit wachst an der Christian-Albrechts-Universitat in vielen Fachern ein neues Ge-schichtsbewusstsein. Das zeigt sich einerseits in derkritischen Auseinandersetzung mit der Rolle, dieder Nationalsozialismus fur die Arbeit in allen Fa-kultaten und auch in den personlichen Schicksalender Kieler Hochschullehrer spielte.6 Es druckt sichaber andererseits auch darin aus, dass man sichauf die Tradition der Physik und Astronomie inKiel besinnt und das eigene Fach mit den großenKieler Physikern identifiziert. So wurde 2008 aufInitiative der Kieler Physiker anlaßlich des 150.Geburtstages von Max Planck (1858–1947) dergroße Horsaal nach ihm benannt. Auf Vorschlagvon Alexander Piel wurde im selben Jahr auchder kleine Horsaal umbenannt und Hans Geiger(1882–1945) gewidmet. In diesem Zusammenhangwurde an mich von Alexander Piel (Institut furExperimentelle und Angewandte Physik der CAU)

4 Das zeigte sich zum Beispiel 1990, als eine Gedenktafel furden Nobelpreistrager und Begrunder der

”Deutschen Phy-

sik“ Philipp Lenard ohne kritische Kommentierung undKlarstellung in der Universitat angebracht werden sollte.

5 Schluter, D., Vorlesungsskript 1999–2000.6 Aus einer Ringvorlesung entstand z. B. der Sammel-

band: Cornelißen, Chr./ Mish, C. (Hrsg.), Wissenschaftan der Grenze. Die Universitat Kiel im Nationalsozia-lismus: Mitteilungen der Gesellschaft fur Kieler Stadtge-schichte, Essen 2009. Ein Beispiel fur die Physik: Char-lotte Schonbeck: Vortrag im physikalischen KolloquiumKiel uber das Schicksal des Experimentalphysikers Hein-rich Freiherr Rausch von Traubenberg in der Zeit des Na-tionalsozialismus, 2005 und 2009.

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der Wunsch herangetragen, die Schrift”300 Jahre

Physik und Astronomie an der Kieler Universitat“in einer zweiten, unveranderten Auflage wiederzuganglich zu machen. Fur diese Initiative, seineBemuhungen um die Geschichte der Kieler Physikund die technische Umsetzung in LaTeX unddie Betreuung des Druckes danke ich ihm ganzbesonders herzlich.

Seit dem Erscheinen der ersten Auflage ist fast einhalbes Jahrhundert vergangen. In dieser Zeit habensich fur die Wissenschaftsgeschichte nicht nur die

”außeren“ Forschungsbedingungen7 gewandelt, son-

dern auch”innere“Aspekte, z. B. die Themenschwer-

punkte, die Intentionen der Forschungsarbeiten undvor allem die Auffassungen von der grundsatzlichenKonzeption des Faches Wissenschaftsgeschichte.

Verstanden wird im Folgenden unter Wissenschafts-geschichte nicht eine Naturwissenschaftsgeschichte8

fur die Physik und die Astronomie, die vor allem ei-ne Chronik ihres historischen Ablaufes erstellt, son-dern eine Disziplin, die das historische Geschehenund die entstandenen Theorien als Forschungsob-jekt betrachtet und diese in ihren Strukturen undZusammenhangen untersucht und beschreibt.

Seit der Mitte des 20. Jahrhundert kristallisierensich in der Wissenschaftsgeschichte vor allem zweiDenkrichtungen heraus, die internalistisch und dieexternalistisch gepragte Wissenschaftsgeschichte.Sie nehmen in einem grundsatzlichen Punkt volligkontrare Positionen ein, namlich bei der Frage:Gehen die entscheidenden Antriebskrafte fur die

7 Die Quellenlage hat sich durch das Auffinden neuer Kor-respondenzen und Nachlasse, durch die bessere Erschlie-ßung von Aktenmaterial, durch die Offnung bisher un-zuganglicher Archive in Osteuropa und durch das Auffin-den historischer Instrumente erweitert. Die Wissenschafts-geschichte ist zwar ein kleines Fach und ist nur durch we-nige Lehrstuhle an den deutschen Hochschulen vertreten,sie machte aber durch die Grundung eigener Institutio-nen, durch umfangreiche Forschungsprojekte, durch Ta-gungen und eine Vielzahl von Veroffentlichungen vermehrtauf sich aufmerksam.

8 Diese Form der Naturwissenschaftsgeschichte verfolgtemeist das Ziel, aus der Sicht der gegenwartigen, d. h.der aktuellen Wissenschaft zu zeigen, welche Erkenntnis-se bereits in fruheren Epochen angelegt worden sind. IhreUntersuchungen dienen nicht dazu, die Arbeiten zuruck-liegender Zeitabschnitte aus deren damaligem Wissens-stand zu erfassen, sondern sie werden unter teleologi-schem Aspekt betrachtet. Man fragt, welche historischenFakten aus der Sicht der modernen Naturwissenschaftenals Vorstufe modernen Wissens gelten konnen. Die phi-losophischen, soziologischen, wirtschaftlichen, politischenund kulturellen Gegebenheiten werden dabei ausgeblen-det. Die Untersuchungen werden ausschließlich aus demBlickwinkel der modernen Wissenschaft ausgefuhrt. Einbekanntes Beispiel fur diese Form der Naturwissenschafts-geschichte ist Max von Laues

”Geschichte der Physik“, die

1947 erschien.

Entwicklung der Naturwissenschaften von Impul-sen aus, die von außen an die Wissenschaftenherangetragen werden, also von philosophischen,wirtschaftlichen, politischen oder sozialen oderanderen gesellschaftlichen Gegebenheiten? Oderentstehen die wissenschaftlichen Fortschritte, dieneuen Theorien und Erkenntnisse allein durchdie interne, eigenstandige Logik und Struktur derWissenschaft? Bei der Antwort auf diese Frageklaffen die Vorstellungen der beiden Denkrichtun-gen weit auseinander. Die Internalisten betonendie Problemgeschichte und verstehen im extremenFall die Wissenschaftsgeschichte allein aus demWachstum und der Entwicklung des rationalenWissens und der rationalen Methoden. Nach ihrerAuffassung behindern oder beschleunigen soziale,wirtschaftliche, politische und kulturelle Faktorendiese Entwicklung, sind aber fur die Wissenschafts-geschichte nicht von Belang. Die Externalistendagegen verstehen die Naturwissenschaften alsTeil der Kultur und der Gesellschaft. Fortschritteund Anderungen in der Wissenschaft werden nachihrer Ansicht auch durch nicht-wissenschaftlicheFaktoren hervorgerufen, also durch soziale, wirt-schaftliche, politische oder kulturelle Krafte. Dieinhaltliche Auseinandersetzung mit dem gewahltenwissenschaftlichen Objekt ruckt in den Hintergrund,ja sie wird im Extremfall gar nicht beachtet, oftauch nicht verstanden. Der Disput zwischen beidenPositionen spitzte sich nach den Veroffentlichungenvon Thomas Kuhn9 zu. Er fuhrte zu unuberbruck-baren Meinungsverschiedenheiten, sobald sowohldie Internalisten als auch die Externalisten imExtremfall meinten, allein die wahre Wissenschafts-geschichte zu vertreten. Seit den 80-er Jahren, nachder sogenannten sozialen Wende, nahm die Zahlder sozialgeschichtlichen Veroffentlichungen in derWissenschaftsgeschichte stark zu.10

Eine ausgewogene wissenschaftshistorische Arbeitwird weder den einen noch den anderen extre-men Standpunkt verfolgen, sondern eine

”sowohl-

als-auch“ Ausrichtung als Richtschnur ihrer Unter-suchungen wahlen, was sehr viel schwieriger ist, alseine der extremen Positionen einzunehmen. Sie wird– internalistisch – die fachliche Problemgeschichteund die Personlichkeit der Forscher in den Mittel-punkt rucken und ihre Untersuchung einbetten inden auch von außen - externalistisch - einwirkenden

9 Hier ist vor allem zu nennen: Kuhn, Thomas S., Die Struk-tur der wissenschaftlichen Revolutionen, Frankfurt a. M.(2. Aufl.) 1967.

10 Einen außeren Ausdruck fand diese Entwicklung 1980in der Grundung des Lehrstuhles fur

”Wissenschaftsge-

schichte im sozialgeschichtlichen Kontext“ in Bielefeld.

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jeweiligen”historischen Erfahrungsraum“11 der ent-

sprechenden Epoche.

Fuhrt man sich diesen starken”außeren“ und

”in-

neren“ Wandel der Wissenschaftsgeschichte in denvergangenen funfzig Jahren vor Augen, so mussman sich fragen: Was spricht dafur, zum jetzigenZeitpunkt eine unveranderte zweite Auflage des ur-sprunglichen Textes der

”300 Jahre Physik und

Astronomie an der Kieler Universitat“ zu realisie-ren?

