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18.11.-21.11.99 JAHRESTAGUNG DER DRAMATURGISCHEN GESELLSCHAFT IN DRESDEN - VORAUSBLICK AUF DRESDEN 99: Krieg und Theater Theaterpädagogik Tanz als Sparte oder autonom?. Musiktheater braucht neue Stücke Welches Theater braucht welche Strukturen? Workshops mit Autoren': Dirk Dobbrow/ John von Düffel/ Uwe Gössel RÜCKBLICK AUF BASEL 98: Wie bringt man Realität ins Theater - und das Theater in die Realität?. Gisela von Wysocki: Das Kunstwerk im Zeitalter der Baufälligkeit Was machen Frauen im Theater heute? Begattung der Gattungen? Beiträge von Elisabeth Schweeger, Marie Zimmermann und Maria Magdalena Schwaegermann

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18.11.-21.11.99 JAHRESTAGUNG DER DRAMATURGISCHEN GESELLSCHAFT IN DRESDEN

-

VORAUSBLICK AUF DRESDEN 99: Krieg und Theater

Theaterpädagogik

Tanz als Sparte oder autonom?.

Musiktheater braucht neue Stücke

Welches Theater braucht welche Strukturen?

Workshops mit Autoren': Dirk Dobbrow/ John von Düffel/ Uwe Gössel

RÜCKBLICK AUF BASEL 98: Wie bringt man Realität ins Theater - und das Theater in die Realität?.

Gisela von Wysocki: Das Kunstwerk im Zeitalter der Baufälligkeit

Was machen Frauen im Theater heute?

Begattung der Gattungen? Beiträge von Elisabeth Schweeger, Marie Zimmermann und Maria Magdalena Schwaegermann

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Herbert Achternbusch · Theodor W. Adorno · Philippe Adrien · Gilles Aillaud · Chantal Akerman

An-Ski · Renate Axt · Isaak Babel · Hugo Ball · Djuna Bames · Reinhold Batherger · Bruno Bayen

Jürgen Becker · Samuel Beckett · Ulla Berkewicz · Steven Berkoff · Josef Berlinger · Thomas

Bernhard · Paul Binnerts · Lodewijk de.Boer : Edward Bond· Dion Boucicault · Thomas Brasch

Bertolt Brecht· Hermann Broch · Cao Yu · JeancClaude Carriere · John Cassavetes · Gion Mathias

Cavelty · Bernard Chartreux · Jan Christ · Nina Companeez · Julio Cortazar · Dirk Dobbrow

Daniel Doppler · Tankred Dorst · Kurt Drawert · Wolfgang Duffner · Marguerite Duras · Werner

Dürrsou · Ursula Ehler · Günter Eich · T. S. Eliot · Ria Endres · Per Oiov Enquist · Hans Magnus

Enzensberger · Hans Eppendorfer · Jürg Federspiel · Victor Fenigstein · Hubert Fichte · Marieluise

Fleißer · Franzobel · Max Frisch· Werner Fritsch · E.A. Fronte· Federico Garcfa Lorca · Herbert

Genzmer · Elmar Goerden · Rainald Goetz · Jörg Graser· PeterGreiner · Paolo Affonso Grisolli

Christopher Hampton · Peter Handke · Gerben Hellinga · Zbigniew Herbert · Barrie Hesketh

Wolfgang Hildesheimer · Dieter Hirschberg ·Pranz Rodjak' ReinhildHoffmann · Bohumil Hrabal

Elisabeth Huppert · Hans Henny Jahnn · Jean Jourdheuil · Jarnes Joyce · Hermann Kasack · Amos

Kenan · Jeroine Kilty · Bodo Kirchhoff · Gertrud Kolmar · Klaus Konjetzky · Ronald Kosturi

Harald Kuhlmann · Lao She · Gertrud Leutenegger · Cesare Lievi · Archibald Mac Leish · Wladirnir

Majakowski · Reinhold Massag · Friederike Mayröcker · Michael McClure · Eduardo Mendoza

E.Y. Meyer · Hans Meyer Hörstgen · Hans Günther Michelsen · Martin Mosebach · Tilmann

Moser · Adolf Muschg ·Andres Müry · Hans Erich Nossack · Sean O'Casey · George O'Darkney

Joyce Carol Oates · Veronique Olmi ·Albert Ostermaier · Wolfgang Palka · Marco Antonio de la

Parra · Boris Pasternak ·Ernst Penzoldt · Heidi von Plato · Ulrich Plenzdorf · AlfPoss · Friedrich-Karl

Praetorius · Jacques Prevert · Claude Prin · Manuel Puig · Raymond Queneau · Ilma Rakusa

Gert Raue · Marie Redonnet · Gerlind Reinshagen · Rainer Mmia Rilke · Eric Rohmer · Romero

Esteo · Serge Roon · Friederike Roth · Patrick Roth · Ralf Rothmann · Christian Rullier · Nelly

Sachs· Gaston Salvatore · Rosso di San Secondo · Lesch Schrnidt · Stefan Schütz· Jorge Semprun

Rarnon Jose Sender · Bernard Shaw · Barbara Strohschein · Lukas B. Suter · Erwin Sylvanus

John Millington Synge · Tian Han · Josef Topoi · Jose Triana · UrsTroller · Thomas Valentin

Mario Vargas Llosa · Michel Vinaver · Roger Vitrac · Dieter Waldmann · Martin Walser · Dianne

Warren · Ernst Weiß · Manfred Weiß · Peter Weiss · William Carlos Williams · Stanismw Ignacy

Witkiewicz · Robert Wolf· Konrad Wünsche · Gisela von Wysocki · Xiong Foxi · Mm·ina Zwetajewa.

Suhrkamp Theaterverlag · D-60019 Frankfurt· Postfach 10 19 45 ·Telefon 069175 601-701 ·Fax 069 I 75601-711 e-mail: [email protected]

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PROGRAMM DER DRESDNER TAGUNG

Alle Veranstaltungen Do. 18.11. ab 22.30 Uhr

finden im

Dresdner

. Stadtschloß,

Westflügel,

2. Obergeschoß,

Eingang gegen­über Hotel Kem­

pinski, statt-

bis auf die vier

Workshops, die

gesellige Eröff­

nung und den

Empfang der

Theaterverlage.

Gesellige Eröffnung im Restaurant des

Staatsschauspiels mit Vorstellung der

Dresdner Theaterlandschaft durch den gast­

gebenden Intendanten des Staatsschauspiels

Dresden, Prof. Dr. Dieter Görne

Fr. 19.11. 10-12 Uhr

Theaterpädagogik oder Marketing? Oder:

Ziele und Formen d.er pädagogischen

Arbeit mit Theaterbesuchern. Debatte mit

Martin Frank (Theater Basel) und Brigitte

Pethier (Schnawwel im Nationaltheater

Mannheim), Sirnone Neubauer (Theater

Junge Generation Dresden), Themas Lang

(Bundesakademie Wolfenbüttel), Marlies Lei­

bitzki ( Staatsschauspiel Dresden), Dr. Kristin

Wardetzky (Institut für Spielpädagogik an

der HDK Berlin).

Moderation: Anne Schäfer

Fr. 19.11. 12.30-1.4 Uhr

Die Mitglieder des Forums Junge Dramatur­

gie Birgit Hüning, Petra Thöring, Jan Linders,

Peter Spuhler und die Autoren Dirk Dobbrow,

John von ·Düffel und Uwe Gössel stellen die

Stücke vor, die in den vier Workshops disku­

tiert werden sollen.

Fr. 19.11. 16-18 Uhr

Welches Theater braucht welche Strukturen?

Oder: Was man für wen produzieren will,

sollte die Strukturen (die finanziellen, tarif"

Iichen, arbeitsorganisatorischen, räumlichen)

bestimmen - und nicht umgekehrt Debatte

mit Beiträgen von Eva Heldrich (Staatsschau­

spiel Dresden tif), Knut Hirche (Intendant

des Kammertheaters Neubrandenburg),

Dr. Rüdiger Koch (Kulturdezernent Magde- .

burg), Otto Kukla (früher Zelt Ensemble

Theater, 1993-96 Intendanz des Tübinger

Zimmertheaters zusammen mit Crescentia

Dünsser, ab 1999 Theater am Neumarkt

Zürich), Tom Stromberg (früher TAT Frank­

furt, jetzt Expo Hannover, ab 2000 Intendant

des Deutschen Schauspielhauses Hamburg) ..

Moderation: Henning Rischbieter

und Wolf Bunge

DRAMATURG 1(2 99 I Seite 1

Sa. 20.11. 10-10 Uhr

Braucht das Musiktheater neue Stücke?

Debatte mit Beiträgen von John Dew (Gene­

ralintendant Dortmund), Beat Furrer (Kom­

ponist). Gerhard R. Koch (Musikredakteur der

FAZ). Jens Neundorf (Dramaturg Semperoper

Dresden), Prof. Udo Zimmermann (Intendant Oper Leipzig).

Moderation: Manfred Beilharz

Sa. 20.11. 12-14 Uhr

Ästhetische Innovationen im Tanztheater­

innerhalb oder außerhalb des Mehrsparten­Stadttheaters? Debatte mit Beiträgen von

Vladimir Derevianko (Ballettdirektor,

Semperoper Dresden), EvacEiisabeth Fischer

(Tanzkritikerin, <<Süddeutsche Zeitung»),

Wiebke Hüster (Tanz-Pramaturgin und

Tanzkritikerin, «Berliner Zeitung»), Manfred

Beilharz (Generalintendant Banner Theater),

Sasha Waltz (Choreographin Berlin),

Richard Wherlock (Choreograph, Komische

Oper Berlin).

Moderation: Manfred Weber

Sa. 20.11.15-16 Uhr .

Mitgliederversammlung der Dramaturgischen ·Gesellschaft (nicht öffentlich)

Sa. 20.11. 17-19 Uhr

vier Workshops mit Autoren I

Sa. 20.11. ab 22.30 Uhr

Empfang durch die Theaterverlage im

Restaurant des Staatsschauspiels

So. 21.11. 10-12.30 Uhr

Krieg und Theater, oder: Weshalb und auf

welche Weise sollten Theater politisch sein?

Debatte mft Beiträgen von lovan Cirilov

(BITEF Belgrad), Tankred Porst (Autor), lstvan

Eörsi (Autor, Budapest), den Regisseuren Luk

Perceval [uSchlachten»), Hasko Weber (Ober­

spielleiter Staatsschauspiel Dresden) und Dr.

. Helmut Schäfer (Dramaturg Theater an der Ruhr, Mülheim).

So. 21.11. 14-16 Uhr

vier Workshops mit Autoren II

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EDITORIAL

Mit diesem Heft laden wir ein nach (und meinen). daß es darum gehen sollte, das

Dresden, zur Jahrestagung unserer Gesellschaft. Theater vom Zentrum her, von der lebendigen

Sie findet gleich in .der Nähe des gastgebenden Wechselbeziehung von Aufführung und Publi-.

Staatsschauspiels, nämlich vor allem im Dresdner kum her zu denken - und die «Strukturen» von

Stadtschloß, statt. Der Saal, in dem die meisten daher zu sehen, zu überprüfen, zu verändern.

Debatten vor sich gehen sollen, ist noch nicht Der Sonnabendvormittag gilt dem

perfekt wiederhergestellt- wie das Schloß ins- Musik- und dem Tanztheater. Von beidem war

gesamt. Keine schlechte Vorbedingung, denken allzulange bei den Tagungen unserer Gesell-

wir. schaft nicht die Rede. ln beiden Fällen stehen

Die Tagung hat diesmal kein übergrei- Kernfragen zur Debatte, nämlich die nach den

fendes Thema, sondern bietet einen Strauß von Gegenwarts-Werken im Musiktheater und die

Debatten über wichtige Einzelthemen. danach, wie Ballett und Tanz «Strukturell» ver-

. Der Theaterpädagogik ist der erste Teil faßt sein sollten: als Sparte oder autonom. in

des Freitagvormittags gewidmet. Die Ausgangs-· Berlin deuten sich da zwei unterschiedliche

fragen heißen: Warum leisten sich die Bühnen Zukunftslösungen an: nämlich einmal die

· Theaterpädagogen? Ihre Zahl wächst- und ihr Zusammenfassung der Tanzcompagnien der drei

Aufgabenfeld. Sind sie Anwälte des Publikums? Opernhäuser zum Berlin Ballett- und bei der

Lassen sich ihre Erfahrungen mit dem Publikum, neuen Schaubühne die Kooperation von Schau-

vor allem dem jungen, in der künstlerischen· spiel und Tanz in engem Verbund. Deshalb auch

Arbeit nutzbar machen? Gehören Theater-· die Teilnahme des Choreographen Richard

pädagogen zur Dramaturgie oder zur Öffentlich- Wherlock (Komische Oper) und der Choreogra-

keitsarbeit des Theaters? Sind sie nicht auch phin Sasha Waltz von der neuformierten

praktische Rezeptionsforscher? Und ist die Thea- Schaubühne am Lehniner Platz.

terclub-Arbeit ihr zentrales Feld? Nichts hat die intellektuelle Diskussi-

Bei den bewährten Workshops mit on der letzten anderthalb Jahre so sehr bewegt,

jungen· Autoren werden diesmal gleich vier erregt wie der Balkan-Krieg. Die Kampfhandlun-

Stücke vorgestellt und mit den Autoren disku- gen sind vorbei. Es erscheint an der Zeit, die

tiert: Stücke von Dirk Dobbrow, John von Düffel, Debatte aus der Aktualität ins Grundsätzliche

Tom Etchells und Uwe Gössel. und Theaterspezifische zurückzulenken. Das soll

Bei der Vorbereitung des Themas am Sonntagmorgen versucht werden.

«Welches Theater braucht welche Strukturen?»

(Freitagnachmittag) gab es im Vorstand unserer

Gesellschaft lange Diskussionen. Sie drehten sich

urri die Frage: Wie läßt es sich vermeiden, daß

die vielberedeten «Strukturen» nicht von vorn­

herein als übermächtig erscheinen? Wir. meinten

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 2

Manfred Beilharz

Henning Rischbieter

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THEATERSTADT DRESDEN

Von Dieter Görne

1586 werden erstmals professionelle

.. Instrumentalisten, Tänzer, Sänger und Komödi­

anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt,

und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass

eine englische Truppe die höfische Gesellschaft

mit dem Schauspiel .. Der bestrafte Brudermord

oder Prinz Harnlet von Dänemark" unterhielt.

Und wenn auch in den folgenden Jahrhunderten

eher die Entwicklung der Oper im Zentrum des

öffentlichen Interesses stand, so sollte nicht

übersehen werden, dass im Lauf der Jahrhunder­

te bedeutende Persönlichkeiten wie Magister

Velten und die Neuberin, Gottfried Heinrich

Koch, Abel Seyler, Ludwig Tieck und Karl Guti­

kow, Eduard Devrient, Georg Kiesau und Erich

Ponto - um nur einige zu nennen - maßgeblich

dazu beitrugen, den Ruf Dresdens als Kunst- und

Theatermetropole weit über die Grenzen

Deutschlands hinaus zu begründen und zu festi­

gen.

Die gegenwärtige Dresdner Theaterlandschaft

wird bestimmt durch

- ilie Sächsische Staatsoper (1.309 Plätze)

und die .. Kleine Szenen (99 Plätze),

- das Staatsschauspiel Dresden

(mit 4 Spielstätten und

insgesamt 1.200 Plätzen),

- die Staatsoperette (631 Plätze),

- das Theater Junge Generation (350 Plätze),

· - die Landesbühn'en Sachsen (438 Plätze),

- die Komödie (643 Plätze),

- das Societätstheater (220 Plätze),

- das Dresdner Brettl (216 Plätze) und

-das Kabarett Herkuleskeule (230 Plätze).

Im Kulturpalast (2.433 Plätzelfinden

die Konzerte der Dresdner Philharmonie und

regelmäßig Gastspiele statt, in Hellerau, im

Theater 50, im Projekttheater und in mehreren

anderen Spielstätten stellen sich Projektkünstler,

Performer und freie Gruppen ihrem Publikum.

Das Angebot ist also ungemein reich - die .. Kon­

kurrenz" erheblich. Dass sich dennoch die Inten­

danten aller Dresdner Theater nach wie vor

zunächst als Partner begreifen und gemeinsam

beraten, wie den allbekannten organisatorischen,

strukturellen und finanziellen Problemen, von

denen auch Dresden nicht frei ist, beizukommen

sei, muß ausdrücklich hervorgehoben werden.

Dabei spielt die unterschiedliche Rechtsträger­

schaft nur eine untergeordnete Rolle. Während

die Sächsische Staatsop·er, das Staatsschauspiel

und die Landesbühnen Sachsen Einrichtungen

des Freistaates Sachsen sind, befinden sich alle

anderen Ensembles in der Obhut der Stadt Dres- ·

den, wobei wenigstens erwähnt werden muss,

dass z. B. die GmbH Herkuleskeule und das Thea­

ter Brettl e. V. mit wesentlich geringerer städti­

scher Förderung leben müssen als die anderen

Theater. Trotz unterschiedlicher und wechselnder

Auslastung der einzelnen Häuser und Inszenie­

rungen kann grundsätzlich festgehalten werden,

dass jedes der Dresdner Häuser .,sein" Publikum

erreicht und von diesem Publikum angenommen

l'lird. Erfreulich selbstverständlich wird nach wie

. vor kollegial zusammengearbeitet- das gilt für

Gastspiele einzelner Künstler an anderen Dresd­

ner Häusern ebenso wie für gelegentlichen Aus­

tausch im materiell-technischen Bereich.

Das sächsische

Ku I tu rrä u me-Gesetz

Staatsoper, Staatsschauspiel, Staats­

operette, die Landesbühnen Sachsen, das Theater

Junge Generation und die Herkuleskeule arbei­

ten jeweils mit fest und längerfristig engagier­

ten Ensembles. Hinzu kommen natürlich Gäste,

die als Regisseure, Dirigenten, Bühnenbildner

oder als Solisten dazu beitragen, dass sich Dres­

den auch über seine Grenzen hinaus in der deut­

schen und europäischen Theaterentwicklung zu

behaupten vermag. Im engeren Umfeld des Frei­

staates Sachsen existieren neben den Dresdner

Theatern nicht nur in den Großstädten Leipzig

und Chemnitz, sondern von Annaberg bis Zittau ·

-vor allem in kleineren Städten -Theater, die

ihrem Publikum sowohl Schauspiel- als auch

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 3

ln diesem Jahr tagt die Dramaturgi­sche Gesellschaft in Dresden, auf Einladung des Dresdner Staats­schauspiels. Hier ein Panorama der Dresdner Theater­landschaft. Sie wird mündlich vorgestellt bei der geselligen Eröff­nung der Tagung am Donnerstag, 18. November ab 22.30 Uhr.

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.

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Die echten Sedemunds

PETER FLANNERY

Singer

LILLIAN HELLMAN

Die kleinen Füchse ·

}OHN HOPKINS

Diese Geschichte von Ihnen

DOUG LUCIE

Im Trend

RONA MUNRO

Übermütige Mädchen

TOM STOPPARD

Rosenkranz und Güldenstern sind tot

ERIC BOGOSIAN ·suburbia

HERB GARDNER

Ich bin nicht Rappapart

KERSTIN HENSEL

Grimma

IVAN KLiMA

Der Meister

DAVID MAMET

Hanglage Meerblick

}OHN 0SBORNE ·

Blick zurück im Zorn

ARNOLD WESKER

Die Küche

DRAMATURG l/2 99 I Seite 4

CARYL CHURCHILL

Herz so blau

GERT HEIDENREICH

Der Wechsler

MARGARETE HERDJECKERHOFF

Auf bald- Am Alexanderplatz!

HowARD KoRDER

Niemand versteht Spaß

PATRICK MARBER

Hautnah

MICHAEL SEYFRIED

Reinschlagen

TENNESSEE WILLIAMS

Aber nichts von Nachtigallen

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Musiktheater anbieten. Dass dies bis jetzt mög­

lich war, ist wesentlich dem 1992 verabschiede­

ten" Gesetz über die Kulturräume in Sachsen" zu

danken. Das Gesetz legt in § 2 fest, dass .. im

Freistaat Sachsen ... die Kulturpflege eine

Pflichtaufgabe der Gemeinden und Landkreise"

ist. Spezielle "Kulturräume" sind verantwortlich

für die Unterstützung der "Träger kommunaler

Kultur bei ihren Aufgaben von regionaler

Bedeutung, insbesondere bei deren Finanzierung

und Koordinierung': Um diese Aufgabe lösen zu

können, legt§ 6 fest: "Es wird ein Kulturkosten­

ausgleich vorgenommen. Die Kulturräume erhal­

ten zur Förderung der Kulturpflege Zuwendun­

gen des Freistaates Sachsen nach Maßgabe des

jährlichen Staatshaushaltsplanes ... , mindestens

jedoch 150 Mio. DM': Mit diesem Gesetz. sind

natürlich keineswegs automatisch alle Probleme

gelöst worden.

Auch in Sachsen haben Theater und

Orchester fusioniert bzw. befinden sich einzelne

Ensembles (z. B. in Plauen und Zwickau) in der

eine solche Fusion vorbereitenden schwierigen

Diskussion. Aber es steht außer Zweifel, dass die

den Kommunen auferlegte Pflicht, Kultur c also

auch die bestehenden Theater -zu fördern, ent­

scheidend dazu beigetragen hat und beiträgt,

schlimmere und anderswo durchaus Realität

gewordene Entwicklungen zu verhindern. Dass

gegenwärtig gerade im Haushalt der Stadt Dres­

den Sparzwänge in Millionenhöhe entstanden

sind, mag verdeutlichen, wie schmal der Grat ist,

auf dem Entscheidungen gefällt werden müssen.

Das Staatsschauspiel

Für das Staatsschauspiel Dresden sind

1998 Einzelhaushalte für 1999 und 2000

beschlossen worden. Dadurch ist es möglich,

dass auch künftig das etwa 45 Schauspielerin­

nen und Schauspieler umfassende Ensemble in

den Spielstätten Schauspielhaus, Schlosstheater,

Theater Oben und Theater in der Fabrik parallel

spielen kann. Mit jeder unserer Inszenierungen

unternehmen wir den Versuch, Konflikte und

Widersprüche der uns umgebenden Wirklichkeit

aufzugreifen und mit allen dem Theater zur Ver­

fügung stehenden Kunstmitteln zu gestalten

und damit zur öffentlichen Debatte zu stellen.

Natürlich sind für die Spielplangestaltung im

Detail die unterschiedlichen Räume unserer

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 5

Foto Hans Ludwig Böhme

Spielstätten von ausschlaggebender Bedeutung.

Die etwa 800 Besucher im "Guckkastentheater"

Schauspielhaus gehen mit anderen Erwartungen .

in die Vorstellung als die 200 Besucher im

Schlosstheater, die inzwischen bereits aufregen­

de Erfahrungen mit einem Raum gesammelt

haben, der ursprünglich nicht für Theater konzi­

piert war, Das bezieht sich nicht allein auf den

Umfang und die inszenatorisch-optische Umset­

zung der' Stücke, sondern vor allem auf ihre

Inhalte. Die Entscheidung, in der Spielzeit ·

1999/2000 im Schlosstheater ausschließlich

Werke des' 20. Jahrhunderts, vor allem des aus­

gehenden, zu spielen, hängt damit aufs Engste

zusammen. Das gilt in gewisser Weise auch .für

die Inszenierungen, di.e im "Theater Oben" für

99 Besucher, vor allem aber für die, die im Thea­

ter in der Fabrik (TIF) geplant sind. Das Theater

in der Fabrik (gegründet 1993!) ist organisato­

risch Bestandteil des Staatsschauspiels, aber was

das künstlerische Profil im Einzelnen anlangt,

völlig autonom. Aus dem Budget des Staats­

schauspiels steht eine fest verabredete Summe

für die Arbeit des Theaters in der Fabrik zur Ver­

fügung, über deren Verwendung ausschließlich

die Leitung des Theaters in der Fabrik entschei­

det. Dass im organisatorischen und technischen

Bereich die Verbindungen zum Staatsschauspiel

außerordentlich eng sind, versteht sich. Auf

diese Weise wurde es möglich, über nun schon

mehrere Jahre hinweg ein spezielles Programm

zu etablieren, das vorwiegend das Interesse

jUgendlicher Besucher gefunden hat. Insgesamt'

haben in den Vergangenen Spielzeiten in jeweils

ca. 600 bis 650 Vorstellungen durchschnittlich

130.000 bis 160.000 Besucher die 20 bis 22 In­

szenierungen gesehen, die das Staatschauspiel

Dresden in jeder Spielzeit herausbringt.

Prof. Dr. Dieter Görne, 1936 geboren, studierte 1955 bis 1958 in Leipzig (u. a. bei Hans Mayer und Ernst Bloch); er arbeite­te als Dramaturg und Chefdrama­turg u. a. in Anklam, Weimar, Chemnitz und am Staatsschauspiel Dresden in den achtziger Jahren. 1990 wurde er dessen Intendant, 2001 geht er in den Ruhestand; seine Nachfolge in Dresden tritt dann Holk Freytag vom Schillertheater NRW an.

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DIE WOHLTAT DES UNZEITGEMÄSSEN Schillers "Wallenstein" heute oder: der Dreissigjährige und unser Krieg

Von Heike Müller.-Merten

«Krieg und Theater oder: weshalb und auf welche Weise sollte Thea­ter politisch sein ?n heißt das Thema der Dresd­ner Debatte am Sonntagvormit­tag, 21. Nov. Als

, einen vorberei­tenden Beitrag dazu sollte man die Arbeitsberich­te der Dresdner Dramaturgen auf dieser und den folgenden Seiten lesen, zugleich als Arbeitsbeispiele aus der Dresdner Dramaturgie.

1.

Seit zwei Jahren beschäftigt uns

Schillers «Wallensteinn. Uns, das meint vor allem

eine Generation, die den Krieg nicht kennt

(Nicht am eigenen Leibe jedenfalls. Man hat Bil­

der gesehen und sich ein Bild gemacht Vom

Fernsehen, aus der Literatur.) Und wir unter­

suchten die gesellschaftlichen und privaten

Lebensbedingungen literarischer Helden, ent­

stammend einer Generation, die den «Frieden nie

gesehen hat». Jener Krieg war permanent, in ihn

verwoben zugleich ein Religions-, ein Reichsverc

fassungs- und ein europäischer Staaten bildungs­

krieg. Den Jungen, die sich unschuldig in ihn

hineingestellt sahen, schien es unmöglich, die

wechselnden Frontverläufe in den notorisch

wechselnden Kriegslagern rational zu erfassen.

Thomas Mann rühmte die «europäische Optik

und universelle Übersiehin des.epochalen Wer-.

kes.

Über historischen Draufblick verfügen

350 Jahre nach Ende des Krieges nur die Nach­

fahren. Die Beteiligten aber erlitten ihn ...

Thekla zum Beispiel lernte hinter

Klostermauern ausschließlich eine Bücherweit

kennen, ehe sie mit fliegenden Schritten die

«bunte kriegerische Bühnen erstürmte, hoffend,

darauf ihre Träume vom Abenteuer Leben ein­

zulösen.

Aber die Weit, die sie vorfindet, lehnt

sie ab, kaum dass sie mit ihr in Berührung kam.

Wenn der erste Schritt getan ist, weg von der

Lager-Feuerromantik auf das politische Parkett,

wenn sie in den fürsorglichen Augen der Tante

das politische Kalkül entdeckt hat, im Vaterstolz

den Machtanspruch, in der Heldenriege der

Generäle die kriminellen Halbweltler, dann ist

sie, aus dem Traum erwacht, hart auf dem Boden

der Wirklichkeit gelandet

Oberst Max Piccolomini, ein Kind des

Krieges durch und durch, befand sich bislang mit

den Vorstellungen seines ideellen Vormunds

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 6

Wallenstein in absoluter Ubereinstimmung; er

erleidet durch die bloße Wahrnehmung fried­

licher Landstriche einen Kulturschock. Die

Erkenntnis, dass der «Zweck des Krieges nicht

der Krieg sein kannn, und die Erfahrung der

Liebe als Alternative zersetzen seine bisherige

Weltanschauung, machen ihm «die Wirklichkeit

zuni Traumn.

Mit einem Schlag sind sie aus der Zeit

gefallen, Max und Thekla, Schillers erdichtete

Gedanken-Kinder, und es gibt für sie keinen Ort

Nirgends. Sie fliehen von der Bühne der

Geschichte in den Tod. Hier bleiben sie ihrem

Anspruch, also sich selber treu.

Davon zu .erzählen, war Programm.

Auch das Riskieren eines anachronistischen

Blickes auf die politischen Umtriebe in den Hin­

terzimmern der Macht Das moderne zeitgenös­

sische Drama spart die politische Königsebene

aus, Globalisierung ist nicht dramatisch verwert­

bar. (Dieses Sujet bleibt bis auf weiteres dem

amerikanischen Breitwandfilm überlassen, «JF.K.n

und «Pate 1-llln.) Haupt- und Staatsaktionen

taugen grad noch Schlingensief zur Spielwiese

seiner begreiflichen staatsbürgerlichen Frustra­

tionen. Schillers Intrigenplot von dem Feld­

herrn Wallenstein und seiner Generalität

bestätigte unsere bis zu diesem Zeitpunkt

gewonnenen Erfahrungen. Es vermochte unsere

Befürchtung.zu erneuern, dass. der rettende

Held, das handelnde Subjekt der Geschichte,

wieder nur ein Ästhet derMacht ist, ganz dem

Typus des politischen Abenteurers entsprechend,

nach der Totalität aller Machtmittel strebend,

und ((dem es um nichts zu tun)) ist, uals nur am

Platz zu bleibenn. (Lacher.)

Wie oft hatten die Völker Europas in

den letzten Jahrhunderten einen Tatmenschen

herbeigesehnt und herbeigewählt, der sich mit

keinem andern Legitimitätsanspruch als dem

eines begabten Einzelkämpfers zur Führerper-

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sönlichkeit aufschwingt- und damit oftmals erneut zu «alten modrigten Papieren" ins Archiv.

gleichermaßen Begeisterung wie Schrecken her- «Kein Staat soll sich in die Verfassung

vorruft? und Regierung eines andern Staats gewaltthätig

Albrecht Wenzel Eusebius von Wallen- einmischen. Denn was kann ihn dazu berech-

stein muss immerhin zugute gehalten werden, tigen?11

dass er sein politisches Handeln in den Dienst Eine geradezu subversive Frage, die

einer höhern Idee zu stellen gewillt war. Zum in- keiner stellte. «So lange der innere Streit noch

dest der Dichter Schiller bemühte sich in einer nicht entschieden ist, würde diese Einmischung

späteren Arbeitsetappe darum, dem verbrecheri- [ ... ] die Autonomie aller Staaten unsicher

sehen Charakter der historischen Person tragi­

sche Züge abzugewinnen. Indem er der literari­

schen Figur den fürs dramatische Überleben

notwendigen Widerspruch erhielt, machte er den

Charakter Wallenstein bühnenfähig.

Der Sternenglaube musste die Funk­tion des Orakels erfüllen; Wallensteins Schicksal

orientierte sich fernerhin an der erhabenen

Unentrinnbarkeit der Griechischen Tragödie, die

Ziele des Politikers Wallenstein standen solcher­

art mit dem Weltganzen in Beziehung.

Immerhin. Denn woran glauben die.

geschichtemachenden Subjekte heute? Gewin"

nen die Helden des Tages überhaupt Konturen,

so ohne Format?

So war es erhellendes und enthüllen­

des Vergnügen, im alten Text Erfahrenes, Erleb­

tes· bestätigt zu bekommen. Zumal im Diskurs

mit einem Regisseur, der nicht zuletzt deshalb ·

Theater macht, weil er die Tagesschau nicht

erträgt.

2. Dann die Erschütterung über den

NATO-Krieg im Kosovo. Der Bürgerkrieg hatte

wegen seiner Permanenz kein Gemüt mehr.

erregt. Aber die NATO und mit ihr Deutschland

im Krieg? Lässt sich ein unberechenbarer. Macht­mensch davon beeindrucken? Wie reagiert Jel­

zin? Oder läuft ihm die Sache in die Farbe? Was

tut um HimmelsWillen die Regierung? Was sol­

len wir tun? Was können wir tun? Getreu allen

christlichen und Tolstoischen·Grundsätzen erst­

mal Abgeben, nicht gerade Teilen, aber wenig­

stens Spenden. Schon gemeinsame Resolutionen

klappen nicht. Wer will in den ersten Tagen nach

dem NATO-Eingriff über Recht und Unrecht

richten. Meinungsstreit Unversehens war man

herausgerissen aus den schöngeistigen Gedanken

zur ästhetischen Erziehung des Menschenge­

schlechtes. Kants Utopie vom. Ewigen Frieden

(1795!!), zuoberst auf dem Schreibtisch, konnte

DRAMATURG 1{2 99 I Seite 7

machen." Der Text bleibt auf dem Schreibtisch,

so viel war klar. «Es soll sich kein Staat im Kriege

mit einem andern solche Feindseligkeiten erlau­

ben, welche daswechselseitige Zutrauen irri

künftigen Frieden unmöglich machen müssen.

Denn irgendein Vertrauen auf die Denkungsart

des Feindes muss mitten im Kriege noch übrig

bleiben, weil sonst auch kein Friede abgeschlos­sen werden könnte, und die Feindseligkeit in

einem Ausrottungskrieg ausschlagen würde."

Man möchte die Sätze Schillers, die er dem nach

Frieden süchtigen Krieger Max in den Mund legt,

gleich im Anschluss sprechen: «Denn hört der

Krieg im Krieg nicht schon auf, woher soll Friede kommen?))

Und das ausgerechnet der staatstreue

und konservative Gegenspieler Octavio maßvoll

zu bedenken gibt: «Laß uns die alten engen Ord­

nungen gering nicht achten, denn immer war

die Willkür fürchterlich!..."

Wie von heut auf morgen Worte

anderen Sinn ergeben. Schiller blieb im Hirn und

im Blutkreislauf, aber jetzt suchten und fanden

Schauspieler und Dramaturgen Texte zur Lage,

kein leichtes Unterfangen. Vor dem Treffen

schneller Wertungen Lektüre von europäischen

Literaturzeitungen, Lesen bei Historikern, Gesell­

sehaftswissenschaftlern und Politologen. Der Wunsch nach objektiven Beschreibungen: Dazwi­

schen die Handke-Debatte. Das Debakel um das

«Stück zum Film vom Krieg11. Hat man die Ver­

antwortung, als Theater «politisch" zu reagieren, die Rolle als öffentliche Institution zu nutzen

oder sich «nur" privat staatsbürgerlich zu verhal­

ten? Wie oft kann man aus RoHen heraustreten?

Politisches Theater. Was ist das? Doch nicht das

Stück von Handke! Erst einmal eine Matinee zur

Lage. So früh? fragen DPA und ADN. Sie berich­

ten umgehend. Deutschlandradio beglück­

wünscht uns als erstes Theater, das sich verhält.·

Was soll man zu dieser Note sagen? Die größte

Sächsische Tageszeitung «vergisst» die Meldung.

Heike Müller-Merten ist Chefdramatur­g in des Dresdner Staatsschauspiels und arbeitet als Produktionsdra­maturgin mit ail der Dresdner Ins­zenierung von Schillers «Wallen­stein)). Der erste Teil der Inszenie­rung Hasko Webers hatte am 11. September Pre­miere, der zweite Teil folgt am 26. November. Der Regisseur nimmt an der Debatte über 11Krieg und Theater» am Sonn­tag, 21. November, teil.

Page 10: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

ln Hasko Webers

Dresdner Inszenie­

rung von Schillers

"Wallenstein" spielen:

Thomas Eisen

{Max Piccolomini},

Albrecht Goette

{Octavio Piccolomi­

. ni}, Dieter Mann

als Gast vom

Deutschen Theater

{Wallenstein}

und Günther Kurze {Götz}.

Bühne

Mathis Neidhardt,

die zeitgenössischen

Kostüme entwarf

Ute Noack

Foto

Hans Ludwig Böhme

(Noch ist nicht klar, wohin das Pendel der offizi­

ellen Meinung ausschlägt. Scharping kontra Gysi

vor de.m Bundestag.) ln den «Wallensteinll-Pro­

ben beschließen wir, Handkes Stück den Interes­

senten in einer Lesung zugänglichzu machen.

Das ist nur fair; als Abiturienten wollten wir

auch Rudolf-Bahro-Texte erst einmal kennen

lernen dürfen, bevor sie im ND verteufelt wur"

den. Apropros Bahro: «Es gibt keine andere posi­

tive Möglichkeit als den Versuch, den Gegner

mitzuerlösen, den Wolf zu umarmen." Ach. Das

wäre ein Weg gewesen, Jahre vorher, bevor

Milosevic sich mit dämonischer Pose ins Abseits

manövrierte. «Denn hört der Krieg im Kriege

nicht schon auf, woher soll Frieden kommen?»

tickt Schiller im Kopf weiter. Nachts Dispute

über das «Lager». Wie kann das auf die Bühne

kommen?

Natürlich hat Botho Strauß Recht,

wenn er in seiner Büchnerpreisrede 1989 vor der

Lächerlichkeit warnt, «den Jeep in Wallensteins

Lager vorfahren zu lassen». Aber die gängigen

Kriegsgenrebildehen daherknitteln zu lassen,

wäre angesichtsder Ereignisse auch pervers. Das

Lager ist Wallensteins Schöpfung, die Ausgeburt

seines Unternehmerehrgeizes. Schließlich war er

der Schöpfer eines der ersten stehenden Mas- .

senheere in der Weltgeschichte, ein Kriegsunter­

nehmer und Finanzgenie, wie Alfred Dö.blin ihn

in seinem 1919 erschienenen Roman schilderte.

Was war das Lager, ist das Lager?

«Noch gar nicht war das Heer» vor

Wallenstein - ein bunter Haufen Menschen ohne

soziale Bindung, ohne g~sellschaftliche Perspek­

tive, aber mit Gefolgschaftstreue. (Das Lager als

«Schattenbühne11 der Macht und als Betäti­

gungs- und Bestätigungsfeld entrechteter und

frustrierter Abenteurer: «Der dem Tod ins Ange­

sicht schauen kann -der Soldat allein ist der

freie Mann." Die Vieldeutigkeit des Freiheitsbe­

griffes, frei sein ccvon)) statt frei sein ufür)).)

Und die Vorgänge im Lager?

Allgemeine Mobilmachung als Flucht

nach vorn; Konstitution eines Gemeinwesens

durch das Ausgrenzen von Sündenböcken. Her­

stellen einer Einstimmigkeit, die 'in ihrer Instabi­

lität die Gefahr des Bürgerkrieges aufblitzen

lässt.

Page 11: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

(Fünf Akte später konstatiert der

scharfsichtige Doppelagent Octavio die aktuelle

Situation: «Der bürgerliche Krieg entbrennt, der

·unnatürlichste von allen.») Da fällt wieder

Enzensberger in die Debatte, der reibt uns, 1995,

«die molekularen Bürgerkriege vor unserer Haus­

tür unter die Nase», um die wir uns zu kümmern

verpflichtet sind, bevor wir uns in die hundert­

fachen ethnischen Konflikte der Weit einmi­

schen. Aber wir sind schon mobil gemacht! Ohne

etwas getan zu haben. Und hier gewinnt der

Gedanke Gestalt, das Lager zivil zu erzählen.

Bürger im Krieg. Männer, Frauen, Händler, Aben­

teurer, die Kirche. Die Bürgerwehr als Söldner­

heer. Die Uniformierung ergibt sich aus dem

Vorgang der Gleichschaltung. Schillers Versec

hier in übermächtige elektronische Klangstruk­

turen eingebunden -fordern Form. Schließlich

ist die im Prolog gegebene Empfehlung Spielan­

leitung und philosophisches Programm zugleich: Der Muse dafür zu danken, dass sie ·

« ••• das düstre Bild

Der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst

Hinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft,

Aufrichtig selbst zerstört und ihren Schein

Der Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt.>>

3. Es wurde weder gesitzstreikt noch

machte sich das Ensemble auf den Weg nach ·

Pristina, um etwa vor Ort beim Hilfsgütervertei­

len Studien zu treiben. Wir haben auch nicht

den Spielplan geändert, um M[losevic-Reden

oder Karadzic~Lyrik mit Theatertexten der Spät­

moderne zu verschneiden. (Das ist eine andere

Möglichkeit.) Wir sind ohne schlechtes Gewissen

im unverschämt schön restaurierten Dresden

geblieben, nicht um unsere oft als moralische

Anstalt glossierte Bühne vor Übergriffen der

Realität zu retten, sondern um den Erfahrungen

der Wirklichkeit, die sich nicht realistisch abbil­den lassen, in einer Slapstick-Tragödie Ausdruck

zu verleihen. (Adolf Dresen verwies in seiner bit­

teren Rede zu den diesjährigen Schillertagen auf

die Störfälle der «mechanischen Systeme»,

«deren Ordnung trächtig ist von Chaos, ihre Frei­

heit, dass sie nicht funktionieren oder dass sie

kaputtgehen.» [ ... ] «Die Dinge, vom Menschen

kolonisiert. unter Kontrolle gebracht, proben den

Aufstand, haben ihren eigenen Kopf, ihren ver­

queren· Willen, verhöhnen die Macher.» Und:

«Wer dächte dabei heute nicht an den

Krieg im Kosovo? Bomber, einst gemeint als

Bringer von Humanität, verwandeln sich in flie­

gendes Entsetzen, und was im Namen des Rechts

begonnen wurde, grinst uns an. als grausige Rea­

lität.»

