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man von einer Symmetrie. Verändert es sich, liegt eine Sym- metrieverletzung vor. Wie die Mathematikerin Emmy Noe- ther 1918 herausfand, gehört zu jeder kontinuierlichen Symmetrie eines physikalischen Systems eine Erhaltungs- größe [1]. So folgt zum Beispiel aus der Homogenität des Raums (Translationssymmetrie) die Impulserhaltung und aus der Isotropie des Raums (Rotationssymmetrie) die Er- haltung des Drehimpulses. Bei den diskreten Symmetrien treten an die Stelle von physikalischen Erhaltungsgrößen die Eigenwerte der Transformationen in Form von Quan- tenzahlen, die ebenfalls erhalten sind. Neben den einzelnen Transformationen sind auch noch einige Kombinationen interessant. So beschreibt zum Bei- spiel die kombinierte CPT-Transformation die Umwandlung eines Materieteilchens in das dazugehörige Antimaterieteil- chen oder umgekehrt. Die CP-Transformation wiederum kann uns helfen, die Frage nach dem Ungleichgewicht zwi- schen Materie und Antimaterie zu beantworten. Im Jahr 1967 fand der sowjetische Physiker und spätere Friedens- Nobelpreisträger Andrei Sacharow heraus, dass die Baryo- nenasymmetrie kurz nach dem Urknall während einer Pe- riode thermischen Ungleichgewichts entstanden sein könn- te. Dafür müssten sowohl die C- als auch die CP-Symmetrie verletzt sein [2]. Unerwartete Symmetriebrechung Noch bis in die 1950er Jahre gingen die meisten Forsche- rinnen und Forscher in der Kern- und Teilchenphysik davon aus, dass sich alle physikalischen Prozesse symmetrisch un- ter den Transformationen C, P und T verhalten. Erste Zwei- fel daran waren aufgekommen, als der britische Kernphysi- ker Cecil Powell Ende der 1940er Jahre in Nebelkammer- Detektoren zwei subatomare Teilchen entdeckte, die sich in fast allen Eigenschaften glichen. Die beiden Tau und Theta genannten Teilchen hatten im Rahmen der Messungenau- igkeit die gleiche Masse und die gleiche Halbwertszeit, zer- fielen aber auf unterschiedliche Weise, nämlich in zwei be- ziehungsweise drei Pionen. Ein einzelnes Pion hat den Paritätseigenwert –1. Dem- zufolge besitzt der Endzustand des Tau-Zerfalls mit zwei Pio- Symmetriebrechung 50 Jahre CP-Verletzung A LBAN K ELLERBAUER 1964 wurde die CP-Verletzung der schwachen Wechsel- wirkung entdeckt. Diese damals höchst unerwartete Brechung einer fundamentalen Symmetrie ist heute aus dem Standardmodell der Teilchenphysik nicht mehr weg- zudenken. Die Flavor-Physik ist nach wie vor ein hochaktuelles Forschungsthema. 168 Phys. Unserer Zeit 4/2014 (45) © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim DOI: 10.1002/piuz.201401371 W elche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit sich Galaxien, Sterne und Planeten bilden und letztlich intelligentes Leben entstehen kann? Diese vom Kosmologen Brandon Carter formulierte Frage beschäftigt die Physik seit nunmehr vier Jahrzehnten. Das Vorhandensein von baryo- nischer Materie – massereichen Teilchen, die sich aus drei Quarks zusammensetzen – gehört sicher zu den notwendi- gen Voraussetzungen. Denn die erwähnten Himmelskörper bestehen im Wesentlichen aus Protonen und Neutronen, die zu den Baryonen zählen. Als vor etwa 13,8 Milliarden Jahren der Urknall unser Universum hervorbrachte, entstanden in gleichem Maß Ma- terie und Antimaterie. In den darauffolgenden Sekunden- bruchteilen annihilierte der größte Teil der Materieteilchen mit ihren Antimaterie-Gegenstücken, sie vernichteten sich also gegenseitig unter Freisetzung von Energie in Form von Lichtteilchen. Die Überreste dieser gigantischen Explosion bevölkern den Kosmos noch immer als kosmische Hinter- grundstrahlung. Der Vernichtungsprozess lief jedoch nicht ganz gleichförmig ab, denn es blieb ein winziger Anteil ge- wöhnlicher Materie übrig. Daraus sind alle Galaxien – und auch wir selbst – hervorgegangen. Der Schlüssel zum Verständnis des Baryonen-Ungleich- gewichts liegt in den diskreten Transformationen C, P und T, die das Verhältnis zwischen Materie und Antimaterie be- schreiben. Die C-Transformation steht für die Ladungsum- kehr. Wird der Operator C auf ein physikalisches System an- gewendet, ändern dessen Ladungen ihr Vorzeichen. So wird zum Beispiel aus einem negativ geladenen Teilchen ein po- sitives. Die P-Transformation ist die Raumspiegelung an einem Punkt. Die Anwendung des T-Operators schließlich bewirkt eine Umkehr der Zeitrichtung. „Die diskreten Transforma- tionen C, P, T“ auf S. 174 beschreibt die Wirkung der drei Ope- ratoren auf verschiedene quantenmechanische Zustände. Bleibt ein physikalisches System – bis auf ein Vorzei- chen – unter einer Transformation unverändert, so spricht Online-Ausgabe unter: wileyonlinelibrary.com Chien-Shiung Wu (1912–1997) (Foto: Wikimedia). Tsung-Dao Lee (geb. 1926), Chen-Ning Yang (geb. 1922), Physik-Nobelpreis 1957 (Foto: Nobelprize.org). Nicola Cabibbo (1935–2010) und Makoto Kobayashi (geb. 1944, Physik-Nobelpreis 2008) (Foto: M. Bona).

