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Matthias Hahn

Brauchen wir Heilige? -

Barbara (4.12.) und Nikolaus (6.12.)

E-25-0070

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1. Wahrnehmen

Anfang Dezember. Wir befinden uns in der Adventszeit. Draußen ist es nass und kalt. Die Tage sind kurz, die Abende und Nächte lang. Am Barbara-Tag werden Sträucher geschnitten und in die Vase gestellt, die Barbara-Zweige. Am Nikolaus-Tag freuen sich die Kinder. In die Stiefel vor der Wohnungstür hat der Nikolaus kleine Präsente gelegt, ein großer Mann mit Bart und rotem Mantel. Dies ist fast alles, was von den Gedenktagen der beiden Heiligen übrig geblieben ist. Was war da noch mehr bei den beiden, und was hat sie zu Heiligen werden lassen?

Auf die Frage, was ihnen heilig sei, antworteten 22% der befragten Studenten in einem Internet-Forum mit: Meine Handy-Nummer. Ein Hamburger Bezirksbürgermeister teilte in einer Diskussion um Werbeflä-chen in der Hansestadt mit, die Binnenalster sei heilig, und also kein Ort für großflächige Werbung. Die Bei-spiele ließen sich fortsetzen, jeder Mensch hat irgendetwas, was ihm heilig ist, sei es ein Gegenstand, eine Erinnerung, eine Handlung … Doch wie sieht es nicht mit dem, sondern mit den Heiligen aus? Brauchen die Menschen Heilige, an denen sie sich orientieren können, die ihnen helfen, die als Vorbild dienen, als Weg zu Gott – wie Barbara und Nikolaus? Wo liegen da die Unterschiede zwischen evangelischen und katholischen Christen? Und woher kommen die verschiedenen Bräuche zu den Gedenktagen der Heiligen, die durchaus auch von Kirchenfernen praktiziert werden?

2. Wissen

Unter einer Legende versteht man eine Heiligenerzählung. Als die Menschen noch keine Zeitschriften und Fernseher besaßen, haben sie sich diese Geschichten erzählt, sie ausgeschmückt und neue dazu gedichtet, die zu den vorhandenen passten. Deshalb kennt man auch so viele unterschiedliche Varianten von Heili-genlegenden. Heiligenlegenden versteht man am besten, wenn man ihre Ursprungssituationen kennt, weil dann nachvollziehbar wird, warum die Wunder, von denen die Legende erzählt, so wichtig für die Men-schen waren.

Die nachweislich älteste Heiligenerzählung von Bischof Nikolaus ist die Geschichte vom Stratelatenwun-der. Sie spielt in der heutigen Türkei und erzählt davon, dass Nikolaus drei unschuldig zum Tode verurteilte Feldherren (Stratelaten) vom Tode errettete, indem er als Lebender dem Kaiser Konstantin im Traum er-schien. Dass er dies als Lebender und nicht als Verstorbener tat und dass er gerade dem römischen Kaiser er-schien, der das Christentum anerkannte, verschaffte ihm große Berühmtheit. Die Geschichte wird auf die Zeit von 527–565 datiert, wo sie in Myra entstanden ist. Auch in Westeuropa ist eben diese Geschichte vom Ni-kolaus zuerst aufgetaucht, und zwar 842. Bekannter als diese sind andere Nikolausgeschichten, die allerdings nachweislich später entstanden sind. Im Religionsunterricht der Grundschule wird gerne die Legende von den

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Kornschiffen und der wundersamen Kornvermehrung erzählt: Während einer Hungersnot in Lykien sollen in Andriake alexandrinische Kornschiffe gelandet sein. Nikolaus, von Myra herbeigeeilt, bittet die Schiffer, etwas von ihrer Ladung abzugeben. Sie lehnen das mit der Begründung ab, dass die Ladung genau gewogen sei. Der Heilige jedoch sichert ihnen Straflosigkeit zu und heißt sie, von jedem Schiff hundert Scheffel abzugeben. In Konstantinopel fehlt wunderbarerweise nichts am Gewicht. Das von Nikolaus verteilte Getreide reicht für zwei Jahre aus und langt auch noch zur Aussaat: Die Bevölkerung war durch die Wundertat des Bischofs ge-rettet. So entstand der Ruhm des Nikolaus, wörtlich übersetzt, des Siegers des Volkes.