Es gibt zunachst”außerliche“ Aspekte. In den

zuruckliegenden Jahren sind zwar zahlreiche hi-storische Beitrage uber beruhmte Naturforschererschienen, die einige Zeit an der Kieler Univer-sitat gelehrt haben,12 aber es gibt nur wenigehistorische Veroffentlichungen13 speziell zu Fra-gestellungen der Physik und Astronomie an derChristiana-Albertina. Eine neue zusammenfassendeUntersuchung zur Entwicklung von der Grundungder Universitat bis zu Gegenwart gibt es nicht. Die

”alte“ Arbeit ist bisher die einzige Gesamtdarstel-

lung der Kieler Physik und Astronomie. Sie istinzwischen selbst eine historische Quelle, die fur dieBeschaftigung mit der wissenschaftlichen Tradition

11 Die Weite und die Komplexitat aller außeren Einflusse,denen ein Forscher in seiner Zeit ausgesetzt ist, umreißtFritz Krafft mit dem Begriff

”historischer Erfahrungs-

raum“; z. B. in der Untersuchung: Das Selbstverstandnisder Physik im Wandel der Zeit, S. 32 ff., Weinheim 1982.Mit einer ahnlichen Vorstellung beschreibt Kurt Hubnerdiesen Gesamtkomplex außerer Rahmenbedingungen als

”historische Situation“, z. B. in dem Artikel: Philosophi-

sche Fragen der Zukunftsforschung: Studium Generale 24,S. 851–864, 1971.

12 Dazu gehoren mehrere biographische Arbeiten uber MaxPlanck, Heinrich Hertz, Philipp Lenard, Hans Geiger u. a.

13 Zu nennen ist die umfassende Geschichte der Astrono-mie an der Kieler Universitat von Felix Luhning,

”. . . eine

ausnehmende Zierde und Vortheil“, Geschichte der KielerUniversitatssternwarte 1770–1950, Gesellschaft fur Kie-ler Stadtgeschichte, Bd. 56, 2000; Henke, M.,

”Flin-

ke Funken und schnelle Spiegel“: Berend Wilhelm Fed-dersen und der Nachweis der elektrischen Schwingun-gen, 2000.; Theis, Ch./ Deiters, St./ Einsel, Ch./ Hoh-mann, F., Hans Rosenberg und Carl Wirtz: Sterne undWeltraum 2/ S. 126–130, 1999; Schlupmann, K.

”Das

Kapitel’Grenzlanduniversitat‘: Vergangenheit im Blick-

feld eines Physikers – Hans Kopfermann (1895–1963)“:http//aleph99.org/etusci/ks/index.htm; Schonbeck, Ch.,

”Albert Einstein und Philipp Lenard: Antipoden im Span-

nungsfeld von Physik und Zeitgeschichte“: Schriften derMathematisch-Naturwissenschaftlichen Klasse der Heidel-berger Akademie der Wissenschaften, Nr. 8, 2000; Phi-lipp Lenard,

”Wissenschaftliche Abhandlungen“, Bd. 4.

herausgegeben und kritisch kommentiert von CharlotteSchonbeck. Diepholz/ Berlin 2003; Schonbeck, Ch.:

”Phil-

ipp Lenard“, Schleswig-Holsteinisches Biographisches Le-xikon, Bd. 12 (im Druck); Schonbeck, Ch.:

”Der Kie-

ler Physiker Heinrich Freiherr Rausch von Traubenberg(1888–1944) – Ein Schicksal zwischen Wissenschaft undPolitik“(in Vorbereitung).

der beiden Facher an der Kieler Universitat zurVerfugung stehen sollte.

Wegen der speziellen Konzeption der”alten“ Arbeit

sprechen auch”innere“ Grunde fur einen Wieder-

abdruck: Das Leben und Wirken der Kieler Phy-siker und Astronomen an der kleinen UniversitatKiel wird eingebettet sowohl in die allgemeine hi-storische Entwicklung der Naturwissenschaften alsauch in das jeweilige politische Geschehen im Grenz-land Schleswig-Holstein. Die wissenschaftliche Ar-beit der Forscher und deren Personlichkeit stehen imVordergrund. Zusammenhange mit einzelnen Fak-toren des

”historischen Erfahrungsraumes“, d. h.

zu der Gesamtheit der philosophischen, religiosen,wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Gege-benheiten einer Epoche, werden betont und auchnach den kulturellen und sozialen Auswirkungen derForschertatigkeit gefragt. Das Forschungsobjekt istdie naturwissenschaftliche Arbeit der Physiker undAstronomen, die Untersuchungsmethoden sind dieder Geisteswissenschaften, der Historiker. Das Kon-zept der

”300 Jahre Physik und Astronomie an der

Kieler Universitat“ von 1965 erfasst bereits die Ten-denzen der modernen Wissenschaftsgeschichte undist sowohl von

”internalistischer“ wie von

”externa-

listischer“ Sicht gepragt. Die Arbeit versteht sichals Brucke zwischen diesen beiden Sichtweisen undauch als Brucke zwischen den Naturwissenschaftenund den Geisteswissenschaften.

Da sich in den letzten Jahren ein wachsendes histo-risches Bewusstsein fur die Tradition des eigenen Fa-ches entwickelt hat, werden von einer zweiten Aufla-ge Anregungen fur neue

”Kieler Beitrage“ausgehen.

Die ursprungliche Arbeit lasst noch viele Fragen of-fen und bietet Ansatzpunkte fur neue und erganzen-de wissenschaftshistorische Untersuchungen:

Das Aktenmaterial verschiedener Archive14 ist heu-te sehr viel besser zuganglich als in den sechzigerJahren und enthalt sicher noch wichtige Erganzun-gen zur Geschichte der Physik in Kiel. Diese fin-den sich auch in den Nachlassen15 und neu ent-deckten Korrespondenzen. Die seit 1965 erschiene-ne wissenschaftshistorische Sekundarliteratur birgtnoch manche Hinweise uber die Entwicklung derPhysik in Kiel. Die Kapitel uber die Physik in Kielbis 1850 konnen durch das bereits in einer Zulas-

14 Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv Schleswig, Stadt-archiv Hamburg und die jetzt zuganglichen Archive inMoskau und St. Petersburg. Die Akten des sogenanntenMerseburger Zentralarchivs uber die preußische Verwal-tung der Kieler Universitat befinden sich heute im Gehei-men Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin.

15 z. B. Nachlass von Paul Harzer.

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sungsarbeit16 zusammengetragene Material erganztwerden. Da die

”alte“ Arbeit mit dem Ende des zwei-

ten Weltkrieges abschließt, ist die Fortfuhrung derGeschichte der Physik in Kiel bis zur Umstrukturie-rung der Institute wunschenswert.

16 Schmidt, Charlotte: Die Entwicklung der Physik an derUniversitat Kiel bis 1850. Staatsexamensarbeit, Kiel 1961.

Vielleicht gibt diese zweite Auflage den Anstoß furein neues Stuck Kieler Wissenschaftsgeschichte.

Heidelberg, im Dezember 2011Charlotte Schonbeck

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Vorwort zur 1. Auflage

Die ublichen Darstellungen der Geschichte der Phy-S. 7sik und Astronomie beschranken sich darauf, Hohe-punkte der Entwicklung zu beschreiben und die Ent-stehung wesentlicher Leitideen zu verfolgen. Hier da-gegen soll ein anderer Gesichtspunkt im Mittelpunktstehen. Es soll der Frage nachgegangen werden, wiesich die Entwicklung dieser beiden Wissenschaftenan einer kleinen Hochschule wie der Christiana Al-bertina vollzogen hat und wie lange es dauerte, bisder naturwissenschaftliche Unterricht auch hier vonden richtungsweisenden Ideen gepragt wurde.

Das Bild, welches Physik und Astronomie zu einembestimmten Zeitpunkt an der Christian-Albrechts-Universitat bieten, ist von sehr verschiedenenFaktoren abhangig, in erster Linie von den Vertre-tern beider Facher an der Hochschule. Was sie fur

”moderne“ Physik und Astronomie halten und den

Studenten vortragen, soll hier besonders interessie-ren. Aus diesem Grund ist die Aufgliederung dervorliegenden Arbeit – und ebenso der benutztenLiteratur – nach den Personlichkeiten der an derChristiana Albertina wirkenden Lehrer orientiert.Eine umfassende und in sich geschlossene Wurdi-gung der wissenschaftlichen Leistungen einzelnerHochschullehrer und ihre Eingliederung in dieEntwicklung der Physik und Astronomie in Europalaßt sich nicht erreichen, wenn ausschließlich dieTatigkeit an der Kieler Universitat in Betracht ge-zogen wird. Es wird daher in dieser Arbeit versucht,einen Uberblick uber die gesamte Forschungsarbeitder Lehrer der Christiana Albertina zu geben undihr Wirken in Kiel im Einzelnen zu beschreiben.Ein weiteres Ziel ist es, nicht nur die wissenschaft-liche Arbeit sondern so weit wie moglich auch diePersonlichkeit der Forscher zu erfassen.