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man von einer Symmetrie. Verändert es sich, liegt eine Sym-metrieverletzung vor. Wie die Mathematikerin Emmy Noe -ther 1918 herausfand, gehört zu jeder kontinuierlichenSymmetrie eines physikalischen Systems eine Erhaltungs-größe [1]. So folgt zum Beispiel aus der Homogenität desRaums (Translationssymmetrie) die Impulserhaltung undaus der Isotropie des Raums (Rotationssymmetrie) die Er-haltung des Drehimpulses. Bei den diskreten Symmetrientreten an die Stelle von physikalischen Erhaltungsgrößendie Eigenwerte der Transformationen in Form von Quan-tenzahlen, die ebenfalls erhalten sind.

Neben den einzelnen Transformationen sind auch nocheinige Kombinationen interessant. So beschreibt zum Bei-spiel die kombinierte CPT-Transformation die Umwandlungeines Materieteilchens in das dazugehörige Antimaterieteil-chen oder umgekehrt. Die CP-Transformation wiederumkann uns helfen, die Frage nach dem Ungleichgewicht zwi-schen Materie und Antimaterie zu beantworten. Im Jahr1967 fand der sowjetische Physiker und spätere Friedens-Nobelpreisträger Andrei Sacharow heraus, dass die Baryo-nenasymmetrie kurz nach dem Urknall während einer Pe-riode thermischen Ungleichgewichts entstanden sein könn-te. Dafür müssten sowohl die C- als auch die CP-Symmetrieverletzt sein [2].

Unerwartete SymmetriebrechungNoch bis in die 1950er Jahre gingen die meisten Forsche-rinnen und Forscher in der Kern- und Teilchenphysik davonaus, dass sich alle physikalischen Prozesse symmetrisch un-ter den Transformationen C, P und T verhalten. Erste Zwei-fel daran waren aufgekommen, als der britische Kernphysi-ker Cecil Powell Ende der 1940er Jahre in Nebelkammer-Detektoren zwei subatomare Teilchen entdeckte, die sich infast allen Eigenschaften glichen. Die beiden Tau und Thetagenannten Teilchen hatten im Rahmen der Messungenau-igkeit die gleiche Masse und die gleiche Halbwertszeit, zer-fielen aber auf unterschiedliche Weise, nämlich in zwei be-ziehungsweise drei Pionen.

Ein einzelnes Pion hat den Paritätseigenwert –1. Dem-zufolge besitzt der Endzustand des Tau-Zerfalls mit zwei Pio-

Symmetriebrechung

50 Jahre CP-VerletzungALBAN KELLERBAUER

1964 wurde die CP-Verletzung der schwachen Wechsel -wirkung entdeckt. Diese damals höchst unerwartete Brechung einer fundamentalen Symmetrie ist heute aus dem Standardmodell der Teilchenphysik nicht mehr weg -zudenken. Die Flavor-Physik ist nach wie vor ein hochaktuellesForschungsthema.

168 Phys. Unserer Zeit 4/2014 (45) © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

DOI: 10.1002/ piuz.201401371

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit sichGalaxien, Sterne und Planeten bilden und letztlich

intelligentes Leben entstehen kann? Diese vom KosmologenBrandon Carter formulierte Frage beschäftigt die Physik seitnunmehr vier Jahrzehnten. Das Vorhandensein von baryo-nischer Materie – massereichen Teilchen, die sich aus dreiQuarks zusammensetzen – gehört sicher zu den notwendi-gen Voraussetzungen. Denn die erwähnten Himmelskörperbestehen im Wesentlichen aus Protonen und Neutronen,die zu den Baryonen zählen.

Als vor etwa 13,8 Milliarden Jahren der Urknall unserUniversum hervorbrachte, entstanden in gleichem Maß Ma-terie und Antimaterie. In den darauffolgenden Sekunden-bruchteilen annihilierte der größte Teil der Materieteilchenmit ihren Antimaterie-Gegenstücken, sie vernichteten sichalso gegenseitig unter Freisetzung von Energie in Form vonLichtteilchen. Die Überreste dieser gigantischen Explosionbevölkern den Kosmos noch immer als kosmische Hinter-grundstrahlung. Der Vernichtungsprozess lief jedoch nichtganz gleichförmig ab, denn es blieb ein winziger Anteil ge-wöhnlicher Materie übrig. Daraus sind alle Galaxien – undauch wir selbst – hervorgegangen.

Der Schlüssel zum Verständnis des Baryonen-Ungleich-gewichts liegt in den diskreten Transformationen C, P und T,die das Verhältnis zwischen Materie und Antimaterie be-schreiben. Die C-Transformation steht für die Ladungsum-kehr. Wird der Operator C auf ein physikalisches System an-gewendet, ändern dessen Ladungen ihr Vorzeichen. So wirdzum Beispiel aus einem negativ geladenen Teilchen ein po-sitives. Die P-Transformation ist die Raumspiegelung an einemPunkt. Die Anwendung des T-Operators schließlich bewirkteine Umkehr der Zeitrichtung. „Die diskreten Transforma-tionen C, P, T“ auf S. 174 beschreibt die Wirkung der drei Ope-ratoren auf verschiedene quantenmechanische Zustände.

Bleibt ein physikalisches System – bis auf ein Vorzei-chen – unter einer Transformation unverändert, so spricht

Online-Ausgabe unter:wileyonlinelibrary.com

Chien-Shiung Wu (1912–1997) (Foto: Wikimedia).Tsung-Dao Lee (geb. 1926), Chen-Ning Yang (geb. 1922),Physik-Nobelpreis 1957 (Foto: Nobelprize.org).Nicola Cabibbo (1935–2010) und Makoto Kobayashi (geb. 1944, Physik-Nobelpreis 2008) (Foto: M. Bona).

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verloren. Die emittierten Elektronen wurden schließlichmit Hilfe von Szintillator-Detektoren ober- und unterhalbder Probe gemessen. Auf diese Weise konnte Wu 1957 tat-sächlich nachweisen, dass die Emissionsrichtung der Elek-tronen sehr stark mit dem Kernspin korrelierte [4]. Nochim selben Jahr 1957 erhielten Yang und Lee den Nobelpreisfür Physik, Wu ging leer aus.