Eine Hoffnungsgeschichte für junge Frauen war die Legende von der Ausstattung der drei verarmten Jung-frauen:

Ein vornehmer Mann, der völlig verarmt ist, beabsichtigt, seine drei Töchter, die er nicht ebenbürtig verheiraten kann, der Schande (der Prostitution, M.H.) preiszugeben, um daraus seinen und ihren Lebensunterhalt zu be-streiten. Der junge Nikolaus, eben Erbe eines großen Vermögens geworden, hört davon und wirft nachts dreimal einen Beutel voll Geld in die zum Trocknen aufgehängte Wäsche der Verarmten. Jeder Beutel bildet die Mitgift für eine der Töchter und ermöglicht ihre Verheiratung. In der dritten Nacht holt der Vater den enteilenden Wohltäter ein und dankt Nikolaus unter Tränen, weil seine Töchter nun heiraten können und sich nicht prostituieren müssen.

➢ Wie kann ich den Bedrängten und Notleidenden auf der Welt helfen: So könnte die Frage lauten, die der heilige Nikolaus den Menschen mit auf den Weg gegeben hat.

Die Heilige Barbara (wörtlich: die Fremde) lebte der Legende nach im 3. Jahrhundert in Nikodemien (heute Izmid, Türkei), ihr Todesjahr wird auf 306 datiert. Die legenda aurea oder auch Goldene Legende ist durch die viele wörtliche Rede, die man der Barbara in den Mund legte, sehr lang.

Stratelatenwunder (Altartafel in der Kirche St. Mariae in Mühl-hausen / Thüringen)

Aus: Wikimedia Commonshttps://commons.wikimedia.org

Nikolaus und das Kornwunder (Altartafel in der Kirche St. Mariae in Mühlhausen / Thüringen)

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Barbara war die Tochter des reichen Heiden Disocuros und eine sehr schöne und kluge jun-ge Frau, so dass viele Männer aus Nikodemien sie heiraten wollten. Sie wies jedoch die Ver-ehrer zurück, weil sie merkte, dass es ihr in ih-rem Leben um etwas anderes ging. Die junge Frau besuchte immer wieder eine Gruppe von Christen, die sich trotz der Christenverfolgung durch den Kaiser heimlich trafen. Dort lernte sie die Frohe Botschaft Jesu Christi kennen und kam in langen Gesprächen zu dem Entschluss, christlich leben zu wollen. Disocuros jedoch versuchte, sie den christlichen Einflüssen zu entziehen. Er ließ einen Turm bauen, in den er sie einsperrte. Barbara selbst sorgte dafür, dass in diesen Turm als Zeichen der Dreifaltig-keit drei Fenster eingebaut wurden. Obwohl sie im Turm gefangen gehalten wurde, schaff-te sie es, einen christlichen Priester zu sich zu rufen, um sich taufen zu lassen. Als der Vater davon hörte, wollte er sie töten, doch ein Fels öffnete sich und rettete sie. So ließ der Vater die Tochter vor Wut ins Gefängnis bringen. Auf dem Weg ins Gefängnis blieb an Barbaras Kleid ein Zweig hängen, den sie mitnahm und

der schließlich am Tag ihres Todes zu blühen anfing. Im Gefängnis wurde sie gequält und gefoltert. Als Mär-tyrerin ist sie dem christlichen Glauben treu geblieben, so dass ihr Vater sie schließlich eigenhändig mit dem Schwert tötete. Es heißt, der Vater sei sofort darauf von einem Blitz getroffen und getötet worden.

