9691343 Das Hohelied Salomos

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DAS HOHELIED SALOMOSvon Hjalmar Ekstrm

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Andr Rademacher 06/2008

Einleitung_______________________________________________________________________________________

D A S H O H E LI ED SA LOMOSvon H ja lma r Ekst r m

D e r We r d ega n g e i n e r S e el e b i s zu r Ve r m h l u n g m i t C h r i s t u s

1983 Na chdr uck 2004

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Einleitung_______________________________________________________________________________________

betont werden, dass das, was in dieser Darstellung den Einzelnen betrifft, auch der Gemeinde gilt.

EINLEI T UN G

ie folgende Darstellung bezweckt nicht Ausfhrlichkeit und Allseitigkeit, sondern will Andeutungen geben, das Hohelied auf eine Art zu lesen. Es gibt andere vllig berechtigte Arten. Es muss nur

Das Hohelied Salomos ist in Bildersprache geschrieben, und in Bildern muss man davon reden, wenn man seiner Verkndigung nahe kommen soll. Bilder sind dazu da, um das anzudeuten und so anschaulich wie mglich zu machen, was fr die gewhnliche Sprache zu hoch ist. Wenn sie diesen Auftrag erfllt haben, haben sie genug getan. Wrde man sie weiter pressen, wrden sie irrefhrend werden.

Das Hohelied, wie es hier dargestellt wird, schildert den Weg des Einzelnen mit Christus, oder richtiger: Christi Weg mit dem Einzelnen ganz bis zum Ziel, der vlligen Vereinigung zwischen Ihm und der Seele. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass der Weg jedes Einzelner, in Einzelheiten mit dem Weg der Braut im Hohelied bereinstimmt. Das Wesentliche ist fr alle gemeinsam; in den Einzelheiten bleibt aber jeder Einzelne ein individuelles Glied, und dieses gilt auch in Bezug auf die Reihenfolge auf dem Weg der Entblung. Einer mag von einer gewissen Sache in einem frheren oder spteren Stadium als ein anderer entblt werden, ohne dass dies einen Unterschied in dem Ganzen ausmacht.

Weiterhin knnen einige einen kurzen und andere einen langen Weg bis zum Ziel haben, ohne dass deswegen gesagt werden kann, dass der Weg des einen besser sei als der des andern. Von Bedeutung ist, wie tief in die Demtigung hinein Gott einen Menschen fhren kann.

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Inhaltsverzeichnis_______________________________________________________________________________________ Inha lt sve r zeichis Vorderseite Einleitung

I II III IV V VI VII VIII

Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

(Werbezeit) (Verlobungszeit) (Der innere Versammlungsort) (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung) (Erweckung in der Nacht) (Auferstehungsleben) ( Der Brautstand, Zeit nach der Vermhlung) (Wirken in der Welt- Bewohnerin der Lustgrten, Freunde)

Nachwort

Zusatz

Hinweise aus dem GEJ auf das Hohelied

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1 Kapitel (Die Werbezeit)_______________________________________________________________________________________

Das 1 KapitelDie We rbe zeit

1,1) Das Lied der Lieder von Salomo; so heit das Buch eigentlich. Man kann das Lied der Lieder auf mehrere Arten lesen, wir aber wollen uns mit dieser befassen: Christus und die Seele. Es ist also die Rede von dem Einzelnen und Christus, vom Alleinsein der einzelnen Seele mit Ihm. Um berhaupt ein Verhltnis zu Christus zu haben, muss man von allem weltlichen Zusammenhang abgesondert und Auge zu Auge Ihm und den geistlichen und himmlischen Wirklichkeiten gegenbergestellt sein. Mitten in der Welt und mitten in allem, was einen solchen Menschen umgibt, kommt er in Kontakt mit einer neuen Welt. Er sieht nicht lnger die Welt in der Welt, und nicht lnger den Himmel im Himmel, er sieht nur Ihn in der Welt und im Himmel. Er selbst wird die neue Welt.

Der erste Teil vom Lied der Lieder knnte man als die Werbezeit bezeichnen, in der die Braut fr den Brutigam angenehm gemacht wird. Die Einheit ist da im Werden, anfangs schwach und wankend, obgleich sie seitens der Braut sich stark erzeigen kann. Das ganze Lied der Lieder ist eine Schilderung, wie die Einheit zwischen der Seele und Christus, der Braut und dem Brutigam, heranwchst.

SCHLACHTER BIBEL 2000Er ksse mich mit den Kssen seines Mundes! Denn deine Liebeserweise. sind besser als Wein.

1,2) Hier spricht die Braut: Er ksse mich mit den Kssen seines Mundes. Es ist die erste Sehnsucht nach Ihm, welche sich in dieser Bitte ausdrckt. Sie hat einen Blick in seine Herrlichkeit getan und sich von der Luft einer andern Welt umweht gefhlt. Sie fhlt sich unwiderstehlich zu Ihm hingezogen; ihr Gefhl glht auf, alles in ihr luft Ihm entgegen, um sich Ihm hinzugeben. Sie verlangt nach den Kssen seines Mundes. Sein Mund bezeichnet hier das Wort. Das Wort ist sein Ausatmen, die Hingabe Seiner selbst an die Seele. Es ist also in dem Wort, dass sie seine Ksse und den ganz innigen Umgang mit Ihm findet, wonach sie verlangt. Ksse bezeichnen ja eine Vereinigung, eine Vereinigung, welche danach trachtet, sich fr den andern zu opfern, ganz in den andern einzugehen. 6

1 Kapitel (Die Werbezeit)_______________________________________________________________________________________

Die Liebe der Braut begehrt in dem Kssen ihr ganzes Sein fr den Brutigam zu opfern, das heit, sich in Ihn einzugieen, in Ihm zunichte zu werden. Und die Liebe des Brutigams begehrt gleicherweise, in dem Kssen sein ganzes Sein fr sie zu opfern, sich in sie einzugieen, in ihr zunichte zu werden. Opfer begehrt Opfer. Sein Opfer begehrt sie als ein Opfer, das heit: Seine Liebe, welche Opfer ist, ruht nicht, bevor sie die Geliebte ganz zur Liebe, ganz zum Opfer gemacht hat. Dies versteht sie noch nicht richtig, sie fhlt nur ihre Sehnsucht. Es ist ihr, als wre es nur sie, welche nach Ihm verlangt, aber in Wirklichkeit kann sie nicht nach Ihm verlangen, bevor Er nach ihr verlangt hat. Es ist seine Liebe, welche im Ernst die ihrige ffnet, welche den ganzen Weg die ihrige hervorlockt. Alle Liebe ist die Seinige. Es gibt keine Liebe, welche nicht aus der Seinigen fliet. Obwohl sie dies noch nicht klar sieht, ahnt sie doch etwas davon und sagt: Denn deine Liebe ist lieblicher als Wein.

Lieblich duften deine Salben; dein Name ist wie ausgegossenesSalbl: darum lieben dich die Jungfrauen!

1,3) Lieblich an Geruch sind deine Salben, ein ausgegossenes Salbl ist dein Name; darum lieben dich die Jungfrauen. Das was der Braut begegnet, wenn sie mit dem Brutigam umgeht, ist wie ein Duft von einem fernen Land. Der Duft kommt mitunter aus der Ferne und mitunter aus ihrer nchsten Nhe, aber, ob nahe oder ferne, hat er ein wunderbares Vermgen, auf sie einzudringen und sie mit einer Lieblichkeit zu durchdringen, welche bewirkt, dass sich alles in ihr fr Ihn weit ffnet. Allein der Klang seines Namens ist wie ein ausgegossenes Salbl, dessen starker Wohlgeruch sich um sie verbreitet, in sie eindringt und sie dazu antreibt, immer wieder an Ihn zu denken und von Ihm zu trumen. Deswegen, denkt sie, mssen alle Ihn lieb haben. Aus ihrem - Alleinsein mit Ihm heraus steigt dieser Gedanke auf. Alle haben teil an ihrem Verhltnis zu ihm. Durch sie haben sie Eingang in ihre Gemeinschaft mit Ihm. Sie ist allein mit Ihm und sieht keinen andern als Ihn; aber in Ihm sieht sie, dass alle, die auf ihren Weg kommen, gleichsam sich hinter ihr scharen und eins mit ihr in der Liebe zu Ihm werden. Sie sieht dies in seinem Angesicht sich widerspiegeln und freut sich.

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1 Kapitel (Die Werbezeit)_______________________________________________________________________________________

Zieh mich dir nach, so laufen wir! Der Knig hat mich in seine Gemcher gebracht; wir wollen jauchzen und uns freuen an dir, wollen deine Liebe preisen, mehr als Wein; mit Recht haben sie dich lieb!

1,4) Deswegen sagt sie: Ziehe mich, wir werden dir nachlaufen. Sein Ziehen, welches ihr schon in mehreren Arten begegnet ist, wird etwas unerhrt Bedeutsames fr sie und fr alle, welchen sie begegnet ist und noch begegnet. Wenn Er sie zieht, laufen sie alle. Sie braucht dabei nicht eigentlich an die andern zu denken, sondern blo an sein Ziehen. In dem Ziehen liegt nmlich dies: An andere zu denken und sie zu tragen, was ntig ist. Sein Ziehen wird der Lebensnerv selbst in ihrem geistlichen Leben, und auf diesem Ziehen wird alles beruhen, sowohl fr sie als durch sie fr andere. Deswegen betet sie dies so viel umfassende Gebet:

Ziehe mich. Alles in mir, sowohl mein Gutes als mein Bses, soll zu dir laufen, um da in Schutz genommen zu werden. - Dieses ziehe mich wird ihr Gebet den ganzen Weg hindurch, sowohl im Weh als im Wohl, bis dass sie vollendet, das endgltige Ziel erreicht hat. In dem Stadium, in dem sie sich jetzt befindet, sagt sie ja zu dem Ziehen: Der Knig hat mich in seine Gemcher gefhrt. Der Knig ihrer Seele und der Brutigam ihres Herzens hat seine Gemcher in ihr eingerichtet, und dahinein hat Er sie gezogen, dass sie seine Gegenwart daselbst genieen mge.

Seine Gemcher bezeichnen seinen intimsten Raum, wo Er sich zurckzieht, um mit seiner Geliebten ungestrt zu sein. Wir wollen frohlocken und deiner uns freuen, wir wollen deine Liebe preisen mehr als Wein, sagt sie, obgleich sie vorher gesagt hat, dass es nur sie ist, weiche Er in seine Gemcher gefhrt hat. Dies bedeutet, dass alle, mit denen sie in Verbindung steht, mit ihr eingeladen sind (vergleiche: ziehe mich, wir werden dir nachlaufen), und sich ber Ihn freuen und seine Liebe mehr als Wein preisen, d.h. mehr als alles andere, worber man sich freut, im Himmel und auf Erden.

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1 Kapitel (Die Werbezeit)_______________________________________________________________________________________

Schwarz bin ich, aber lieblich, ihr Tchter Jerusalems, wie die Zelte Kedars,1 wie die Vorhnge Salomos2 Seht mich nicht an, weil ich so schwrzlich bin, weil die Sonne mich verbrannt hat! Die Shne meiner Mutter zrnten mir, sie setzten mich zur Hterin der Weinberge; [doch] meinen eigenen Weinberg habe ich nicht gehtet!

1,5-6) Die Braut wendet sich an ihre Umgebung, um ihr Verhltnis allein mit dem Knig, ihrem Brutigam, zu verteidigen: Ich bin schwarz, jedoch anmutig, sagt sie. Seitdem sie in seine Herrlichkeit hineingeschaut hat, hat sie sich im Vergleich zu Ihm schwarz befunden, und dadurch hat sie sich sogar im Vergleich mit allen andern schwarz befunden. Seine Herrlichkeit hat sie schwarz gemacht. Sie ist die Allerschwrzeste von allen, die Elendeste. Wie kann Er sie dann vor andern lieben? Sie hat freudevoll das Geheimnis entdeckt: Eben deswegen ist sie so schwarz, so elend geworden, weil Er sie so liebt. Die Schwrze kommt davon, dass sie der Sonne so sehr ausgesetzt worden ist, sagt sie. Und die Sonne ist Er. Es ist eben die Glut seiner Liebe, die sie so schwarz gemacht hat. Die Sonne seiner Liebe hat angefangen ihre eigene Schnheit zu verbrennen und ihr eine zu verleihen, die ihr unbewusst ist, eine himmlische. Die himmlische Schnheit steht im Gegensatz zu der irdischen, deswegen erscheint sie schwarz fr den irdischen Anblick. Und eben durch diese Schwrze wird die Braut aus ihrer irdischen Schnheit und Gte herausgenommen und abgesondert, geheiligt fr den Himmel und dessen Schnheit und Gte. Die Heiligen sind die Elenden und Schwarzen, welche nichts bei sich selbst finden knnen, worin sie ruhen knnen, und die deswegen getrieben werden, alles bei einem andern zu suchen.