Wu hatte bewiesen, dass die schwache Wechselwirkungdie Paritätssymmetrie verletzt. Wie sich später herausstell-te, ist der Grad dieser Verletzung sogar maximal. Das heißt,dass bei einer perfekten Polarisation der Probe alle Elek-tronen in die gleiche Richtung emittiert werden. Gegen die-sen Paradigmenwechsel gab es erheblichen Widerstand.Der österreichische Physiker Wolfgang Pauli bezeichnetedie Ergebnisse zunächst als „totalen Unsinn“. Erst nachdemdie Paritätsverletzung auch in anderen schwachen Prozes-sen beobachtet worden war, wurde sie allgemein akzep-tiert. Richard Feynman und Murray Gell-Mann gelang es, sieformal durch die V–A-Theorie der schwachen Wechselwir-kung zu beschreiben [5].

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nen die Parität (–1)2 = +1, während das Theta-Teilchen indrei Pionen mit der Parität (–1)3 = –1 zerfällt. Somit konn-te es sich bei Tau und Theta entweder nicht um das gleicheTeilchen handeln, oder die Paritätssymmetrie musste in be-stimmten Prozessen verletzt sein. Etwa zur gleichen Zeitfiel den chinesisch-amerikanischen Theoretikern Tsung-DaoLee und Chen-Ning Yang auf, dass die Erhaltung der Pari-tätssymmetrie durch die schwache Wechselwirkung nochnie experimentell überprüft worden war [3]. Die beidenschlugen eine Reihe von möglichen Experimenten vor.

Lee und Yang überzeugten die befreundete, ebenfallschinesischstämmige Experimentalphysikerin Chien-ShiungWu, ein entsprechendes Experiment durchzuführen. Wu,die für ihre eleganten Versuche zu radioaktiven Zerfällen be-kannt war, untersuchte am damaligen National Bureau ofStandards (NBS) in Gaithersburg (Maryland) den Beta-Minus-Zerfall des Radionuklids 60Co mit einer Halbwertzeit von5,27 a. Bei dem Zerfall wandelt sich durch die schwacheWechselwirkung ein Neutron des Atomkerns in ein Protonum, wobei ein Elektron und ein Antineutrino emittiert wer-den. Ziel des Wu-Experiments war es, die Emissionsrich-tung der Elektronen relativ zum Kernspin zu untersuchen.

Stellen wir uns zunächst das Spiegelbild eines 60Co-Zer-falls vor. Abbildung 1 zeigt eine schematische Skizze des Zer-falls. Der Kernspin ist ein Drehimpuls und somit das Kreuz-produkt aus einem Impuls- und einem Ortsvektor. Werdenbeide gespiegelt, drehen sich ihre individuellen Vorzeichenum, das Produkt ist jedoch wieder positiv. Man spricht auchvon einem Pseudovektor. Der Impuls der austretenden Elek-tronen kehrt als normaler Vektor jedoch seine Richtungum. Daraus folgt, dass bei Erhaltung der Paritätssymmetriegleich viele Elektronen in Richtung des Kernspins ausge-sandt werden müssten wie in die Gegenrichtung, da sichsonst im Spiegel ein anderes Bild ergäbe.

Um den Versuch zu verwirklichen, mussten die Kern-spins aller Atome in der 60Co-Probe parallel ausgerichtetwerden. Wu erreichte dies mit einem starken externen Mag-netfeld. Die besondere Schwierigkeit bestand darin, dassdas Material zuvor auf 10 mK abgekühlt werden musste, umzu verhindern, dass die Kernspins ihre Polarisation wieder

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Magnet des LHCb-Detektors am CERN. Ende 2011 beobachteten Forscher dort einestarke CP-Verletzung beim Zerfall des D-Mesons (Foto: P. Ginter, CERN).

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Auf diese Weise hielt das Konzept der Chiralität oderHändigkeit Einzug in die Teilchenphysik. Die Chiralität istdefiniert als die Art und Weise, wie sich eine Teilchen-Wel-lenfunktion unter der Gruppe der Poincaré-Transformatio-nen verhält. Poincaré-Transformationen sind erweiterte Lo-rentz-Transformationen, die zusätzlich Translationen inRaum und Zeit beinhalten. Zur Veranschaulichung könnenwir stattdessen die Helizität eines Teilchens betrachten. Siebezeichnet die Richtung des Spins relativ zur Ausbrei-tungsrichtung (für masselose Teilchen sind Chiralität undHelizität identisch). Bei Photonen entspricht diese Eigen-schaft der links- oder rechtsdrehenden Zirkularpolarisation.Tatsächlich koppeln nur Fermionen (also Teilchen mit Spin1/2) einer bestimmten Chiralität, nämlich „linkshändige“, andie W-Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung.Eine schlüssige Erklärung dafür, warum die Natur diese Chi-ralität bevorzugt, fehlt übrigens noch.

Kaonen-Mischung und CP-VerletzungSchnell wurde erkannt, dass die kombinierte CP-Symmetrieden Gleichklang unter den Wechselwirkungen wieder her-zustellen vermochte. Wenden wir die C-Transformation aufdas Schema in Abbildung 1 an, ändern die Ladungen derQuarks im Atomkern und des emittierten Elektrons ihreVorzeichen. Impuls und Drehimpuls bleiben jedoch unbe-einflusst. Demnach müsste ein Positron, das Antiteilchendes Elektrons, in entgegengesetzter Richtung ausgesandtwerden. Tatsächlich wurde dies wenig später beim Beta-Plus-Zerfall von 58Co beobachtet.

