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7. Newtons experimentum crucis 186 7. Newtons experimentum crucis Mehrere nachfolgende Studien haben ergeben, dass eine aufgestellte Behauptung umso wahrer angesehen wird, je öfter sie wiederholt wird (Effekt der »Illusion des Wahren«). – »Illusionen des Wahren« kommen sogar noch dann vor, wenn die Teilhabenden zum Zeitpunkt der Darstellung ausdrücklich darauf hinge- wiesen wurden, dass diese Information falsch ist. 150 a. Die Bedeutung des experimentum crucis innerhalb der Optik In den gegenwärtigen Veröffentlichungen zur Optik wird Newtons experimentum crucis immer wieder genannt und als scheinbar »gesicherte Grundlage« selbstver- ständlich benutzt. Von diesem Experiment und seinem Ergebnis gilt, was der Psychologe REINER MAUSFELD dem erstaunten Leser mit obigem Zitat vorlegt. Die Richtigkeit von Newtons experimentum crucis wird angenommen, geglaubt und stets neu befestigt, indem das angebliche Ergebnis der diversen Brechbarkeit der jeweiligen Spektralfarbe und ihrer Monochromatizität nach einer »zweiten Refrak- tion« immer wieder behauptet wird: Newtons diverse Refrangiblilität des Sonnenlichts ist die einzige Theorie, die sich erstens mit den Beobachtungen aus den prismatischen Experimenten logisch verträgt und zweitens mit allen Prämissen, ohne die keine sinnvolle Naturwissenschaft möglich wäre (wie z.B. Naturkonstanz). 151 Goethe, der gerade diesen Versuch sehr genau untersucht hat, kam zu ganz ande- ren Ergebnissen als Newton und verglich in der Folge Newtons Optik mit einer Burgruine, die, auf diesem Versuch fußend, recht dürftig dasteht. Obwohl Goethe schon 1810 den Streit durch seine Farbenlehre für entschieden glaubte, gibt es gerade in Bezug auf diesen zentralen Versuch noch »keine« wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnis. Es ist daher bedeutend und notwendig, diesen Versuch genau zu kennen bzw. kennenzulernen. Das Selbstverständnis der »Richtigkeit« dieses Versuches führt zu der Annahme: 150 Schwarz, N. (2010). Meaning in context - Metacognitive experiences. In: L. F. Berett, B. Mesquita & Smith (eds.): The mind in context. New York. – Übers. a. d. Englischen d. Verf. 151 Müller, Olaf, 2015, 329.

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7. Newtons experimentum crucis

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7. Newtons experimentum crucis

Mehrere nachfolgende Studien haben ergeben, dass

eine aufgestellte Behauptung umso wahrer angesehen

wird, je öfter sie wiederholt wird (Effekt der »Illusion

des Wahren«). – »Illusionen des Wahren« kommen

sogar noch dann vor, wenn die Teilhabenden zum

Zeitpunkt der Darstellung ausdrücklich darauf hinge-

wiesen wurden, dass diese Information falsch ist.150

a. Die Bedeutung des experimentum crucis innerhalb der Optik

In den gegenwärtigen Veröffentlichungen zur Optik wird Newtons experimentum

crucis immer wieder genannt und als scheinbar »gesicherte Grundlage« selbstver-

ständlich benutzt. Von diesem Experiment und seinem Ergebnis gilt, was der

Psychologe REINER MAUSFELD dem erstaunten Leser mit obigem Zitat vorlegt.

Die Richtigkeit von Newtons experimentum crucis wird angenommen, geglaubt und

stets neu befestigt, indem das angebliche Ergebnis der diversen Brechbarkeit der

jeweiligen Spektralfarbe und ihrer Monochromatizität nach einer »zweiten Refrak-

tion« immer wieder behauptet wird:

Newtons diverse Refrangiblilität des Sonnenlichts ist die einzige Theorie, die

sich erstens mit den Beobachtungen aus den prismatischen Experimenten

logisch verträgt und zweitens mit allen Prämissen, ohne die keine sinnvolle

Naturwissenschaft möglich wäre (wie z.B. Naturkonstanz).151

Goethe, der gerade diesen Versuch sehr genau untersucht hat, kam zu ganz ande-

ren Ergebnissen als Newton und verglich in der Folge Newtons Optik mit einer

Burgruine, die, auf diesem Versuch fußend, recht dürftig dasteht. Obwohl Goethe

schon 1810 den Streit durch seine Farbenlehre für entschieden glaubte, gibt es

gerade in Bezug auf diesen zentralen Versuch noch »keine« wissenschaftlich

abgesicherte Erkenntnis. Es ist daher bedeutend und notwendig, diesen Versuch

genau zu kennen bzw. kennenzulernen. Das Selbstverständnis der »Richtigkeit«

dieses Versuches führt zu der Annahme:

150 Schwarz, N. (2010). Meaning in context - Metacognitive experiences. In: L. F. Berett, B. Mesquita & Smith

(eds.): The mind in context. New York. – Übers. a. d. Englischen d. Verf. 151 Müller, Olaf, 2015, 329.

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a. Die Bedeutung des experimentum crucis innerhalb der Optik

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1. dass das (Sonnen-) Licht i n s i c h die Farben bereits enthielte, es also heterogen

zusammengesetzt sei.

2. dass die Farben durch die Spaltung des Lichtes ausgesondert und sichtbar gemacht

werden könnten.

3. dass die einmal ausgesonderte prismatische Farbe beim Durchgang durch ein

zweites Prisma keine weiteren Farben (Kantenspektren) mehr zeigen bzw. hervor-

bringen könnte, weil ein solches farbiges Licht nun als monochromatisch ange-

sehen wird. Aufgrund dieser Annahme bezeichnete Newton die Spektralfarben

als homogene Farblichter.

4. dass man das gespaltene Licht wieder zusammensetzen könne und dann alle

prismatischen Farben zusammen weiß ergeben würden, was anders ausgesprochen

bedeuten würde, dass alle prismatischen Farben zusammen genauso hell seien,

wie das „ungespaltene“ Licht.

5. dass im Grunde unendlich viele Übergänge innerhalb des Spektrums liegen

würden, sodass es eine Vielzahl von Gelbs gäbe, die dann langsam ins Orange

übergingen usw. bis ins Infrarot.

Mit diesen Schlussfolgerungen verknüpft wird:

6. die Annahme, dass jede Farbe einen ihr eigenen Brechungswinkel hätte.

7. die Annahme, dass Sonnenlicht anders zusammengesetzt sei, als beispielweise

Kerzen- oder Neonlicht und daher die Spektren dieser Lichter verschieden

seien.

8. die Annahme, dass die prismatischen Farben, wenn sie einmal entstanden sind,

sich ganz anders verhalten würden als farbiges Licht aus Farbfiltern oder von

farbigen Untergründen.

9. die Annahme, dass monochrome Hauptbilder die aus farbigen Lichtern besteh-

en (LED, Laser) »deshalb« keine Spektralfarben zeigen würden, weil sie ja

bereits monochromatisch sind.

* * *

Die Klassik Stiftung Weimar erwähnt das experimentum crucis in einem umfangrei-

chen Artikel zu Goethes Farbenlehre. Dort wird auch das angebliche Ergebnis

wiederholt. Nicht darauf hingewiesen wird, dass Goethe Newtons Nachweis genau

untersucht und seine Schlussfolgerungen auf das schärfste verurteilt hat:

Newton ließ in ein verdunkeltes Zimmer Sonnenlicht durch ein Loch im

Fensterladen fallen […] sein berühmtes Experimentum crucis führte zu einem

Ergebnis: Nachdem er verschiedene Teile des Farbspektrums isoliert und durch

ein zweites Prisma brechen lässt, erkennt er, dass diese Strahlen zwar unter-

schiedlich stark refraktiert werden, jedoch kein Spektrum, d. h. kein verlän-

gertes farbiges Lichtbild, entsteht. Daraus schlussfolgert er, dass die »wahre

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Ursache der Länge dieses Bildes aufgedeckt« sei. » [...] sie besteht in nichts

anderem, als darin, daß das Licht aus unterschiedlich brechbaren Strahlen

besteht, die, unabhängig von der Verschiedenheit des Einfallswinkels, je nach

ihrem Grade der Brechbarkeit zu verschiedenen Stellen der Wand geleitet

werden.« (Newton, Isaac, New Theory about Light and Colors, 1672, zit. nach J.