Sie haben kein Dach, worunter sie Zuflucht suchen knnen, und mssen daher die Barmherzigkeit der Sonne suchen. Und die Sonne erbarmt sich ihrer, indem sie ihnen die Schwrze gibt, weiche bewirkt, dass sie mit Ihm Umgang haben knnen, und welche sie vor der Welt schtzt. Denn die Welt will nichts von solchen wissen, die der Himmel schwarz gemacht hat, solche, welche unter dem Einfluss der andern Welt sind.

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Die Zeltdecken der Araber waren aus schwarzen Ziegenhaaren. Salomos kostbare Zeltbehnge waren bunt

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1 Kapitel (Die Werbezeit)_______________________________________________________________________________________

Aber innerhalb ihrer Schwrze fngt seine Herrlichkeit an aufzuleuchten, denn da wohnt Er mit all seiner Herrlichkeit. Seine ganze Liebe wendet sich dieser schwarzen Braut zu, seine Liebe, welche der berfluss, das berstrmen seines Herzens ist, das sich selbst zersprengen will, um in die Schwarze, die Elende, die welche ganz Snde ist, hineinzuflieen. Sie wird unendlich klein vor seiner unendlichen Gre. Sie kann nicht zu klein, nicht zu sndig vor der Herrlichkeit werden, die ihr aus seinem Angesicht entgegenstrahlt. Aber gerade diese Kleinheit ist gro vor Ihm; in diese kann Er einziehen und zu Hause sein.

Meiner Mutter Shne zrnten mir, bestellten mich zur Hterin der Weinberge. Ihre Mutter bezeichnet die Welt; sie ist geboren und auferzogen als Kind der Welt, hat aber dem Ruf des Knigs gehorcht, aus ihr hinauszugehen. Aber ihre Brder, die Shne der Welt, zrnen ihr, weil sie diesem Ruf gefolgt ist und mit Ihm Umgang sucht, der nicht von dieser Welt ist. Sie wollen sie aus diesem Umgang herausreien und sie daran hindern, im Himmlischen zu leben. Mit der Autoritt, die sie ber sie haben, setzen sie sie deswegen zur Hterin der Weinberge, d.h. irgendetwas zu sein, was in der Welt von Bedeutung ist, z.B. weltliche Sitten und weltlichen Glanz zu hten und zu pflegen. Solche versuchende Auftrge legt die Welt immer dem in den Weg, der von dem Geistlichen ergriffen worden ist. Aber hier gelingt es nicht. Sie lsst sich zur Hterin der Weinberge setzen, aber sie wird doch nicht von der anderen Welt los: Meinen eigenen Weinberg habe ich nicht gehtet; d.h. sie kann nicht von Ihm wegkommen, der ihr Herz (ihren Weinberg) ergriffen hat. Whrend sie den Weinberg der Welt htet, ist ihr eigener von diesem Herzensruber weggeraubt und wird von Ihm gehtet.

Sage mir doch, du, den meine Seele liebt: Wo weidest du? Wo hltst du Mittagsrast? Warum soll ich wie eine Verschleierte sein bei den Herden deiner Gefhrten? Ist es dir nicht bekannt, du Schnste unter den Frauen, so geh nur hinaus, den Spuren der Schafe nach, und weide deine Zicklein bei den Wohnungen der Hirten!

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1 Kapitel (Die Werbezeit)_______________________________________________________________________________________

1,7-8) Sie macht Sklavenarbeit unter der Welt, aber ihr Herz ist anderswo. Die Welt kann nicht ihr Inneres binden. Alles in ihr luft dem Brutigam entgegen. Sie verlangt nach Ihm und sucht Ihn. Wenn der Druck der Welt ihr eine freie Stunde lsst, sucht sie Ihn auch durch uere Mittel, indem sie die Einsamkeit aufsucht, um Ihm dort zu begegnen. Und unterdessen spricht sie zu Ihm: Sage mir an, du, den meine Seele liebt, wo weidest du, wo lssest du lagern am Mittag? Wenn sie Ihn dennoch nicht findet, irrt sie umher mit einem Herzen von Angst erfllt, vor Liebe, und trifft seine Freunde, wo sie ihre Herden hten, und sagt: Warum sollte ich wie eine Umherirrende sein bei den Herden deiner Genossen?

Diese Freunde bezeichnen die Hirten fr die Herden der Kirche, d.h. solche Hirten, die sich selbst, eigene Macht und Erfolg und Ehre neben Ihm suchen. Jeder von ihnen will sie in seine Herde und seinen Schafstall haben. Fr eine gewisse Zeit knnen sie sie wohl aufhalten, aber das Herz lsst ihr keine Ruhe, sie muss zu Ihm selbst kommen: Wenn du es nicht weit, du Schnste unter den Weibern, so gehe hinaus, den Spuren der Herde nach, und weide deine Zicklein bei den Wohnungen der Hirten. Auf diese Weise hin begibt sie sich dann auf den Weg, nachdem sie die Zicklein (ihre uere, notwendige Arbeit) bei den Wohnungen der Hirten geweidet hat (im Schutz von den bestehenden religisen und brgerlichen Anordnungen), d.h. sie setzt ihre uere Arbeit fort, ohne sich davon in ihrem inneren Wandel stren zu lassen! Sie folgt den Spuren der Herde nach in der Welt. Die Herde besteht aus allen denen, welche durch die Zeiten in Wahrheit seine Nachfolger gewesen sind. Es ist also seine Spur in der Welt, welcher sie folgt, die Spur des Erniedrigungslebens. Die fr die Halbgeistlichkeit angepasste Geistlichkeit der Welt will jetzt nichts von ihr wissen. Sie ist zu gering fr die feine, uerliche Frmmigkeit der Welt. Sie hat aber keine Zeit fr uerliche Frmmigkeit und geistliche Manieren, weil sie durch die Gebiete in den Spuren des Erniedrigungslebens eilt, und dadurch an dem ueren ihrer Seele von Staub und Schlamm beschmutzt und von Gestrpp und Dornen zerrissen wird. Sie passt nicht in die respektable, geistliche Gesellschaft. Sie wird einsam im ueren, so wie sie im Inneren einsam ist, allein mit dem Brutigam, wenn sie Ihn endlich findet.

Einer Stute am Wagen des Pharao vergleiche ich dich, meine Freundin!

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1 Kapitel (Die Werbezeit)_______________________________________________________________________________________

1,9) Schnell laufend kommt sie zu Ihm, und deswegen sagt Er: Einem Rosse an des Pharao Prachtwagen vergleiche ich dich, meine Freundin. Sein Herz fliet ber vor Liebe, wenn Er sie so beschmutzt und zerrissen von dem Wege sieht. Die Spuren des mhsamen Weges haben sie fr Ihn nur um so schner gemacht. Jede einzelne Linie und jede einzelne Bewegung der Gestalt ihrer Seele sind schn.

Deine Wangen sind lieblich in den Kettchen, dein Hals in den Perlenschnren!

1,10) Er sieht die innere Schnheit ihrer Liebe durch ihr bel zugerichtetes uere hervorstrahlen. Der innere Schmuck sind die Kettchen und die Perlenschnre, die Er hoch schtzt, und es sind gerade die Mhen des Weges, welche ihr diese verschafft haben.

Wir wollen dir goldene Kettchen machen mit silbernen Punkten!

1,11) Aber Er will ihr noch schnere Schmucksachen geben: Goldene Kettchen mit Punkten von Silber. Gold bezeichnet gttliche Gte und Liebe; Silber gttliche Wahrheit und Weisheit. Dieser Schmuck ist nicht der ihrige, sondern der Seinige, und er bleibt der Seinige, auch wenn sie Besitzerin desselben wird. Sie bekommt ihn als inneren, fr die Menschen unsichtbaren Schmuck, aber er strahlt dennoch seinen verborgenen Glanz in ihre Umgebung hinaus und wirkt auf die Menschen. Er und die ganze himmlische Welt schauen ihn und freuen sich darber.

Solange der Knig an seiner Tafel war, gab meine Narde ihren Duft.

1,12) Wenn der Knig sie so geschmckt hat, und sie gewaschen und gekleidet worden ist, fhrt Er sie zu dem Fest hinein, das Er fr sie bereitet hat. Sie sagt: Whrend der Knig an seiner Tafel ist, gibt meine Narde ihren Duft. Narde bezeichnet Hingabe. Die Hingabe ist der Inbegriff von allem, was von der Tiefe der Seele heraus dem Brutigam entgegenduftet.

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1 Kapitel (Die Werbezeit)_______________________________________________________________________________________

Es ist der Inbegriff von allem, was sein Wesen in ihr erweckt hat, und was Er ihr also gegeben hat. Es gehen Wellen von Duft zwischen Ihm und ihr, und diese Wellen erhhen die Feuer der Herzen. Der Duft ist das Feinste von allem, das Verborgenste und Ergreifenste, das Schwchste und das Strkste, das Ungreifbarste und Allerlieblichste zwischen zwei Liebenden.

Mein Geliebter ist mir ein Myrrhenbschel, das zwischen meinen Brsten ruht.

1,13) Sie sagt: Mein Geliebter ist mir ein Bndel Myrrhe, das zwischen meinen Brsten ruht. Es ist hier ein wortloses Gesprch zwischen ihnen. Der Duft ist die Mitteilung. Ihr Nardenduft geht zu Ihm und sagt das Seinige, und sein Myrrhenduft geht zu ihr und sagt das Seinige. Er wohnt in ihr und redet dort zu ihr mit seinem Duft. Die Myrrhe ist bitterlieblich. Sie bezeichnet die Kraft zur Liebe, die Kraft, die aus Leiden und Kreuz besteht. Die Liebe ist ein Leiden, ein bitterliebliches Leiden und Sterben fr einander. - Sie ist noch nicht seine Braut, sie ist blo dabei, zubereitet zu werden. Deswegen hat sie Ihn in sich als ein Bndel Myrrhe, sie darf Ihn noch nicht in anderer Weise besitzen.

Mein Geliebter ist mir wie ein Bschel der Cyperblume1. in den Weinbergen von En-Gedi!

1,14) Sie fhrt fort: Eine Zypertraube ist mir mein Geliebter, in den Weinbergen von Engedi. Es ist immer noch der Duft, wovon die Rede ist, der Duft, der zugleich entfernt und intim ist. Er kommt von dem Geliebten, der zwar entfernt, aber dennoch in ihrem Inneren nahe ist. (Sie ist ja nur in ihrem Inneren zu Ihm gekommen und feiert mit Ihm das Fest). Sie ist noch weit von der eigentlichen Vereinigung entfernt, aber der Duft von Ihm dringt zu ihr hin und bringt in ihrem Inneren eine knospende Vereinigung des Ziehens, welche macht, dass alles in ihr zu Ihm gezogen und gesogen wird; in einer zarten, scheuen und schchternen Weise.

Siehe, du bist schn, meine Freundin, siehe, du bist schn; deine Augen sind [wie] Tauben!

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Eine Pflanze mit traubenfrmigen Bltenbscheln

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1 Kapitel (Die Werbezeit)_______________________________________________________________________________________

1,15) jetzt antwortet Er in ihrem Inneren: Wie bist du schn, meine Geliebte! Wie bist du schn! Die Hingabe strahlt aus ihrem ganzen Wesen hervor und bringt eine herzergreifende und bezaubernde Schnheit an ihr zustande. Alles wird strahlend, ihr Wesen sowie ihre Worte. Alles an ihr erzeugt Schnheit, eine Schnheit, deren Ursprung Er ist. Er opfert ihr seine Schnheit. Er entblt sich selbst all seiner Schne, gibt sie ihr und sieht sie diese ausstrahlen. Und Er, der Erhabene und Reine und Heilige, steigt zu ihr in ihre Tiefe hinab, und - betet sie an: Wie bist du schn! Deine Augen sind Tauben. Die einfltige, aber mchtige Schnheit der Unschuld strahlt Ihm aus ihren Augen entgegen (eine Unschuld, die von der Unschuld herkommt, die Er ihr erwarb, als Er sie vom Verlorengehen mit seinem heiligen und unschuldigen Blut freikaufte).

Siehe, du bist schn, mein Geliebter, und so lieblich! Ja, unser Lager ist grn. Zedern sind die Balken unseres Hauses, Zypressen unsere Tfelung.

