37. Brief: Passionara und das Strafverfahren · Ladung der Beteiligten usw.) ... Bedeutend für die...

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37. Brief: Passionara und das Strafverfahren Liebe Passionara! Du möchtest eine Sensibilisierungshilfe für das „praktische Strafrecht“ haben, da Du meinst, das „theoretische Strafrecht“ gäbe es so „rein“ gar nicht. Recht hast Du! Das StGB verwirklicht sich in der Tat nicht aus sich selbst heraus, sondern findet sein Gepräge immer aus einem Rechtsfindungsprozess in einem Strafverfahren. Dem materiellen Strafrecht kann nur mit Hilfe des in der Strafprozessordnung niedergelegten formellen Strafverfahrensrechts zur Geltung verholfen werden. Ein StGB ohne StPO ist wie ein Schaft ohne Schneide! Nur mit einem solch komplexen, beide Rechtsgebiete umfassenden Verständnis ist den Bedürfnis- sen der Praxis Rechnung zu tragen. Das hast Du mit Deiner Frage sehr gut durchschaut! Ich werde jetzt versuchen, Dir anschaulich ein Strafverfahren von A bis Z so zu schil- dern, dass Du mit Freunde an diesem gewinnbringenden Prozess teilhast. Also: Der wegen Diebstahls erheblich vorbestrafte Jupp Schmitz riss am 08.01.20.. gegen 6.15 Uhr den Blendladen des Hoffensters am Anwesen Obere-Brüder-Straße 97 in Oberhausen des Eigentümers Helmut Schneider aus der Verankerung, zertrümmerte die dahinter befindliche Fensterscheibe, griff durch die so entstandene Öffnung und schaltete das Licht an. Er hatte die Absicht, in den Raum einzusteigen und zu stehlen, flüchtete aber, als er jemanden den durch die Geräusche geweckten Wohnungsinhaber die Treppe herabkommen hörte. Die Frage, ob und wie Jupp sich strafbar gemacht hat und welche Folgen seine Tat für ihn haben kann, beantwortet das materielle Strafrecht. Es ist im Wesentlichen im StGB geregelt. Hier kommen die §§ 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB in Betracht, ein Rücktritt scheidet mangels „Freiwilligkeit“ aus. Die Frage, durch wen und auf welchem Wege die Strafbarkeit des Jupp festgestellt und eine Strafe verhängt und eine verhängte Strafe vollstreckt wird, beantwortet das formelle Strafrecht (Strafverfahrensrecht). Das Strafverfahrensrecht ist die Summe der Normen, die die Feststellung strafbaren Ver- haltens, dessen Rechtsfolgen und die Durchsetzung der Rechtsfolgen betreffen. Wohingegen

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37. Brief: Passionara und das Strafverfahren

Liebe Passionara!

Du möchtest eine Sensibilisierungshilfe für das „praktische Strafrecht“ haben, da Du

meinst, das „theoretische Strafrecht“ gäbe es so „rein“ gar nicht. Recht hast Du! Das StGB

verwirklicht sich in der Tat nicht aus sich selbst heraus, sondern findet sein Gepräge immer

aus einem Rechtsfindungsprozess in einem Strafverfahren. Dem materiellen Strafrecht kann

nur mit Hilfe des in der Strafprozessordnung niedergelegten formellen Strafverfahrensrechts

zur Geltung verholfen werden. Ein StGB ohne StPO ist wie ein Schaft ohne Schneide! Nur

mit einem solch komplexen, beide Rechtsgebiete umfassenden Verständnis ist den Bedürfnis-

sen der Praxis Rechnung zu tragen. Das hast Du mit Deiner Frage sehr gut durchschaut!

Ich werde jetzt versuchen, Dir anschaulich ein Strafverfahren von A bis Z so zu schil-

dern, dass Du mit Freunde an diesem gewinnbringenden Prozess teilhast.

Also:

Der wegen Diebstahls erheblich vorbestrafte Jupp Schmitz riss am 08.01.20.. gegen 6.15 Uhr

den Blendladen des Hoffensters am Anwesen Obere-Brüder-Straße 97 in Oberhausen des

Eigentümers Helmut Schneider aus der Verankerung, zertrümmerte die dahinter befindliche

Fensterscheibe, griff durch die so entstandene Öffnung und schaltete das Licht an. Er hatte

die Absicht, in den Raum einzusteigen und zu stehlen, flüchtete aber, als er jemanden – den

durch die Geräusche geweckten Wohnungsinhaber – die Treppe herabkommen hörte.

Die Frage, ob und wie Jupp sich strafbar gemacht hat und welche Folgen seine Tat für ihn

haben kann, beantwortet das materielle Strafrecht. Es ist im Wesentlichen im StGB geregelt.

Hier kommen die §§ 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB in Betracht, ein Rücktritt

scheidet mangels „Freiwilligkeit“ aus.

Die Frage, durch wen und auf welchem Wege

die Strafbarkeit des Jupp festgestellt und eine Strafe verhängt und

eine verhängte Strafe vollstreckt wird,

beantwortet das formelle Strafrecht (Strafverfahrensrecht).

Das Strafverfahrensrecht ist die Summe der Normen, die die Feststellung strafbaren Ver-

haltens, dessen Rechtsfolgen und die Durchsetzung der Rechtsfolgen betreffen. Wohingegen

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das Strafrecht die Summe der Normen ist, welche die Voraussetzungen strafbaren Verhaltens

und dessen Rechtsfolgen betreffen.

Die gesetzlichen Grundlagen des Strafverfahrensrechts sind folgende:

Das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), in welchem der Aufbau und die Zusammenset-

zung sowie die sachliche und funktionelle Zuständigkeit der einzelnen Gerichte geregelt

ist

Die Strafprozessordnung (StPO), in der das eigentliche „Verfahrensrecht“ geregelt ist,

also die rechtlichen Normen, welche den konkreten Ablauf des Strafverfahrens vor dem

zuständigen Gericht betreffen

Das Jugendgerichtsgesetz (JGG), welches die Besonderheiten im Verfahren gegen Ju-

gendliche und Heranwachsende regelt

Das Grundgesetz (GG), hier sind insbesondere zu beachten:

- Art. 101 GG (Verbot von Ausnahmegerichten und Anspruch auf den gesetzlichen

Richter)

- Art. 103 GG (Abs. 1: Anspruch auf rechtliches Gehör; Abs. 2 „nullum crimen sine le-

ge“ (kein Verbrechen ohne Gesetz), sowie Abs. 3: „ne bis in

idem“(keine erneute Bestrafung für die gleiche Straftat))

Das Strafgesetzbuch (StGB) bzgl. Verfolgungsvoraussetzungen und Verfolgungshinder-

nissen, namentlich

- Strafantrag, §§ 77 bis 77 d StGB

- Verfolgungsverjährung, §§ 78 ff StGB

Die Zivilprozessordung (ZPO) hinsichtlich der Zustellungsvorschriften. Denn über § 37

Abs. 1 StPO gelten für die Zustellung auch im Strafverfahren die Vorschriften der ZPO,

also insbesondere die §§ 166 ff ZPO

Die Menschenrechtskonvention (MRK), in der neben der sog. Unschuldsvermutung (Art.

6 Abs. 2 MRK) strafprozessuale Garantien festgeschrieben sind, vgl. Art. 6 Abs. 1 und 3

MRK (u.a. Grundsatz des fairen Verfahrens, Recht auf Verteidigung);

Das Strafverfahren, dem sich Jupp Schmitz ausgesetzt sieht, gliedert sich in zwei Haupt-

abschnitte: das Erkenntnisverfahren und das Vollstreckungsverfahren.

Den Einschnitt zwischen beiden bildet die Rechtskraft des Urteils (§ 449 StPO).

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Das Erkenntnisverfahren ist wiederum in mehrere Abschnitte aufgeteilt:

Der erste Abschnitt, das Ermittlungsverfahren, dient der umfassenden Aufklärung der

Straftat und der Person des Täters durch Polizei und Staatsanwaltschaft und schließt mit

der Einreichung der Anklageschrift bei Gericht ab.

Mit der Anklageerhebung beginnt der zweite Abschnitt, das Zwischenverfahren, in dem

das Gericht dem Angeschuldigten die Anklage zustellt und ihm Gelegenheit zur Stel-

lungnahme und zur Anbringung von Beweisanträgen gibt. Es schließt mit der Entschei-

dung des Gerichtes über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfah-

rens, dem Eröffnungsbeschluss.

Dieser leitet über in den dritten Abschnitt, das Hauptverfahren. Das Hauptverfahren

setzt sich zusammen aus der Vorbereitung der Hauptverhandlung (Terminsbestimmung,

Ladung der Beteiligten usw.) und der eigentlichen Hauptverhandlung, dem Kernstück des

Strafverfahrens. In ihr wird aufgrund mündlicher Verhandlung und Beweiserhebung über

Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten durch Urteil entschieden.

Innerhalb des Vollstreckungsverfahrens ist zu unterscheiden zwischen:

Strafvollstreckung: Das ist die Einleitung und allgemeine Überwachung der Ausführung

des Urteils. Die Strafvollstreckung liegt in den Händen der Staatsanwaltschaft (§ 451

Abs. 1 StPO) und ist gem. § 31 Abs. 2 RPflG im Wesentlichen dem Rechtspfleger über-

tragen.