Diese Geschichte ist der Grundstock für viele weitere Ausschmückungen. In weiteren, teilweise geradezu grausamen und abschreckenden Fassungen wird erzählt, wie Barbara von ihrem heidnischen Vater in einen Turm eingesperrt wurde, weil er auf seine bildschöne und verführerisch junge Tochter eifersüchtig war und sie am Heiraten hindern wollte. Während der Vater auf Reisen war, ließ Barbara sich der Legende nach taufen: Vom Heiligen Geist erleuchtet, sei sie in ein heidnisches Opferbecken gestiegen und habe die Taufe durch Johannes den Täufer, der ihr erschien, erhalten. Noch anders wird erzählt und teilweise dargestellt, dass Barbara den Vater um den Bau eines Bades gebeten habe. Nachdem sie nicht die vom Vater angeord-neten zwei Fenster, sondern drei als Zeichen der Dreieinigkeit habe anbringen lassen, habe sie ein Kreuz mit der Hand in den noch feuchten Putz gedrückt und ein kostbares Kreuz auf den Sockel eines gestürzten Götterbildes gestellt. Daraufhin soll sie im Bad ihres luxuriös eingerichteten Turmes die Taufe empfangen haben.

Barbara-Altar von Jerg Ratgeb in der Johanneskirche in Schwaigern. Foto Peter Schmelzle – Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org

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Barbara wurde, so wird auch erzählt, von ihrem Vater dem römischen Statthalter Marcianus ausgeliefert, doch auch ihm gelang es nicht, sie zur Entsagung ihres Glaubens zu bewegen, obwohl er sie geißeln ließ; Barbara sprach von den Geißeln als ob es Pfauenfedern gewesen seien, nachts erschien ihr dann Christus im Gefängnis, um ihre Wunden zu heilen. Der erbitterte Statthalter ließ Barbara mit Keulen schlagen und mit Fackeln brennen. Dann wurde sie vor Gericht gestellt und verurteilt, sich nackt auf dem Markt den Blicken der Leute preiszugeben, auf ihr Gebet hin wurde sie aber mit Wolken und Nebel bedeckt. Daraufhin sollte sie enthauptet werden; auch in dieser Fassung vollstreckt der rachsüchtige Vater selbst das Urteil. Gleich darauf wird er jedoch vom Blitz erschlagen und verbrennt. Barbara lebte der Legende nach in der Zeit der Christen-verfolgungen.

➢ Was ist uns so heilig, dass wir dafür unser Leben opfern würden – dies ist die Frage der Barbara für alle nachfolgenden Generationen.

Gab es Barbara und Nikolaus wirklich?Nach Ansicht von Experten war Barbara Märtyrerin im 3. Jahrhundert. Sie ist eine der bekanntesten christ-lichen Heiligen geworden. Die Figur des Heiligen Nikolaus geht aus zwei Ursprüngen hervor. Zwei Quellen wurden bis zur Verschmelzung zusammengestellt. Dies sind der – wahrscheinlich im 4. Jahrhundert lebende – Bischof Nikolaus von Myra in Lykien und der Abt Nikolaus von Sion, der Bischof von Pinora war und am 10. Dezember 564 in Lykien gestorben ist. Beide Bischöfe gab es höchstwahrscheinlich wirklich. Der 4.12. und der 6.12. werden als Todestage der beiden Heiligen angesehen, allerdings erst einige Zeit nach ihrem Tode festgelegt.