1,16-17) Sie antwortet: Wie bist du schn, mein Geliebter! Ja, holdselig bist du! Nun opfert sie Ihm ihre empfangene Schnheit. Anbetend steigt sie aus ihrer Tiefe zu seiner Hhe hinauf und opfert Ihm wieder all das, was Er ihr gegeben hat. Sie kann nichts fr sich selbst behalten, alles muss Sein sein. Er hat sie mchtig gemacht, Ihm Schnheit und Lieblichkeit zu geben, sie, welche in sich selbst eitel Hsslichkeit und Widerlichkeit ist. So opfern sie einander Schnheit und Lieblichkeit. Der Ball der Schnheit und Lieblichkeit wird in diesem Ballspiel zwischen ihnen hin- und hergeworfen. Ja, unser Lager ist frisches Grn, sagt sie. Es ist ein Bild von den grnen Auen der Ruhe, welches ihr vor Augen steht. Das Ruhelager ist frisch und grn duftend; eine lebendige Ruhe, wo die Ruhe Wirken, und das Wirken Ruhe wird, wo die Lieblichkeit wchst und wchst. - Die Balken unserer Behausung sind Zedern, wo der Brutigam in ihrem Innersten verborgen ist, und wo sie Umgang pflegen und lieben. Zedern- und Zypressenholz sind duftende Hlzer. Es ist wiederum der Duft, wovon die Rede ist. Dies zeigt, welch groe Bedeutung er hat, und auf welchen feinen, geheimnisvollen Wegen er, von allen Seiten die beiden umstrmend, auf sie eindringt und ihnen Ruhe und Frieden gibt. Aber diese Hlzer sind auch stark und schn. Die Schnheit und die Geborgenheit haben eine gleich groe Bedeutung wie der Duft. Sie, die von Natur wie eine scheue Taube ist, fhlt sich jetzt in innerer Weise von Geborgenheit umgeben, und ihr Schnheitshunger, sowohl der ihrer Augen als ihrer brigen Sinne, ist gesttigt. 14

2 Kapitel (Die Verlobungszeit)_______________________________________________________________________________________

Die Ve r lob ungszeit

Das 2 Kapitel

Ich bin eine Narzisse von Saron, eine Lilie der Tler.

2,1) Das Vorhergehende haben wir die Werbezeit genannt. Das nun folgende wollen wir die Verlobungszeit nennen, um damit zu bezeichnen, dass das Verhltnis in eine neue Entwicklungsstufe getreten ist, die eine festere Vereinigung mit sich bringt, aber doch nicht die vollkommene, nmlich die eheliche. - Die Braut sagt: Ich bin eine Narzisse Sarons, eine Lilie der Tler. Wegen all der Liebe, deren Gegenstand sie ist, fhlt sie ihre Unwrdigkeit um so mehr. Jedoch kann sie nicht verleugnen, dass sie von Wert fr Ihn ist. Sie ist eine Blume, obgleich eine geringe. Sie ist eine Narzisse Sarons. Es gibt nichts Bemerkenswertes an ihr. Saron ist auch nichts Besonderes, blo eine Ebene, aber eine Ebene, die weger! ihrer Flle von Blumen bekannt war. Ein e Blume in der Menge der Blumen zu sein, heit gewiss eine geringe zu sein. Eine Lilie unter allen Lilien im Tale (das Niedrige) ist nichts Besonderes. Wer sollte wohl gerade auf sie schauen? Als solche muss sie davon abstehen, von den vielen gesehen und von ihnen bewundert zu werden. Sie muss dem Verlangen entzogen werden, sich auszuzeichnen und etwas unter den Menschen zu bedeuten. Deswegen ist es auch ein unfassbares Wunder und eine berwltigende Gnade, dass Er seine Blicke auf sie geworfen hat. Aber eben dies macht aus, dass sie sich geringer als alle anderen empfindet, und dass sie danach streben muss, die Gewhnlichste von allen zu sein. Es gibt nichts, was einen Menschen dermaen in den Staub beugt, als die Gnade. Sie erhht sie, und eben damit entkleidet sie sie aller ihrer eigenen Vorzge. Sie sehnt sich nicht einmal nach irgendeinem Vorzug.

Wie eine Lilie unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Tchtern!

2,2) Der Brutigam antwortet: Wie eine Lilie inmitten der Dornen, so ist meine Freundin inmitten der Tchter. Er nimmt ihre Worte auf, aber Er erhebt sie, so dass sie einen andern Inhalt bekommen. In ihren Worten und in ihrem Wesen hat sie sich neulich von jedem Vorzug entkleidet gezeigt. Ja, sagt Er, entkleidet bist du eine reine, liebliche, duftende Lilie, eine Einzige, mitten unter Dornen.

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2 Kapitel (Die Verlobungszeit)_______________________________________________________________________________________

Die andern, die meinen, sie seien Lilien, welche sich ber die Menge erheben, sind Dornen, denn sie wandern ihre eigenen Wege und wollen selbst leuchten. Sie wollen die Lilie fr sich rauben, dadurch dass sie selbst die Einzige sein wollen; deswegen stechen und reien sie die Lilie bei andern.

Wie ein Apfelbaum unter den Bumen des Waldes, so ist mein Geliebter unter den Shnen! In seinem Schatten sa ich so gern, und seine Frucht war meinem Gaumen s.

2,3) Sie antwortet: Wie ein Apfelbaum unter den Bumen des Waldes, so ist mein Geliebter inmitten der Shne; ich habe mich mit Wonne in seinen Schatten gesetzt, und seine Frucht ist meinem Gaumen s. Er ist ein Baum des Lebens unter den Bumen des Todes. Alle andern sind Diebe und Ruber und Mrder, alle, die in ihrer geistlichen Verkndigung sich selbst suchen und etwas Groes in der Welt durch sie werden wollen. Sie sind den Dornen zu vergleichen. Aber Er ist ein Baum, der sich selbst als Speise und Trank gibt, und Schutz gibt gegen alles was schaden kann. In dem Schatten dieses Baumes will sie sitzen und sich von dem Duft des Ewigen umweht fhlen. Da findet sie Ruhe und Frieden. Da findet sie himmlische Frucht, womit sie sich nhrt (die Frucht seines Werkes auf der Erde.) Er selbst ist das Brot und der Wein, wovon sie lebt, und lieblich sind sie in ihrem Munde. Sie wird berauscht von diesem Essen und Trinken, und pltzlich findet sie sich in den Weinsaal hineingefhrt, den fr alle offenen Saal der Freude, den Saal der Hoffnungen und Trume.

Er fhrte mich ins Weinhaus, und die Liebe ist sein Banner ber mir. Strkt mich mit Rosinenkuchen, erquickt mich mit pfeln; denn ich bin krank vor Liebe!

2,4-5) Er hat mich in das Haus des Weines gefhrt, und sein Panier ber mir ist die Liebe, sagt sie. Er selbst ist es, der sie da hineingefhrt hat, und Er selbst ist der berauschende Wein, der sie aus sich selbst hinaus und in seine Arme fhrt. Sie ist dabei, von allem eigenen Guten entkleidet zu werden, denn durch den Genuss dieses Weins verliert sie alles Denken an sich selbst und alles Achtgeben auf ihr Eigenes. Sie kann sich da nur Ihm hingeben. Sie wird entblt, und dieses macht sie matt, hilflos und ngstlich.

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2 Kapitel (Die Verlobungszeit)_______________________________________________________________________________________

Sie verschwindet mehr und mehr vor sich selbst, und dieses ruft Schwindel bei ihr hervor, einen Schwindel, der nur Hilfe in der Hingabe an Ihn finden kann. Aber dies ist noch kein Zustand bei ihr, es ist etwas Vorbergehendes, nur ein Vorgeschmack von einem knftigen, bestndigen Zustand, der dem gegenwrtigen nicht in allem gleicht. Bei all diesem Eigentmlichen und Wunderbaren, das ihr hier geschieht, fhlt sie sich ruhig, weil seine Liebe, sein Panier ber ihr ist. - In ihrer Mattigkeit und Hilflosigkeit sagt sie: Erquicket mich mit Traubenkuchen, strket mich mit pfeln; denn ich bin krank vor Liebe. Wenn all das, was in der Welt ihre Selbstachtung strkt, fr sie verschwindet, fhlt sie sich krank; es ist die Liebe, die sie dahingebracht hat. Aber vor Liebe krank zu sein ist ein Reichtum, hher als all das Verlorene, und sie, welche krank ist vor Liebe, wird auch von der Liebe erquickt und gestrkt, wenn sie die Frchte seiner Liebe isst und trinkt.

Er lege seine Linke unter mein Haupt und umarme mich mit seiner Rechten! Ich beschwre euch, ihr Tchter Jerusalems, bei den Gazellen oder den Hindinnen1 des Feldes: Erregt und erweckt nicht die Liebe, bis es ihr gefllt!

2,6-7) Die Liebe, welche sie zu der uersten Ohnmacht gebracht hat, gibt ihr jetzt Ruhe an seinem Busen. Sie kann aufatmen in der leben gebenden Liebe, welche von Ihm in sie hineinstrmt und von ihr zurck in Ihn. Aber noch kann die Liebe durch ihre Umgebung beunruhigt und gestrt werden; denn noch kann sie nur hin und wieder mit dem Geliebten zusammen sein. Die Geistlichkeit der Welt, die Geistlichkeit von unten her, geht gleichsam ein und aus bei ihr, auch wenn sie mit Ihm zusammen ist; und sie fleht ihre Vertreter, die Tchter Jerusalems an, die Liebe nicht zu beunruhigen noch zu stren, bis sie selbst erwachen will. Sie beschwrt sie, dass sie mit Ihm allein sein mchte, damit sie Ruhe in seinen Armen finden kann, um darin einzuschlafen. Fr eine Weile darf sie das. Fr eine Weile geniet sie die Sabbath-Ruhe, welche darin besteht, dass alle Verantwortung und alle ihre Sorgen auf Ihn gelegt sind, indem Er sie trgt.

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poetische Bezeichnung fr Hirschkhe.

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2 Kapitel (Die Verlobungszeit)_______________________________________________________________________________________

Aber diese augenblickliche Sabbath-Ruhe brgt dafr, dass sie im Glauben darauf vertrauen kann, dass Er sie weiterhin durch alles tragen wird, den ganzen Weg bis zum Ziel. Whrend solcher Stunden ist sie so klein, Ihm so berlassen, so unterworfen, so still, als wre sie schon am Ziel- angelangt.

Da ist die Stimme meines Geliebten! Siehe, er kommt! Er springt ber die Berge, er hpft ber die Hgel!

2,8) Zwischen den Versen 7 und 8 ist eine Pause in der Zeit. Whrend dieser Pause ist der Brutigam abwesend gewesen, was ihr viele ngste verursacht hat, viele Zweifelsgedanken und brennende Drre der Seele. Aber Er hat mit allem, was Er sie durchmachen lsst, seine Absicht. Es gibt keine und kann keine einzige Sache in ihrem Leben geben, die nicht ein Glied in der Kette ist oder wird, welche zu der vollkommenen Vereinigung mit Ihm hinleitet. Wenn sie nach dem siebten Vers erwachte und sich verlassen fand, trieb sie seine Abwesenheit dazu, in sich zu gehen, und Ihn aufs neue in ihrem Herzen zu suchen. Fr einige Augenblicke hat Er sich dann in ihrem Insichzurckgezogensein finden lassen, aber dann hat Er sich fr sie wieder verborgen. In dieser Zwischenzeit hat sie zwischen Hoffnung und Furcht pendeln mssen. Ihr Herz hat sich verirrt gefhlt. - Nun kommt Er wieder, aber nicht wie vorher in ihr, sondern von auen um sie herum. Sie hrt ihn auf sich zulaufen, und sie jauchzt: Horch, mein Geliebter! ber Berg und Hgel, ber alle Hindernisse kommt Er zu ihr. Sie sieht Ihn, und Er wird grer als alle Berge und Hgel, grer als alles, was hindern kann, sowohl auerhalb als innerhalb von ihr

Mein Geliebter gleicht einer Gazelle oder dem jungen Hirsch. Siehe, da steht er hinter unserer Mauer, schaut zum Fenster hinein, blickt durchs Gitter.

2,9) Schnell und schn wie eine Gazelle oder ein junger Hirsch ist Er, und nun steht Er da, auerhalb der Wand ihres Hauses. Ihr Haus bezeichnet den ueren Menschen. Er steht auerhalb und schaut auf ihn Inneres hinein. Durch diesen Blick dringt Er in sie hinein, obgleich Er auerhalb ist. Sie sieht Ihn jetzt sowohl in ihrem Innern, wo sie sich zurckgezogen hat, als auch auerhalb stehen, wenn sie aus sich heraustritt.

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2 Kapitel (Die Verlobungszeit)_______________________________________________________________________________________

Aber dadurch erscheint Er ihr wie geteilt. Sie kann Ihn nicht ganz und vllig besitzen, obgleich Er so nahe, ja sogar in ihr ist. Sie befindet sich hinter Fenstern und Gittern. Sie ist eine Gefangene, und nur durch das Gitter kann sie Ihm begegnen. Aber Er will sie befreien.

Mein Geliebter beginnt und spricht zu mir: Mach dich auf, meine Freundin, komm her, meine Schne!

2,10) Er sagt: Mache dich auf, meine Freundin, meine Schne, und komm! Sie darf Ihn jetzt nicht lnger ganz und ungeteilt in der Zurckgezogenheit besitzen. Er ist nicht lnger nur in ihr, sondern auch (und vorzugsweise) auerhalb. Sie darf nicht nur in den engen Grenzen ihres Hauses bleiben. Er ldt sie ein, hinaus zu Ihm in sein Land zu kommen. Sein Land ist das Himmlische, und zudem hat Er eine himmlische Wohnung fr sie, himmlische Landschaften und himmlischen Umgang. Und dieses Himmlische befindet sich auch mitten in der Welt, und ist das Wesen selbst in allem, was es gibt. Wenn Er sie nicht da hinaus bekommen kann, bleibt sie zurck in dem Irdischen, in der Geistlichkeit von unten her, stehend unter den Tchtern Jerusalems, und verliert die geistlichen Schtze.