A. Lohne / Bernhard Sticker, Newtons Theorie der Prismenfarben, München

1969, S. 25.)152

* * *

152 Klassik Stiftung Weimar | Goethes Farbenlehre | 10.2011 - https://www.klassik-

stiftung.de/fileadmin/user_upload/Sammlungen/Goethes_Sammlungen/Goethes_Farbenlehre.pdf - Okt. 2016.

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b. Der Versuch und sein angebliches Ergebnis

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Als experimentum crucis (lat., sinngemäß etwa „entscheidendes

Experiment“) wurde schon vor Newton ein Experiment bezeichnet,

dessen Resultate für die Richtigkeit und Bestätigung einer Theorie von

besonderer Bedeutung sind.

b. Der Versuch und sein angebliches Ergebnis

In der Dauerausstellung im Goethe Nationalmuseum in Weimar konnte man 2010

über Newtons Hauptbeweis lesen:

Was nun hat man sich unter der besonderen Bedeutung genau vorzustellen?

Als experimentum crucis […] bezeichnet man in der Wissenschaftstheorie ein

Experiment, dessen Scheitern die dem Experiment zugrunde liegende Theorie

falsifiziert oder überwindet. Falsifikation […] oder Widerlegung, ist der Nach-

weis der Ungültigkeit der Aussage. (W-5/2016; siehe Anm. 24)

Abgekürzt gesprochen: Mit diesem Versuch steht oder fällt Newtons Theorie über

das Licht. – Dieses Experiment soll oder » m u s s « die Richtigkeit von Newtons

Lehre vom »farbigen Sonnenlicht« und der »Spaltbarkeit« desselben beweisen.

Gelingt dies nicht, so wäre das der Nachweis der Ungültigkeit der Aussage. Sie wäre,

zumindest der Definition nach, damit »überwunden«!

Dann hieß es weiter:

Newton beschreibt dieses Experiment ausführlich in seinem 1704 erschienenen

Hauptwerk Optics. Das besondere an dem Experiment ist, dass Newton zwei

Prismen hintereinander verwendet. Das erste Prisma (ABC) am Fensterladen [F]

Bild 163a – Newtons experimentum crucis. Mit frdl. Gen. der Klassik Stiftung Weimar.

Bild 163 – Originaltext zum experimentum crucis.

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7. Newtons experimentum crucis

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erzeugt auf dem mittig stehenden Schirm (DE) ein Sonnenspektrum [S]. Teile

dieses Spektrums gelangen durch das kleine Loch (g) in Schirm[de] zum

zweiten Prisma (abc), das direkt hinter dem Schirm steht. Dieses zweite Prisma

verschiebt das kleine Blendbild nach oben auf den entfernten Schirm (NM).

Newton dazu im Wortlaut (Zweite Proposition. Zweites Theorem):

406.

Bei den Versuchen zu der vierten Proposition des ersten Teils dieses ersten

Buchs, als ich die heterogenen Strahlen voneinander geschieden hatte, […]er-

schien das Spektrum […] [de], welches durch die geschiedenen Strahlen

hervorgebracht war, im Fortschritt […] von dem Ende […] [d], wohin die refran-

gibelsten Strahlen fielen, zu dem Ende […] [e], wohin die wenigst refrangiblen

Strahlen anlangten, gefärbt mit den Reihen von Farben, […] Violett, Dunkel-

und Hellblau, Grün, Gelb, Orange und Rot zugleich […] mit allen ihren

Zwischenstufen […] in einer beständigen Folge, die immer abwechselte, […]

dergestalt, dass sie als ebenso viele Stufen von Farben erschienen, als er Arten

von Strahlen gibt, die an Refrangibilität verschieden sind. […] Diese Farben also

konnten durch Refraktion nicht weiter verändert werden. Ich erkannte das, als

ich durch ein Prisma einen kleinen Teil bald dieser bald jener Lichter wieder der

Brechung unterwarf: denn durch eine solche Brechung war die Farbe des

Lichtes niemals im Mindesten verändert. [Herv. d. Verf.] 153

Das Ergebnis der Versuchsreihe wurde dann in den folgenden zwei Punkten

zusammengefasst:

Mit anderen Worten: Die jeweils ausgesonderte Spektralfarbe bleibt im Wesentlichen

gleichfarbig. Sie ist also monochrom, aber nicht ganz, sondern nur im Wesentlichen.