Welche Lehrer zu einem bestimmten Zeitpunkt andie Hochschule berufen werden, ist zum großen Teileine Frage der finanziellen Lage der Universitat undihres Tragers und diese ist in empfindlicher Weisemit der unruhigen Geschichte Schleswig-Holsteinsverknupft. Um den Stand beider Wissenschaften inKiel richtig verstehen und einordnen zu konnen,wurde der eigentlichen Darstellung einerseits ein Ab-riß der Geschichte der Physik und Astronomie in eu-ropaischem Rahmen und andererseits eine Skizze derGeschichte der Universitat mit ihrer engen Bindungan die politischen Geschicke des Landes vorausge-schickt.

Die Entwicklung der Physik und Astronomie an derHochschule ist im 17. und 18. Jahrhundert so engmiteinander verknupft, daß fur ihre Beschreibungein – beide Gebiete – umfassendes Kapitel amangemessensten erschien. Durch die Grundung desphysikalischen Institutes und der Sternwarte im19. Jahrhundert lost sich diese Verbindung immermehr, in beiden Wissenschaften entwickelt sicheine ganz unterschiedliche Forschungstatigkeit.Ihr Entstehen und ihr Fortgang bis 1945 ließsich am besten in zwei gesonderten Abschnittenerfassen. Da eine objektive Beurteilung der Zeitnach dem ersten Weltkrieg heute noch nicht moglich

ist, beschrankt sich die Darstellung dieses Zeit- S. 8abschnittes oft auf eine Zusammenstellung derwesentlichen wissenschaftlichen Arbeiten undDaten. Eine besondere Schwierigkeit fur die Be-schreibung dieser Jahre lag darin, daß Literaturuber die damals in Kiel wirkenden Hochschullehrerkaum vorhanden war, oft waren Briefe und mundli-che Mitteilungen die einzigen Hinweise.

Diese Darstellung der Entwicklung der Physik undAstronomie an der Kieler Universitat ist nicht nurfur Naturwissenschaftler und Historiker, sondernfur einen großeren Kreis von Lesern gedacht. Esmußte daher oft ein Kompromiß zwischen einerins Einzelne gehenden fachlichen Erorterung undeiner allgemein verstandlichen Formulierung vonZusammenhangen geschlossen werden. Sowohl dieNaturwissenschaftler wie die Historiker mogen furdiese Notwendigkeit Verstandnis haben.

Die vorliegende Arbeit ist entstanden auf Anregungvon Prof. Dr. A. Unsold. Ich mochte ihm fur sei-ne vielen wertvollen Hinweise und Ratschlage sehrherzlich danken.

Fur mundliche und schriftliche Mitteilungen, diemir oft erst ein weiteres Eindringen in meine Ar-beit ermoglichten, mochte ich mich bedanken beiHerrn Dr. H. Adam, Frau Geheimrat Anschutz,Herrn Prof. S. Baumbach, Herrn Prof. G. Becherer,Frau H. David, Frau E. Geiger, Herrn Dr. H. Janßen,Frau S. von Johnson, Herrn Prof. O. Klemperer,Frau von Kugelgen, Herrn Prof. J. Laß, HerrnProf. W. Lochte-Holtgreven, Frau M. Lohr, Herrn

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Dr. K. Lohr, Frau M. L. Martienssen, Herrn Prof.W. Martienssen, Herrn Prof. W. Niens, Herrn Dr.H. Schmidt, Herrn Dr. J. Schubart, Herrn Oberbau-rat H. Weber und Frau H. Wirtz.

Herr Dr. K. Kuhn stellte mir die unveroffentlichteLebensbeschreibung Lenards zur Verfugung, wofurich ihm sehr danke.

Der Fritz-Thyssen-Stiftung, die mir die finanzielleUnterstutzung fur diese Arbeit gewahrte, bin ich zuDank verbunden.

Der Schleswig-Holsteinischen Universitatsgesell-schaft, welche die Mittel zur Veroffentlichung dieserArbeit zur Verfugung stellte, gilt mein besondererDank.

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Inhaltsverzeichnis

I Einfuhrung 1A Die Geschichte der Universitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1B Die Entstehung der modernen Naturwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

II Physikalischer und astronomischer Unterricht im 17. und 18. Jahrhundert 7A Samuel Reyher (1635–1714) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7B Naturlehre wahrend der Anfangsjahre der Universitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

(1) Alte scholastische Schule: Caeso Gramm (1640–1673) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12(2) Anklange des Mittelalters und der Alchemie: Johann Ludwig Hannemann (1640–1724) 13(3) Philosophia experimentalis: Wilhelm Huldrich Waldschmidt (1669–1731) . . . . . . . 15

C Physik unter dem Einfluss der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16(1) Vorboten der Aufklarung: Friedrich Gentzke (1679–1757) . . . . . . . . . . . . . . . 16(2) Schatzgraberei in Kiel: Johann Christoph Hennings (1708–1764) . . . . . . . . . . . 17

D Unterstutzung des Zarenhofes: Johann Friedrich Ackermann (1726–1804) . . . . . . . . . . . 19E Astronomischer Unterricht bis zur Grundung der Kieler Sternwarte 1872 . . . . . . . . . . . 21

(1) Entwicklung der Astronomie nach Newton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21(2) Astronomischer Unterricht in Kiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

F Phlogiston und Imponderabilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23(1) Georg Eimbke (1771–1843) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24(2) Bau der ersten Spiegelteleskope in Deutschland: Johann Friedrich Gottlieb Schrader

(1763–1833) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26G Spekulative Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

(1) Hendrik Steffens (1773–1845) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

III Physikalische Forschung im 19. und 20. Jahrhundert 35A Elektrizitat und Magnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

(1) Christoph Heinrich Pfaff (1773–1852) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35(2) Carl Heinrich Tielle (1803–1881) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

B Das erste Physikalische Institut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39(1) Gustav Karsten (1820–1900) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

C Privatdozenten der Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45(1) Ludwig Matthiessen (1830–1906) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45(2) Olaus Henrici (1840–1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45(3) Heinrich Behrens (1842–1905) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

D Beginn der Elektrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46(1) Heinrich Rudolph Hertz (1857–1894) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

E Grundprinzipien der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52(1) Max Planck (1858–1947) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

F Physikalische Forschung am Ende des vorigen Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61(1) Leonhard Weber (1848–1919) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61(2) Anfang der Technischen Physik: Ernst Hagen (1851–1923) . . . . . . . . . . . . . . 63(3) Hermann Ebert (1861–1913) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

G Nobelpreis fur Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67(1) Philipp Lenard (1862–1947) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67(2) August Becker (1879–1953) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

H Physik zu Beginn des Jahrhunderts im Rahmen klassischer Vorstellungen . . . . . . . . . . 76(1) Conrad Dieterici (1858–1929) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76(2) Hermann Zahn (1877–1952) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78(3) Hans Schmidt (1883– ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

xiii

Inhaltsverzeichnis

(4) Oscar Hermann Martienssen (1874–1957) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79J Struktur der Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

(1) Erwin Madelung (1881–1972) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80(2) Walter Kossel (1888–1956) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81(3) Hans Geiger (1882–1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85(4) Christian Gerthsen (1894–1956) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91(5) Otto Klemperer (1899–1987) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92(6) Heinrich Freiherr Rausch von Traubenberg (1880–1944) . . . . . . . . . . . . . . . . 93(7) Hans Kopfermann (1895–1963) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

K Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

IV Astronomie nach der Grundung der Kieler Sternwarte 99A Positionsastronomie im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99B Grundung von Sternwarten und astronomischen Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . 100C Errichtung der Kieler Sternwarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

(1) Christian August Friedrich Peters (1806–1880) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102(2) Karl Friedrich Wilhelm Peters (1844–1894) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105(3) Ernst August Lamp (1850–1900) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

D Redaktion der”Astronomischen Nachrichten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

(1) Carl Nicolaus Adalbert Krueger (1832–1896) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108(2) Heinrich Carl Friedrich Kreutz (1854–1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110(3) Hermann Kobold (1858–1942) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

E Himmelsmechanik im 19. und 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113(1) Paul Harzer (1857–1932) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114(2) Ernst Grossmann (1863–1933) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119(3) Elis Stromgren (1870–1947) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119(4) Alexander Wilkens (1881–1968) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

F Entwicklung der Astrophysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123(1) Die Privatsternwarte des Kammerherrn v. Bulow in Bothkamp . . . . . . . . . . . . 124(2) Hans Rosenberg (1879–1940) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

G Die kosmische Stellung der Spiralnebel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128(1) Carl Wilhelm Wirtz (1876–1939) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

H Die Kieler Sternwarte bis zu ihrer Auflosung 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