Denn siehe, der Winter ist vorber, der Regen hat sich auf und davon gemacht;

2,11) Denn siehe, der Winter ist vorbei, der Regen ist vorber, er ist dahin. Es gibt zwei Arten von Winter fr sie, einen ueren und einen inneren. In dem Stadium, in dem sie sich jetzt befindet, ist es Sommer in ihrem Inneren, wenn der Winter im ueren herrscht; und Winter in ihrem Inneren, wenn Sommer im ueren ist. Vorher war Sommer in ihrem Inneren, und da hat sie sich in der Zurckgezogenheit mit Ihm gefreut. Aber jetzt ist Winter in ihr, und Er ruft sie zu dem Sommer auerhalb in sein Land hinaus, damit sie sich dort mit Ihm freuen soll. Alles in diesem Land ist fr sie bereit. Alles steht wie zum Fest geschmckt. Sie hat nur seine Hand zu fassen und hinauszutreten.

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2 Kapitel (Die Verlobungszeit)_______________________________________________________________________________________

die Blumene zeigen sich auf dem Land, die Zeit des Singvogels ist da, und die Stimme der Turteltaubeng lt sich hren in unserem Land am Feigenbaum rten sich die Frhfeigen, und die Reben verbreiten Bltenduft komm, mach dich auf, meine Freundin; meine Schne, komm doch!

2,12-13) Er mahnt lockend und bewegend: Die Blumen erscheinen im Lande, die Zeit des Gesanges ist gekommen, die Stimme der Turteltaube lsst sich hren in unserem Lande. Der Feigenbaum rtet seine Feigen, und die Weinstcke sind in der Blte und geben Duft. Dieses ganze wunderbare Gemlde malt Er vor ihr inneres Gesicht, damit es ihr Begehren erwecken soll, hinauszukommen, um die Wirklichkeit zu genieen. All das Wunderbare drauen ist sein, aber es ist sein, damit es ihr eigen werden soll. Wenn sie nicht die Besitzerin davon wird, kann Er keine Freude daran haben. Seine Blumen, Weinstcke, Feigenbume, Turteltauben - es ist dies und vieles andere, wovon sie Besitzerin werden soll, ja, sie besitzt es schon, aber sie besitzt es und soll es auerhalb ihrer selbst, in Ihm besitzen. All dies blht und wird reif, damit sie in und von Ihm und seinem Land leben soll. Aber all dies ist vllig neu fr sie, ein neues Land, eine neue Welt, welche sie nicht kennt. Sie vertraut wohl darauf, dass es so ist, wie Er sagt, und dass sie sich ruhig von Ihm dort hinausfhren lassen kann, und dass sie dort auch alles bekommen wird, was sie braucht. Aber dennoch steigt ein Zweifel in ihr auf, und sie widerstrebt auf unerklrliche Weise. - Er mahnt wiederum: Mache dich auf, meine Freundin, meine Schne und komm! Aber es ist, als wre sie sein Gegner, sie kommt nicht.

Meine Taube in den Felsenklften, im Versteck der Felsenwand la mich deine Gestalt sehen, la mich deine Stimme hren! Denn deine Stimme ist s, und lieblich ist deine Gestalt.

2,14) Sie scheut sich, sie wagt sich nicht aus ihrem Versteck hinaus. Sie ist ergriffen von Furcht vor all dem Ungeahnten, das ihr in seinem Land begegnen kann. Sie ist unfassbar furchtsam, dass sie sich dort selbst ganz verlieren soll. Er bittet sie dann eindringlich: Meine Taube im Geklft der Felsen, im Versteck der Felswnde, lass mich deine Gestalt sehen, lass mich deine Stimme hren, denn deine Stimme ist s und deine Gestalt ist anmutig. Du, meine Taube, meine einfltige, die du dich so wohl verschanzt hast, lass mich wenigstens dein Angesicht sehen und deine Stimme hren, bevor ich gehe. 20

2 Kapitel (Die Verlobungszeit)_______________________________________________________________________________________

Ich brauche das sowohl um meinetwillen - denn deine Stimme ist so lieblich, und dein Angesicht so anmutig - als um deinetwillen - denn ich muss sehen, ob du innerlich im Herzen von der Hingabe so ergriffen bist und von der Unterwerfung (d.h. von der Liebe), dass du trotz deines jetzigen Widerstands nicht wieder frei werden kannst. Du bist es, und das ist fr mich im Augenblick genug. Ich komme wieder, wenn dir die Fchse offenbar geworden sind; die Fchse, die im Inneren meiner Geliebten Verheerung anrichten, die leicht sich vermehren und die Weinberge fr dich in meinem Land, deine und meine Weinberge, zerstren knnten.

Fangt uns die Fchse, die kleinen Fchse, welche die Weinberge verderben; denn unsere Weinberge stehen in Blte!

2,15) Die Fchse bezeichnen die tausend und abertausend listigen Kniffe, wodurch die Seele sich aus der Unterwerfung ziehen und dennoch den Brutigam behalten will, sich aus der Entblung ziehen und dennoch ans Ziel kommen will. Ihr selbst unbewusst, will sie Ihn als Mittel verwenden, statt Ihn ihr Ziel sein zu lassen. Die ganze Welt, auch die religise, ist voll von solchen Fchsen, und berall wird die Braut von ihnen und ihren Versuchungen angetastet. Sie gehen ein und aus bei ihr. Und die kleinen Fchse sind die schlimmsten, weil sie sich leichter in ihrem Inneren verbergen knnen. Sie schaden ihrer inneren Brautstellung. Dies sieht sie wohl; aber wie sehr sie auch versucht, sie zu fangen, und die Hilfe anderer anruft, es gelingt ihr nicht. Der einzige, der sie fangen knnte, ist Er; aber das Eigentmliche ist, dass Er, an statt sie zu fangen, die Fchse bei ihr sich aufhalten lsst. Die Sache ist die: Er lsst a u c h die Fchse dem Werk in ihr, dem Werk der Entblung dienen. Sie sollen ihr schaden, bis dass sie zum Tode gefhrt ist, dem Tod vor dem Tode, welcher die vllige eheliche Vereinigung zwischen ihr und Ihm ist. Bis dahin brauchen sie nur fr sie offenbar zu werden, und sie braucht nur in den Staub unter sie zu sinken und ihr Werk tun zu lassen. Sie muss in Regungslosigkeit unter alles niedersinken. Nur so wird sie frei von allem Bsen und kommt zum Genuss alles Guten. Nur so kann Er sie bis zum Ziel ganz hindurchfhren.

Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein, der unter den Lilien weidet.

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2 Kapitel (Die Verlobungszeit)_______________________________________________________________________________________

2,16) Der Brutigam ist weg, aber sein Besuch hat ihr die Gewissheit gegeben, dass alles fortschreitet, wie es soll. In dieser Zeit ist sie gewiss, Ihn zu besitzen und die Seinige zu sein, auch whrend seiner Abwesenheit. Mein Geliebter ist mein und ich bin sein. Trotz ihres Widerstands ist sie die Seinige. Ihr Herz sagt ihr, dass sie nichts im Himmel noch auf Erden von Ihm scheiden kann, dass ihn nichts davon abhalten kann, wiederzukommen und alle Hindernisse fr die vollkommene Vereinigung und allen unbegreiflichen Widerstand hinwegzurumen.

Bis der Tag khl wird und die Schatten fliehen, kehre um, mein Geliebter, sei gleich der Gazelle oder dem jungen Hirsch auf den zerklfteten Bergen!

2,17) Sie erwartet Ihn also mit Ruhe. Er hat sie frei gelassen, um sich von ihrer Furcht zu erholen, welche sie ergriff, als Er sie in sein Land hinausziehen wollte. Und sie hat Ihn freigelassen, um auf den Hgeln (all das Groe und Schne und Himmlische, wo Er sein Wesen hat) umherzustreifen, in der Hoffnung, dass Er wie vorher am Ende in ihr Innerstes hinein zurckkommen und dort mit ihr Umgang pflegen werde.

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3 Kapitel (Der innere Versammlungsort)_______________________________________________________________________________________

(De r i nne r e Ve rsa mmlungsor t ) Auf meinem Lager in den Nchten suchte ich ihn, den meine Seele liebt; ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht.

Das 3 Kapitel

3,1) Die Zeit vergeht, und Er ist nicht wiedergekommen. Er hat bezglich des Versammlungsortes ihr nicht entgegenkommen wollen. Sie hat sich davor gefrchtet, sich selbst zu verlieren, wenn sie sich in diese andere Welt, in sein Land, htte hineinziehen lassen. Sie wei wohl, dass sie Ihn da bekommen wrde, denn nicht Ihn frchtete sie zu verlieren, sondern sich selbst. Sie berlegt also: Was hilft es mir, dass ich Ihn da bekomme, wenn ich dadurch mich selbst und meiner Mutter Haus (mein weltliches Heim) verliere? Ich habe ja dann nichts, worin ich Ihn besitzen kann. Ich bin ja dann von allem in mir selbst und in meiner Umgebung entblt, wodurch ich Ihn empfinden und mich der Vereinigung mit Ihm erfreuen knnte. Aber wenn seine Abwesenheit sich in die Lnge zieht, kann sie dennoch nicht lnger warten. Alles in ihr sehnt sich nach Ihm, den sie mehr als ihr eigenes Leben liebt. Dann sucht sie Ihn in den stillen Stunden, welche sie in der Nacht hat, sucht Ihn in sich, in dem Innersten ihrer Seele, als dem alten Versammlungsort, findet Ihn aber nicht. Sie findet nur seine Abwesenheit, und dieser Zustand ist bitter, drre und bengstigend. Aber nach und nach fngt seine Abwesenheit an, sie etwas zu lehren und mit ihr zu handeln. Sie macht sie von ihrem inneren Versammlungsort los, wo Er ihr vorher so lieblich begegnete.

Dieser Versammlungsort liegt jetzt zerstrt und wst. Sie findet da nichts anderes als Treulosigkeit. Die Zurckgezogenheit, welche vorher so voll von Freude und Leben und Frieden im Umgang mit Ihm war, bereitet ihr jetzt Unruhe und Angst. Sie sagt: Auf meinem Lager in den Nchten suchte ich, den meine Seele liebt; ich suchte ihn und fand ihn nicht. Sie findet keine Ruhe in der Ruhe. Sie sucht Ihn da, sie sucht Ihn in der inneren Stille, aber sie findet Ihn nicht.

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3 Kapitel (Der innere Versammlungsort)_______________________________________________________________________________________

Ich will doch aufstehen und in der Stadt umherlaufen, auf den Straen und Pltzen; ich will ihn suchen, den meine Seele liebt! Ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht. Mich fanden die Wchter, welche die Runde machten in der Stadt: Habt ihr ihn gesehen, den meine Seele liebt?

3,2-3) Diese Unruhe scheucht sie schlielich aus ihrer Ruhe auf und hinaus, aber nicht direkt zu Ihm, sondern in die Welt hinaus, um Ihn da zu suchen. Sie sucht Ihn auf den Strassen und dem Markt (Kirchen) der Stadt, sie sucht Ihn in Menschen, in Dingen, im Wesen der Welt, und glaubt bei sich selbst, Ihn, den Verborgenen, da verborgen finden zu knnen. Er ist da, aber sie kann Ihn nicht finden, bevor sie direkt zu Ihm selbst geht - dann sieht sie Ihn in allem. Und wiederum klagt sie: Ich suchte ihn und fand ihn nicht. Sie begegnet den Wchtern, nmlich denen, die ber die religisen Menschen wachen und sie leiten, und fragt sie: Habt ihr den gesehen, den meine Seele liebt? Es ist eine Frage an die, die Ihn am besten kennen und wissen sollten, wo Er zu finden ist! Sie haben keine Antwort, und sie geht an ihnen vorbei.

Kaum war ich an ihnen vorbergegangen, da fand ich ihn, den meine Seele liebt. Ich hielt ihn fest und lie ihn nicht mehr los, bis ich ihn in das Haus meiner Mutter gebracht hatte, ins Gemach derer, die mich empfangen hat.

3,4) Wenn sie an allem vorbeigegangen ist, siehe, dann lsst Er sich, von ihrer Unruhe und ihrem Leid bewegt, von ihr finden und ergreifen und wiederum in ihr Inneres (den inneren Versammlungsort) ziehen. Er kommt ihr in dieser Weise entgegen, damit sie nicht ganz auf dem Wege verschmachtet. Er hat sie noch nicht dahin gekriegt, wo Er sie haben will; obwohl Er im Augenblick nachgibt. Aber er hat das Werk nicht aus den Hnden gelassen, obwohl Er im Augenblick nachgibt.