Was man sich darunter vorzustellen hat, soll in den folgenden Abschnitten unter-

sucht werden, denn es lohnt sich tatsächlich, gerade diesen Versuch selbst zu

probieren. Im Übrigen sei angemerkt, dass Newton von der unterschiedlichen Brech-

153 Goethe, 1988, III, 141f.

Bild 163b – Originaltext zum experimentum crucis.

Die farbigen Blendenbilder des Lochs g werden durch das zweite

Prisma verrückt, bleiben aber im Wesentlichen gleichfarbig.

Jeder dieser Farben entspricht eine für die jeweilige Farbe

spezifische Bildverrückung durch das Prisma.

Probieren Sie es selbst!

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b. Der Versuch und sein angebliches Ergebnis

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barkeit (Brechungswinkel) der jeweiligen Farbe sprach, während der Begriff des

Bildes und seiner Verrückung eigentlich auf Goethe zurückgeht.

Dann folgt Newtons Schlussfolgerung die Goethe neugierig machte, diese beson-

deren Farblichter selbst einmal zu sehen:

Noch einmal wird wiederholt, dass eine ausgesonderte Spektralfarbe nach einer

weiteren Refraktion nicht weiter verändert werden würde. Goethe wollte dieses

»Wunder der Natur« einmal mit eigenen Augen bestaunen und lieh sich dazu

Gerätschaften von HOFRAT BÜTTNER. Zu seiner Verwunderung sah er spontan

kein Spektrum (Siehe 9b; offene Fragen). Seine nachfolgenden Untersuchungen

bestätigten ihm schließlich, dass hier sehr wohl eine weitere Veränderung zu sehen

ist, die noch dazu von grundlegender Bedeutung ist. Während Newton das Spek-

trum durch die Aufspaltung des Sonnenlichtes erklärt, sieht Goethe dieses durch

das Spektrum erzeugt.

Damit ist sie geboren, die seit mehr als zwei Jahrhunderten währende Streitfrage:

* * *

Bild 163c – Originaltext zum experimentum crucis.

Aus diesem und weiteren Experimenten zieht Newton den Schluss,

dass das Sonnenlicht ein Gemisch verschiedenfarbiger Lichtstrahlen

ist, von denen jede Farbe eine spezifische Brechbarkeit bzw. Ablenk-

barkeit besitzt. Das erste Prisma entmischt diese farbigen Licht-

strahlen: ein Spektrum entsteht. Das zweite Prisma zeigt nun, dass

sich diese Lichtstrahlen beim Durchgang durch das zweite Prisma

nicht weiter verändern. Ein Prisma – so folgert Newton – erzeugt

daher keine Farben, sondern selektiert nur die im Licht enthaltenen

Farben auseinander.

Enthält das einfallende Licht bereits die Spektralfarben

und werden diese durch das Prisma gespalten

oder

werden die Farben durch Licht und Finsternis im Prisma erzeugt?

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c. Der Versuch aus dem Stehgreif

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Die Seiten 192 + 193 sind nicht Teil dieser Vorschau.

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7. Newtons experimentum crucis

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d. Das experimentum crucis im systematischen Versuch

Insofern scheint es – abgesehen von allen weiteren

Untersuchungen, ob Newtons Argumentation in sich

schlüssig ist – fraglich, inwieweit Newtons Experi-

mente geeignet sind seine Theorie zu beweisen.154

Da es sich hier um Newtons Hauptbeweis handelt, erscheint es gerechtfertigt,

diesem Punkt die gehörige Aufmerksamkeit zu schenken und ihn gründlich zu

untersuchen. Als Grundlage der Betrachtung sollen die von PROSKAUER zusam-

mengestellten Bedingungen für eine prismatische Farbenerscheinung dienen, die

sich für farbige Bilder/Lichter ergeben haben (Punkt 12 – 16).

12. Farbige Bilder kommen darin mit grauen überein, daß sie insgesamt heller als

Schwarz und dunkler als Weiß sind.

13. Sie verhalten sich deshalb zu ihrer Umgebung wie helle Bilder auf dunklem –

oder wie dunkle Bilder auf hellem Grunde, und wollen die entsprechenden

farbigen Randfarben hervorbringen.

14. Die durchs Prisma entstehenden Farbstreifen sind den farbigen Flächen entwe-

der homogen oder heterogen.