So gesehen haben die Bomber direk­

ten Einfluss genommen auf unsere Inszenierung,

in der es um das Recht und die Notwendigkeit

des Individuums auf nationale Gemeinschaft .

geht und dem dazu im Widerspruch stehenden

Naturrecht des (starken) Individuums, das·die ·

totale Freiheit beansprucht. Naturrecht. Bürger­

Iecht. Staatsbürgerrecht Die Hoffnung, durch die Anhäufung

aufklärerischen Wissens mittels eines Vernunfts­

staates zur Freiheit zu gelangen, war an Schillers

ernstem Jahrhundert-Ende schon ausgeträumt

«Die Kultur, weit entfernt, uns in Frei­

heit zu setzen; entwickelt mit jeder Kraft, die sie

in uns ausbildet, nur ein neues Bedürfnis; die

Bande des Physischen schnüren sich immer

beängstigender zu, so daß die Furcht, zu verlie­

ren, selbst den feurigsten Trieb nach Verbesse-

Page 12: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

rung erstickt und die Maxime des leidenden

Gehorsams für die höchste Weisheit des Lebens

gilt. (Und es ist bloß das Gleichgewicht des

Schlimmen, was ihm - «dem Zeitgeist- zuweilen

noch Grenzen setzt.»)

Schillers Konzept, die Vereinigung der

dualistisch verstandenen Wesenheiten Natur und

Vernunft im Menschen zu bewirken, um über

den Umweg der ästhetischen Erziehung des

Menschen den Staat und mit ihm das mensch­

liche Gemeinwesen zu verändern, scheint uns

heute jedoch nicht so unzeitgemäß. Denn wir haben keine andere Wahl als jene, dass man «um

jenes politische Problem in der Erfahrung zu

lösen, durch das ästhetische.den Weg nehmen muss ... ». Ästhetische Erziehung als Lernform der

Freiheit. Wobei Freiheit hier ein Absolutes meint,

wie auch der Frieden bei Kant.

Nicht die ·Freiheit, die den Söldner in

seiner Bindungslosigkeit umso enger an ein (nie­

deres) Ziel knüpft, nicht die Freiheit als maxima-.

len Handlungsspielraum eines machtbesessenen

Politikers zur Unterdrückung einer Minderheit,

sondern die Freiheit, die sich ergibt aus dem

Gleichgewicht zwischen dem Ausleben der phy-. sischen Natur im Übereinklang mit den Anforde­

rungen der Vernunft. Oder wären wir, die jetzt

Geschichte machen, verurteilt zu demütigem

Verharren in staatsbürgerlicher Unmündigkeit,

die Befehle eines selbst ernannten Souveräns

stillschweigend goutierend?

Schillers unzeitgemäßes Konzept, eine

Wohltat für alle, die nicht vorhaben, sich per

Flucht von der Bühne der Geschichte zu entfer­

nen. Die nicht in der als unveränderliche Schick­

salsmacht empfundenen Politik erstarren wollen.

Die sich nicht gefallen wollen in kulturpessimi­

stischen Posen. Dann lieber aufklären. Moralisie­

ren. Es lebe die moralische Anstalt. Politisches

Theater mit Schiller. Auch wenn man damit

nicht in TdZ kommt. (Dafür müsste man mit

einem roten Stern an der Kappe auf einem Rui­

nenfeld posieren oder auf der Luftlinie zwischen

TdZ-Redaktion und Volksbühne liegen.) .

Nun allerdings geht es in die Mühen

der Ebenen.

Zwei 17jährige Theaterbesucher fra­

gen mich bei einem Proben besuch, was eine Marketenderin ·sei, und gestehen kleinlaut,

nichts von dem Krieg zu wissen ...

Jenem?

DRAMATURG 1/2 99 l Seite 10

RAINALD GOETZ .. KRIEG" ..

EIN STUCK DER ACHTZIG ER-JAHRE?

Von Frederik Zeugke

Page 13: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

in Kriegszeiten, erfuhr, dass in Dresden Rainald

Goetz' Krieg-Trilogie aufgeführtwerden soll,

reagierte er äußerst skeptisch. Ob das noch

jemanden interessiere, der Text aus den achtzi­

ger Jahren sei doch schon so alt?- Ich habe

nicht gehört, was er über Schillers "Wallen­

stein"-Trilogie dachte, die bei uns parallel dazu

in derselben Spielzeit inszeniert wird.

"Freilich am liebsten ein großer

Gegenstand aus der Geschichte", lautet eine

Unterzeile in dem Text von Rainald Goetz. Der

Titel der Szene: "Die Bühne': ln diesem Bild wird

in martialischer Weise das gesamte Theater in

Brand gesetzt, das Krieg spielte. Die Darstellung

von Furcht und Mitleid in Dialogen gerät zu

einem Spiel von Schrecken und buchstäblicher

Erschütterung. ln diesem Spiel ohne Grenzen

fehlen den vertrauten Protagonisten nicht nur

die Worte, die Figuren der Geschichte sind selbst

. abhanden gekommen. Die alte Bühne mit ihren

Theaterhelden soll hier von einer ohrenbetäu­

benden Mechanik der Gewalt überstimmt wer­

den. ln einem teuflischen Popgelächter von

"Welcome to the Plea:Sure Dome" findet die

Szene ihr vorläufiges Ende. Der "große Gegen­

stand aus der Geschichte" wird nicht in Mantel

und Degen, mit Reiterlied und festem Helden­

schicksal präsentiert.. Dem Bildungsbürgertum

bleibt hier versagt, beim Donnergrollen der

Presslufthämmer zu Lieblingszeilen ihres Dichters

die Lippen zum literarischen Gebet zu spitzen.

Goetz versucht, den "altehrwürdigen" Theater­

donner aus literarischen Überlieferungen wieder

mit einem Leben zu füllen, das dem Publikum

die Möglichkeit entzieht, die wohlformulierten

und altbekannten Schrecken der Reclam-Welt

noch einmal wiederzukäuen. Wenn.Goetz hier

nicht mehr auf die Stoffe des anerkannten Kul­

turerbes zurückgreift, mag er vielen alten Freun­

deneben jener "Klassik" schnell als kultur- und

geschichtslos erscheinen. Ist das nicht ein deutli­

ches Zeichen für ein unterschiedliches Kultur­

und Geschichtsverständnis?

Wenn die einen "das" Theater gern als

letzten, sicheren Hort von "Wort und Moral"

besuchen, ist er für andere eben wegen dieser

"Denkmalpflege" häufig kein Sprachrohr mehr.

Für diese anderen ist beim Wort" Krieg" nicht

derüber 50 Jahre zurückliegende, unvergleich­

liche gemeint. Noch weniger können sie anfan­

gen mit jenen entfernteren "Helden der

Geschichte': Das mag als Ignoranz aus eklatanter

Unkenntnis alter Werte und Erfahrungen inter­

pretiert werden - oder aber als Versuch, sich

abzugrenzen, sich zu "schützen" vor einer

Gesellschaft, die einem mit Überliefertem die

Gegenwart und eigene Zukunft auf allen Wegen

erklären und vorhersagen will, weil sonst ihr

jugendlicher Traum von der eigenen Bedeutung

zerrönne angesichtsangesehener Erklärungsmu­

ster.

Demgegenüber steht ein "Bildungs­

bürgertum", das im guten Glauben, Kultur

"bewahren" zu müssen, mitunter Gefahr läuft,

den Kontakt zu der neueren Kultur und der .

gegenwärtigen Gemütslage zu verlieren. Daraus

aber den Schluss zu ziehen, das Bildungsbürger­

tum sterbe, ja, sei eigentlich schon tot, erweist

sich übrigens als recht einäugige Beobachtung:

ln Goetz' "Krieg" wird gegen das Theater zu

Felde gezogen. Wer diesen Angriff aber aus­

schließlich gegen das "Bildungsbürgertheater"

bezieht, unterschlägt mindestens die komplizier­

ten Konstruktionen und vielfältigen Verweise des

Gesamttextes. Goetz' "Krieg" ist in dieser Hin­

sicht längst Bestandteil eines sich erneuernden

Bildungsbürgertums geworden, auch wenn es

einigen gern als Grabgesang für die Alten

erscheinen mag.

Wo allein der Titel "Wallenstein" ein

Publikum nicht zu gewinnen vermag, weil es

Belehrungen fürchtet aus einer Zeit untergegan­

genen Heldentums, und wo der Titel "Krieg"

andere abschreckt, weil er nicht der von ihnen

erlebte und analytisch vereinnahmte Krieg ist,

dort beweist sich der dringende Bedarfeiner

Gegenüberstellung von historischem Drama und

gegenwärtigem Satyrspiel. Und das in zweierlei

Hinsicht: a) um sich über den Wandel des Phä­

nomens Krieg deutlicher zu werden und b) um

den sozialen Auftrag und die Möglichkeiten des

Theaters zu überprüfen, diesem Wandel

. annähernd angemessen begegnen zu können.

DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 11

Friedrich Zeugke, Dramaturg am

Dresdner Staats­schauspiel,

begleitet die

InSzenierung der Trilogie·((Kriegu von Rainald

Goetz, Premiere am 20. Mai 2000 im Schloßtheater

des Dresdner

Staatsschauspie ls, Regie Stefan

Nolte.

Page 14: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

ERFINDEN KANN MAN NUR DIE EIGENE WIRKLICHKEIT

B e d i n g u n g e n u nd A s p e k t e d e r A r b e i t mit Tneaterspielclubs Von M a r t i n Fra n k

Martin Frank,

jetzt Theater­

pädagoge am Thea­

ter Basel, schrieb

diesen Text für den

von Christel Hoff­

mann und Annett

Israel herausgegebe­

nen Band .. Theater

spielen mit Kindern

und Jugendlichen"

(Juventa Verlag

Weinheim und

München 1999).

Der Text wurde für

den Abdruck im

.,dramaturg" gekürzt

. und überarbeitet. Er erscheint hier als

Material zur Debat­

te über .. Theater­

pädagogik oder Marketirrg?" am

Freitagvormittag, an der Martin Frank

teilnehmen wird.

Mitte der 80er Jahre gründete Hans­

günther Heyme in Stuttgart den ersten Jugend­

spielclub an einem deutschen Theater. Vor sieben

Jahren fand am Thalia Theater in Harnburg das

erste Treffen für Jugendspielclubs statt. Beim

diesjährigen 7. Jugendspielclubtreffen in Halle

haben sich bereits 35 Jugendspielclubs für die

Teilnahme beworben .. Am Theater Basel sind fünf

Jugendclubs beheimatet. ln Potsdam sind 200

Jugendliche Mitglieder in den Jugendspielclubs

des Hans-Otto-Theaters. Es zeichnet sich auf

diesem Gebiet also ein bedeutendes Arbeitsfeld

für Theaterpädagogen ab. Bei regionalen und

überregionalen Treffen wird immer deutliCher,

daß die professionellen Theaterpädagogen auch

die Qualitätsmaßstäbe in der Laientheaterszene

setzen.

Ich habe an verschiedenen Theatern,

in Esslingen, Braunschweig,Berlin und Basel,

Jugendspielclubs aufgebaut, mitgeleitet und in­

szeniert. Heute erscheint es mir selbstverständ­

lich, daß ein Jugendclub zur Identität eines

Theaters gehört. Ein Jugendspielclub, der jedoch

nur aus Marketing-Kalkül bzw. als pädagogisches

Aushängeschild geduldet wird, muß im Spielbe­

trieb zwangsläufig zum Störfaktor geraten.

Theaterleuten und einer breiten Offentliehkeil darstellen. Zu beiderseitigem Nutzen. ln der Pra- ·

xis heißt das: die künstlerische Leitung und alle Abteilungen bedenken den Spielclub stets wie

eine künstlerische Produktionsabteilung mit. Das

kann so aussehen, daß sich der Club mit den

Themen des Spielplans befaßt, sich aber auch

öffentl.ich mit den Problemen des Theaters aus­

einandersetzt ln Esslingen hat ein~ Spielgruppe

gemeinsam mit dem Dramaturgen Guy Krneta zu

einem Thema im Spielplan gearbeitet: Faulheit -

ein Grundrecht in der Kindheit. Der Dramaturg

hat daraus ein Stück entwickelt, das von dem

damaligen Intendanten Jürgen Flügge mit

Schauspielern des Ensembles für den aktuellen

Spielplan inszeniert wurde: .. Der Faulpelz Paul

Fels" (Verlag der Autoren) .

Die größte Chance, die ein Jugend­

spielcub in sich birgt, ist die, daß hier Raum für

künstlerisches Suchen ohne jeglichen Produk­

tionsdruck gegeben sein kann. Der Jugendclub

bietet die Möglichkeit, allen durch die Theater­

arbeit bedingten gruppendynamischen und

künstlerischen Prozessen, entsprechend dem

Entwicklungsstand der Gruppen, nachzugehen.

· Die spezielle Clubaktivität, wie auch das Theater

Der Jugendspielclub eines Theaters insgesamt, wird beständig und fundamental hin-

muß Teil der künstlerisch-pädagogischen Kon- !erfragt.

zeption des Hauses sein. Der Jugendspielclub hat die Möglich-

Wenn sowohl die künstlerische Lei- keit zu experimentieren, und im Idealfall führen

tung eines Theaters wie auch der Spielleiter die seine Produkte zu einer Irritation in der ört-

Arbeit des Jugendclubs als Teil der Gesamtkon- Iichen Theaterlandschaft Um zu irritieren,

zepticm betrachten, kann der Club einen Ort sehr bedarf es allerdings einer gewissen Autorität,

fruchtbarer und belebender Kommunikation das heißt, die Gruppe muß sich den Ruf erarbei-

zwischen den Jugendlichen, den professionellen ten, sich ernsthaft mit ihrem Thema, demThea-

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 12

Page 15: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

terleben, zu befassen. Sie muß mit theatralen

Produkten öffentlich in Erscheinung treten, zu

einem Aspekt des örtlichen Theaterspektrums

werden. Die professionellen Theatermitarbeiter

sollten ~ier stets ein engagiertes, waches und

direktes Publikum antreffen. Neben den vielfäl­

tigen, von Dramaturgen und Theaterpädagogen

initiierten Begegnungen derTheaterleute mit

dem Publikum ist der Spielclub des Hauses eine

Möglichkeit dafür, daß sich um ein Theater ein

Kernpublikum formiert, das sich mit den Themen

dieses Hauses verbunden empfindet. Eine solche

Gruppe wirkt nicht nur durch die Produktionen

nach außen. Diese jungen Leute befassen sich

mit allen Fragen des Theaterlebens in «ihrem»

·Theater und tragen diese Themen und Fragen in

die Familien und Schulen. Während die Produk­

tionsensembles eines Hauses darum bemüht

sind, ihr Geheimnis bis zur Premiere zu wahren,

werden in dieser Form der Publikumsarbeit die

Themen des Theaters öffentlich. Das Theater

wird im persönlichen Kontakt diskutiert. Neben

den Presseorganen gibt es eine zugleich private

wie öffentliche Diskussion und somit eine zweite

Schiene der regionalen Aneignung des Theaters.

Die Haltung des Spielleiters

Es geht mir also bei meiner theater­

pädagogischen Arbeit auch in diesem speziellen

Feld um die Theateridee und deren Bewahrung.

Meine Begeisterung für das Theater liegt darin,

daß ich im Theater eine der wenigen Chancen

sehe, daß sich Menschen im künstlerischen Han­

deln begegnen. Ich will das Theater und sein

Publikum zusammenhalten. Dieses Ziel kann ich

nur im ästhetischen Dialog mit den Interessier­

ten verfolgen. Die künstlerische Suche ist daher

Methode. Das künstlerische Produkt ist ebenso

Ziel wie der Mensch. in seinen Entfaltungsmög­

lichkeiten. Für mich liegt hier die eigentliche

Bedeutung des Berufes. Die stete Diskussion, ob

dies dann ein künstlerischer oder ein pädago­

gischer Ansatz sei,. ist in diesem Zusammenhang

so unergiebig wie die Frage, ob Peter Brook ein

Regisseur oder ein Theaterpädagoge ist. Ent­

scheidend neben der Einstellung zum Theater

sind die alltägliche Praxis und ihre theatralen

Produkte. Der Ansatz ist ein subjektiver. Die

Methode - so es eine gibt- basiert demnach auf

eigenen Erfal:frungen.

DRAMATURG 1/2 99 l Seite 13

Vom Fernsehen zum Theater

' Als Kind aus einer Arbeiterfamilie

setzte ich in der Jugend meine Hoffnung, etwas

zu erleben, nichtauf Literatur, sondern aufdas

Fernsehen. Ich beobachte diese Konsumhaltung

auch heute bei Jugendlichen. Dem Reizangebot von Computern und Fernsehen hat Thalia ·

zunächst nichts entgegenzusetzen. Ich mache

inzwischen immer wieder die Erfahrung, daß

Jugendliche nach einigen Jahren maßlosen Fern­

sehens zum gleichen Punkt gelangen wie ich, als

einer aus der ersten Fernsehgeneration: Ich

hatte mich im Fernsehen lange genug auto­

didaktisch geschult und war zu der Fähigkeit

gelangt, mehrere Programme gleichzeitig verfol­gen zu können. Durch «Surfen» hoffte ich nichts

Wichtiges zu verpassen, - aber ich erlebte auch

nicht mehr als zuvor. Mit achtzehn Jahren

ahnte ich, daß das Fernsehen, von dem ich all­

täglich Erlebnisse erwartete, lediglich ein Vorzei­

gen von Handlungsmustern war. Irgendwie hatte

ich alles schon mal gesehen.

Es entstand ein Gefühl wachsender

Verunsicherung; das geradezu in eine neuro­

tische Torschlußpanik mündete: Die Jugend ver­

flog, aber nichtS so Bedeutendes geschah, daß

ich es alseine medienrelevanteDramatik emp-

. fand. Den Figuren im Fernsehen widerfuhren

immerzu bedeutende Dinge. Ich dagegen hatte

nichts erlebt! Fernsehen ist im Grunde ein

Abspalten, ein Delegieren des Erlebnishungers an

TV-Figuren.

Wie viele aus der Generation nach mir

wandte ich mich mit etwa achtzehn Jahren vom

. Fernsehen ab. Die Erlebnisversprechungen des Programmangebots werden· als Betrug erlebt.

Das Fernsehen langweilt. Das Bedürfnis nach

wahren ldentifikationsmöglichkeiten, sinnlichen

Geheimnissen im Spannungsfeld der Menschen,

nach feinen Beobachtungen im Begegnungspiel

der Menschen kann es nicht befriedigen.

Ich hatte das Glück, in der Phase der

Abwendung vom Fernsehen dem Theater auf die

Spur zu kommen. Was dieses Auf-Die-Spur­

Kommen tatsächlich bedeutet, muß ich in meic

ner täglichen Arbeit mit dem Publikum immer

neu untersuchen, immer zurückblickend auf

meine ersten überzeugenden Theatererlebnisse.

in der Analyse dieser Erfahrung liegt die Chance,

eine ähnliche Wirkung mit eigens initiierten

Page 16: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

Theatererlebnissen für heutige Jugendliche zu

erreichen.

Wie ich Theaterpädagoge wurde

Entscheidender Fa!<tor in meiner Bio­

graphie wurde die Theatervorstellung "Die

Geschichte vom Baum" von lngegerd Monthan

in der Münchner Inszenierung von Beat Fäh. Auf

einer völlig leeren, schwarzen Bühne spielt eine

Schauspielerin in rotem Kleid die tragische

Geschichte einer Eberesche, die der Geldgier der

Menschen zum Opfer fällt. Ich verließ die

Schauburg am Abend dieser ersten bedeutenden

Theaterbegegnung mit der Sicherheit, völlig ver­

unsichert zu sein. Ich hatte etwas erlebt und

empfunden, was nicht sichtbar gewesen war. Ich

wußte um eine Geschichte, die der Zuschauer

neben mir anders empfunden haben mußte. Es

war meine Geschichte, mein Geheimnis, meine

Wahrheit. Ich war verliebt ins Theater, in dieses

Stück. Aber was war das für eine Geliebte? Ins­

gesamt 25 Abende habe ich mit ihr verbracht.

Jedesmal habe ich mich im Zuschauerraum

umgesehen und erstaunt festgestellt, daß sie es

mit vielen gleichzeitig trieb, mit jedem ein ande­

res Geheimnis teilte. Ich wurde aber nicht eifer­

süchtig, eher neugierig, denn sie hatte jeden auf

eine andere Weise verführt. Sie war pervers,

hatte mich infiziert und das Merkwürdigste war,

ich bekam das Bedürfnis ihr noch mehr Freier

zuzuführen, mit imm.er mehr Menschen an

ihrem Geheimnis teilzuhaben. Ich wurde Thea­

terpädagbge.

Doch es stellte sich rasch Ernüchte­

rung ein. Ich traf nicht nur auf liebestrunkene

Theaterbesucher, mit denen ich meine Freude

teilen konnte. Es gab scharenweise tumbe Lust­

verschmäher, Zuschauer, die rein gar nichts

erlebt hatten. Ließ ich zum Beispiel nach den

Vorstellungen die Besucher ihr Theatererlebnis

zeichnen, so gab es immer zwei Arten von Bil­

dern: Die einen Zuschauer hatten phantasievoll

die Geschichte einer Eberesche gezeichnet, die

anderen stellten auf ihren Bildern einen

schwarzen Theaterraum mit einer rot gekleide­

ten Schauspielerin unter grellen Scheinwerfern

dar. Es gab Verzauberte und Analytiker. Interes­

santerweise hatten fast alle Zeichnungen doch

etwas gemeinsam: Die Bildbeschreibungen

waren alle von roten Vorhängen eingerahmt. ln

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 14

unserem Theatergab es .jedoch gar keine Vor­

hänge: Unserem Publikum war also das Theater­

klischee näher als die Theaterwirklichkeit Was

mich damals in Erstaunen versetzte, ist mir in

den folgenden sieben Jahren Theaterarbeit zur

Selbstverständlichkeit geworden.

Mit welchem Bewußtsein

begegnen junge Leute dem Theater?

Man muß davon ausgehen, daß Kin­

der nur so lange spielen - versuchen, selbst

Erlebnisse zu kreieren- bis sie eingeschult wer­

den. Ihre Spielpraxis, bis dahin ihre primäre

Weltaneignung, verändert sich nun. Das ist

durch unserSchulsystem bedingt. Kinder werden

in den meisten Lernvorgängen angeleitet, in

binären Strukturen zu denken, also rational und

bald auch analytisch. Es ist gerade auch dieses

Alter, wo sie spätestens anfangen fernzusehen.

Verhängnisvoll ist, daß es gerade auch diese

Enwicklungsstufe ist, die die Chance böte, vom

reproduzierenden und imitierenden Spiel den

Schritt in abstrahierende und darstellerische

. Spielformen zu machen, d~s Figuren- oder Rol­

lenspiel zu erfinden und zu erfahren. Aber diese

Chance wird häufig verpaßt Die meisten

Erwachsene malen Bäume, Häuser, Men.schen,

wie sie es als Sechsjährige schon taten. Diese

Defizite im musischen Entwicklungsbereich grei­

fen die freien Bildungsträger auf. Wer aber

kümmert sich um die Fähigkeiten, die es

braucht, um Theater erleben zu können? Das

Theater ist gegenwärtig erstmals in seiner Ent­

wicklung mit einem Publikum konfrontiert, das

in autodidaktischer Weise fernzusehen gelernt

hat, das aber in den entscheidenden Entwick­

lungsphasen komplexere Spielfähigkeit sich

nicht altersspezifisch anzueignen brauchte.

Ich habe oft von Jugendlichen den

Satz gehört: .,Ich habe nichts erlebt': - Oder: .,Ich

will so sein wie dieses oder jenes Idol, weil der

oder diejenige etwas erlebt hat, aber ich nichts».

Es ist mir zu einem zentralen Anliegen in meiner

Arbeit mit Jugendlichen geworden, ihnen die

Scheu vor der Wahrnehmung und Beachtung

der eigenen Erlebnisse zu nehmen. Doch schon

nach wenigen theaterpraktischen Übungen ver­

mögen Menschen für sie sehr zentrale Erlebnisse

zu schildern - wenn man siedazu ermutigt. Die

Befriedigung, die ihnen aus der Schilderung

Page 17: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

ihrer Erfahrungen entsteht, und daß ihre sinnli­

chen Wahrnehmung und dadurch ausgelöste

Phantasien Aufmerksamkeit finden, eröffnet

ihnen eine neue Lebensqualität Dem Theater

beschert das wiederum fachkundige Zuschauer.

ln der Jugendspielclubarbeit gehe ich

von diesen Überlegun<jen zur Spiel- und Rezep­

tionsfähigkeit aus. Ich will hier den Spieldefiziten

entgegenwirken und selbstbestimmte, authen­

tische theatrale Prozesse fördern. Dies kann nur

geschehen, wenn ich Theater als spezielle Spiel-.

form immer neu thematisiere und hinterfrage.

Dabei muß man stets wach für Klischees im Spiel

bleiben. Mit dieser Grundhaltung, die auch die

Basis für meine.Jugendclubarbeit ist, bewirke ich

im Laufe der Zeit einen ungehemmteren Zugang

zu den Möglichkeiten des Theaters, was den

Jugendlichen schließlich das Gestalten eigener

Spielideen und Texte ermöglicht.

Insbesondere in der Startphase der

Jugendclubarbeit vertrete ich diese Haltung zum

Theater und mache ihre Konsequenzen zum

Handlungsprinzip.

Wie man einen Theaterclub

ingang setzt

Der Begriff «Club" hat sich leider eta­

bliert, was Prof. Jörg Richard schon lange bemän­

gelt, denn es sollte sich bei diesen Gruppen nicht

um elitäre Gemeinschaften handeln. Selbstver­

ständlich sind alle Formen von Auswahlverfahren

bei der Formierung einer solchen Gruppe völlig

falsch. Nach meiner Einschätzung betreiben nur

jene Spielleiter Aufnahmetests, denen es um

eigene Profilierungsinteressen als Regisseure geht.

Nicht selten gibt es in der Szene selbsternannte

Regisseure, die ,.theaterpadagogisch" arbeiten,

weil ihnen das professionelle Ensemble des Thea­

ters nicht zur Verfügung steht. Ich halte es auch

für problematisch, Regieassistenten den Club als

erstes Probierfeld zu überlassen. Jugendclubarbeit

erfordert völlig andere Konzentrationspunkte in

der Prozeßgestaltung als die Inszenierungsarbeit

mit professionellen Schauspielern. Ein Theater­

pädagoge als Leiter eines Spielclubs sollte es sich

zur Aufgabe machen, allen interessierien Jugend­

lichen die Teilnahme am Spielclub zu ermöglichen

und ihren individuellen Fähigkeiten entsprechend

ihre kreativen und darstellerischen Fähigkeiten zu

fördern.

DRAMATURG 1{2 99 I Seite 15

Natürlich ist der schnellste Weg, um

einen Jugendclub an einem Theater aufzubauen,

der, daß man eine Annonce in die lokale Zeitung

setzt. Ich bevorzuge einen anderen Weg, um die.

Gruppe. zu versammeln. Vor allem Schulkontakte

·und Fortbildungen bringen mich mit Theaterin­

teressierten in Kontakt. Hier gibt es dann immer

Auseinandersetzungen um das, was das Theater

mit seinem künstlerischen Kurs beabsichtigt. Bei

diesen Begegnungen fallen mir immer wieder

junge Leute auf, die etwas vom Theater wollen,

und wenn es nur das Bedürfnis ist, klar zu

machen, daß und warum Theater «veraltet sei"

und «echt keine Chance" gegen andere'Medien

habe. Wenn es zu einer lebhaften Auseinander­

setzung kommt, frage ich, üb Interesse an einer

intensiveren Zusammenarbeit besteht und

notiere mir die Adresse des Gesprächspartners.

Etwa ein Vierteljahr nach Spielzeitbeginn

schreibe ich dann die Gründung eines Theater-.

clubs in der Zeitung aus. Gleichzeitig bekommen

meine «Findlinge" eine Einladung zum ersten

Treffen.

Beim ersten Treffen kommen erfah­

rungsgemäß zwischen 30 und 40 Leute -

Schüler, Statisten, Theaterangehörige, Schüch­

terne, die von ihren Eitern aus therapeutischen

Gründen geschickt wurden, Kunststudenten,

coole Skater, Leute, für die es in den Schulthea­

ter AGs nicht mehr weiter ging,. und natürlich

auch kichernde Freundinnenpaare. ln meinem

derzeitigen Club sind die Jüngsten sechzehn, die

Ältesten einundreißig. Und anfänglich meist

zwei Drittel Frauen, eher mehr. Alle Schultypen,

Azubis, Studenten und Arbeitslose. Ich mache

keine Einschränkungen bei der Aufnahme.

Sofort ist spürbar, daß die Jugendlichen bereits

irgendwie vom Theater infiziert sind. Aus ver­

schiedenen Gründen, sicher nicht nur aus Star­

allüren, setzen sie große Hoffnungen für ihr

Leben darauf. Diese Entschiedenheit ist mehr, als

jeder Lehrer für seine Arbeit mit Jugendlichen zu

erhoffen wagt. Es ist ein Geschenk und gleich­

zeitig ein Vertrauensvorschuß. Auf alle Fälle muß

dieses Kapital ausreichen, um über alle Krisen

und Zweifel, die mit der Theaterarbeit verbun­

den sind, zu tragen. Darauf baue ich, wenn ich

die Latte der Eigenverantwortlichkeilen gleich

zu Beginn der Arbeit hoch anlege. Die Jugend Ii~

chen sollen wissen, daß die Theaterarbeit nur

funktioniert, wenn sie sie mittragen.

Page 18: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

Theaterplus ist das neu gegründete theaterpädago- . gisehe Zentrum am Theater Basel

Theater plus ist ein Interessenverband von: junges thea­ter basel, Vor­stadt-Theater, TheaterFalle und Theater Basel mit dem Ziel die unterschiedlichen theaterpädagogi­schen Aktivitäten zu koordinieren

Theater plus sind 13 Theater~

. pädagogen und Theaterpäda­goginnen

Theater plus ist eine konzertierte Akti­on, um den stetig wachsenden Nachfragen zu theaterpädago­gischen Aktionen gerecht zu wer­den.

Meine kurze Eröffnungsrede

hört sich etwa so an:

Der Club bildet niemanden zum

Schauspieler aus, und ich bin kein Vertreter

einer Agentur, die Stars schmiedet. Mich interes­

siert im Theater die Möglichkeit, daß sich hier

wahre Begegnungen ereignen können. Wer

dabei bleibt, dem verspreche ich, daß er an min­

destens einer Inszenierung teilnehmen wird.

Da wir Theater spielen, gibt es Spiel­

regeln, die sich aus dem Spiel und seinen Anfor­

derungen ergeben. Eine wichtige Spielregel: wer

zweimal unentschuldigt fehlt, dessen weitere

Teilnahme steht zur.Diskussion. Das bedeutet,

die Gruppe berät mit dem/der Betreffenden

gemeinsam, ob er/sie das Projekt gefährdet.

Wirtreffen ·uns zunächst einmal pro

Woche, nach einem halben Jahr gibt es zwei

Treffen in der Woche, die jeweils vier Stunden

. dauern. Wenn sich die Gruppe einer Premiere

nähert, werden Probenwochenenden abgesproc

chen, die die Gruppe organisiert.

Wir machen Darstellung, nicht Show

(Vorzeigen). Deshalb brauchen wir keinen Pro­

duktionsetatvon Seiten des Theaters. Die Grup­

pe wird zunächst alles selbst erarbeiten; Das

erste Projekt wird eine Eigenproduktion, kein

vorgefertigtes Stück sein. Gegebenenfalls bitten

wir einzelne Abteilungen des Hauses um fach­

liche Unterstützung.

Vom Umgang mit Klischees

Nach diesen wenigen Sätzen soll es

beim ersten Treffen nur noch um Spielerfahrung

und Austausch gehen. Wir beginnen die prakti­

sche Arbeit. Sie orientiert sich immer an der

Definition für das Theater, die zu einer Selbst­

verständlichkeit werden sollte: Theater ist die

Raum-Zeit-Gleichheit der Phantasien von Spie­

lern und Zuschauern. Geschichten sollen auf

dieser Grundlage erzählt werden. Die Spielweise,

die die Darsteller wählen, sollten in den

Zuschauern Räume für eigene wahre Geschich­

ten eröffnen. Das klingt simpel und ist gerade

für Jugendliche auch nicht schwer umzusetzen.

Sie können es hervorragend und es macht

erstaunlichen Spaß, mit ihnen nach immer

neuen Formen für ihr Theater zu suchen. Das

Hauptproblem ist aber immer wieder, mit den

Kiischees umzugehen, die dabei immer anzutref-

DRAMATURG 1/2 99 J Seite 16

fen sind; im Spiel der Darsteller, in den Aufga­

ben des Spielleiters, im Rezeptionsverhalten der

Zuschauer treten sie in Erscheinung. Klischees

können tödlich für das Theater sein, weil sie nur

das unkonkrete Allgemeine wiedergeben. Das

lebendige Theater stagniert, wenn sie sich ein­

schleichen. Sie bedienen den Wiedererkennungs­

effekt beim Zuschauer, provozieren in ihm keine

aktiven Phantasien, allenfallsWertungen zur .

Darstellungsweise. Klischees sind jedoch für alle

Beteiligten stets höchst verführerisch, da es sehr

befriedigend sein kann, sie wiederzuerkennen.

So kommt es dann zum Beispiel auch zu den auf

der regionaler Ebene meist sehr erfolgreichen

Laienaufführungen von Stücken wie .. West-Side­

Story", oder .. Rocky Horror Pielure Show': Sie

hinterlassen bei den jungen Darstellern ein

Gefühl von künstlerischer Leistungsfähigkeit,

tatsächlich aber haben sie mit der Aneignung

kreativer theatraler Fähigkeiten wenig zu tun.

Wenn man darauf setzt, mit jungen Theaterleu­

.ten das Theater zu beleben, muß man hier sehr

wach bleiben: Man kann das Klischee entweder

konsequent vermeiden, oder es durch Über­

höhungen überwinden und als Stilmittel ver­

wenden. Beides sollte allerdings nicht dem Zufall

überlassen bleiben. Deshalb befasse ich mich in

der Anfangsphase der Prozeßgestaltung mit der

Sensibilisierung für das wahrhaftige Spiel - und

der Kritik von Klischees. ln der Praxis bringt das

eine Verunsicherung für die Spieler mit sich, die

Zertrümmerung der wenigen Sicherheiten, die

die Jugendlichen mitbringen.Wenn sie erste

Spielangebote machen, blendet das Klischee,.

denn e.s erzählt mit hoher Wirkungssicherheit ln

seiner leichten Erkennbarkeil garantiert es dar­

stellerische Erfolgserlebnisse. Die angebotene

Szene wird .. ve.rstanden': Nichts ist für die Spie­

ler in der Startphase schmerzhafter, als ihnen

.diesen Erfolg zu verweigern. Aus der Reaktion

des Publikums glauben sie zu spüren, daß sie

bedeutend und überzeugend gewirkt haben. Ich

frage aber nach ihnen und beziehe diese Frage

auf die Erfahrungen mit der ·ersten Übung beim

ersten Treffen.

Die erste Übung

Das ist eine Übung, die ich in beinahe

schon ritual(sierter Weise auf meine

Begrüßungsrede folgen lasse. Es ist das Partne-

Page 19: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

Die Theaterpädagogik ist ein relativ neues Berufsfeld, das man in der Schweiz in zwei­erlei Ausprägun­gen antrifft: Zum einen sind Thea­terpädagoglnnen freiberuflich als Regisseure, Trai­ner, Theaterpro­jektleiter oder im kulturellen Frei­zeit- und Bil­dungsbereich tätig; zum ande­ren sind sie Mit­arbeiter in Thea­terbetrieben. An Theatern ange­stellt, wirken sie an der Nahtstelle zwischen Bühne und Zuschauer­raum. Theater­pädagoglnnen schaffen neue Räume, in denen Theater stattfin­det. Das können ganz konkret Spielräume für Laien sein -zum Beispiel für die Workshoparbeit mit Besucher­gruppen, oder. Jugendspielclubs - es sind damit aber auch Räume im Kopf gemeint, denn Theater­pädagoglnnen befassen sich mit dem Wahrneh­mungsverhalten des Publikums und unterstützen eine neugie~ige Rezeptionshal­tung. Das Theater plus ist hauptsächlich im letzteren Sinne tätig.

rinterview des ·ersten Treffens. Ich will es kurz

beschreiben: Die Anwesenden suchen in Paarun­

gen, die sich vor diesem Treffen noch nicht

·kannten, einen ungestörten Ort. Sie befragen

sich entlang einem kleinen vorgegebenen Frage­

katalog wechselweise zu ihrer Person. Nach 20

Minuten kehren sie ins Plenum zurück. Hier muß

nun immer ein Paar vor die Gruppe treten und

sich vorstellen. Erst jetzt erfahren die Beteilig­

ten, daß sie dazu die Rollen·tauschen müssen,

das heißt, einer behauptet, der andere zu sein

und beginnt nun über den anderen zu erzählen.

Der «echte» Andere darf dies nicht kommentie­

ren. Allerdings darf die Gruppe dem, der sich da

vorstellt, Fragen stellen. Das Antworten erfordert

nun von dem, der sich da in den Partner hinein­

zuversetzen sucht, großes lmprovisationsge­

schick. Natürlich kann er viele Fragen nii::ht

wahrheitsgemäß beantworten, aber er hat seine

Improvisation an seinem begrenzten Wissen vom

anderen zu orientieren.

Mit diesem Vorstellimgsspiel will· ich

zwei grundlegende Dinge für die Theaterarbeit

klären:

1. Ich kann in eine andere Rolle

schlüpfen, aber die ist und bleibt eine vorder­

gründige Behauptung. Ich bin und bleibe dabei

im Rahmen meiner eigenen Wahrheit. Die Figur

ist mein Produkt.

2. Die Zuschauer/Frager erleben eine

dritte Realität: Neben den· beiden anwesenden

Spielern entsteht eine Figur, eine Bühnenfigur,

ein Produkt aus den Phantasien aller Anwesen­

den. Eine Tauschung, ein Irrtum, eine Wahrheit

für den Augenblick ihrer Wahrnehmung.

Der Nebeneffekt dieses Spiels ist der,

daß ein enormer Klärungsbedarf in der Gruppe

entsteht. Ich begleite die Gruppe nicht in die

Kneipe; aber ich weiß, daß dort Gespräche ent­

stehen, die etwas von der Qualität eines gelun­

genen theatralen Spiels offenbaren. Wer mitdis­

kutiert, muß <<ich» sagen, denn er wurde zum

Mitspieler. Ich habe als Spielleiter und Initiator

dieses Spiels das Interesse, daß jeder, der durch

die Verzerrung seines Selbst, die dieser Versuch

einer Reproduktion bedingt, wenn er nun in die

· Situation gerät, das «Original» -sich selbst - zu

verteidigen, etwas von der Unmöglichkeit

begreift, eine fremde Person zu spielen. Was sich

in diesen Nachgesprächen abzeichnet, wird das

Thema des ersten Vierteljahres bleiben und uns

DRAMATURG; 1{2 99 l.Seite 17

darüber hinaus bis zur Premiere immer wieder

beschäftigen: Alles was aus unserem spärlichen

Wissen um eine [Bühnen-) Figur in Verbindung

mit unserer Kreativität entsteht, ist immer ein

Produkt der persönlichen Wahrheit des Darstel­

lers- wenn er nicht ein Klischee zitiert.

Gegen die Unmündigkeit

Meine Konzentration als Spielleiter

richtet sich fm gesamten Arbeitsprozeß darauf,

diese kleinen aber bedeutenden Wahrheiten bei

den Proben zu entdecken. Sei es in einem kleic

nen Objekttheaterversuch oder in einer Stöcke­

übung. Da wo etwas von der ungezierten per­

sönlichen Ausdrucksweise der Spielerinnen und

Spieler in Erscheinung tritt, kommt es darauf an,

diese Stärke durch eine genau beschreibende

Rückmeldung zu würdigen. Es ist mir wichtig,

daß nicht nur der Spielleiter diese Beziehung zu

den Schauspielern behauptet. Es gibtviel zu viel

Unmündigkeit in den Produktionsprozessen des

Theaterbetriebes. Der Spielleiter im Jugend­

spielclub kann es sich leisten, daß.auch andere

als seine Meinungen eine Probe wert sind. Die

Abhängigkeit der Spieler vom Spielleiter, etwa in

der Einschätzung einer Szene, ist für die Kreati­

vität nicht förderlich. Aus diesem Grunde gibt es

in meinen Gruppen immer wieder <bungen, bei

denen auch mal der Spielleiter abgesetzt werden

muß, um das Übungsziel zu erreichen. Wer die

Spieler genau beobachtet und ihre eigenen

Ideen zu arrangieren weiß, wird aus jeder Posi­

tion Autorität gegenüber der Gruppe bewahren.

Die Fähigkeit, genau zu beobachten und zu

beschreiben, soll im Laufe der Zeit der ganzen

Gruppe eigen werden. Die Spielethik heißt: "Du

hast Dich gezeigt. Ich habe ·es erlebt. Wir haben

Dich gesehen."

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ZU DEN WORKSHOPS MIT AUTOREN 1: Das Drama aus Dingsda -

Foto Honuschke Et Schneider

John von Düffel, 1966 in Göttingen geboren, wuchs in Londonderry/lrland, Vermilion/South Dako­ta und verschiedenen deutschen Kleinstäd­ten auf. 1985 Abitur in Oldenburg. Nach dem Studium der Phi­losophie, .Germanistik und Volkswirtschaft in Stirling/Schottland und Freiburg im Breis­gau promovierte er 1989 über Erkenntnis­theorie. Als Filmjour­nalist und Tanz-/Thea­te'rkritiker war er für Presse und Rundfunk tätig, bevor er ab 1991 als Dramaturg für Sc:ha.uspiel und Tanz­theater am Theater der Altmark in Stendal und am Staatstheater Oldenburg (ab 1993) · arbeitete. Mit Spiel­zeitbeginn 1996/97 Wurde er leitender Dramaturg am Theater Basel, seit der Spielzeit 1998/99 ist er Drama­turg am Schauspiel Botin. Spätestens seit dem Erfolg seines Debut-

. Romans "Vom Wasser" ist John von Düffel einem breiteren Publikum bekannt gew.orden.