Strafvollzug: Das ist die Durchführung der Strafmaßnahme selbst und die Regelung der

damit zusammenhängenden Einzelfragen. Der Strafvollzug liegt im Wesentlichen in den

Händen besonderer Vollzugsbehörden, denen der Justizvollzugsanstalten.

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Der Ablauf des Strafverfahrens im groben Überblick für Dich

Begehung einer Straftat

Nach materiellem Strafrecht zu beurteilen.

Ermittlungsverfahren

(Vorverfahren) §§ 160 bis 177 StPO

In der Praxis eingeleitet durch Strafanzeige oder Strafantrag, § 158 StPO oder durch dienst-

lich erlangte Kenntnis von Amts wegen, § 160 I StPO

Ziel:

Die Staatsanwaltschaft hat zu ermitteln, ob ein „genügender Anlass zur Erhebung der öffentli-

chen Klage“ (§ 170 Abs. 1 StPO) gegen den Beschuldigten gegeben ist. Dies ist der Fall,

wenn nach Auffassung der StA die Verurteilung des Beschuldigten mit Wahrscheinlichkeit zu

erwarten ist.

Anderenfalls erfolgt Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdachts. Zu beachten

sind allerdings auch – in der Praxis wichtig – die Möglichkeiten der Einstellung wegen Ge-

ringfügigkeit oder nach Auflagenerfüllung gemäß §§ 153, 153a StPO. Erfolgt keine Einstel-

lung, so kommt es zu der

Anklageerhebung

durch die Staatsanwaltschaft, § 170 Abs. 1 StPO, bei dem erstinstanzlich zuständigen Gericht.

Der bisher „Beschuldigte“ wird hierdurch zum „Angeschuldigten“, § 157 StPO.

Zwischenverfahren §§ 199 bis 211 StPO

Dem Angeschuldigten wird die Anklageschrift zugestellt zwecks gerichtlichen Gehörs. Das

Gericht hat unter Berücksichtigung möglicher Einwendungen des Angeschuldigten zu prüfen,

ob der von der Staatsanwaltschaft angenommene hinreichende Verdacht tatsächlich gegeben

ist; kommt es zu einem negativen Ergebnis, wird die Eröffnung des Hauptverfahrens abge-

lehnt (§ 204 StPO); anderenfalls kommt es zum

Eröffnungsbeschluss § 207 StPO,

der „hinreichenden Tatverdacht“ voraussetzt (§ 203 StPO); auch dies bedeutet hinreichende

Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung. Aus dem „Angeschuldigten“ wird der „Ange-

klagte“, § 157 StPO.

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Hauptverfahren §§ 213 bis 295 StPO

Die Hauptverhandlung (§§ 226 bis 275 StPO) ist das „Kernstück“ des Strafverfahrens: Das

Gericht hat in der Beweisaufnahme zu prüfen, ob der Angeklagte einer Straftat tatsächlich

schuldig ist. Soweit keine Einstellung des Verfahrens erfolgt, kommt es, egal ob Freispruch

oder Verurteilung, immer zu einem

Urteil;

§ 260 StPO,

welches Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens (Berufung/Revision) sein kann und im Fal-

le der Rechtskraft Grundlage ist für die

Vollstreckung,

§§ 449 ff StPO,

einer verhängten Strafe (einschließlich der Möglichkeiten einer Reststrafen-Aussetzung zur

Bewährung, der Anordnung von Führungsaufsicht u.a.m.).

Das Ziel des Strafverfahrens ist die möglichst nachhaltige Verfolgung und Bestrafung al-

ler Straftaten des Jupp Schmitz. Die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs erfordert

unter Umständen tiefe Eingriffe in die Freiheitssphäre des Beschuldigten. Andererseits muss

die Schuld oder die Unschuld aber erst noch festgestellt werden. Das erfordert ein möglichst

schonendes, behutsames Vorgehen gegenüber dem vielleicht unschuldigen Beschuldigten.

Der darin liegenden Kollision der Interessen des Staates an einer nachhaltigen Strafver-

folgung und denjenigen des Einzelnen an einem umfassenden Schutz vor Eingriffen in seine

Freiheits- und Persönlichkeitsrechte muss die Strafverfahrensordnung Rechnung tragen. Das

Strafverfahren sucht diesen Ausgleich herzustellen durch bestimmte, das Verfahren tragende

rechtsstaatliche Grundsätze (Maxime). Diese Prinzipien beruhen außer auf den verfassungs-

rechtlichen Garantien auch auf Erfahrungs- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten.

Nunmehr will ich Dir die Beteiligten am Strafverfahren vorstellen, ihren Stand und Ih-

re Rechte und Pflichten.

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1. Die Staatsanwaltschaft

Ihre Aufgaben:

Sie ist Herrin des Ermittlungsverfahrens, §§ 160, 161 I, 163 I StPO

Sie ist Anklagevertreterin im Zwischen- und Hauptverfahren

Sie ist Strafvollstreckungsbehörde, § 451 StPO

Ihre Organisation:

Sie weist einen hierarchischen Aufbau auf, unabhängig von und parallel zu den Gerich-

ten, §§ 150, 145 ff GVG

Ihre Struktur ist monokratisch mit einem Behördenleiter an der Spitze, für den der indivi-

duelle Staatsanwalt immer als Vertreter handelt, § 144 GVG

Die Staatsanwaltschaft ist im Unterschied zu den Gerichten nicht unabhängig, sondern

untersteht als weisungsgebundene Behörde dem Landesjustizminister.

Ausprägungen des hierarchischen und monokratischen Aufbaus sind

- das externe Weisungsrecht des Justizministers, § 147 Nr. 1, 2 GVG

- das interne Weisungsrecht des Behördenleiters

- das Substitutionsrecht, d.h. jeder zunächst zuständige Staatsanwalt kann durch den

Behördenleiter oder den Justizminister ausgetauscht werden

- das Devolutivrecht; dies bedeutet, dass der jeweilige Behördenleiter den Fall selbst an

sich ziehen kann, § 145 I 2. Alt. GVG.

Grenzen des Weisungsrechts: An Weisungen, deren Erfüllung eine Straftat (Strafvereite-

lung im Amt, § 258 a StGB) oder eine Verletzung der Menschenwürde (Folter) darstellen

würde, ist der einzelne Staatsanwalt nicht gebunden.

2. Die Polizei

Ihre Aufgaben:

Zum einen die repressive Funktion zur Aufklärung begangener Straftaten. Hierfür sind

die StPO und das GVG maßgebend.

Zum anderen die präventive Funktion zur Gefahrenabwehr. Hierfür sind in erster Linie

die Polizeigesetze der Länder maßgebend.

Ihr Verhältnis zur StA bei repressiver Tätigkeit:

§ 152 GVG: Die Polizei fungiert als Ermittlungsperson

§ 161 I 2 StPO: Verpflichtung, nach Vorgaben der StA tätig zu werden

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§ 163 I, II StPO: Recht und Pflicht, unabhängig von der StA im sog. ersten Zugriff tätig

zu werden, muss aber unverzüglich (rechtstheoretisch) (§ 121 BGB) oder bei kleineren

und mittleren Straftaten nach Ausermittlung (rechtstatsächlich) an die StA weiterleiten

3. Der Beschuldigte

Seine Bezeichnung:

Beschuldigter ist derjenige, gegen den das Ermittlungsverfahren läuft, § 157 StPO

Angeschuldigter ist der Beschuldigte, gegen den das Zwischenverfahren läuft, § 157

StPO

Angeklagter ist der Beschuldigte, gegen den das Hauptverfahren läuft, § 157 StPO

Verurteilter ist derjenige, gegen den ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, z.B. § 451 III

StPO

Beginn der Beschuldigteneigenschaft:

Anfangsverdacht und

Strafverfolgungswille

Bedeutend für die Abgrenzung Beschuldigter/Zeuge

Ein Verdächtiger wird zum Beschuldigten durch konkludentes Handeln der Verfolgungs-

behörde, indem sie Maßnahmen ergreift, die nur gegen Beschuldigte zulässig sind (z.B.

Verhaftung)

Rechte des Beschuldigten:

Anwesenheitsrecht, §§ 168 c II, 230 StPO; Ausnahmen aber in §§ 168 c III, 231 II, 231 a

– 233, 247 StPO, damit der Angeklagte nicht das ordnungsgemäße Verfahren behindern

kann

Aufklärungsrecht, § 136 I StPO über Tat und Strafvorschriften; Ausnahme bei polizeili-

chen Vernehmungen im Hinblick auf Strafvorschriften, § 163 a IV 1, 2

Aussageverweigerungsrecht, §§ 136 I 2, 243 IV 1 StPO

Recht auf Verteidigung, §§ 136 I 2, 137 StPO

Beweisantragsrecht, §§ 136 I S. 3, 219, 244 ff StPO

Fragerecht an Zeugen und Sachverständige, § 240 II StPO

Recht auf notwendige Verteidigung (Pflichtverteidigung) nur in den Fällen des § 140

StPO

Rechtliches Gehör, Art. 103 I GG, konkretisiert in §§ 33, 136 I, II, 201, 243 IV, 258 I, II,

265 StPO

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Pflichten des Beschuldigten:

Anwesenheitspflicht, §§ 230, 231 StPO; Ausnahmen in § 233 StPO

Duldungspflicht von Zwangsmaßnahmen

(U-Haft; vorläufige Festnahme; körperliche Untersuchung; molukulargenetische Unter-

suchung; Sicherstellungen; Telekommunikationsüberwachungen; Raumüberwachung;

Durchsuchungen)

Erscheinungspflicht vor Ermittlungsrichter und StA im Ermittlungsverfahren, §§ 133,

163 a III 1 StPO. Im Nichterscheinensfalle ist zwangsweise Vorführung zulässig, §§ 133

II, 163 a III 2 StPO, allerdings nicht vor der Polizei, arg. e.c. § 163 a III gegen § 163 a IV

StPO.