V Ruckblick 135

Literaturverzeichnis 137(1) Mehrfach benutzte Nachschlagewerke, Sammelbande und Schriftreihen . . . . . . . . . . . . 137(2) Geschichte der Universitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137(3) Geschichte der Physik und Astronomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138(4) Reyher, Samuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139(5) Gramm, Caeso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139(6) Hannemann, Johann Ludwig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139(7) Waldschmidt, Wilhelm Huldrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140(8) Gentzke, Friedrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140(9) Hennings, Johann Christoph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140(10) Ackermann, Johann Friedrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141(11) Eimbke, Georg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141(12) Schrader, Johann Friedrich Gottlieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142(13) Steffens, Hendrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142(14) Pfaff, Christoph Heinrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142(15) Tielle, Carl Heinrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143(16) Karsten, Gustav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143(17) Matthiessen, Ludwig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144(18) Henrici, Olaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145(19) Behrens, Heinrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145(20) Hertz, Heinrich Rudolph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

xiv

Inhaltsverzeichnis

(21) Planck, Max . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146(22) Weber, Leonhard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147(23) Hagen, Ernst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147(24) Ebert, Hermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148(25) Lenard, Philipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148(26) Becker, August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149(27) Dieterici, Conrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150(28) Zahn, Hermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150(29) Schmidt, Hans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150(30) Martienssen, Oscar Hermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150(31) Madelung, Erwin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150(32) Kossel, Walter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151(33) Geiger, Hans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151(34) Gerthsen, Christian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152(35) Klemperer, Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152(36) Traubenberg, Heinrich Freiherr Rausch von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152(37) Kopfermann, Hans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153(38) Grundung von Sternwarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153(39) Errichtung der Kieler Sternwarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153(40) Peters, Christian August Friedrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153(41) Peters, Karl Friedrich Wilhelm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154(42) Lamp, Ernst August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154(43) Krueger, Carl Nicolaus Adalbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154(44) Kreutz, Heinrich Carl Friedrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154(45) Kobold, Hermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154(46) Harzer, Paul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155(47) Grossmann, Ernst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155(48) Stromgren, Elis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155(49) Wilkens, Alexander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156(50) Sternwarte Bothkamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156(51) Rosenberg, Hans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156(52) Wirtz, Carl Wilhelm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Bildernachweis 157

xv

I Einfuhrung

A Die Geschichte der Universitat

(1) Planung und Grundung (1629–1665)

Die Grundung der Universitat steht mit den Aus-S. 9wirkungen des 30-jahrigen Krieges in engem Zusam-menhang, sie ist ein Zeichen fur den Wunsch nacheinem friedlichen Wiederaufbau.

Schleswig-Holstein wird in dieser Zeit von demDanenkonig Christian IV. und dem Gottorfer Her-zog Friedrich III. (1616–1659) gemeinsam regiert.Friedrich III. untersteht das

”Gottorfer“ Gebiet, das

sich aus Gottorf, Kiel, Plon und vielen verstreutenBezirken zusammensetzt und kaum ein Drittel desheutigen Schleswig-Holsteins ausmacht.

Friedrich III., ein begeisterter Anhanger des Huma-nismus, schafft in Gottorf ein Zentrum der Natur-wissenschaften. Seine ersten Plane (1629), in Flens-burg eine Universitat zu grunden, bleiben in denAnfangen stecken. 1641 legt er gemeinsam mit Chri-stian IV. den Standen des Landes den Plan zurGrundung einer Hochschule vor. Die Stande habenzwar volles Verstandnis fur die Notwendigkeit ei-ner Hochschule, konnen aber die Mittel fur ein sokostspieliges Projekt nach den langen Kriegsjahrennicht aufbringen. In den kommenden Jahren gibtFriedrich III. den Wunsch einer gemeinsamen Uni-versitatsgrundung mit Christian IV. auf. Zwischenbeiden Landesherren ist es (von 1629 an) zu Ausein-andersetzungen gekommen, als der Danenkonig ak-tiv in das Kriegsgeschehen eingreifen will, wahrendFriedrich III. seine Neutralitat zu wahren sucht.Danemark gerat dabei in scharfen Gegensatz zuSchweden und Norwegen, und es kommt zu kriege-rischen Auseinandersetzungen, in denen sich Fried-rich III. Schweden anschließt. Als Christian IV. 1658den Schweden unterliegt, muß er die Selbststandig-keit des Gottorfer Herzogs in Schleswig-Holstein an-erkennen.

Auch in diesen unruhigen Zeiten gibt Friedrich III.seine Idee einer Hochschulgrundung nicht auf. Erbemuht sich beim deutschen Kaiser um ein Privilegund erhalt es 1652. Aber schon 1659 stirbt er; erstsein Sohn Christian Albrecht verwirklicht das Lieb-lingsprojekt des Vaters und weiht am 5. Oktober1665 die Christiana Albertina in Kiel ein. Bei der

Wahl des Hochschulortes hatte man sich auf Kielgeeinigt, da die Stadt die Gebaude des alten Fran-ziskanerklosters zur Verfugung stellte. Da ChristianAlbrecht der alleinige Grunder ist, beginnt die Hoch-schule ihr Wirken als Universitat des GottorfischenHofes und nicht eigentlich als Universitat der LanderSchleswig und Holstein.

(2) Die Universitat des HerzogtumsGottorf (1665–1772)

Die Anfange der Universitat sind sehr verheißungs-voll; sie besitzt die ublichen vier Fakultaten: dietheologische, die juristische, die medizi-

nische und als Vorstufe zu diesen die philosophische S. 10Fakultat. Unter den ersten 16 Professoren gibt essehr angesehene Lehrer, die ihrer Universitat einenguten Ruf verschaffen. Die Zahl von 140 Studen-ten, die sich im ersten Semester immatrikulieren,ist recht beachtlich. – Im ersten Jahrhundert ihresBestehens hat die Christiana Albertina vor allemdie Aufgabe, Beamte und Geistliche fur den Staats-dienst heranzubilden. Der Schwerpunkt des Unter-richts liegt daher bei der theologischen und juristi-schen Fakultat. In der medizinischen Fakultat gibtes nur zwei Professoren, die in ihren Vorlesungendie Werke von Hippokrates und Galenus vortragen.Noch hundert Jahre spater (1789) ist dieser Vorrangder Theologie und Jurisprudenz deutlich zu erken-nen: Von den 186 Studenten gehoren 104 zur theo-logischen und 57 zur juristischen Fakultat; dagegenstudieren nur 11 Studenten Medizin und 14 Philo-sophie.

In den Grundungsjahren hat die Kieler Hochschu-le im gesamten Ostseeraum keine ernsthafte Kon-kurrenz. In Rostock ist die erste Blutezeit voruber,Dorpat und Konigsberg sind durch die Schweden-kriege so in Mitleidenschaft gezogen, daß sie prak-tisch keine Rolle mehr spielen. Kiel ist am Ende des17. Jahrhunderts die Universitat Norddeutschlands.

Doch dies sollte sich bald andern: Danemark ver-sucht, den Gottorfer Herzog zu verdrangen und sei-ne Gebiete fur das danische Konigreich zu gewin-nen. In dieser Lage sucht Gottorf Unterstutzungbei Danemarks

”Erbfeind“ Schweden. Es entstehen

unuberbruckbare Spannungen zwischen den beiden

1

I Einfuhrung

Landesherren. Sie losen schließlich 1700 den Beginndes Nordischen Krieges aus. 1721 verliert ihn Schwe-den und mit ihm Gottorf, das seine Besitzungen inSchleswig an den danischen Konig abtreten muß.

Schon in Friedenszeiten hatte das kleine Gottorfseine Hochschule nicht allzu großzugig ausstattenkonnen. In den Kriegsjahren 1700–1721 ist an einefinanzielle Hilfe kaum zu denken. Die Folgen lassennicht lange auf sich warten: Die Studentenzahlen ge-hen in kurzester Zeit zuruck. 1707 heißt es in einemErlaß:

”. . . falls einige juris et medicinae studiosii

vorhanden . . .“. Aber auch nach dem Friedensschluß1721 ist der Gottorfer Reststaat – mit Kiel als neu-er Residenz – zu einer angemessenen Unterhaltungder Universitat nicht in der Lage. Die schleswig-holsteinischen Studenten beziehen jetzt viel lieberdie neu gegrundete Hochschule Gottingen (1737),und fur auslandische Studenten ist die ChristianaAlbertina erst recht kein Anziehungspunkt. Zum100jahrigen Jubilaum 1765 findet nicht einmal einFestakt statt. Der Grund fur den Verfall liegt darin,daß ein kleines Land wie Gottorf – ebenso wie vie-le andere Staaten Mitteleuropas – ein so kostspie-liges Unternehmen wie eine Hochschule nicht tra-gen kann. Als Gottorf im folgenden Jahrhundert dieUnterstutzung der Großmacht Rußland gewinnt, be-ginnt fur die Christiana Albertina eine neue Blute-zeit.