John von Düffel .,Rinderwahnsinn"

1. RINDERWAHNSINN ist ein Familien­

stück. Eine Politgroteske. Eine Klischeeverwur­

stung, Mythenmutation. Eine Freakshow. Bilder­

buch. Ein Zeitstück. Eine Abrechnung. Literartur­

operette. Regenbogenpresseexpression Rinder­

wahn, Sinneklops Augenwurst

2. Es treten 5 .. Personen" auf, allesamt

aus dem Schnürbodenüberbau neudeutscher

Befindlichkeit herabgefallen auf den Bretter­

bodenabbaubereich des ausgewiesenen Orts

"Bühne": der Vater kARLMARX und seine Frau

MUTTERMEINHOFF, ihre Tochter HÄNSELUND­

GRETEL und der Sohn FAUSTERSTERTEIL sowie

DER VETTER AUS DINGSDA. Abfallzeit: "Mitte/eu-

ropäisch':

4. Auftritt: MUTTERMEINHOFF IM

RAF-T-SHIRT. DIE VORIGEN

Axel Preusz

BEIDE: Muttermeinhoff, Halts Maul ·

MUTTERMEINHOFF: Was ist denn hier los

Man hört euer Geschrei bis auf die Straße

BEIDE: Wir hatten eine kleine Meinungsverschie-

denheit

FAUSTERSTERTEIL: Einen Generationskonflikt

. KARLMARX: Er wollte mich umbringen .

FAUSTERSTERTEIL: Das sagt sich so leicht

MUTTERMEJNHOFF: Wie dem auch sei

Ich war bei der Bank

BEIDE: Und???

MUTTERMEJNHOFF: Was soll man von den Bon-

zenschweinen anderes erwarten

KARLMARX: Nun sag schon

FAUSTERSTERTEIL: Jetzt dräng sie doch nicht so

MUTERMEINHOFF: Ich habe mich nach lang-

fristigen Anlageformen erkundigt

Eine einigermaßen interessante Verzinsung

gibts erst ab sechs Jahren aufwärts

Dabei sollte man das Zinspaket mit einer

Lebensversicherung verschnüren

Um das Anfallen von Quellen- sowie Zinsab­

schlagsteuer zu umgehen

Das ist das Sicherste, für Risikofreudige gibt

es diverse Investmentfonds

Aktiensortimente mit Glücksritterrenditen

et cetera

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 18

Aber da könnte ich gleich Lotto spielen

Wie man mir vertraulich zuflüsterte

KARLMARX: Mein hoff, sag mal

·Bist du jetzt vollkommen durchgedreht

FAUSTERSTERTEIL: Von Glücksrittern im Sparein­

lagenbereich habe ich auch sclion gehört

MUTTERMEJNHOFF: Woher er denn wüßte, was

in sechs oder zwölf Jahrenist

Hab ich den Anlageberater gefragt

Und er meinte, ohne einen gesunden Opti­

mismus ginge gar nichts mehr ·

Wer weiß, ob wir nicht im nächsten Moment

alle hochgehen

Erschossen, ertränkt oder verstrahlt werden

Abgesehen davon, daß es dann auch egal ist,

was mit unserem Geld passiert

Irre

Bis in die untersten Gehaltsstufen haben die

Banken

Die Botschaft des Terrors begriffen, viele

Jahre nach unserer letzten Aktion

KARLMARX: Ja, aber; Mein hoff, um Himmels

wille.n

Was für Geld sollen wir denn anlegen

MUTTERMEINHOFF: Es handelt sich um eine rein

theoretische Frage

Praktisch ist unser Überziehungskredit aus­

geschöpft

Das Girokonto gesperrt, hätte ich an der

Kasse nicht

Die Spendenkassette des Müttergenesungs­

werkes mitgehen Jassen

Würde es uns jetzt am nötigsten fehlen

Hier, ein paar RAF-Bianko-Bekennerschreiben

Aber geht sparsam damit um

Mehr gibt es nicht

FAUSTERSTERWL: Scheiße

Das ist ja immer noch das alte Logo

Das liest doch heute keiner mehr

MUTTERMEJNHOFF: Faustersterteil

Du hast wirklich ein pottsaumäßiges

Geschichtsbewußtseln

Zur Strafe für diese faschistoide Äußerung

schreibst du mir 100mal

Der Kampf geht weiter

Aber sofort

Page 21: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

Theaterstücke:

DAS FRUSTURISTISCHE MANIFEST, 1991/1992

GELOBTES lAND, 1992, POlAROIDBLUES, 1993 01 Stück in 14 Szenen,

1994 SOLINGEN, 1994 DAS SCHLECHTESTE

THEATERSTÜCK DER WELT, 1994

RINDERWAHNSINN Groteske Familien­tragödie, 1996

SAURIERSTERBEN Bil­der einer Landpartie, 1995

DIE UNBEKANNTE MIT DEM FÖN Ein Stück in Regieanweisun­gen, 1995

BORN IN THE RAF Lebensbeichte eines T erroristenki ndes, Monolog, 1995

SHAKESPEARE; MÖR­DER; PULP UND FIK­TION, 1997

MISSING MÜLLER, 1996

ALLE HABEN SICH LIEB UA: 1999, Schau­spiel Bann

ZWEIDREI LIEBESGE­SCHICHTEN UA: 1999, Städti­sche Bühnen Mün­ster

Von John von Düffel liegen im Merlin­Verlag 15 Theaterstücke vor, Außerdem schrieb er Hörspiele, Kabarettprogramme und Übersetzungen.

FAUSTERSTERTEIL: Unter dem alten Logo

MUTIERMEINHOFF: Natürlich unter dem alten

Logo

Und jetzt zu dir, Karlmarx

Was hast du heute gegen den Imperialismus

getan

KARLMARX: Nicht in dem Ton, Mutti

Nicht in dem Ton

John von Düffel

DER TEXT IST DAS THEATER

Eine Autorenermutigung

[ .. ,] Der ideale, weil auf sehr bequeme

Weise neue Dramatiker heute füllt die Sprech­

blasen, welche die Theatermaschinerie gefüllt

haben möchte, unter fortlaufender Verwendung

von Konflikten und Figuren aus dem liebgewor­

denen Fundus. Und zur theoretischen Notabsi­

cherung gibt man sich vage postmodern, eh'

alles schon mal dagewesen. Das Theater zitiert

sich selbst, seine Formen und Mittel. Und die

Autoren sorgen mit unerhörten Dialogen dafür,

daß es dabei nicht allzu langweilig wird.

Der sich ·als Dialogschreiber beschei­

dende Dramatiker bringt sich selbst um die

Möglichkeit, aus diesem Teufelskreis des theatra­

lischen Selbstzitats auszubrechen. Das Theater

wird der nie verändern, der mehr oder möglichst

weniger mundgerechte Texte schreibt. Der Autor

als Dialoglieferant macht es dem Theater mit

seinem aus Bequemlichkeit bestehenden Behar-

. rungsvermögen allzu leicht. Sein Freiraum sind

die Sprechblaseninhalte, die Bilder hat das Thea­

ter meist schon parat. Die fatalste Form der

Arbeitsteilung. Eine Veränderung müßte tiefer,

grundsätzlicher ansetzen und hätte es folglich

auch nicht so leicht.

Es müßte mit dem Mut anfangen,

keine konventionsgerechten Figuren und Kon­

flikte zu liefern, neue Formen der Auseinander­

setzung zu suchen. Und es müßte damit weiter­

gehen; dem Theater die Vorherrschaft über die

Bilder nicht einfach zu überlassen. Viel zu sehr

hat sich eine falsch verstandene Arbeitsteilung

zwischen Autor und Theater eingeschliffen, eine

Kompetenzaufteilung zwischen Text und Bild.

Man müßte den Texten deutlicher, unbedingter

anmerken, daß sie selber Bild werden wollen. Ein

Text, der das Theater verändern will, muß ein

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 19

neues Theater in Totalität sein wollen, nicht ein

benutzbares Dialogelement im Rahmen des

alten. Er muß den Willen haben, sein ganz eige­

nes Theater zu werden.

Der Anspruch eines Theaterautors -

eine in Vergessenheit geratene Selbstverständ­

lichkeit -sollte sein, Theater zu schreiben. Kei­

nen Teil von Theater, sondern Theater in Gänze.

Autor und Urheber im eigentlichen Sinne ist er

nur dann, wenn er über den reinen Sprechtext

hinaus Bilder anvisiert, Bilder, die so weit über­

greifen in das Schauspielerische und Optische

des Theater, daß sich Schauspieler, Regisseure

und Bühnenbildner dazu neu verhalten müssen.

Man kann nicht gleichzeitig Theaterautor sein

. und diese Leute in Ruhe weiterarbeiten lassen

wollen.

Dabei geht es ganz und gar nicht um

die Rückkehrder Regieanweisung. Regieanwei­

sungen sind bestenfalls Verständnishilfen für

den Leser, für die Inszenierungspraxis sind sie

ohne Bedeutung. Wenn es dem Autor nicht

gelingt, im Text seine Vision von Theater festzu­

schreiben, wird es ihm kaum weiterhelfen, wenn

er seine Kompetenzen überschreitet und dem

Regisseur Vorschriften zu machen versucht.

Gerade das gegenseitige Erfüllungsverhältnis von

Text und Bild gilt es über Bord zu werfen. Der

Abschied von Texten, die sich damit bescheiden,

Sprechtext zu sein, ist auch ein Abschied von

einem lnszenierungsteam, das versucht, Bilder

zur Illustration dieser Texte zu finden. Es ist der

Abschied von einem Erfüllungstheater, in dem

Text und Bild sich gegenseitig ergänzen, eigent­

lich nur deshalb, weil sich beide von dem

Anspruch entfernt haben, totales Theater zu

sein. Ein Text, der das Theater sein will,

nichts weniger als das ganze Theater, braucht

den Regisseur nicht als Erfüllungsgehilfen, son­

dernals Gegner. Ein Text, der sämtlich.e Bilder

usurpiert, braucht die Bühne als Gegenwelt Die

Kraft des Theaters lag immer schon in der Kon-.

frontation, und erst wenn Text und Bild diese

Konfrontation suchen, l~ßt sich die Zweidimen­

siorialität des Erfüllungstheaters sprengen, wird

Theater zum freien Spiel der Kräfte, der Bildkraft

der Texte und der Bildkraft des Theaters, wird

aus den entgegenstehenden Ansprüchen von

Text und Bild, das Theater an und für sich zu

sein, vielleicht wirklich Theater.

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Foto Theater

Uwe Gössel, 1966 im Schwarzwald geboren. Ausbildung .zum Bank­kaufmann und Arbeit als Ablaliforganisator.

. ln Stuttgart Hilfsarbei­ter der Bühnentechnik und Bühnenbildassi­stent Anschließend Photographen lehre. Ab 1992 Studium an der Uni in Hildesheim für Theater, Photographie, Psychologie und Philo­sophie. Freie Theater­arbeit in Braun­schweig, Krefeld und Köln, Seit Anfang 1999 als Schau­spieldramaturg am Volkstheater in Rostock. "Kutteln" wird verlegt im Merlin Verlag, Gifkendorf.

2: .. Kutteln. Gericht 1n v1er Gängen" von Uwe Gössel

1. Gang beliebt, aber für den Chef vom Sicherheits-

(24 Jahre später. Nacht. Innen. SOHNSVEN

bricht in den Raum ein und stellt Leinenbeutel

um sich herum. )

SOHNSVEN (knipst Taschenlampe an. Nimmt

einen Brief aus einem der Leinenbeutel.)

"Hiermit antworte ich auf Ihre Annonce in

KOMM MIT von heute. Ich wäre sehr an Ihrer

ausgeschriebenen Bekanntschaft interessiert

und es würde mich gleichwohl sehr freuen,

wenn Sie mir schreiben würden, damit wir

uns bekannt machen können. Zur Person darf

ich kurz bemerken, ich bin 22 Jahre alt, rau­

che und trinke nicht. Ich bin ein solider,

ordentlicher Mensch. Obwohl ich michmit

meiner Mutter gut verstehe, .ist dies kein

Dauerzustand."

(Knipst Taschenlampe aus. Auswendig:)

Ich bitte Sie sehr freundlich, mir Gelegenheit

zu geben, Sie kennenzulernen. Mein Vor­

schlag wäre, uns unverbindlich zu schreiben

und miteinander zu reden. Sie können dann

objektiv entscheiden, ob wir uns sympathisch

sind.

Ich würde Sie auch in finanzieller Hinsicht

nicht ·belasten.

Auch wenn Sie 40, 60 oder gar noch mehr

Anfragen - wie man hört - auf ihr Angebot

in der KOMM MIT in den Händen haben,

wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mit mir

einen Kontakt aufnehmen.

Wenn Sie sich zurückmelden würden, wäre

ich sehr erfreut.

Bitte teilen Sie mir auch eine eventuelle

Absage mit, da ich Ihre Anzeige in meine

Hoffnungen mit einbeziehe.

Ihre bis jetzt unbekannte Kalina.

(Pause)

SOHNSVEN

Deutsche sind nicht überall in Bukarest

DRAMATURG 1/2.99 I Seite 20

dienst sind sie das Beste.

(Blättert)

Ceausescus Palast ist eines der eindrucksvoll­

sten Bauwerke in Europa in den letzten hun­

dert Jahren!

Cit e ceasul? -

VATERHEINZ

Wenn sie reinkommt sofort unterwerfen.

Niemals abtun, niemals. Das bringt zu viele

Jahre.

Mach deine Befehle kurz, deutlich und leise.

Eine schwache Intensität ist vorzuziehen,

weil sie mehr Aufmerksamkeit erfordert.

Du bist kein Kalfakter. Du bist mein Sohn.

Zeig es .

SOHNSVEN (verloren)

Kalina: Alina. Lina:lna, na. Aaaaa. Kakalin.

VATERHEINZ

Gut ist, ohne Grund zu strafen, damit sie

weiß, wer der Meister ist. Schubs sie im

Raum rum, zum Beispiel.

·Wenn du abhaust, dann bind sie fest. Wie

der Wolf: seine Beute sichern. Sonst hai sie

keine Platzfestigkeit und rennt hinaus.

Wie Mutter. Damit kannst du aus meinen

Fehlern lernen. Sichern, warten, sichern.

Eine Bank macht man im Zweierrythmus.

MUTTERGISELA (bügelt Hemden.)

Ich weiß nicht warum. Ich weiß, es ist falsch.

Es kann nicht klappen.

Man soll auch nicht die Hemden von seiner

Frau bügeln.

Was soll ich tun?

Ich will nicht. Bitte.

VATERHEINZ

Wir haben·sonst keinen der fährt. Basta.

(Er zielt mit der Gaspistole auf ihr Auge.)

Peng!!

(grinst)

Page 23: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

Hineinredungen - oder

,.Kutteln.Gericht in vier Gängen"

Noch bevor Uwe Gössels Erstlingswerk

,.Kutteln. Gericht in vier Gängen" das Licht der

Bühne erblickte, bemächtigte man sich seiner

universitär mit ausgewählten Instrumenten der

Dramenanalyse. Mittels der klassischen Vier­

kampftechnik"Perspektivenstruktur, Figurenkon­

zeption und -charakterisierung, Polyfunktiona­

lität der dramatischen Sprache, Raum- und Zeit­

struktur" wurde es zerlegt, zugerichtet und

zugeführt Interpretation als Rache des Intellekts

an der Kunst.

Ist es etwa das, was Theater im Zeital­

ter seiner Beschleunigung meint? Kaum gesche­

hen, schon geschrieben, schon. gedeutet? Am

Anfang stand ein authentischer Banküberfall,

von dem die Hildesheimer Allgemeine Zeitung

erstmals am 18.03.1997 berichtete und dessen

Gerichtsprozeß eine Reihe absurd an.mutender

Umstände zutage förderte. Aus der Zeitungsnoc

tiz und den vier Verhandlungstagen kochte der

Autor dann sein "Kutteln" - ein dramatisches

Gericht in vier Gängen. ln topograpischer Nähe

zu·m Tatort, bemächtigte sich die Hildesheimer

Theaterwissenschaft seiner.

Es geht Gössel nicht darum, die krude

Realität einer kriminellen proletarischen Kleinfa­

milie samt monströser Auswüchse im Stile eines

realistischen Sozialdramas abzubilden. Nicht die

Determinationslehre des Naturalisten, mit all

den bekannten Zutaten -Vererbung, Trieb und

Milieu - ist Folie des Stücks. Die Restriktion der

Figuren geht tiefer, sie ist in ihre Sprache einge­

schrieben. Der Autor komponiert aus Sprach­

flächen und Textfertigteilen ein vielstimmiges

Kaleidoskop. Er adaptiert und montiert Textma­

terial aus verschiedenen Gattungen und Kontex­

ten zu einem artifiziellen Mosaik. Die Rede kon­

stituiert die Figuren: Der Vater läßt sich vom

Sohn mit dem impertinenten Stolz eines Glad­

becker Geiselnehmers zu seiner kriminellen Vita

interviewen und die Phrasen der Mutter drehen

sich konzentrisch um Heim a Herd, deren traute

Existenz allein ihre Rede verzweifelt behauptet.

· Im Brennpunkt eines dissonanten

Chors der Stimmen, die vor sich hin, aneinander

vorbei und gegeneinander sprechen, steht

Sohnsven. Er ringt gegen das Verdikt des Vaters

und mit der Soufflageder Eitern, die immer in

DRAMATURG 1{2 99 1 Seite 21 .

ihn ,.hineingeredet" haben, um das Eigene und

projiziert den Lebenstraum in die Fremde. Doch

sein bescheidener Fundus an Mythen des

Nichtalltäglichen (gespeist aus Märchen, Kon­

taktanzeigen und Reiseführern) gerinnt zum

Klischee. Die Ikonographie der Gegenweit bleibt

von Sprachschablonen und Stereotypen determi­

niert. Sohnsven strebt nicht nach dem Anderen,

sondern dem Vertrauten in exotischer Maskera­

de: statt deutschen Kutteln.(gekochte Wände

des Rindernetzmagens) rumänische Mititei (wür­

zige Würstchen). So erscheint der verständliche

Wunsch nach Ausbruch in den Objekten der

Begierde trivial.

Die Story von ,.Kutteln" ist lesbar als

Parabel auf die soziale Realität einer egozentri­

schen Gesellschaft, in deren fatalen Kreisläufen

Fragen nach Recht und Unrecht längst nicht

mehr gestellt werden. Doch nicht nur die Figu­

ren des Textes bewegen sich außerhalb morali­

scher Fragestellungen. WasdasStück zu einem

der 90er Jahre macht, ist, daß es Antworten und

verbindliche Aussagen verweigert. Der Autor

entfaltet das Material und setzt uns sein Gericht

vor. Kein Erklärungsmodell räumt den Magen

auf. Tröstungen der Soziologie und Psychologie

greifen nicht. Nichts löst sich in Verstehen auf.

Das ist das Verstörende des Textes. Die Sprach­

struktur des Textes zielt auf diese Leerstelle. Die

Figuren sondern, angeschlossen an den Apparat

der fremden Rede, Sprachfertigteile ab. Sie fin­

den keinen Ausdruck, und damit stellt sich die

Frage, ob der Ausweg, an dem Sohnsven schei­

tert, überhaupt existiert hat. Ein Jenseits des

Apparats bleibt undenkbar, weil unaussprechbar.

Also Abbruch des Diskurses! Das Thea­

ter, dem man bekanntlich Unverdauliches in den

Rachen werfen soll, da es alles eintheatert, ist

am Zug. Birgit Hüning

Page 24: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

3 ·. Q . I I" ., UIZOO.a.

von Tom Etchells

Der Text besteht aus2000 Fragen. Die

Antwort auf die einzelne Frage muß jeden

Abend neu erinnert werden.

QUIZOOLA! ist eine Performance aus

Fragen und Antworten - ein merkwürdiges, doch

gleichwohl strukturiertes Spiel, das ziemlich

außer Kontrolle geraten ist.

Seine Quellen sind vielgestaltig: die

Marktforschung, eine Vernehmung, das Sichaus­

fragen von Verliebten (von lüstern bis sanft), tri­

. viale Quiz-Situationen und Prüfungen in der

Schule - der Text bewegt sich ständig und

sprunghaft zwischen diesen und anderen fra­

genden Stimmen.

ln diesem Stück stellt sich ein Darstel­

lerpaar gegenseitig und der Reihe nach eine

wahre Flut bohrender Fragen- mal flüsternd,

mal schreiend - aus der Weit des Pop bis zu per0

sönlichen Details, quer durch die Geschichte,

Botanik und Philosophie- endlos, nachdrücklich,

beharrlich und in immer neuen Versionen.

. Während der Vorstellung ist das Text­

buch auf der Bühne vorhanden - nicht als

Requisit, sondern als ein wesentlicher Gegen­

stand für die Arbeit der Darsteller. DieFragen

können in beliebiger Reihenfolge gestellt wer­

den, dem Zufall folgend oder gezielt (aus dem

Gedächtnis oder entsprechend der Vorlage), je

nachdem wie die Schauspieler meinen, am

besten mit dem Stück umzugehen.

Die Darsteller können die gleiche

Frage mehrmals stellen. Sie können sie umfor­

mulieren, und es ist an ihnen, während der Per­

formance auch ganz neue Fragen zu erfinden.

Der Text gibt keine Antworten vor­

sie müssen von den Darstellern improvisiert wer­

den. Wie sie- in Echtzeit darum ringen; ist ein

wesentlicher Teil des Stückes. Dennoch gibt es

ein paar Richtlinien dafür, welche Art von Ant­

worten in dem Stück funktionieren - ebenso für

die Strategien, die von den Fragenden und

Befragten verwendet werden können, insofern

sie das wollen. Die Rolle des Fragestellers und

Befragten wechselt während des Stückes vermit­

tels einer einfachen Formel.

( ... ) Grundsätzlich kann .man sagen,

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 22

daß sich der Text der Fragen von QUIZOOLA! Für

eine Performance von beliebiger Dauer eignet,

für jeden Schauplatz und eine freie Anzahl von

Darstellern.

Der Text QUIZOOLA! wurde von Tim

Etchells geschrieben, dem Autor und künstleri­

schen Leiter von Forced Entertainment. einer

Gruppe von Künstlern aus Sh'effield, UK. Die

Gruppe arbeitet seit 1984 zusammen, um ein

Theater und mit ihm verwandte Projekte in

anderen Kunstformen (Performance, Installation,

digitale Medien und, seit neuestem, Film) ent­

sprechend ihren eigenen Vorstellungen zu ver­

wirklichen.

( ... ) Ihr langfristiges Engagement gilt

nicht besonderen formalen Strategien, vielmehr

zielt es auf eine provozierende und herausfor­

dernde Form von Kunst" sie gilt einer Arbeit,

. die Fragen stellt, Risiken eingeht und Träume

nährt.

( ... ) Obwohl QUIZOOLA! Auf ziemlich

konventionelle Art geschrieben wurde (von

einem einzelnen Autor an einem Computer),

schuldet es jenem kreativen Gruppenprozeß von

Forced Entertainment großen Dank, in dem und

durch den die meisten Texte von Tim Etchells

entstanden sind. Das Fehlen jeglicher schriftc

Iichen Antwort auf die Fragen des Stückes und

der tatsächliche Verzicht auf eine festgelegte

Reihenfolge oder zeitliche Struktur entstand

ursprünglich aus dem Vertrauen und der ver­

ständnisvollen Atmosphäre innerhalb des Ensem­

bles von Forced Entertainment, in dem Improvi­

sation und Strukturen mit veränderlichen Regeln

oft Mittel zu einem kreativen Zweck waren.

Zudem kann man sagen, daß die Besessenheit,

mit der auf der Bühne Fragen gestellt und

beantwortet werden, di.e Arbeit von Forced En­

tertainment seit langem prägt. Daß sie auch in

QUIZOOLA! zutage tritt, zeugt davon, daß sie Teil

einer weitreichenden und anhaltenden Erkun­

dung ist. in der unsere Gruppe sich noch immer

befindet.

Weiter führt Tim Etchells fort: .. Das

Gelingen von QUIZOOLA! hängt davon ab, ob

sich bei der Aufführung eine gewisse Mehrdeu-

Page 25: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

tigkeit einstellt- ist es eine Performance, ein

Verhör oder ein privates Spiel zwischen zwei Lie­

benden? Wenn es aufseitendes Befragten zu

wirklicher Erschöpfung oder Panik kommt, wenn

es ihm wirklich peinlich wird, oder wenn der

Fragesteller tatsächlich wütend zu sein scheint,

interessiert oder beinah verzweifelt, dann, sagt

mein Gefühl, sind wir dem Kern des Stückes

nähergekommen.

· Im Hinblick auf die Performance

erfordert das etwas ganz Außerordentliches -

die Fähigkeit, man selbst zu sein, sich zu ent­

blößen, menschlich und vertraulich zu bleiben,

jedoch .zur selben Zeit die Performance nicht zu

vergessen; strategisch zu denken und, trotz all

der .Ehrlichkeit', auf eine ganz essentielle Weise

Schauspieler zu bleiben.

Die einzige Regel (wenn man bei all

dem überhaupfRegeln aufstellen kann), dürfte

sein, daß, sobald die Sache irgendwie stabil oder

entschieden wirkt, etwas mißlungen ist."

Tim Etchelfs 1997

Anmerkung:

Beim erstmaligen Lesen von OUIZOO­

LA! bekam ich einen reinigenden LachanfalL

Die Unmöglichkeit, die Antworten

schriftlich zu fixieren, beinhaltet einen Teil

unserer Weit, und insofern· sehe ich QUIZOOLA!

als einen Knotenpunkt im heutigen Stückange­

bot ..... der. Text zwingt uns, Antworten zu geben

-zu antworten und an das Beantwortbare der

Fragen zu glauben" (Oberender).

Durch diesen Vorgang, dass ein Teil

des Textes rein dem Gedächtnis überlassen ist

(Zumthor) und die Fragen in .. Echtzeit" beant­

wortet werden, spielt er enorm mit unserer Orac·

lität.

Anmerkung:

Jemand, der die Performance gesehen

hatte, erzählte mir: Nach kurzer Zeit, wußte er,

wie das Spiel ging, und es wurde uninteressant.

Er fing an, ein geistiges Interesse an den Ant­

worten zu entwickeln. Über den Spaß an den

Antworten steigert sich das Interesse an der Per­

son, den Personen, wie sie "ES" taten, wer sie sein könnten/wenn si~ zusein vorgaben. Es ent-.

stand ein Distanzverlust für ihn und die übliche

kontemplative Geborgenheit ging verloren.

Petra Thöring

DRAMATURG 1{2 99 l Seite 23

Forum Junge Dramaturgie

Seit Januar 1997 gibt es innerhalb der

Dramaturgischen Gesellschaft das Forum junge

Dramaturgie. Die Idee war, einen Gesprächsraum

zu schaffen, der jungen Dramaturgen und ande­

ren Interessierten die Gelegenheit bietet, jenseits

von pragmatischen Entscheidungen des Theater­

. betriebs neue Stücke zu lesen und diese gemein-

sam mit den Autoren zu diskutieren. Inzwischen

kommen Verlags- und Schauspieldramaturgen,

Regisseure und Studierende aus ganz Deutsch­

land, Österreich und der Schweiz zu den

Gesprächen, die alle acht Wochen stattfinden

(Termine kann man erfragen unter 0171/803 87

08). Die Auswahl eines Autors bzw. eines Stücks

folgt dem Vorschlag eines Forumsmitglieds. Ein­

ziges Kriterium ist dabei das eigene Interesse für

einen Text und die Bereitschaft, diesen in der

Diskussion als .. Pate" zu vertreten. Offenheit für

erste, experimentelle oder schwierige Stücke ist

dabei ausdrücklich erwünscht. Folgende Auto~ rinnen und Autoren waren bisher eingeladen:

Martin Baucks, Klaus Chatten, Werner Fritsch,

Katharina Gericke, Jens Groß, Lutz Hübner,

Christoph Klimke, Jörg-Michael Koerbl, Anna

Momber, Albert Ostermaier, Arm in Petras, Robert

Schimmelpfennig, Sirnone Schneider, Ulrich

Zieger.

Auf der Jahrestagung der Dramatur­

gischen Gesellschaft in Basel 1998 stellten wir

darüber hinaus Stücke von Wolfgang-Maria

Bauer, Katharina Gericke und Tim Staffel vor.

1999 entschieden wir uns für Werke von John

von Düffel, Uwe GösseL und - erstmals eines

nicht-deutschsprachigen Autors -Tom Etchells.

Wir werden die Texte nach unserem

bisherigen Diskussionsverfahren in zwei Etappen

besprechen: am ersten Tag ohne die Autoren, am

zweiten in ihrem Beisein (eine endgültige Zusage

von Etchells steht noch aus). Eine kurze Ein­

führung in die Arbeit des Forums, die Vorstel­

lung der Autoren sowie voraussichtlich Lesungen

aus den Stücken werden den Workshops voran­

gestellt.

Page 26: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

Foto Christoph Otto

4: u LEG 0 LAND» von Dirk Dobbrow

Sie sind bunt. vielseitig verwendbar

und ewig haltbar: Legosteine - multifunktiona­

les Werkzeug kindlicher Phantasie. Nahezu alles

läßt sich aus den bunten Quadern bauen. Häu­

ser, Autos, Flygzeuge, ganze Städte mit Men­

schen und Tieren. Sie sind der Inbegriff einer

harmonischen und glücklichen Kindheit. Was

aber, wenn das Legalandidyll sich verflüchtigt

und der schmerzvollen Realität einer betongrau­

en Plattenbauhochhaussiedlung weichen muß?

Blitzartig richtet Dobbrow den Fokus auf die

Bewohner eines ganz gewöhnlichen Hochhauses

irgendwo in einer Siedlung am Rande der Stadt,

die vor allem eines verbindet: der Gedanke an

ein schmerzfreies Leben nach dem Tod:

Jenny und Gerd, Vollwaisen, leben

zusammen in der elterlichen Wohnung. Die Mut­

ter starb an einem Hirntumor, dem Vater hat ·

Gerd noch die Augen zudrücken müsssen.

Bibo, Jennys Sandkastenfreund,

möchte Hirnchirurg werden. Verzweifelt klam­

mert er sich an den Gedanken, das Böse durch

Herausschneiden besiegen zu können.

Ronnie lebt mit seiner pflegebedürfti­

gen, venenkranken Mutter zusammen. Sein Vater

will nichts mehr von ihm wissen. Verzweifelt

bemüht er sich um Liebe und Anerkennung von

Suse und Gerd, die i.hn jedoch .links liegen lassen.

Rieke, Tochter eines gekrümmten

Bankangestellten, der seine Freizeit mit einem

Kollegen in der Kneipe verbringt; ihre Mutter

flüchtet sich für sie unerreichbar in eine spiritu­

elle Scheinwelt.

Paul, ein Schlägertyp, wurde von sei­

nem Vater, Micha, einfach vergessen; kämpft.

sich um das letzte bißchen Liebe. Jetzt möchte

er nichts mehr von seinem Vater wissen, der

einst als begnadeter Bauingenieur zusammen

mit seinem Kollegen Hilmar ganze Städte wach­

sen ließ und heute im Keller des Hauses vege­

tiert. Micha hat sich vor Jahren um den Verstand

gesoffen und seitdem sein Baby auf dem Gewis­

sen.

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 24

Hilmar hat mehr Glück gehabt. Duch

geschicktes Anbiedern gelingt es ilim immer

wieder, sich bei den zahlreichen alleinstehenden

Frauen im Haus einzunisten. Die Gefühle seiner

Gastgeberin interessieren ihn wenig.

«Legoland» ist die Bankrotterklärung

einer Gesellschaft, die vergessen hat, was soziale

Gerechtigkeit oder Mitmenschlichkeit bedeuten.

Im Mittelpunkt stehen keine sozialpsychologi­

schen Erklärungsversuche der Figuren, sondern

eine nüchterne Bestandsaufnahme, in der die

destruktive Kraft unserer Gesellschaft ohne jede

Sentimentalität spürbar wird.

«Wir warten auf einen Anruf. Doktor

Gott oder Doktor Teufel, der uns ruft. Wir ver­

sammeln uns in einer großen leeren Halle und

warten, daß· er erscheint. Dann verliest er das·

Urteil. Tod durch Genickschuß oder Autounfall

oder Krebs. Er verweigert uns die Therapie.»

(Suhrkamp Verlag)

Dirk Dobbrow, geboren am 6. Dezember _1966 in

Berlin, arbeitete nach dem Abitur als Zei­

tungsbote, Altenpfleger und Radiosprecher.

Er lebt als Schauspieler und Autor in Berlin.

Er schreibt Drehbücher, Hörspiele, Prosa und

Theaterstücke.

1994 und 1997 erhält er das Berliner Autoren­

stipendium

1995 erscheint sein erstes Theaterstück «Diva»,

das am 2.3. 1996 am Schauspielhaus Bochum

unter der Regie von Gil Mehmert uraufge­

führt wird, und das beim Suhrkamp-Verlag in

«Spectaculum», 62 publiziert wurde.

1999 erhielt Dirk Dobbrow den Kleist-Förderpreis

für junge Dramatiker für sein Stück «Lege­

land».

1996 «Halbwertzeitem>, wird im selben Jahr zum

Heidelberger Stückemarkt nominiert

1998 «Late Night»

1999 «Legoland»

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,.Legoland" 1. Szene

Auf dem Dach des Hochhauses. Rieke und Jenny

auf der Brüstung. Suse und Bibo schauen.

JEN NY: Springen.

RIEKE: Springen.

BIBO: Nicht.

SUSE: Blöd.

JENNY: Warum?

SUSE: Egal. Eure Sache.

RIEKE: Mir wird schwindlig;

JENNY: Hinsetzen.

BIBO: Ihr wird schwindlig.

JEN NY: Einfach nach hinten fallen lassen.

SUSE: Bescheuert.

JEN NY: Halt du dich da raus.

BIBO: Rieke.

RIEKE: Ja?

BIBO: Nichts.

RIEKE: Mir ist schlecht. Ich hätt die Würste nicht

essen sollen. JEN NY: Mit vollem Bauch stirbt es sich besser.

BIBO: Wie spät?

SUSE: Vier.

BIBO: Was jetzt?

.SUSE: Was ist mit euch?

JEN NY: Springen. ·

SUSE: Rieke. Du da unten. Brei.

RIEKE: Ich machs nicht.

JEN NY: Du hast es versprochen.

BIBO: Rieke.

RIEKE: Jaß BIBO: Nichts ..

RIEKE: Was nichts? Sag was.

BIBO: Mach es nicht.

JEN NY: Du hast es versprochen.

SUSE: Eure Sache.

RIEKE: Bibo.

BIBO: Was?

RIEKE: Nichts.

SUSE: Na los.

JEN NY: Fette Sau.

SUSE: Kriegst was aufs Maul. Fliegst du ·runter.

Matsch.

JENNY: Rieke.

RIEKE: Ja?

JEN NY: Gib mir deine Hand. So und jetzt. Ein­

fach fallen lassen.

SUSE: Mach schon.

JEN NY: Fette Sau.

DRAMATURG 1{2 99 I Seite 25

SUSE:. Sag das noch mal.·

JEN NY: Fette Sau.

(Kampf. Jenny über Suse, Suses Kopf hängt über

der Brüstung.)

JEN NY: Vielleicht bist du ja die erste, die da unten

auf das Pflaster schlägt. Da, schau dir das mal

an. Das da. Das ist die Stadt. Ist das nicht

herrlich. Genieß doch mal die schöne Aussicht.

Von allen Seiten grinsen die Hoch.häuser dich

an. Und Parkplätze hats auch genug. Unter­

irdisch. Da parken die Papis ihre Toyotas.

SUSE: Ich bin nicht fett.

RIEKE: Von den Würsten ist mir ganz schlecht

·geworden. Jenny sagt, mit vollem Bauch

stirbt es sich besser. Ich hab zu Hause noch

mein Bett gemacht. Den Teddy auf die

Tagesdecke gesetzt. Die dreckige Wäsche in

die Maschine getan. Alles soll schön ordent­

lich sein. Alles schön ordentlich hinterlassen.

Weil die Jenny gesagt hat. heute gehts ans·

Sterben. Erst hat sie gesagt, wir werfen uns

nach der Schule vor den Zug. Aber dann hat

sie gesagt, wir fahren mit dem Fahrstuhl rauf

aufs. Hochhaus, ganz oben rauf, von da springen wir runter, das kommt geiler.

BIBO: Loslassen.

(Befreit Suse aus Jennys Umklammerung)

RIEKE: Ich muß kotzen.

JEN NY: Kotzen. Dann kriegt das unten einer ab.

Voller Schwall.

SUSE: Jenny macht einen Abgang.

JEN NY: Fettsau frißt soviel, weil sie diese

Blähungen hat. Wenn sie furzt, dann frißt

sie. Hat sie mir selber erzählt.

SUSE: Gar nicht wahr.

JEN NY: Suse war nicht immer so eine fette Suse.

Hungersuse hatte mal achtundsechzig Kilo.

Hat mir Fettsuse selber erzählt.

SUSE: Gar nicht wahr.

JEN NY: Fettsuse hat erzählt, wenn man alle Kilo

zusammenrechnet, die Hungersuse runterge­

hungert hat. kommt man bestimmt auf drei­

hundert Hun~erkilo. Und das war eine Folter

für Fettsuse, hat mir fette Suse selber erzählt.

SUSE: Jetzt flatter da runter, mach schon.

JEN NY: Würd ja gern. Aber nicht für dich.

BIBO: Rieke?

RIEKE: Ja?

BIBO. Nichts.

JEN NY: Springen.

RIEKE: Springen. (Sie verharren auf der Brüstung)

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Henning Fülle, Schauspieldrama­turg bei Kampna­gel in Hamburg, entwirft - auch polemisch über­spitzt- sein Bild vom .,Neuen Theater" am Bei­spiel von Kamp­nagel u. a. Er fragt aber auch nach den Arbeitsformen, den Strukturen, die dies Theater braucht und ent- . wickelt hat.

· Also ein Voraus­Beitrag zur Debatte "Welches Theater braucht welche Struktur" in Dresden am Freitagnach­mittag?

ES IST ZEIT! Beobachtungen und Forderungen zum neuen Theater

Von Henning Fülle ·

"Desperately seeking youngsters":

Intendanten und Dramaturgen durchkämmen

die. Infobörsen der Festivals und Kantinen nach

jungen Talenten. Junge Regisseure, junge Auto­

ren - der Einkauf von Jugend scheint derzeit das

zentrale Element der Überlebensstrategien der

Sachwalter der Kathedralen des deutschen Thea­

tersystems unter dem Druckvon Legitimations­

verlust in Zeiten defizitärer öffentlicher Haus­

halte zu sein.

Dabei ist das Theater, das neuerdings

wieder Publikum in die Häuser lockt - und kei­

neswegs nur junges Publikum -vielleicht auch

jung; vor allem aber bricht es mit Dramaturgien,

Ästhetik und Organisationsformen der Tradition

des 19. Jahrhunderts, die das deutsche The<~ter­

system bis dato immer noch fest im Griff halten.

Dessen Erneuerung ist notwendig und

längst überfällig und deshalb ist diese Entwick­

lung auch durchaus erfreulich. Doch die Mehr- ·

zahl der Akteure und Kommentatoren spricht

von einem bloßen Generationswechsel - was

aber bei genauerem Hinsehen zu kurz greift.

1. Neue Dramaturgie:

Theater als künstliche Wirklichkeit

«Flimm ist der Feind», diese drastische

ironische Parole Nicolas Stemanns, Absolvent des

Hamburger Studienganges für Theaterregie (der

von Jürgen Flimm gegründet worden war) bringt

d~s Bewußtsein des Neuanfangs auf den Punkt.

Doch wichtiger als diese Abgrenzung

und das Bestehen auf ihrer Subjektivität, mit sie

ihr Theater erfinden, ist die Bedeutung von

Wirklichkeit und Gegenwärtigkeil als dramatur­

gisches Prinzip. Sie gestalten ihre Theaterabende

DRAf0ATURG 1/2 99 I Seite 26

im Handgemenge mit ihrer kulturellen Gegen­

wart, als deren Teil. Das betrifft zunächst ihre

Themen, Fragen, Geschichten und Texte, die

zuallererst zeitgenössisch, gegenwärtig sind.

· Ob es sich nun um "Shoppen und

Ficken" dreht, um Gott als DJ, um den besoffe­

nen Bassisten, der in Israel eine Rechnung mit

dem Namen Adolf Hitlers unterschreibt, um die

Erinnerung an die 80er und 90er Jahre oder um

moderne Formen des Geschlechterkampfes- der

Bezug auf Gegenwart und Wirklichkeit ist direkt,

wenn nicht unmittelbar, und allemal wichtiger

als die Bedienung des Repertoires oder eine neue

Runde aktualisierter Interpretation der Texte des

literarischen Bildungskanons.

Anstelle der Bildungs-, Erziehungs-,

Aufklärungs- und Diskursfunktion in der Tradi­

tion des 19. Jahrhunderts will das. neue Theater

direkter Bestandteil der Lebenswirklichkeit

gegenwärtiger Zeitgenossen sein, Medium neben

anderen Medien, freilich mit den besonderen

Stärken der Live-Situation, die es von den post- .

industriellen .Medien unterscheidet, wie sie die

kulturelle Gegenwart inzwischen nahezu global

prägen. Fernsehen, Kino, ·unterhaltungsindustrie

sind nicht nur abstrakt die Konkurrenten dieses

Theaters. Vielmehr sind die jungen Künstlerinnen

und Künstler mit diesen Medien aufgewachsen,

kennen und schätzen deren "Qualitäten" und

bedienen sich ihrer als Fundus für ihre Stoffe

und Themen.

Geschichten erzählen und "Cultural

Studies" (als Untersuchung alltagskultureller

Verhältnisse, Beziehungen. und Probleme: "telling

the world", wie Knut-Ove Arntzen formuliert)

sind die beiden Hauptlinien dieserzeitgenössi­

schen Dramaturgie im Handgemenge mit gegen­

wärtiger Wirklichkeit. Dabei hat diese Dramatur-

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gie nicht nur keine Furcht vor "Unterhaltung':

Vielmehr sind sich die Jungen, gleich welchem

Schwerpunkt sie sich verschrieben haben, einig

in ihrer Ablehnung der "Langeweile", die dem

musealen, selbstreferentteilen Theater anhaftet. · Sie haben keine Wahrheit zu vermit-

. teln, die Weit zu bedeuten, politische Diskurse

zu beeinflussen oder gesellschaftliche Utopien

hochzuhalten-geschweige denn, daß sie ihre

Aufgabe darin sähen, die bewährten Kulturtra­

ditionen zu bewahren. So.ndern sie erzählen auf

dem Theater Geschichten oder gestalten Situa­

tionen, in denen es um Dinge, Verhältnisse und

Fragen ihrer Lebensweit geht, die sie besehäfti­

gen und von denen sie annehmen, daß sie

erzählens- oder zeigenswert sind.