4. Der Verteidiger

Sein Stand:

Unabhängiges Organ der Rechtspflege

Beistand (nicht einseitiger Interessenvertreter, nicht Vertragspartner) des Beschuldigten

- Unzulässig ist allerdings die rechtsmissbräuchliche Konfliktverteidigung (exzessive

Ausnutzung von Verteidigerrechten)

- Unabhängigkeit vom Mandanten, Handeln aus eigenem Recht bei Befangenheits-

oder Beweisanträgen, selbst gegen den Willen des Beschuldigten

- Ausnahme: Keine Rechtsmitteleinlegung gegen den Willen, § 297 StPO; Umkehr-

schluss: Nichteinlegung eines Rechtsmittels trotz Mandatierung ist zulässig.

Rechte des Verteidigers:

Akteneinsichtsrecht, § 147 StPO; im Ermittlungsverfahren gem. §§ 147 II, 169a StPO,

allerdings beschränkt bei Gefährdung des Ermittlungserfolges

Anwesenheitsrecht, § 168 c I, II, 163 a III 2 StPO

Beweisantragsrecht, § 244 ff StPO

Erklärungsrecht zu jeder Zeit des Verfahrens, § 257 II StPO

Fragerecht, § 240 II StPO

Kontaktrecht, § 148 StPO

Pflichten des Verteidigers:

Verschwiegenheitspflicht, § 203 I Ziff. 3 StGB

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Wahrheitspflicht, das bedeutet, dass er nicht lügen darf. Wahrheitspflicht bedeutet jedoch

(s. § 203 StGB) nicht die Offenbarung belastender Tatsachen.

Arten der Verteidigung:

Wahlverteidiger (bis max. drei) durch freie Wahl des Beschuldigten, §§ 137, 138 StPO

Pflichtverteidiger in den Fällen des § 140 StPO; nimmt der Beschuldigte doch noch einen

Wahlverteidiger, so ist die Pflichtverteidigung rückgängig zu machen, § 143 StPO.

5. Der Zeuge

Sein Stand:

Zeuge ist eine Person, die vor einem Gericht über ihre optischen, akustischen,

geruchlichen oder haptischen Sinneswahrnehmungen durch eine Aussage berichten soll.

Rechte des Zeugen:

Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 StPO

Eidesverweigerungsrecht, § 61 StPO

Zeugnisverweigerungsrechte

- aus persönlichen Gründen, § 52 I StPO, wegen der Interessenkollision zwischen

Wahrheitspflicht und Familiensolidarität

- aus beruflichen Gründen, § 53 StPO, wegen des zu schützenden Vertrauensverhält-

nisses

Beistand durch einen Rechtsanwalt (§ 68 b StPO)

Pflichten des Zeugen:

Aussagepflicht, §§ 68, 69 StPO

Eidespflicht, § 59 I StPO; Ausnahmen § 60 Nr. 1, 2 StPO

Erscheinungspflicht vor Richter, §§ 48, 51 StPO, und StA, § 161 a I StPO, nicht dagegen

vor der Polizei

Wahrheitspflicht, § 57 StPO, §§ 153, 154, 258 StGB

6. Der Richter

Sein Stand:

Der Richter ist als Herr des Zwischen- und Hauptverfahrens das wichtigste Prozesssub-

jekt: unabhängig, unparteilich, unvoreingenommen und grundgesetzlich in Art. 97 GG ge-

schützt. Seine Rechte und Pflichten sind im DRiG näher bestimmt. Nach dem Amtsermitt-

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lungsgrundsatz ist er das wichtigste Prozesssubjekt und leitet allein die Hauptverhandlung, §

244 II StPO.

Sein Ausschluss kraft Gesetzes ist in den §§ 22, 23 StPO dann vorgesehen, wenn objekti-

ve Gründe für eine mögliche Voreingenommenheit bestehen.

Seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist dann möglich, wenn ein vernünf-

tiger Angeklagter aus seiner Sicht begründete Zweifel daran haben kann, dass ihm der Richter

nicht mehr unbefangen gegenüber steht, § 24 I, II StPO. Unerheblich ist, ob er tatsächlich

befangen ist.

Jedes Strafverfahren beginnt mit einem Ermittlungsverfahren.

Bevor wir uns dem Gang des Strafverfahrens im Einzelnen zuwenden, erscheint es erfor-

derlich, die besondere Problematik des Strafverfahrensrechts anzusprechen. Hier besteht ein

offensichtlicher Interessenkonflikt zwischen dem Staat, dem es obliegt, Straftaten unnachgie-

big zu verfolgen und aufzuklären, und den Interessen des Bürgers, nicht zu Unrecht mit einem

für ihn belastenden Verfahren oder sonstigen Eingriffen in seine Privatsphäre überzogen zu

werden.

Die Lösung dieses Interessenkonflikts, welche Eingriffsrechte also der Staat sich letztlich

selbst zugesteht, kann als Parameter für das grundsätzliche Verhältnis zwischen dem Staat

und seinen Bürgern betrachtet werden: Je freiheitlicher die Rechtsordnung ist, umso stärker

sind die Individualrechte ausgestaltet. Ein Blick auf die Diktaturen dieser Welt macht die

Verachtung von Menschenrechten deutlich.

Um den Interessenkonflikt zwischen Strafverfolgung einerseits und der Abwehr von als

ungerecht empfundenen Grundrechtseingriffen andererseits rechtsstaatlich akzeptabel zu lö-

sen, sind für den Bereich des Strafverfahrens folgende Verfahrensprinzipien von entscheiden-

der Bedeutung.

● Die Offizialmaxime

Der geschädigte Hauseigentümer Helmut Schneider will sowohl den Ersatz des ihm entstan-

denen Schadens als auch die Bestrafung des ihm bekannten Täters Jupp Schmitz erreichen. Er

wendet sich an die Polizeibehörde in Oberhausen. Dort wird ihm erklärt, man habe schon

genug zu tun und sei völlig überlastet. Er solle das mit Jupp Schmitz selbst ausmachen. Ver-

hält sich die Polizei richtig?

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●● Was die Wiedergutmachung des Schadens anbelangt, hat die Polizei Recht!

Helmut hat einen zivilrechtlichen Anspruch auf Ersatz des Schadens an seinem Haus

gem. § 823 Abs. 1 und 2 BGB (i.V.m. § 303 StGB) gegen Jupp. Wenn Jupp nicht freiwil-

lig Ersatz leistet, muss Helmut gegen ihn im Zivilprozess klagen und aus dem erstrittenen

Urteil vollstrecken. Um zivilrechtliche Ansprüche einzelner gegeneinander kümmert sich

der Staat nicht von sich aus, weil Interessen der Gemeinschaft nicht auf dem Spiele ste-

hen. Der Staat stellt mit dem Zivilprozessverfahren lediglich einen Weg zur friedlichen

Lösung des Konfliktes zur Verfügung und überlässt es den Beteiligten in eigener Partei-

enherrschaft, ob und in welchem Umfang sie davon Gebrauch machen wollen. Die Betei-

ligten sind die Herren des Verfahrens. Das nennt man Parteimaxime oder

Dispositionsmaxime.

Insoweit hat also die Polizeibehörde zu Recht Helmut an Jupp Schmitz verwiesen.

●● Im Hinblick auf die Bestrafung irrt die Polizeibehörde!

Jupp Schmitz hat eine strafbare Handlung begangen gem. §§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 22,

23 Abs. 1 StGB. Die Verfolgung strafbarer Handlungen liegt im öffentlichen Interesse.

Die Sicherung des Rechtsfriedens und die Bewährung der Rechtsordnung gegen das Un-

recht verlangen im Interesse der Gemeinschaft aller Bürger, dass Straftaten nicht

unverfolgt und schuldige Täter nicht unbestraft bleiben. Deshalb hat der Staat nicht nur

das Recht, sondern auch die Pflicht zur Strafverfolgung – und zwar unabhängig vom Wil-

len des Verletzten. Das Offizialprinzip bestimmt die Aufgabe der Strafverfolgung zur

Aufgabe des Staates. Die für die Strafverfolgung zuständigen Behörden Polizei, StA und

Gericht haben von Amts wegen einzuschreiten und Ermittlungen anzustellen, sobald sie

von einer strafbaren Handlung Kenntnis erlangen. Dieser Grundsatz ist in den §§ 152

Abs. 2, 160 (für die Staatsanwaltschaft), in § 163 (für die Polizei) und in § 244 Abs. 2

StPO (für das Gericht) in Formulierungen niedergelegt, denen man das sog. Offizialprin-

zip entnommen hat.

Schneider kann also auf der Aufnahme seiner Strafanzeige bestehen, welche die Polizei

protokollieren muss, um anschließend die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.

Das für das Strafrecht geltende Offizialprinzip erfährt jedoch drei wesentliche Einschränkun-

gen, nämlich:

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●● Bei Antragsdelikten

(z.B. §§ 123, 185 (194), 230, 247. 248a, 248b, 263 Abs. 4 i.V.m. 248a, 288, 289, 303

(303c) StGB). Auf diese Normen wird im Rahmen der sog. Verfahrenshindernisse noch

einzugehen sein. Gemeinsam ist diesen Delikten, dass ein Zwang der Staatsanwaltschaft

zum Einschreiten nicht besteht.