(3) Die danische Zeit der Universitat(1762–1863)

Im Jahre 1762 hat der Gottorfer Herzog Karl PeterUlrich den russi-

schen Thron als Peter III. bestiegen. Nach seinerS. 11Ermordung im gleichen Jahr ubernimmt seine Gat-tin Katharina II. die Regierung und damit auch dieFursorge fur Gottorf und seine Universitat. Bera-ten von dem Holsteiner Caspar von Saldern stif-tet die Zarin 1768 ein neues Universitatsgebaude– das von dem Baumeister des Hamburger

”Mi-

chel“, Sonnin, errichtet wird –, besetzt die vakan-ten Lehrstuhle und bewilligt der Hochschule und Bi-bliothek einen hoheren Etat. Durch Verhandlungenmit dem Danenkonig erreicht sie, daß die schleswig-holsteinischen Studenten einige Semester in Kiel stu-dieren mussen. Seit 1768 beginnen daher die Stu-dentenzahlen zu steigen. Caspar von Saldern ver-sucht inzwischen, den Streit zwischen Gottorf undDanemark – der sich nach dem Nordischen Kriegnoch verscharft hat und ein dauernder Unruheherdin Europa ist – friedlich beizulegen. Er betreibt dieEingliederung des Gottorfischen Reststaates in das

danische Konigsreich. 1773 kommt diese Eingliede-rung zustande, Rußland wird durch die danischenGebiete Delmenhorst und Oldenburg entschadigt.

Fur die Christiana Albertina beginnt danach einefruchtbare Zeit unter danischer Herrschaft. Die er-sten Anzeichen davon sind bald zu sehen. Die Hoch-schule bekommt finanzielle Zuschusse, ein Kranken-haus wird gebaut und mehrere Seminare gegrundet.Auch die napoleonischen Kriege bedeuten fur dieseEntwicklung keine wesentlichen Unterbrechungen.

Hervorragende Lehrer erschließen die Christiana Al-bertina fur die großen Stromungen der europaischenund deutschen Kultur. Die Ideen des Rationalismusund der Aufklarung sowie die Philosophie Kants fas-sen in Kiel schnell Fuß. Auch die deutsche Romantikmit der Naturphilosophie Schellings findet – durchHendrik Steffens – Eingang. Durch den Ausgangder napoleonischen Kriege aber, in denen Danemarkmit Frankreich verbundet war, wird das Gefuge desdanischen Staates ernsthaft erschuttert. In den Her-zogtumern erwacht der Wunsch nach Eigenstandig-keit. Die Professoren heben in ihren Vorlesungendie Zugehorigkeit zum deutschen Kulturkreis im-mer starker hervor. Die Studenten dagegen verhal-ten sich zuruckhaltend, sie sind danisch eingestelltund werden erst langsam fur die neuen Gedankengewonnen. Noch vor dem Wartburgfest 1817 wirdein Wandel in der Einstellung der Studentenschaftspurbar. Die Kieler Studenten verfassen bereits 1818einen Entwurf fur die Satzungen der deutschen Bur-schenschaft und zeigen damit Anteilnahme an dieserBewegung.

In dieser Zeit bereitet sich die schleswig-holsteini-sche Bewegung von 1848 vor, die zum großen Teilvon der Universitat getragen wird. Die Erhebung, inder sich die Herzogtumer von Danemark losen wol-len, hat einen vernichtenden Ausgang fur das Land.An der Universitat entlaßt die danische Regierung1852 ein Drittel der Professoren. Die Studentenzahl,die mit 400 in den zwanziger Jahren einen Hochst-stand erreicht hatte, geht betrachtlich zuruck. Dane-mark hat das Interesse an der Hochschule weitge-hend verloren und gibt sie damit einer rucklaufigenEnt-

wicklung preis. Als die Regierung in Kopenhagen S. 12versucht, Schleswig durch eine Zwangspolitik mitdem Konigreich zu verschmelzen, ruft dies nicht nurim Lande selbst, sondern auch in ganz Deutsch-land Emporung hervor. Preußen und Osterreich ent-schließen sich zur Hilfeleistung. Bismarck marschiert1863 in Schleswig-Holstein ein und besiegt die dani-sche Armee. Schleswig-Holstein ist froh, von derdanischen Herrschaft befreit zu sein und hofft, sei-

2

B Die Entstehung der modernen Naturwissenschaften

ne Selbstandigkeit zu erhalten. Stattdessen wird es– nach einigen Zwischenlosungen – eine Provinz despreußischen Staates.

(4) Preußische Staatsuniversitat(seit 1867)

Das Land fugt sich widerwillig der neuen Staats-gewalt. Die Opposition gegenuber der preußischenRegierung halt bis zum deutsch-franzosischen Kriegan. Nach der Grundung des Kaiserreiches 1871 er-holt sich das Leben an der Kieler Universitat lang-sam durch die Fursorge der Berliner Regierung. 1876wird ein neues Universitatsgebaude fertig, zu demdie Einwohner des Landes die Halfte der Baukostenbeigesteuert hatten. Kiel wird auch fur Studentenaus dem ubrigen Deutschland – vor allem im Som-mer – reizvoll. Die Studentenzahlen steigen rasch.(1911 besuchen 2000 Studenten die Hochschule; dieHochstzahl der danischen Zeit war 400 gewesen.)

In dieser Zeit vollzieht sich auch ein innerer Wandel.Wahrend noch in der danischen Zeit der Schwer-punkt auf dem theologischen und juristischen Stu-dium gelegen hatte, beginnt jetzt die große Zeit dermedizinischen Fakultat. Seit 1903 ist sie die starksteder vier Fakultaten. Aber auch die philosophischeFakultat nimmt infolge der raschen Entwicklung derNaturwissenschaften standig zu. Das Aufbluhen derNaturwissenschaften zeigt sich nach außen hin indem Bau einer Reihe neuer Institute. Schon 1878wird das chemische Institut bezogen, 1881 das zoo-logische Institut eroffnet und schließlich 1903 dasneue physikalische Institut eingeweiht.

Der erste Weltkrieg hat diese Entwicklung nur zeit-weise gehemmt. 1932 erreicht die Studentenzahl mit3000 ihren Hochststand vor dem zweiten Weltkrieg.

Der Beginn des Nationalsozialismus (1933–34) istfur die Universitat eine schwierige und turbulenteZeit. Namhafte Wissenschaftler mussen die Hoch-schule aus politischen Grunden verlassen. Die phi-losophische Fakultat wird durch den Verlust vonFraenkel, Feller, Rosenberg, Kroner und anderenschwer getroffen. Seit 1935 bis zum Beginn der vier-ziger Jahre tritt eine gewisse Beruhigung ein, die we-nigstens innerhalb der philosophischen Fakultat einnormales wissenschaftliches Leben gewahrleistet.

Durch die Bombardierung Kiels seit 1942 wird auchdie Universitat stark in Mitleidenschaft gezogen. In-stitute und Seminare werden zerstort; durch

Auslagerung versucht man, so viele Bucher und S. 13Gerate wie moglich zu retten. An wissenschaftlicheArbeit ist kaum noch zu denken. Auch der Vor-lesungsbetrieb kommt allmahlich zum Erliegen. –Nach der Kapitulation bietet die Christiana Alber-tina ein trostloses Bild.

Als der Universitat Gebaude der”Electro-Acustic“

zur Verfugung gestellt werden, gelingt es schon imNovember 1945, die Vorlesungen wieder aufzuneh-men. In diesen Gebauden der

”Neuen Universitat“

finden viele Institute Unterkunft und konnen wiedermit ihrer wissenschaftlichen Arbeit beginnen.

Fassen wir die Geschichte der Universitat noch ein-mal zusammen: Der großzugigen Grundung durchden Herzog von Gottorf (1665–1700) folgt eine Zeitdes Niederganges (1710–1762), die erst durch dieUnterstutzung der Zarin Katharina II. aufgehaltenwird (1762–1773). Durch die Aufnahme Gottorfs indas danische Konigsreich erlebt die Universitat ei-ne zweite Blutezeit (1773–1830). Diese wird been-det durch innerpolitische Spannungen, die schließ-lich zur Eingliederung Schleswig-Holsteins in denpreußischen Staat fuhren (1830–1864). Die nunmehrzur

”preußischen Staatsuniversitat“ (1867) umge-

wandelte Christiana Albertina wird schließlich nachdem 2. Weltkrieg wieder Landesuniversitat des Lan-des Schleswig-Holstein (1946).

Das Auf und Ab in der Universitatsgeschichte,die Schwankungen zwischen Blutezeit und volligemSiechtum werden wir auch im physikalischen undastronomischen Unterricht der Universitat wieder-finden.