Wer ist ein Heiliger?Der hebräischen Bibel nach gelten Menschen, Orte, Gegenstände und Zeiten als heilig, in denen Gott wirkt. Insofern ist vor allem die Tora selbst heilig. Menschen, so die Botschaft der Tora, sind Heilige und Gerechte, weil sie gerecht handeln und nach dem Gesetz Gottes leben. Im Neuen Testament werden von Paulus als Heilige alle bezeichnet, die sich auf Tod und Auferstehung Jesu Christi taufen lassen. Schon bald nach Paulus nannten die frühen Christen nur solche Menschen heilig, die sich, wie die Apostel und Evangelisten, durch besondere Glaubenskraft auszeichneten. In dem Maße, in dem die Kirche zur Institution wurde, wurde die Heiligenverehrung geregelt und begrenzt. Man ging dazu über, nur noch verstorbene Christen als heilig zu bezeichnen, die durch außergewöhnliche Taten und ein außergewöhnliches Leben hervortraten. Der gläubi-ge Christ, so wurde festgelegt, soll seine Heiligen verehren, aber nicht anbeten wie Gott und Jesus. Wegen ihrer besonderen Nähe zu Gott dürfen die Heiligen um Fürsprache bei Gott gebeten und um Fürbitte angeru-fen werden. In den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt handelt es sich bei den Heiligen überwiegend um Männer und Frauen, die für ihren Glauben durch die schrecklichen Martyrien der Christenverfolgungen gegangen waren. Der erste Nichtmärtyrer, der vom Volk als Heiliger verehrt wurde, war Martin von Tours (317–397). Die Heiligen wurden zu Vorbildern, man feierte ihre Gedächtnis- bzw. Festtage, hielt zu ihren Ehren Gottesdienste und Predigten, weihte ihnen Kirchen und Altäre, zu ihnen pilgerten die Gläubigen und nahmen an Prozessionen teil. Im Jahr 839 führte Papst Gregor IV. das von den katholischen Christen am 1.11. eines jeden Jahres gefeierte Allerheiligenfest ein.

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Wie ist die Heiligsprechung in der katholischen Kirche geregelt?Die Kanonisierung der Heiligen ist für die Kirche in einer Zeit notwendig geworden, als die Zahl der Heiligen überhand nahm und die Heiligenverehrung entwertet zu werden drohte. Vom 10. Jahrhundert an zogen die Päpste das Recht der Heiligsprechung an sich. Da viele Bischöfe sich daran nicht hielten und weiterhin heilig sprachen, entstand der heute weiterhin gültige Unterschied zwischen Seligsprechung und Heiligsprechung. Das bischöfliche Recht wurde als Seligsprechung definiert, die päpstliche als Heiligsprechung. Detaillierte und im Kernbestand noch heute gültige Regeln für die Verfahren setzte 1634 Papst Urban VIII. fest. Grundlage der Heiligsprechung ist die Seligsprechung. Für beide Prozesse finden langwierige und gewissenhafte Un-tersuchungen statt: Eine wichtige Voraussetzung für die Heiligsprechung ist, dass mindestens zwei Wunder durch die Fürbitte des Heiligzusprechenden bewirkt worden sind. Das Heiligsprechungsdekret des Papstes enthält den Lebenslauf, das Martyrium bzw. den heroischen Tugendgrad, die Wunder und eine Darstellung des Verfahrensablaufes. Unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. (1978–2005) wurden 470 Menschen heilig gesprochen. Zum Vergleich: Zwischen dem Beginn des heute gültigen Verfahrens zur Heiligsprechung und 1978 gab es in der Katholischen Kirche dagegen lediglich 285 Heiligsprechungen.

Gibt es eine protestantische Heiligenverehrung?Luther und die Reformation sahen die Heiligenverehrung ihrer Zeit sehr kritisch, weil sie den Glauben an den biblisch bezeugten Gott zu beeinträchtigen schien. Zu ausufernd wurden nach ihrer Ansicht Reliquien und Heilige verehrt. In der Evangelischen Kirche wird daher eher als von Heiligen von Glaubenszeugen oder Glaubensvorbildern gesprochen. Das evangelische Augsburger Bekenntnis lehrt, dass man der Heiligen ge-denken soll, damit man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen kann. Im evangelischen Sinne gibt es keine weiteren Fürsprecher vor Gott als Jesus Christus. Insofern »braucht« der Protestantismus Heilige als Vorbilder – die durchaus auch Brüche in ihrer Biographie haben dürfen und auch keine Wunder gewirkt haben müssen.