Doch nicht nur auf der Ebene der

Themen und Stoffe wird der Bruch mit dem

19. Jahrhundert vollzogen. Auch der Thea­

terabend selbst wird als Wirklichkeit ernst

genommen und gestaltet, an welcher Wirklich­

keit darstellende Künstler wie Publikum gemein­

sam teilhaben. An die Stelle der Dramaturgie des

mimetischen lllusionstheathers, dem es darum

geh( "aus Lügen Wahrheit" zu schaffen - was freilich nur solange funktioniert, wie das Publi­

kum diese Konvention bedient- tritt ein Thea­

ter, das bewußt als künstliche Wirklichkeit

gestaltet wird und die als ~olche auch wahrge­

nommen werden will.

Schauspieler spielen eine Geschichte

für Zuschauer oder stellen eine Situation her, an der das Publikum teilhat·~ diese Grundkonstella­

tionen bleiben im neuen Theater transparent.

Nicolas Stemann läßt seine "Verschwörung" auf

Kampnagel in einer Fabrikhalle spielen, die zum

Theater geworden ist. Sie ist mit hellem Teppich­

boden ausgelegt, der um aüsgediente Maschinen

herumdrapiert ist. Der Abend erzählt den

Zuschauern, daß es heute einfach kein Personal

mehr gibt, das Schillers "Fiesco" noch verkörpern könnte: Der ausersehene ·Protagonist bleibt im

privaten "clavigohaften:· Konflikt zwischen Liebe

und Karriere stecken, dem er freilich auch am

liebst~n aus dem Wege gehen und statt Theater

lieber Fußball spielen möchte.·Den Zuschauern

wird eine selbstkritisch-ironische, äußerst unter­

haltsame Zustandsbeschreibung des Verhältnis­

ses von Drama und Wirklichkeit gezeigt, die

gleichzeitig eine Diagnose von Jugendlichkeit im

gegenwärtigen Zeitalter abgibt und an keiner

DRAMATURG 1/2 99 I Seite .27

SteiJe vorgibt; etwas anderes zu sein als ein

Theaterabend. Alle Gestaltungsmittel sind offen

und deutlich sichtbar und die Darsteller kommen

auf Strümpfen auf die Spielfläche, weil der

empfindliche Teppichboden nicht schmutzig

werden soll. Kostüme sind Kostüme, die Zeit ist:

heute abend und der Ort ist Kampnagel, eine

ehemals traditionsreiche Fabrik, in der seit fast

zwanzig Jahren Theater gespielt wird.

ln der Konzeption des Theaters als

Ort, als situativer· Raum, in· dem Geschichten

erzählt oder wirkliche künstliche Situationen

erlebt werden, besteht die Grundkonvention die­

. ser Dramaturgie, für die in zweierlei Hinsicht

Wahrnehmung die zentrale Kategorie ist: zum

einen als Wahrnehmung von Wirklichkeit durch

die Künstler (und deren Darstellung) und zum

anderen als Wahrnehmung und Selbstwahrneh­

mung des Publikums.

Das Theater als künstliche Wirklichkeit

setzt für die Künstler wie das Publikium das

Ernstnehmen der individuellen, subjektiven

Wahrnehmungen und der Gefühle, die sie

begleiten, voraus. Das vermag Kommunikation

zu stiften und folgt einem Bedürfnis nach Ori­

entierung und Selbstvergewisserung der Indivi­

duen in dem Chaos der Bilder und Zeichen, aus

der sich das, was heute Wirklichkeit heißt,

zusammensetzt. Die sich beschleunigende Aufhebung

der Grenzen von Zeit und Raum in der digitalen

Kommunikation bringt einen unaufhaltsamen

Zuwachs an bloß virtuellen Momenten von

"Wirklichkeit" mit sich. Diese Entwicklungen for­

dern den Menschen, wollen sie als Subjekte

bestehen, kollektiv und individuell ganz andere

Fähigkeiten der Orientierung ab, die über die

Verslehensformen von Kognition, kritischer

Reflexion und vielleicht noch Moral in der Tradi­

tion der aufklärerischen Moderne hinausgehen -

die den Kern des klassischen Theaters des

19. Jahrhunderts bestimmten.

Sehr drastisch - und zynisch - formu­

liert, zeigt sich mit dem "Bedeutungswandel"

von Schmerz Und Tod in der virtuellen Wirklich­

keit die elementare Notwendigkeit einer gesell­

schaftlichen Kultivierung der Wahrnehmung.

Vermutlich haben wir die "Zeichen", die uns

minderjährige Kids in hochzivilisierten Gegenden

der Weit geben, indem sie im Ausprobieren von

Tod und Töten die Unterscheidung von wirk-

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licher und virtueller Wirklichkeit .. lernen", noch

nicht wirklich verstanden.

Theater als Erlebnis- und Erfahrungs­

raum also - freilich nicht im Sinne des zu

bestaunenden Spektakulären der Special

Effecs/Events -sondern im Sinne einer Konzen­

tration der im Theaterraum versammelten Men­

schen auf sich selbst, ihre Perzeption und Selbst­

wahrnehmung. Hier kommt vielleicht sogar die

gute alte Katharsis 7 die das museale Theater ja

ohnehin schon längst nicht mehr fertigbrachte -

zu ganz neuen, ultramodernen Ehren.

Der anscheinend so pragmatische

Umgang mit dem .. Kulturgut Theater", der Bruch

·mit jenen traditionellen Funktionen, der von den.

konservativen Gralshütern (ihrer Pfründe) so

heftig bekämpft wird, ist nicht weniger als ein

Paradimenwechsel, und darin liegt die Spezifik

des neuen Theaters. So unterhaltsam es sich

auch zuweilen gebärden mag, so banal oder

beliebig es dem gewohnten Blick erscheinen

mag: neben seiner radikalen Subjektivität [und

Unschärfe, die aus der Nähe des Blickes resul­

tiert, was etwas anderes ist als Beliebigkeit)

dient dieses Theater der Entwicklung einer Kul­

tur der Wahrnehmung - und damit sehr rele­

vanten gesellschaftlichen Zwecken. Was im übri­

gen die Legitimität der öffentlichen Subven­

tionierung neu begründ!.

2. Neue Ästhetik:

Theater als Wahrnehmungskunst

Nicht länger ist die- mehr oder

weniger originelle oder aktuelle- Interpretation

des fertigen Dramas als eines mimetischen

Widerscheins von Weltbedeutungen die .. Aufga­

be" dieses Theaters. Vielmehr wird der Autor­

sofern er überhaupt noch in eigenständiger

Funktion benötigt wird- zum .. Texter" des Thea­

terabends, der immer häufiger direkt in die Ent­

stehungsprozesse der Arbeiten einbezogen ist. ' Das Londoner Royal Court, Wiege des .. new writ-

ing", ist wohl das bekannteste Beispiel. Und auch

dort, wo mehr oder weniger klassische Theater­

texte als Vorlage dienen, werden sie vor allem

als .. Texte" verwendet, die Geschichen erzählen.

Gibt es keine Textvorgabe, so wird das

darzustellende Material vor und während der

.. Proben" entwickelt- Proben, die dann nicht

DRAMATURG 1/2 99 J Seite 28

der Ausdeutung des Dramas, der Gestaltung sei­

ner Figuren und der Konkretisierung der Abläufe

dienen, sondern der Erarbeitung der Geschichte,

der Situationen des Theaterabends, seiner ästhe­

tischen Gestaltung im Sinne der Ideen und

Absichten der beteiligten Urheber und Akteure.

Das ist weit mehr als die so gern

beschworene .. lnterdisziplinariät"- oder sie ist es

dann erst wirklich. Sämtliche textlichen, darstel­

lerischen, räumlichen, optischen und akustischen

Gegebenheiten werden bewußt und planvoll im

Sinne von Idee und Konzeption des Theater­

abends entwickelt und gestaltet. Insofern leisten

die beteiligten künstlerischen Disziplinen jeweils

eigenständige künstlerische Beiträge· zur·

Gesamtkomposition.

Es geht nicht länger um die mimeti­

sche Repräsentation von Weit, die Glaubhaftma- ·

chung von .. Ort und Zeit" der Handlung und

auch nicht um die bebildernde, illustrative Stüt­

zung des Textes, sondern um die künstlerische

Komposition künstlicher Erfahrungs- und Erleb­

nisräume. Daß dabei erlaubt sein muß, was Sinn

macht, versteht sich von selbst. Und daß alle

Mittel und Instrumente, die die moderne Dar­

stellungstechnik hervorgebracht hat, auch zur

Benutzung stehen, ebenfalls: Ob es sich nun um

die opto-akustischen Projektionstechnologien

Dia, Film, Video, Magnetband, Vfnylplatte, CD,

MD oder den Speicher des Computers handelt,

ob analog oder digital, ob live, ob vorproduziert,

ob gesampelt oder aus Natu.rtönen. Es gibt keine

Verbote und kaum Regeln - außer denen der

Feuerpolizei, der Bauaufsicht und der Berufsge­

nossenschaft.

Und die Schauspieler? Sie werden zu

Darstellern und Co-Autoren, die ihre eigenen

Erfahrungen in die Darstellung einbringen, die

sowohl als Kunst-Figuren als auch als Personen

präsent sein müssen. Dadurch, daß Echtzeit und

Realreum des Theaterabends für alle Beteiligten

transparent und verbindlich bleiben, daß eben

die Konvention der mimetischen Fälschung nicht

vorausgesetzt ist, muß die künstliche Wirklich­

keit des Theaterabends selbst das Interesse und

die Aufmerksamtkeil des Publikums finden und

erhalten.

Dieses nicht-mimetische Theater als

Wahrnehmungskunst stellt andere ästhetische

Anforderungen an den Theaterabend und seine

Akteure im Spiel- wie im Publikumsraum. Die

Page 31: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

planvoll gestaltete, künstlich hergestellte und·

auf Reproduzierbarkeil angelegte Wahrneh­

mungssituation als Erfahrungsraum wird zum

.. Zweck der Übung': Das reicht inzwischen bis hin

zu Wahrnehmungsangeboten an Geruchs- und

Geschmacksinne: zum Kochen und Verpflegen

des Publikums als Bestandteil des Theaterabends,

zum persönlichen, körperlichen Kontakt zwi­

schen Akteuren und Publikum.

Für die Rezeption geht es kaum noch

um das möglichst identische "Verstehen des

Gemeinten", die EntschlüsseJung von Symbolen

und Bedeutungen, die Beurteilung von Interpre­

tation und Behauptungen des Regisseurs oder

das Bestaunen von Kunstfertigkeit und Virtuo­

sität der beteiligten Künstler, sondern um das

Ernstnehmen des Wahrgenommenen und der

eigenen Reaktionen, Empfindungen, Gedanken

und Erfahrungen - ein Zuschauerverhalten, das

ebenfalls mit den traditionellen Konventionen

bricht und gewöhnungsbedürftig ist.

Diese Konzeption des Theaterabends

als sinnlicher, ästhetisch~r Erfahrungsraum im

weitesten Sinne kennzeichnet gleichzeitig auch

eine spezifische Differenz des Theaters gegenü­

ber den Wahrnehmungsweisen von Kino und

Fernsehen (und dem Theater, das.ebenso funke

tionieren möchte, wie diese). Eine Differenz, die

weit prägnanter ist, als das bloße Bestehen auf

der .. Live"Situation" (so wichtig diese ist) des

Theaters, das von den konservativen Verteidigern

. als letzte Bastion im Kampf mit den kommerziel­

len Medien immer hilfloser ins Feld geführt wird

- auf dem das Theater im übrigen längst verlo­

ren hat:

3. Neue Arbeitsformen:

Das Projekt

Die ideale Form, in der das neue

Theater entsteht, ist das Projekt: das zeitlich

begrenzte Zusammenwirken von Künstlerinnen·

und Künstlern der Darstellung mit allen beteilig­

ten Disziplinen und Gewerken.

Die Erfindung von Sprache und Text,

von Bildern, Handlung, zur Gestaltung von Räu­

men durch Architektur, Licht und Ausstattung,

die Gestaltung von Soundtracks, körperlicher

Aktion und Interaktion und ihre Komposition

zum Kunstwerk des Theaterabends bedarf ande-

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 29

rer Strukturen als der manufaktureilen oder

fabrikmäßigen Arbeitsteiligkeit der Abteilungs­

organisation der traditionellen Häuser. Es bedarf

intensiver Kommunikation und Verständigung,

geschützter Räume, und es bedarf vor allem Zeit

in anderen Maßen und anderer Organisations­

weise, als sie in herkömmlichen Probenprozessen

der Ensemble- und Repertoire-Betriebe zur Ver­

fügung steht.

Dieses Theater entsteht in mehr oder

weniger arbeitsteiligen Teams. ohne oder mit

eher flachen Hierarchien. Die Künstlerinnen und

Künstler, die Regie, Dramaturgie, Bühnenbild,

Ausstattung, Kostüme, Maske, Licht und Ton ver­

treten, müssen untereinander Beziehungen

ästhetischen Grundvertrauens entwickeln und

gemeinsam die Gesamtkonzeption und das

Gesamtkunstwerk gestalten und vertreten.

Zu mal die Darsteller sind nicht länger nur als

hochqualifizierte, "Sprecher" oder handwerklich

virtuose "Schau-Spieler" gefordert, die ihre

Fähigkeiten in den Dienst der Bebilderung einer

Interpretation von Text und Drama stellen. Viel­

mehr sind sie mit ihrem Wissen und ihren Erfah­

rungen über die Gegenstände, um die es geht,

direkt an der Gestaltung der künstlichen Wirk­

lichkeit beteiligt.

in Häusern wie Kampnagel in Harn­

burg, dem Berliner Hebbel-Theater, dem TAT und

· dem Mausanturm in Frankfurt, dem Marstall in

München, die ohne Ensemble im Block- oder en­

suite-Spielbetrieb arbeiten und mit schlanken

Apparaten im wesentlichen die Infrastruktur für

Produktion und Vorstellungen vorhalten, haben

sich diese Organisationsformen entwickelt. Von

jeher auf projektmäßige Produktionsformen

orientiert, haben sich hier personell und orga­

nisatorisch Infrastrukturen gebildet, die die

Arbeitsweisen der jungen Neuerer nicht nur

fördern, sondern geradezu fordern. in relativer

Autonomie gegenüber den Leitungen der Häuser,

in einem Beratungs- und Dienstleistungsverhält­

nis, dessen ·Intensität von sich bildendem Ver­

trauen bestimmt wird, können die Künstlerkol­

lektive, -teams oder -großfamilien hier ihre

Arbeit tun und nutzen bei der technisch-organi­

satorischen Realisierung, Publikation und Kom­

munikation mit der Öffentlichkeit die schlanken

und hochprofessionellen Apparate dieser Häuser.

Page 32: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

FRUCHTBAR IST NUR DAS UNBEKANNTE Uberlegungen zum neuen Musiktheater Von Gerhard R. Koch

"Braucht das Musiktheater

neue Stücke?", . heißt das Debat­ten-Thema der

Dresdner Tagung am Sonnabend­vormittag. Der

auf diesen S~iten gedruckte tour

d'horizont durch

die neuen Musiktheater­

Werke der letzten

dreißig Jahre wird hier als Aus­

gangsmaterial gedruckt (es han­

delt sich um den

gekürzten Abdruck eines

Vortrages, der deninächst vom Frankfurter

Patronatsverein für die Städti­schen Bühnen e.V. veröffentlicht

wird). Der Autor Gerhard R.

Koch nimmt an

der Debatte teil.

Eine Vorbemerkung muß ich machen:. ner Provenienz, erhaben oder trivialeren literari-

Meine Darstellung greift zwar auf die letzten sehen Ranges. Dieses Libretto wird vertont. Auf

dreißig Jahre zurück, auf Impulse, die damals der Bühne wird gesungen und agiert, das Drehe-

angelegt und angeregt worden sind, und die ster "begleitet" im· Graben. Regie und Bühnen-

zum Teil heute erst zum Tragen kommen. Trotz­

dem werde ich keineswegs streng chronologisch

vorgehen, eher exemplarischen Motiv-Strängen

folgen. Ebensowenig beanspruche ich lexikali­

sche Vollständigkeit. Zudem sind meine Sicht

und Auswahl natürlich subjektiv: Andere werden

andere Entwicklungszüge sehen, andere Akzente

setzen, andere Vorlieben und womöglich Ab­

neigungen haben.

Die Veränderungen des Musiktheaters

gingen nicht nur.von den neuen Werken aus,

sondern die gesamte Situation der Oper hat

daran mitgewirkt. Gattung und Institution sind

nicht mehr dieselben wie vor vierzig Jahren.

Auch die gesellschaftlichen, also letztlich sogar

die politischen, zumindest die kulturpolitischen

Rahmenbedingungen - etwa manche Bildungsc

voraussetzungenund Zeitgeist-Schübe- haben

sich verlagert. Ebendies fängt schon mit dem·

Gattungsbegriff an: Bezeichnungen sind ja nicht

nur leere Worte, sondern gewinnen manchmal

eine Realität sui generis- der pure Name wird

zum Credo. Wer unbekümmert nur von "Oper"

spricht, "outet" sich quasi als konservativer Kuli­

nariker; während der Anhänger des "Musikthea­

ters" eben dadurch ein progressiv kritisches Kul­

turverständnis dokumentiert.

Schon das Wort Musiktheater evoziert

etwas von den Grundspannungen, die vor vier-

. hundert Jahren, bei der "Erfindung" der Oper,

auftraten, dem "dramma in musica", jener bis

heute rätselhaft verlockenden Mixtur aus dra­

matischer Situation und Darstellung, Sprache;

Instrumentalmusik, Gesang, Tanz und Bildenden

Künsten. "Oper" läßt da ein viel planeres Phäno­

men assoziieren:

Am Anfang steht ein mehr oder min­

der bekanntes Sujet, ein Text fremder oder eige-

DRAMATURG 1/2 99 f Seite 30

bild haben die Aufgabe, dramaturgische Struktur

und musikalische Spezifika möglichst authen­

tisch, also dienend, optisch umzusetzen.

Doch das lineare Erzähltheater hat

schon lange nicht mehr uneingeschränkte Gül­

tigkeit. die Komponisten suchen nicht unbedingt

Texte, an denen sich entlang komponieren läßt­

und die lnszenatoren bieten Bildweiten, diealles

andere als eine gar geläufige "Handlung" illu­

strieren. Die ästhetischen Teilbereiche verselbst­

ändigen sich, der Begriff des Gesamtkunstwerks

gewinnt ganz neue Bedeutung, dies zumindest

im Hinblick auf die jeweils avanciertesten Ten­

denzen. Doch daß die gute, alte Oper tot, gar

mausetot ist, läßt sich gar so eindeutig nun

auch wieder nicht sagen. Das nahezu permanen­

te Kräftegeschiebe zwischen immer noch eher

traditione.llen Strukturen und radikalen lnnova-

. tionen gehört zur Schubkraft des Musiktheaters

seit jeher.

Henzes Dreischritt:

von Repräsentation über Revolution

zu ästhetischer Restauration

Unter diesem Aspekt ist die nach wie

vor vermutlich paradigmatische Erscheinung

Hans Werner Henze, bei dem Revolution und

Restauration mitunter geradezu vexierbildmäßig

ineinander verschränkt wirken. Er selbst hat

seine monumentalen "Bassariden" von 1966 zur

dialektischen Wendemarke erklärt. Das antik­

mythologische Sujet, die Gattung der ausladen­

den Choroper, die Uraufführun"g bei den

prestigeträchtigen Salzburger Festspielen:

Pompöser konnte eine Grand OpEra des zwan­

zigsten Jahrhunderts kaum mehr zelebriert wer­

den. Zum anderen aber hat er dem Monsterwerk

Page 33: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

Gerhard R. Koch,

geboren 1939

in Bann - nach Kindheit in Süd­

deutschland ab

1952 in Frankfurt a.M. - frühzei­

tiges Interesse an Musik und Thea­ter, an Klavier­spiel, Kammer­musik und Lied­begleitung.­

Studium der · Germanistik,

Geschichte, Musikwissen­schaft, Philoso­phie und Sozio­

logie (hauptsächc

lieh bei Adorno, dem er viel ver­dankt) -seit 1960 musikkriti­

sche Beiträge in

der FAZ - sefi 1964 Mitarbeiter, .

seit 1976 Musik­

redakteur der FAZ

- 1999 Johann­Heinrich-Merck­

Preis für Essay­

istik, verliehen durch die Deut­

sche Akademie

für Sprache und Dichtung

ein Motto Gottfried Senns vorangestellt: "Die ·

Mythe log". Also genau das, wofür die große Oper

als Haupt- und Staatsaktion stand, wurde als

fundamental falsch denunziert. Henze, im Zenith

seines Ruhms als bürgerlicher Künstler, entdeckte

nicht nur die Fragwürdigkeit von Kunst als veran­

staltetem schönen Schein, sondern rief 1967 zum

Gegenangriff auf: "Notwendig sind nicht neue

Museen, Opernhäuser und Uraufführungen. Not­

wendig ist, die Verwirklchung der Träume in

Angriff zu nehmen. Notwendig ist die große.

Abschaffung der Herrschaft des Menschen über

den Menschen, und das heißt: Notwendig ist die

Schaffung des größten Kunstwerks der Mensch­

heit: die Weltrevolutiori."

Seitdem galt Henze allenthalben als

dezidiert linker Künstler und als Gallionsfigur

einer stets politisch zu verstehenden Ästhetik,

eben der Achtundsechziger-Zeit. Frappierend an

Henzes Entwicklung war aber noch etwas ande­

res: Häufig hatte er die angeblich offizielle und

dogmatische Avantgarde, für die musikalisch in

erster Linier der Name Darmstadt stand, als

letztlich genuin spätbürgerlich attackiert. Doch

nun, mit der neuen politischen Stoßrichtung,

· verjüngte sich auch seine künstlerische Praxis im

Zeichen oft regelrechten Anti-Opern-Affekts, ja

des Affronts gegen die paradigmatische bürger­

liche Gattung.

So hat Henze damals mehrfach auf

eine Praxis zurückgegriffen, die charakteristisch

für ganz entgegengesetzt operierende Komponi­

sten wie John Cage, Mauricio Kagel und Dieter

Schnebel, auch Hans-Joachim Hespos war: das.

"Instrumentale Theater"- kammermusikalischer

Aktionismus, der szenische Eigenständigkeil

gewinnt, mitunter in sogar berserkerhafte Wild­

heit führt Linker politischer Protest artikulierte

sich rabiat, wie man es dem fsthetiziste~ Henze

kaum je zugetraut hätte. "Versuch über Schwei­

ne", "EI Cimarroh" und "Der langwierige Weg in

die Wohnung der Natascha Ungeheuer" waren

1968 "71 die oft wörtlich schreienden, auch free

jazz-haft kreischenden Ha~ptwerke musikali­

scher Agitation und Aggression. Mit "Oper", als

deren zeitgenössischer Meister er gefeiert wor­

den war, wollte Henze nichts mehr zu tun

haben. Zusätzlich träumte er von einer musica

impura, einer Musik, in die Unteres und Fremdes

Eingang fanden, einer Ästhetik des Heterogenen,

ja Disparat,n, auch des, heute würde man sagen:

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 31

Multikulturellen. Ausgehend von der marxisti­

schen These, daß die herrschende Kultur eben

die Kultur der Herrschenden, der herrschenden

Klasse sei, griff er auf Instrumente und Idiome

der Popular- ja Trivialmusik, auch des Exotismus

zurück. Und erst recht wider irrationalen Opern­

Kulinarismus gerichtet war die an sich simple

Strategie, in der Revue- La Cubana" das bunt­

scheckige lntrumentarium auf der Bühne zu

postieren, es gleichsam auch optisch mitspielen

zu lassen.

Gebündelt wurden diese Tendenzen in

den gemeinsam mit dem englischen Dramatiker

Edwerd Bond geschaffenen actions for music

"We come to the River" um einen den Herr­

schenden abtrünnigen General: Die Bühne ist

dreigeteilt, sowohl für die Akteure wie für die

Instrumental-Gruppen. Und mit der schier natu­

ralistischen Drastik der Gewalt-Darstellung

nimmt analog der demonstrative Charakter der .

theatralischen Veranstaltung zu. Henzes hochbe­

deutsamen "River", 1976 in London uraufge­

führt, sahen viele in einer Linie mit "Wozzeck"

und "Soldaten': Daß das Werk nicht die Reper­

toire-Fortune hatte, die ihm zukam, lag auch an

den politischen 'Veränderungen: Radikal enga­

gierte Kunst war in den achtziger Jahren nicht

mehr so en vogue. Henze hat sich denn auch ein ·

wenig aus dieser Sphäre zurückgezogen, aufs

instrumental-theatralische, Gedanken-Konzert

(in "EI Rey de Harlem" nach Lorca und "Le

Miracle de Ia Rose" nach Genet). Und in der gif­

tigen Edward-Bond-Komödie "The English Cat"

wurde wieder Libretto "vertont", das Orchester

in den Graben verbannt. Thematisch schroffer,

musikalisch furioser geriet dann wieder die sex

and crime-Oper "Das Verratene Meer" nach Mis­

hima. Doch Henzes vermutlich letzte Oper

"Venus und Adonis" arrondiert wieder vollends

die historische Gattung wie Henzes Oeuvre:

mythische·s Sujet, Künstler-Tragik, barocke Alle­

gorie, Theater auf dem Theater, Musik über

Musik- ein hochgezüchtet-resignatives Arka­

dien. Wie kaum ein anderer Künstler hat Henze

eine Art dialektischen Dreischritt vollzogen:

Repräsentation, Revolution, ästhetische Restau­

ration. Ihn darob zu schelten, daß er als Kompo­

nist auf die Zeitläufe reagierte, daß seinem

Überschwang die Ernüchterung nicht erspart

blieb, wäre infam. Zumindest hat er wie kein

. anderer den Schein-Charakter der Oper kulti-

Page 34: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

viert, denunziert, neuartig konstruiert, abermals

zerschlagen und schließlich versucht, ihn doch

noch zu retten.

Stockhausens "Gesamtkunstwerk"

Der andere überragende deutsche

Komponist der Nachkriegszeit, Karlheinz Stock­

hausen, hat sich nie als Mann der Oper verstan­

den - und auch nicht, wie Henze, als Arbeiter

am Brückenschlag zwischen Tradition und

Moderne, Kunst und Politik. Für ihn war Kompo­

nieren stets ein charismatisch-demiurgischer

Akt, Avantgarde an sich: Allemal sah er sich

selbst als Ersten, als gottgleichen creator mundi

nach ganz eigenem Gusto. An überkommenen

Gattungen sich abzuarbeiten, wäre nicht in sei­

nem Sinn. Wagner etwa kann er, allerdings

höchst bezeichnenderweise, gar nicht leiden.

Henze berichtete, er sei ein einziges

Mal mit Stockhausen zusammengewesen, in den

fünfziger Jahren: Vom Kahlenberg hätten sie auf

das nächtliche Wiener Lichtermeer herabge­

schaut- und Stockhausen habe den Wunsch

geäußert, .. dies alles" mit seiner elektronischen

Musik in die Luft zu sprengen: Ästhetik als kos­

mischer blow up.

Analog sind Stockhausens musikali­

sche Explorationen oft genug auch mit optisch­

szenischen Aspekten gekoppelt. Seine .,Originale"

zählen heute noch zu den Haupt-NHappenings"

der Fluxus-Ästhetik. Und immer wieder, etwa in

der .. lnori" oder .,Trans", hat er minutiöse thea­

tralische Anforderungen gestellt, aufs durch­

determinierte .,Gesamtkunstwerk" gezielt. Und

obwohl er den Zusammenhang mit Wagners

.,Ring" hartnäckig bestreitet. okkupiert ihn die

Idee eines mythologisch überwölbenden

Menschheits-Erlösungs-Werk schon lange: Seit

1977 arbeitet er an seinem Hauptwerk, dem aus

sieben ..Tagen" bestehenden Zyklus .,Licht", eben

seiner .. Heptalogie", Ob man dies nun als Oper

klassifiziert oder nicht, tut wenig zur Sache.

Doch daß da eine Verbindung von zum großen

Teil unerhört inspirierter, oft elektronischer

Musik - auf der Basis einer übergreifende Ein­

heit stiftenden .,Superformel" - , Gesang, Aktion

und Bühne entsteht, ist so unzweifelhaft wie

Stockhausens monomane Ein-Mann-Autorschaft

als Ideen-Generator, Texthersteller, Komponist,

·Dirigent, Klangregisseur und lnszenator.

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 32

Dabei geht es ihm um nichts Geringe-

. res als eine, wenn nicht .,die" Heilsgeschichte. Ihr

.,Held" ist Michael, der Musiker. Stockhausens

Sohn Markus, der fabulöse Trompeter. ln .. Don-.

nerstag" wird er als Messias geprüft, am .. Diens­

tag" schlägt er die apokalyptische Entschei­

dungsschlacht wider Luzifer- und am "Sonntag"

soll er wohl eine befriedet-erlöste Menschheit

ins Elysium blasen. Und seine Partnerin ist

natürlich die schöne wie -typisch weiblich -

verführbare Eva, die sogar einen farbigen kosmi­

schen .,Bastard" gebiert. Das Finale wird womög­

lich erst 2002 in Bann sein.

.. Halb Gott, halb Trottel" meinte Mah­

l er über Bruckner. Doch auch Stockhausen

macht es seinen Bewunderern schwer: Geniale

musikalische Elemente und textlich-szenisch oft

albern-infantiler do it yourself-Mystizismus las­

sen sich schwer voneinander trennen. Doch die

bisherigen Teilaufführungen in Mailand, Leipzig

und München haben stets wieder neugierig auf

dieses musiktheatralische .,work in progress"

gemacht.

Zum dritten: Daß es der Musik des

überaus verehrungswürdigen Oliver Messiaen an

Farbe und Sinnlichkeit gefehlt habe, kann man

nun wirklich nicht sagen; doch erst als fast Sieb­

zigjähriger hat er sich von Ralf Liebermann

überreden lassen, ein Werk für die Pariser Oper

zu schreiben, allerdings nicht gerade ein sex­

and-crime-sujet, sondern ein über die Maßen

heilighaftes: ."Franz von Assisi" -also eine

Legende. Die Gattung hat etwas dezidiert

Antitheatralisches, und dazu gehört auch - Pro­

blem der gesamten Musiktheater-Moderne ~ der

Verzicht auf dramatische Interaktion, folglich·

auch auf das Mit- und das Gegeneinandersin­

gen. ln der Tat ist Messiaens .,Saint Francais

d'Assise" mehr Oratorium als Oper, aber als

Summa dieses unerhört vielschichtigen Kompo­

nierens auf der Basis von Katholizität, Serialis­

mus und .. Weltmusik" in Gestalt aller möglichen

Exotismen und Beschwörung von Vogelstimmen

aus allen Erdteilen tief bewegend.

Aleatorik, streng strukturiert:

John Cage

Als Messiaen gefragt wurde, was er

denn von der Aleatorik halte, da antwortete er

lapidar: er sei Katholik, glaube demnach nicht an

Page 35: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

den Zufall. Insofern war es alles andere als

Zufall, daß 1987, vier Jahre nach der Pariser

Messiaen-Premiere, in Frankfurt ebenfalls das

Musiktheater-Werk eines Komponisten kreiert

wurde, den man ganz und gar nicht mit .. Oper"

assoziierte- und der überdies Hauptexponent

eben der Aleatorik, .der .,Unbestimmtheits-Ästhe­

tik" ist: John Cage.

Cage steht für eine sehr amerikanie

sehe gewaltferne Sonderform von Anarchie nach

dem Motto: .. The best form oft government is

no government at all." Folgljch lautete sein

Kunst-Credo . .,Jeder sollte das Recht haben, so

wenig wie möglich beeinflußt zu sein." Politi­

sches und ästhetisches Programm hängen

zusammen, und unverkennbar ist die Absage an

den europäischen Traditions-Kult. inklusive nicht

zuletzt vier Jahrhunderten Oper.

Zum Begriff des Schöpferischen

gehört das Konstruktive, nicht das Destruktive.

Gleichwohl ist da.s .. Destruktive" ein zentrales

Moment der Moderne, vor allem· in den ver­

schiedenen Formen von Montage-Kunst. Im

modernen Künstler steckt denn auch nicht sel­

ten Einiges vom guten alten Doktor Franken­

stein, der aus Leichenteilen einen neuen Men­

schen .. kreiiert". Genau dies war der Ansatz für

Cages .. Europeras': Der Titel verweist doppelsin­

nig nicht nur auf genuin europäischeTradition,

sondern kann phonetisch auch als .. your operas",

Eure Opern,: verstanden werden: als konzeptio­

nalistisches Kunstwerk, das erst im Kopf des

Rezipienten entsteht, (s)einen möglichen Sinn

erhält. So hat Cage, ein wahrer Kunst-Leichenf­

ledderer, den Fundus des Opernrepertoires

geplündert, das Material gleichsam gehäckselt

und in neue, scheinbar lebendig-vertraute

Gestalten umgemodelt. So hat er mit Zufalls-,

I Ging- und Computermanipulationen aus

Gesangs- wie Orchesterstimmen von Gluck bis

Puccini oft völlig unkenntliches Spiel- und Sing­

Material gewonnen - gleichzeitig aber aus der

Personalstaffage vertraute Figuren, Situationen

und Posen, allerdings völlig absurd gemixt. Als

Musiktheater-Gesamtkunstwerk entstand ein

Vexierbild, in dem man allenthalben Zusammen­

hänge sah und hörte, die es so zumindest gar

nicht gab, nicht geben konnte. Die Irritation war

produktiv: Totales Chaos klang frappierend plan­

voll, das Ohr ergänzte völlig Zufälliges zu .. hits",

und die ganze Absurdität des Opern(un)wesens

DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 33

erschien als perfektes Mobile- und war doch in

der Gleichberechtigung der Momente gleichwohl

seltsam streng strukturiert.

Der Traditionsleugner Cage hatte Oper

über Oper geliefert; als Vorbilder empfand man

Henri Pousseurs variables Spiel nach einer Vorla­

ge des .,nouvel roman" -Autors Michel Butor

.,Votre Faust" von 1968, bei dem das Publikum

per Abstimmung in den Handlungsverlauf ein­

greift, und Kagels Hamburgisches .,Staatsthea­

ter", in dem er 1971 Größt-Gattung und Institu­

tion Oper und Opernhaus aufs Korn nahm und

schnöde karikierend durch den Kakao zog. Alle

möglichen Versatzstücke hat Kagel da zu eineni

absurd-makabren, grotesk-komischen Reigen

aufgefädelt, sich als Hexenmeister in der Kunst

des Kompanierens auch mit .. ni.chttönenden"

Materialien erwiesen. Dabei steckte in der Idee,

daß alles mit allem gleichwertig, hierarchielos

kombinierbar sei, immer noch das Prinzip des

Serialismus, das allerdings nkht zuletzt Cage in

Frage gestellt hatte, dessen Unbestimmtheits­

fsthetik klingende Ergebnisse hervorgebracht

hatte, die von denen rigidester Determination

nicht immer mehr unterscheidbar waren.

Die Utopie, daß es möglich sei, Tönen­

des und vielfältig Theatralisches baukastenartig

und nach strengem Spiel-System zur Großform

aufzubauen, hat Han·s Zender in seiner zweiten

Musiktheater-Arbeit nach .,Stephen Climax" in

.. Don Ouijote" weitergeführt. in ganz anderer

Weise hat Luciano Berio Oper als Oper thema­

tisiert: in .. La vera Storia" - eine .,Troubadour"­

Travestie ( .. Wer ist wer?), und in .. Un re in ascol­

to", in dem Shakespeares .. Sturm"- Prospero zum

angstvoll überforderten Operndirektor mutiert.

Die "Minimalisten"

Natürlich haben die Komponisten seit

dem Ende der Tonalität ein kapitales Problem:

Wie soll man Charaktere, Situationen, Affekte

plastisch schildern, wenn es- klar erkenntlich

nach der Krise der Tonalität- keine verbindlidie .

Sprache mehr gibt, und Serialismus wie Aleato­

rik mitunter sogar gleichermaßen in sterile Ano­

nymität führen?

.,Die Minimalisten" traten auf den

Plan: Wie kann man mit minimalem, minimal

verändertem Material dennoch große Zeit­

strecken, gar mit Spannung, erfüllen? Während

Page 36: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

doch zur .,Oper" oft krasse Gegensätze auch zwi­

schen Ruhe und Bewegung und nicht zuletzt

reißerische .,Stretta"-Steigerungen gehören,

.,dramatische" Vielfalt in jeder Hinsicht. La

Monte Young setzte dem die rituelle, indisch

inspirierte Seance entgegen: .,Dream Hause':

Morton Feldmann weitete einen reduktiven

Beckett-Text so asketisch wie suggestiv zum

Einakter: .,Neither':

Do.ch zum Opern-Propheten der mini­

mal music wurde Philip Glass .. Wie die Zeit ver­

geht: Es ist zweiundzwanzig Jahre her, daß im

11amburger Schauspielhaus., Einstein an the

Beach" in Robert Wilsons Inszenierung zum

Paradigmawechsel führte, Theaterleute wie Peter

Stein, Luc Bondy, lvan Nagel und andere in schi­

er pfingstliche Ergriffenheit gerieten. Und end­

lich wähnte man einen Satz aus .,Parsifal"

tatsächlich realisiert: .,Ich schreite kaum, doch

wähn' ich mich schon weit. Du siehst mein Sohn,

zum Raum wird hier die Zeit." Die Optik der.

Zeitlupe und das tönende perpetuum mobile

fielen hier zusammen. Fünf pausenlose Stunden

hatte man Zeit, Zusammenhänge zu erfahren - ·

oder auch nicht. Der Text spielte kaum eine

Rolle, .slow motion, auch des Lichts, und sanft

leiernder Leerlauf wirkten als Narkotikum. Den­

noch überwog die Kälte der letztlich experimen­

tellen Ästhetik, blieb der Abstand zu wohlfeilem

New Age-Mystizismus stets deutlich.

. Erst in den folgenden Opern, .,Satya­

graha" und .,Echnaton", hat Glass dann expliziter

auf Friedens-., Botschaft" gesetzt. Die Stuttgarter

Glass-Trilogie in der Visualisierung Ach im Freyers

wurde zum regelrechten Kult-Ereignis. ln seinen

späteren Bühnenwerken ist Philip Glass mehr

und mehrdem Kamprarniß verfallen, seirie

Sujets wurden süffiger, seine Musik bunter, kurz­

weiliger- und limonadenartiger.

Lebten Aleatorik und Minimalismus

zunächst, darin oft durchaus polemisch, also

indirekt schon auch politisch, aus der Verweige­

rung, der Negation von Sinn, so nahm der

Wunsch nach, gar positivem, .,Inhalt" doch wie­

der überhand. Schon Glass"Gandhi-Hommage in

.,Satyagraha" sollte nicht bloß wertfreies Töne­

Spiel mehr sein. Vollends John Adams griff ent­

schieden zur Politik, ja packte sogar noch leben­

de Protagonisten der Weltgeschichte am Schopf:

Mao, Tschu en Lai und Nixon . .,Nixon in China"

wurde, zu mal in Peter Sellars' kongenialer lnsze-

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 34

nierung, zur perfekten Politik-Parodie auf der

Opern bühne, gleich weit entfernt von affirmati­

ver Monumentalisierung wie nur hämischer

Karikatur. Adams\< Musik war immer noch .mini­

malistisch gleichförmig, doch kontrastreicher als

die von Glass, und sie kannte durchaus

Umschwünge in tänzerische Ekstase. Gesteigert

hat das Adams noch in seiner nächsten Oper

über einen nun sogar noch konkreteren politi­

schen Fall, die Entführung des Kreuzfahrschiffs

.,Achille Lauro" durch arabische Terroristen, aber

.,Death of Klinghoffer'' geriet nun in die Span­

nung zwischen Gleichmaß und bisweilen regel­

recht reißerischer Musikdramaturgie.

Doch mit der Auflockerung repetitiver

Strenge zugunsten von·.,Ausdruck" verfielen die

Minimalisten in Beliebigkeit. Während die Büh­

nenstücke von Meridith Monk nicht selten, mit

unterschiedlichem Ergebnis, am Typus der vokal­

choreographischen .,Performance" festhielten.

Dagegengehalten hat lange der wohl

bedeutendste der amerikanischen Raster-Mei­

ster: Steve Reich. Auch er wollte mit europäi­

scher Tradition, vor allem des neunzehnten Jahr­

hunderts, also erst recht der Oper, nichts zu tun

haben. Spätmittelalterliche Kanon-Künste und

die Perkussionswunder ghanaischer Trommel und

indonesischer Gamelan-Spieler haben ihn zu sei­

ner fsthetik der .,Phasenverschiebung" gebracht:

Ein Trommelraster wird exponiert, dann metrisch

um ein Winziges versetzt. Die Schlagwerke

Kanons von .,Drumming" haben ungeheure Fas­

zination ausgeübt, auch ausgerechnet auf einen

Sensibilisten wie Ligeti, und suggerierten eine

Musik senza espressione. Dem Wort als Aus­

drucks- und Botschaftsträger mißtraute Reich.

Selbst als er hebräische Psalmen oder ein

Gedicht von William Carlos William .,vertonte",

schien klar: ein Bühnen- gar Opernkomponist

würde er nicht werden. Trotzdem hat er 1993

· ein Werk vorgelegt, das in seiner rigiden Materi­

aldisposition, politischen Signifikanz und opti­

schen Attraktivität eine Art Quantensprung

bedeutete - mag man dies nun Musiktheater

nennen können oder nitht.