Nach dem Schock der Paritätsverletzung war die Wis-senschaft jedoch vorsichtiger geworden. Die CP-Symmetriesollte auf die Probe gestellt werden, aber wie? Ein möglicherZugang liegt in der Verknüpfung von Symmetrien und dendazugehörigen Eigenwerten. Ein Vergleich der CP-Eigen-werte eines Systems vor und nach einem Zerfall oder einerReaktion erlaubt Rückschlüsse auf die CP-Symmetrie desProzesses. Bei diesen Untersuchungen spielen die K-Meso-nen (Kaonen) eine große Rolle, die aus Paaren von Down-Quarks (d) oder Strange-Quarks (s) und deren Antiquarks be-stehen (Tabelle 1). Diese kurzlebigen Teilchen, die künstlichan Beschleunigern hergestellt werden, zerfallen entweder zuzwei oder zu drei Pionen (π).

Die amerikanischen Physiker James Cronin und Val Fitchstudierten 1964 am Brookhaven National Laboratory (Up-ton, New York) den Zerfall der neutralen Kaonen K0 = dsund K0 = sd (der Querstrich symbolisiert Antiteilchen, dieNull elektrische Ladungsneutralität). Obwohl beide Teil-chen neutral sind, ist jedes für sich genommen kein Eigen-zustand des CP-Operators. Die Anwendung von CP auf einKaon ergibt nämlich jeweils das Antiteilchen (siehe „Diediskreten Transformationen C, P und T, S. 174). Das Um-wandeln eines Kaons in sein Antiteilchen und umgekehrterfordert eine Änderung seines Quarkinhalts und daher denAustausch von W-Bosonen. Dieser Vorgang ist in Abbil-dung 2 dargestellt. Als Zwischenzustand können sich so dielinearen Kombinationen

und

herausbilden. Sie sind CP-Eigenzustände mit den Eigen-werten +1 beziehungsweise –1. Für die Endzustände desZerfalls gilt

CP|ππ⟩ = + |ππ⟩

und

CP|πππ⟩ = − |πππ⟩.

K1 darf demnach ausschließlich zu zwei Pionen und K2 zudrei Pionen zerfallen. Aufgrund der höheren Zerfallsenergieläuft der erste Prozess viel schneller ab als der zweite. Tat-sächlich beobachtet man beim Zerfall der neutralen Kaonenzwei Populationen, KS (short) und KL (long) mit den Halb-wertzeiten 9,0 · 10–11 s und 5,1 · 10–8 s. Das Prinzip des Ver-suchs von Cronin und Fitch bestand darin, die Identität der

| | | 121

0 0K K K

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0 0K K K

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60Co

e−

NeutronProton

A B B . 1 W U - E X PE R I M E N T Z U R P-V E R L E T Z U N G

Im Spiegelbild der P-Transformation ist die Emissionsrichtungdes Elektrons umgekehrt, nicht jedoch der Kernspin des 60Co-Atoms. Deswegen verletzt der Zerfall die ParitätssymmetrieP, sofern nicht gleich viele Elektronen in Richtung des Kern-spins und in die Gegenrichtung ausgesandt werden (Grafik: A. Kellerbauer).

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langlebigen Kaonen KL mit dem CP-Eigenzustand K2 zuüberprüfen. Dazu suchten sie nach Zerfällen der Art KL → ππ, die theoretisch bei vollkommener CP-Symmetrienicht vorkommen sollten. Der Aufbau ihrer Apparatur ist inAbbildung 3 skizziert.

Aus einem Kaonenstrahl, der ursprünglich etwa gleicheAnteile der CP-Eigenzustände K1 und K2 enthielt, wurde zu-nächst die langlebige Komponente ausgewählt. Dazu lie-ßen die Forscher die Teilchen eine gut 15 m lange Flug-strecke durchlaufen. Anschließend identifizierten sie Zer-fallsereignisse mit zwei Pionen im Endzustand. An der Formder Apparatur kann man gut erkennen, dass die Detektorenspeziell auf den Nachweis solcher Zerfälle ausgelegt waren.In jedem Detektorarm durchquerten die Teilchen zwei Fun-kenkammern, zwischen denen ein starker Magnet ange-bracht war.

Funkenkammern sind Detektoren für geladene Teilchen,in denen zwischen parallelen Metallplatten eine Hochspan-nung angelegt ist. Dazwischen befindet sich ein Edelgas, indem die Teilchen eine Ionisationsspur hinterlassen. Entlangdieser Spuren entlädt sich die Hochspannung in leuchten-den Blitzen. Im Brookhaven-Experiment wurden die Fun-kenkammern durch Szintillatoren und Tscherenkow-Detek-toren getriggert. Die Teilchenspuren in den Funkenkammernwurden fotografiert und später ausgewertet. Aus den Spurenvon je zwei koinzidenten Pionen rekonstruierten Cronin undFitch sowohl den Gesamtimpuls als auch die Schwerpunkt-senergie der Zerfallsprodukte.

Zerfälle zu drei Pionen, die in der großen Mehrzahl wa-ren, wurden von der zweiarmigen Apparatur nicht voll-ständig erfasst. Sie zeichnen sich durch fehlende Energieoder durch eine Abweichung der Gesamtimpulsrichtungvon der des einfallenden Strahls aus. Die Zerfälle zu zwei

Pionen weisen dagegen eine Schwerpunktsenergie auf, diegenau der Ruhemasse der Kaonen entspricht. Ihr Impuls hateine sehr kleine Winkelabweichung vom ursprünglichenStrahl. Dadurch entsteht ein besonders hintergrundarmesSignal von 2π-Zerfällen. Dieses wurde zunächst mit einemreinen KS-Strahl kalibriert.

Zu ihrer großen Überraschung beobachteten die For-scher, dass auch ein Teil der langlebigen Kaonen (KL) aufdiese Weise zerfiel. Aus den Messungen errechneten sie,dass bei 0,2 % der Zerfälle die CP-Symmetrie verletzt war.Ihr Ergebnis wurde im Juli 1964, vor genau 50 Jahren, in Phy-sical Review veröffentlicht [6]. Es bildet die Grundlage fürunser heutiges Modell der schwachen – oder vereinheit-lichten elektroschwachen – Wechselwirkung und ist durchzahlreiche weitere Experimente bestätigt worden. Im Jahr1980 erhielten Cronin und Fitch für ihre Arbeiten den Phy-sik-Nobelpreis.