Woher stammt das Barbara-Brauchtum?An ihrem Gedenktag werden »Barbarazweige« von Apfel- oder Kirschbäumen abgeschnitten und ins Wasser gestellt; blühen sie am Weihnachtsfest, wird das als gutes Zeichen für die Zukunft gewertet. Das Brauchtum geht auf Barbaras Gefangenschaft zurück: Es wird erzählt, sie habe einen verdorrten Kirschbaumzweig mit Tropfen aus ihrem Trinknapf benetzt; in den letzten Tagen ihres Lebens, schon im Bewusstsein ihres Todes-urteils, fand sie Trost darin, dass der Zweig in ihrer Zelle blühte. Tatsächlich sind die Zweige ein alter Orakel-brauch: Wenn man vor Wintereinbruch das Vieh von den Weiden in die Stallungen trieb, nahm man Zweige von den Bäumen mit, zu Weihnachten schloss man aus der Anzahl der Blüten auf die Fruchtbarkeit des dar-auffolgenden Jahres. Das Heiligenlexikon klärt auf: Symbolisch stehen die aufgeblühten Zweige für Jesus, den Spross aus der Wurzel Jesse. Wenn die Knospe die enge Hülle sprengt, erwacht der Gläubige durch die Geburt des Erlösers zu neuem Leben.

Barbara ist Patin für manche Bauernregel: Geht Barbara im Klee, kommt’s Christkind im Schnee. Oder auch: Barbara im weißen Kleid, verkündet gute Sommerzeit. Als gutes Zeichen für das kommende Jahr wird gewertet, wenn zu St. Barbara Zweige geschnitten werden, deren Blüten bis Weihnachten zu sehen waren.

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Woher stammen Attribute und Patronate der Barbara?Die heilige Barbara hatte einen umfassenden Patronatsbereich, sie war Patronin der Bauern und der Berg-leute und vieler nützlicher Berufe wie Maurer, Zimmerleute, Dachdecker, Elektriker, Metzger oder auch Feu-erwehrleute. Viele beten zur Heiligen Barbara für eine gute Todesstunde und gegen einen plötzlichen Tod. Barbara ist eine Heilige, die in vielen existenziellen Nöten um Hilfe angerufen wird. Sie zählt zu den 14 heili-gen Nothelfern, großen Personen aus der Geschichte der Kirche, die als Heilige bezeichnet werden, weil sie nachweislich Wunder gewirkt haben sollen: Gegen Schmerzen des Kopfes und des Leibes ebenso wie gegen schwierige Lebenslagen und Epilepsie, für die Gebärenden und ihre Ärzte. Zu allen Zeiten hat die menschliche Seele Bilder von solchem Beistand benötigt, um den Nöten des Lebens besser begegnen zu können. Die Nähe zum Bergwerk ergibt sich aus dem Stein, der Barbara vor dem rachsüchtigen Vater gerettet hat. Das Patronat für Elektriker erklärt sich aus dem Blitz, von dem er erschlagen wurde. Die Attribute Turm und Berg verweisen auf die legenda aurea, eine Krone trägt Barbara, damit sie der heiligen Mutter Maria ähnlich wird.