.,The Cave" hieß die spannende Spu­

rensuche, auf die sich der Komponist und die

Videokünstlerin Beryl Karat begaben: Eine Höhle

bei Hebron gilt Juden, Christen und Muslimen

als gemeinsamer Ort des Ur-Vaters

Abraham/lbrahim. Reich-Karat haben eine Art

Page 37: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

von theologischem Disput, Interview, ja Quiz mit

Vertretern der Religionen und Nationen veran­

staltet, die Antworten unter anderem musika­

lisch nach Art von J.naceks .,Sprachmelodien"

aufgeschlüsselt und neustrukturiert. .. gesam­

pelt", Gesichter und Geschriebenes auf mehreren

Bildschirmen gezeigt. Musik und Optik, Doku­

mentation und Synthese bilden eine Einheit; als

Video-Musik-Theater war dies ein Ereignis. Die

.,Hindenburg"-Trilogie des Duos folgt ähnlichen

Strategien, ist aber noch unabgeschlossen.

Fast will es scheinen, als habe der

Typus des messianischen, charismatisch-dem

iuigischen Original-Genie-Künstlers abgedankt.

Wagner scheint endgültig tot. Komponisten sind

auf den Plan getreten, die nicht mehr primär auf

elitäre Autorschaft setzen, auf Werke, die per­

fekt durchindividualisiert sind, in Material, Dis­

position und Ausführung absoJut unverwechsel­

bar .. Zwei extrem unterschiedliche Komponisten

seien hier genannt: Einmal Heiner Goebbels,

Grenzgänger zwischen E und U, aktiver Musiker

im einstigen Frankfurter .,Sogenannten Linksra­

dikalen Blasorchester", das gerne mit Hanns-Eis­

ler-Verschnitten paradierte. Goebbels schreibt

auch Hörspiele, hat aber auch fürs Musiktheater

immer wieder gearbeitet, für das Frankfurter

Ensemble Modern etwa mit .. Biack and White",

bei dem Musik und spielerische Aktion, auch

Licht so anarchisch wie systematisch aufeinan­

der bezogen sind. Und Goebbels tendiert auch

mehr und mehr dazu, heterogene Materialien zu

.,sampeln", elektronisch aufzuschlüsseln und

. weiterzuformen. Der altehrwürdige Begriff des

.. Originalen" wird allmählich hinfällig: Auch

darin ist der sich nach wie vor als .. links" verste­

hende Goebbels gelehriger Schüler Brechts und

· Eislers.

Der andere war Alfred Schnittke.

Auch er mißtraute der (Zwangs)vorstellung, ein

Komponist müsse absolut unverwechselbar sein

- und dies zudem im Hinblick auf rigoroseste

Avanciertheit an sich. Sein Ideal der .. Polysty­

listik" hatoft fabelhaft funktioniert: im Sinne

eines satirischen Polit-Musiktheaters gewiß am

überzeugendsten im .,Leben mit einem Idioten·:

Zusammen mit dem großen alten Moskauer

Theater-Meister Juri Ljubimow hat er .,Doktor

Schiwago" auf eine Art Revue-Bühne gebracht.

Allzuviel .. originaler" Schnittke dürfte in dieser

Musik nicht mehr enthalten gewesen sein; nicht

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 35

wenige Pop-Einsprengsel dürfte vor allem der

Sohn des Komponisten beigetragen haben. Vieles

mag Folge von Schnittkes tragischer Erkrankung

gewesen sein, doch schlug da auch das generell

multiple Konzept durch.

Was aber ist überhaupt aus dem poli­

tischen (Musik)Theater geworden? Wie gings

weiter mit den Ideen linken Engagements, gar

einer Agitprop-Ästhetik? Immerhin hatte es da

Kollektiv-Kompositionen wie etwa .,Streik bei

Mannesmann" einer Gruppe um Henze gegeben;

außerdem die rabiat-burlesken Rock-Gruppen:

.. Floh de Cologne" mit .,Pröfitgeier" oder die

Koppelung von .. Ton, Steine, Scherben" mit

.. Hoffmann"s Comic Theatre"-:- lustig-deftige

Attacken aufs· .. Establishment': Doch nicht weni­

ge .,linke" Komponisten taten sich schwer: Man

sollte als. Künstler eingreifen - und dennoch

nicht den Usancen trivialer Massenkultur erlie­

gen, sich umstandslos eines entweder museali­

·sierten oder kommerzialisierten Materials wie

Betriebs bedienen.

Wie kann man ästhetische

Autonomie wahren und dennoch

.,Wirksamkeit" erzielen?

Vor allem Luigi Nonq hat fast sein

, Leben lang an dieserOuadratur des Kreises labo­

riert. Nonos erste azione scenica .. lntolleran­

za1960" hatte noch klare politische Stoßrich­

tung und lieferter sogar noch etwas einer

.. Handlung" vergleichbares. Die zweite .. Al gran·

sole carico d"amore", musiktheatralisches Haupt­

werk der gesamten .. eurokommunistischen"

Phase, Requiem auf die Märtyrerinnen der

großen Revolution, irritierte schon mehr: Die

Figuren· boten sich nicht mehr zur Identifikation

an, Resignation überwog - und Nonos Musik

überwältigte zwar durch ungeheure Intensität

und Fülle, doch der Konnex zwischen ihr und der

jeweiligen Situation war alles andere als plaka­

tiv. Ab 1980 wählte Nano immer mehr den Weg"

nach ,.innen". Um so mehr war man an seinem

dritten .,Bühnenwerk" interessiert: .. Prometeo':

Anfänglich hatte er sogar tatsächlich an eine

weitere, erweiterte azione scenica gedacht,

sogar Kontakt mit dem großen polnischen Thea­

ter-Guru Tadeusz Kantor aufgenommen- doch

immer mehr driftete er von der Vision des wie

auch immer Szenischen ab. Zum Schluß blieb es

Page 38: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

bei der "Tragödie des Hörens", bei oft unvorstell­

bar filigraner, mikrotonaler "Musik im Raum",

imaginären Wanderungen in jeder Hinsicht.

Nonos bedeutendster Schüler, so der

akademische Begriff überhaupt zutrifft, ist Hel­

mut Lachenmann. Auch er fühlt sich als radika­

ler Außenseiter, politisch links- überdies einem

rigorosen Avantgarde-Ideal derVerweigerung

allen oberflächlichen Wohllauts verpflichtet:

Nicht das Schöne lehnt er ab, sondern dessen

Schablone. Doch während Nano als Italiener,

zu mal Venezianer, stets mit der Spannung zwi­

schen distinktester kompositorischer Autonomie

und dem für Italien allemal gültigen Prinzip:

Musik heiße letztlich doch immer wieder in

erster Linie "Oper" zu leben hatte, entstammt

Lachenmann einem Stuttgarter Pastorenhaus:

Ethischer Rigorismus bestimmt auch seine fsthe­

tik. Oper, unverantwortliches Reich des schönen

Scheins, ist die teuflische Gegenweit ,;Doch ewig

lockt das Weib" - Klingsors Zaubergarten mit­

samt seinen "Biumenmädchen" verführt auch

den keuschesten Avantgardisten: Schon seit

1975 umkreisen Lachenmanns Gedanken Hans

Christian Andersens todtrauriges Märchen vom

"Mädchen mit den Schwefelhölzern': Die Harn­

burgische Staatsoper ließ nicht locker. Im Januar

· 1997 war es soweit. Die Uraufführung war eine

immense Tat, der erstaunliche Publikumserfolg

Lohn für eine unvorstellbare Anstrengung.

Auch Lachenmann schrieb, mit dem

"Mädchen mit den Schwefelhölzern" analog zu

"Wozzeck" eine "Oper des sozialen Miileids", nur

ganz ohne narrativen background und plane

ldentifikationsmöglichkeiten. Und er koppelte

das Andersen-Sujet mit dem Requiem auf eirie

Märtyrerin der anderen Art: Gudrun .Ensslin, die

RAF-Aktivistin, die in Stammheim Selbstmord

beging. Texte von Leonardo da Vinci und Ernst

Toller kamen hinzu. Ein Erzählstück ist dies

nicht, und Lachenmanns Musik vollbrachte das

Wunder, ausgerechnet die spröde-asketische

Verweigerung, die Bevorzugung aller möglichen

instrumentalen Geräuschklänge zwischen Ver­

stummen und bruitistischem Exzeß zur Basis

einer stringent erfüllten zweistündigen Groß­

form zu machen.

Auffallend ist derzeit die Tendenz zur

Indetermination, zum bewußten Offenlassen -

und zum nicht-hierarchischen Nebeneinanderar­

beiten der an einer Produktion Beteiligten.

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 36

Wolfgang Rihm

und Adriana Hölszky

Lassen Sie mich dies an zwei Beispie­

len erörtern: Wolfgang Rihm und Adriana.HÖisz­

ky. Rihm .ist der produktivste und erfolgreichste

deutsche Nachwuchskomponist obwohl (Jahr­

gang 1952) auch schon nicht mehr ganz jung.

Von der "Darmstädter" Avantgarde hat er sich

insofern abgesetzt, als er durchgängig der Nei­

gung zur Textvertonung folgte, nicht zuletzt

unter dem Aspekt expressiver Sprachähnlichkeit

von Musik. in den siebziger Jahren führte dies

dazu, daß er den jungen neotonalen Neoroman­

tikern zugerechnet wurde: ein Mißverständnis,

wie sich bald herausstellte. Furore machte er in

Harnburg vor zwanzig Jahren mit seinem Büch­

ner-Einakter "Lenz", gelungenem Beispiel von

"Literaturoper". Doch schon die ,.Hamletmaschi­

ne" (196B) erwies sich als ,.totales" Musiktheater,

bei dem es nicht mehr darum geht, Subjekte auf

der Bühne agieren zu lassen, sondern um ein

Theater, das, so Rihm, ,.selbst Subjekt ist': Seit

1980 steht Rihm im Bann des französischen

.,Theater der Grausamkeit"-Autors Antonin

Artaud mit seinen Verweisen auf mythische.

Urerfahrungen, Drogen-Explorationen der mexi­

kanischen Tarahumara-lndianer. Rihms gewaltig­

gewalttätiges Ballett ,,Tutuguri" zeugte don­

nernd von dieser Obsession. Die nächste Stufe

war 1992 die Hamburger Uraufführung der

,.Eroberung von Mexiko". Gewiß, die spanische

Conquista, die Konfrontation von Cortez und

Montezuma spielen eine Rolle, es gibt ein

"Sujet"; dennoch dominiert Grundsätzlicheres:

Die Prinzipien männlich und weiblich werden

gegeneinander gesetzt, Sprache ist nicht mehr

diskursiv, Theater ist nicht mehr narrativ, Klan­

g räume und perkussive Geräusche suggerieren

mythisch-atavistisches Kräftegeschiebe.

Die Fixierung auf Artaud hat Rihm

danach zu einem work in progress geführt:

..SEraph in': Der erste ,.Zustand", 1994 in Frank­

furt präsentiert, ist eine Art Konzertstück für

Kammerememble und Solo-Vokalisten. Rihm

· nennt es "Versuch eines Theaters": Der Video­

Künstler Klaus vom Bruch hat- ohne die Musik

vorher zu kennen -zahllose Projektionen gelie­

.fert. Komposition und "Inszenierung" haben

nichts miteinander zu tun. Es geht um ein

Musiktheater quasi in statu nascendi. 1996 folg-

Page 39: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

ten in Stuttgart Peter Mussbachs Theatralisie­

rung und in Karlsruhe eine weitere Video-Instal­

lation Klaus vom Bruchs, 1997 eine rein instru­

mental-elektronische Weiterführung. Rihm hat

vom .,Palimpsest"-Prinzip gesprochen, einer

Paradoxie: durch Neu-Komposition werden älte­

re Schichten freigelegt. .,Oper" interessiert ihn nicht mehr.

Adriana Hölszkys Musik hat von

Anfang an eine gewissermaßen .,haptische"

Oualtiät: Der Klang wirkt körperhaft, aufge­

rauht, geradezu physiologisch gestikulierend -

also potentiell theatralisch. ln ihrer Trilogie

.,Monolog" - .,es kamen schwarze Vögel" -

.,Vamirable" hatsie die Solosängerinnen nicht

nurvokales Surreal-Theater leisten, sondern

gleichzeitig auch exzessiv perkussiv agieren las­sen: Vokal- und Instrumental-Theater fallen in

eins. Bei Fassbinders .,Bremer Freiheit" wurde

solche Bizarrerie-fsthetik noch ins zugleich spöt­tische Grandguignol erweitert, in den .,Wänden"

Genet suggestiv geradezu monumentalisiert. Ihre

Operatte .,Der Aufstieg der Titanic" macht den

Jahrhundert~Schock vollends zum surreal-satiri­

schen Pasticcio:Text-Partikel, Vokal- und Per­

kussions-Aktionismus, ironisch Wienerische, fle­

dermausflatternde Untergangszitate und Eigen­

dynamik der Interpretation hängen oft nur· noch

locker, eher kohzeptionalistisch zusammen.

Ausgerechnet das Theater, Ort der

Sinnenvielfalt, als .,Kunst des Weglassens": Adri­

ana Hölszky hat aus der Krise multimedialer

Kohärenz eine Konsequenz gezogen: Oper ganz

ohne Stimmen, ja Personen . .,Tragödia" heißt ihr Orchesterwerk, das einzig von Wolf Münzers ·

Szenerie .,begleitet" wird: einem Bühnenbild mit diversen Accessoires, Lichtwechsel und Horror­

Andeutungen.

Gegenwartslage der Oper .

Resümiert wurden fast nur die letzten

drei Jahrzehnte - und außerdem: Messiaen,

Cage, Nano, Feldmann, Schnittke sind tot, Cerha,

Henze und Stockhausen über siebzig, Schnebel,

Lachenmann, Zender, Ralf Riehm, Reich, Hespos,

Holliger und Franz Hummel um und über sech­

zig. Wo bleiben die Jungen? Die Fragen sind

natürlich berechtigt. Nur: Die innovativen Ten­

denzen des Musiktheaters, auch die Avantgarde,

haben ihre Geschichte. Für die Jüngeren sind

DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 37

ästhetische Experimente wie politisches Engage­

ment nicht mehr so vordringlich. Die Postmoder­

. ne führt auch uns zum behaglichen Sich Ein­

richten im, am Ende nicht nur künstlerischen,

juste milieu. So ist das Aufgreifen traditioneller

Opern-Topoi nicht mehr automatisch mit Tabus

belegt. Man freut sich wieder an der Oper.

Gleichwohl tun sich unablässig neue Wege auf:

Gründe für kulturpessimistische Grämlichkeit

gibt es eigentlich nicht.

Daß manche Avantgarde- wie Ach­

tundsechziger-Programme heute Dreißigjährigen

museal anmuten, mag ·diejenigen, die sich erst.

einmal als Propagandisten jeglichen Fortschritts

verstanden, bitter ankommen; doch gehört dies zum legitimen Generations- und damit Paradigc

men-Wechsel.

Zum Zentrum der jungen Oper ist

München geworden, wo Gasteig, Marstalltheater,

Muffathalle und das wiedereröffnete Prinzre­

gententheater mannigfache Aufführungsmög­

lichkeiten bieten- nicht zuletzt für die 1986

von Henze ins Leben gerufene Biennale für

Neues Musiktheater. Erstaunliche Uraufführunc

genhat es da gegeben: Hölszkys .,Bremer Frei­

heit", von Schweinitz""Patmos"; Produktionen im

Grenzbereich zu Außereuropäischem und Pup­

pentheater lösten lebhafte Diskussionen aus.

. Henzes eigene fsthetik glaubte man manchmal

in der Tendenz z.um Narrativen erkennen zu

können; sein Nachfolger Peter Ruzicka meint,

daß zur Jahrtausendwende -fast einem·Gezei­

tensystem folgend - experimentelles Musikthea­

ter wieder mehr in den Vordergrund rücken

könne. Immerhin sind Huzicka schon einige

Coups gelungen: .,Marco Polo" des Chinesen Tan

Dun beeindruckte als keineswegs nur kompro­

mißlerischer Brückenschlag zwischen europäi­

scher Moderne und fernöstlicher Tradition. Und die Polin Hanna Kulenty erzielte mit repetitiven

·Mitteln in .,Mother of Black Winged Dreams"

eine eindringliche Psychiatrie-Studie, fast ein

wenig nach Art des englischen Filmemachers

Kenneth Loach.

Auf jeden Fall aber ist die Gesamtsi­

tuation des Musiktheaters viel farbiger und vita­

ler geworden. Auch das traditionelle Ritual-hat

sich erheblich verändert. Barockes, Monteverdi,

Händel oder Rameau werden plötzlich zu Publi­

kums-Hits, auch dank ingeniöser Inszenierungen

und historisierender musikalischer Aufführungs-

Page 40: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

.

Cymbe!ine

Ende gut, alles gut

Harnlet

Julius Cäsar

Der Kaufmann von Venedig

König Heinrich IV.

König Heinrich VI.

König Lear

Komödie der Irrungen

Die lustigen Weiber von Windsor

Macbeth

Maß für Maß

Othello

g

William Shakespaare Frank Günther

Richard 111.

Romeo und Jutia

Ein Sommernachtstraum

Der Stwm

Timon von Athen

Titus Andronicus

Troilus und Cresslda

Verlorene Liebesmüh

Viel Lärm um n'ichts

Was ihrwollt

Wie es euch gefällt

Ein Wintermärchen

Die Zähmung der Widerspenstigen

Zwei Herren aus Verona

Oscar Wilde !lemcl Eilert

Anton Tschechow Gudrun Düwe~

An der La"ndstraße

Der Bär

Drei Schwestern

Der Heiratsantrag

Die Hochzeit

lwanow

Das Jubiläum

Der Kauz

Der.Kirschgarten

DieMöwe

Onkel Wanja

Schwanengesang

Tragödie wider Willen

Über die Schädlichkeit des Tabaks

Carlo Goldoni

Der Dienerzweier Herren

Herren im Haus

Das Kaffeehaus

Diese Komödianten

Mirandofina

Ernst- und seine tiefere Bedeutung (Bunbury) Viel Lärm in Chiozza

undandere und andere

0

1m kongen

Moliere Hans Kantecrea

Don Juan

Tartuffe

und andere [J&\~nwJ&\fl~I!J tiT~ll~~[J~I

Verlag rur B(ihnc. Film. Funk & Fernschon • 0·50672 Köln ·llism~rck.slmßc 36 Tel (02 21) 51 30 79. fw:(02 21) 51 54 02- IWNI.hsve1!ag.rom • inl.xtfm-ertJg.com

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 38

praxis; visuelle Innovation und orchestral-voka­

les Authentizitätsstreben amalgieren sich fes­

selnd und spannungsreich. Schlüsselwerke

Mozarts wie "ldomeneo'' finden das Interesse,

das sie verdienen, die Opern Schuberts werden

"entdeckt", ebenso die Pariser Grand OpEra, vor

allem Meyerbeer. Aber auch die verdrängten und

verfemten Werke des ersten Jahrhundertdrittels,

etwa Schrekers, erweisen wieder ihre Faszinati­

on. Ein Opernhaus wie Sielefeld hat hier exem­

plarische Wiederbelebungsarbeit geleistet. Hinzu

kam ein generelles intellektuell-sinnliches Inter­

esse an neuen Sichtweisen auf die alte Oper. Die

wohl bewegendste, dabei durchaus auch ironi­

sche Hommage an die Frankfurterfra Michael

Gielen ist Alexander Kluges herrlicher Film "Die

Macht der Gefühle". Da wurden vorher für

unvereinbar gehaltene Kunst-Leidenschaften

leuchtend vernetzt Und lnszenatoren wie Ruth

Berg haus, Achim Freyer, Hans Neuenfels, Robert

Wilson, Peter Mussbach, Peter Konwitschny oder

Peter Sellars, auch einige Protagonisten des

Tanztheaters, haben entscheidend dazu beigetra- .

gen, daß neuartige Sujets wie kompositorisch­

dramaturgische Ansätze packend vermittelt wur­

den, Produktion und Reproduktion sich interak­

tiv steigerten. De"r alte muffige Opern-Betrieb

mit seinem oft öden Starkult verliert an Signifi­

kanz; allenfalls in Wien, Hof- und Hochburg der

Musealität, spielen die ewiggleichen Rituale

immer noch eine ungebrochene Rolle. Ästhetisch

sieht das Bild des Musiktheaters allenthalben

erfreulich frisch aus.

Die Krisensymptome liegen auf ande­

ren Ebenen, hängen natürlich eng mit gesell­

schaftlichen Veränderungen zusammen. Im

gegenwärtigen Wertesystem hatdie Hoch-Kul­

tur, zu der Oper nun einmal zählt, keinen ganz

unangefochtenen Stand. Bildungsvoraussetzun-

. gen und Erfahrungshorizonte haben sich verla­

gert. Was für hundert Jahre unumstößlicher

Kanon war; gilt nur noch bedingtGenauere

Kenntnisse etwa Wagnerscher Hauptwerke ist

selbst bei musik- und theaterinteressierten

Dreißigjährigen nicht mehr ohne weiteres vor­

auszusetzen. Dies allerdings muß nicht nur von

Nachteil sein: Abstand von der gardeutsch na­

tionalen Bildungsbürger-Normenwelt kann

gewiß nicht schaden, der Öffnung für Neu es

und Anderes zugute kommen.

Page 41: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

SPARTE ADE!

Dieser Artikel der Tanzkritikerin Eva-Eiisabeth Fischer erschien am 23. Dezember 1998 in der ,.Süddeutschen Zeitung':

. ln journalistischer Zuspitzung beleuchtet er die Ballett/Tanz­Situation und erscheint deshalb geeignet als Aus­

. gangsmaterial für die Dresdner Debatte am Sonnabend, 20. November mit dem Titel: ,.Ästhetische Innovation im Tanz- innerhalb oder außerhalb des Mehrsparten­Stadtteaters?"

Eva-Eiisabeth Fischer nimmt an der Debatte teil.

Der Tanz lebt, aber nur autonom Von Eva- EI i s a b e t h Fischer

Statistiken wirken so, als beschrieben

sie Fakten, und sagen doch nur etwas über Rela­

tionen. ln der Theaterstatistik des Deutschen

Bühnenvereins, Spielzeit 1996/97, steht die

Sparte Tanz mit 71,1 Prozent Platzausnutzung

·nach Oper und Musical an dritter Stelle, ist also

erfolgreicher als das Schauspiel mit 68,3 Pro­

zent. Trotzdem scheint das Schauspiel nach dem

Schillertheater-Debakel in Berlin unantastbar zu

sein. Denn anders als der in Deutschland tradi­

tionsarme Tanz wird das Sprechtheater als wert­

volles bildungsbürgerliches Gut betrachtet.

Außerdem sind die Soloverträge von Tänzern

sehr leicht zu kündigen, ist Tanz die vergleichs­

weise billigste Sparte und macht somit als

Ganzes meist gerade den Betrag aus, der im

Budget eines Hauses eingespart werden soll.

Was so eine Statistik kaschiert, ist die

Tatsache, daß Opern-, Schauspiel- und Tanzen­

semblesvon Radebeul bis Freiburg oft genug vor

lichten Zuschauerreihen spielen. Mancher Inten­

dant rauft sich die Haare, wie er sein Repertoire

attraktiver gestalten und bewerben könnte.

Besonders beim Tanz wird die überregionale

Presse hofiert, weil eine gute Kritik in einer

großen Zeitung als lebensrettend für die Sparte

erscheint.

Findet sich in der reichen Literatur

stets ein Kammeröperchen, ein Musical, ein

Drama, welches sich für eine Aufführung anbie­

tet, so ist im Tanz das meiste hausgemacht.

Früher wurde das abschätzig Ballettmeister-Cho­

reographie· genannt. Heute brüstet sich jedes

Nest mit einem Tanztheater. Das Votum fürs

Tanztheater ist eben nicht unbedingt ein Votum

für Qualität, sondern ein fauler Kompromiß. Ein

Intendant, der ein Tanztheater einrichtet, kann

sich zwar kurzzeitig fortschrittlich und mutig

fühlen, so wie ein kleiner Arno Wüstenhöfer

oder Peter Stolzenberg, die einstmals Ende der

sechziger und Anfang der siebziger Jahre Pina

Bausch, Reinhild Hoffmann, Susanne Linke und

DRAMATURG 1/2 99 l Seite 39

Johann Kresnik an ihre Häuser holten. Tanzthea­

ter ist aber auch nur eine verkappte Sparmaß­

nahme, da kostengünstiger als das Ballett. Es

kommt, einmal mit dem Etikett «armes Theater»

versehen, mit zehn bis zwölf Tänzern und ohne

teure Ausstattung aus. So verkauft man die Not

als Tugend.

Wer m·ag schon einen ((Schwanenseen

mit zwölf schlappen Schwänen sehen? Und von

schönen Stücken aus der Neoklassik und der

klassischen Moderne, die jedes Repertoire

schmückten, von einem Balanchine, einem

. Kylian, Hans van Manen oder Forsythe, können

kleine und mittlere Theater nur träumen. Denn .

ihnen fehlt das Geld, diese Stücke einzukaufen,

und die Möglichkeit, die autorisierten Coaches .

zu bekommen. Denn trotz Ballettnotationen und

Video ist der Tanz eine Kunst, die, möglichst au­

thentisch und original getreu, von Körper zu Kör­

per weitergegeben wird. Also heißt es für Tanz­

ensembles mit beschränkten Kapazitäten: selber

machen.

Das schafft einen Betrieb, der durch

ein mehr oder minder treues Publikum irgendwie

am Leben erhalten wird (und für das Publikum

tanzen wir doch, sagen da der Intendant und

sein Choreograph), der aber in seiner business­

as-usuai-AIItäglichkeit nur selten etwas Aufre­

gendes oder gar etwas, das die Kunst selbst

beförderte, zu bieten hat. Abgesehen von der

Überlegung, daß verlorenes Terrain nur schwer

wiederzuerobern ist, fällt es in vielen Fäl_len

schwer- und das betrifft keineswegs nur kleine

und mittlere Ensembles- die Erhaltung dieser

oder jener Kompanie künstlerisch zu rechtferti­

gen.

Bestes Beispiel fürs Dilemma der

Großen ist Berlin, wo die. drei in unaufgeregter

Bedeutungslosigkeit dahinwurstelnden Ballett­

kompanien im Jahre 2000 zu einem «Berlin-Bal­

lett» gesundgeschrumpft werden sollen. Stutt­

gart ist nach Jahren des Weltruhms in die Regie-

Page 42: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

h viel, alles wissen

Berufe am Theater

DieBroschüre beschreibt über 40 Berufsbilder am Theater mit Voraussetzungen, Ausbildungswegen und Kontaktadressen. (Kostenlos)

Die Deutsche Bühne Das spartenübergreifende Theatermagazin veröffent­licht jeden Monat Portraits, Berichte, Interviews, Nach­richten und Termine über Kultur und Politik, Kunst und Management. (Einzelheft 9,50 DM)

Theaterstatistik

Das Jahrbuch mit allen statistischen Daten der Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Besucher, Vorstellungen, Einnahmen, Ausgaben, Zuwendungen, Personal. (45 DM)

Wer spielte was?

Die jährliche Werkstatistik resümmiert die letzte Spiel­zeit und nennt die meistgespielten Werke und Autoren in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aufge­schlüsselt nach Sparten nennt sie alle gespielten Stücke und berichtet über die Häufigkeit der Inszenierungen und die Zahl der Zuschauer. (48 DM)

Theater muss sein. Deutscher Bühnenverein · Postfach 29 0153 . 50523 Köln Telefon 0221/20812-0 (Fax -28) http://www.buehnenverein.de

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nalliga abgestiegen; Neumeiers «Hamburg Bal­

lett» bedient vorzugsweise die örtliche Fan­

gemeinde, und München versucht unter lvan

Liska, seinen Platz mit einem klassisch-modernen

Repertoire zu behaupten. Aber genau diese

großen Kompanien mit 60 bis 70 Tänzern tun

sich schwer, ihr Repertoire zu erneuern. Sie

brauchen die Kapazitäten, um die großen Klassi­

ker, möglichst mehrfach, besetzen zu können.

Sie sind ein Anachronismus, denn kein bedeu­

tender zeitgenössischer Choreograph arbeitet

mehr für ein großes Ensemble. Einer wie

Forsythe etwa betreibt seine Forschungen lieber

mit einer überschaubaren Anzahl von Tänzern.

Es wird solche großen Kompanien, vielleicht zwei

oder drei, trotzdem weiterhin geben. Denn wer

wird so kühn sein, ein Nationalballett zu fordern

und durchzusetzen, das das klassische Erbe

bewahrt und auch tanzen kann?

A Ia Iangue aber hat sich das Mehr­

Sparten-Theater mit darin eingebundenem Bal­

lett überlebt. Der Tanzkunst täte es nur gut, sich

ganz aus diesem System herauszulösen. Die

Städte, die Länder sollten dabei helfen. in den

Jahren nach dem Krieg war das Ballett ein

Anhängsel der Oper. Da waren zwei eigenstän­

dige Ballettabende pro Saison schon ein emanzi­

patorischer Akt. Dann näherten sich; in Bochum

etwa und an.der Berliner Volksbühne, der Tanz

und das Schauspiel" an. Aber die Zukunft liegt

sicher woanders. Neue Choreographen und ihre

Werke brauchen andere, neue Räume, eine

andere Atmosphäre als die Patina eines städti­

schen oder staatlichen Mehrspartenhauses, das

zwar einerseits Schu_tz bietet, andererseits den

Tanz immer noch als den Lückenbüßer für die

· chorfreien Abende betrachtet. Aber die Opern­

und Operetteneinlagen können genauso gut und

billig von freien Tänzern mit Zeitverträgen

bestritten werden.

Vielversprechende Choreographen von

heute lassen sich inspirieren von den· neuen

Medien, von zeitgenössisc.hen Literaten und

Komponisten und, ganz wichtig, von der bilden­

den Kunst. Sie brauchen nicht provinzielle Nest­

wärme, sondern ein funktionierendes organisa­

torisches Netz, Spielstätten und den direkten

Austausch mit ihrem Publikum.

Gutprogrammierte Festivals beweisen,

daß der Tanz inzwischen selbstbewußt genug ist,

in einem maßlos überfütterten Kulturbetrieb

DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 41

seinen Platz zu behaupten. Es ist nicht nur ihr

Event-Charakter, der Tanzfestivals boomen läßt.

Das sieht man am Publikum, das sich längst

nicht nur in der Kleidung und schon gar nicht in

der Altersstruktur, aber an Interesse und Offen­

heit von den Abonnenten der Serie weiß oder

blau an irgendeinem Stadttheater unterscheidet.

Die Lösung, die eine Zeitlang auch in

Berlin als goldene Utopie durch wenige kluge

Köpfe geisterte, wird die Einrichtung regionaler

Tanzhäuser mit überregionalem Wirkungskreis

bringen: Orte der Sammlung und Versammlung,

des internationalen Austausches, der Begegnung,

der Co-Produktion. Trainingsstätten, Labors und

Aufführu'ngsorte. Die französischen Maisans de

Ia danse, das Tanzhaus in Nordrhein-Westfalen, .

dem Bundesland mit der stärksten Tanzlobby,

mögen dafür als Modell dienen.

Ein internationales Netzwerk ist für

den Tanz lebensnotwendig, soll der eine Zukunft

haben. Der Tanz bildete somit, wie i.n den letzten

Jahren häufig genug künstlerisch, nun organisa­

torisch die Vorhut für das Musiktheater und das

Schauspiel von morgen: der Tanz als Wegbereiter

- mit dem sicheren Effekt neuer ästhetischer

Entwicklungen. Er hat ja die besten Vorausset­

zungen dafür- die Tänzer: Die sind seit je gerü­

stet für die (wirtschaftliche) Globalisierung,

beruflich nicht ortsgebunden, mehrsprachig und

aufgrund ihrer kurzen Karriere aufs Jobhopping

vorbereitet. Und die Basis eines europäischen

Netzwerks von Produzenten und Choreographen

ist bereits vorhanden. Sparte, ade!

Page 44: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

H ERAU SFO.R D ERU N GEN ZU GRENZUBERSCHREITUNGEN

Das Jahrestreffen 1998 d e r D r a m at u r g i sc h e n G es e II s c h a f t 1 n B a s e I

Dem Rückblick auf unsere Basler Tagung 1998 stellen wir einen Auszug aus der Theaterkorre­spondenz

. ,.Mykenae" vor­aus. Er resümiert vor allem die Debatten-Bei­träge, die nach­folgend nicht dokumentiert werden, weil über

· sie nämlich vor­bereitend schon im Heft 2/98 zu lesen war.

Von 12. bis 15. November 1998 lud

die Dramalugische Gesellschaft zu ihrer öffentli­

chen Jahrestagung in das Theater Basel ein. Das

Thema lautete in diesem Jahr «Herausforderun­

gen zu Grenzüberschreitungen». Damit waren

sowohl intratheatrale Grenzüberschreitungen

gemeint («Die Begattung der Gattungen»), wie

auch der problematische Transfer von der Rea­

lität in das Theater und umgekehrt.

Zum Thema «Wiebringt man Realität

ins Theater- und das Theater in die Realität?»

formulierte die Kölner Chefdramaturgin Ursula

Rühle eingangs einen Problemkatalog. So stellte

sie fest, daß ein Gegenwartstext nicht automa­

tisch Realität ins Theater bringe, sondern daß die

Darstellung von Realität durch ästhetische Ope­

rationen innerhalb eines sinnvollen Kontexts

erreicht werden könne. Realitätserfahrung sei im

Theater nicht durch eine Distanzlosigkeit, son-·

dern im Gegenteil durch das Aufzeigen der Dif­

ferenz zur Realität möglich. Was unterstreicht,

daß der Umgang mit der Realität auf dem Thea­

ter vor allem eine formale Herausforderung

bedeutet. Sie beklagte die fehlende Realitäts­

wahrnehmung der Theatermacher wie der Auto­

ren und stellte am Ende die Frage: «Wo bleiben.

die Texte aus der Produktion?» Rühles These, daß

nur über die Form die Realität ins Theater

gebracht werden könne, bestätigen die folgen­

den Ausführungen der Theatermacher, die mit

jeweils verschiedenen Strategien Projekte an der

Schnitistelle von Theater und Realität erarbeite­

ten.

Wilfried Schulz, Chefdramaturg am

Deutschen Schauspielhaus Harnburg .und desi­

gnierter Intendant des Staatsschauspiels Hanno­

ver, berichtete über seine Arbeit mit Christoph

Schlingensiefan «7 Tage Notruf für Deutschland

- Passion impossible». Im Rahmen einer Perfor­

mance wurde vom Theater eine Missionsstation

für Außenseiter wie Obdachlose und Junkies ·als

ein Kunstraum geschaffen. Innerhalb des

«Schutzraums Kunstn standen sich zwei verschie­

dene Weiten gegenüber. Schulz sprach von der

Möglichkeit, daß Kunst somit die Wirklichkeit

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 42

etikettieren könne. Nach dem eigentlichen Thea­

terereignis wurde die Aktion unter dem Motto

«Kunst und Suppe» weitergeführt und somit vom

Theater an die Realität gleichsam zurückgege­

ben. Bei Volker Hesse (Leiter des Theatersam

Neumarkt in Zürich) stand am Beginn seiner

Tätigkeit das Unbehagen mit zeitgenössischen

Theatertexten. Auf der Suche nach Themen stell­

te sich das Theater am Neumarkt der Auseinan"

dersetzung mit der Realität der Stadt Zürich.[ ... ]

Die Cottbusser Dramaturgin Gisela

Kahl berichtete, daß man bei den «Zonenrander­

mutigungen» ihres Theaters, die nach dem Vor­

bild der einst von Benno Besson an det Berliner

Volksbühne initiierten «Spektakel» konzipiert

sind, eine ganze Anzahl von Produktionen

während einer Nacht zeigt und dabei das ganze

Theater bespielt. Duch die Vielfalt der angebote­

nen Stücke könne ein komplexerer Realitätsaus­

schnitt gezeigt werden als mit einer herkömmli­

chen Theaterproduktion. Die Freien Kammerspie­

le Magdeburg versuchen seit 1993, sich mit ihrer

Theaterarbeit in die Realität der Stadt einzu­

schreiben-und ein Generalthema wie Arbeitslo­

sigkeit dabei zu integrieren. Chefdramaturg

Hans-Peter Frings setzt auf ungewöhnliche

Außenspielorte wie die ehemalige Sperrzone des

Magdeburger Handelshafens oder das SKET­

Gelände. Die Zuschauer werden dadurch veran­

laßt, durch einen «Theaterrahmen» auf die sie

umgebende Realität zu blicken und sie dabei .

neu zu entdecken. Den geschützten Theaterraum

verließ ·auch der Autor und Regisseur Ulrich

Greb mit den im Ruhrgebiet realisierten Projek­

ten «Der Berg ruft», «An der schönen blauen

Emscher» und «Linie 901». ln «Linie 901» fahren

Zuschauer wie Schauspieler mit einer Straßen­

bahn durch Duisburg, wobei eine ganze Siadt

zur Kulisse und ihre Einwohner zu Mitspielern

werden.

Das radikalste Konzept formulierte

der schottische Theatermacher Jeremy Weller,

der in Deutschland bisher vor allem in München

und Berlin engagiert war. Er studierte Malerei in

London und arbeitet mit Laiendarstellern. Er

Page 45: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

interessiert sich weniger für den künstlerischen

Prozeß der Theaterarbeit als für die darin behan­

delten Themen, mit denen er Leute ins Theater

bringen möchte, die normalerweise nicht den

Weg dorthin finden. Produktionen wie «Giad»

(über Menschen , die aus bestimmten Gründen

glücklich sind) und «Mad» (über das gesell­

schaftliche Tabu-Thema Geisteskrankheit) faszi­

nieren vor allem durch den hohen Authenti­

zitätsgrad der (Laien-)Schauspieler. Damit bilde­

te Weller eine Ausnahme unter den vorgestellten

Theaterprojekten. Denn ein Großteil thematisier­

te eine lokale Realität der jeweiligen Stadt oder

Region. Eine weitere Gemeinsamkeit ist das Feh­

len einer fertigen Stückvorlage, stattdessen erar­

beiteten sich die Theater mittels Recherchen und

Collagen sowie selbstgeschriebenen Texten eine

eigene Spielfassung. Nicht zuletzt bleibt festzu­

stellen, daß das Theater zunehmend mit den

verschiedenen Formen der Wahrnehmung expe­

rimentiert und die Realität vor allem durch

einen neuen Blick darauf in den Griff zu bekom­

men versucht: Die Podiumsdiskussion «Die Begattung

der Gattungen oder: das theatralische Zusam­

menwirken der Künste - warum und wie?» eröff­

nete die Autorin Gisela von Wysocki mit einem

poetischen und präzisen Text mit dem Titel «Das

Gesamtkunstwerk im Zeitalter seiner Baufällig­

keil». Darin wurde die gesamte abendländische

Weit als überdimensionales, theatrales Gesamt­

kunstwerk interpretiert, das mit «Metaphern der

Schadhaftigkeit» durchsetzt sei. Der Bochumer

Theaterwissenschaftler Guido Hiß leistete .eine

historische Analyse des Begriffs «Gesamtkunst­

werk" und verwies auf die sexuelle Metaphorik

des Titels («Begattung der Gattungen»), die in

diesem Zusammenhang schon in Richard Wag­

ners Schrift «Oper und Drama». zu finden sei,

·sowie auf die dem Wagnersehen Gesamtkunst-

werk innewohnende politische Utopie.

Nach der poetisch-wissenschaftlichen

Einleitung kehrte man zur heutigen nieaterpra­

xis zurück. Die Journalistin Kathrin Tiedemann

(«Freitag») stellte in Frage, ob es für junge

Künstler überhaupt noch Gattungsgrenzen gibt.

Ähnlich argumentierte die Festival-Leiterin

Marie Zimmermann («Theaterformem>, Braun­

schweig/Hannover). ln ihrem Arbeitsbereich der

Avantgardekunst ist die Auflösung der Gat­

tungsgrenzen längst zum Standard geworden.

DRAMATURG 1{2 99 I Seite 43

Sie sieht es als eine der Hauptaufgaben ihres·

Festivals an, die Zusch<Juerkompetenz für diese

Kunstform von den Rändern in die Mitte zu

transferieren. Diese Aufgabe hat auch Elisabeth

Schweeger, die mit ihrem Münchner Marstall­

Theater einen «Avantgarde-Keiln in das Bayeri­

sche Staatsschauspiel getrieben hat. Ihr Ziel ist

es vor allem, durch veränderte Produktionsfor­

men zu neuen Diskussionsformen zu gelangen

und eine Verschränkung von verschiedenen

Denkweisen zu erreichen. Maria Magdalena

Schwaegermann vom Hebbeltheater in Berlin

plädierte für den Ausdruck «Grenzüberschrei­

tungn statt «Begattung». Aufgrund ihrer Erfah­

rungen in dem auf theatrale Grenzüberschrei­

tungen spezialisierten Hebbeltheater weiß sie

um die Probleme und Tücken des individuellen

und fordernden Produktionsprozesses dieser

Zwischenformen, die an ihrem Haus von einem

kleinen, aber höchst flexiblen Team betreut wer­

den. Sie sieht eine Chan·ce der Publikumsbin­

dung durch die Öffnung der Arbeitsprozesse für

das Publikum, womit man bisher positive Erfah­

rungen gemacht habe. [ ... ]

Steven Valk, Chefdramaturg am

· Frankfurter TAT unter William Forsythe, berich"

tete von den Vorbereitungen der gemeinsamen

Arbeit des Ballett-Ensembles und der Schau­

spieltruppe um Tom Kühne! und Robert Schuster

ab der kommenden Spielzeit. Mit dem Prinzip

der permanenten Anwesenheit der Künstler im

Theater soll dort eine «ästhetische Weit» wie

eine «selbstproduzierende künstlerische Maschi­

nen geschaffen werden. Nach der Anfangsphase

beabsichtigt man, keine fertigen Gastspiele ein­

zuladen, stattdessen werden Gäste mit den

hauseigenen Ensembles produzieren. Als einzige

Vertreterin des Stadttheaters sprach die Drama­

turg in Judith Gerstenberg vom gastgebenden

Theater Basel über ihre Zusammenarbeit mit

dem Schweizer Musiker und Theatermacher

Ruedi Häusermann bei dessen musikalisch-thea­

tralischen Erkundungen sowie über dessen

· Methode des «Instant Composing», der freien

Improvisation mit Absprachen.