15. Wenn sich homogene prismatische und Flächenfarben vereinigen, scheint die

Fläche vergrößert, bei heterogenen Farben erscheint sie verkleinert.

16. Dementsprechend erscheinen die Farben gegeneinander verschoben, immer an

anderer Stelle, je nachdem ob sie auf dunklem oder hellem Grunde stehen.155

Zum Versuchsaufbau

Ein Spalt- Spektrum wurde durch einen Diaprojektor und ein Wasserprisma er-

zeugt und dann auf eine größere, in der Höhe verstellbare Tafel geworfen, aus

welcher ein Spalt von 1 bis 2 mm ausgeschnitten war. Die Tafel wurde nun so

platziert, dass immer nur eine Prismenfarbe durch den Spalt gelangen konnte.

154 Rang, 2015, 256. 155 Proskauer, 1985, 35.

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7. Newtons experimentum crucis

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Direkt hinter dem Spalt wurde ein »stark« projizierendes Prisma angebracht.

Dahinter wurde in geringer Entfernung ein weißer Auffangschirm platziert, so dass

die ausgesonderte Farbe darauf eine gut sichtbare Größe erreichte. Auf diesem

waren zwei Dinge zu sehen:

1. Die Projektion („Verrückung“) der Farbe (des Bildes) durch das zweite Prisma.

2. Die farbigen Ränder, die sich an der prismatischen Farbe zeigen, mit derselben

überlagern und dadurch ggf. verändert erscheinen.

Einige Hinweise

Das Spektrum wurde objektiv erzeugt und die ausgesonderte Farbe dann auf

einem Auffangschirm abgebildet. Durch ein Prisma vor dem Auge wurde die

jeweilige Farbe dann betrachtet. Die Kamera, an dessen Stelle gesetzt, erzeugte

dann die nachfolgenden Abbildungen. Dieser Versuchsaufbau geht auf den

Forscher DESAGULIERS zurück, der eine gemischt abgelöst und eingebundene Varian-

te darstellt. Dabei nimmt der Experimentator […] dann ein Prisma zur Hand und blickt

durch dieses auf das abgelöste Bild des präparierten bzw. selektierten Spektralausschnitts

[…].156

Wer einmal mit mechanischem Präzisionsspalt, Kondensorlinsen, Geradsicht-

prisma und umlenkenden Spiegeln gearbeitet hat wird vielleicht einwenden, dass

diese Versuche zu „grobschlächtig“ und „amateurhaft“ sind und, beispielsweise,

die herzustellende Parallelität des Sonnenlichtes vermissen lassen. Hierzu sei

eingewendet, dass der Verfasser zahlreiche Versuche u. a. mit der von Rang entwi-

ckelten Spiegelspaltblende aufgebaut hat. Dabei war festzustellen, dass man alle

Anstrengung unternehmen muss, um die stets auftauchenden Rand- und Saum-

farben zum Verschwinden zu bringen. Denn es ist im Grunde nicht die Frage, ob

die Spektralfarben nach einer weiteren Refraktion ebenfalls erscheinen, sondern es

wird bei den Versuchsaufbauten deutlich, dass man die Bedingungen herausfinden

muss, unter welchen sie sich nicht »zeigen«.

Der Verfasser ist davon überzeugt, das prismatische Geschehen »rein« und so

schlicht wie möglich abgebildet zu haben. Das Licht, bzw. die spätere Spektralfarbe

hat in dem kombinierten Versuch die »geringst mögliche« Veränderung erfahren.

Rang, der später noch eine Ausführliche Begründung anführt, warum ein monochro-

matisches Spektralbild versuchstechnisch überhaupt nicht zu realisieren ist, bezei-

chnet selbst den kombinierten Versuch, als die »beste Versuchsanordnung«.