Ich beschwre euch, ihr Tchter Jerusalems, bei den Gazellen oder bei den Hindinnen des Feldes: Erregt und erweckt nicht die Liebe, bis es ihr gefllt!

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3 Kapitel (Der innere Versammlungsort)_______________________________________________________________________________________

3,5) Also bewegt ist Er jetzt in ihrem Inneren zu Gast, und sie lsst sich wieder in seinen Armen verlieren. Gleichwie in Kap.2,7 fleht sie die Tchter Jerusalems an, die Liebe nicht zu beunruhigen, noch zu stren, bevor sie es selbst will. Dann schlft sie nach und nach in seinen Armen sein. Dies ist das zweite Mal, dass sie die Sabbath-Ruhe schmecken darf. Die Sabbath-Ruhe, die darin besteht, dass sie sich selbst in seinen Armen verliert. Sie ist jetzt noch mehr mde als das vorige Mal. Sie fngt an einzusehen: Je mehr erschpft und ohnmchtig ich bin, um so mehr werde ich reif fr die vllige Sabbath-Ruhe, und um so nher komme ich zum Ziel. Ab und zu vernimmt sie etwas davon, mitten im Schlaf, gleichwie sie auch vernimmt, dass dieses nicht das vollkommene Verlieren ihrer selbst ist (vor diesem weicht sie noch zurck), sondern nur ein Vorgeschmack davon, eine Zubereitung dafr.

Wer kommt da von der Wste herauf ? Es sieht aus wie Rauchsulen von brennendem Weihrauch und Myrrhe, von allerlei Gewrzpulver der Krmer.

3,6) Zwischen dem 5. und 6. Vers ist wieder eine Pause in der Zeit. Es ist ein Festzug, der in diesem und den folgenden Versen beschrieben wird. Jetzt ist die Braut so weit zubereitet, dass sie zu der Stadt des Knigs (der Christenheit auf Erden) gefhrt werden kann, wo die Hochzeitsfestlichkeiten anfangen und eine Zeit dauern; denn die Braut ist ja noch nicht fertig. Man muss sich denken, dass die Vermhlung am Ende dieser Zeit stattfinden wird. Die Braut kommt von der Wste herauf. Sie hat eine Zeitlang in der Wste des Glaubens gelebt, sie ist ihr eine Wste der Entblung geworden, in der sie jedoch von Zeit zu Zeit den Besuch des Brutigams bekommen hat, Und von wo aus sie selbst Ihn gesucht hat, nach der inneren Weise. Zuletzt ist sie auch bezglich ihres Glaubens entblt worden. - Er hat ja so lange gezgert, um sie ganz und fr ewig zu sich zu nehmen. Aber gerade als sie in dieser Demtigung niedergesunken ist, ist sie von Ihm geholt worden. Nun kommt sie da in einem prachtvollen Zug. Schn ist sie wohl fr den Brutigam, aber es ist nicht ihre Schnheit, welche hier hervorleuchtet, es ist Seine Herrlichkeit und Macht, die sie auf allen Seiten umgibt und den Zuschauern entgegenstrahlt in diesem Zug. Sie kommt umduftet von Myrrhe und Rauchwerk.

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3 Kapitel (Der innere Versammlungsort)_______________________________________________________________________________________

Die Myrrhe, die bitterliebliche, welche die Leidenskraft der Liebe bis zum Tode hin bezeichnet, ist sozusagen das Parfm des Brutigams. All das Schne und Mchtige, was sie umgibt, ist Sein, alles hat sie von Ihm.

Siehe da, Salomos Snfte: sechzig Helden sind rings um sie her, von den Helden Israels! Sie alle sind mit Schwertern bewaffnet, im Krieg gebt, jeder hat sein Schwert an der Seite, damit nichts zu frchten sei whrend der Nacht Der Knig Salomo lie sich eine Snfte machen, aus dem Holz des Libanon.

3,7-9) Sechzig auserlesene Helden umgeben das Tragbett. So teuer ist sie, die darin getragen wird fr ihn. Er sendet seine Heiligen, sie auf dem Wege zu Ihm zu begleiten und zu schtzen. Sie haben ihre Schwerter an ihren Lenden zur Wehr gegen die Gefahren der Nacht. Ihr Schwert ist das Gotteswort; kein Hindernis kann solchem Schwert widerstehen, keine Ruberschar bser Geistesmchte kann hier ihre Absichten ausfhren. Die Gefahren der Nacht bezeichnen finstere Geistesmchte. Das Tragbett ist prachtvoll. Es ist ein Bild seines Thrones und seiner Herrlichkeit. Sein Holz ist vom Libanon, also das edelste Holz, das es gibt. Libanon bezeichnet das Hohe und Abgesonderte (hier das Heilige), das worin sie leben soll, wo sie in Ruhe niedersinkt.

Ihre Sulen lie er aus Silber machen, ihre Lehne aus Gold, ihren Sitz aus Purpur, das Innere wurde mit Liebe ausgestattet von den Tchtern Jerusalems.

3,10) Die Sulen des Tragbettes hat Er von Silber gemacht, seine Lehne von Gold, den Sitz von Purpur. Das Silber bezeichnet die gttliche Wahrheit und Weisheit. Diese gehen bestndig von Gott aus zu dem Menschen, der in der Ruhe in Ihm sich unter all das beugt, was Er schickt, in den Staub vor Ihm niedersinkt, bis zum Geringsten niedersinkt. Sie bilden die Sulen an dem Tragbett Gottes, in welchem sie bis ans Ziel getragen wird. Diese Sulen kann die Braut nicht entbehren, und sie wird sie auch nie, unterwegs entbehren knnen. - Gold bezeichnet die gttliche Gte und Liebe.

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3 Kapitel (Der innere Versammlungsort)_______________________________________________________________________________________

Auch diese gehen bestndig von Gott aus zu einer solchen Brautseele und bilden die Rckenlehne des Tragbettes. Die Rckenlehne ist noch notwendiger als die Armlehnen; auch diese wird sie unterwegs nie entbehren. - Der purpurrote Stoff bedeutet des Sohnes Gottes, des Brutigams Blut, das fr sie vollendete Heilswerk, womit Er sie erkauft hat und wodurch sie zu einer Himmelsbewohnerin und zu seiner Braut wird. Der Sitz ist noch notwendiger als die Rcken- und Armlehnen. Dorthin fliet auch die von Gott bestndig ausgehende Kraft zuerst, und dann von dort aus zu der Rckenlehne und durch die Rckenlehne zu den Armlehnen. Die Kraft von Gott geht also stndig und unaufhrlich zu dem von ihr empfangenen Blute Jesu Christi (welches sie in sich hat, um dadurch die reine Kraft Gottes zu werden, welche ihren - Rcken sttzt und ihr inneres mit Gte und Liebe erfllt), um von dort hinaus zu der reinen Gabe Gottes weiterzustrmen, die sie auf rechtem Wege erhlt, so dass sie nicht aus dem Tragbett hinausfllt; weder rechts noch links, und die ihr Wahrheit und Weisheit schenkt (die Armlehne von Silber), woraus die bereiteten Taten der Gte und der Liebe, ihr unbewusst, in die Umgebung hinausflieen. Aber es ist wohl zu merken, dass all dieses Gottes ist und bleibt, und dass es nur durch das Herabsinken und das stndige Versinken bis in die Tiefe des Nichts ihr zuteil werden kann, so dass sie es in Ihm besitzt. - Das Inwendige des Tragbettes ist kunstvoll gestickt, aus Liebe, von den Tchtern Jerusalems. Dies bezeichnet, dass die Gebete und die Betrachtungen der Glubigen bezglich des Brautverhltnisses zur Ausschmckung des Inneren des Tragbettes werden.

Kommt heraus, ihr Tchter Zions, und betrachtet den Knig Salomo mit dem Kranz, mit dem seine Mutter ihn bekrnzt hat an seinem Hochzeitstag, am Tag der Freude seines Herzens!

3,11) Zions Tchter (die brigen Einwohner der Stadt; Jerusalems Tchter sind das Hofvolk) stellen die Nichtglubigen der Christenheit dar. Diese werden ermahnt, hinauszugehen, und den Brutigam mit Lust zu schauen, Ihn an dem Tage seiner Herzensfreude in all seiner Herrlichkeit zu schauen, Ihn als den gekrnten Sieger zu schauen, der gesiegt hat und siegen wird ber alles Bse und Hemmende, welches der Braut gedroht hat und noch droht. Sie werden gerufen, damit auch sie, wenn mglich, von Ihm ergriffen werden mchten, um den Brautweg zu betreten.

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3 Kapitel (Der innere Versammlungsort)_______________________________________________________________________________________

Aber die Tchter Jerusalems und Zions (die Christenheit auf Erden) knnen wohl Brautseelen bewundern; aber sollten sie eine solche empfangen, mssten sie ja selbst ihr gleich werden, und das kostet sie zuviel. Deswegen sind sie nicht fr die Hochzeit bereit. Sie ziehen sich zurck und lassen die Braut ihren Weg gehen. Und darum zeigt es sich am Ende, dass weder die Stadt des Knigs noch die Braut fr die Hochzeit bereit sind.

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4 Kapitel (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung)_______________________________________________________________________________________

( Ve r z e hr e n d e s Eigenen, Weg de r Ent bl ung) Hier steht das, was im ueren geschieht, gleichsam still und wartet. Die Braut ist weiterhin furchtsam, sich selbst zu verlieren, wenn sie im Ernst in Ihn und in sein Land hineingezogen werden soll. Und dennoch gibt es in ihr etwas, das sich danach eifrig sehnt. Es ist als sollte sie sich in eine bodenlose Tiefe hinausstrzen. Sie will es, aber sie findet nicht den Mut dazu. Denke, wenn sie ertrinken und ewiglich verloren gehen sollte. Der Glaube wankt nmlich. Wenn es gilt, ist es nicht leicht zu glauben, dass Gott alle Macht hat und Er sie mit allmchtiger Hand bis zum Ziel leitet, eben wenn Er ihr all ihr Eigenes, all das, womit sie Ihn umfassen kann, raubt. Es dauert noch, bis nur ein Weg fr sie brig ist, sich nmlich blind in die Tiefe seiner Liebe hinauszustrzen und da zu ertrinken. Wenn sie dazu kommt, kann sie nicht anders als den Sprung tun. Da ertrinkt ihr Ich ganz in der Tiefe seiner Liebe, aber da wird sie auch schauen, dass sie eben dadurch zu einem neuen Ich kommt; ein Ich, welches sie in Ihm allein hat. Mit diesem neuen Ich und seinem Bewusstsein kann sie Ihn in solch einer Weise umfassen und besitzen, welche ebenso hoch ber dem Alten ist wie der Himmel ber der Erde.

Das 4 Kapitel

Siehe, du bist schn, meine Freundin, siehe, du bist schn; deine Augen sind [wie] Tauben hinter deinem Schleier; dein Haar gleicht der Ziegenherde, die vom Bergland Gilead herabwallt.

4,1) Aber das innere Geschehen setzt sich whrend dem ueren Warten fort und fhrt sie stndig dem Ziele nher, obgleich sie nicht viel davon empfindet. Der Brutigam sagt zu ihr: Siehe, du bist schn, meine Freundin, siehe, du bist schn. Deine Augen sind Tauben hinter deinem Schleier. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die an den Abhngen des Gebirges Gilead lagern. Sie wei nichts davon, dass sie schn ist. Sie wei nur, dass sie Ihm ngstlich widerstrebt. Und sie versteht nicht, dass dieser Widerstand auch ein Werkzeug in seiner Hand zu ihrer Entblung ist, damit sie am Ende ganz die Seinige werde. Sie ngstigt sich vor dem Neuen, welches die Vermhlung herbeifhrt, welches ist das Verzehren des Eigenen. Ohne es zu wollen, strubt sie sich Ihm gegenber. Aber dann muss sie sich ja selbst als schlecht und schwarz und unbndig sehen, alles andere als anziehungswrdig. Sie erkennt sich als hchst unwrdig - nie kann sie das schaffen, ganz die Seinige zu werden. 29

4 Kapitel (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung)_______________________________________________________________________________________

Aber der Brutigam lockt und beruhigt sie. Er versichert ihr, dass sie schn ist - schn sogar in ihrer ngstlichkeit und Widerspenstigkeit.Ihre Schnheit hat sie in seinem Herzen und in seinen Augen. Nur da hat sie sie, und nur da kann sie sie wie in einem Spiegel sehen. In sich selbst und fr sich selbst ist sie widerwrtig, aber wenn sein Blick auf sie fllt, wird sie lieblich. Sein Blick hat die Macht, schn zu machen. Was Er jetzt beschreibt, sind innere Schnheiten, aber diese flieen in gewisser Weise in das uere hinaus. Ihre Augen sind Tauben. Tauben bezeichnen Einfalt. In ihrem Inneren ist sie leer an allem; nur die Sehnsucht ist da, dass Er da drinnen mit ihr umgehen mge. Aber Er geht noch immer nicht hinein, sondern steht drauen und spielt frmlich mit ihr. Ihr Inneres zeigt sich durch ihren Schleier. Auch den Schleier hat Er ihr gegeben. Er ist notwendig, um sie vor der Welt zu verbergen. Ihr wirkliches Wesen ist nur fr Ihn da. Aber der Schleier ist auch da, um die Welt fr sie zu verbergen, damit sie weitmglichst an der Welt vorbergehen kann. Der Schleier ist also ein Schleier der Barmherzigkeit. Fr Menschen kann wohl ein Schimmer von ihrem wirklichen Wesen sichtbar werden, sie sehen es aber nicht. Nur Er und die, welche himmlisches Gesicht bekommen haben, knnen es wahrnehmen. Aber auch fr Ihn ist ihr Wesen noch wie eine scheue Taube hinter einem Gitter, welche nur flchtig erscheint. Mit seinen Worten will Er sie aus ihrem Gefngnis zu sich und in die himmlische Freiheit seines Landes hinauslocken.