CP-Verletzung im StandardmodellDie Beschreibung der CP-Verletzung im Standardmodell derTeilchenphysik ist eng mit dem Konzept des Quark-Flavors

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Andrei Sacharow (1921–1989), Friedens-Nobelpreis 1975(Foto: Nobelprize.org).James Cronin (geb. 1931), Val Fitch (geb. 1923), Physik-Nobelpreis 1980 (Foto: Nobelprize.org).Toshihide Maskawa (geb. 1940), Physik-Nobelpreis 2008 (Foto: Nobelprize.org).

K 0 K 0

W

sd u, c, t

W

ds

K 0 K 0

sd

u, c, t u, c, t

ds

W

Wu, c, t

A B B . 2 Q UA R K- M I S C H U N G I N K- M E S O N E N

Durch den Austausch von je zwei W-Teilchen der schwachen Wechselwirkungkönnen sich die neutralen Kaonen in ihre Antiteilchen (durch Querstrich symboli-siert) umwandeln und umgekehrt (u: Up-, d: Down-, s: Strange-Quark). Die Zeit -achse verläuft in diesen Feynman-Diagrammen horizontal.

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(Quark-Typs) verknüpft (Tabelle 1). Wie bereits erwähntkann die schwache Wechselwirkung den Flavor einesQuarks ändern. Zwar sind dabei Übergänge innerhalb dergleichen Familie bevorzugt, zum Beispiel u → d, aber auchQuarks anderer Generationen können erzeugt werden, wiebeispielsweise u → s. Schon 1963 führte der italienischeTheoretiker Nicola Cabibbo das Konzept der Quark-Mi-schung ein. Demnach finden schwache Wechselwirkungennicht zwischen den Massen-Eigenzuständen der Quarks, sondern zwischen Superpositionen dieser Eigenzuständestatt [7].

Da damals erst zwei Quark-Generationen bekannt wa-ren, beschrieb Cabibbo die Quark-Mischung durch einezweidimensionale Rotationsmatrix V mit einem einzigenMischungswinkel θC:

mit

Dabei bezeichnen die gestrichenen Quarksymbole dieschwachen Eigenzustände. Mit den heute bekannten Wer-ten für diese vier Matrixelemente ergibt sich ein recht klei-

VV''

ds

ds

VVcos sin

sin cos.ud us

cd cs

C C

C C

V V

V V

ner Mischungswinkel von θC = 13°. Das heißt, dass die Über-gänge innerhalb der jeweiligen Quarkgenerationen (u → dund c → s) stark bevorzugt sind.

Anfang der 1970er Jahre untersuchten die japanischenTheoretiker Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa, wiedie zuvor beobachtete CP-Verletzung mit dem Quarkmi-schungs-Formalismus in Einklang zu bringen sei. Sie stelltenfest, dass eine CP-Verletzung nur durch komplexe Anteileder Matrix V zustande kommen konnte. Zwar sind die Ele-mente der Mischungsmatrix im Allgemeinen komplex. Al-lerdings sind ihre imaginären Bestandteile durch zahlreicheBedingungen stark eingeschränkt, dazu zählt die Unitaritätder Matrix. Kobayashi und Maskawa errechneten, dass einezweidimensionale Quarkmischungsmatrix keinen einzigenkomplexen Parameter enthalten kann, eine dreidimensio-nale jedoch genau einen [8].

Vor diesem Hintergrund postulierten sie die Existenzvon drei Quark-Generationen, also sechs Quarks – zu einerZeit, als gerade einmal drei Quarks bekannt waren! Tat-sächlich wurden all diese neuen Elementarteilchen späterauch nachgewiesen. Im Jahr 2008 erhielten Kobayashi undMaskawa für ihre Vorhersage den Nobelpreis für Physik.Heute wird die dreidimensionale Quark-Mischungsmatrix Vauch Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix (CKM-Matrix) ge-nannt, gezeigt ist sie in „Die Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix“ auf dieser Seite.

Obwohl die CKM-Matrix neun Matrixelemente besitzt,enthält sie nur vier unabhängige Parameter, nämlich dreiQuarkmischungswinkel θ12, θ23 und θ13 sowie eine kom-plexe CP-verletzende Phase δCP. Die Werte sind für diesePhase δCP = 69° und die Mischungswinkel θ12 = θC = 13°,θ23 = 2,4° und θ13 = 0,2°. Wir sehen also, dass die CP-Ver-letzung in der schwachen Wechselwirkung alles andere alsvernachlässigbar ist. Der Effekt ist aber insgesamt gering, dadie Mischungswinkel, mit denen die CP-verletzende Phasejeweils multipliziert wird, klein sind. Alle CP-verletzendenProzesse haben ihren Ursprung im Parameter δCP. Ihre Aus-prägung kann sich jedoch stark unterscheiden, da sie auchdavon abhängt, ob es konkurrierende CP-erhaltende Pro-zesse gibt.

Ausgehend vom CKM-Formalismus kann sich eine CP-Verletzung in schwachen Wechselwirkungen auf drei Artenmanifestieren: 1) In der Mischung, auch indirekte CP-Verletzung genannt:

Ausgangszustände können, wie in Abbildung 2 darge-stellt, ihren Quarkinhalt ändern. Finden mindestens zweiFlavor-ändernde Wechselwirkungen statt, kann derMischprozess CP verletzen.

2) Im Zerfall, auch direkte CP-Verletzung genannt: Durchunterschiedliche Zerfallsraten können CP-konjugierteEndzustände unterschiedlich stark bevölkert werden.

