Amoris laetitia-Praxis Wachstum der Liebe Wer die …...Amoris laetitia-Praxis Das Hohelied der...

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Amoris laetitia-Praxis Das Hohelied der Liebe, das der Apos- tel Paulus gedichtet hat (1Kor 13), ist der Lieblingstext vieler Hochzeitspaare. Sie beweisen damit einen guten Geschmack. Zwar hat der Text ursprünglich nichts mit der Ehe zu tun, sondern mit dem Leben in der Gemeinde, die unter Eifersüchte- leien leidet und auf neue Weise ihre Ein- heit in der Vielfalt der Begabungen entde- cken soll. Aber das schließt eine Übertragung nicht aus. Sie fällt vielen jedoch schwer, weil sie einen tiefen Widerspruch zwi- schen irdischer und himmlischer Liebe sehen. Das ist zu eng. Paulus schreibt von der Agape. Er meint die Liebe Gottes selbst, die in die Herzen der Menschen ausgegossen ist – durch den Heiligen Geist. Sie bestimmt das gan- ze Leben der Gläubigen. Ehe und Familie können ein Glücksfall für die Einheit von Gottesliebe und Menschenliebe sein, von Spiritualität und Sexualität, von Bejahung und Kindersegen. Aber leider Gottes ist dieses Glück zerbrechlich, und manchmal wendet es sich in tiefes Unglück. Wer 1Kor 13 als Hochzeitslesung wählt, weiß dar- um – und setzt auf Gottes Liebe, die nicht dort endet, wo die menschliche Liebe zer- bricht. Benedikt XVI. hat in seiner Enzyklika „Deus caritas est“ den traditionellen Wi- derspruch zwischen Eros und Agape über- wunden. Franziskus hat in seinem Schrei- ben „Amoris laetita“ auf dieser Linie die erotische Dimension der Liebe gewürdigt und den Eheleuten Mut gemacht, das Ge- fallen, das sie aneinander finden, geistig, seelisch und körperlich, als einen Hauch jener Liebe zu spüren, die Gott ihnen schenkt – wie allen Menschen. Das tut gut. Es weitet den Horizont. Es stärkt die Liebe! Wer die Liebe spürt... Was bedeutet das „Hohelied der Liebe“ (1 Korinther 13), der Lieblingstext bei Hochzeiten, für die eheliche Praxis? Univ.-Prof. Dr. Thomas Söding lehrt Neues Testament an der Katholisch- Theologischen Fa- kultät der Universität Bochum. Wachstum der Liebe Die Gnade des Ehesakraments soll die Liebe der Gatten vervollkommnen. A lles Gesagte reicht nicht aus, um das Evangelium von Ehe und Fami- lie zum Ausdruck zu bringen, wenn wir nicht eigens darauf eingehen, von der Liebe zu sprechen. Denn wir können nicht zu einem Weg der Treue und der gegensei- tigen Hingabe ermutigen, wenn wir nicht zum Wachstum, zur Festigung und zur Ver- tiefung der ehelichen und familiären Lie- be anregen. Tatsächlich ist die Gnade des Ehesakramentes vor allem dazu bestimmt, ,die Liebe der Gatten zu vervollkommnen’ . Auch hier trifft zu: ,Wenn ich alle Glau- benskraft besäße und Berge damit ver- setzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. Und wenn ich meine gan- ze Habe verschenkte und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts’ (1 Kor 13,2-3). Doch das Wort ,Liebe‘, eines der meist gebrauchten, erscheint oft entstellt.“ (Aus: „Amoris laetitia“, Nr. 89) „In dem sogenannten Hymnus des hei- ligen Paulus sehen wir einige Merkmale der wahren Liebe: ,Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.’ (1 Kor 13,4-7) Das wird mitten im Leben gelebt und gepflegt, in dem Leben, das die Eheleute untereinander und mit ihren Kindern Tag für Tag teilen. Darum lohnt es sich, dabei zu verweilen, den Sinn der Begriffe dieses Textes genauer zu bestimmen, um eine Anwendung auf das konkrete Leben jeder Familie zu versuchen.“ (Aus: „Amoris laetitia“, Nr. 90) Papst Franziskus erläutert in „Amoris laetitia“ die Liebe in der Ehe (Nr. 89) und die tägliche, wahre Liebe (Nr. 90). „Das Wort ,Liebe‘, eines der meist gebrauchten, erscheint oft entstellt.“ Papst Franziskus 23 Der Sonntag 15. 5. 2016 || Nr. 19 GLAUBE KONKRET Der ganze Text Zum Nachlesen. In dem Herder-Buch „Papst Franziskus, Amoris laetitia, Freude der Liebe“ ist zum vollständigen Papst-Dokument mit Stichwortverzeich- nis auch die Einführung von Kardinal Christoph Schönborn enthalten, die der Erz- bischof in Rom gehal- ten hat. Die deutschen Synodenteilnehmer Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof Hei- ner Koch und Bischof Franz-Josef Bode wür- digen das päpstliche Schreiben. BilderBox

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Amoris laetitia-Praxis

Das Hohelied der Liebe, das der Apos-tel Paulus gedichtet hat (1Kor 13), ist der Lieblingstext vieler Hochzeitspaare. Sie beweisen damit einen guten Geschmack. Zwar hat der Text ursprünglich nichts mit der Ehe zu tun, sondern mit dem Leben in der Gemeinde, die unter Eifersüchte-leien leidet und auf neue Weise ihre Ein-heit in der Vielfalt der Begabungen entde-cken soll.