- Das Haar bezeichnet die geistliche Keuschheit. Im Gegensatz zu dem vorhin erwhnten Schleier ist das Haar ein lebendiger Schleier, und ist auerdem im Besitz einer geheimnisvollen Macht. An einer andern Stelle heit es: Ein Knig ist gefesselt durch deine Locken. Die Keuschheit ist es, die diese Macht ausbt. Keuschheit heit: Nur fr Einen da zu sein, sich nur Einem geben, nur von Einem sich (seine Locken) berhren lassen. - Sie ist also einfltig in Richtung gegen Einen und Eines, obgleich von einer andern Art, als die der Taube im vorher Gesagten, nmlich eine innere Leere von allem, auer der Sehnsucht danach, dass Gott den leeren Raum fllen mge. Die Einfalt der Keuschheit ist eine uere, oder richtiger eine, die von Innen ins uere hinausfliet und da zu einer Macht, einem Fallstrick wird, welche den Einzigen fngt. Ohne die Keuschheit wrde die Braut nie den Brutigam fangen knnen. Der Brutigam erkennt ihre Macht und beugt sich vor ihr, wenn Er ihre Locken berhrt. Er vergleicht sie mit einer Herde von Ziegen, die an den Abhngen des Gebirges Gilead weiden, das eine keusche, hohe und stolze, aber geheimnisvolle Schnheit bezeichnet. 30

4 Kapitel (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung)_______________________________________________________________________________________

Deine Zhne gleichen einer Herde frischgeschorener Schafe, die von der Schwemme kommen, die allesamt Zwillinge tragen, und von denen keines unfruchtbar ist

4,2) Er sagt: Deine Zhne sind wie eine Herde geschorener Schafe, die aus der Schwemme heraufkommen, welche allzumal Zwillinge gebren, und keines unter ihnen ist unfruchtbar. Die Zhne bezeichnen das Nachsinnen ber das Wort, d.h. das Essen und Trinken des Fleisches und Blutes des Brutigams in dem Worte. Das Gotteswort, die Bibel, ist Gottes lebendiges Wort, von Ihm selbst ausgegangen und zu Fleisch und Blut in seinem Sohn, dem Brutigam, geworden. Das lebendige Wort ist also der Brutigam selbst, und Er gibt sich in Ihm zum Essen und Trinken. Die Zhne der Braut, welche kauend dieses Wort berlegt, vergleicht Er mit neu geschorenen Schafen, die aus der Schwemme heraufkommen. Sie sind rein und wei, eben durch ihren Gebrauch des Wortes. Sie sind fernerhin allesamt mit Zwillingen trchtig, keines unter ihnen ist unfruchtbar. Das bedeutet, dass die Zhne nicht nur dazu dienen, um sie selbst zu ernhren, sondern auch um andere zu speisen und zu nhren mit dem Wort.

Deine Lippen sind wie eine Karmesinschnur, und dein Mund ist lieblich; wie Granatpfelhlften sind deine Schlfen hinter deinem Schleier.

4,3) Er sagt weiter: Deine Lippen sind wie eine Karmesinschnur, und dein Mund ist zierlich. Wie ein Schnittstck einer Granate sind deine Wangen hinter deinem Schleier. Die Lippen und der Mund bezeichnen den Aus- und Eingang der Hingabe, die Pforte der Liebesuerung. Das Rosenrote ist das Blut, welches hervorleuchtet durch die Lippen und darauf hindeutet, dass die Hingabe eine Hingabe bis zum Vergieen des Blutes, ja bis zum Tode ist. Wenn sie es noch nicht ist, so ist sie doch dabei, es zu werden. Deswegen ist ihr Mund schn, er hat Ihm gefallen. Die Wangen bezeichnen das, was lieblich und leicht empfngt, was am meisten der Umwelt mit ihrem Sonnenschein und Gewitter, ihren Menschen und Dingen ausgesetzt ist. Ihre Wangen sind gleich geborstenen Granatpfeln, d.h. sie sind offen und empfindlich, alles zu empfangen und alles zu leiden. Sie muss etwas Geborstenes an sich haben, damit sie berwltigend schn fr Ihn sein kann.

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4 Kapitel (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung)_______________________________________________________________________________________

Dein Hals gleicht dem Turm Davids, zum Arsenal erbaut, mit tausend Schildern behngt, allen Schilden der Helden.

4,4) Er fhrt fort: Dein Hals ist wie der Turm Davids, mit Brustwehr gebaut; tausend Schilde hngen daran, alles Schilde der Helden. Hals bezeichnet die Strke der Schwche. Der Hals ist eines der schwchsten und empfindlichsten Teile des Krpers, und dennoch trgt er das Stolzeste und Schnste beim Menschen in einer stolzen und schnen, also starken Weise. Ihr Hals ist gleich Davids Turm und ist wohlbefestigt wie jener. Sie ist mit dem Schutz seiner Liebe gegen alles befestigt, was ihrem geistlichen Leben schaden knnte. Es ist dieser Schutz seiner Liebe, der sie aufrecht hlt in aller Not und Gefahr, in allem Dunkel und Missmut. Tausend Helden wohnen bei ihr innerhalb dieses Schutzes, d.h. 1000 von seinen Heiligen stehen zu ihrem Dienst, deren tausend Schilde hngen auen auf ihrem Schutzturm, bei ihr dargestellt durch das Halsband mit Schmucksachen, die Schilden gleichen.

Deine beiden Brste gleichen jungen Gazellen, Gazellenzwillingen, die zwischen den Lilien weiden.

4,5) Deine beiden Brste sind wie ein Zwillingspaar junger Gazellen, die unter den Lilien weiden. Er kann nicht satt davon werden, ihre Schnheit anzuschauen; sie berwltigt Ihn mehr und mehr. Die Schnheit, wovon Er redet, steht in Verbindung mit dem ganzen Geschlecht und der Schpfung, macht also das Bindeglied mit dem Ganzen aus, und ist deswegen von herzergreifender Schnheit. Die Brste sind hier das Sinnbild fr das Vermgen, geistliche Kinder zu nhren und zu pflegen. Dieses Vermgen steckt bei der Braut jetzt noch im Anfangskeim, aber es wird blhen und viel Frucht tragen, wenn die Zeit gekommen ist. Ihre Brste gleichen einem Paar Zicklein, Zwillinge einer Gazelle.

Die Gazelle ist scheu und zuversichtlich zugleich. Sie ist schn in jeder Linie und jeder Bewegung. Und ein Paar Zicklein, das unter der reinen und unbefleckten Unschuld der Lilien weidet, ist ein ergreifender Anblick. Alle die Schnheiten, welche Er beschrieben hat, um sie zu locken und zu beruhigen, hat sie von Ihm bekommen. Nicht eine einzige Schnheit ihres natrlichen Menschen gehrt hier dazu.

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4 Kapitel (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung)_______________________________________________________________________________________

All ihr Eigenes, Schnheit und Hsslichkeit, Gutes und Bses, kommt nicht in Betracht und soll weg, soll in seinem Feuer verzehrt werden. Aber schon bevor dies geschehen ist, hat sein Blick, ihr unbewusst, die inneren Schnheiten bei ihr geboren, welche Er hier aufgezhlt hat. Sie gehren dem Himmlischen an, und Er hat von ihren geredet, um sie damit ganz in das Himmlische, in sein Land, hineinzulocken.

Bis der Tag khl wird und die Schatten fliehen, will ich auf den Myrrhenberg gehen und auf den Weihrauchhgel!

4,6) Nun hat Er seine Rede (oder richtiger, seinen Lobgesang) ber ihre himmlische Schnheit beendet. Nun will Er dies in ihr sinken lassen, damit es in der Stille sein Werk ausfhren mge. Er hat augenblicklich nichts anderes zu tun als zu warten, und deshalb sagt Er: Bis der Tag sich khlt und die Schatten fliehen, will ich zum Myrrhenberge hingehen und zum Weihrauchhgel. Bis es fr sie tagt, will Er sie allein lassen. Es ist dunkel in ihr, und einander widerstrebende Gedanken kmpfen da ihren Kampf und ngstigen sie. Die Schatten der Finsternis und Spukgebilde kmpfen mit all dem Lieblichen, was Er ihr gesagt hat, und mit allem, was Er fr sie ist. Und Er, Er geht hin zum Myrrhenberge, dem bitterlieblich duftenden, wo seine Liebe, bitter und lieblich zugleich, sein Blut fr sie vergossen hat, deren Duft sich durch alle Zeiten, durch die ganze Schpfung und durch die Himmel, verbreitet. Da will Er auf sie warten. Dort, soll sie wissen, ist Er zu finden, wenn die Schatten wieder von ihr geflohen sind.

Schn bist du, meine Freundin, in allem, und kein Makel ist an dir!

4,7) Aber bevor Er geht, fasst Er seinen Lobgesang in einem Wort zusammen: Ganz schn bist du, meine Freundin, und kein Makel ist an dir. Er redet von seinem tr sie vollbrachten Werk. Dieses Werk hat sie durch und durch schn und ohne Makel gemacht. Aber Er hat sie nicht mit seinem Blut freigekauft, damit sie zurckbleiben und in ihrem irdischen Gefngnis verharren soll, sondern damit sie in seinem himmlischen Land leben und wohnen soll. Seine fr sie erworbene Schnheit und Makellosigkeit verschwinden vor ihr, wenn sie mit ihnen, im Irdischen haften bleibt. 33

4 Kapitel (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung)_______________________________________________________________________________________

Du bist schn durch und durch; das bedeutet hier, alles ist, wie es eben jetzt sein soll. Du befindest dich in dem Schmelzofen der Angst, du willst und du willst nicht. Aber sei guten Mutes, es gibt beinahe keinen Weg zurck, die vllige eheliche Vereinigung steht vor der Tr, und dann wirst du in Seligkeit zu nichts fr dich selbst werden in meinen Armen, gleichwie ich in den Deinigen! Dann findest du dich selbst in mir, gleichwie ich mich selbst in dir finde, und dies ist unsere gemeinsame Seligkeit.

Komm mit mir vom Libanon, [meine] Braut, komm mit mir vom Libanon! Steig herab vom Gipfel des Amana, vom Gipfel des Schenir und des Hermon, von den Lagersttten der Lwen, von den Bergen der Leoparden!

4,8) Hier ist wiederum eine Pause in der Zeit. Whrend dieser hat es wohl in gewisser Weise fr sie getagt; aber das Tagen ist nicht ein Tagen fr das Himmlische bei ihr, sondern fr das Irdische gewesen. Sie ist ganz einfach zu den Bergen geflohen, um das irdische Leben in einer irdisch ungebundenen Weise zu leben. Die Verzweiflung ber sich selbst hat sie ergriffen, ob sie berhaupt ganz seine Braut zu werden vermag. Und nun versucht sie, Ersatz in einer freigemachten Welt- und Naturbejahung zu finden. Sie lebt unter Lwen und Panthern, frei wie sie ist, auf ihrem Berg. Sie hat sich da verschanzt gegen alles, was ihr ihr Selbst und ihre Freiheit rauben will, also auch gegen Ihn. Dennoch wei ihr Herz, dass all dies eitel ist. Sie kann nicht von Ihm wegkommen, nicht aus seinem Griff schlpfen, wie sie sich auch wendet, um loszukommen. All ihre Sehnsucht, all ihre Liebe steht zu Ihm, wie sie auch trotzen mag. All das, was sie jetzt in Gang gesetzt hat, ist blo Manver, um sich selbst zu verteidigen, ihre irdische Schnheit, ihre irdische Tugend und Gerechtigkeit, obgleich sie im Innersten wei, dass all ihr Eigenes nur ein Schutthaufen ist. Ihr ganzer jetziger Zustand ist jedoch nichts anderes als eine Entblung, obwohl sie selbst geneigt ist, es mit andern Augen zu sehen. Sie betrachtet es als Snde, und es ist Snde, denn Snde ist nichts anderes als Entfernung von Gott.