Nikolaus: Freundlicher Helfer oder strenger Heiliger?Nach dem 9. Jahrhundert führte der Weg der Nikolausgeschichten nachweislich in die Normandie. Nordfrank-reich war die Gegend, die für den Nikolaus, der am Vorabend seines Kalendertages in die Häuser einkehrt, deshalb von Bedeutung, weil hier neue Legenden um ihn entstanden, unter anderem wird er hier Patron der Schüler. Die Pädagogik der normannischen Klosterschulen freilich war nicht eine des Spiels. Insofern kann hier die Frage aufgeklärt werden, warum denn der, der in den alten Geschichten stets der freundliche Helfer war, eine Rute bei sich trägt, mit der er sich nicht scheut, Kinder zu züchtigen und außerdem stets die merkwürdige Frage stellt, ob die Kinder das Jahr über auch artig gewesen seien, worauf sie im Falle ei-ner positiven Antwort mit netten Kleinigkeiten beschenkt werden. Der Brauch hat seinen Ursprung in der klösterlichen Pädagogik von Zuckerbrot und Peitsche, Lohn und Strafe: An des Nikolaus Beispiel sollten die Kleinen die Überzeugung gewinnen, dass Tugendhaftigkeit und Frömmigkeit belohnt, Gottlosigkeit und Faul-heit aber bestraft werden. Was lag nun da bei der schon betonten besonderen Vorliebe des Mittelalters nach dramatischer Gestaltung näher als der Entschluss, dem ungläubigen Schülervolk, das die bloßen Ermahnun-gen und Drohungen seiner Lehrer ebensowenig ernst genommen haben wird wie die heutige Jugend, nach echt mittelalterlicher naivdrastischer Weise den Patron als Belohner und Bestrafer in Person erscheinen zu lassen. Einer der Lehrer oder auch ein anderer Klosterinsasse gab sich durch Verkleidung die äußere Gestalt des Heiligen und erschien nun gewissermaßen als das Überirdische, himmlische Urbild des Lehrers und daher mit um so größerer Autorität vor den Schülern, um die bis dahin lediglich theoretischen Ermahnungen und Versprechungen der Lehrer durch die Tat zu bekräftigen und zu verwirklichen. Je nachdem, ob die Schüler bei dieser Gelegenheit von der ›himmlischen‹ Gestalt des Nikolaus belohnt oder bestraft wurden, empfanden sie damit jetzt schon den Vorteil ihres guten Verhaltens und die Nachteile ihres schlechten Betragens an sich selbst. Dass dieser ›himmlische‹ Lehrer Nikolaus einerseits mit dem ›Symbol‹ der mittelalterlichen Erziehung, der Rute, ohne die ja die Schule des Mittelalters nicht denkbar ist, und andererseits mit Backwerk, Obst und anderem Kinderwerk erschien, um die Nachteile der Bestrafung bzw. die Vorteile der Belohnung dem jungen Volke möglichst handgreiflich und anschaulich vor Augen zu stellen, entspricht ebenfalls nur allzu gut der Auffassung des mittelalterlichen Menschen.

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Warum stellen die Kinder zum Nikolaus-Tag die Schuhe vor die Tür?Viele Kinder verbringen am 5. Dezember einen Teil ihrer Zeit mit Schuheputzen oder Waschen und Stopfen von Strümpfen. Anderswo verzichtet man auf diese Instrumente zur Gabeneinnahme und benutzt statt des-sen papierne Schiffchen, die an geheimen Orten versteckt und mit Schiffeln (Lebkuchen) gefüllt werden. Sind die Schiffchen eine Erinnerung an den Patron der Seefahrer und Kornschiffe, die der Heilige sicher nach Myra geleitete, so sind die Ursachen für das Herausstellen resp. -hängen von Schuhen und Socken wahrscheinlich in der eingangs erzählten Geschichte von den drei Jungfrauen zu suchen.

Nikolaus oder Weihnachtsmann?Als äußerst günstig für eine schnelle Verbreitung des Ansehens des Heiligen erwies sich der Brauch des mit-telalterlichen Bischofsspiels. Darunter ist zu verstehen, dass die niedrigeren Ränge der geistlichen Hierarchie um Weihnachten herum in einer Art Rollenspiel das Amt des Bischofs verwalteten. Am 28. Dezember, dem Tag der Unschuldigen Kinder feierten die untersten Chargen der Kirchenhierarchie und die Schüler ihr ›Nar-renfest‹. Seit 1304 werden das Bischofsspiel und der Tag der Unschuldigen Kinder mit dem Nikolaustag in Be-ziehung gesetzt. Aus der recht hohen Anzahl von Reglementierungen, Verordnungen und Teilverboten lässt sich erkennen, dass das Bischofsspiel die Kirchenhierarchie an einer wunden Stelle getroffen haben muss, ein mittelalterlicher Domherr sah in dem ganzen Spiel gar eine Verhöhnung des bischöflichen Standes. Man erfand gemäßigtere Formen, gab den Schülern schulfrei, erlaubte ihnen, Fremde um Bischofsgeld anzugehen, schenkte ihnen Honig und Nikolauskuchen. Doch alle Bestechungsversuche halfen nicht, die historische Tat-sache der allmählichen Zusammenlegung von Bischofsspiel und Nikolaustag ist in erster Linie über neuerliche Verbote zu belegen.