Aber das schließt eine Übertragung nicht aus. Sie fällt vielen jedoch schwer, weil sie einen tiefen Widerspruch zwi-schen irdischer und himmlischer Liebe sehen. Das ist zu eng.

Paulus schreibt von der Agape. Er meint die Liebe Gottes selbst, die in die Herzen der Menschen ausgegossen ist – durch den Heiligen Geist. Sie bestimmt das gan-ze Leben der Gläubigen. Ehe und Familie können ein Glücksfall für die Einheit von Gottesliebe und Menschenliebe sein, von Spiritualität und Sexualität, von Bejahung und Kindersegen. Aber leider Gottes ist dieses Glück zerbrechlich, und manchmal wendet es sich in tiefes Unglück. Wer 1Kor 13 als Hochzeitslesung wählt, weiß dar-um – und setzt auf Gottes Liebe, die nicht dort endet, wo die menschliche Liebe zer-bricht.

Benedikt XVI. hat in seiner Enzyklika „Deus caritas est“ den traditionellen Wi-derspruch zwischen Eros und Agape über-wunden. Franziskus hat in seinem Schrei-ben „Amoris laetita“ auf dieser Linie die erotische Dimension der Liebe gewürdigt und den Eheleuten Mut gemacht, das Ge-fallen, das sie aneinander � nden, geistig, seelisch und körperlich, als einen Hauch jener Liebe zu spüren, die Gott ihnen schenkt – wie allen Menschen.

Das tut gut. Es weitet den Horizont. Es stärkt die Liebe!

Wer die Liebe spürt...Was bedeutet das „Hohelied der Liebe“ (1 Korinther 13), der Lieblingstext bei Hochzeiten, für die eheliche Praxis?

Univ.-Prof. Dr. Thomas Söding lehrt Neues Testament an der Katholisch-Theologischen Fa-kultät der Universität Bochum. P

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Wachstum der Liebe

Die Gnade des Ehesakraments soll die Liebe der Gatten vervollkommnen.

Alles Gesagte reicht nicht aus, um das Evangelium von Ehe und Fami-lie zum Ausdruck zu bringen, wenn

wir nicht eigens darauf eingehen, von der Liebe zu sprechen. Denn wir können nicht zu einem Weg der Treue und der gegensei-tigen Hingabe ermutigen, wenn wir nicht zum Wachstum, zur Festigung und zur Ver-tiefung der ehelichen und familiären Lie-be anregen. Tatsächlich ist die Gnade des Ehesakramentes vor allem dazu bestimmt, ,die Liebe der Gatten zu vervollkommnen’. Auch hier tri� t zu: ,Wenn ich alle Glau-benskraft besäße und Berge damit ver-setzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. Und wenn ich meine gan-ze Habe verschenkte und wenn ich meinen

Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts’ (1 Kor 13,2-3). Doch das Wort ,Liebe‘, eines der meist gebrauchten, erscheint oft entstellt.“(Aus: „Amoris laetitia“, Nr. 89)

„In dem sogenannten Hymnus des hei-ligen Paulus sehen wir einige Merkmale der wahren Liebe:,Die Liebe ist langmütig,die Liebe ist gütig.

Sie ereifert sich nicht,sie prahlt nicht,sie bläht sich nicht auf.Sie handelt nicht ungehörig,sucht nicht ihren Vorteil,lässt sich nicht zum Zorn reizen,trägt das Böse nicht nach.Sie freut sich nicht über das Unrecht,sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles,glaubt alles,ho� t alles,hält allem stand.’ (1 Kor 13,4-7)

Das wird mitten im Leben gelebt und gep� egt, in dem Leben, das die Eheleute untereinander und mit ihren Kindern Tag für Tag teilen. Darum lohnt es sich, dabei zu verweilen, den Sinn der Begri� e dieses Textes genauer zu bestimmen, um eine Anwendung auf das konkrete Leben jeder Familie zu versuchen.“(Aus: „Amoris laetitia“, Nr. 90)

Papst Franziskus erläutert in „Amoris laetitia“ die Liebe in der Ehe (Nr. 89) und die tägliche, wahre Liebe (Nr. 90).

„Das Wort ,Liebe‘, eines der meist gebrauchten, erscheint oft entstellt.“

Papst Franziskus

23Der Sonntag 15. 5. 2016 || Nr. 19 GLAUBE KONKRET

Der ganze TextZum Nachlesen. In dem Herder-Buch „Papst Franziskus, Amoris laetitia, Freude der Liebe“ ist zum vollständigen Papst-Dokument mit Stichwortverzeich-nis auch die Einführung von Kardinal

Christoph Schönborn enthalten, die der Erz-bischof in Rom gehal-ten hat. Die deutschen Synodenteilnehmer Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof Hei-ner Koch und Bischof Franz-Josef Bode wür-digen das päpstliche Schreiben.

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