●● Bei Ermächtigungsdelikten

(z.B. §§ 90 Abs. 4 StGB, Verunglimpfung des Bundespräsidenten, 90 b Abs. 2 StGB,

Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen, 353 b Abs. 4 StGB,

Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht). Hier

ist die Strafverfolgung abhängig von einer Ermächtigung durch das betreffende Staatsor-

gan.

●● Bei Privatklagedelikten, §§ 374 ff StPO

Die Verfolgung der in dieser Vorschrift aufgeführten Straftaten liegt nach der Wertung

des Gesetzgebers in der Regel nicht im öffentlichen Interesse, so dass die Staatsanwalt-

schaft auf den Privatklageweg verweisen kann, vgl. § 376 StPO.

Die 19-jährige Petra aus Bonn will sich von ihrem Freund Fritz trennen. Da dieser hiermit

nicht einverstanden ist, kommt es zwischen beiden zu Tätlichkeiten, die letztlich in einer Ver-

gewaltigung gipfeln. Auf Anraten ihrer Freundinnen und Eltern zeigt Petra ihren Ex-Freund

daraufhin an. Später reut sie dieser Entschluss, da sie sich zwischenzeitlich mit ihrem Freund

wieder ausgesöhnt und sogar verlobt hat. Aus diesem Grunde schreibt sie an die Staatsan-

waltschaft, sie „nehme die Anzeige zurück“.

Hat diese Erklärung Auswirkungen auf das Verfahren?

Die Vergewaltigung durch Fritz ist weder Antrags- noch Privatklagedelikt, so dass die

zur Einleitung des Strafverfahrens zuständigen Behörden gegen Fritz auch gegen den Willen

von Petra ermitteln müssen.

Die zur Einleitung des Strafverfahrens zuständige Behörde ist die Staatsanwaltschaft (§§

152 Abs. 2, 160, 161, 161 a StPO). Sie beherrscht und bestimmt das Ermittlungsverfahren,

jedoch sind die besonders in die Freiheitssphäre einschneidenden Maßnahmen (z.B. Anord-

nung der Untersuchungshaft) der Entscheidung des Gerichts vorbehalten. Zu ihrer Unterstüt-

zung bedient sich die Staatsanwaltschaft der Polizei als Ermittlungsorgan (§§ 152 GVG, 161

StPO). Die Polizei ist aber auch selbständig zum Einschreiten verpflichtet (§ 163 Abs. 1

StPO).

Die Polizeibehörde in Bonn muss demnach gegen Fritz ermitteln. Sie hat ihn vorzuladen

und gemäß § 163 a StPO verantwortlich zu vernehmen. Sie hat ferner Spuren am Tatort zu

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sichern und Zeugen zu vernehmen, kurz alle zur Aufklärung der Tat wesentlichen Umstände –

auch solche, die den Verdächtigen entlasten (§ 160 Abs. 2 StPO) – zu ermitteln. Nach Ab-

schluss ihrer Ermittlungen muss sie die Akten mit dem Ermittlungsergebnis der Staatsanwalt-

schaft übersenden (§ 163 Abs. 2 S. 1 StPO).

● Das Legalitätsprinzip

Die Akten über das Verfahren gegen Jupp Schmitz werden nach Übersendung durch die Poli-

zei dem für die Sache zuständigen Staatsanwalt Dr. Walter vorgelegt. Dieser stellt fest, dass

Jupp Mitglied des Honoratiorenklubs „Heideblümchen e.V.“ ist und möchte – um Aufsehen

zu vermeiden – davon absehen, die öffentliche Anklage zu erheben. Kann er das?

Nach § 152 Abs. 2 StPO ist die Staatsanwaltschaft als Vertreterin des Staates nicht nur

berechtigt, vielmehr verpflichtet, wegen aller verfolgbarer Straftaten einzuschreiten; nach §

160 StPO hat sie den Sachverhalt zu erforschen. Die Staatsanwaltschaft kann also nicht nach

eigenem Ermessen verfahren, sondern ist gesetzlich verpflichtet, bei Vorliegen zureichender

tatsächlicher Anhaltspunkte dem Verdacht einer strafbaren Handlung nachzugehen und darf

sich nicht durch irgendwelche Rücksichten, persönliche Überzeugungen oder Zweckmäßig-

keitserwägungen davon abhalten lassen, zu ermitteln und gegebenenfalls Anklage zu erheben

(sog. Legalitätsprinzip). Dieses Prinzip gilt selbstverständlich auch für die Polizei (§ 163

StPO).

Es erstreckt sich auch auf außerdienstliche Kenntniserlangung von strafbaren Handlun-

gen, wenn es sich um schwere Straftaten handelt.

Schließlich gilt das Legalitätsprinzip nicht nur für die tatsächlichen Ermittlungen, son-

dern auch für die rechtliche Beurteilung. Staatsanwaltschaft und Polizei sind an das Gesetz

und die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden. Mit diesem Prinzip soll sichergestellt

werden, dass unter Ausschluss jeglicher Willkür und ohne Ansehen der Person jede Straftat

verfolgt und bestraft und damit das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in eine gerechte Justiz

erhalten wird.

Der zuständige Staatsanwalt Dr. Walter kann also nicht von der Anklageerhebung abse-

hen.

Frage: Wie, wenn Dr. Walter gleichwohl nicht anklagt, sondern gem. § 170 Abs. 2 StPO ein-

stellt?

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Dieser für das Strafverfahren wesentliche Legalitätsgrundsatz wird in zweifacher Hin-

sicht abgesichert und zwar:

●● Formell-rechtlich: Zur Absicherung des Legalitätsprinzips hat der Gesetzgeber in den §§

171 ff. StPO das sog. Klageerzwingungsverfahren vorgesehen, mit dem der Verletzte die

Behörde der Staatsanwaltschaft durch gerichtlichen Beschluss zur Anklageerhebung

zwingen kann (§ 175 StPO). Für wie bedeutsam der Gesetzgeber das Legalitätsprinzip

hält, zeigt sich darin, dass er die Entscheidung in die Zuständigkeit des Oberlandesge-

richts gelegt hat (§ 172 Abs. 4 StPO).

Petra kann also gegen die Einstellung gem. §§ 171, 172 StPO vorgehen.

●● Materiell-rechtlich: Der Staatsanwalt läuft Gefahr, sich der Strafvereitelung im Amt gem.

§ 258 a StGB schuldig zu machen

● Das Opportunitätsprinzip

Die lückenlose Durchführung des Legalitätsprinzips würde zu einer deutlichen Zunahme

der zu verfolgenden Straftaten, folglich zu einer Überlastung der Strafrechtspflege und damit

letztlich zu einer Gefährdung wirksamer Strafverfolgung führen. Der Gesetzgeber hat deshalb

in einer Reihe gesetzlich geregelter Fälle das Legalitätsprinzip durchbrochen und es in das

Ermessen der Strafverfolgungsbehörden gestellt, ob die Verfolgung durchgeführt werden soll

oder nicht (sog. Opportunitätsprinzip).

Das gilt hauptsächlich für Straftaten, deren Verfolgung wegen ihres geringeren Unrechts-

gehaltes nicht unbedingt vom öffentlichen Interesse (Generalprävention) gefordert wird. Die

für die Praxis bedeutsamsten Fälle sind die der Privatklage (§§ 374, 376, 377 StPO), die Fälle

der §§ 153 bis 154 e StPO und der Fall des § 45 JGG.

§ 153 StPO erfasst Vergehen, bei denen das Verschulden des Täters als gering anzuse-

hen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Das Verfahren kann mit

gerichtlicher Zustimmung – teilweise auch ohne diese Zustimmung – eingestellt werden (§

153 Abs. 1 S. 2 StPO). Unter den Voraussetzungen des § 153 a Abs. 1 StPO kann bei Verge-

hen von der Erhebung der öffentlichen Klage – verbunden mit Auflagen und Weisungen –

abgesehen werden.

Nach § 154 Abs. 1 StPO kann von der Verfolgung unwesentlicher Straftaten abgesehen

werden, wenn ihre Ahndung neben einer bereits erkannten oder wegen einer für eine andere

Tat zu erwartenden Strafe nicht ins Gewicht fällt. Ist z.B. der Täter eines Ladendiebstahls

- 15 -

wegen schweren Raubes zu langjähriger Freiheitsstrafe verurteilt, so fällt demgegenüber die

wegen des Diebstahls zu erwartende Strafe nicht ins Gewicht.

Soweit nicht bereits die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung abgesehen hat, kann

nach Erhebung der öffentlichen Klage das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft

und des Angeklagten unter den gleichen Voraussetzungen das Verfahren einstellen (vgl. § 153

Abs. 2 S. 1) bzw. vorläufig einstellen ( vgl. § 153 a Abs. 2 StPO).

● Der Anklagegrundsatz

Der Richter am Amtsgericht Klinkenberg erfährt von der Tat des Jupp Schmitz. Er lädt Jupp

vor und verurteilt ihn zu 3 Monaten Freiheitsstrafe.