Am prominentesten besetzt war die

Diskussionsrunde «Begreift (Kultur-)Politik die

Künste des Theaters als Mittel zur Humanisie­

rung der Gesellschaft? Und was tut sie dafür?»

Der «Stargastn des Tages, der designierte Mini­

ster für Kultur, Michael Naumann, entlarvte

Page 46: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

· RQWQH LT 1999/2000 Eine Auswahl

(ic;mu:r I DttS"{.o~ki Dämonen Wi ener Fest~<ochenl Volksbühne Berlin Regie: Frank Castorf

!(I~ Pohl ~Ju"_d c"'Su""·ss':---c-:--c Staatstheater Stuttgart Regie: Stephan Kimmig

~~c;h /(c;~ Crave Schaubühne am Lehni ner Platz Berl in Regie: Themas Ostermeier

'Ren! Pollereh Harakiri einer Bauchrednertagunq Bremer Theater Regie: Barbara Bilabel

H1/c;ry Ft;;1Y11n Wolkenmeer Schauspiel Sonn Regie: Rainer Kühn

Mc;rk. 'Rcve11ht/l Das Baby oder Wie wichtig es ist. iemand zu sein <Handbag) Deutsches Theater Göttingen Regie: Falk Richter

Tim ~{.t:;f{'e/ Werther in New York Badisches Staatstheater Karlsruhe Regie: Katka Schroth

Ju111'chif1) /cirib.c;ki Der Schlüssel Bühnen der Stadt Köln Regie: Kazuko Watanabe

· ~/1d<eSpec;re I P/6S'er7 Harnlet Wiener Festwochen I Schaubühne am Lehniner Platz Berlin I Zürcher Festspiele I EXPO 2000 Hannover Regie: Peter Zadek

'Reb:ccc; Pn'chc;rr:l Yard Girl Schauspiel Essen Regie: Susanna Enk

Mc;r{.tn Cn'mP-c--:~Dear::CH."a~n':"deal:-7m":'i"'t::Cc";:'l.".a.lLi r Schauspiel Leipzig Regie: Matthias Brenner

fle/mc; ~~t'S"-t$rc;ht11S' Deutschland, bleiche Mutter Residenztheater München Regie: Roberto Ciulli

PhY//IS Ncf!JY The StriP. Staatsschauspiel Dresden Regie: Johanna Schall

f..c;t'S" Non/11 Personenkreis 3:1 Schaubühne am L~hniner Platz Berlin Regie: Thomas Ostermeier

Dcvir:/ Greig Die letzte Botschaft des Kosmonauten an' die Frau die er einst in der ehemaligen Sowjetunion liebte Staatstheater Stuttgart Regie: Marcus Mislin & Deborah Epstein

GrJrkJJ / Zefl1!11e Nachtasyl ·Schauspielhaus Zürich Regie: Uwe Eric Laufenberg

RQWQH LTTheater Verlag

Hamburger Str.17 Tel D40172 72 270

21465 Rei nbek Fax 040/72 72 276

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 44

auch gleich die erste Frage des Titels als Schein­

frage. Mit dem Hinweis auf die veränderte

Situation d.er ehemaligen Ost- wie Westtheater

nach der Wende bestand Diskussionsleiter Man­

fred Beilharz (Generalintendant Theater Bann)

auf der Beantwortung der zweiten Frage. Nau­

mann forderte, daß die Theatermacher bei der

gesellschaftlichen Analyse realistisch bleiben

sollten. Durch die hohen Kosten der Wiederver­

einigung und der zu leistenden Sozialhilfe stün­

den die Kommunen unter hohem finanziellen

Druck. Dies müßten die Theater anerkennen. Er

riet den Verantwortlichen, sich auf keinen Fall

über eine Standortdebatte eine Ökonomisierung

des kulturpolitischen Diskurses aufzwingen zu

lassen. Vielmehr soll·eine ästhetische Debatte

gesucht werden. Schließlich sei Theater nicht

nur eine" moralische Erziehungsanstalt» (Les-

. sing). sondern auch ein Ort des Genusses. Gelun­

gene Kulturpolitik kann nach Meinung Nau­

manns nur die Räume zur Verfügung stellen und

die finanzielle Unterstützung absichern, sollte

sich aber nicht inhaltlich in Theaterangelegen­

heiten einmischen. Die von der Kulturpolitik

gewährleistete inhaltlich-künstlerische Autono­

mie sei auch der Garant für die nun schon

langjährige Erfolgsgeschichte des Theaters Basel,

wie Andreas Spillmann (Kulturdezernent Basel­

Stadt) feststellte. Die Leiterin der Expo 2001 in

der Schweiz, Jacqueline Fendt, die für das

Großprojekt einen Kulturetat von 400 Millionen

Franken zur Verfügung hat, sieht die Gefahr, daß

das «Wirkliche massiv am Verschwinden» ist. Von

3000 eingegangenen Projektvorschlägen für die

. Expo 01 waren 2500 virtuelle Vorschläge mit

den Medien Internet, CD-ROM oder Video. «Wir

werden uns sehr anstrengen müssen, um die

Expo-Darbietungen ins Physische zurückholen zu

können.» [ ... ]

(A.B. in «Mykenae»)

Page 47: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

•• REIBUNG AN DER REALITAT

über vier Produktionen des Zürcher Theaters Neumarkt

Von Volker Hesse

Die sechsjährige Geschichte des Zürcher "Theaters Neumarkt" 1993-1999 unter der Leitung von Volker Hesse und Stephan Müller war eine des Erfolgs - des Publikumserfolgs (Auslastung bis zu 980/o) und des künstlerischen. Auf unterhaltsa­me un~ witzige Weise wird beides resumiert in dem originellen Alma­nach "Das Beste kommt noch. Theater Neumarkt Zürich 1993-1999. Eine Hin­terlassenschaft" mit 237 Abbil­dung~n und einer CD. Stephan Müller geht als Dramaturg·ans Burgtheater, Volker Hesse arbeitet jetzt als Gastregisseur. Auf dem Basler Dra­maturgentag schilderte Hesse den einen wichti­gen Strang der Neumarkt-Pro­duktionen - drei Versuche, nicht von vorhandenen Stücktexten aus­zugehen, sondern von Realitäts­Erkundungen.·

Von 1993 bis 1999 habe ich mit Ste­

fan Müller das Neumarkt-Theater Zürich gelei­

tet. Als wir anfingen, unsere ersten konzeptio­

nellen Überlegungen anzustellen, haben wir ein

tiefes Unbehagen gehabt, auf dem üblichen

Stückemarkt unsere Stücke zusammenzustellen

und uns ein paar Studiostücke zusammenzuneh­

men, die wir gerade so finden konnten. Wir hat­

ten, wie sicher viele von Ihnen, uns den Grund­

satz vorgenommen: wir wollen uns mit der Rea-

. lität einer bestimmten Stadt, mit einer ganz spe­

ziellen Atmosphäre an einem Ort reiben. Wir

wollten uns mit der Realität lebendig auseinan­

dersetzen, und wir haben im Laufe der Jahre, die

wir dann in Zürich gearbeitet haben, immer wie­

der verschiedene Wege genommen, dieses Ziel

zu erreichen.

Die erste Produktion hatte den Titel

"InSekten", das war ein Ensembleprojekt, das

zunächst aus einer Not geboren wurde. Wir

wollten in Zürich einen Abend machen über eine

Realität, die wir ständig spürten. Zürich ist, wie

Sie wissen, eine eher reiche Stadt, eine Stadt, in

der sich die Orientierungslosigkeit und die meta­

physische Obdachlosigkeit in einem üppig

wuchernden Psychemarkt und einer ganz star­

ken Präsenz von Sekten zeigt. Scientology oder

Mun oder spezifische schweizerische Sekten wie

der Verein psychologischer Menschenkenntnis

spielen in der Öffentlichkeit der Stadt in Alltags­

situationen eine große Rolle. Wir wollten etwas

dazu sagen, wir wollten uns damit auseinandere

setzen, fanden aber kein Stück, das uns das

zwingend ermöglicht hätte.

Da haben wir gesagt: gut, dann

schreiben wir es selber, und begannen zu recher­

chieren. Wir haben versucht, wie Journalisten

Realität zu befragen, Materialsammlungen zu

machen, Gespräche zu führen. Die Schauspieler

haben auch begonnen, Ausflüge in diverse Real­

orte zu machen. Aus diesen Recherchen wurde

eine Theateraufführung. Sie hat den·<]anzen

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 45

Prozeß vom .Wahrnehmen von Alltagsrealität bis

hin zum Entwickeln von Kunstzeichen im Thea­

ter durchlaufen. Es gab keinen Autor, sondern.

wir haben versucht, die intensiv erfahrenen Rea­

litäten zu übersetzen in ein bestimmtes Zeichen­

system. Es kam also sehr bald die Frage: Was

können wir jetzt mit dem Wust dieser aufge­

nommenen Erfahrung für Verdichtungen oder

für zeichenhafte Umsetzungen finden? Wir

haben dann einen Weg gewählt, der am Schluß

nicht etwa die Nachahmung von Wirklichkeit

anstrebte, sondern ein System von Bildern, von

sprachlichen und gestischen und musikalischen

Signalen, die eine Haltung zu der erfahrenen·

Wirklichkeit einbrachten, wobei innerhalb der

Aufführung immer wieder mit der Realität

gespielt wurde. Wir haben z. B. den Zuschauern

die Schuhe weggenommen. Wenn sie in das

Theater kamen, haben wir ihnen gahz strikt

gesagt, sie sollten die Schuhe abgeben, und

diese Schuhe wurden dann unser Spiel material.

Wir haben mit den Schuhen der Zuschauer alle

möglichen Spiele angestellt: Wir haben sie

geheiligt, wir haben sie verdammt oder haben

Rituale damit betrieben. Das als ein Beispiel, wie

überraschende Verbindungen von Realität und

Kunstvorgang möglich sind.

Die Produktion "InSekten" war der

Anfang einer Reihe von Versuchen, immer wie­

der auf andere Weise diese Reibung an der Rea­

lität zu versuchen. Der französische Regisseur

Besantie hat z. B. eine Produktion· gemacht, die

hieß "Backroom", und das war ein Versuch, Rot­

lichtmilieu, Rauschbedürftige im kommerziellen

Sexbetrieb zu beschreiben. Er ging einen ganz

anderen Weg. Er hat neben Schauspielern in die

Produktion wirkliche Sexworker einbezogen,

einen männlichen Prostituierten und zwei weib­

liche. Die Spannweite des Abends ging von fer­

nen komplexen Zitaten aus den "Bakchen" .des

Euripides bis zu ganz knallharten Erfahrungs­

berichten, etwa eines männlichen Prostituierten,

Page 48: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

der bestimmte Praktiken im Detail beschrieb und aber haben auch die Schauspieler begonnen,

demonstrierte. Diese Vermischung von z. T. hoch durch Gespräche, durch Beobachtungen, durch

ansetzenden Kunstgesten und einer - weiß Gott Auseinandersetzungen, durch· Mitmachenz. B.

- schmutzigen Realität hat eine waghalsige Auf- von Psychetrainings ihre Kenntnis diese Bereichs

. führung ergeben, deren Gesamtwirkung uns zu erweitern, und durch Improvisationen sind

ermutigt hat, einen solchen Weg weiterzugehen. z. B. Szenen von Widmer festgehalten worden,

oder die Improvisationen waren die Basis für

War_ diese zweite Produktion ebenso erfolgreich wie ..InSekten"?

Überregional nicht , aber lokal hatte

sie eine beachtliche Wirkung,. und in der ensem­

ble-internen Debatte, was unser Weg sein könn­

te, war sie sehr wichtig.

Die bekannteste und dann wirklich

für _das Thema auch belangvollste Unterneh-

'mung, die wir hervorgebracht haben, war die

Produktion .. Top Dogs': Ich bin jetzt nicht auf

dem allerneuesten Stand, vielleicht weiß es

jemand von dem Verlag der Autoren. Urs Wid­

mer sagte mir neulich, es sei iiJZwischen die

60. Inszenierung dieses- Textes angesagt. Wieder

war der Anfangsschritt, mit Recherchen zu

beginnen, mit einer Auseinandersetzung erstmal

·mit einer Alltagsrealität, in diesem Fall die Äng­

ste von Managern vor dem Arbeitsplatzverlust

Wir haben uns herumgetrieben in Outplace­

ment-Firmen. Wir haben uns lange unterhalten

mit Personalchefs. Urs Widmer sprach von einer

Expedition in einen Bereich, wo auch er als

Schöngeist sich erstaunlich unsicher fühlte und

zunächst sehr viel Erfahrungsdefiz'1te hatte. Wir,

also der Autor UrsWidmerund ich, haben als

ein Zweierteam Recherchen gemacht, um uns

darüber klar zu werden: wie sprechen denn die

Leute wirklich, was gibt es da für eine Art von

Mischung aus Wirtschaftsbegriffen, aus

bestimmten versteckten Emotionalitäten, wie

bewegen sie sich? Wir hab·en tagelang an

bestimmten Ritualen in solchen Outplacement­

Firmen teilgenommen. Wir haben intensive

Gespräche zu führen versucht, haben sehr viele

Protokolle von solchen Erfahrungen hergestellt.

Das war der Weg bei .,Top Dogs': Da gab es einen

Autor, eben Urs Widmer, der diese gemeinsam

gemachte Recherche in eine Sprache verdichte­

te, in ein schriftstellerisches Zeichensystem,

wobei die Produktion trotzdem nicht so gelau­

fen ist, daßWidmerein Stück geschrieben hätte,

das dann aufgeführt wurde, sondern wir haben

in einem ständigen Hin und Her mit ein paar

Anfangsvorgaben von Widmer begonnen. Dann

DRAMATURG 1{2 99 I Seite 46

weitere Szenen. ßis wenige Tage vor der Premie­

re wurde an der Grundkonstruktion des Abends .

gearbeitet, und zwar im Sinne von: da ist noch

etwas beobachtungswert, oder da sollten wir

noch .etwas aufgreifen. Trotzdem war ,Jop Dogs"

alles andere als ein Abend, der nur versuchte, die

Wirklichkeit, wie sie ist oder wie wir sie recher­

chiert hatten, einfach zu reproduzieren, sondern

sehr früh war Widmer und mir klar: es muß

natürlich ein Distanzmoment in diese so aufge­

nommenen Erfahrungen hinein. Ich habe z. B ..

sehr früh als Regisseur das Stichwort ausgege­

ben: Laß uns an eine Oratoriumsform denken.

Ein Oratorium für den Kapitalismus in der zwei­

ten Hälfte der 90er Jahre. Wi.r haben viele Ein­

zelgeschichten, viele kleine Zusammenbrüche,

· viele Dialoge, viele Monologe, die man .dann

geschrieben hat, formal zusammenzuziehen ver­

sucht, damit aus all diesen Stimmen, aus all die­

sen verschiedenen Elementen eine bestimmte

. Grundbewegung oder ein System wurde im

Sinne. einer Klage oder einer großen oratori­

schen Form. Das ging parailel mit Fragen: Wie

sind diese Sprachformen wirklich oder wo sind

sie Fassaden, Verhalten von Leuten, die sich als

frisch und durchsetzungsfähig und dynamisch

und energievoll geben, wo tauchen in ihrem

Selbstbild plötzlich dann die Risse auf, wie zei­

gen sich diese Risse? Solche inhaltlichen, stoffli­

chen Fragen waren sofort auch verbunden mit

der Frage, wie zeigen wir diese Phänomene im

Theater, welche Formen sind geeignet, sie zu

transportieren? Wir arbeiteten an musikalischen

Elementen, an choreographischen Formen, an ·

Übersetzungen dieser Realität. Am Schluß ist

dann ein Gebilde entstanden, das in seinem Aus­

druckssystemnicht ein Büro in der Realität oder

eine ganz bestimmte Chefetage nachahmt, son­

dern das bis zu Formen einer großen Klage, eines

polyphonen Verzweiflungsschreis eine ganz ·spe­

zifische Eigenrealität von Theater zu schaffen

versucht.

Ich habe den Eindruck, daß der

gewaltige Erfolg von .. Top Dogs" dadurch erklär-

Page 49: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

bar ist, daß offensichtlich das Theater· einen

großen Hunger hat nach solchen Erfahrungsfel­

dern. Ich behaupte mal selbstkritisch, daß das,

was wir da geschaffen haben, auch viele Unaus­

gereiftheiten hat, aber daß es jedenfalls den

prozessualen Charakter noch erkennen läßt und

daß ich mir eigentlich nur eine Aufführung vor­

stellen kann, die dann eine andere prozessuale

Weiterbewegung vollzieht.

Haben Sie dafür Beispiele gesehen? .

Ich habe eine Aufführung in Düssel­

dorf gesehen, aber sonst keine. Ich häre aber,

daß vor allem ausländische Truppen, z. B. hollän­dische oder amerikanische, mit sehr viel Freiheit

und mit den Erfahrungen, die sie an ihrem

jeweiligen Ort gemacht haben, den .. Top Dogs"­

Faden weiterspinnen. Es scheint, daß da nicht

einfach ein Text brav nachgespielt wird wie ein

übliches schriftstellerisches Werk, sondern daß

m•n die Herausforderung aufgreift, die in dem

Entstehungsprozeß von .. Top Dogs" liegt.

Frage: AlledreiProduktionen ~chöp­

fen also aus der lokalen oder regionalen Rea-.

lität, nämlich der Zürcher. der schweizerischen.

Halten Sie das für den Königsweg, oder spielt

hier auch die Frage eine Rolle, wie geht man

. denn mit einer den Zuschauern auch geogra­

phisch entfernten Realität. etwa der Südameri­kas, um?

· Ich habe überhaupt nicht die Tendenz,

Allheilrezepte geben zu wollen - ich denke, daß

es sehr verschiedene Wege gibt. Lassen Sie mich vielleieht das vierte Beispiel, das ich kurz

beschreiben wollte, dazu nennen und vielleicht

können wir dann noch mal auf diese Wege

zurückschauen. Ich hatte vor, einen weiteren Abend zu. machen zum Thema: Wie geht unsere

Zivilisation im Moment mit Alter um? Also mit

dem Horror, der von vielen Menschen empfun­

den wird, daß immer mehr Menschen alt werden

und daß sie' oft sebr u'nwürdig alt werden, daß'

sie oft länger leben, als es menschenwürdig

erscheint. Deshalb habe ich auch begonnen, in

Alzheimer-Zentren oder in geriatrischen Abtei­

lungen von Krankenhäusern usw. Recherchen zu

machen. Während ich auf diese Weise eine

ganze Menge von Materialien zusammengestellt

habe, lernte ich di.e Schriftstellerin Theresia

Walser kennen. Sie erzählte mir: Ich schreibe an

DRAMATURG 1{2 99 I Seite 47

einem Stück, das sich mit Altersfragen befaßt.

Da war ich natürlich sehr neugierig. Sie hat uns

dann das Stück gegeben, bzw .. es ist dann wie­

derum in einem Dialog mit dem Theater vollen­

det worden. Äber der ·weg war dann doch ein

ganz anderer als bei den vorhergenannten Bei­

spielen. Ther.esia Walser ist eine Dichterin, die

eine ganz eigene Sprache schreibt, die eine poe­

tische Umsetzung von dem, was sie hört, was sie

an Alltagserfahrung hat, unternimmt: Es gab

z. B. keinen einzigen Satz, den ich ihr vorschla­

gen konnte in den Proben, sondern sie mußte

immer ihren Klang, ihre besondere Sprachstruk­

tur finden. Wir haben eine wachsende Zunei­

gung und einem wachsenden Respekt vor ihrer

Sprachkraft entwickelt. Theresia Walser selber

war ein Jahr lang Altenpflegerin. Sie weiß, was

Inkontinenz und Demenz und solche Phänomene

sind. Aber sie hat sie übersetzt in ein sprachli­

ches Zeichensystem, das eine große formale

Deutlichkeit hat.

Sie müssen den Titel auch noch

nennen. .,King-Kongs Töchter': Theresia Walser

hat drei Figuren geschaffen, die eigentlich mit

einer Recherchearbeit überhaupt nicht be­

schreibbar gewesen wären. Sie hat drei fröhliche

Monsterwesen, drei kraftvolle Mörderinnen

geschaffen, und das mit einer großen Spielphan­

tasie oder mit einer nur im Theater möglichen

Erfindungslust Sie hat nicht irgend etwas abge­

schildert, sondern sie hat eine Erfahrung sehr

genau an sich herangelassen und dann mit die­

ser Erfahrung eine neue Realität geschaffen

oder eine bestimmte verdichtete Wirklichkeit

spielerisch entworfen. Für unswar diese

Führung, die sie als Schriftstellerin uns gegeben

hat, entscheidend. Das war also wieder ein

anderer Versuch, diese Reibung an der Realität

herzustellen. Wie gesagt, auch dieses Stück

wurde nicht einfach auf den Schreibtisch gelegt,

sondern die dramaturgische Form und auch

bestimmte Entscheidungen, welche Teile des

Diskutierten man wirklich für die Aufführung .. nimmt, das alles ist erst während der Proben

passiert.

Page 50: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

E NT SC H EI D E N D I S T D I E A.U T HE NT I Z I T Ä T DER MENSCHLICHEN GEFUHLE

über die Produktionsweise bei «Giad» und «Mad»

Von Jeremy Weller

Der englische Regis­seur Jeremy Wel­ler, heute knapp über vierzig, hat seit 1990 Auf­führungen ohne literarische Text­grundlage zusam­men mit Profi­Schauspielern, aber vor allem mit Laien ent­wickelt- um .deren Realität ins Theater zu brin­gen. 1990 entc stand .. Giad" (ein Stück mit Obdachlosen, Stadtstreichern), danach .. Bad" mit jungen Strafge­fangenen (Hooli­gans, Drogenab­hängigen) und hierauf .. Mad", in dem Patientinnen einer Nervenheil­anstalt Teile ihrer Krankengeschich­te spielten. Alle drei Stücke wur­den 1990-92 auf dem Edinburgh Festival uraufge­führt- produziert ·von Jeremy Wel-. lers Grassmarket (Theatre) Project.

Theater war für mich immer, die

Erfahrung anderer Leute zu erforschen. Das ist

das wicf>tigste für mich. Ich bin eigentlich nie so

sehr nur an Kunst interessiert. Kunst ist etwas,

das benutzt werden kann, um die Erfahrung

anderer Leute zu erforschen. Ich habe als Maler

angefangen, und von da her entdeckte ich das

Theater. Ich entdeckte Verbindungen, ich wollte

sie erforschen und machte Stücke und bemerkte

dabei nicht, daß es Kunst war. Also, ich machte

Stücke mit Freunden. Als ich Maler war, machte

ich Performances mit Leuten, die ich traf. Später

bemerkte ich, daß es eine Teilung gab zwischen

dem, was man ins Theater bringen kann, und

dem, was man nicht ins Theater bringen kann.

Ich wollte das näher untersuchen, warum war

das so? ln erster Linie war ich interessiert an

Kunst, ich bin wirklich sehr interessiert an Kunst.

ich mag Kunst. Ich arbeite mit vielen nicht-pro­

fessionellen Leuten zusammen. Wenn ich sage

nicht-professionell, meine ich, sie sind keine

ausgebildeten Schauspieler, aber sie sind gute

Schauspieler, andernf~lls hätten sie keine Rolle

in meiner Produktion bekommen. Vielleicht ist

das ein Widerspruch.

Eine andere Sache, die mich erstaunt hat: daß die armen Prostituierten landauf, land­

ab in Deutschland sehr müde sein müssen von

den vielen Dramatikern, die durch ihre Reviere

streifen. .. Ich dachte immer, man könne mehr

erkennen mit einem dokumentarischen Ansatz,

einem journalistischen Ansatz. Ich interviewte

Leute, ich besuchte Länder wie z. B. Brasilien,

von denen ich denke, daß dort etwas sehr wich­

tiges vor sich geht. Es·gibt 6 Millionen Straßen­

kinder, und ich überlege mir, wie ich ein Projekt

machen kann über diese Kinder in Brasilien mit

Schauspielern. Da ist etwas, das uns betreffen

sollte, also, laßt uns ein Projekt darüber machen,

um es ans öffentliche Licht zu bringen. Die

Medien, denke ich, sind ein Hauptakteur in mei-

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 48

ner Arbeit, weil die Medien es möglich machen,

zu zeigen, was ich sehe; ich nehme sie in

Anspruch, um etwas offenzulegen. Wenn ich

Obdachlosigkeit darstellen wollte, arbeitete ich

mit obdachlosen Leuten zusammen, um ein Pro­

jekt zu machen. Wenn das Thema junge Gefan­

gene im Gefängnis hieß, habe ich mit ihnen

gearbeitet, wenn es Geisteskrankheit war, arbei­

tete ich insbesondere mit Frauen, um dieses Pro­

jekt zu machen. Ich halte dies für einen sehr

demokratischen Zugang zu Themen, über die

nicht in anderer Weise zu sprechen ist.

Bei der Produktion .,Mad" setzte ich

eine Anzeige in die Zeitung und bat Frauen, die

in ihrer Vergangenheit Probleme mit Geistes­

krankheit hatten, sich zu melden. Der interes­

sante Punkt dabei ist, daß fast alle Frauen, die

sich meldeten, Schauspielerinnen waren oder

sind. Viele von Ihnen wird das überraschen. Die

eigentliche Produktion wurde eine sehr chao­

tische Erfahrung für sie, aber auch, weil es da

eine Art Medienfokus in England und in gerin­

gerem Maß in Europa auf Geisteskrankheit, auf

dieses Tabu gab. Ich benutze Kunst, um etwas zu

diskutieren, das unmöglich auf andere Weise zu

diskutieren ist. Kunst erlaubte mir zu diskutieren.

· Es war wichtig, daß es Realität war, aber es war

auch Kunst. Die Leute, mit denen ich arbeitete,

haben gewöhnlich keine Erfahrung mit Kunst,

vielleicht sind sie ungebildet oder sie haben kei­

nen Zugang zur Bildung. Kunst und Theater

waren bisher sehr, sehr fern von ihrem Leben.

Sie hatten noch nicht einmal ein Theater

besucht. Ich ziehe si' ins Theater, damit sie ihre

. Lebenserfahrungen mit anderen Leuten teilen.

Im Sommer haben wir alle eine

Menge vom bosnischen Krieg gehört. Jeder

wußte etwas über den bosnischen Krieg, wir

haben alle soviel darüber in den Nachrichten

gesehen. Also beschloß ich, ein Projekt über ehe­

malige Soldaten zu machen. Ich arbeitete mit

Page 51: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

einem kroatischen General. Im Stück sprach er

über seinen Bruder, über die Erfahrung seines

Zwillingsbruders, der für andertha.lb Jahre in

einem serbischen Gefangenenlager war, und er

erzählte uns, was seinem Bruder widerfahren ist

in diesem Camp. Es war unmöglich, das, was er

erzählte und was er uns von den täglichen Tor­

turen mitteilte, zu theatralisieren: Zehn oder

fünfzehn Leute wurden auf einmal getötet. Eine

Kugel tötete drei Leute. Aber es verursachte eine

Art nationaler Debatte in den englischen Zeitun­

gen, sie sagten: Welche Absicht hat Kunst,

warum nehmen sie reale Soldaten? Ein Krieg ist

natürlich schlecht, Töten ist schlecht. Wie

geschehen diese Dinge, ist Theater der richtige

Ort für diese Dinge, wäre nicht eine Psychiater­

couch der richtige Ort? Für mich ist es am wich­

tigsten, daß man Psychiater in das Theater holt,

um zu sehen, was vor sich geht, oder Anthropo­

logen oder Sozialarbeiter oder Politiker, um zu

sehen, was geschieht. Das ist ein Teil meiner

Gründe hinauszugehen und Leute hereinzuholen.

Der wichtigste und fundamentale Aspekt für

·mich ist ,die Erfahrung. Das interessiert mich. Es

geschehen so viele Dinge in der Weit, daß Thea­

ter versuchen muß, die Fragen danach, was

wirklich in der Weit vor sich geht, zu beantwor­

ten. Es scheint mir, daß Theater unleugbar eine

Art moralische Arena ist, wo auch Freiheit gege­

ben wird. Theater muß für ein höheres Ziel

benutztwerden: zu verstehen was geschieht.

Meine erste Produktion fand statt, als

ich in Landen Kunst studierte, ich arbeitete mit

einer Gruppe Skinheads in Landen und anderen

Leuten, die ich getroffen hatte. Die Produktion

erzählte die Geschichte dieser Skinheadgruppe ..

Aber die Hauptproduktion war "Giad". Das war

eine Produktion mitobdachlosen Menschen; sie

hatten, wie ich es beschreiben würde und wie sie

es uns auch beschrieben haben, eine Art Grund­

glücklichkeit. Sie waren einfach glücklich, am

Leben zu sein, sie hatten keine materiellen Pro­

bleme, sie hatten nur spirituelle Probleme, weil

sie um alles kämpfen mußten. Ich übernahm ein

Gebäude, ein altes Öbdachlosenheim, und

benutzte es wieder als Obdachlosen heim. Es

wurden zehn Betten eingerichtet, ich veranlaßte,

daß die Küche wieder funktionierte, die Bäder

und alles. Wir arbeiteten in einem Obdachlosen­

gebiet von Edinburgh. Die Obdachlosen kamen

selbst und wollten vorsprechen. Ich ließ sie

DRAMATURG 1/2 99 I Sei-te 49

vorsprechen, wie ich jeden vorsprechen lassen

würde. Wenn sie gute Schauspieler waren, konn­

ten sie rein kommen, wenn nicht, konnten sie

nicht rein kommen. Sie übernahmen den Ort und

überließen ihn ihren Freunden für die Nacht. So

wurde es ein arbeitendes Obdachlosen heim. Sie

boten mir auch sehr freundlich Schutz an; hätte

ich ihn nicht in· Anspruch genommen, wäre ich

zusammengeschlagen worden. Also nahm ich

den Schutz an. Die Leute, die kamen, um das

Stück zu sehen, wurden fast mißhandelt von den

Obdachlosen, die sie in das Stück stießen und sie

herumschubsten .. Jemand sagte: Ich habe mein

Ticket, wo soll ich warten? Und jemand antwor­

tete: Ist mir scheißegal, wo du wartest. Verpiß

dich. Das Publikum fand das sehr verlockend, es

genoß es irgendwie. Ich dachte, es würde belei­

digt sein, nein, es kam immer wieder, es liebte

es. Es war ein TeH der Erfahrung. Das Stück an ..

sich war ein ziemlich komplexes Stück. Ich ver­

suchte gegen die Pre-Konzeption zu kämpfen,

weil ich mit einer Menge nicht-professioneller

Leute arbeitete. Sie waren obdachlos, viele

waren Trinker und Drogenabhängige. Ich mischte

sie mit Schauspielern, damit wir es auf ein pro­

fessionelles Niveau heben konnten. Aber ich

hatte sehr gute Schauspieler, die mit mir arbei­

teten, und sie setzten einen Standard und sag­

ten: Wir können nicht unter diesen Standard

fallen. Das Stück tourte in sie6en oder. acht ver­

schiedenen Ländern Europas, es gewann fünf

Preise. Ich erwähne das, weil es sehr wichtig ist,

weil ich einen Standard setze, den ich nicht fal­

len lassen möchte. Ich möchte, daß der Standard

so hoch ist wie im traditionellen Theater, wenn

nicht höher.

. Einige Leute, mit denen ich in "Giad"

gearbeitet habe, sagten: Wer ist an unserer .

Geschichte interessiert? Wie können wir unsere

Geschichte ausdrücken? Und ich sagte: Alles,

was ihr tun müßt, wenn ihr auf der Bühne seid,

ist, emdtional echt zu sein. Ihr müßt in dem Text

sagen, was ihr fühlt, weil es einen Text gab,

einen sehr strikten Text, aber ich sagte: Wenn

eure Gefühle echt sind in dem Moment, wenn

ihr diese Dinge sagt, wird das. Gefühl rüberkom­

men, und eure Gefühle sind universell. Verstehen

Sie, man muß nicht intellektuell se.in, um sie zu

verstehen. Es erwies sich als richtig, denn die

Männer und Frauen darin hatten einen starken

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schottischen Akzent. Ich glaube, Manfred Beil­

harz wird mir recht geben, weil er die Produkti­

on in Bann hatte, daß sie sehr klar zu verstehen

war, auch wenn die Sprache oft verloren ging

wegen des schottischen Dialekts. Ich suche nach

einer Art universeller Theaterform, die, meine

ich, gefunden wurde und die wieder in .,Mad" zu

finden ist.

Entscheidend ist die Authentizität der

·menschlichen Gefühle, die das Publikum zu

spüren bekommt. Das ist keine intellektuelle

Sache. ln England sagen wir, daß die Heimat des

konzeptionellen Theaters Deutschland ist. Viel­

leicht ist das falsch, oder? Sie sind intellektueller

als wir. Wir schauen auf politische Dinge, Sexua­

.lität ... seit einer langen, langen Zeit, aber Sie

haben auf die Kunst geschaut. Nun, ich denke,

nachdem, was ich heute gehört habe, ist, daß

Sie mehr Realität ins Theater tinbringen wollen,

Sie wollen die Menschlichkeit des Lebens ins

Theater bringen. Ich denke, das ist ein nobles

und wichtiges Ziel, da die Mehrheit der Leute

keine Kunsterfahrung hat. Sie alle hier im Raum

haben eine Erfahrung mit Kunst, die Ihr Leben

verändert hat oder die Sie wahrscheinlich auf

eine bessere Art leben läßt, und Sie möchten

wahrscheinlich diese Erfahrung mit anderen

Leuten teilen, die weniger Glück hatten. Ich

meine, Kunst ist eine unglaubliche Sache, sie ist

eine spirituelle Sache, eine moralische Sache,

eine belebende Sache, und sie ist Arbeit. Wenn

sie eine spezielle Art Arbeit ist, kann man das an

Leute weitergeben .

.,Mad" war ein Stück über Geistes­

krankheit, aber es lief ab in der Form eines Ver­

sprechens. Frauen kamen, ich ließ sie vorspre­

chen, und das Vorsprechen brach oft zusammen.

Ich sagte zu ihnen: Zeigen Sie mir die Erfahrung,

die mir Geisteskrankheit verdeutlicht. Sie zeigten

mir eine Szene, die ein Aufsummieren der Zeit

war, in der sie geisteskrank waren. Das war eine

sehr bizarre Situation. Ich saß in einem Raum

und sah Frauen zu, die einen Nervenzusammen­

bruch hatten, und dann wählte ich die richtige

aus. Aus dem Vorsprechenlassen wurde das

Stück. Ich schnitt zusammen, und das Stück war

innerhalb eines Tages fertig. Ich prüfte das Stück

mit psychiatrischen Beratern und professionellen

Leuten, die mit Geisteskrankheit umgingen. Alle

diese Leute applaudierten dem Ergebnis, sie

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 50

konnten ihre Namen daruntersetzen, sie sagten:

Das muß fortgesetzt werden.

Ein Problem haben wir nicht vorher­

gesehen. Alle Frauen in dem Stück, es waren

acht Frauen, wurden jedes Mal, nachdem das

Stück aufgeführt wurde, Ratgeber. Ich möchte

behaupten, daß unter Garantie jede einzelne

Frau in diesem Raum, wenn sie das Stück sähe,

etwas über sich selbst darin finden würde, ein

verstecktes Geheimnis, das durch das Stück her­

auskommt, weil die Schauspielerinnen acht sehr

intelligente, geduldige Frauen waren, die eigent­

lich ihr Leben aufgegeben hatten. Am Ende jeder

Aufführung wurde jede Frau ausgewählt und

härte die Krankheitsgeschichte einer anderen

Person, was die durchgemacht hat, was die tun

könnte. Also, jede Schauspielerin kam am Schluß

zu mir und sagte: Wir haben es ·wirklich genos­

sen, in dem Stück mitzuwirken, aber weil wir all

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diese Extra-Stunden aufgewendet haben, als wir

mit den Leuten gesprochen haben, glauben wir,

unsere Gage sollte größer sein. Ich sagte: Ver­

geßt es, so läuft das nicht.

Ich erfand den Text mit den Frauen

selbst und konzentrierte ihn dann sehr, sehr

strikt. Jedoch gab es immer einen Punkt, den sie

weiter bewegen konnten oder an dem sie etwas

weniger machen konnten. Sie hatten die Wahl,

mehr oder weniger zu tun. Oft kamen die Frauen

und sagten: Ich kann das so nicht machen, ich

mache es so. Aber sie wußten: da man ein Stück

Szene aus Architektur hat, wird das Stück zusammenfallen,

Jeremy Wellers wenn bestimmte Teile fehlen. Alles hatte seinen

"Mad" II mit dem Platz- und trotzdem war es jeden Abend ein

Grassmarket Project, anderes Stück. Manchmal wurde es eine sehr

Gastspiel im Neuen schwarze, dunkle Aufführung, und ich sagte

Theater München anschließend: Könnt ihr es nicht lustiger

FotoNigel Dickinsan machen? Ich will mehr Lachen, sie haben nicht

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 51

genug gelacht. Manchmal war es zu lustig. Ich

sagte: Könnt ihr es nicht trauriger machen? Ich

will mehr Tränen, nicht genug Leute im Publi­

kum haben heute abend geweint, können wir

daran arbeiten?

Frage: Fühlten die Frauen sich besser?

Das war ein Teil des ganzen Rrozesses.

Es war nicht mein Ziel, muß ich sagen. Ich wollte

etwas mitteilen. Ich denke, es wurde vorher hin­

reichend bespr.ochen. Ja, einige von ihnen sag­

ten, daß sie sich besser fühlten, manche fühlten,

daß sie aus sich herausgekommen sind: Ja, ich

war geisteskrank. Geisteskrankheit ist eines der

größten Tabus in der westlichen Gesellschaft.

Das Stück wird immer noch gegeben. Ich toure

noch mit diesem Stück, weil die Leute immer

wieder danach fragen.

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DAS GESAMTKUNSTWERK .. IM ZEITALTER SEINER BAUFALLIGKEIT

Von Gisela von Wysocki

Der zweite Tag der Basler Tagung war vor allem dem Thema "Begattung der Gattungen oder: das theatralische Zusammenwirken der Künste" gewidmet. Den

· ersten Beitrag lie­ferte Gisela von Wysocki, Autorin

' von ..Schauspieler Tänzer ~ängerin" und "Abendland­leben oder Apolli­naires Gedächt­nis': Des letzteren Uraufführung fand am 4. Januar 99 am Theater Basel statt, Regie Jossi Wieler.

Frage: Was ist ein Gesamtkunstwerk?

Die unausweichliche Antwort:· der "Ring" von

· Richard. Wagner. Aber ein Gesamtkunstwerk ist

auch die japanische Teezeremonie. Die Ladenga­

lerie in Frankfurts Schillerstraße ist ein Gesamt­

kunstwerk und das Goetheaneum in Dornach.

Der australische Selbstdarsteller Stellare läßt

nach und nach seine natürlichen Organe durch

künstliche ersetzen und transformiert seinen

Körper in ein anatomisches Gesamtkunstwerk.

Das "Par;Jdör"-Hotel in La Gomera, mit Swim­

mingpool, Palmengarten und alter Klosteranlage,

bezeichnet sich ·in einem Hausprospekt als ozea­

nisches Gesamtkunstwerk. Boris Grays gab sei~

nem Buch über die kommuni.stische Diktatur in

Rußland den Tite.l ,,Gesamtkunstwerk Stalin':

Das Gesamtkunstwerk hat Konjunktur.

Schon wird die ganze Welt als ein überdimensio­

nales Gesamtkunstwerk vorstellbar. Das "Ich",

diese gute, alte abendländische Erfindung, ist

ohnehin schon längst in den Rang eines

Gesamtkunstwerks erhoben worden. Die eigene

Biographie ist zur Selbstgestaltung freigegeben.

Sie jongliert und vibriert im Rhythmus sukzessi­

ver Monogamie, selbstbestimmter Chronologie,

kreativer Selbst-Therapie.

Gesamtkunstwerke sind "in'', sie

haben die Rolle einer geistigen Dachorganisation

übernommen und bieten sich an als Pilgerstät­

ten für· das, was wir als Menschen geworden

. sind: herrenlose Engel, wie Franz Kafka es sah.

Das Ich der Moderne ist durch dekonstruktive,

durch eruptive, kollektive, progressive und ulti­

mative Prozesse hindurchgejagt worden, nun

will es ein Dach über dem Kopf haben und sich

etwas harmonischer fühlen dürfen.

Die Idee des Gesamtkunstwerks hat

das Zeug dazu, trügerische kleine Oasen der

Totalität zu errichten. Sie hat etwas Tröstliches

an sich, stellt eine Synthese, ein Netzwerk der

Bezüge in Aussicht. Wenn Peter Sloterdijk Recht

hat und der Zustand heutiger Existenzen der der

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 52

Entgeisterung ist, dann wäre die Vorstellung

vom Gesamtkunstwerk so etwas wie eine Er­

Füllung mit Sinn; ein substanzielles Bild, ein ver~

söhntes Gesamtgebilde anstelleeines sich ent­

leerenden, aller eigenen Inhaltsstoffe sich ent­

ledigenden Ich.

So gesehen, saugt das gutgemeinte

Gesamtkunstwerk uns auf, es bereitet familiär

seine Arme um uns und stellt sich in unseren

Dienst.