B Die Entstehung der modernenNaturwissenschaften

Den Uberblick uber die Geschichte der Physik undAstronomie werden wir in einzelne Zeitabschnittegliedern und diese den Kapiteln uber die entspre-chende Entwicklung an der Kieler Universitat vor-anstellen. So leiten Hinweise uber die Entstehungder modernen Naturwissenschaften das II. Kapitel

”Physikalischer und astronomischer Unterricht an

der Christiana Albertina im 17. und 18. Jahrhun-dert“ ein. Stichworte uber die Astronomie im Jahr-hundert nach Newton gehoren zu dem Abschnitt

”Astronomischer Unterricht bis zum Ende des 19.

Jahrhunderts“ (II E), wahrend die Entwicklung derWarmelehre zum Verstandnis des Abschnitts

”Phlo-

giston und Imponderabilien“ (II F) notwendig ist.

3

I Einfuhrung

Den Abschnitt”Spekulative Physik“ (II G) be-

ginnen wir mit einigen Hinweisen uber die Natur-philosophie in Deutschland. Ein kurzer Uberblickuber die Theorien der Elektrizitat steht als letzteEinfuhrung am Anfang des Abschnittes

”Beginn der

Elektrodynamik“ (D).

Große Teile antiker Wissenschaft werden in Europaseit dem 11. Jahrhundert erst durch arabische Uber-setzungen wieder bekannt. Durch Kreuzzuge undzunehmende Handelsbeziehungen finden sie immerstarkere Verbreitung. Die in Mitteleuropa um die-se Zeit erwachende Naturforschung wird bis ins 16.Jahrhundert fast ausschließlich durch die Werke desAristoteles und Ptolemaios gepragt. Zentren dieserEntwick-

lung sind die Klosterschulen und die aus ihnen er-S. 14wachsenden Hochschulen in Bologna, Salerno, Ox-ford und Paris. Von Oxford und Paris gehen auchdie ersten Anregungen zu einer selbstandigen, sichvon der antiken Tradition losenden Naturbetrach-tung aus, die zu einer ersten Blute der Naturwissen-schaft in der Zeit der Scholastik fuhrt (Impetustheo-rie des 13. Jahrhunderts).

Die endgultige Abwendung von der aristotelischenPhysik und der ptolemaeischen Astronomie bleibtallerdings dem 16. Jahrhundert vorbehalten. Niko-laus Kopernikus (1473–1543) macht die grundlegen-de Annahme, daß die Erde nicht mehr in dem Mit-telpunkt der Welt steht. So kann er, ausgehend vonden alten Zahlenwerten der ptolemaischen Epizy-keltheorie, die relativen Entfernungen innerhalb desPlanetensystems angeben. Fur die Fixsterne erge-ben sich dabei

”unendlich große“ Entfernungen im

Gegensatz zu den aristotelischen Vorstellungen einesbegrenzten und endlichen Weltalls. Die Ablehnung,auf die das kopernikanische System in der folgen-den Zeit stoßt, gilt in erster Linie dieser Folgerungund nicht der zugrunde liegenden mathematischenAnnahme uber die zentrale Stellung der Sonne. Die-se Ablehnung wird erst durch die

”physica“ Keplers

und Galileis uberwunden.

Bei seinem Versuch einer”kopernikanischen Phy-

sik“ verfolgt Johannes Kepler (1571–1630) meh-rere Gesichtspunkte. Er will einerseits aus Be-obachtungen quantitative Aussagen machen uberdie Gestalt der Planetenbahnen, Geschwindigkeitenwahrend eines Umlaufes und den Zusammenhangzwischen verschiedenen Planetenbewegungen. Ande-rerseits mochte er die physikalische Ursache der Pla-netenbewegung ergrunden. Die Antwort auf die er-sten Fragen gelingt ihm in den nach ihm benanntendrei Gesetzen, welche er auf Grund der Beobachtun-gen Tycho Brahes (1546–1601) herleiten kann.

Auf Vorstellungen von Gilbert (1540–1603) greiftKepler bei seinen Vermutungen uber die die Plane-tenbewegung erzeugende Kraft zuruck. Er glaubtunter anderem, daß die Sonne der Sitz einer demMagnetismus ahnlichen Kraft ist, die auf Planetenteils anziehend, teils abstoßend wirkt. Vorstellungenvon einer Mechanik des Planetensystems bleiben beiKepler noch unklar. Der Fortschritt gegenuber Ko-pernikus besteht vor allem darin,

”. . . daß zwischen

Himmel und Erde viel großere Verwandtschaft seials Aristoteles meinet, und sich sogar von untenherauf argumentieren und folgern lasse“ (KeplersAntwort auf Dr. Helisai Roslins Diskurs; aus:H. Schimank, Epochen der Naturforschung, S. 191).Diese Erkenntnis der Gleichartigkeit von irdischerund himmlischer Materie, die bereits von Nikolausvon Cues (1401–1464) und Kopernikus vorbereitetund von Tycho Brahe durch die Beobachtungen vonKometen (1574) und Novae gestutzt worden war,wird von Kepler weiter entwickelt.

Die kosmologischen Vorstellungen Keplers versuchtOtto von Guericke (1602–1685) scharfer zu fassen.Durch die neue Kenntnis von den Dimen-

sionen des Kosmos taucht die Frage auf nach der Be- S. 15schaffenheit des leeren Raumes zwischen den Plane-ten bis zu den Fixsternen hin. Da man die Planetenals der Erde ahnlich erkannt hat und ihre beobach-teten großen Geschwindigkeiten nur verstehen kann,wenn sie sich reibungslos durch ein Vakuum bewe-gen, muß auch auf der Erde – entgegen den aristo-telischen Vorstellungen – ein leerer Raum moglichsein. Guericke weist ihn 1654 durch die bekanntenVersuche nach. Von welcher Art die Krafte sind, diedie Planeten im leeren Raum bewegen, will Guerickedurch Experimente mit einer durch Reibung elektri-sierten Schwefelkugel klaren. Diese Kugel stellt einModell der Erde dar, ahnlich der

”terrella“ Gilberts.

Wahrend bisher nur die magnetische Kraftwirkungvon eisenhaltigen Korpern aufeinander bekannt war,will Guericke mit seiner

”terrella“ zeigen, daß auch

Krafte zwischen Korpern verschiedenartigster Kon-sistenz auftreten konnen.

Wichtige Argumente fur die Gleichartigkeit von irdi-scher und himmlischer Materie und vor allem fur diephysikalischen Vorstellungen der kopernikanischenLehre, bringen Galileo Galileis (1564–1642) astrono-mische Beobachtungen der Sonnenflecken, der Hoheder Mondberge, der Phasen der Venus, der Jupiter-monde u. a. . Galileis entschiedenes Eintreten fur dasneue Weltbild fuhrte mit zu dem beruhmten Inqui-sitionsprozeß und der Verdammung der kopernika-nischen Lehre 1616.

4

B Die Entstehung der modernen Naturwissenschaften

Galileis physikalische Arbeiten, in denen durchExperimente Fragen an die Natur gestellt unddie Ergebnisse dann mathematisch formuliert wer-den (Fallgesetze, Wurfbewegung, Ansatze zumTragheitsgesetz), bilden den wesentlichen Ausgangs-punkt der modernen Mechanik; sie machen die ex-perimentell-mathematische Methode der Naturfor-schung deutlich, die sich sowohl von der antiken Me-chanik wie auch der Mechanik der Scholastik wesent-lich unterscheidet.

Die Anregungen Keplers und Guerickes zumVerstandnis der Planetenbewegung greift Isaac New-ton (1643–1727) auf. Er verknupft sie mit GalileisUberlegungen zur Mechanik und der von Christi-an Huygens (1629–1695) entwickelten Lehre von derZentralbewegung. Newton vollzieht die beiden ent-scheidenden Schritte, die die Entstehung des neu-en Weltbildes vorlaufig abschließen: in den

”Phi-

losophiae naturalis principia mathematica“ gibt er1687 eine erste abgeschlossene und systematischeBehandlung der Mechanik, und er stellt die Leh-re von der allgemeinen Gravitation auf. Damit ver-schmilzt er die Himmelsmechanik mit der irdischenPhysik. Die neue Denkmethode, das

”von unten her-

auf Argumentieren und Folgern“, wird zum erstenMale formuliert, und es wird dadurch die Behand-lung einer großen Zahl physikalischer und astrono-mischer Fragen angebahnt.

Hand in Hand mit der Entstehung der modernenNaturwissenschaften geht ein Wandel in der philo-sophischen Denkweise. In Frankreich versucht ReneDescartes (1596–1650) die von Galilei und Kepler indie Physik ein-

gefuhrte mathematische Methode auch auf andereS. 16Gebiete zu ubertragen und ein mechanistisches Bildder Naturvorgange zu entwerfen. Die Naturphiloso-phie Descartes’ ist der des Aristoteles vollig entge-gengesetzt: alle materiellen Dinge – auch die Pflan-zen und Tiere – sind mechanische Uhrwerke; nur fur

den Menschen existiert neben dieser mechanisti-schen noch eine geistige Welt.