Das ist unzulässig. Es gilt der Grundsatz: „Wo kein Kläger, da kein Richter“, sog. Ankla-

gegrundsatz. Nach diesem Anklagegrundsatz – auch Akkusationsprinzip genannt – ist die

Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung von der Erhebung einer Anklage durch die

Staatsanwaltschaft abhängig. Umgekehrt bedeutet dies, dass das Gericht nicht von sich aus

tätig werden darf, auch wenn es Kenntnis von einer Straftat erlangt hat. Dies beruht auf der

gewollten strikten Aufgabentrennung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht, um letztlich

ein unvoreingenommenes und faires gerichtliches Verfahren zu garantieren.

Der Anklagegrundsatz besagt:

Es kann keine gerichtliche Verhandlung ohne Anklageerhebung durch die Staatsanwalt-

schaft geben (§ 151 StPO).

Gegenstand des gerichtlichen Strafverfahrens kann nur sein:

die durch die Anklage beschuldigte Person (§ 155 Abs. 1 StPO),

die durch die Anklage bezeichnete Tat (§§ 155 Abs. 1, 264 Abs. 1 StPO).

Also legt ausschließlich die Anklage die Tat und den Täter fest.

● Der Ermittlungs- oder Untersuchungsgrundsatz

Dieser Grundsatz ist eine Ergänzung der Offizialmaxime und des Legalitätsprinzips. Er

besagt, dass das Gericht im Rahmen der angeklagten Tat berechtigt und verpflichtet ist, von

Amts wegen eigene Ermittlungen anzustellen und alle geeigneten, zulässigen, bedeutsamen

und erreichbaren Beweismittel heranzuziehen und auszuschöpfen, um für seine Entscheidung

- 16 -

eine tatsächliche Grundlage zu schaffen, die der Wahrheit möglichst nahe kommt und ein

gerechtes Urteil ermöglicht, §§ 155 Abs. 2, 244 Abs. 2 StPO.

Bei der Erforschung der materiellen Wahrheit ist das Gericht nicht an das Vorbringen der

Verfahrensbeteiligten (Staatsanwalt und Angeklagter), ihre Anträge oder ein Geständnis des

Angeklagten gebunden, sondern zur selbstständigen Prüfung und Beurteilung des Wahrheits-

gehaltes der Darlegungen aufgerufen.

Dieses Prinzip – auch Instruktionsprinzip oder „Prinzip der materiellen Wahrheit“ ge-

nannt – ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Ziel des Strafverfahrens letztlich die Er-

forschung der materiellen Wahrheit darstellt. Auch hier liegt wieder ein Unterschied zum Zi-

vilprozess, bei welchem zunächst eine Bindung an das Parteivorbringen besteht und im We-

sentlichen nur die von den Parteien benannten Beweismittel herangezogen werden. Aus die-

sem Grunde kann man für das Zivilverfahren auch von der sog. prozessualen Wahrheit spre-

chen, wenngleich dies nicht zu der irrigen Annahme verleiten sollte, in einem Strafverfahren

käme stets das tatsächliche Tatgeschehen ans Licht. Auch hier muss sich schließlich das Ge-

richt – das in der Regel bei Begehung der Straftat nicht selbst zu zugegen war – aufgrund von

Beweismitteln ein eigenes Bild vom Geschehen machen.

● Der Beschleunigungsgrundsatz (Konzentrationsmaxime)

Eine rasche Durchführung des Strafverfahrens liegt jedenfalls in der Regel im Interesse

aller Beteiligten. Für Staatsanwaltschaft und Gericht beruht dieses Interesse außer wegen der

Arbeitsbelastung auch auf dem Bestreben, die Umstände eines Falles möglichst umfassend

gedanklich präsent zu haben. Auch spezialpräventive Aspekte – „die Strafe soll der Tat auf

dem Fuße folgen“ – gebieten eine rasche Aburteilung. Betrachtet man die psychische und

soziale Belastung des Angeklagten durch ein sich hinschleppendes Strafverfahren, so wird

auch sein Interesse deutlich, sofern er nicht daran interessiert ist, das Verfahren in Verschlep-

pungsabsicht geordnet der Verjährung zuzuführen.

Ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz, also eine vermeidbare überlange Ver-

fahrensdauer, muss bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.

Eine gesetzliche Ausgestaltung hat der Beschleunigungsgrundsatz – außer in seiner aus-

drücklichen Erwähnung in Art. 5 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 1 MRK – in § 229 Abs. 1 StPO er-

fahren, wonach eine Hauptverhandlung grundsätzlich nur bis zu drei Wochen unterbrochen

werden darf.

- 17 -

● Der Grundsatz der Öffentlichkeit

Ein Strafverfahren ist grundsätzlich öffentlich durchzuführen, § 169 S. 1 GVG. Dies ent-

spricht zum einen dem Informationsinteresse der Allgemeinheit, zum anderen dient es der

möglichen öffentlichen Kontrolle der Justiz und damit dem Schutz des Angeklagten vor Will-

kür. Dieser Öffentlichkeitsgrundsatz muss naturgemäß Einschränkungen erfahren, nämlich

insbesondere dann, wenn Individualinteressen einer öffentlichen Verhandlung entgegenste-

hen. Aus diesem Grunde sind folgende wesentliche Ausnahmen zu nennen, bei deren Vorlie-

gen das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet:

●● im Verfahren gegen Jugendliche, §§ 48 Abs. 1 und 2 JGG

●● in Unterbringungssachen bei einem psychisch gestörten Angeklagten, § 171a GVG

●● zum Schutz der Privatsphäre von Prozessbeteiligten, Zeugen oder Verletzten, § 171 b GVG

●● in den Fällen des § 172 GVG (z.B. konkrete Gefährdung eines Zeugen).

Anders als insbesondere bei Staaten des anglo-amerikanischen Raumes sind Ton- und

Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung unzulässig,

§ 169 S. 2 GVG. Dies findet seine Rechtfertigung zum einen in dem Schutz der

Verfahrenbeteiligten, zum anderen auch darin, dass die Entstehung eines öffentlichen Drucks

auf das Strafverfahren vermieden werden muss.

● Der Unmittelbarkeitsgrundsatz

Nach dem Unmittelbarkeitsgrundsatz hat das Gericht die aufzuklärenden Tatsachen selbst

festzustellen und grundsätzlich nur originäre Beweismittel zu verwenden, vgl. § 250 StPO.

Auf die Besonderheiten dieses Grundsatzes und die vorgesehenen Durchbrechungen wird

später näher eingegangen.

● Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Dieser Grundsatz und das hieraus resultierende Übermaßverbot ergeben sich aus dem

Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG. Demgemäß dürfen in Strafverfahren Zwangsmaß-

nahmen nur angeordnet werden, wenn sie zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet

und erforderlich sind. Der Eingriff darf dabei nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache

stehen.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist z.B. in den Vorschriften der §§ 81 Abs. 2 Satz 2,

112 Abs. 1 Satz 2, 120 Abs. 1 Satz 1, 163 b Abs. 2 Satz 2 StPO ausdrücklich kodifiziert.

- 18 -

● Der Grundsatz des fairen Verfahrens

Das Recht auf ein faires Verfahren „fair trial“ wird aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art.

20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 MRK abgeleitet. Er garantiert ein an den Grundsätzen der

Gerechtigkeit und Billigkeit orientiertes Verfahren, welches die Rechte zur Verteidigung

wahrt und Waffengleichheit zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft herstellt.

● Der Grundsatz „in dubio pro reo“

Der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ folgt aus der Unschuldsvermutung des

Art. 6 Abs. 2 MRK. Er besagt, dass sich nach Ausschöpfung der Beweismittel nicht auszu-

räumende Zweifel bei der Tat- und Schuldfrage zugunsten des Angeklagten auswirken müs-

sen.

● Der Grundsatz der Mündlichkeit

Hiernach darf nur der mündlich vorgetragene und erörterte Prozessstoff dem Urteil zu-

grunde gelegt werden, §§ 261, 264 Abs. 1 StPO.

● Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung

Dieses Prinzip bedeutet, dass dem Richter nicht vorgeschrieben wird, unter welchen Vo-

raussetzungen er eine Tatsache für bewiesen hält. Entscheidend für die freie richterliche Be-

weiswürdigung ist die persönliche Überzeugung des Richters von der Schuld des Angeklag-

ten, § 261 StPO. Vernünftige Zweifel des Richters an der Tatbegehung durch den Angeklag-

ten schließen jedoch eine Verurteilung aus.

● Der Grundsatz „ne bis in idem“

Dieses in Art. 103 Abs. 3 GG verankerte Prinzip verbietet es, denselben Täter wegen der-

selben Tat erneut strafrechtlich zu verfolgen. Der Strafanspruch des Staates ist verbraucht,

sobald rechtskräftig über den strafrechtlichen Vorwurf entschieden ist.

● Der Grundsatz des gesetzlichen Richters

Dieses Prinzip soll verhindern, dass durch eine gezielte Auswahl eines Richters im Ein-

zelfall das Ergebnis einer Entscheidung beeinflussbar wird, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG.

- 19 -

● Der Grundsatz der Unabhängigkeit des Richters

Hiernach sind die Richter in Ausübung ihrer Rechtsprechungsfunktion persönlich und

sachlich unabhängig, Art. 97 Abs. 1 GG, § 1 GVG.

● Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs

Diese Maxime bedeutet, dass dem Betroffenen Gelegenheit gegeben werden muss, sich

dem Gericht gegenüber zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, Anträge zu stellen

und hierzu Darlegungen zu machen. Das Gericht muss diese Äußerungen zur Kenntnis neh-

men und bei seiner Entscheidungsfindung in Erwägung ziehen, Art. 103 Abs. 1 S. 2 GG.