Aber sie kann nicht fertig werden mit der Snde, es ist als ob sie an ihr festhinge in allem, was sie denkt und tut. Sie glaubt, dass sie fr immer den Brutigam verlassen hat, und dass Er nichts mehr von solch einer wie sie wissen will. Gewiss steigt das Vermissen, die Sehnsucht und die Liebe in ihr auf, aber sie erstarren frmlich bei dem Gedanken, dass sie wie eine fr Ihn Verlorene ist. 34

4 Kapitel (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung)_______________________________________________________________________________________

- Aber Er hat sie gewiss nicht aufgegeben, nicht verlassen, obgleich Er sich auf Abstand hlt. Sie ist genau so in seiner Hand, jetzt wie vorher, ja noch mehr, denn Er steht hinter ihrer Entblung, und sie ist weiter auf dem Weg der Entblung fortgeschritten als jemals. Er verwendet alles in ihrem leben und alles um sie als Werkzeug (als Antreiber) fr diese Entblung zu bentzen. Und es geht eilig abwrts mit ihr. Er ist auf Abstand ihrem Zustand gefolgt und hat die rechte Stunde abgewartet, um sie aufzusuchen. Nun kommt Er, und seine Worte zu ihr sind bewegend, ja bettelnd: Komm mit mir vom Libanon, meine Braut, komm mit mir vom Libanon. Steige herab vom Gipfel des Amana, vom Gipfel des Senir und Hermon, von den Bergen der Panther. Bemerke, dass Er sie das erste Mal mit dem Brautnamen anredet!.

Und das eben jetzt, da sie sich am weitesten entfernt von Ihm zu sein dnkt. Ein Strom von Freude geht durch ihr Herz, verschwindet aber sofort, denn sie wagt nicht zu glauben, dass sie immer noch die Auserwhlte ist. Komm mit mir, sagt Er, steige von deinen Verschanzungen herunter! Du bist vor mir geflohen und hast dich meinetwegen verschanzt, und dabei die hchsten Gipfel von Unzulnglichkeit zu Hilfe genommen. Du willst Schnheit, Tugend und Gerechtigkeit in dir selbst haben, und mit Lwe und Panther verteidigst du sie. - Sie erkennt, dass dies wahr ist. Je nher die Entscheidung fr sie rckt, um so ngstlicher ist sie wegen ihrer Unwrdigkeit geworden, und gerade deshalb hat sie Schnheit, Tugend und Gerechtigkeit in sich selbst haben wollen - um Ihm gleich zu sein, um etwas vorweisen zu knnen, was in seinem Lande gilt; Ihm etwas zu geben, an statt jetzt nur ihre Geringheit und Elendigkeit zu bringen. Er jedoch sucht sie nur davon wegzulocken, auf sich selbst zu sehen. Er zieht und zieht sie dahin, auf Ihn zu schauen und da ihre Schnheit, Tugend und Gerechtigkeit zu finden. Sie fngt an, all dies zu sehen und zu erkennen. Sie sieht in einer Weise wie nie zuvor, dass sie arm und blo ist, arm und blo sogar an Ble und Armut; denn sie hat alles Ihm gegeben.

So steht es mit ihr. Aber auch Er ist arm und blo (obgleich sie dies nicht sieht), denn Er hat ihr alles gegeben, seine ganze himmlische Schnheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Herrlichkeit, so dass Er vor ihr steht als der am meisten entblt ist, so wie Er in Jesaja 53 und Philipper 2,6-8 beschrieben wird. Nun muss sie alle Herrlichkeit in Ihm allein sehen, und Er muss all die seinige in ihr sehen. In dieser Gegenseitigkeit wird die wirkliche, eheliche Vereinigung geboren. 35

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Du hast mir das Herz geraubt, meine Schwester, [meine] Braut; mit einem einzigen deiner Blicke hast du mir das Herz geraubt, mit einem einzigen Kettchen von deinem Halsschmuck!

4,9) Deswegen sagt Er jetzt, da sie Ihm einen Augenblick zuhrt, und (wenn auch mit Struben) sich von Ihm ziehen lsst: Du hast mir das Herz geraubt, meine Schwester, Braut, du hast mir das Herz geraubt, mit einem deiner Blicke, mit einer Kette von deinem Halsschmuck. Alles was ich bin und habe, ist dein. Mit einem einzigen Blick der Hilflosigkeit und mit einem einzigen Glied von der Kette deiner Gefangenschaft, welche die Welt um deinen Hals gelegt hat, und wovon deine Seele so schwer gepeinigt wird, hast du mein Herz und alles, was ich bin und besitze, genommen. Es ist alles dein, meine Schwester, meine Braut. Es ist dein, damit ich es in dir besitze und meinen Reichtum in dir habe. Und alle deine Armut und Geringheit. Alle deine Elendigkeit hast du mir gegeben. Es ist mein, damit du es in mir besitzen und es da in himmlische Reichtmer verwandeln lassen mgest. Du bist meine Schwester durch diesen gegenseitigen Austausch von Besitztmern, wodurch ein Ausgleich zwischen uns stattfindet und wir gleich werden. Meine Schwester Braut will ich dich nennen. Wie schn ist deine Liebe, meine Schwester, [meine] Braut; wie viel besser ist deine Liebe als Wein, und der Duft deiner Salben als alle Wohlgerche!

Wie schn ist deine Liebe, meine Schwester, [meine] Braut; wie viel besser ist deine Liebe als Wein, und der Duft deiner Salben als alle Wohlgerche!

4,10} Sie sieht im Augenblick nicht auf sich selbst, sie sieht auf Ihn und lauscht Ihm: Wie schn ist deine Liebe, meine Schwester, Braut! Wie viel besser ist deine Liebe als Wein, und der Duft deiner Salben als alle Gewrze. Er sagt ihr dies, obwohl ihre Liebe noch nicht so ist, wie sie sein sollte, und sie noch widersteht. Aber Er sieht, dass das Hindernde bald weichen wird, und die volle Liebe schon hinter der Entblung bei ihr vorhanden ist, wenn auch noch ganz zart. Die Lieblichkeit und der Duft dieser zarten Liebe knnen vor Ihm nicht verborgen werden. Diese Lieblichkeit und der Duft verbreiten sich auch an die Menschen um sie, obgleich sie nicht sehen knnen, dass sie von ihr kommen. Denn da sie sich in der Entblung befindet, sieht sie fr die Menschen entweder bedeutungslos oder abscheulich aus.

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4 Kapitel (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung)_______________________________________________________________________________________

Denn sie knnen sie nicht als eine Braut erkennen und sehen. Aber sie haben, deswegen gleichviel Nutzen von der Lieblichkeit und dem Duft, und fhlen sich dadurch auf den Brautweg gezogen.

Honigseim trufeln deine Lippen, [meine] Braut, Honig und Milch sind unter deiner Zunge, und der Duft deiner Kleider ist wie der Duft des Libanon!

4,11) Er sagt: Honig und Milch ist unter deiner Zunge, und der Duft deiner Gewnder ist wie der Duft des Libanons. Mitten in dem Zustand der Entblung, worin sie sich befindet, triefen ihre Lippen von Sssigkeit, d.h. von Gottes lebendigem Wort. Denn solange sie nur auf Ihn schaut und nur Ihm lauscht, flieen seine Worte von ihren Lippen. Dies geschieht nicht aus ihrem Vermgen, sondern nur, weil sie seine Worte bei sich Eingang gewinnen lsst. Dadurch verbirgt ihre Zunge den Honig und die Milch des Worts, welches zu lieblicher Nahrung fr andere Seelen werden knnte. Es sind die Lippen der Braut, aber das Wort des Brutigams. Dass ihre Zunge den Honig und die Milch des Worts verbirgt, bezeichnet, dass sie dieses im Schweigen verbirgt, und dadurch das Schweigen des Worts und das Wort des Schweigens kennen lernt. Sie sieht dann, dass das Wort Schweigen gebiert, und dass das Schweigen Worte gebiert. Sie erfhrt sogar dies; denn in ihrem Entblungszustand wrde sie nicht selbst wagen, Gottes Wort zu reden. Sie fhlt sich dazu unwrdig und meint, dass sie nur schaden wrde, wenn sie es tte. Sie schweigt also, aber ohne dass sie es wei, fliet der Honig und die Milch des Worts dennoch ber ihre Lippen in allem, sowohl in ihrem Schweigen als in ihrem Reden, sogar wenn sie von alltglichen Dingen redet. - Gewnder bezeichnen seine Gerechtigkeit, Gnade und Wahrheit, womit sie gekleidet ist. Diese verbreiten einen wunderbaren Duft, einen Duft von einer andern Welt, nmlich den Duft seines Landes. Der Duft hat sie nie verlassen, seitdem sie zuerst von Ihm ergriffen wurde, und er wird sie auch nicht verlassen.

Ein verschlossener Garten ist meine Schwester, [meine] Braut; ein verschlossener Born, eine versiegelte Quelle.

4,12) Hier greift der Brutigam dem Zustand der vollen Vereinigung mit ihr vor. So unklar und durcheinander, wie alles jetzt bei ihr ist, kann diese Vereinigung mit ihr nicht verwirklicht werden. 37

4 Kapitel (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung)_______________________________________________________________________________________

Aber Er sieht sie so, wie sie bald werden wird, und davon will Er ihr Kenntnis geben, bevor sie durch die dunklen Nchte geht, die vor ihr liegen. Nicht dass sie sie jetzt klar erfassen knnte, sondern sie soll ihr zu einer verborgenen Wegzehrung auf dem brigen Teil des Weges werden. Sie soll nmlich dort in einer verborgenen Weise von der Erkenntnis, die Er jetzt in sie eingiet, aufrechterhalten und genhrt werden. Whrend der dunklen Nacht, welche sie noch vor sich hat, kann sie weder etwas verstehen noch vernehmen, aber sein Wort findet sich dennoch in ihr und hlt ihr himmlisches Wesen aufrecht in einer geheimnisvollen Weise, und nhrt es. - Nun sagt Er ihr, wie sie ist, wenn sie zur vollen Einheit mit Ihm kommt: Ein verschlossener Garten ist meine Schwester, Braut, ein verschlossener Born, eine versiegelte Quelle. Sie ist also verschlossen fr alle andern, denn sie gehrt Ihm allein. (Dies bedeutet auch, dass sie Ihm in andern gehrt). Noch ist sie teils verschlossen, auch fr Ihn, weil noch etwas bei ihr sich fr Ihn nicht geffnet hat.

Aber Er, der die Dinge, die nicht sind, so sieht, als ob sie da wren, sieht sie so, wie wenn alles fertig wre. Wenn Er jetzt zu ihr redet, versteht sie ein wenig davon. Deswegen ruft sie in Vers 16 den Nordwind (den scharfen) und den Sdwind (den lieblichen), um ihr zu helfen, ihren Lustgarten fr Ihn allein zu ffnen. Dies schaut sie mitten durch die Finsternis, die sich ber ihre Seele gelagert hat. Aber obgleich sie es sieht, kann sie nichts tun, um sich ganz fr Ihn zu ffnen. Die Finsternis, welche noch ber ihr liegt, beruht zum grten Teil darauf, dass sie nicht mehr als einen Moment wegschauen kann von sich selbst, um auf Ihn allein zu schauen und sich Ihm ganz hinzugeben. Aber im Augenblick ist dieses nur wie es sein soll, und sie muss eben durch dieses gehen, um zum Ziel zu kommen. Ihre Augen sind in dieser Weise fr Ihn verschlossen, und sie sieht nicht, was sie in Ihm hat. Und ebenso sind ihre Ohren verschlossen. Sie kann seine Liebesworte nicht recht auffassen. Ihr Gefhl ist verschlossen; sie kann nicht recht sein Ziehen vernehmen.

Es ist Nacht um ihre Seele. Deswegen betet sie, dass der Nord- und Sdwind des Morgens kommen mge mit dem neuen Tag. - So sieht sie aus in ihren eigenen Augen, aber fr Ihn ist sie ein verschlossener Garten, ein verschlossener Born und eine versiegelte Quelle in dem rechten Sinn; d.h. verschlossen und versiegelt fr alle andern und fr alles andere, nur Ihm allein gehrend. Sie ist fr Ihn ein lieblicher, unschtzbarer Lustgarten, eine reine und klare Quelle, wo nichts von der Unreinigkeit der Welt hineinkommen kann, ein tiefer Brunnen mit frischem Wasser, der in seiner Tiefe den Himmel widerspiegelt. 38

4 Kapitel (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung)_______________________________________________________________________________________

Sie gehrt Ihm und nur Ihm. Dieser keusche Lustgarten, dieser Brunnen und diese Quelle sind schon jetzt seine Freude.