Aber werfen wir noch einen anderen

Blick auf die Möglichkeiten, die Reichweiten des

Gesamtkunstwerks. Deramerikanische Objekt­

künstler Mare Ouinn ließ Häute seines Körpers

und seines Kopfes herstellen, Verdoppelungen

seiner Außenwände gewissermaßen, und füllte

das Kopfinnere mit seinem Blut, das Körperinne­

re mit seinem Atem. Seine beiden Installationen

stellen die Frage, ob sie unabhängig vom Körper

des Künstlers gedacht werden können. Ob sie

nicht für alle Zeit ausgelagerte Bestandteile sei­

ner Physis sind, das heißt, in sich die Gesamtheit

des Körpers des Künstlers abbilden? Damit also

die künstlichen Häute, der Atem, das Blut und

· der erfindungsreiche "Ausgangs"-Körper des

Künstlers sich zum Gesamtkunstwerk zusam­

menfügen? Das heißt, Grenzen verschieben,

Körper-Konturen aufheben?

Denken wir, um uns langsam dem

Theater zu nähern, an das Stück "Hamletmaschi­

ne" von Heiner Müller. Es wirft den.ZuschilUern

sprachliche Wrackteile zu, Elementarteile des

Verstehens ... Hamlet", abtretend, am Ende seines

abendländischen Bühnenlebens. Tausendfache

Verkörperungen liegen hinter ihm, Höhepunkte

· und Blessuren. Seine Figur ist gezeichnet von der

weltweiten Dauerqua I, die er quer durch die

Jahrhunderte und quer durch die Kulturen, all­

abendlich in den Theatern rund um den Globus

abzuliefern hatte. Aufgelöst, zerfasert, verschlis­

sen steht ein abgehalftertes Monstrum uns vor

Augen. Nichts an ihm wäre monströs, nichts

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bedeutungsvoll, ja, die "Maschine" Hamlet wäre

gar nicht da, wenn nicht uns, den Zuschauern,

das Panorama seiner tausendfachen Existenzen

als wissende Phantasie zur Verfügung stünde.

in "Ha(lllets" Paranoia kennen wir uns

aus, vor den apokalyptischen Zügen seiner Figur

und vor ihren Fragmenten bleiben wir nicht

ratlos stehen. Wir sind angeschlossen an eine

größere Geschichte, an eine Legende, an ein

Universum, das "Hamlet"-Universum. Müllers

Hamlet braucht unser Gedächtnis und unser

Wissen. Auf diese Weise schließt sich hier kein

Gesamtkunstwerk, nein, es öffnet sein Territori~

um. Um Resonanzen zu erzeugen, um Verknüp­

fungen einzugehen, die außerhalb seiner liegen.

Ein Gesamtkunstwerk stelle ich mir als

ein Stück, als einen Stoff vor, die nicht verwei­

len, nicht haltmachen bei der Idee eines schlüs­

sig durchkomponierten, narzißtischen Ganzen. Es

handelt sich um lückenhaftes Gewebe, lose

Struktur, aber gerade darin ulll bündnisfähiges

Material. Eher Stufe •. Stadium - als abgerunde­

tes, vollständiges Werk. Das Werk: Gesamtkunst- ·

werk in diesem Sinn, ist die Vorführung von

Berührungen, eine Form der libidinösen Energie,

die durch die Teile hindurchfließt, sie aber nicht

zusammenschmiedet Ein solches Werk braucht

die Komplizenschaft der Theaterbesucher,

braucht ihren Gedächtnisspeicher.

ln dem Stück "Schauspieler Tänzer

Sängeiin", das ich vor zehn Jahren für den

Regisseur und Bühnenbildner Axel Manthey

geschrieben habe, teilen sich die drei Hauptdar­

steller in einer Sprache mit, die an einer Stelle

als "scharf akzentuierte, straffe Geistersprache"

bezeichnet wird. Aus ihren weltberühmten,

hochdotierten Körpern, Kehlen und Mündern

gelangt- versatzstückhaft, in Floskeln, Formeln:

aus der verzerrten Optik der Spezialisten heraus­

das Idiom der Bühnensprache selbst: Protagoni­

sten-Syntax gewissermaßen, auf die Szene. Ein

Schauspieler, der sich fragt: wie atmen, schauen,

wie bewegen sich Schauspieler? Ein Tänzer, der

seinen Part aus archetypischem Material entfal­

tet. Seiner Rolle liegen Leben, Philosophie und

kinetisch choreografische Aufschreibsysteme des

Alexander Nijinsky zugrunde.

"Einblicke Ausblicke", "Schritte Rich­

tungen", "Atemzüge" werden auf diese Weise zu

szenischen Vorgängen. Ein Zusammenspiel viel­

fältiger Absprachen: polyphoner Stimmabgaben

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 53

vor dem Horizont einer gemeinsamen Theater­

kultur. Man sieht die Mythen am Werk: Vorgän­

ge; Abläufe; Verabredetes.

Den Künstlern werden b'emalte Tafeln

zugeteilt: Segmente, Gebärden aus dem Fundus

ihrer Herkunftsgeschichte. Auf der Tafel des Tän­

zers ein gemalter Fuß mit Nervenbahnen; die

Sängerin trägt das Schild ihrer goldenen Kehle

vor sich her; der Schauspieler als Gattungszei­

chen deri Clown. Eine Etüde des Zeigens und

Sehens. So läßt der Tänzer zunächst nur Teile·

seines Körpers spielen, als seien sie vereinzelte,

brillante Fragmente seiner selbst. Ein Glissando

·der Knochen, Skeletteile. Figuren. Figurinen.

Alles daswirkt zusammen, organisiert sich, bis

plötzlich aus den bewegten Körpergliedern ein

atmender, lebender Tänzer wird. Eine exemplari­

sche Lektion über das gebrechliche Wunderwerk

der Künstlerkorper. Im Fall der Primadonna hat

sich der Kehlkopf in ein Fabelwesen verwandelt.

Aus einer Reihe von Organen, Schlund und

Zunge, Mund- und Rachenraum, ist ein Ort der

Neurose und des Sakralen geworden.

"Ganz offensichtlich ist: der Mensch

wird nachgeahmt, genauer noch, er scheint wie

ausgebessert oder überarbeitet zu sein, wo nötig

·aufgefüllt und abgerundet: teilweise ganz

ersetzt...", sagt der Schauspieler. in seinen Körper

sind tausendfache Verwandlungen eingegangen,

die physiognomische Kennerschaft von Jahrhun­

derten, das anatomische Wissen ganzer Mimen­

Stämme. So ist er zum überdimensionierten

Anthropolog'en geworden: grotesk und ·anzie­

hend zugleich.

Mit Vorhang und Licht, so beginnt der

Abend. Ein Gesamtkunstwerk? Wenn mehr damit

gemeint sein soll als die Frage nach Sparten und

nach dem Spielbetrieb eines Hauses, mehr als

eine äußerliche ästhetische Formbestimmung,

dann denke ich, ist das Stück "Schauspieler Tän­

zer Sängerin" für sich genommen eine Spiel­

Partitur. Sie braucht die Zuschauerlust, das

Zuschauerwissen. Es müssen sich in diesem Wis­

sen Abdrücke, Bilder, Vergegenwärtigungen von

Bühnen, Bühnenstoffen befinden, von Kulissen

und von Kunstgriffen, vom Faszinosum des

Spiels, von den Aufstiegen der Stars. Dann erst

weitetsich das Werk zum Gesamtkunstwerk,

werden die Anspielungen des Textes theatrali­

sche Wirklichkeit, breitet sich ein Raum aus über

den Wörtern; ein Dach über den Körpern.

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Ein paar Bemerkungen noch, zum

Abschluß, über das Stück "Abendlandleben", das, wie Sie vielleicht wissen, Anfang Januar 1999

·hier, im Schauspielhaus Basel unter der Regie

von Jossi Wieler, in der dramaturgischen Mitar­

beit von Judith Gerstenberg, uraufgeführt wird.

Sein Ausgangspunkt ist ein menschliches

Gedächtnis; von sich aus also ein Speicherorgan,

das, rein szenisch gesehen, auf die Form des

Gesamtkunstwerks weist. Der Dichter Guillaume

Apollinaire wird als Infanterist während des

Ersten Weltkrieges von einer Granate getroffen.

Während der sich anschließenden Operation ist

es ihm möglich, sich über Spiegel in den eigenen Schädel zu blicken: sein Gedächtnis zu betrach­

ten. Dieser Blick, dieses Schauen auf das zutage

tretende Gedächtnismaterial bestimmt die Dra­

maturgie des Stücks. Ein Blick wie auf ein Präpa­

rat gerichtet.

Was liegt näher für die szenische

Phantasie, als einmal in einen Kopf hineinzu­

schauen? Dort wie ein Forscher in seinem Labor

herumzulaufen? Zu schauen, was innerhalb die­

ses Gebäudes aus Haut und Wissen, aus Gewebe

und aus Gedächtnis vor sich geht? Den Blick zu

richten auf all die gespeicherten, abgelagerten

Lemuren der europäischen Zivilisation? Einen

Kopf zu betreten wie eine Bühne. Ein Menschen­

museum: poetisch analytischer Hall raum.

Die Zeremonien einer uns unbekann­

ten Menschenart, bloßgelegt von den chirurgi­

schen Instrumenten, werden sichtbar: Grundrisse

des Europäischen. "Europa", die "heiter helle Sonntagsweit geschmückter Barbaren", die Weit

der EUROPI, betritt die Bühne. Die künstlich

angelegte "Person"; die "Frau" in verschi_edenen Versionen; der "Mann", der "Künstler': Eine Weit

ohne Haut und Fleisch, doch von Stoffen, Ko.stü­

men, von Kulturen und Spielen überzogen.

Repliken, Kopien.

Mit einem Set von Metaphern und

Motiven, Bildern, Figuren, Spielen geht "Abend­

land! eben" den Lebensgesetzen der EUROPI

nach. Bahnt sich einen Weg durch die Kammern

der Bedeutung, durch Wände der Projektion.

24 Szenen, unterteilt in 24 "Naturen"; das heißt

24 Mal Überformung, Erweiterung, heißt 24

Etappen innerhalb einer Siegergeschichte. Eine

ironische Diagnose abendländischen Lebens, das

in seine Elementarteile zurückübersetzt wird.

So sind die Regieanweisungen zu

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 54

"Abendlandleben", die Ausführungen über

Mimik, Gestik, Erscheinungsbild des Schauspie­

lers; direkte Ausformungen seiner Rolle, seiner

szenischen Identität. Die Zigarettenspitze der

"vampiristischen" Braut ist nicht nur äußeres

Requisit, sondern in die Haut ihrer Hand hinein­

gewachsen. Marie, die "hysterische" Braut, trägt

nicht nur den Schleier, sie i s t der Schleier.

Man schaut der Arbeit der Zivilistation am

menschlichen Rohstoff zu. Ein Universum der

Wunden, die, technisch vernäht, nichts mehr

sehen lassen von ihrem Vorhandensein: abend­

ländische Definitionen des Fortschritts.

Der Blick des Frischoperierten ist

gerichtet auf die komplexen Überblendungen

von Archaik und Moderne. Auf die Spannung

zwischen gesellschaftlicher Maschinerie und

wildfremder Natur- Schicht des Elementaren.

Alles, was auf der Bühne geschieht, wird aus·

einem Menschenkopf herausgezogen und der

öffentlichen Betrachtung preisgegeben.

Der Abendländer als Gesamtkunst­

werk? Nein. Eher doch seine ironische Vor­

führung, sein zerbrochenes Bild, das heißt Meta­

phern der Schadhaftigkeit in Verbindung mit

dem eingeweihten Zuschauer: Das könnten die

Ingredienzien sein.

Abgegoltene I unabgegoltene Stufen unseres Menschenlebens? ln welchen Räumen

sind wir zuhause? Stehen wir am Anfang oder am

Ende oder in einem Vakuum von Raum und Zeit?

Oder überhauptjenseits von solchen Fragen?

Wenn das Bild auf die Bühne über­

springt, aus einem Hauptdarsteller-Gedächtnis heraus, in die Köpfe der Theaterbesucher, dann

könnte an solchen Schnittstellen der Verunsi­

cherung, der Befragung und Erkundung, könnte

in diesem Fluidum einer kollektiven Selbstverge" wisserung ein Gesamtkunstwerk vorstellbar sein.

Nicht als Form, nicht als Programm, nicht als

Anspruch. Sondern als theatralische Kombinato­

rik aus Schauspielkunst und Gedächtnisarbeit;

aus zeitgenössischem Bühnenmaterial und der

sozialen Erfahrung des Publikums.

So gesehen, sind die offenliegenden

Nähte, also die Wunden eines Textes [wie die

Wunde am Kopf des Bühnenprotagonisten) seine

Einstiegslöcher. Nur das noch nicht zu Ende

geschriebene Werk atmet, greift nach einer Frei­

heit, die in seinem Organismus wütet wie eine

vegetative Dystonie.

Page 57: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

Szene aus der Basler

Uraufführung von

Gise/a von Wysockis

"Abendland/eben", Premiere 4.1.99,

Regie Jossi Wie/er.

mit Iris Erdmann,

Isabelle Menke,

Anne Weber und

Beate Stucky

Foto

Sebastian Hoppe

Kann man so weit gehen zu sagen,

daß gerade das Theater es ist, das eine Möglich­

keit bereithält, Bewußtsein, Wissen zurückzuge­

winnen? Die Realität, in der wir leben, zwingt

uns, elementare, .bedeutungsvolle Bereiche unse­

res Lebens einzuebnen, immer weitergehend zu

neutralisieren. Das Wesentliche entzieht sich

zusehends. Kann das Theater mit seinen Bildern

etwas festhalten davon? Kann der Raum, da, wo

er zum Ereignis gemacht wird, Lesarten der Rea-

DRAMATURG 1/2 99 I Seiti! 55

lität intensivieren? Verstehbarer machen? Kann

das Theater anstelle eines begrifflich bereinigten

Konzepts das Bewußtsein für Lebensprozesse

vertieft vor Augen führen? .,Der Blick", so

schrieb Botho Strauss, "enthält noch in Spuren

'Hintergrundstrahlung' von Urzeit und Fülle. Mit

den Worten beginnt die Vertreibungsgeschichte."

Urzeit und Fülle: das wären schon einmal zwei

brauchbare Anknüpfungspunkte für eine neue

Lesart des theatralischen Gesamtkunstwerks.

Page 58: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

EINE DENKMASCHINE über die Arbeit des Marstalls München Von Elisabeth Schweeger

Im zweiten Teil der Debatte über "Die Begattung der Gattungen" berichteten drei Jheatermacherin­nen, die grenz­überschreitend arbeiten. Elisa­beth Schweeger hat in diesem Sommer ihren Aufgabenkreis entscheidend erweitert: neben der Leitung des Marstalls, die sie · beibehält, zeich­net sie jetzt auch als Chefdrama­turgin des Bayeri­schen Staats­schauspiels ver­antwortlich. Auch dessen Häüser, das Residenz-und das Cuvillies­Theater, will sie öffnen, will in andere Räume gehen und in den beiden Häusern , selbst auch Künstler anderer Sparten heran­ziehen. Und es gibt für die Spiel­zeit 1999/2000 ein Motto: "Ach Deutschland': Man wird sehen.

Ich bedanke. mich für die Einladung

heute. Es .ist für mich immer sehr seltsam, in

einer rein theatralischen Umgebung zu sitzen,

obwohl ich in einem Theater arbeite. Ich möch­

te, weil vorher soviel über Analyse und Theorie

geredet worden ist, mich jetzt einfach auf die

Praxis beschränken und erzählen, was wir im

Marstall in München machen. Der Marstall

gehört zum Bayerischen Staatsschauspiel; das ·

besteht aus drei Häusern, aus dem Residenzthea­

ter, dem Cuvillies-Theater und dem Marstall.

Man hat versucht, mit dem Marstall innerhalb

eines traditionellen. Theaterverständnisses auch

etwas anderes zu entwickeln. Der Marstall hat

nicht die Aufgabe, neue Theaterstücke zu ent­

wickeln, sondern sich als Keil zu betrachten, der

auch das Theater selbst in Frage zu stellen hat.

Das ist ein ganz persönliches Anliegen von mir.

Ich bin ein großer Skeptiker, was

heute Kunst im allgemeinen betrifft. Ich glaube

auch nicht, daß die Kunst heute sich in isolierter

Form oder spezialisierter Form darstellen sollte.

Sie dringt heute in alle Bereiche ein. Sie

bestimmt die Bereiche auch. Wenn wir heute

Werbung ansehen oder Marktstrategien prüfen,

wenn wir·schauen, was die Wirtschaft heute

macht, wenn wir sehen, wie Kunst im Öffentli­

chen Raum plaziert wird, können wir nicht mehr

sagen, daß Kunst riur funktioniert in diesen tra­

ditionellen Institutionen wie z. B. Museen, Thea­

tern, Kunstzentren oder Kunstvereinen. Daraus

hat sich für mich die Frage ergeben, was kapn

ich überhaupt zeigen in so einem Theaterraum,

der an sich schon eine massive Vorg'abe ist? Das

erste, was ich zuerst gemacht habe im Marstall:

Ich habe alles rausgeschmissen, ailes, was als

theatrale Vorgabe vorhanden war, einerseits der

Zuschauerraum, andererSeits der Bühnenraum,

das habe ich eliminiert, so daß ich den reinen,

puren architektonischen Raum hatte, der aller-

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 56

dingsseine ganz bestimmte Geschichte hat. Ich

habe Leute eingeladen, nicht immer nur Künst­

ler, sondern auch andere Leute aus anderen

Bereichen, auch aus der Wirtschaft, aus der Poli­

tik, aus der Werbung, in diesen Raum einzutre­

ten und mit ihm umzugehen. Dadurch sind

eigenwillige Sachen entstanden, die für mich das

formuliert haben, wasich glaube, was wir heute

am meisten machen müssen, nämlich Fragen zu

stellen.

Der Marstall ist in den letzten fünf

Jahren zu einer Art Denkmaschine geworden. ln

Japan gibt e,s das ja, da gibt es diese sogenann­

ten Thinktanks, wo die verschiedensten Men­

schen zusammenkommen, ob das jetzt Soziolo­

gen sind, Philosophen, Wirtschaftsleute oder

auch Künstler, die miteinander einen Diskurs

führen und versuchen herauszufinden, wo

Gemeinsamkeiten entstehen, aber auch Dispa­

ratheilen bestehen bleiben. Wozu der Marstall

nicht da ist: einem Harmoniebedürfnis Rech­

nung zu tragen. Im Gegenteil: Wir versuchen,

Disparatheilen herzustellen und die Lust zu

wecken auf Vielfalt. Vielfalt heißt: Es gibt so

viele Möglichkeiten, an Themen unserer Zeit

heranzugehen, und es gibt nicht nur eine Mei­

nung, es gibt nicht nur eine Vision, sondern es

gibt viele mögliche ästhetische Umsetzungsfor­

men, und die können in ihrer Vielfalt dann viel­

leicht ein Gesamtbild ergeben. Vielleicht! Das

erfordert natürlich vom Zuschauer, daß er sich

nicht einfach als Konsument betrachtet, sondern

daß er selber ein mündiger BUrger ist, der sich

das nimmt, was er braucht, und es vielleicht

auch zurückwirft, wenn er es nicht braucht.

Die Projekte, die wir da drinnen ver­

anstalten, sind ganz unterschiedlich. Wir haben

auch Salons, wo einfach nur diskutiert wird, wo

Sachen vorgestellt werden. Wir haben auch Pro­

jekte, wo wir verschiedene Menschen zusam­

menbringen, Architekten mit Wirtschaftsleuten,

Musiker mit Choreographen. Diese Verschrän­

kung von verschiedenen Denkweisen hat einfach

zu verschiedenen Bildern geführt oder auch

Umsetzungsformen. Also, man kann auch nicht

mehrvon einer reinen theatralen Form sprechen,

aber es ist alles in einer performativen Art dar­

gestellt. Doch das kann sich auch nur in einem

Bild generieren. Ein ganz einfaches Beispiel:

"Granular Synthesis" - das ist ein Musiker und

ein Bildhauer. Man befindet sich in einem leeren

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Raum und hat vier oder fünf überdimensionale

Leinwände vor sich, auf denen Körper zu sehen

sind, die mit Video abgefilmt worden sind. Die

Projektion wird mit Elektronik gesteuert und

generiert. Es verändert sich der Körper, der nur

bestimmte Grundeinsteilungen hat, über das

Medium der Technik, und erzählt wird so eine

unglaubliche Vielfalt an Möglichkeiten, die der

Körper hat, d. h. von der Ekstase bis zum Ruhe­

stand, von der Auflösung bis zu einer Illuminati­

on. Das ist eine Beschäftigung mit dem Tafelbild

auf der einen Seite, auf der anderen Seite geht

THEATER AUS DEM LEBEN GENERIEREN

über die Arbeit des Festivals ,;Theaterformen" und die englische Gruppe· Forced Entertainment Von Marie Zimmermann

es darum, wie kann ich Körper heute im Zeit­

alter der Virtualität, wo der Körper sich aUflöst

oder nichtmehr so präsent ist, trotzdem noch

·präsent machen und den Zuschauer motivieren,

die sich verändernden Körperbilder anzuneh­

men? Die Musik ist meist ohrenbetäubend. Das

hat sich entwickelt aus der Technoszene, wo der

Rhythmus und der Ton in den Körper eindringen

- also, selbst wenn man sich die Ohren zutlält,

das bringt nichts. Der Ton kriecht einfach in

einen hinein und nimmt den Gesamtkörper in

Anspruch; es entsteht eine Kontakt- und eine

Dialogmöglichkeit zu dem, was man auf dem

Bild sieht. Das sind ganz andere Formen von

theatralen Vorgängen,.die meiner Ansicht nach

aber auch Theater sind. Es sind neue Formen, bei ·

denen nicht ein Handlungsstrang abgewickelt

wird, weil Geschichten sich heutzutage meiner

Ansicht nach nur noch sehr schwer erzählen las­

sen. Erzählt werden stattdessen Befindlichkeiten

und Zustände der heutigen Gesellschaft. ,.Granu-

·Im Gegensatz zum Marstall in Mün­

chen ist das Festival Theaterformen eine sehr

junge und dazu auch noch sehr diskontinuier­

liche Institution .. Das Festival ist Anfang der 90er

Jahre gegründet worden in Braunschweig

damals von der Niedersächsischen Landesbank,

die die letzte bundesrepublikanische Landesbank

war, die eine Kunststiftung gründete undneben

dem Bereich Kunst im öffentlichen Raum dann

auch die darstellenden Künste in Braunschweig

ansiedelte. Braunschweigerwies sich als eine

Stadt, die zu klein ist, um selbst ein finanzstar­

kes Festival mit der Publikumsresonanz zu seg­

nen, daß es auf zukunftsfähige Beine gekommen

wäre. Dann hat das Land zunächst einmal ver-.

sucht, Hannover und Braunschweig zu animie~

ren, das Festival gemeinsam durchzuführen. Im

. Vorfeldder Expo 2000 hat man dann beide

Städte bewegen können, das Festival wieder

aufzunehmen; Die erste Ausgabe hat im Juli

1998 stattgefunden in beiden Städten. Ich habe

damals, befragt, ob ich dem Festival ein Motto

lar Synthesis" haben wir mit mehreren Museen geben möchte, auch mit Blick auf die Grün-

co-produziert. Es waren sieben Co-Produzenten, . dungsvergangenheit, die dieses Festival hatte, die das zustande gebracht haben. Sie sehen, daß sehr bewußt den Titel, den es von Anfang ari

auch die Produktionsformen sich auch schon hatte, nämlich Internationales Festival Theater-

mal verändern und daß dadurch .auch eine formen, in den Vordergrund gestellt.

andere Diskursebene entsteht, weil man mit so Es gibt eine englische Gruppe, die ich

vielen Co-Produzenten zusammen reden muß. bei der Recherche für das Festivalprogramm

kennengelernt habe und dann mit einer gewis­

sen Hartnäckigkeit auch alles von ihnen verfolgt

habe, weil es mir zunächst einmal ein großes

Rätsel war, wie man denn so Theater machen

kann und wie das denn Leute, Zuschauer inter­

essieren kann, aber das taten sie in Scharen und"

sehr nachhaltig. Das war die britische Gruppe

Forced Entertainment, die, von einem College in

Darlington an der Westküste Englands kom­

mend, sich Anfang der 80er Jahr<: in Sheffield

als Kollektiv niedergelassen und dort begonnen

DRAMATURG 1/2 99 l Seite· 57

Marie Zimmermanns Arbeit für das Festival Theater­formen findet im nächsten Jahr im groflen Rahmen der hannover­schen·Expo 2000 statt. ,.Ouizola", der Text der eng­lischen· Gruppe Forced Entertain­ment, über den Marie Zimmer­mann in Basel berichtete, liegt übrigens auch einem der Workshops der Dresdner Tagung zugrunde. Also kann man das Folgende auch als Einleitung dazu lesen.

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hat, ihre Theaterstücke zu entwickeln. Im

deutschsprachigen Raum sind zwei davon bekannt, die einerseits sehr verwandt sind, ande­

rerseits sehr kontrastreich zueinander stehen.

Das eine heißt "Speak Bitterness", das andere

"Quizoola': "Speak Bitterness" besteht bei einer maximalen Dauer von 8 1/2 Stunden aus 565

Bekenntnissätzen, die in der Qualität wechseln

zwischen ",ch habe soeben meine Mutter umge­

bracht.'~ und "Ich habe hinter dem Rücken mei­ner Freundin, die Vegetarierin ist, einen Hambur­

ger gegessen." Die Spielanordnung sieht so aus,

daß die sechs Spieler etwa 60% dieser Bekennt­

nissätze festlegen. Es gibt keine Kostüme, die

Spieler treten scheinbar als Privatpersonen auf,

dennoch kann man sagen, es sind Figuren. 60%

der Belienntnissätze sind festgelegt, und 40%

sind sozusagen der freien Improvisation und der

Chaostheorie a'nheim gegeben. Dasselbe gibt es

auch mit einem Spiel vom Fragen ...

Schweeger: Ich denke, daß Forced

Entertainment vor allem mit dem Prinzip der

Authentizität arbeitet, und das ist etwas, was

das Theater nicht tut. Und auch die Formen, die

sie wählen, sind ja eigentlich untheatralisch. Sie

sitzen an einem Tisch wie wir und rede.n 1 und

daß sich aus dem Reden etwas Performatives

entwickelt, geschieht aus dieser Authentizität

heraus und nicht aus einer vorgegebenen

Geschichte. Das kommt aus dem Performance­

Bereich, der nichts mit dem Theater zu tun hat.

Performance hat sich aus dem Leben generiert

und nicht aus dem theatralischen, künstlerischen

Prozeß.

Zimmermann: Ein Sponsor hat uns bei

dem diesjährigen Festival ermöglicht, eine Som­

merakademie für junge Theatertalente aus allen

Bereichen durchzuführen. Wir hatten ein Ensem­

ble von einem Dutzend junger Leute zwischen 20 und 25. Sie kamen aus· Albanien, Tschechien,

Rußland, Belgien, den Niederlanden und Deutschland. Mit ihnen liaben wir eine Woche

lang anhand von "Quizoola", anhand dieses "Forced Entertainment" spielt ,,club no regrets" Spiels vom Fragen, gearbeitet, um klar zu

Foto Hugo Glendinning machen, daß dieses ästhetische Verfahren sich

zwar aus diesem Kollektiv entwickelt hat, aber

trotzdem ein theatralisch reproduzierbares

Material ergeben hat.

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 58

Beinahe in allen Theaternationen der

Weit ist mittlerweile die Durchdringung von bil­

dender Kunst, Musik, Sprechtheater, Tanz ein

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künstlerischer Standard. Die Grenzen dazwischen

haben sich längst aufgelöst. Da kommt es für

mich als Festivaldirektorin darauf an, den in die

verschiedenen Szenerien ausgewanderten Publi­

kumssachverstand wieder zu einen. in einer

Stadt wie Hannover steht an erster Stelle das

Interesse für die bildende Kunst, an zweiter Stel­

le kommt das für zeitgenössische Musik, Platz

drei ist nicht besetzt, und erst auf Platz vier ran­

giert das zeitgenössische Schauspiel. Da kommt

es darauf an, daß sich Zuschauerinteresse

anhand eines solchen Festivals wieder bündelt.

Das gelingt dann mit Produktionen wie z. B.

Heiner Goebbels "Schwarz auf Weiß", auchwenn

mir das dann die Rüge einträgt, das sei keine

Novität. Ich sage dann: Das ist ein Stück, das

einfach möglichst viel gespielt werden muß.

Die beiden Staatstheater, sagen Sie, sind Träger des Festivals? Und deren Arbeit, deren traditionelle, herkömmliche Arbeit wird nicht tangiert, wird nicht geöffnet?

Zimmermann: Doch. Seide Staats­

theater waren eingeladen, mit einem eigenen

Beitrag sich an diesem Festival zu beteiligen. Das

Staatstheater Braunschweig· hat das aus sehr

praktischen Gründen nicht leisten können, weil

das Festival am Ende der ersten Spielzeit einer

neuen Intendanz stattfand, so daß da alle Kräfte

sich auf die erste Spielzeit konzentrierten. Han­

nover hatte ursprünglich zwei Beiträge gemel­

det, der eine war Christof Nels Ödipus~Adaption

"Die Wunde Ödipus", in der Schauspieler und

blinde Laien zusammenarbeiten. Das zweite Pro­

jekt war ein freies Projekt von Andreas Kriegen­

burg und einer kleinen Produktionsgruppe, die

den Traum hatten, im Mai/Jun·i in einem eigenen

Produktionszusammenhang einen Beitrag für

das Festival entwickeln zu können, das ist dann

leider Gottes mit allseitigem Einverständnis zehn

Tage vor dem Premierentermin abgesagt worden,

einfach weil das Vorhaben, aus dem normalen

Stadt- und Staatstheaterbetrieb auszusteigen

und in sechs Wochen ein freies Projekt zu ent­

wickeln, sich als praktisch nicht gangbar erwie­

sen hat. .

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 59

.. BEGATTUNG DER GATTUNGEN" - was ist das, ·

wie organisiert man das? Von Maria Magdalena Schwaegermann

Ich möchte vielleicht zunächst einmal

was zu meiner Arbeit sagen. Ich bin seit zwölf

Jahren im internationalen neuen Tanztheater-,

Musiktheaterbereich tätig. Angefangen habe ich

mit Nele Hertling 1987 mit der Planung für die ·

Werkstatt Berlin, die im Rahmen von Berlin -

Kulturhauptstadt Europas stattgefunden hat. Es

war ein Programm, das schon damals die Gren­

zen des Kunstbegriffs sprengte. Wir haben

damals bewußt Design und Mode mitaufgenom"

men, gleichwertig neben Literatur und Musik,

Theater und Oper. Nach dieser Zeit, nach diesem

Festival bin ich mit Nele Hertling ins Hebbel­

Theater gegangen als stellvertretende künstleri­

sche Leiterin. Ich bin dort zuständig für das, was

man Theater und Musiktheater nennt, und weni­

ger für den Tanz, soweit man das überhaupt

trennen kann bei uns.

Zum Thema "Begattung der Gattun­

gen" in zwei Schritten. in einem ersten Schritt

möchte ich noch einmal einige Beispiele nennen,

die uns in den letzten zehn Jahren begleitet

habenund die vielleicht eine Entwicklung zei­

gen. Im zweiten Schritt stellt sich die wichtige

Frage, wie plant und organisiert man das? Ich

denke, darin ist dann auch das Warum verbor­

gen.

Zum ersten Punkt: Wir haben im Rah­

men der Werkstatt Berlin 1988 einen Programm­

punkt gehabt, der nannte sich "Grenzüberschrei­

tung': Dieser Begriff gefällt mir eigentlich auch

besser als "Begattung der Gattungen" und wird

für die weiteren Ausführungen der richtige

Begriff sein. Das war eine Reaktion auf die

Bewegung von Künstlern, Bühnenbildnern,

bildenden Künstlern, Designer raus aus dem

Theater hin zu einer eigenständigen Kreation

eines theatralischen Raums, der nicht immer

unbedingt im Theater zu finden ist. Das konnten

auch ganz andere Orte sein. Sie wollten alle

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einen theatralen .Raum schaffen, und das haben

sie getan unter Verwendung all der Elemente,

die einen Raum zu einem theatralen Raum wer­

den lassen: Bewegung und Licht und Sound und

Musik und Klang und Farbe und auch Text,

wobei der Text in diesen Projekten meistens

nicht den Vorrang hatte, sogar teilweise erstmal

in den Hintergrund gedrängt, später dann wie­

der gleichberechtigt behandelt wurde. Wir

haben dann diesen Begriff "Überschreitun.g der

Gattungen" zum Motto gemacht für unsere

internationale Arbeit, haben ja immer mit deut­

schen und internationalen Künstlern zusammen­

gearbeitet, und ich nenne vier Beispiele.

Gerhard Bohner war ein Tänzer und

Choreograph, der sehr früh in den Dialog mit

den anderen Künsten gegangen ist, deswegen ist

es mir wichtig, ihn hier zu erwähnen. Es ging

nicht mehr um das Illustrieren der einen Kunst

durch die andere oder umgekehrt, sondern um

den Dialog mit einer Skulptur, mit einem Bild,

mit Musik. Was Bohner eigentlich gesucht hat

oderformuliert hat, ist der Raum zwischen sich

als Tänzer und dem Kunstwerk, das in sich

genauso eigenständig bleibt wie er, also nie Illu­

stration ist, sondern Formulierung des Raumes,

der dazwischen liegt. Man appelliert durch solch

eine Art von Arbeit an das Gedächtnis, das das

Publikum mitbringt. Es wird durch den Künstler

nur angestoßen, angeregt, und das Publikum ist

in der Lage, eigenständig diesen theatralen

Raum dazwischen mitzuentwickeln.

Eine andere Produktion, die wichtig

für uns. war, war die von "Schauspieler Tänzer

Sängerin". Die war noch in einem anderen

Zusammenhang entstanden, nämlich im Staats­

theaterumfeld. Erst war der Textvon Gisela von

. Wysocki da, und dann gab es den Regisseur

Christof Nel und die Künstler, die das ganze zum

theatraliSchen Werk gemacht haben. Glücklich

gelungen ist das Ganze, weil die Künstler, die

zusammentrafen, wirklich in einem Team zusam­

mengearbeitet haben.

Ich denke aber, das ist noch eher die

traditionelle Form, wohingegen die Wooster­

Group viel weitergegangen ist- zwar unter der

Leitung einer starken Figur wie Elisabeth

LeCompte, aber das ganze Werk der Wooster­

Group ist ja nur denkbar als Teamwork zwischen

Künstlernganz verschiedener Herkunft: Video­

künstler, Lichtkünstler, Musiker, Schauspieler und

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 60

auch Leute, die überhaupt gar keine Schauspie­

ler waren. Ron Water, selber später der wichtig­

ste Schauspieler der Gruppe, hat ja nie eine

Schauspielausbildung gemacht, also die Grenze

ganz massiv überschritten, und hat damit

eigentlich einen ganz neuen Raum des Schau­

spiels geschaffen.

Schließlich: Heiner Goebbels ist sicher

das ganz wichtige Beispieleines Künstlers, der

diese Grenzüberschreitungen nicht nur gewagt .

hat, sondern dem es auch gelungen ist, auf eine·

ganz neue Weise Projekte zu produzieren, wo

einem gar nicht' mehr die Idee kommt, daß da

Gattungsgrenzen überschritten werden. Er ist ja

eigentlich nicht .im klassischen Sinn Komponist,

denn er nimmt nicht nur musikalisches Material

zur Grundlage seiner Kompositionen, sondern

alle Möglichkeiten, die z. B. bei einem Musiker

. vorhanden sind. ln "Schwarz auf Weiss" ist zu

sehen, wie er den gesamten Katalog von Bewe­

gung und Haltung der Musiker auf der Bühne

als Grundlage nimmt, um eine Gesamtkomposi­

tion herzustellen. Sie bei.nhaltet das Erzeugen

von Tönen und auch die Phantasie, die sich um

das Erzeugen von Tönen' herum

bilden kann. Das ist sicher ein Beispiel, daß die

·Gattungsgrenzen sich· aufgelöst haben ..

Zweite Frage: Wie plant und organi­

siert man diese Projekte? Ganz wichtige Grund­

voraussetzung ist, daß wir als Theaterleiter kei­

nen Auftrag für so ein Werk erteilen, son.dern

diese Werke oder die Ideen an uns herangetra­

gen werden. Die Künstler oder der Künstler

kommen mit der Idee, und das sind meist sehr

vage Ideen, und man versucht herauszufinden,

ob sich das realisieren läßt. Man hat nichts, an

dem man sich festhalten kann, keinen Text, der

eine politische oder gesellschaftliche oder poe­

tische Aussage hat. Es ist erstmal eine Idee, die

sich aus einem Raum oder aus einem Klang oder

einem Gedanken zusammensetzt, und dann wer- .

den Teams gebildet, meistens von den Künstlern

alleine, und wir bieten dann dazu die Mitarbei­

ter an, die in der Organisation tätig werden.

Das bedarf flexibler Personen. Unsere

Mitarbeiter- wir haben ja ein ganz kleines Team

im Hebbel-Theater, und nur so läßt sich auch

Flexibilität garantieren - unsere Mitarbeiter

haben in den Jahren, in den letzten zehn Jahren

gelernt, daß jedes Projekt völlig andere Bedin­

gungen setzt. Jeder Mitarbeiter muß einen Weg

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miterfinden, d. h. er hat nicht feste vorgeschrie­

bene Bahnen, sondern er muß selber Verantwor­

tung übernehmen und kann selber kreativ sein.

D. h. es muß ein ganz großes Vertrauen unter

den beteiligten Künstlern, Organisatoren und

Technikern bestehen.

Die Techniker, die bei uns beschäftigt

sind, sind alle Freelance-Techniker, hochqualifi­

zierte Leute, also Künstlertechniker, sie bringen

jeweils von Projekt zu Projekt ihre Fähigkeiten

ein. Manche bestehen darauf, Lichtdesigner zu

sein. Wir haben einen, der hervorragend ist •. der

schaut sich sehr genau an, welche Künstler kom­

men denn da? Und von Projekt zu Projekt ent­

scheidet er, ob er dort als Lichtdesigner mitar­beitet oder ob er lieber Techniker bleibt, d. h. es

muß .auch ein Funke überspringen zwischen den

Künstlern bei solchen Projekten, die ja immer

Wagnisse sind, riskante Unternehmungen, weil

zunächst nichts zum Festhalten da ist. Das muß

stimmen zwischen den Künstlern.

Wenn Sie mich nach einem Beispiel

fragen, also jedes der jetzt aufgeführten Beispie­

le hat eine andere Betreuung gebraucht. Ger­

hard Bohner brauchte immer eine ganz konzen­

trierte Situation, brauchte viel Zeit. Die Men­

schen, die mit ihm arbeiteten, mußten ein hohes

Maß an Geduld mitbringen und mußten sich

·eigentlich sehr zurücknehmen. Gleichzeitig .hat

Bohner immer Partnerschaft gesucht bei den·

Mitarbeitern, und zwar bei allen Mitarbeitern -

bei dem, der ihm administrativ half, und auch

bei. dem, der ihni technisch half. Bei Heiner

Goebbels ist es eigentlich genauso. Natürlich

kommt ~r mit einer festen Idee, er dirigiert das

ganze Unternehmen, aber es geht nur im

Zusammenspiel mit dem Ensemble "Modern" und

im Zusammenspiel miteinander. Die Techniker

und Organisatoren müssen sich einfügen und müssen ihren Part dazu entwickeln. Manche

Dinge scheinen unmöglich umzusetzen zu sein, und d;Jnn bedarf es eines neuen Ansatzes: Viel­

leicht können wir über einen ganz anderen Weg

die Sache doch realisieren.

Wir machen die Erfahrung, daß das

Publikum neugieriger, cleverer und schneller ist,

als man das erwartet. Die Zuscheuer nehmen die

extremsten Versuche gerne mit auf, sie begleiten

Prozesse gerne. Es ist nicht wahr, daß sie immer

Highlights haben wollen, und zur Premiere muß

der Vorhang hoch, und dann muß alles stimmen.

Viele haben darauf überhaupt gar keine Lust .

mehr. Im Gegenteil. Wenn wir Proben öffnen,

kommen Leute. Auf so einem kleinen Haus wie

dem Hebhel-Theater liegt eine große Last, weil

. es viele Experimente ausprobieren will und muß,

weil so viele Angebote da sind. Wir haben sicher

nicht die Kraft gehabt, mehr junges Publikum

reinzuführen in diese Prozesse, da auch viele

Projekte gar nicht in Berlin vor Ort entstehen,

. sondern bei den anderen Partnern. Wir tauschen ·

uns untereinander aus. Was Not tut: daß wir

Orte schaffen, in denen solche Experimente ent­

wickelt werden können, und daß diese Orte auch

geöffnet werden. Keine Angst davor, den Pro­

benprozeß zu öffnen. "Work in process" von der

Wooster-Group war dadurch wunderbar besucht.

Es ist schade, daß das nicht viel mehr praktiziert

wird. Und ich denke, das ist ein Ansatz, den wir

alle gemeinsam weiter betreiben müssen. Das

geht genauso gut in den offenen Strukturen wie

in den Staatstheatern. Wo bleiben die Studios

der Stadt- und Staatstheater, wo offene Proben­

prozesse möglich sind? Die Labors fehlen.

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 61

Page 64: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

WAS MACHEN FRAUEN IM THEATER HEUTE?

Die Basler Debatte "Was machen Frauen im Theater heute?'' war eigentlich als ein

· Schlußpunkt gedacht: hinter die Arbeit der Arbeitsgemein­schaft .,Frauen im Theater" (Fin innerhalb der Dramaturgischen . Gesellschaft -

· was auch damit zusammenhängt daß die früheren FiT-Aktivistinnen beruflich jeweils eigene Wege . gegangen sind, · und daß das Buch "Frauen im europäischen

. Theater" als FiT­Resumee verstan­den werden kann. Inzwischen haben

·sich aber einige Frauen gefunden, die in der Dres­dener Mitglieder­versammlung am Sonnabendnach­mittag für die Wiederaufnahme der FiT -Arbeit plädieren werden.