Auf der folgenden Seite findest Du die Leitgrundsätze des Strafverfahrens im Überblick.

Leitgrundsätze des Strafverfahrens

Anklageprinzip Offizialmaxime Legalitätsprinzip Opportunitätsprinzip

§ 151 StPO § 152 I StPO § 152 II StPO § 153 StPO

„Wo kein Kläger (Staatsanwalt), da

kein Richter“ Strafverfolgung obliegt dem

Staat und nicht dem Bürger Verfolgungszwang der StA

gegen jedermann Nichtverfolgung an sich verfolg-

barer Straftaten (153-154e)

Ermittlungsgrundsatz Mündlichkeitsprinzip Unmittelbarkeitsgrundsatz Grundsatz d. freien Beweiswürdigung

§ 244 II StPO §§ 250, 261, 264 StPO § 250 StPO § 261 StPO

Gericht ermittelt Sachverhalt selbst und

ist an niemandes Weisungen gebunden

Dem Urteil darf nur der münd-

lich vorgetragene und erörterte

Prozessstoff zu-grundegelegt

werden

Das Gericht, das ein Urteil fällt,

muss selbst wahrnehmen Der Richter ist an keinerlei gesetzliche

Beweisregeln oder Richtlinien gebunden

In-dubio-pro-reo-Prinzip Öffentlichkeitsgrundsatz Konzentrationsprinzip Grundsatz des „fair-trial“

Art. 6 II MRK, § 261 StPO § 169 GVG § 229 StPO Art. 1, 20 GG

Schuld des Angeklagten muss bewie-

sen sein, d.h.: Das Gericht muss die

unzweifelhafte Überzeugung von Tat-

bestand, Rechtswidrigkeit und Schuld

erlangt haben

Die Verhandlungen vor dem

erkennenden Gericht sind frei

zugänglich

Die ganze Hauptverhandlung

sollte möglichst beschleunigt in

einem Zuge durchgeführt werden

Das Verfahren ist immer an den Grund-

sätzen der Gerechtigkeit, Billigkeit und

der Menschenwürde orientiert.

- 21 -

Während des Ermittlungsverfahrens können nun einschneidende gerichtliche und

staatsanwaltschaftliche Maßnahmen getroffen werden.

● Vorläufige Festnahme und Haftbefehl

Jupp hält sich nach der Tat verborgen. Er wird von der Polizei auf dem Hauptbahnhof in

Oberhausen gestellt, als er reisefertig auf den Zug nach Hamburg wartet, wo er untertauchen

will.

Nach § 127 Abs. 2 StPO kann die Polizei Jupp vorläufig festnehmen, wenn die Voraus-

setzungen eines Haftbefehls vorliegen (§§ 112 ff. StPO). Sie kann sich also seiner Person ver-

sichern, jedoch nicht auf unbeschränkte Zeit. Nach § 128 StPO muss sie Jupp unverzüglich,

spätestens am Tage nach der Festnahme, dem Richter bei dem Amtsgericht des

Festnahmeortes zur Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls vorführen.

Der Haftbefehl führt zur Untersuchungshaft (§ 114 Abs. 1 StPO). Seine Anordnung ist

dem Richter vorbehalten (vgl. auch Art. 104 GG).

● Der Erlass eines Haftbefehls setzt voraus:

●● Dringenden Tatverdacht, d.h. die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte Täter

oder Teilnehmer einer Straftat ist (§ 112 Abs. 1 S. 1 StPO) und

●● einen Haftgrund (§§ 112 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; 112 a Abs. 1 StPO).

Haftgründe sind:

●●● Die Feststellung, dass der Täter flüchtig ist oder sich verborgen hält (§ 112 Abs. 2

Nr. 1 StPO);

●●● Konkrete Tatsachen, die Fluchtgefahr begründen (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO);

●●● Verdunkelungsgefahr. Sie liegt vor, wenn die Absicht des Täters zu erkennen ist,

Beweismittel zu beseitigen oder beseitigen zu lassen, Mitbeschuldigte oder Zeugen

oder Sachverständige unlauter zu beeinflussen oder beeinflussen zu lassen, und da-

durch die Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert werden (§ 112

Abs. 2 Nr. 3 StPO);

●●● Wiederholungsgefahr bei Sexualtätern (§ 112 a Abs. 1 Nr. 1 StPO) und bestimmten

Serientätern (§ 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO).

●● Verhältnismäßigkeit zwischen Bedeutung der Sache und zu erwartender Strafe und

Untersuchungshaft, § 112 Abs. 1 S. 2 StPO.

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Der Haftbefehl ist schriftlich abzufassen und muss die in § 114 Abs. 2 StPO vorgeschrie-

benen Angaben enthalten.

Der Richter wird also Haftbefehl erlassen, da dringender Tatverdacht gegen Fritz besteht,

Fluchtgefahr vorliegt und in Anbetracht der Vorstrafen des Fritz der Grundsatz der Verhält-

nismäßigkeit gewahrt ist.

● Die Beschlagnahme von Gegenständen

Gegenstände, die als Beweismittel von Bedeutung sein können, können auch gegen den

Willen der Betroffenen beschlagnahmt werden, § 94 StPO.

● Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis

Eine in der Praxis häufige richterliche Entscheidung im Ermittlungsverfahren enthält §

111 a StPO.

Bestehen dingende Gründe für die Annahme, dass im Hauptverfahren die Fahrerlaubnis

entzogen werden wird (§ 69 StGB), so kann der Richter durch Beschluss, der zugleich die

Beschlagnahme des Führerscheins beinhaltet (§ 111 a Abs. 3 und 4 StPO) die vorläufige Ent-

ziehung der Fahrerlaubnis anordnen (§ 111 a Abs. 1 StPO). Straftaten nach §§ 315 c, 316, 142

StGB geben regelmäßig Anlass zu Maßnahme nach § 69 StGB und – im Ermittlungsverfah-

ren – nach § 111 a StPO.

● Die Hausdurchsuchungen

●● Die Durchsuchung beim Verdächtigen

§ 102 StPO gestattet eine Durchsuchung beim Verdächtigen:

– zum Zwecke seiner Ergreifung (Ergreifungsdurchsuchung)

– zum Auffinden von Beweismitteln (Ermittlungsdurchsuchung)

Nach Art. 13 GG besteht zwar das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung. Je-

doch ist das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung den Schranken des Art. 13 Abs. 2

und 3 GG unterworfen, also auch §§ 102 ff StPO.

In Hannover ist ein Bankraub mit einer Beute von 300.000,-- EUR erfolgt. Die Staatsanwalt-

schaft hat den Verdacht, dass Hein Mück der Täter ist. Sie weiß aber nicht, wo Hein Mück

und die Beute sich befinden.

Darf die Wohnung des Hein Mück ohne Weiteres nach ihm und der Beute durchsucht wer-

den?

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Dies ist zu bejahen. § 102 StPO gestattet bei Verdächtigen eine Durchsuchung zum Zwe-

cke der Ergreifung „auch ins Blaue hinein“. Für die Suche nach Beweismitteln ist zwar eine

Vermutung ihres Vorhandenseins erforderlich, jedoch genügt - ohne weitere Indizien - der

kriminalistische Erfahrungssatz, dass der Täter die Beute häufig in seinen vier Wänden ver-

steckt.

●● Die Durchsuchung bei anderen Personen (§ 103 StPO)

Bei dem Bankraub in Hannover will die Staatsanwaltschaft, die keinerlei Kenntnis vom Ver-

bleib des Hein Mück und der erbeuteten Geldsumme hat, vorsorglich auch die Wohnung der

Freundin des Hein Mück in Magdeburg durchsuchen.

Ist diese Maßnahme zulässig?

Die Frage ist zu verneinen. Bei § 103 StPO sind die Voraussetzungen der Durchsuchung

enger. Hier genügt anders als bei § 102 StPO keine Vermutung; es müssen Tatsachen vorlie-

gen, aus denen geschlossen werden kann, dass sich die gesuchte Person, Spur oder Sache in

den zu durchsuchenden Räumen befindet.

●● Das Verfahren

Grundsätzlich ordnet der Richter die Durchsuchung an. Eine Ausnahme besteht dann,

wenn Gefahr in Verzug ist (§ 105 Abs. 1 StPO). In diesem Fall sind auch der Staatsanwalt

und dessen Ermittlungspersonen zur Anordnung der Durchsuchung berechtigt. Gefahr im

Verzug liegt dann vor, wenn die Einholung einer richterlichen Maßnahme den Untersu-

chungszweck gefährden würde. Die Ermittlungsbehörde muss hierbei durch zeitnahe Doku-

mentation in den Akten darlegen, weshalb Gefahr in Verzug vorlag. Fehlen derartige Hinwei-

se, ist davon auszugehen, dass keine Gefahr in Verzug vorlag.

● Körperliche Untersuchungen

●● Die körperliche Untersuchung des Beschuldigten

§ 81 a StPO regelt die körperliche Untersuchung des Beschuldigten. Darunter fallen ne-

ben Betrachtungen auch Eingriffe wie die Blutprobenentnahme und andere körperliche Ein-

griffe. Für die Zulässigkeit bestehen folgende Voraussetzungen:

●●● Sie muss vom Richter angeordnet sein. Bei Gefährdung des Untersuchungserfolges we-

gen Verzögerung darf sie ausnahmsweise auch von der Staatsanwaltschaft und ihren Er-

mittlungspersonen angeordnet werden (§ 81 a Abs. 2 StPO).