Im 17. Jahrhundert, in dem sich die entscheiden-den Phasen in der Entwicklung der neuen natur-wissenschaftlichen Denkweise vollziehen, entstehenneue Zentren wissenschaftlicher Arbeit, die Akade-mien. Zur gleichen Zeit tauchen die altesten wissen-schaftlichen Publikationen auf, die weiteren Kreisenden Zugang zu den neuen Erkenntnissen erst ermog-lichen.

In Italien wird als eine der ersten wissenschaftlichenGesellschaften die Accademia dei Lincei 1603gegrundet, zu deren Mitgliedern auch Galilei zahlteund die noch heute unter dem Namen AccademiaNazionale dei Lincei besteht. Wesentliche Impulsefur die Forderung der experimentellen physikali-schen Forschung in Italien gehen von der Mittedes 17. Jahrhunderts gegrundeten Accademia delCimento aus.

Fast gleichzeitig entstehen die Royal Society in Lon-don (1662) und die Pariser Akademie der Wissen-schaften (1666).

Die alteste wissenschaftliche Gesellschaft inDeutschland – abgesehen von einigen kurzlebigenVereinigungen – wird 1652 unter dem NamenAcademia Naturae Curiosorum in Schweinfurtgegrundet. Sie wirkt noch heute unter dem NamenLeopoldinisch-Carolinische-Deutsche Akademie derNaturforscher in Halle/Saale. Bis zur Grundungder preußischen Akademie der Wissenschaften 1700durch Leibniz in Berlin war sie die bedeutendstewissenschaftliche Gesellschaft in Deutschland.

Nach diesen einleitenden Kapiteln wenden wir unsunserer eigentlichen Aufgabe zu, der physikalischenund astronomischen Forschung an der ChristianaAlbertina.

5

II Physikalischer und astronomischer Unterricht an derChristiana Albertina im 17. und 18. Jahrhundert

A Samuel Reyher (1635–1714)

Noch im Grundungsjahr 1665 wird Samuel Reyher[Abb. II.1] an die Hochschule berufen. Obwohl erProfessor fur Mathematik ist, sind fur ihn mathe-matische Methoden und Erkenntnisse in erster Li-nie Hilfsmittel zur Behandlung physikalischer Pro-bleme.

Abbildung II.1: Samuel Reyher (1635–1714). (aus:SCHMIDT, CHARLOTTE:

”Die Entwicklung der

Physik an der Universitat Kiel“, 1961 )

Samuel Reyher wird am 19. 4. 1635 in Schleusin-S. 17gen (Thuringen) geboren, wo sein Vater Rektor amGymnasium ist. In Leipzig beginnt er 1654 mitdem Studium der Mathematik und Jurisprudenz.Es nimmt sich ein einflußreicher Ratsherr seiner anund ermoglicht ihm eine Studienreise nach Holland,wo er sich neben seinen eigentlichen Fachern auchmit architektonischen Studien befaßt. Sehr beein-druckt von dem wissenschaftlichen Leben in Hol-land kehrt er nach Leipzig zuruck. – Er arbeitetan allen moglichen Rechtsfragen und halt als Ma-

gister der philosophischen Fakultat auch daruberVorlesungen. Der Herzog von Gotha wird auf denjungen Reyher aufmerksam, macht ihn zum Erzie-her seines altesten Sohnes und schickt ihn als Be-gleiter des Prinzen auf eine Bildungsreise nach Hol-land. Wieder nach Deutschland zuruckgekehrt, be-schließt Reyher, seine juristischen Studien in Leidenzu Ende zu fuhren. Auf der Fahrt dorthin muß erin Rinteln an der Weser eine Zeitlang Station ma-chen, da in Holland die Pest ausgebrochen war. Die-ser Aufenthalt gibt seinen Planen eine ganz neueRichtung. Er lernt hier den Philosophen M. Watsonkennen, der gerade einen Ruf an die neugegrunde-te Christian-Albrechts-Universitat erhalten hat; aufdessen Fursprache hin wird Reyher als Mathematik-professor dorthin berufen. Ehe er jedoch sein Amtantritt, promoviert er noch in Holland mit einer Dis-sertation uber das Recht der Erstgeborenen.

Von Anfang an halt Reyher auch juristische Vor-lesungen, 1673 wird er Extraordinarius der juristi-schen Fakultat, 1692 ordentlicher Professor des Co-dex. Seine ausgedehnte Tatigkeit auf diesem Gebietsoll uns hier jedoch nicht interessieren.

In Kiel fuhlt sich Reyher bald heimisch. Er heiratet1672 eine Tochter des koniglichen Rates in Schles-wig I. A. Beselin. Er gewinnt durch seine rastloseTatigkeit und vielseitige Kenntnis die Anerkennungseiner Kollegen. Auch an auswartigen Ehrungenfehlt es ihm nicht. Der Herzog von Gotha – seinehemaliger Schuler – ernennt ihn 1682 zum sachsi-schen Rat. 1702 wird er Mitglied der Akademie derWissenschaften in Berlin, deren Prasident Leibnizmit Reyher eine lebhafte Korrespondenz unterhaltund ihn sehr schatzt.

Bis in sein hohes Alter behalt Reyher eine erstaun-liche Leistungsfahigkeit. Erst als 77jahriger wirder von seinem Lehramt entbunden; er stirbt am22. 11. 1714 und wird im Schleswiger Dom beige-setzt.

An der Kieler Hochschule gehort Reyher zu denmeist begehrten Lehrern. Auf Wunsch seiner Stu-denten findet er sich zu zahlreichen Privatkollegsneben seinen Pflichtvorlesungen bereit, er veranstal-tet physikalische Demonstrationen und praktischeUbungen, er baut und repariert seine Instrumenteselbst. Daneben kummert er sich um den Aufbau

7

II Physikalischer und astronomischer Unterricht im 17. und 18. Jahrhundert

der Selbstverwaltung der Hochschule und bekleidet9mal das Prorektorat (Rektor ist bis 1808 der jewei-lige Landesherr). Nicht zuletzt ist er literarisch sehrproduktiv; wir kennen uber 80 gedruckte Schriftenvon ihm.

In jeder Hinsicht ist Reyher sehr aufgeschlossen undS. 18aktiv. Er besitzt sichere Umgangsformen und eingesundes Selbstbewußtsein. Die Kollegen schatzenden sachlichen und doch entgegenkommenden Mannsehr; sein Name ist in ganz Deutschland bekannt undgeachtet.

Bei seiner Berufung bekommt Reyher den Auftrag,Vorlesungen uber hohere und niedere Mathematikzu halten. Die Einteilung der Mathematik in hohe-re und niedere ist an deutschen Universitaten des17. Jahrhunderts allgemein ublich. Reyher selbstcharakterisiert diese beiden Bereiche folgenderma-ßen: Zur hoheren Mathematik braucht man nur Er-kenntnis, zur niederen Mathematik ist auch prak-tische Arbeit notwendig, und man kann sie daherals die Lehre von den praktischen Kunsten bezeich-nen. Zur

”hoheren Mathematik“ rechnet Reyher die

Kosmographie, Astronomie, Astrologie, Chronolo-gie und Geographie. Mit Geodasie, Optik, Akustik,Feuerwerkerei (Pyrotechnik), burgerlicher und mi-litarischer Baukunst und allgemeiner Maschinenleh-re beschaftigt sich Reyher dagegen in der

”niederen

Mathematik“. Geometrie und Arithmetik werdenvon Reyher tunlichst als notwendige Handwerkszeu-ge zu beiden Teilen gezahlt, spater aber gesondertals

”mathesis pura“ behandelt. – Daß Reyher weite

Gebiete der Physik und anderer Naturwissenschaf-ten der Mathematik zuweist, laßt sich aus der Be-deutung des Begriffes Physik in der damaligen Zeitverstehen: Noch im 17. Jahrhundert ist es Aufga-be der Physik, eine allgemeine Beschreibung undErlauterung der Naturvorgange zu geben; ein heu-te wesentlicher Gesichtspunkt dagegen, namlich diestrenge, zahlenmaßige Erfassung von Naturerschei-nungen, ist ihr fremd. Alles, was eine Beziehung zuZahlen aufweist, wird daher der Mathematik zuge-ordnet. Erst durch Newtons

”Philosophiae naturalis

principia mathematica“ treten Bemuhungen, phy-sikalische Fragen auf mathematischer Grundlage zulosen, in den Vordergrund. Und erst viel spater – seitder Wende des 17. zum 18. Jahrhundert – wird derBegriff Physik in unserem heutigen Sinne verstan-den. Seit dieser Zeit gehoren Vorlesungen uber Ex-perimentalphysik an den Universitaten nicht mehrzu den

”Collegia curiosa“, sondern sind eine ech-

te Einfuhrung in die Physik an Hand von Experi-menten und Beobachtungsreihen (vgl. W. HuldrichWaldschmidt).1

1 In Deutschland werden Vorlesungen uber Experimental-

Reyhers Interesse gilt ganz uberwiegend der prak-tischen Frage: Wie kann die Mathematik am be-sten zur Erklarung und Nutzbarmachung von Na-turphanomenen herangezogen werden? Um hinterdieses Geheimnis der Natur zu kommen, macht Rey-her mit enormer Ausdauer Beobachtungsreihen, diesich oft uber Jahrzehnte erstrecken. Dieses Streben,durch Versuche zu neuen Erkenntnissen zu gelangen,zeigt Reyher als ganz

”modernen“ Wissenschaftler.