Deine Schlinge sind ein Lustgarten von Granatbumen mit herrlicher Frucht, Cyperblumen mit Narden; Narden und Safran, Kalmus und Zimt, samt allerlei Weihrauchgehlz, Myrrhe und Aloe und den edelsten Gewrzen;

4,13-14) Er redet zu ihr von ihrer kommenden Fruchtbarkeit, und seine Worte versenken sich in sie, obgleich sie jetzt nicht imstande ist, mehr als einen Bruchteil von ihnen zu verstehen. Wenn Er sie bis zum Ziel gefhrt hat, wird das Wort in Jes.60,22 auf sie angewendet werden knnen: Der Kleinste soll zu einem Tausend, und der Geringste zu einem gewaltigen Volk werden. Ich Jahwe, werde es zu seiner Zeit eilends ausrichten. Sie ist die Kleinste und Geringste, und auf dem Wege zu einer noch greren Kleinheit und Geringheit. Aber eben daraus soll eine berwltigende Frucht entstehen. Von ihr sollen Tausend, ja soll ein zahlreiches Volk kommen. Er sagt: Was dir entspriet, ist ein Lustgarten von Granatpfeln mit edlen Frchten, Zyperblumen nebst Narden, Narde, Safran, Kalmus und Zimt, mit allerlei Bumen des Weihrauchs. Myrrhe und Aloe, mit allen besten Wrzen. Alle die hier aufgefhrten Bume und Gewchse mit den edelsten Frchten und ausgesuchtesten Dften und Gewrzen bezeichnen Frchte fr den Himmel. Mitten in der Not und dem Leiden und der Elendigkeit der Welt soll sie himmlische Frchte tragen. Sie soll Kinder, Herrlichkeitskinder fr den Himmel tragen und gebren und erziehen. Etwas Schneres und Begehrenswerteres kann sie sich wohl nicht denken. Wenn die Zeit da ist, sollen alle ihre Trume bertroffen werden, und schon jetzt liegt all dies in ihr verborgen, whrend Finsternis sie bedeckt, und das Licht um sie zur Nacht wird (Ps.139,11-12). Aber mitten in der Finsternis und Nacht kommen Schimmer vom Glauben an sein Wort zu ihr. Und was sie sonst auch sieht oder nicht sieht, erkennt oder nicht erkennt; Er giet sein Wort in sie hinein, das Wort, das ihr zu einer verborgenen Wegzehrung durch die Nacht werden soll.

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4 Kapitel (Verzehren des Eigenen, Weg der Entblung)_______________________________________________________________________________________

eine Gartenquelle, ein Brunnen lebendigen Wassers, und Bche, die vom Libanon flieen!

4,15) Dann schliet Er seine Rede mit einem neuen Bild, welches die Sache von einer andern Seite beleuchtet: Ein Gartenbaum bist du, ein Born lebendiger Wasser, die vom Libanon flieen. Hier wird sie nicht mit dem Lustgarten oder dem Park verglichen, worin Bume und Gewchse aufwachsen, die Frucht geben. Das Bild ist unzureichend. Hier ist sie die Quelle und der Brunnen in dem Lustgarten und dem Park, die Quelle, welche Leben und Kraft zum Wachstum gibt fr alles, was da Frucht trgt. Das bedeutet, dass von ihr nicht nur Bume und Gewchse, welche Frucht geben, kommen sollen; sondern sogar der Lustgarten und Park selbst, woraus diese wachsen. Sie soll also Mutter werden fr ebenso hervorragende Mtter wie sie, welche in ihrer Ordnung ebensoviel Frucht wie sie bringen sollen.

Erwache, du Nordwind, und komm, du Sdwind, durchwehe meinen Garten, da sein Balsam trufle! Mein Geliebter komme in seinen Garten und esse seine herrliche Frucht!

4,16) Die Braut hat seinen Worten gelauscht, obgleich sie sie nicht richtig hat verstehen knnen. Ihr jetziger Zustand ist ein Hin- und Hergerissensein in der Finsternis. Sie findet sich nicht zurecht. Sie wird ihre Hilflosigkeit gewahr und fleht die Winde an, ihr zu helfen, ihren Lustgarten fr Ihn zu ffnen, so dass sein Wohlgeruch ausstrmen und Ihn zu ihm ziehen mge. Ebenso dass sie allen Nebel hinwegwehen mchten, so dass es fr ihr Gesicht tagt. Aber sie war es ja, die zu Ihm kommen sollte, nicht Er zu ihr. Dies versteht sie kaum in diesem Augenblick, die Gedanken laufen hin und herbei ihr.

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5 Kapitel (Erweckung in der Nacht)_______________________________________________________________________________________

(E r w eckung in de r Na cht ) Ich komme in meinen Garten, meine Schwester, [meine] Braut; ich pflcke meine Myrrhe samt meinem Balsam; ich esse meine Wabe samt meinem Honig, ich trinke meinen Wein samt meiner Milch. Et, [meine] Freunde, trinkt und berauscht euch an der Liebe!

Das 5 Kapitel

5,1) Ich bin gekommen, meine Schwester, liebe Braut, in meinen Garten. Aber Er in seiner unendlichen Barmherzigkeit und Geduld bewilligt ihr noch einmal eine kurze Begegnung in ihrem Innern, eine Erweckung in der Nacht. Er hat zu ihr geredet, whrend der ersten Wache der Nacht, aber dann ist Er wieder verschwunden. Sie versteht nicht, dass Er sie nie verlassen hat, sondern stndig bei ihr ist. Aber pltzlich hrt sie seine Stimme: Ich habe meine Myrrhe samt meinen Wrzen abgebrochen; ich habe meinen Seim samt meinem Honig gegessen; ich habe meinen Wein samt meiner Milch getrunken. Sie hrt Ihn, aber sie sieht Ihn nicht und vernimmt Ihn nicht. Und wenn seine Stimme verklungen ist, hrt sie Ihn auch nicht mehr. Und dennoch ist in ihr etwas, was Ihn und seine Gegenwart in einer geheimnisvollen Weise vernimmt. Er ist da, Er atmet, Er isst und trinkt, aber in einer Tiefe in ihrem Inneren, wovon sie wenig oder nichts wei. Sie kann nur in einer unbestimmten Weise vernehmen, dass Er da ist und von ihr all das wegnimmt, was ihr ein vernehmbarer Trost und eine Lieblichkeit gewesen ist. Und dennoch findet sie einen geheimnisvollen Trost und eine Erquickung hierin, welche von einem gewissen Hunger nach leiden kommen, und welche sagen: Gib mir noch mehr zu leiden. Aber es gibt keinen Trost fr die Gefhle ihrer Seele. All sein Trost ist wie verloren fr sie, denn die Sinne ihrer Seele sind verschlossen, gleichwie die der Emmaus-Jnger. Doch das macht nichts, denn in einer Tiefe, wo die Sinne nichts vernehmen, ist Er ihr nahe und schtzt sie. Es ist so, dass die neuerweckten und kaum wachen Sinne ihres Geistes sich unsicher zu bewegen beginnen, ohne dass es ihrer Seele zum Bewusstsein kommt. - Dann muss sie durch eine Nacht nach der andern gehen. Sie ist durch solche vorher gegangen. Jede neue Entblung ist eine neue Nacht. Die Entblung, worin sie sich jetzt befindet, kann die dunkle Nacht der Seele genannt werden. - Esset, meine Lieben und trinket, meine Freunde, und werdet trunken. In dieser Nacht macht der Geist in ihr die erste Erfahrung davon,

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5 Kapitel (Erweckung in der Nacht)_______________________________________________________________________________________

Abendmahl mit dem Brutigam zu halten. Bei dem Abendmahl ist ihre Seele geschlossen fr die Welt und die Geistlichkeit der Welt, verschlossen fr sich selbst und fr eigene Wege, verschlossen fr Kenntnis, Gefhl und Trost in geistlichen Dingen.

Ich schlafe, aber mein Herz wacht. Da ist die Stimme meines Geliebten, der anklopft! Tu mir auf, meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, meine Makellose denn mein Haupt ist voll Tau, meine Locken voll von Tropfen der Nacht!

5,2) Die Braut befindet sich immer noch in der dunklen Nacht der Seele, wo die Finsternis dichter und dichter wird, wo die Not gro wird, und das Zukurzkommen zu einer vollen Zerbrochenheit wird; bis sie all ihrem Eigenen gegenber gleichgltig wird und zu der Einfalt kommt, wo alles, was Gott tut, ein und dasselbe fr sie wird. Sie hat jetzt viel davon durchgemacht. Ihre Seele ist entblt worden von der Welt und ihrer Geistlichkeit, von sich selbst, ihrem eigenen Geistlichen und ihren eigenen geistlichen Wegen, von Kenntnis, Gefhl und Trost in geistlichen Dingen. Und sie ist zuerst mde geworden von allem und nachher gleichgltig und zum Schluss eingeschlafen. Es ist also eine Zeit vergangen zwischen diesem und den vorhergehenden Versen. Whrend dieser Zeit hat das Geistliche allen Geschmack fr ihre Seele verloren. Sie ist gleichgltig geworden wie ein Heide, und in dieser Gleichgltigkeit hat sie uerlich geschlafen. Jetzt erwacht sie und sagt: Ich lag und schlief, aber mein Herz wachte. Innerlich hat sie nicht schlafen knnen, whrend die Seele schlief. Mitten im Schlaf hat sie gesprt, dass ihr Herz (d.h. hier das in sie eingegossene Leben des Brutigams, welches der Geist in ihr ist) wacht. Eine gewisse Unruhe des Herzens ist durch den Gleichgltigkeitsschlaf gedrungen, und am Ende hat diese Unruhe Oberhand bekommen, so dass sie aufwacht (aber nicht zu einem neuen Tag, sondern mitten in der Nacht), weil der Freund an ihre Tr klopft. Horch! mein Geliebter! Er klopft;tue mir auf meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, meine Vollkommene! Denn mein Haupt ist voll Tau, meine Locken voll Tropfen der Nacht! Er hat sich durch die Gleichgltigkeit ihrer Seele bis zu ihrem Geist hineingeklopft. Ihr Geist ist es, der Ihn hrt, denn die Seele ist entblt von allem bis zum Tode und hrt nichts. Flehentlich bittet Er sie, Ihm zu ffnen, und dabei ruft Er alles in ihrem Geist, was von Ihm ist: Meine Schwester, meine Braut, meine Taube, meine Fromme!

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5 Kapitel (Erweckung in der Nacht)_______________________________________________________________________________________

All dies, was zur vollen ehelichen Vereinigung gehrt, ruft Er an, damit ihr Geist auferstehen mge, und den Platz der abgestorbenen Seele in Besitz nehme. Ihr Geist hat Verbindung mit ihm mitten durch den Tod der Seele und hat deswegen Gefhl fr sein Werben, auch wenn Er an ihr Mitgefhl fr Ihn appelliert, whrend Er drauen vor ihrer Tr steht in ihrer Nacht, mit dem Haupt voll von Tau und den Locken voll von den Tropfen der Nacht. Er durchleidet die Nacht mit ihr, aber ihr Geist ist nicht recht willig.

Ich habe mein Kleid ausgezogen, wie sollte ich es [wieder] anziehen? Ich habe meine Fe gewaschen, wie sollte ich sie [wieder] besudeln?

5,3) Sie sagt: Ich habe meinen Rock ausgezogen - wie soll ich ihn wieder anziehen? Ich habe meine Fe gewaschen; wie soll ich sie wieder verunreinigen? Sie entschuldigt sich. Sie fhlt, dass es schwierig ist, aufzustehen und sich anzuziehen. Sie hat ihre Kleider abgelegt, d.h. alles, worin ihre Seele gekleidet war, wie Wahrheiten, Tugenden, den Willen gut zu sein und Gutes zu tun, usw. Sollte sie jetzt wieder das alles anziehen? Ich habe meine Fe gewaschen; d.h. ich habe alle geistlichen Wege de gelassen, ich mag mit ihnen nichts zu tun haben; soll ich jetzt wieder mit ihnen anfangen? Nein, lass mich tot sein!

Aber mein Geliebter streckte seine Hand durch die Luke; da geriet mein Herz in Wallung seinetwegen.

5,4) Aber mein Freund steckte seine Hand durchs Riegelloch und mein Innerstes erzitterte davor. Aber Er lsst sie nicht. Mit seiner ganzen Seele kmpft Er mit ihr, um sie an diesem Punkt hindurchzufhren, und, sie anflehend, reicht Er seine Hand durch das Riegelloch (die kleine ffnung zu ihrem Geist, welche ihr Gefhl fr Ihn ausmacht). Wenn sie seine Hand sieht, die starke Hand des Starken, so hilflos werbend ausgestreckt, dann wird ihr Herz vor Bewegung berwltigt. Sie wird ergriffen in einer Weise wie nie vorher in ihrem Leben. Etwas vllig Umwlzendes geschieht mit ihr.

Ich stand auf, um meinem Geliebten zu ffnen; da troffen meine Hnde von Myrrhe und meine Finger von feinster Myrrhe auf dem Griff des Riegels1.

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5 Kapitel (Erweckung in der Nacht)_______________________________________________________________________________________

5,5) Sie sagt: Da stand ich auf, dass ich meinem Freund auftte; meine Hnde troffen von Myrrhe und meine Finger von flieender Myrrhe an dem Riegel am Schloss. Ihr Geist hat gehrt und ist aufgestanden. Dies war