●●● Hat die Untersuchung Eingriffsqualität, muss sie von einem Arzt nach den Regeln der

ärztlichen Kunst vorgenommen werden (§ 81 a Abs. 1 S. 2 StPO).

- 24 -

●●● Sie muss der Feststellung von Tatsachen dienen, die für das Verfahren von Bedeutung

sind (§ 81 a Abs. 1 S. 1 StPO).

●●● Es dürfen keine gesundheitlichen Nachteile zu erwarten sein (§ 81 a Abs. 1 S. 2 a.E.

StPO).

●● Maßnahmen gegen andere Personen

Untersuchungen anderer Personen als des Beschuldigten sind gegen ihren Willen nur un-

ter den Voraussetzungen des § 81 c StPO zulässig. Diese sind folgende:

●●● Die Person muss als Zeuge in Betracht kommen (sog. Zeugengrundsatz), § 81 c Abs. 1, 1.

Hs. StPO. Nach § 81 c Abs. 3 S. 1 StPO hat sie ein Untersuchungsverweigerungsrecht,

wenn ihr ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO zusteht. Über dieses Recht muss

sie belehrt werden (§ 81 c Abs. 3 S. 2 i.V. mit § 52 Abs. 3 S. 1 StPO).

●●● Die Untersuchung muss dem Auffinden von Spuren oder Tatfolgen am Körper des Zeu-

gen dienen (sog. Spurengrundsatz), § 81 c Abs. 1 StPO. Wegen des Wortlauts „an ihrem

Körper“ sind nur äußerliche Untersuchungen (inklusive der natürlichen Körperöffnungen,

z.B. des Mundes) zulässig, nicht hingegen körperliche Eingriffe (z.B. Röntgenaufnah-

men).

● Kommunikationsüberwachung

Die Überwachung der Telekommunikation ist in §§ 100 a ff StPO geregelt. Der Be-griff

der Telekommunikation bezieht sich dabei nicht nur auf die herkömmlichen Kommunikati-

onsformen wie Telefon oder Telefax, sondern auf Nachrichtenübermittlungen jeglicher Art.

Erfasst wird daher auch der Zugriff auf in Mailboxen gespeicherte Nachrichten, auf E-Mails,

die sich noch im Speicher des Providers befinden und auf die Positionsmeldungen von be-

triebsbereiten Mobiltelefonen.

Zulässig ist eine solche Überwachung unter den folgenden Voraussetzungen:

●● Sie ist vom Richter anzuordnen (§ 100 b Abs. 1 S. 1 StPO). Bei Gefahr im Verzug kann

die Anordnung auch von der Staatsanwaltschaft getroffen werden, muss dann aber binnen

drei Tagen vom Richter bestätigt werden (§ 100 b Abs. 1 S. 2 StPO).

●● Die Anordnung muss die Formvorschriften des § 100 b Abs. 2 StPO erfüllen.

●● Bestimmte Tatsachen müssen den Verdacht begründen, dass jemand Täter oder Teilneh-

mer einer der Katalogtaten des § 100 a S. 1 StPO ist (Staatsschutzdelikte, militärische

Straftaten, Schwerstkriminalität, Delikte der organisierten Kriminalität).

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●● Die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschul-

digten auf andere Weise muss aussichtslos oder wesentlich erschwert sein.

●● Die Anordnung darf sich nur gegen den Beschuldigten und gegen solche Dritte richten,

die für den Beschuldigten entweder als Nachrichtenmittler tätig werden oder deren An-

schluss vom Beschuldigten benutzt wird, § 100 a S. 2 StPO.

Irgendwann muss jedes Ermittlungsverfahren einmal abgeschlossen werden.

Das Ermittlungsverfahren endet entweder durch Einstellung oder durch Erhebung der öf-

fentlichen Klage. Die Entscheidung hängt davon ab, ob die Ermittlungen genügenden Anlass

zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten (§ 170 Abs. 1 StPO).

Genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht, wenn die Beschuldigte

der Tat hinreichend verdächtig ist. Es muss nach dem gesamten Akteninhalt bei vorläufiger

Tatbewertung die Verurteilung des Beschuldigten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein.

Dabei ist eine Prognose zu erstellen, ob nach Rechts- und Sachlage am Ende der Hauptver-

handlung wahrscheinlich ein Antrag auf Verurteilung gestellt würde.

Besteht nach dieser Prognose kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen

Klage, so ist das Verfahren einzustellen.

Bei Bejahung des hinreichenden Tatverdachts ist also Anklage zu erheben (§ 170

Abs. 1 StPO).

Die Anklage legt die Grenzen der richterlichen Untersuchung fest und bestimmt den Pro-

zessgegenstand (§§ 155 Abs. 1, 264, 265 StPO).

Die Anklageschrift muss enthalten:

1. Die genaue Bezeichnung der Person des Angeschuldigten durch Vornamen, Familienna-

men, Beruf, Geburtsdatum, Geburtsort, Adresse, Familienstand und Staatsangehörigkeit.

2. Die Kennzeichnung der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Tat (historischer Vor-

gang) nebst Zeit und Ort der Begehung.

Die Tatzeit ist von Bedeutung, da hieraus erkennbar wird, ob die Tat noch nicht verjährt

ist. Die Angabe des Tatortes begründet regelmäßig die örtliche Zuständigkeit des Ge-

richts.

3. Die Anführung der gesetzlichen Merkmale

Nicht der ganze Wortlaut des verletzten Strafgesetzes ist anzugeben, sondern nur die

Merkmale sind anzuführen, die vom Täter verwirklicht worden sind.

- 26 -

4. Die sog. Konkretisierung der Anklageschrift, die die gesetzlichen Merkmale mit einer

bestimmten Tatdarstellung ausfüllt, ist wichtig zur Klarstellung, um welchen konkreten

Sachverhalt es geht und welchen Umfang die Rechtskraft eines entsprechenden Urteils

hat.

Die Tat muss als Lebensvorgang so eindeutig beschrieben werden, dass unverwechselbar

feststeht, welcher historische Vorgang Gegenstand der Aburteilung sein soll. Neben Tat-

zeit und Tatort muss auch der Gegenstand der Tat durch die Angabe der Art der Tätigkeit

und des angestrebten und verwirklichten Erfolges so konkret wie möglich geschildert

werden.

5. Die Angabe der Rechtsvorschriften

Die verletzten Strafgesetze stellen das Ergebnis der Subsumtion dar.

Als Reihenfolge hat sich eingebürgert:

Zunächst die Paragraphen des Besonderen Teils des StGB anzuführen, beginnend mit

dem niedrigsten Ziffernwert,

sodann die Paragraphen des Besonderen Teils der Nebengesetze,

zum Schluss die Paragraphen des Allgemeinen Teils des StGB, beginnend mit dem nied-

rigsten Ziffernwert.

Die Merkmale zu 1. bis 5. bilden den Anklagesatz, § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, der in der

Hauptverhandlung verlesen wird (§ 243 Abs. 3 Satz 1 StPO).

6. Die Angabe der Beweismittel

Die Anklageschrift enthält weiter die verwertbaren Beweismittel, nämlich Einlassung

oder Geständnis des Angeschuldigten, Aussagen der Zeugen und Sachverständigen, Ur-

kunden- und Überführungsstücke.

7. Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen ist eine zusammenfassende Schilderung des

Geschehensablaufs, wie er sich für die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlun-

gen (§ 169 a StPO) darstellt. Es soll den Angeschuldigten in gedrängter Form über den

Sachstand, die Beweislage und alle anderen für die Entscheidung relevanten Umstände

unterrichten, damit er sich in seiner Verteidigung angemessen und sachgerecht einrichten

kann.

Wichtig ist, dass bei einer Anklage zum Strafrichter von der Darstellung eines wesentli-

chen Ergebnisses der Ermittlungen abgesehen werden kann (§ 200 Abs. 2 S. 2 StPO),

wovon in der Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht wird.

8. Die Anklageschrift enthält nach § 199 Abs. 2 StPO ferner den Antrag, das Hauptverfah-

ren zu eröffnen.

- 27 -

9. Üblicherweise wird in dem Antrag auch genannt, welches örtliche und sachliche Gericht

zuständig ist. Der Antrag lautet demgemäß: Es wird beantragt, das Hauptverfahren vor

dem Amtsgericht - Strafrichter - in Köln zu eröffnen.

Kleiner Exkurs: Sachliche und örtliche Zuständigkeiten

Die Einreichung der Anklageschrift muss immer bei dem zuständigen Gericht erfolgen. Die

Staatsanwaltschaft muss vor Anklageerhebung

die sachliche Zuständigkeit an Hand des GVG und

die örtliche Zuständigkeit an Hand der StPO (§ 7 ff StPO)

des Gerichts prüfen, bei dem sie die Anklageschrift einreichen will.

Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte bestimmt sich gem. § 1 StPO nach dem GVG.

Das Amtsgericht

Das Amtsgericht hat zwei ständige Spruchkörper:

Der Strafrichter (ein Berufsrichter) ist zuständig bei Vergehen (§ 12 StGB)

- die im Wege der Privatklage verfolgt werden (§ 25 Nr. 1 GVG) oder

- wenn eine höhere Strafe als zwei Jahre nicht zu erwarten ist (§ 25 Nr. 2 GVG).