Aber das ist nur die eine Seite! In seinen Meinungenrichtet er sich nach den uberkommenen Ansichtenantiker

”Autoritaten“. Und es dauert oft lange, bis er seinen S. 19

Beobachtungen mehr glaubt als den traditionellenLehrmeinungen. Zu einer eigentlichen Entscheidungfur die modernen Anschauungen ist es nicht gekom-men.

Reyher ist streng glaubig im Sinne der protestanti-schen Kirche seiner Zeit. Die Bibel ist fur ihn nichtnur ein Buch der seelischen Erbauung, sondern dieQuelle unumstoßlicher wissenschaftlicher Wahrhei-ten; dabei schließt Reyher sogar die Geschichten derWunder ein.

Diese Einstellung zur Bibel, aber auch seine ganzeDenkweise, zeigt am deutlichsten Reyhers Haupt-werk, die

”Mathesis mosaica sive Loca Pentateuchi

Mathematica, mathematice Explicata, cum appen-dice aliorum S. Scrpt. Locorum Mathematicorum“(Kiel 1679). In rascher Folge wird der Leser durchalle Wissensgebiete gefuhrt. Dem Zeitgeschmackkommt die

”Mathesis“ dadurch entgegen, daß die

Anwendung der Wissenschaften in der Theologieverherrlicht und die Neugier durch mannigfache Ku-riositaten wachgehalten wird. Eine Bibelstelle istfur Reyher schon dann Anlaß zu naturwissenschaft-lichen Erorterungen, wenn sie auch nur eine Zah-lenangabe enthalt. An vielen Stellen tragt er einefast unentwirrbare Zahlenmystik vor. So beweist erz. B. an Hand einer Zahlenangabe aus der Genesis(Gen. 6, Vers 3), daß die Welt im Jahre 1739 un-tergehen werde. Mit dieser Meinung steht er ubri-gens nicht allein, von seinem Kollegen Wasmuthwird ahnliches erzahlt. Bei der Interpretation derWunder zeigt sich Reyher aber auch von der

”mo-

dernen“ Seite: er versucht, sie so weit wie moglichzu rationalisieren und mit Mitteln der Naturwissen-schaft zu erklaren. – An einer Bibelstelle im BuchJosua z. B. wird erzahlt, daß die Sonne stillgestan-den habe; hierzu erklart Reyher:

physik – ebenso wie uber Infinitesimalrechnung – das er-ste Mal von Christian Wolff gehalten. Die erste Vorlesunguber Experimentalphysik mit Demonstrationen halt Chri-stian Sturm 1672 an der Universitat Altdorf.

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A Samuel Reyher (1635–1714)

Dieses Wunder hat stattgefunden, es be-deutet aber nicht, daß sich die Sonne umdie Erde dreht, denn auch Kopernikusspricht vom Aufgang und Untergang derSonne, obwohl er genau gewußt hat, daßdiese Bewegung nur eine scheinbare ist. Eskommt nur darauf an, daß sich das Hellseinvon einem Tag auf zwei Tage verlangerthat, und dadurch wird weder die Ordnungder Himmelskorper noch der heiligen Chro-nologie gestort, denn die Erde hat ihregewohnte Bahn fortgesetzt, und nur ihreAchsendrehung hat auf das Geheiß Gotteshin fur einen Tag ausgesetzt. So hat dieErde der Sonne immer nur eine Seite zuge-kehrt, wie wir es vom Monde kennen. [VI]

Die Mathesis ist noch lange eine Fundgrube fur dieAutoren ahnlicher Werke. Sie findet reißenden Ab-satz, 1714 kommt es noch zu einer zweiten fragmen-tarischen Ausgabe, der

”Mathesis Biblica“.

In seinen mathematischen Vorlesungen benutzt Rey-her Rechenstabe, die den Neperschen ahnlich sind,und die ein holsteinischer Edelmann von Qualen er-funden haben soll. Diese Stabe dienen als Ersatzfur die Logarithmentafeln, deren Gebrauch Reyhermeist vermieden hat. Im Kolleg tragt er weiterhinuber Algebra und Arithmetik, vor allem aber auchuber Geometrie nach den Buchern des Euklid vor.1669 gibt er eine deutsche Bearbeitung der ersten6 Bucher Euklids heraus, um den Studenten dasEindringen in die Geometrie zu erleichtern. – Engverknupft mit der Mathematik ist fur Reyher dieGeodasie oder Feldmeßkunst.

Von Anfang an halt Reyher auch offentliche und pri-S. 20vate Vorlesungen uber Astronomie. Er benutzt da-bei

”Institutiones astronomicae“ (1647) des Pariser

Jesuiten Pierre Gassend (1592–1655), ein beruhm-tes Buch, das aber die Keplerschen Gesetze nichterwahnt. Spater empfiehlt er seinen Studentenauch die

”Institutiones astronomicae“ von Mercator

(London 1676). Bei der Erklarung einer von ihm be-obachteten Sonnenfinsternis halt er sich an die Leh-re von Kopernikus, die fur ihn das Fundament derAstronomie ist. Sie ist auch allein oder in Verbin-dung mit der Kosmographie oft Gegenstand seinerVortrage. Im Winter 1701/02 behandelt er die Be-wegung der Himmelskorper nach den Systemen vonKopernikus, Tycho Brahe, Longomontanus und Pto-lemaios. – Bei Angaben uber die Proportionen vonSonne und Planeten dienen ihm die Werke von Huy-gens und Cassini als Richtschnur, Keplers Angabenlaßt er außer acht. Auch 1711 liest Reyher theoreti-sche Astronomie noch nach Gassendi, wie er es schon

vor rund 50 Jahren getan hatte – und wir durfen dar-aus wohl entnehmen, daß er die Keplerschen Gesetzenicht gekannt hat.

Reyher, dessen Begeisterung vor allem der prak-tischen Forschung gehort, ist sehr glucklich, alsder Universitat 1667 astronomische Instrumente ausdem Besitze des Herrn Heinrich von Qualen gestif-tet werden. Er macht sich damit gleich an die Ar-beit: Die Instrumente werden auf dem Universitats-hof aufgestellt und den Studenten fur das kommen-de Semester astronomische Beobachtungen in jedersternklaren Nacht angekundigt. Diese Demonstra-tionen sind ein Ereignis fur Kiel, sie bringen Profes-soren und Studenten auf die Beine. Im Konsistoriumentwirft man sogar schon Plane fur ein Observato-rium, aber der Herzog hat fur solche Dinge – wieublich – kein Geld. So muß Reyher seine Instrumen-te notdurftig in der Bibliothek unterstellen. Spatermacht er seine Beobachtungen auf dem Schloßturm.– 1702 folgt sogar die herzogliche Familie einer Ein-ladung Reyhers zu

”astronomischen Darbietungen“.

Dieser Besuch verhilft Reyher schließlich zu einemObservatorium, das vermutlich auf dem Schloß er-richtet und 1703 zum erstenmal benutzt wird.2 DieBeobachtungen setzt Reyher mit den Studenten biszu seinem Tode fort: die Astronomie steht in sei-nen letzten 20 Lebensjahren im Vordergrund seinerInteressen.

Welche Instrumente mag Reyher in seiner”Stern-

warte“ beherbergt haben? 1685 gibt er in einer klei-nen Schrift [Nach XIII, S. 10] an:

”Instrumenta quibus erunt observationes

has instituerimus, erunt sequentia:Quadratum LongomontaniTorquetum Apiani Sphaera armillaris Ty- S. 21chonianaAstrolabium aeneum cum acu magneticaGlobus coelestis Globus terrestris “

und als Geschenk des Herrn von Qualen:

”His adjungenus ex nostris:

Astrolabium eburneumQuadrantem sesquipedalemAmusium magneticum vulgo Compass, Lu-sitanis Bussole dictu.“

In der Abhandlung”De observationibus astronomi-

cis“ (1703) erwahnt Reyher außerdem ein Mikrome-ter von Ole Romer, [Nach XIII, S. 10]

”. . . ope Te-

2 Nach Rodenberg-Pauls, S. 373 und”Index operarum“ WS

1703/04. Weyer bezweifelt, daß das Observatorium wirk-lich zustande gekommen ist.

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