Vielleicht erwies sich die Zusammenlegung der beiden Feiertage auch deshalb als wenig geschickter Schachzug, weil Nikolaus sowohl den griechischen als auch den abendländischen Legenden zufolge ein besonderes Faible für den Kampf mit dem Teufel hatte. Es dauerte nicht lange und das teufelsgläubige Mittelalter hatte sich an diese Geschichten erinnert und dem tapferen Nikolaus einen ständigen Begleiter mitgegeben. Als Ruprecht (!), Klaubauf, Düvel, schwarzer Peter, Klos, Beelzebub, Rasselbock oder auch Butzemann wurde der Teufel in Ketten geschlagen und dem Nikolaus beigegeben, der ihn bei seinem Rund-gang am 5. Dezember bei sich führte. Wer sich einigermaßen mit Teufeln auskennt, weiß, wie diese sich zu benehmen pflegen und was sie alles anstellen, um die Freiheit wiederzuerlangen. Sie toben, brüllen, zerren an den Ketten und erschrecken die Menschen. Vor allem unartigen Kindern wurde während des Rundgangs von Nikolaus und Teufel angedroht, sie würden von letzterem aufgefressen werden, der zur Verstärkung dieser Drohung einen Sack auf dem Rücken trug, aus dem die Beine eines Bedauernswerten herausguck-ten, den es schon erwischt haben sollte. Im Volksbrauch übernimmt der Teufel die unangenehmen Auf-gaben des Nikolaus: während er des Strafamtes waltet, wird Nikolaus zum Belohner der Guten, denen er kleine Gaben austeilt. Mit der Zeit wurde das Verhältnis der beiden Kontrahenten partnerschaftlicher (im Rheinland ist Barbara die Begleiterin des Nikolaus und beschert die Kinder). Trieb der Teufel es zu arg, wur-de ihm der Popanz mit Possen und Torheiten untersagt. Wie in der Bibel angekündigt (Offenbarung 13), erschien der Teufel in allerlei tierischen Verkleidungen als Bär, Wolf, Fuchs, Löwe, Hund, Schwein, Ochse, Fliege und last not least als Klapperbock, der sogar die Reformation überleben sollte. Er gelangt durch den schwarz berußten Kamin – den Verbindungsweg zur Geisterwelt – in die Häuser und legt die Gaben in die

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aufgestellten Schuhe. Erst in späterer Zeit hat sich dann die Vorstellung von dem durch den Kamin ins Haus hinab steigenden Teufel gewandelt. Die Rolle wurde nun auch dem Gaben spendenden Nikolaus selbst übertragen, der bei seinem Ritt über die Dächer der Häuser die mit Gaben gefüllten Holzschuhe durch den Schornstein hinunterfallen lässt.