Das Schöffengericht (ein Berufsrichter, zwei Schöffen) entscheidet über Fälle, die nicht

in den Kompetenzbereich des Strafrichters fallen, also grundsätzlich bei einer Straferwar-

tung von zwei bis vier Jahren, §§ 24, 28 GVG.

Bei besonders umfangreichen Sachen kann auf Antrag der StA ein zweiter Berufsrichter

zugezogen werden, sog. Erweitertes Schöffengericht, § 29 Abs. 2 GVG.

Das Landgericht

Das Landgericht hat als erstinstanzlicher Spruchkörper die großen Strafkammern:

Die allgemeinen großen Strafkammern, besetzt gem. § 76 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. GVG mit

drei Berufsrichtern und zwei Schöffen, sind sachlich zuständig bei einer Straferwartung

von über 4 Jahren, § 74 Abs. 1 GVG. Unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 S. 1

GVG können sie auch nur mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen entscheiden.

Die besonderen großen Strafkammern sind zuständig

- als Schwurgericht für die Kapitaldelikte des § 74 Abs. 2 GVG,

- als Wirtschaftsstrafkammer für die Wirtschaftsstrafsachen des § 74 c Abs. 1 GVG,

- als Staatsschutzkammer für die Staatsschutzdelikte des § 74 a GVG,

- als Jugendschutzkammer in Jugendschutzsachen gem. § 74 b GVG.

Das Oberlandesgericht

- 28 -

Es ist gem. § 120 Abs. 1 GVG sachlich zuständig für Staatsschutzdelikte und Terrorismus

und entscheidet im Regelfall in der Besetzung von fünf Berufsrichtern durch Strafsenate.

Die Erhebung der Anklage zum OLG in erster Instanz erfolgt jeweils durch die General-

staatsanwaltschaft bei dem zuständigen OLG der jeweiligen Landeshauptstadt oder durch

den Generalbundesanwalt.

Der Bundesgerichtshof ist ausschließlich Revisionsinstanz und wird nicht in erster In-

stanz tätig, § 135 GVG.

Zurück zu unserem Ausgangsfall.

Die für den Tatort Oberhausen zuständige Staatsanwaltschaft Duisburg muss Anklage

gegen Jupp Schmitz beim sachlich zuständigen Strafrichter (§§ 24, 25 GVG) am örtlich zu-

ständigen Amtsgericht Oberhausen (§§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 9 StPO) erheben.

Ergänzend: Mit der Anklageerhebung erhält der Verdächtige, der bisher als Beschuldigter

bezeichnet wurde, die Bezeichnung Angeschuldigter (§ 157 StPO).

Staatsanwaltschaft Duisburg Duisburg, den 28.01.20..

- 10 Js 101/20.. -

Angabe des Gerichts An das Amtsgericht Haftprüfungstermin

- Strafrichter - gem. §§ 121, 122 StPO

in Oberhausen am 12.7.20..

A n k l a g e s c h r i f t U-Haft!

Person des Der Feuerungsmaurer Jupp Schmitz, geboren am 24.01.19..

Angeschuldigten in Oberhausen, wohnhaft in Oberhausen, Marxstraße 12,

verheiratet, Deutscher,

– in dieser Sache in Untersuchungshaft seit dem 12.01.20..

in der JVA Essen aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts

Oberhausen – 12 Gs 44/20.. – vom 12.01.20.. –

wird angeklagt,

Zeit und Ort am 08.01.20.. gegen 6.15 Uhr in Oberhausen versucht zu

der Tat haben, fremde bewegliche Sachen einem anderen in der

Gesetzl. Merk- Absicht wegzunehmen, sich dieselben rechtswidrig zuzueig-

male der Tat nen, wobei er zur Ausführung der Tat in ein Gebäude einbrach.

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Tathergang Der Angeschuldigte riss – um zu stehlen – an dem Hause

Obere-Brüder-Straße 97 einen Blendladen aus der Verankerung,

zertrümmerte die dahinter befindliche Fensterscheibe in Höhe des

Fenstergriffs, wirbelte das Fenster auf, griff hindurch und schaltete

das Deckenlicht ein; bei seinem weiteren Vorhaben wurde er von

dem aufmerksam gewordenen Zeugen Helmut Schneider gestört

und ergriff die Flucht.

Anzuwendende Vergehen, strafbar nach §§ 242, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 22, 23

Strafvorschriften Abs. 1 StGB.

Beweismittel Beweismittel:

I. Einlassung des Angeschuldigten

II. Zeugen:

1) Helmut Schneider, Oberhausen, Obere-Brüder-Straße 97

2) Irmgard Braun, Oberhausen, Obere-Brüder-Straße 94

Antrag Es wird beantragt,

1. das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht – Strafrichter – in

Oberhausen zu eröffnen,

2. Fortdauer der Untersuchungshaft zu beschließen.

gez. Dr. Walter

Staatsanwalt

Dem Ermittlungsverfahren folgt das Zwischenverfahren.

Die Anklageschrift gegen Jupp Schmitz ist beim Strafrichter am Amtsgericht Oberhausen

Klinkenberg eingegangen. Dieser kommt nach Prüfung zu dem Ergebnis, dass die gegebenen

Beweismöglichkeiten zu einer späteren Verurteilung des Jupp wahrscheinlich nicht ausrei-

chen werden, weil Jupp eine Zueignungsabsicht nicht nachgewiesen werden kann. Muss er

gleichwohl das Hauptverfahren durchführen?

Worin liegt der Sinn des Zwischenverfahrens? – Es soll zum Schutze des Angeschuldig-

ten eine gerichtliche Prüfung der Anklage stattfinden, bevor der Angeschuldigte – vielleicht

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zu Unrecht – die mit dem Hauptverfahren in einer öffentlichen Verhandlung verbundenen

Nachteile erleidet. Deshalb kann das Gericht auch ergänzende Ermittlungen anstellen (§ 202

StPO).

Die Anklageerhebung hat nicht ohne Weiteres zur Folge, dass ein Hauptverfahren durch-

geführt werden muss. Nach § 199 Abs. 1 StPO entscheidet das Gericht, ob das Hauptverfah-

ren zu eröffnen ist oder nicht, nachdem es zuvor dem Angeschuldigten die Anklageschrift

mitgeteilt und ihn zugleich aufgefordert hat, innerhalb einer bestimmten Frist zu erklären, ob

er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Entscheidung über die Eröffnung des

Hauptverfahrens vorbringen will (§ 201 StPO). Zuständig für die Entscheidung ist das Ge-

richt, vor dem das Hauptverfahren stattfinden soll (Ausnahmen: § 209 StPO).

Folgende Entscheidungen für das Gericht sind möglich:

Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens (Eröffnungsbeschluss) -

§ 207 StPO:

Voraussetzung ist ein hinreichender Tatverdacht (§ 203 StPO), d.h. die Wahrscheinlich-

keit späterer Verurteilung.

Das Gericht ist an die Anträge der Staatsanwaltschaft nicht gebunden (§ 206 StPO). Es

kann aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Anklage nur mit Abänderungen und

Beschränkungen zulassen und muss die Gründe dafür im Eröffnungsbeschluss darlegen

(§ 207 Abs. 2 StPO). In der Praxis werden bei ca. 97 Prozent aller Angeklagten die

Hauptverfahren eröffnet.

Ablehnung der Eröffnung

Aus dem ablehnenden Beschluss muss hervorgehen, ob die Ablehnung aus tatsächlichen

oder rechtlichen Gründen erfolgt ist (§ 204 Abs. 1 StPO).

Gegen diesen Beschluss kann die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde einlegen (§

210 Abs. 2 StPO).

Vorläufige Einstellung bei Abwesenheit oder sonstiger Verhinderung des Angeklagten

(§ 205 StPO). Rechtsmittel für die Staatsanwaltschaft: Beschwerde (§ 304 Abs. 1 StPO).

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Bei Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens ergeht dann folgender

Eröffnungsbeschluss:

Amtsgericht Oberhausen, den 28. 02.20..

Geschäfts-Nr.:

21 Ds 15/20.. (10 Js 101/20..)

B e s c h l u s s

In der Strafsache gegen den Feuerungsmaurer Jupp Schmitz, geboren am 24.01.19..

in Oberhausen, wohnhaft in Oberhausen, Marxstraße 12, ver-

heiratet, Deutscher, –

in dieser Sache in Untersuchungshaft seit dem 12.01.20.. in

der JVA Essen aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts

Oberhausen – 12 Gs 44/20.. – vom 12.01.20.. –

wegen Vergehen nach §§ 242, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1

StGB

wird die Anklage der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 28.01.20.. (Az.: 10 Js 101/20..) zur

Hauptverhandlung zugelassen.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird gegen ihn das Hauptverfahren vor dem hiesigen

Strafrichter eröffnet.

Die Untersuchungshaft dauert aus den weiterhin bestehenden Gründen ihrer Anordnung fort.

gez. Klinkenberg

Richter am Amtsgericht

Dieser Beschluss ist für den angeschuldigten Jupp Schmitz, der mit der Eröffnung des

Hauptverfahrens Angeklagter heißt (§ 157 StPO), unanfechtbar (§ 210 Abs. 1 StPO).

Jetzt mache ich erst einmal einen „Zwischenstopp“, bevor es im nächsten Brief zu dem

spannenden Hauptverfahren gegen Jupp kommt.

Herzlichst

Dein Patenonkel