3) Interferenz zwischen Mischung und Zerfall: Treten bei-de vorgenannten Prozesse auf, sind die auf unter-schiedliche Weise erreichten Endzustände ununter-scheidbar. Dadurch interferieren ihre Gesamtamplitu-den miteinander.

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TA B . 1 Q UA R K- G E N E R AT I O N E N I M S TA N DA R D M O D E L L

1. Up u +2/3 2,3–0,5+0,7

1. Down d –1/3 4,8–0,3+0,5

2. Charm c +2/3 1275 ± 252. Strange s –1/3 95 ± 53. Top t +2/3 173070 ± 8903. Bottom b –1/3 4660 ± 301 Die heute vorhandene baryonische Materie besteht aus der 1. Generation von Quarks.

Generation1 Name Symbol Ladung/e Masse/MeV c–2

D I E C A B I B B O - KO BAYA S H I - M A S K AWA - M AT R I X |Die CKM-Matrix kann auf viele Arten parametrisiert werden. Etabliert hat sichfolgende Standardform mit den Abkürzungen s für sin und c für cos:

VV

ud us ub

cd cs cb

td ts tb

V V V

V V V

V V V

c c s c s e

s c c s s e c c s s s e s c

s s c c s e c s s c s e c c

12 13 12 13 13i

12 23 12 23 13i

12 23 12 23 13i

23 13

12 23 12 23 13i

12 23 12 23 13i

23 13

CP

CP CP

CP CP

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Flavor-Physik mit D- und B-MesonenDie besonderen Eigenschaften der Kaonen wie die Quark-Mischung sowie CP-verletzende Prozesse in Mischung, Zer-fall und Interferenz, finden sich auch bei den schwererenD- und B-Mesonen. Allerdings sind die Zerfälle dieser Teil-chen viel komplizierter, da durch ihre höhere Masse einegrößere Auswahl an Zerfallskanälen offensteht. Speziell zumStudium der B-Mesonen, die das 1977 entdeckte Bottom-Quark enthalten, entstanden an mehreren Standorten so-genannte B-Fabriken, zum Beispiel am PEP-II-Beschleunigeram Stanford Linear Accelerator Center (SLAC) in den USAund am KEK-B-Beschleuniger am KEK-Forschungszentrumin Tsukuba in Japan.

Dabei handelt es sich um Beschleuniger, die speziell fürdie Erzeugung von B-Mesonen in Elektron-Positron-Kolli-sionen ausgelegt sind. Durch unterschiedliche Energien derkollidierenden Teilchen ist der Schwerpunkt der Reakti-onspartner nicht in Ruhe, wodurch die Reaktionsprodukteden Wechselwirkungsbereich in einer Vorzugsrichtung ver-lassen. Dadurch sind wegen der relativistischen Zeitdilata-tion außerdem die Lebensdauern der erzeugten Teilchenim Laborsystem erhöht.

Im Jahr 2001 lieferten sich die beiden Experimente Ba-Bar in Stanford und Belle in Tsukuba ein Kopf-an-Kopf-Ren-nen auf der Suche nach einer CP-Verletzung beim Zerfallvon B-Mesonen. Beide Gruppen untersuchten Zerfälle vonB0 = bd und B0 = bd in dieselben Endzustände mit einemeindeutigen CP-Eigenwert. Diese Zerfallsart ist verglichenmit anderen Kanälen etwa tausendfach unterdrückt. Dasliegt daran, dass dafür gleich mehrere schwache Wechsel-wirkungen stattfinden müssen.

In Abbildung 4 sind Feynman-Diagramme für den Zer-fall von B0 in die zwei Zerfallsprodukte J/Ψ = cc (auch Char-monium genannt) und K dargestellt. Der Doppelname J/Ψdes Teilchens kommt übrigens daher, dass es fast zeitgleichvon zwei Kollaborationen entdeckt wurde. Zunächst fälltauf, dass das neutrale B-Meson und sein Antiteilchen, wennwir die beim Zerfall beteiligten Quarks betrachten (Abbil-dung 4b), gerade nicht in dieselben Endzustände zerfallen.Deswegen muss anschließend noch eine Mischung der Kao-nen (Abbildung 4c) stattfinden, die den CP-Eigenzustand K1

hervorbringen kann. Zusätzlich ist noch eine CP-Verletzungbei der Mischung der Ausgangszustände möglich (Abbil-dung 4a).

Bei beiden Experimenten beruhte das Messprinzip aufeinem Vergleich der Zerfallsraten Γ+ und Γ− der beiden Pro-zesse. Die Schwierigkeit lag darin, sowohl den Ausgangs-zustand als auch die Endprodukte genau zu identifizieren.Zunächst wurden B0B0-Paare ausgewählt, bei denen die Spu-ren jeweils eines der Zerfälle mit Hilfe des Detektors voll-ständig rekonstruiert werden konnten. Für den anderen Zer-fall musste der Quark-Inhalt des Ausgangsteilchens aus denLadungen der Zerfallsprodukte bestimmt werden (Flavor-Tagging). Die zu bestimmende Messgröße war die Asym-metrie der Zerfallsraten

wobei die Zeitpunkte der Zerfälle anhand ihrer Positionentlang der Ausbreitungsrichtung bestimmt wurden.

Der Babar-Gruppe gelang es, rund 640 solcher Ereig-nisse zu identifizieren, während Belle gut 1100 Ereignissebeschreiben konnte. Im Jahr 2001 fanden beide Kollabora-tionen fast zeitgleich eine mit hoher Signifikanz von null ver-schiedene Asymmetrie ACP [9, 10]. Die beobachtete CP-Ver-letzung war im Einklang mit dem CKM-Formalismus des

,CPAt tt t

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A B B . 3 V E R S U C H SAU F BAU Z U R C P-V E R L E T Z U N G

Versuchsaufbau von Cronin und Fitch am Brookhaven National Laboratory zumNachweis der CP-Verletzung in der Aufsicht [6]. Mit einem zweiarmigen Detektorwurde nach Zerfällen von langlebigen neutralen Kaonen zu zwei Pionen gesucht(Grafik: © 1964 American Physical Society).

db

d b

s

d

s

d

B 0

K 0

J/ψa

c

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c

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t

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A B B . 4 Z E R FA L L VO N B- M E S O N E N

Feynman-Diagramme, die zum Zerfall B0 → J/Ψ K beitragen. a) Mischung der B-Mesonen, b) Zerfall der B-Mesonen, c) Mischung der K-Mesonen.