Der protestantische Teil des nach der Reformation in zwei Teile gespaltenen Abendlands tat sich schwer mit der Abschaffung des Feiertags des beliebten Heiligen. Lange Zeit blieb der Brauch erhalten, bis Nikolaus aus ihm entfernt wurde und ein Ersatzmann seine Funktion einnahm. In der protestanti-schen Bevölkerung gibt es nach der Reformation zwei verschiedene, von der gewählten Gestalt des Aus-wechselexaminators abhängige Formen der Einkehr des Nikolaus, aus denen wiederum sich ein ganzer Strauß von Nebenmotiven entwickelte. Je nachdem, ob in dem neuen protestantischen Gabenspender stärker die Erinnerung an den ehemaligen milden und freundlichen Bischof Nikolaus oder an seine wil-den Begleiter in der Teufelsrolle fortlebte, hat sich auch diese Figur der nachreformatorischen Zeit in den einzelnen Gebietsteilen weiterentwickelt. Im ersteren Fall entstand eine Figur, deren Hauptaufgabe die Austeilung von Geschenken wurde, und die man, um auch darin den durch die Reformation geschaf-fenen veränderten Verhältnissen Rechnung zu tragen, nicht mehr am Vorabende des Festtages des Ni-kolaus, sondern am Weihnachtsabend erscheinen ließ, weil man glaubte, den Kindern zeigen zu müssen, dass alles Gute auf Erden nicht von den Heiligen, sondern vom ›Christ‹ selbst käme. So wurde aus dem mittelalterlichen gabenspendenden Nikolaus der Weihnachtsmann der protestantischen Gegenden, der dort heute bald unter diesem Namen, bald unter demjenigen des heiligen Christ oder des Ruprecht noch fortlebt.

Und der rote Mantel? Den gibt es seit dem 20. Jahrhundert. Die Coca-Cola-Werbung hat das Motiv aufgenommen und berühmt gemacht. Ein solches Bild haben wir heute vor Augen, wenn wir an Nikolaus und Weihnachtsmann denken. Korrekt freilich hat der Nikolaus kein Erfrischungsgetränk in der Hand, sondern den Bischofsstab. Und er trägt statt der Zipfelmütze die Mitra.

3. Deuten

Den Grad ihrer Bedeutung konnte man früher an der Zahl der Gedenkstätten der Heiligen ablesen, die zu ihren Ehren errichtet worden sind. Um die Wende zum zweiten Jahrtausend nach Christi Geburt rangierte der Heilige Nikolaus an zweiter Stelle nächst der Heiligen Mutter Maria. Eine ganz unwissenschaftliche Um-frage unter evangelischen Jugendlichen mit der Frage nach bedeutenden Heiligen brachte viele Nennungen: Luther, Nikolaus, Dietrich Bonhoeffer, Papst Benedikt XVI. – an Platz 1 lag Sophie Scholl. Warum? Weil sie bis zuletzt für ihre Überzeugung eingestanden ist und weil man ihr abspüren konnte, dass ihr Widerstand gegen das Nazi-Regime von innen her kam und aus einem tiefen Glauben heraus.

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Aus: Wilhelm Willms, roter faden glück, lichtblicke. © Butzon & Bercker GmbH, Kevelaer, 5. Aufl.

4. Gestaltungsvorschläge

➢ Denken Sie sich eine kurze Rede aus, mit der ein Nikolaus im Kindergarten sich selbst und seine traditio-nelle Aufgabe vorstellt.

➢ Stellen Sie Grußkarten zum Verschicken her, auf denen in ansprechender Form an den Brauch erinnert wird, einen Barbarazweig zu schneiden und ins Wasser zu stellen.

die heiligen

sie habensich rein gewaschenaber nicht auf kosten anderer

sie habenihre kleider rein gewaschenin ihrem blut

sie haben für unskohlenaus dem feuer geholtund sich die finger verbrannt

sie sind für unsdurchs feuer gegangen

sie standen für uns geradeaufrechtauf glühenden kohlenauf dem schafott in der gaskammer

sie haben für unsden mund aufgetanund sich dabeiden mund verbranntweil sie hand und fuß hattenhat man ihnen hände und füße abgehackt

sie wurden ausgeschaltetweil sie sich für uns einschalteten

sie wurden totgeschwiegenweil sie für uns das Wort ergriffen

sie standen uns naheund deshalb hat man sie gewaltsam entfernt