Darüber hinaus sei dem Anwender von Linsen, Spiegeln und weiteren Prismen

entgegnet, dass diese Mittel alle eine »zusätzliche« Refraktion hervorrufen, da eine

Linse in Teilprismen gegliedert werden kann. (Siehe die Einwendungen Kap. 8d,

156 Rang, 2015, 272f.

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d. Das experimentum crucis im systematischen Versuch

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Rang 6.2.3) In diesem Sinne zeigen die „hygienisch“ bereinigten Versuchsaufbauten

im Grunde »zusammengesetzte«, und damit komplexere Phänomene. An dieser

Stelle sei nochmal hingewiesen, dass bereits Goethe die Bedingungen untersucht

und angegeben hat, die eine Refraktion »ohne« Farbenerscheinung ermöglichen

(XII. Refraktion ohne Farbenerscheinung, XIII. Bedingungen der Farbenerscheinung).157

Dem Einwand, dass ja die ausgesonderte Farbe nie „ganz rein“ sei, weil sich die

andersfarbigen „Lichtstrahlen“ die neben dieser Farbe liegen mit hineinmischen sei

entgegnet, dass die Annahme von unzähligen, chromatisch fließend übergehenden

Lichtstrahlen durch den Nachweis exakt begrenzter Nebenbilder hinfällig ist

(Kap. 2b). Bei der jeweils ausgesonderten Farbe vergewissere sich der Betrachter,

auf welche Nebenbilder er blickt. Hat er es im Spalt-Spektrum mit der Primärfarbe

Rot zu tun oder mit der Sekundärfarbe Gelb, die aus der Überlagerung des roten mit

dem grünen Nebenbild hervorgegangen ist. Will man dann eine Verfärbung durch

diese „Einmischung“ annehmen, so darf man keine beliebige Farbe wählen,

sondern muss sich neben dem roten auf das beteiligte grüne Nebenbild beziehen. In

diesem Sinne sind dann auch Farben verwendbar, die nicht „ganz rein“ sind, weil

man ihre Abkunft »genau« bestimmen kann.

Der Betrachter sei aufgerufen die verschiedenen Farben des Spektrums sorgfältig

zu betrachten, denn die helleren Farben bilden einen stärkeren Kontrast und zeigen

daher die Nebenbilder und deren Überstände deutlicher. Der genaue Beobachter

wird aber auch bei Rot und Violett eines Streifens gewahr. In allen Abbildungen

dieser Reihe ist die Richtung der Projektion nach oben. Alle ausgesonderten Spek-

tralfarben, auch die des Steg-Spektrums, erscheinen vor schwarzem Hintergrund.

Sie sind also ein »helles Bild auf dunklem Grund«, weshalb jeweils die RGB-Neben-

bilder zu erwarten sind.

Bei mehreren Aufnahmen bediente sich der Verfasser der technischen Möglichkeit

die digitalen Bilder aufzuhellen und in der Farbe zu verstärken. Damit wurden diese

Bilder zwar »verändert«, aber nicht »verfälscht«, denn es kann nur »verstärkt«

werden, was im Ansatz vorhanden ist. Die Aufhellung verändert zwar den

Farbton, aber nicht die Anzahl der Nebenbilder (Farben). Sie macht auch ein Blau

nicht zu einem Gelb usw. womit trotz dieser Veränderungen das »wahre« Bild

erhalten bleibt. Alle diesbezüglichen Veränderungen werden dem Leser angezeigt.

* * *

157 Goethe, 1988, I, 122f.

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7. Newtons experimentum crucis

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Das dreifarbige Spalt-Spektrum (Abb. 170)

Bild 170 – Spektrales Zinnober aus dem RGB-Spektrum.

Bild 171 – Die Spektralfarbe durch ein zweites Prisma aufgenommen.

Bild 172 – Bild 171 etwas vergröpert, aufgehellt und in der Farbe verstärkt.

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d. Das experimentum crucis im systematischen Versuch

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Auf den ersten Blick, scheint das Spektralbild (Abb. 171) einfarbig. Die Aufhellung

und Verstärkung der Farbe (Abb. 172) zeigt aber drei Farben: unten das Rot, in

welchem sich das rote Nebenbild zeigt. Darüber sieht man das mittlere, grüne

Nebenbild wie einen schwachen Nebel liegen. In der Überlagerung dieser beiden

Nebenbilder entsteht der gelbe Streifen zwischen ihnen. Das ganz oben liegende

blaue Nebenbild ist nicht zu sehen. Diese Spektralfarbe ist also nach seiner

Refraktion nicht monochrom, sondern zumindest »dreifarbig«. Wenn auch das blaue

Nebenbild (hier) nicht zu sehen ist, so lässt sich doch erkennen, dass es sich hier um

ein »echtes« Spektralbild handelt, das aus zwei (sichtbaren) Nebenbildern entsteht.

Die Seiten 199 + 215 sind nicht Teil dieser Vorschau.

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