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Standardmodells. Es handelte sich dabei um den erstenNachweis von CP-Verletzung bei B-Mesonen.

Auch das LHCb-Experiment am Large Hadron Collider(LHC) am CERN beschäftigt sich vorwiegend mit der Un-tersuchung von D- und B-Zerfällen. Ende 2011 sorgten

LHCb-Mitarbeiter mit einer aufregenden Meldung für Wir-bel. Sie hatten eine starke CP-Verletzung beim Zerfall desD-Mesons D0 = cu beobachtet. Der Effekt trat in Teilchen-kollisionen zu Tage, bei denen Paare von D- und Anti-D-Me-sonen entstanden waren.

Diese Gruppe untersuchte mit dem etwa 20 m langenLHCb-Detektor (Abbildung 5) Zerfälle von D0 und D0 in dieEndzustände mit entweder zwei Pionen (ππ) oder zwei Kao-nen (KK), die beide Eigenzustände des CP-Operators mitdem Eigenwert +1 sind. Eine mögliche CP-Verletzung müss-te sich durch unterschiedliche Zerfallsraten für Zerfälle indieselben Endzustände bemerkbar machen. Die Besonder-heit dieser LHCb-Messung lag darin, dass alle vier Über-gangsraten gemessen und gemeinsam betrachtet wurden.

Anstatt die Asymmetrie der Zerfallsraten für die Pro-zesse D0/D0 → ππ und D0/D0 → KK separat zu bilden, sub-trahierte das Forscherteam bei der Datenauswertung beideAsymmetrien noch einmal voneinander. Dadurch kürztensich bestimmte systematische Fehler heraus. Die Auswer-tung etwa der Hälfte der verfügbaren Daten ergab eineAsymmetrie der Zerfälle und somit eine starke CP-Verlet-zung von 0,8 % [11]. Bei dieser Beobachtung mit einer sta-tistischen Signifikanz von 3,5 σ würde es sich um eine rundzehnmal größere CP-Verletzung handeln als im Standard-

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D I E D I S K R E T E N T R A N S FO R M AT I O N E N C , P U N D T |Diskrete Transformationen sind solche, die man nicht inbeliebig kleine Schritte unterteilen kann. Unter diesen spielendie Inversionen eine besondere Rolle. Sie zeichnen sichdadurch aus, dass man nach zweimaliger Anwendung dasUrsprungssystem zurück erhält. Zu den Inversionen gehörendie Ladungsumkehr C, die Raumspiegelung P und die Zeit-umkehr T. In der Quanten mechanik handelt es sich bei C, Pund T um unitäre (oder antiunitäre) Opera toren, das heißt,dass ihre Adjungierten identisch mit ihren Inversen sind. EineAdjungierte ist eine transponierte Matrix, deren Elementeanschließend jeweils komplex konjugiert werden.

Diese Forderung ergibt sich aus der Erhaltung von Wahr-scheinlichkeiten unter Inversionen. Wahrscheinlichkeitsam-plituden sind Skalarprodukte im Hilbert-Raum, zum Beispiel⟨Y |X⟩. Unter dem unitären Operator U transformiert |X⟩ zuU|X⟩, ⟨Y | zu ⟨Y |U†. Das Skalarprodukt ⟨Y |U†U|X⟩ ist also nurunverändert, wenn gilt U†U = 1 oder U† = U–1. Für antiunitäreOperatoren gilt abweichend, dass sie das Skalarprodukt ⟨Y |X⟩auf seinen komplex konjugierten Wert ⟨Y |X⟩* = ⟨X|Y⟩ abbil-den. Die Wahrscheinlichkeitsamplitude bleibt jedoch unver-ändert.

Betrachten wir die Wirkung der Inversionen auf einenallgemeinen Zustandsvektor |ψ ⟩ = | p, s, q⟩ mit Impuls p, Spin s und Ladung q. Dazu müssen wir berücksichtigen, dass es sich bei dem Impuls um einen (Polar-)Vektor, bei dem Spin um einen Axialvektor und bei der Ladung um eine skalare Größe handelt. Der Paritätsoperator hat dannfolgende Wirkung auf den Zustand:

P |ψ ⟩ = ηP |–p, s, q⟩.

Dabei ist ηP eine im Allgemeinen komplexe Phase. Ein einzel-nes Teilchen in Ruhe ( p = 0) ist Eigenzustand des Paritäts-operators mit dem Eigenwert ηP = ± 1, der auch intrinsischeParität genannt wird. Das Vorzeichen besagt, ob die Wellen-funktion des Teilchens gerade oder ungerade ist.

Wird der Ladungskonjugations operator C auf den Zustand|ψ ⟩ angewendet, verändert sich nur dessen Ladung:

C |ψ ⟩ = ηC | p, s, –q⟩.

Nur vollständig neutrale Teilchen – das betrifft auch nicht-elektrische Ladungen wie die Baryonenzahl (auch Baryonen-ladung genannt) – können Eigenzustände des Operators sein.Konventionell wird dem Photon der C-Eigenwert ηC = –1zugewiesen. Die Eigenwerte anderer Teilchen ergeben sichaus ihren Wechselwirkungen mit Photonen.

Der Zeitumkehroperator T schließlich wandelt den Zustand |ψ ⟩ wie folgt um:

T |ψ ⟩ = ηT |–p, –s, q⟩.

Im Gegensatz zu C und P ist T jedoch ein antiunitärer Opera-tor. Aus diesem Grund gibt es auch keine Eigenzustände unddazugehörige Eigenwerte für diese Transformation. Diegemeinsame Anwendung aller drei Operatoren CPT wandeltein Teilchen in sein Anti teilchen um. Das Produkt der dreiPhasen ist dann immer reell und beträgt η = ηCηPηP = ±1.

A B B . 5 D E T E K TO R D E S L H C b - E X PE R I M E N T S

Schema des LHCb-Detektors am CERN in der Seitenansicht mit seinen Hauptkompo-nenten (Grafik: Wikipedia).

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modell vorgesehen. Allerdings hat sich das Ergebnis nachder Auswertung aller bisherigen Daten nicht bestätigt, son-dern ist zunächst wieder mit dem Standardmodell kompa-tibel [12, 13].

Baryonen-AsymmetrieHeute ist die CP-Verletzung im Standardmodell der Teil-chenphysik – wie im vorletzten Abschnitt vorgestellt – festverankert. Sie wird bislang durch alle experimentellen Er-gebnisse gestützt. Doch damit ist die Frage der Baryonen-Asymmetrie noch lange nicht beantwortet.

Nach dem derzeitigen Stand der Urknalltheorie durch-lief das Universum eine frühe Phase exponentieller Expan-sion, die Inflation genannt wird. Ein möglicherweise ur-sprünglich vorhandener Baryonenüberschuss oder einer,der sich vor der Inflation herausgebildet hätte, wäre im Zu-ge der Inflation ebenso exponentiell „verdünnt“ wordenund daher vernachlässigbar. Außerdem reicht die etablier-te CP-Verletzung in Verbindung mit aktuellen Modellen fürdie Entwicklung des frühen Universums nicht aus, um dasbeobachtete Ungleichgewicht zu erklären. Das liegt daran,dass Prozesse, die sowohl die Baryonenzahl als auch CP ver-letzen, stark unterdrückt sind. Damit wäre die so erzeugteBaryonen-Asymmetrie um mindestens neun Größenord-nungen zu klein.

Vor einigen Jahren wurde allerdings entdeckt, dass aucheine Verletzung der kombinierten CPT-Symmetrie einen Ba-ryonen-Überschuss erzeugen kann [14]. Aus diesem Grundist neben der CP-Verletzung auch die CPT-Verletzung einhochaktuelles Forschungsgebiet (siehe Physik in unsererZeit 2012, 43(4), 174). Die für die nächsten Jahre geplan-ten Experimente zu den beiden Symmetriebrechungen wer-den zeigen, ob einer der beiden Effekte den Schlüssel zurLösung des Baryonen-Asymmetrie-Rätsels liefern kann.

ZusammenfassungVor fünfzig Jahren wurde entdeckt, dass in Zerfallsprozessen,in denen die schwache Wechselwirkung dominiert, die CP-Symmetrie verletzt sein kann. C steht für Ladungsumkehr, P für Raumspiegelung. Heute ist die CP-Verletzung ein festerBestandteil des Standardmodells der Teilchenphysik. Die vor-

hergesagten Symmetriebrechungen sind in verschiedenenschwachen Prozessen mit hoher Genauigkeit überprüft wor-den. Dabei wurden bislang keine Abweichungen vom Stan-dardmodell gefunden. Die Suche nach CP-Verletzungen bleibtsowohl im Rahmen als auch außerhalb des Standardmodellsein wichtiges Forschungsthema. Es kann die Frage beant-worten helfen, warum nach dem Urknall ein kleiner Über-schuss an Materie gegenüber der Antimaterie übrig blieb.

StichworteCP-Verletzung, diskrete Symmetrien, Ladungskonjugation,Parität, Zeitumkehr, Baryonen-Asymmetrie, Sacharow-Be-dingungen, Antimaterie.

Literatur[1] E. Noether, Nachr. v. d. Ges. d. Wiss. Göttingen 1918, 235.[2] A. D. Sakharov, Sov. Phys. JETP 1967, 5, 24.[3] T. D. Lee, C. N. Yang, Phys. Rev. 1956, 104, 254[4] C. S. Wu, Phys. Rev. 1957, 105, 1413.[5] R. Feynman, M. Gell-Mann, Phys. Rev. 1958, 109, 193.[6] J. H. Christenson et al., Phys. Rev. Lett. 1964, 13, 138.[7] N. Cabibbo, Phys. Rev. Lett. 1963, 10, 531.[8] M. Kobayashi, T. Maskawa, Progr. Theor. Phys., 1973, 49, 652.[9] B. Aubert et al., Phys. Rev. Lett. 2001, 87, 091801.

[10] K. Abe et al., Phys. Rev. Lett. 2001, 87, 091802.[11] R. Aaij et al., Phys. Rev. Lett. 2012, 108, 111602.[12] LHCb Collaboration, 48es Rencontres de Moriond, La Thuile, Italien,

9.–16. März 2013, cds.cern.ch/record/1521995.[13] R. Aaij et al., Phys. Lett. B 2013, 723, 33.[14] O. Bertolami et al., Phys. Lett. B 1997, 395, 178.

Der AutorAlban Kellerbauer, Promotion in Physik 2002 inHeidelberg. Postdoc am CERN an Isolde und amAntimaterie-Experiment Athena. Von 2006 bis 2011Leiter einer Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe amMPI für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg. 2007Mitinitiator des Antimaterie-Gravitations-Experi-ments Aegis am CERN. Habilitation 2009. Seit 2011Forschungsgruppenleiter am MPIK und Stipendiateines ERC Starting Grants.

AnschriftPriv.-Doz. Dr. Alban Kellerbauer, Max-Planck-Institutfür Kernphysik, Saupfercheckweg 1, 69117 Heidel-berg. [email protected]

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Zum Thema

Discrete Symmetries andCP Violation.Marco S. Sozzi,592 S., OxfordUniversity Press,New York 2008,brosch. 53,50 1.ISBN 978-0-19-965542-7.