E in R ü c k b I i c k und ein Katalog offener Fragen Basler Podiumsi:liskussion

Anne Schöfer: Ich darf Ihnen

zunächst das Podium vorstellen. Das sind Mieke

Kolk, Professorin am Institut für Theaterwissen­

schaft in Amsterdam, Hildegard Kraus, langjähri­

ges Leitungsmitglied des Theaterhauses in der

Gessnerallee in Zürich, Dagmar Walser, Kulturre­

dakteurin der «Wochenzeitung" in Zürich und

Katrin Tiedemann, Kulturredakteurin des «Frei­

tag" in Berlin.

Dieses Thema «Frauen im Theater" galt

schon einmal als fast abgeschlossen. Wir haben.

allerdings das Erscheinen eines Buches zum

Anlaß genommen, uns noch einmal mit der

Frage zu beschäftigen, die uns alle, wie wir hier

sitzen, schon 10, 15 Jahre bis zu 25 Jahre ver­

folgt, begleitet. befruchtet hat- auch das. Aus

der Arbeitsgruppe nFrauen im Theater", die

innerhalb der Dramaturgischen Gesellschaft

gearbeitet hat, ist ein Buch entstanden, das

«Frauen im europäischen Theater heute" heißt

und das eine Bestandsaufnahme dessen ver­

sucht, was Frauen in verschiedenen europäischen

Theaterländern tun und tun wollen. Lesen Sie es

. einfach. Es ist auch erschienen von der Theater­

und Mediengesellschaft Lateinamerika ein Band

«Geschlechter- Performance - Pathos- Politik",

der das Wirken von Frauen im Theater Südame­

rikas beschreibt. Und bald wird erscheinen ein

Buch von Mieke Kolk, das heißt «Wer würde ich

sein, wenn ich sein könnte?» Es ist eine Bestands­

aufnahme von dem, was Frauen im niederländi­

schen Theater taten und tun zwischen 1975 und

1998. Wir wollten einerseits heute zurückschau- ·

en auf das, was sich in den letzten Jahren getan

hat, aber wir wollen uns natürlich auch mit der

Gegenwart beschäftigen und einen Blick nach

vorne werfen. Hildegard Kraus: Das Theaterhaus in

der Gessneralle hat sich die freie Schweizer

Szene und speziell die Züricher einst erkämpft.

Wie ich 1989 dahingekommen bin, ist kenn­

zeichnend. Es waren bereits drei Männer für die

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 62

Leitung gefunden. Es sollte ein Leitungsteam

sein, streng nach basisdemokratischen Richt­

linien, und jetzt fehlte mindestens noch eine

Frau. Und von vielen Frauen, die sich haben vor­

führen lassen, konnte man sich auf keine eini­

gen. Mir war ein anderes Schicksal beschienen:

Ich kam, sah und siegte, aber die Frauen davor

mußten doch hochnotpeinliche Befragungen

über sich ergehen lassen, was sie als Frauen

gedächten innerhalb der freien Szene als Drama­

turg in zu leisten. Letztes Jahr habe ich die Lei­

tung abgegeben und bin nicht dafür verant­

wortlich, daß ihr keine Frau mehr angehört. weil

um die Nachfolgerin soll man sich selber nicht

kümmern, das bringt nur Ärger. Aber ich hätte

es gerne gemacht, in dem Fall.

Um zu beschreiben, was und wie

·meine Arbeit in den letzten zehn Jahren-war,

muß man vielleicht sagen, woher ich kam. Das

war eben das Stadttheater Heidelberg, und auch

da war ich nicht Opfer, sondern verdanke den

Aufstieg oder überhaupt die Tatsache, Drama­

turgin zu sein, Männern, die den Zeichen der

Zeit gefolgt sind. Der Frauenaufbruch hatte

gerade stattgefunden in Theatern, also Rotraut

de Neve, Heidrun Vielhauer mit dem nLetzten

Schrein _und überhaupt noch so ein paar Frauen­

produktionen. Der findige Wilfried Schulz, der

damals Dramaturg in Heidelberg war, meinte,

daß er nun als Mann dem Stückemarkt, den er

zusammen mit seinem Intendanten Peter Stol­

zenberg begründet hat, nicht allein vorstehen

könne. Er wollte jemanden, der mit einem fri­

schen, freien Blick von außen kommt. Dazu

schien ich ihm gee1gnet, weil ich von der Philo­

sophie herkam und dann einen Frauenbuchladen

mitbegründet und geleitet hatte. Am Heidelber­

ger Theater stieß ich zunächst auf erbitterten

Widerstand des Intendanten Peter Stolzenberg,

weil er keine Emanze wollte in seinem Laden.

Das hat sich dann geändert mit der Zeit. Und es

war Not an Frau, weil: der Stückemarkt des

Page 65: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

nächsten Jahres hieß «Weibsstücke», da sollte

nur von Autorinnen und Regisseurinnen usw. die

Rede sein.

Der Anfang war nicht ganz einfach,

man muß sagen, Heidelberg war ein Stadtthea­

ter mit relativ strenger Hierarchie. Wenn das so

klingt, ~ls hätte ich mich mit Peter Stolzenberg

nicht verstanden - dem ist nicht so. Ich bin in

Frieden gegangen, anders als viele andere vor

mir. Er hat gelernt. Ich war die erste Schau­

spieldramaturgin, die es in dem Haus gab,

danach kamen immer wieder auch Frauen.

Dann der Wechsel von der Hierarchie

in Heidelberg hin zur freien Szene hier in der

Schweiz, hin zu basisdemokratischen Strukturen.

Letztlich mußte jede noch so kleine Produktion

in Besprechungen ausgesessen werden. Die Pro­

duktionen wurden an uns herangetragen, inan

produziert nicht selbst. Das machteine große

. Freiheit aus einerseits, weil man nicht selber

produzieren muß, nicht an ein Ensemble gebun­den ist. Andererseits kann es au.ch in dem

Augenblick, wo wenig Geld vorhanden ist, das

man de.n Gruppen zur Verfügung stellen kann,

dazu führen, daß man so eine Einkaufsmenta­

lität ·entwickelt. nach Jahren zumindest, wenn

man glaubt, schon fast alles gesehen zu haben.

Dann vereinfacht es sich zu: Daumen hoch oder

runter, kaufen wir es, kaufen wir es nicht wie teuer ist es, kann man den Preis noch runter­

drücken. Das ist der negative Aspekt dieser frei­

en und offenen Strukturen. ·

Worauf ich noch getroffen bin, war

eine sehr intakte, offene und aktive Zürcher

Frauenszene. Damit hatte ich nicht gerechnet,

ich dachte, das Frauenstimmrecht in der Schweiz

ist ja nun sehr spät gekommen, alles andere

kommt mit einer ähnlichen Verzögerung. War .

aber überhaupt nicht der Fall,.auch in der Uni

nicht

Bei den Schweizer Männern gibt es

eine Mischung aus Unduldsamkeit und Empfind­

lichkeit, die man wenig, wirklich wenig bei deut­

schen Männern oder Österreichischen findet,

und dazu eine extreme Heimatverbundenheit,

die sich fast nie zeigt, weil die Schweiz ist ja so

eng, und man meint, man könne sich hier ja gar

nicht wohl fühlen letztlich. Aber man geht auch

nicht, sondern bleibt, und alles wird durchgeses­

sen. Das hängt natürlich auch mit Streitkultur

zusammen, mit der fehlenden oder der anderen.

DRAMATURG 1{2 99 I Seite 63

Die andere ist eben, daß man ganz früh erken­

nen muß, wie empfindlich die einzelnen Themen

sind und wie rasch sich jemand auf den Schlips

getreten fühlt, und daß ein Konflikt nicht ein­

fach dazu da ist, um eine Lösung zu finden, son­

dern um Verlierer zu produzieren. Doch jeder

Konflikt, derVerlierer produziert, ist nicht gelöst.

Das ist meine Haltung.

Zu der Pioniersituation kam noch, daß

dieses Haus oder überhaupt die freie Szene sich

den Luxus einer Dramaturg in oder eines Drama-

. turgen bis dahin nicht hatte leisten können,

über lange Zeit hinweg nicht. Und jetzt wird da

eine in das Leitungsteam gesetzt, die mit das

Sagen hat, mit einkauft oder einlädt- wollen

wir mal das schönere Wort nehmen. Plötzlich

war die Angst und das Mißtrauen sehr, sehr

groß, da kommt jetzt eine, die reinredet, die

vielleicht die großen und guten Ideen der freien

Szene versucht, theoretisch zu analysieren und

ihnen das eigentliche- das, was sie wirklich

spontan machen wollen - kaputt macht Und

das muß ich noch zur Organisationsform der

Geßnerallee sagen: Dieses Haus hat nicht nur

einfach ein Leitungsteam, sondern einenThea­

terrat, der bestückt ist mit Menschen aus der

freien Szene und aus anderen Zusammenhängen,

auch zwei Sitze für Unabhängige gab es da. Das

waren zu meiner Zeit 14 Menschen, die darüber

befunden haben, ob die Programmrichtlinien gut

sind, und ob wir die einhalten. Sie haben den

Erfolg mitbilanziert, haben unsere Verträge aus­

gehandelt und verlängert. ln diesem Theaterrat,

der einem Verwaltungsrat gleichkommt, er ist

fest in Statuten verwurzelt, ist ein Sitz, den eine

der FiT-Frauen hier in der Schweiz einnimmt,

d.h., es war ein großes Bedürfnis auch in der

freien Szene, die Anliegen der Frauen innerhalb

der Statuten mitzuverankern. Was, Gott sei

dank, nicht dazu geführt hat, daß ich als Drama­

turg in darauf festgelegt war, mich nur um Frau­

enbelange innerhalb des Theaters zu kümmern.

Das haben wir zu viert gemeinsam und, ich

denke, auch relativ gründlich gemacht. · Dagmar Walser: Du hast es selbst

schon erwähnt, du bist auf sehr fitte Frauen

getroffen. Was ja bei der FiT-Schweiz auffällt,

ist, daß sie im Gegensatz zur deutschen FiT von

Frauen aus der freien Szene gebildet wurde, und

zwar zwei Jahre nach der FiT-Deutschland. Ist

die freie Szene attraktiver für Frauen?

Page 66: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

Hildegard Kraus: Ich muß die Frage

umdrehen und fragen: warum sind so wenige

Frauen aus den Stadttheatern in der FiT­

Schweiz? Das hängt mit der großen Fluktuation

zusammen, denke ich, und daß die Frauen, die

an Stadttheatern arbeiten, doch relativ anders

und stärker eingebunden sind in ihren Arbeits­

zusammenhang, morgens Probe, abends Spiel­

vorbereitung, während die Frauenaus der freien

Szene ganz andere Produktionsverhältnisse

haben. Ich könnte jetzt nicht sagen, daß die FiT­

Frauen aus dem freien Theater selbstbewußter

sind im Vergleich zu ihren Kolleginnen aus dem

Stadttheater, aber sie haben ein anderes·

Bewußtsein, weil sie natürlich überhaupt keinen

Apparat vorfinden, sondern selbst Produktions­

leiterin sind, selbst ihr Management machen,

selbst ihre Ideen und Konzepte entwickeln, die

Festivals je nach dem selber organisieren, also ·

die kleineren, wo sie ihre Arbeiten zusammen­

fassen. Frauen wie. Barbara Liebster, Desiree Mei­

ser, Barbara Frey und Deborah Epstein hatten zu

kämpfen, mußten erst einmal Geld beschaffen,

um eine Produktion auf die Schiene zu bringen,

um Idee, Konzept, Spielstätten zu finden, Gagen

zu kriegen, sich selber bezahlen zu können, um

nicht die Grenze zur Selbstausbeutung zu über­

schreiten. Die FiT-Schweiz, und das ist ein Unter­

schied zu ·Deutschland, begriff sich auch als pro-

. duzierende Gruppe. Als ich '88 kam, hat d.ie

Gruppe von Claire Bretecher «Die Frustierten»

übersetzt auf Schwyzerdütsch, das war eine

ziemlich erfolgreiche Produktion, die hätte noch

lange weiterlaufen können.

Dagmar Walser: Eine Entw'icklung in

der freien Szene der Schweiz zumindest in den

letzten Jahren war ja, daß immer weniger Texte

interpretiert wurden, sondern immer mehr Pro­

jekte entstanden. Kamen dadurch andere

Frauenfiguren auf die Bühnen?

Hildegard Kraus: Frauen haben einen

anderen Blick auf Figuren, ob das jetzt Frauen­

oder Männerfiguren sind. Eine gute Arbeit

zeichnet sich doch letztlich dadurch aus, .daß

Anstrengungen unternommen werden, um mir

die Phantasie zu öffnen. Ich denke, es ist schon

ein Unterschied, ob Barbara Bilabel Elfriede Jeli-

. neks «Raststätte» inszeniert oder Frank Castorf.

Anne Schäfer: Steve Valk hat vorhin

formuliert, Kultur sei der Versuch, sich mit

menschlichem Dasein auseinanderzusetzen.

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 64

Plötzlich sind wir wieder in einem Feld von

Dasein, Realität, ldentiM, und ich nehme das als

Überleitung zu dem, womit Mieke Kolk sich

beschäftigt. ln ihrer praktischen Arbeit hat sie

· fünf Jahre die erste feministische Theatergruppe

in Holland mitgeleitet, mitgeformt ln ihrer

theoretischen Arbeit hat sie versucht, Analyse­

modelle zu entwickeln, um dominante und

nichtdominante Ästhetiken zu beschreiben. Sie

hat uns auch einen Weg gezeigt, wie man diese Modelle und dieses Vokabular, die sie entwickelt

hat, auch auf andere theatrale Erscheinungen anwenden kann. Mieke, inwiefern spielte und

spielt der Begriff der Identität in deiner prakti­

schen und theoretischen Arbeit eine zentrale

Rolle? Mieke Kolk: Dieses Thema Identität

steht im Mittelpunkt meines neuen Buches und

auch des kulturellen und theoretischen Denkens,

aber es war mir noch nicht so klar, daß es auch

während der letzten 25 Jahre schon so war,

besonders bei Frauen. Als Gruppe «Persona» wur­

den wir subventioniert. und zwar für vier Jahre.

Wir konnten ohne Männer arbeiten, dennoch

hatten wir natürlich männliche Schauspieler und

Techniker usw. usw. Wir waren nicht männer­

feindlich, aber wir konnten eigentlich genau tun, was wir wollten. Wir hatten in Holland

zuerst eine soziale Welle im Frauentheater, das

war natürlich die Emanzipationsproblematik,

dann hatten wir eine essentielle Welle, als es darum ging, ob Frauen eigentlich. nicht viel bes­

ser sind, weil sie biologisch soviel mehr können

als Männe.r. Dabei spielten die Thesen von

Helene Cixous eine wichtige Rolle. Sie sagte:

Frauen sollen ihre eigene Sexualität, ihre Libido

entdecken, das, was sie Verlangen, wie sie das

verlangen, das wurde dann eine Art-Leitfaden in

den BOer Jahren. Die Gründung von «Persona»

war allerdings mehr kulturell definiert. Wir woll­

ten die Klassiker anders interpretieren. Wir woll­

ten eigentlich die Frauenfiguren, die, wie Sie

wissen, immer Ehefrauen oder Töchter sind, und

die eigentlich in den großen Dramen eine kleine,

· schon wichtige, aber kleine Rolle spielen, die

wollten wir wieder aufführen und Raum geben

für die weibliche Stimme, die weibliche Erfah­

rung, die weibliche Perspektive. Was wir ent­

deckten, war eigentlich, wie gut diese klassi­

schen Texte geschrieben sind. Ich meine, man

kann nicht nur im visuellen Bereich Kontrapunk-

Page 67: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

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DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 65

Page 68: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

Frauen

te setzen oder die Frau vielschichtiger oder die

Männerein bißchen schäbiger darstellen. Die

Handlung ist so fix und fertig und wirklich ein

Motor des Stücks. Das hat uns dazu gebracht,

verschiedene Methoden zu entwickeln. Wir woll­

ten wirklich diese- Texte dekonstruieren, eigent­

lich ein bißchen kaputtmachen, so daß Möglich­

keiten geschaffen werden, um mehr über Frauen

und Männer zu sagen. Es ging immer wieder

·darum, wie Frauen abgebildet werden. Und das

war für uns besonders wichtig, weil natürlich

diese Archetypen von Frauen überall noch her­

umguckten und standen und natürlich auch in

Reklamen und in Filmen überall anwesend

waren, und wir dachten,.wenn wir nicht mal

anfangen, da Fragen zu stellen und vielleicht

neue Frauenfiguren oder wenigstens ambivalen-

im europäischen Theater heute

Die Arbeitsgruppe «Frauen im Theater» hat durch die

Unterstützung der Dramaturgischen Gesellschaft und mit Hilfe

eines Stipendiums des Förderprogramms Frauenforschung vom

Senat Berlin die Anthologie «Frauen im europäischen Theater

heute» bei der Europäischen Verlagsanstalt Harnburg im November 1998 herausgegeben:

Autorinnen aus siebenundzwanzig Ländern berichten. Die

Beiträge folgen den Spuren der Theaterfrauen, der Schauspielerin­

nen, Regisseurinnen und Autorinnen. Eine Bestandsaufnahme, wie

es sie bisher noch nicht gibt: ·aus der Innensicht Ein Logbuch und

Nachschlagewerk über Künstlerinnen in ganz Europa: in den skan­

dinavischen Ländern, im Baltikum und in Osteuropa, auf Zypern

und in der Türkei, in Griechenland, Spanien, Bulgarien und lsland;

ein Buch über Frauen wie die deutsche Regisseurin Andrea Breth

oder die Österreichische Autorin Elfriede Jelinek und die Schweizer

Performancekünstlerin Pipilotti Rist, die längst die nationalen Gren­

zen überwunden haben, und über so weltberühmte Theaterfrauen

wie Ljudmila Rasumowskaja aus Rußland, Dacia Maraini aus Italien

oder Ariane Mnouchkine aus Frankreich.

Das Buch kann zu einem Freundschaftspreis von 25. DM

bei der Dramaturgischen Gesellschaft, Tempelherrenstr. 4, 10961

Berlin, Tel: 030 6932654, Fax: 030 693 2482 bestellt werden.

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 66

tere Frauenfiguren zu zeigen, dann bleibt es

immer so. So haben wir Shakespeare gemacht,

und wir haben zweimal «Die Möwen von Tsche­

chow gespielt. Das eine Mal war, wie wir. sagten,

«eingelebt», das war noch .in der Tradition Sta­

nislawskys. Das war eine sehr erfolgreiche Vor­

stellung. Wir wurden auch eingeladen zum nie­

derländischen Theatertreffen, aber worum es uns

ging, war zu zeigen, wie Tschechow in dieser

tragischen Stimmung all diese elenden Lebens­geschichten gegeneinander ausschreibt. Er- ist ·

nicht frauenfeindlich oder männerfreundlich,

aber eigentlich wollten wir zwei Aufführungen

nebeneinanderstellen, und die zweite· nannten

wir unsere Dekonstruktion. Wir hatten die

Tschechow-Figuren, ihre Geschichten auf ein . Video-Tape erzählen lassen und darum herum

fanden auf der Bühne eine ganze Menge ande­

rer Sachen statt. Das war also eine Art von Dop­pelprojekt, das war auch das letzte Jahr von

I<Personan.

Inzwischen war ich an die Uni zurück­

gegangen. Ich war 15 Jahre weg gewesen und

brachte alle diese Fragen mit: über narrative

Strukturen, darüber, wie so eine Geschichte sich

organisiert, wie eigentlich Identität im Text und

in der Inszenierung viel zu oft eins zu eins

gedacht und geformt wird, und daß das Theater,

besonders das Theater, viel mehr Möglichkeiten

hat. Ich kam von der Narrativität über den

Strukturalismus in den Poststrukturalismus, und

da fand ich eine gute Theorie, um über Identität nachzudenken. Identität ist im Poststrukturalis­

mus und auch in der postmodernen Philosophie

natürlich eine pluriforme Sache. Ich bin nicht

ich, ich bin, das sagt der Poststrukturalismus,

.geformt worden dadurch, wie alt ich bin, ob ich

eine Frau oder ein Mann bin, woher ich komme,

durch meinen ethnischen Hintergrund, meinen

Geburtsort. All das bestimmt das, was ich bin.

Diese Pluriformität regt dann auch an, all diese

verschiedenen Bedingungen des «Ichs», auch im

Theater, zu überdenken. Das habe ich gemacht

in einem Buch (Mieke Kolk: Spreken om net

leven, Vrouwlijke Subjectiviteit in het postmo­

derne theater, Amsterdam 1995), das über zwei

Texte von weiblichen Autoren geht, über einen

Text von Helene Cixous, die den «Ödipus» neu

geschrieben hat, und über einen Text von Elfrie­

de Jelinek «Ciara S.». Dann über eine Inszenie­

rung von Ruth Berg haus, Bergs «Lulw>, sowie

Page 69: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

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DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 67

Page 70: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

eine Performance von Lisa Marcus und Barbara

Duyfries. Dabei ging es eigentlich immer wieder

um.die Strukturen, darum, wie die Frauen sie

aufgebrochen haben und warum sie das

gemacht haben. Das war das Leitmotiv für

meine theoretische Arbeit.

Dann wurde ich eingeladen, um acht

Schauspielerinnen zuzusehen. Die Leitung fragte

mich, willst du das nicht ·mal ansehen, denn wir

. haben ein Problem. Das Publikum findet, es ist

kein Theater, es findet sich nicht zurecht. Was

sah ich? Diese Frauen waren provozierend, ohne Scham; sie zeigten ihren Körper, sie arbeiteten

mit ihrem Körper als Material. Sie erzählten über

sich selbst und. sie sagten, wie sie sind, und sie

zeigten das überhaupt nicht in einer Art von

erklärendem Diskurs. Sie boten sich an, sie boten

· ihre Erfahrung an. Und sie boten ihre Erfahrung

so an.- daß wir als Publikum das miterleben soll­

ten. Das ist auch meine Kritik an der Debatte

über Realität, die hier geführt wird. Ob die Rea­

_lität ins Theater gebracht werden soll oder ob

die Realität reproduziert werden soll im Theater

- das ist, finde ich, die falsche Frage. Denn es

geht eigentlich um Erfahrungen von Realität für das Publikum. Die Mittel dazu -ob artifizielle ·

oder «realistische»- das ist unwichtig. Es geht

darum, daß Raum geschaffen wird für die Erfah­

rungen, die von der Bühne aus auf das Publikum

wirken. Gegen all diese Massenkulturen eine

Möglichkeit schaffen, wieder etwas von sich

selbst zu erfahren, etwas zu sehen, was eigent­

lich nicht gesehen werden kann, was einer Kul­

tur nicht zusteht, daß es gesehen wird ~ und

daß eine Art von - wie Lyotard sagt- «Sensibi­

lität auf neue Entwicklungen» möglich wird, daß

wir wieder etwas fühlen, daß wir wieder mehr

zu uns kommen.

Anne Schäfer: Heißt es dann, daß die

Unterscheidungskategorie «Geschlecht>> damit

obsolet geworden ist?

Mieke Kolk: Nein, ich bin entschieden

dafür festzuhalten, daß Frauen andere Erfahrun-•

gen machen als Männer, denn sie sind auch

anders determiniert worden. Heute arbeiten

junge Männer und Frauen im Theater für eine

gemeinsame Produktion zusammen; aber sie sind

davon überzeugt, daß jeder seine eigene Ideolo­

gie hat, seine eigene ideologische Determina­

tion, das akzeptieren sie voneinander. Im gewisc

sen Sinne habe ich die Idee, daß wir so neben-

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 68

einander arbeiten und zugleich zusammen, um

das Fremde und das Andere anzugucken und

auch den Blick auf das Andere zu akzeptieren.

Dagmar Walser: Wenn man sich -

zumindest die deutschsprachigen - Spielpläne

anschaut, sehen Wir doch Autorinnen und Regis­

seurinnen immer noch in der Minderheit. Heißt

das denn, daß das alles nur noch eine Frage von

ein paar Jahren ist? Und daß wir gar keine For­

derungen mehr zu stellen haben?

Mieke Kolk:· Aber natürlich muß man

die stellen! Ich meine, ich sprecheüber die Ent­

wicklung .von Frauen im Theater, die iCh selbst

mitgemacht habe. Ein sehr wichtiger Weg. Und

dann kommen Momente, in denen einiges nicht

mehr. so wichtig ist, um es zu diskutieren.

Hildegard Kraus: Könnte es nicht

sein, daß die Frage der Geschlechterdifferenzen

doch obsolet geworden ist, und zwar insofern,

daß es für die jungen Frauen nicht mehr um

eine Gemeinsamkeit geht, also auf Biegen und

Brechen einen gemeinsamen Frauen-Weg zu

suchen und zu finden, sondern daß sie irgendwie

akzeptiert haben, daß Männerund Frauen nicht

zusammenpassen. Punkt. Und jetzt geht es um

ein respektvolles Nebeneinander auch in der

Arbeit. Daß das vielleicht das ist, was auf uns so

befreiend wirkt?

Mieke Kolk: Ja. Eigentlich sind diese

jüngeren Männer ziemlich - wie könnte man das

sagen - feminisiert. Die interessieren sich wirk-

. lieh für diese anderen Beschreibungen von Iden­

tität. Ich kann das nicht beweisen, aber dadurch,

daß für die Arbeit von Frauen in Holland Geld

und Ideen da waren, hatte das auch Einfluß auf

das ganze männliche Theater.· Diese Art vonVer­

letzbarkeit und das auch-nicht-mehr-wissen und

über-sich-sfrbst-reden, das tun die Männer,

auch die jungen Männer, noch nicht sehr viel. Aber sie.tun es.

Anne Schäfer: Ja, aber da kann man

ja ganz frohgemutauf.den Faktor Zeit setzen.

Ich möchte noch mal zwei Sachen versuchen in

den Blick zu nehmen. Zum einen das interessan­

te Phänomen, wie eine bestimmte Art von Team­

work, ich benutze auch gerne den Begriff der

Bandenbildung, die die Arbeitsteilung auf eine

andere Weise und produktiv versteht, daß die

jetzt zunehmend implantiert wird in die instituc

tionalisierten Theater. Zum anderen - was hier

auch wieder hörbar wird- wird es immer selbst-

Page 71: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

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DRAMATURG 1/2 99 I Seite 69

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Page 72: 98 · anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass eine englische Truppe die höfische Gesellschaft mit dem Schauspiel .. Der bestrafte

verständlicher, mit bestimmten Gattungstren­

nungen sich nicht mehr auseinanderzusetzen,

daß es eine größere Unbefangenheit auch im

Einsatz der Mittel gibt. Katrin Tiedemann hat das

im vorigen «dramaturgu am Beispiel von Helena

Waldmann beschrieben. Inwiefern stehen die

· Körper bei Helena Waldmann noch in einer

Beziehung zum Geschlecht? Spielt es eine Rolle,

welches Geschlecht diese Körper haben?

Katrin Tiedemann: Das spielt auf

jeden Fall eine Rolle, aber nicht in diesen tradi­

tionellen frauenbewegten Zusammenhängen : ..

Es ist nicht Thema, der Fokus wird nicht darauf

gelenkt, aber es spielt ständig eine Rolle in der

Kommunikation. Es geht um Verführung auch,

aber sehr über den Blick, also es ist nicht unbe­

dingt Sexualität, es ist eher auf einer sinnlichen

Ebene, es ist Bestandteil davon, aber nicht das

Thema.

Mieke Kolk: Soll ich noch ein kleines

Beispiel geben von meinen Performance-Erfah­

rungen? Da war eine Tänzerin, die hat sich am

Anfang der Vorstellung nackt ausgezogen. Sie

war unschön - und ich war erschrocken. Sie ist

gerade geboren worden und muß versuchen zu

laufen oder zu stehen. Und das hat so lange

·gedauert und sie hat so gekämpft, daß plötzlich

meine Phantasie in diese Geburtsgeschichte

geraten ist. Wie lernt man laufen? Wieviel Mühe

kostet es, einen Körper sich koordinieren zu las­

sen! Im folgenden Teil fing sie an, sich im Raum

mehr oder weniger zu bewegen. Und das Ende -

aber das ist mein Blick, das war nicht gemeint­

kam sie in einem Kostüm, und sie sah aus wie

ein kleines Hühnchen, mit Federehen und so,

und sie hatte hohe Schuhe an, und dann plötz­

lich bin ich ungeheuer traurig geworden, denn

nun habe ich gedacht: Mein Gott. wieviel kostet

es, um Frau zu werden und die Koordinaten

zusammenzukriegen I Und das hat auch mit Dauer zu tun, mit Geduld. Also: Sie zeigt eigent­

lich nichts, aber wir fangen an, mit ihr zu leben,

und dann kommt auch wieder diese eigene

Erfahrung hereingeschlichen und fängt an zu

interpretieren.

Henning Fülle: Ich habe den Eindruck

-sowohl was das Blicken, das Schauen auf den

Körper angeht, als auch das Zeigen des Körpers­

daß sich da also die Kontroverse ein Stück weit

eingeebnet hat. Anna Huber arbeitet beispiels­

weise ganz massiv mit dem Tänzerinnenkörper

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 70

und der Ausstellung ihres Körpers, dem Zeigen

ihres Körpers und auch mit der Art und Weise,

mit dem trainierten Körper umzugehen und sich

selber zu zeigen. Auf der anderen Seite Cese

Gelabert, der in einer ähnlich radikalen Weise

das materielle Substrat dessen, was als Tanz auf

der Bühne stattfindet, in das Zentrum seiner

Recherche gestellt hat, oder, um nach England

zu gehen, DV 8 beispielsweise, die mit Männer­

körpern sich sehr radikal auseinandersetzen. Ich

habe das Gefühl, daß das Interesse am Körper

inzwischen dominant geworden ist. Katrin Tiedemann: Ja, das ist sozusa­

gen keine Domäne der Frauen mehr. Auch in der

Werbung werden Männerkörper inzwischen so

eingesetzt wie früher eigentlich nur Frauenkör­

per. Und Männer produzieren bisher speziell

Frauen zugeschriebene Krankheiten, es gibt jetzt

auch magersüchtige Jungen. Es ist offensichtlich

tatsächlich eine gesellschaftliche Entwicklung,

die dahinter steckt.

Ich glaube, daß es ein Bedürfnis gibt,

sich mit technologischen Entwicklungen zu

beschäftigen. Davon sind auch die Körper

betroffen, weibliche und männliche, und dabei

könnte man versuchen, wieder eine Geschlechts­

spezifik ins Spiel zu bringen. Daß der Körper in

der Arbeit nicht mehr gebraucht wird, istz.B. ein

allgemeihes kulturelles Phänomen, dann die Ent­

wicklung der digitalen Medien, wie Körperbilder

produziert werden in diesen Medien, das sind für

mich erstmal Dinge, die betreffen alle, Männer

und Frauen. Oder daß unsere Erfahrungen immer

weniger direkt an den Körperangebunden sind.

Wenn das so sein sollte, wenn man dem

zustimmt, kann man das zum Thema künstleri­

scher Arbeit machen. Aber ich würde nicht

sagen, daß das speziell ein Resultat der Arbeit

von Regisseurinnen oder Schauspielerinnen ist.

.Anne Schöfer: Noch ein paar Worte

zum Schluß: Die Möglichkeit, über Frauen und

Theater in ästhetischen Kategorien zu sprechen

-fast möchte ich sagen: endlich - ist für mich

eine Errungenschaft. Nicht zuletzt verdanken wir

sie den Einsätzen und Kämpfen von «Mütternu

und «grossen Schwesternu. Die sozialen und poli­

tischen Fragen nach Gleichbehandlung und

gleichberechtigtem Zugang zu den Ressourcen

haben sich aber noch lange nicht erledigt. Wir

sollten weiterhin das eine tun, ohne das andere

zu lassen.

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DRESDNER SPIELPLAN .Do. 18.11. Schloßtheater 20.00 Malusehe «Prognose», Müller

_((Der Staub von. Brandenburgn TIF 20.00 Ravenhill «Faust ist tot» Societaets Theater 20.00 «Das Schloß» Landesbühnen Radeheul Mazart «Die Zauberflöte»

Fr. 19.11. Schauspielhaus19.30 Schiller «Wallenstein I» Schloßtheater 22.00 Ostermaier «Freiiag Nacht» TIF 20.00 Ravenhill «Faust ist tot« Theater junge Generation, Studio 20.15

Brasch ((MercedeSl> Theater junge Generation, Treppe 20.15

«Heute abend lola Blau» Staatsoper 19.00 Schostakowitsch

«Lady Macbeth von Mzensk» Societaets Theater 20.00 «Das Schloß» Societaets Theater, Kleiner Saal 21.00

Kalte Tanzbilder

Sa.20.11 Schauspielhaus 19.30 lessing «Emilia Galotti» Schloßtheater 20.00 Turrini «Die Wirtin» TIF 20.00 Conor Mc Pherson c<Salzwassen> Theater der jungen Generation, Studio 19.00

Brasch ((MercedeSn Theater der jungen Generation, Treppe «Heute

abend lola Blaw> Societaets Theater 21.00 Borchert «Gespräch über

den Dächernn Staatsoper 19.00 Mazart «le Nozze de Figaro» Staatsoper, Kleine Szene 20.00 Nyman «Der Mann,

der seine Frau mit dem Hut verwechselten Landesbühnen Radeheul 19.00 Weiss «Marat/Sade» landesbühnen Radebeul, Studio 20.00

Ruge 1cRestwärmen

So. 21.11. Schauspielhaus 19.30 lessing «Emilia Galotti» Staatsoper 16 Uhr Wagner «Parsifal» Limdesbühnen Radeheul 14.30 Weiss «Marat/Sade»

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INHALT DIESES HEFTES

IMPRESSUM

Dramaturgische Gesellschaft (DG) Geschäftsstelle: Tempelherrenstraße 4 10961 Berlin Telefon: 030-693 24 82

Telefax: · 030-693 26 54 Geschäftsführung: Henning Rischbieter

Vorstand: Manfred Beilharz (Vorsitzender) Anne Schäfer (stellver~ tretende Vorsitzende) Wolf Bunge Horst Busch Peter Spuhler Manfred Weber

Redaktion: Henning Rischbieter

Grafische Gestaltung: · Marion Meyer, Büro für Gestaltung, Berlin

ISSN Nr. 1432-3966

VORAUSBLICK AUF DRESDEN

PROGRAMM DER DRESDNER TAGUNG Seite 1

EDITORIAL ZUR TAGUNG UND ZU DIESEM HEFf Seite 2

THEATERSTADT DRESDEN von Dieter Görne Seite 3

SCHILLERS «WALLENSTEIN" HEUTE - ODER DER DREISSIGJÄHRIGE UND UNSER KRIEG von Heike Müller-Merten Seite 6

RAINALD GOETZ «KRIEG" -EIN STÜCK DER ACHTZIGER JAHRE? von Frederik Zeugke Seite 10

ERFINDEN KANN MAN NUR DIE EIGENE WIRK­LICHKEIT Bedingungen und Aspekte der Arbeit mit Theaterspielclubs von Martin Frank Seite 12

ZU DEN WORKSHOPS MIT AUTOREN 1. Das Drama aus Dingsda -John von Düffel «Rinderwahnsinn" Seite 18

2. Uwe Gössel «Kutteln. Gericht in vier Gängenn

Seite 20

3. Tom Etchells "Quizoolah> Seite 22

Forum junge Dramaturgie · Seite 23

·4. Dirk Dobbrow «Legoland" Seite 24

ES IST ZEIT Beobachtungen und Forderungen zum neuen Theater von Henning Fülle Seite 26 ·

«FRUCHTBAR IST NUR DAS UNBEKANNTE" Überlegungen zum neuen Musiktheater von Gerhard R. Koch Seite 30

SPARTE ADE!

Der Tanz lebt, aber nur autonom

von Eva7 Eiisabeth Fischer

Seite 39

DRAMATURG 1/2 99 I Seite 72

RÜCKBLICK AUF BASEl

HERAUSFORDERUNGEN ZU GRENZÜBER­

SCHREITUNGEN Se.ite 41

REIBUNG AN DER REALITÄT

über vier Produktionen des Zürcher

Theaters Neumarkt von Volker Hesse

Seite 45

ENTSCHEIDEND IST DIE AUTHENTIZITÄT DER MENSCHLICHEN GEFÜHLE

über die Produktionsweise bei «Mad"

und «Giad" von Jeremy Weller

Seite 48

DAS KUNSTWERK IM ZEITALTER SEINER BAUFÄLLIGKEIT

von Gisela von Vlfysocki

Seite 52

EIN.E DENKMASCHINE

über die Arbeit des Marstalls München

von Elisabeth Schweeger

Seite 56

THEATER AUS DEM LEBEN GENERIEREN über die englische Gruppe

Forced Entertainment

von Marie Zimmermann

Seite 57

«BEGATTUNG DER GATTUNGEN" -was ist das. wie organisiert

man das?

von Maria Magdalena Schwaegermann Seite 59

WAS MACHEN FRAUEN IM THEATER HEUTE?

Ein Rückblick und ein Katalog offener Fragen

Basler Podiumsdiskussion

Seite 62

HOTELS IN DRESDEN

Seite 71

DER DRESDNER SPIELPLAN

Seite 71

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Dramaturg1sche Gesellschaft

Arbeitsweisen

Die Zielsetzung der Dramaturgi­schen Gesellschaft soll erreicht werden u. a. durch: - die Förderung des Erfahrungs­austausches und des Zusammen­wirkens der Mitglieder und anderer Interessierter : - durch die Veranstaltung von Jahrestagungen, die abwechselnd in verschiedenen Theaterstädten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz stattfinden, -durch die Veranstaltung von Dramaturgischen Tagen, die jew~ils unter einem bestimmten Thema stehen,

Zielsetzungen

Die Dramaturgische Gesellschaft {dg) ist ein Zusammenschluß der im Bereich der Darstellenden Künste und ihrer Medien Theater, Film, Fernsehen, Hörfunk, Neue Medien u. a. Tätigen und Interessierten. Ihr Ziel ist die Diskussion und Formulierung künstlerischer und gesellschaftspolitischer Vor­stellungen und die Wahrung und Durchsetzung berUflicher Inter­essen. Sie versucht, möglichst viele der in diesem Bereich arbeitenden und interessierten Personen und Grup­pen zu sammeln, ihren Austausch untereinander zu fördern und ihre Arbeit zu dokumentieren.

- durch Diskussions- und Vortrags­veranstaltungen zu grundsätzlichen und aktuellen Problemen, - durch die Herausgabe der Zeitschrift nDramaturg" {Nachrichtenbrief der dg) und durch die Herausgabe der Schriften­reihe der Dramaturgischen Gesellschaft; -sowie durch: die Bildung von Arbeitsgruppen, in denen Mitglieder ~nd andere Interessiertedramaturgische Teil­bereiche bearbeiten; -die Veröffentlichung von Stellungnahmen zu kulturpoliti­schen und dramaturgischen Ent­wicklungen;

Die Dramaturgische Gesellschaft versteht-'Dramaturgie im weitesten Sinne des WOrt~s als Vermitt.lung zwischen Darstellender Kunst und ihren Produktionsformen, der dra­matischen Literatur, Theater- und Medientheorie, Publikum und Öffentlichkeit.

Die Darstellenden Künste und ihre Medien unterliegen einem Verän­derungsprozeß. Neue technologisch bedingte Informations- und Kommunikationssysteme etablieren sich und treten in Konkurrenz zu den bisherigen. Die ökonomischen und kulturpolitischen Bedingungen für die Darstellenden Künste ver-

- die Vermittlung von Auskünften zu ~ramaturgischen Problem­stellungen, Vermittlung von geeig­neten Personen für Vorträge etc., Beratung; -die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen un·d Verbänden.

Arbeitsgruppen

Zu einzelnen Fragen und Problemfeldern können von_ den Mitgliedern Arbeitsgruppen gebildet werden, die sowohl ad hoc als auch langfristig Themen erarbeiten und öffentlich wirksam machen.

schärfen sich. Zugleich fordern neue, teilweise alternative Formen der Theater-, Film-, Videoproduk­tion die Künste und ihre bestehen­den Institutionen heraus. ln der kulturpolitischen Diskussion stehen jedoch dramaturgische, ästhetisch­konzeptionelle und künstlerisch­gesellschaftspolitische Aspekte bis­lang noch allzu oft im Hintergrund und werden von technischen und parteipolitischen Interessen über­deckt. Die D~amaturgische Gesell­schaft will diese Aspekte stärker.ins öffentliche Bewußtsein rücken.

Seit 1983 arbeitet die Initiative ,Frauen im Theater' {Fm, in der sich Frauen, die im Theater arbeiten, Theaterwissenschaftlerinn~n und weitere lnter~ssierte zusammenge­schlossen haben. Über das .. ForUm junge Dramaturgie" findet sich eine Information in diesem Heft.

en

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Dramaturgische Gesellschaf

Antrag auf Mitgliedschaft

. Ich möchte der Dramaturgischen Gesellschaft. beitreten. ·

Name, Vorname

Anschrift

Telefon/Telefax

E-mail

Gebu rtsdatum/Beruf

Bitte in Druckschrift ausfüllen .

Einzugsermächtigung

Ich ermächtige die Dramaturgische Gesellschaft widerruflich, den von mir zu entrichtenden Jahresbeitrag in Höhe von bei Fälligkeit zu lasten meines Kontos einzuziehen. Weist mein Konto die erforderliche Deckung nicht auf, besteht seitens des kontoführenden Instituts keine Verpflichtung zur Einlösung.

Geldinstitut/Ort

Bankleitzahl

Ort, Datum

Unterschrift. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . ······· ......... . Dramaturgische Gesellschaft

Vorstand (seit November 1998}:

Dr. Manfred Beilharz, Bann (Vorsitzender} Anne Schäfer, Leipzig {stellv. Vorsitzende} Wolf Bunge, Magdeburg Horst Busch, Münster

Peter Spuhler, Rosteck Manfred Weber, Frankfurt/Oder

Geschäftsführung:

Henning Rischbieter

Geschäftsstelle: Dramaturgische Gesellschaft

Tempel~errenstraße 4, D- 10961 Berlin Telefon 030. 693 24 82 Telefax 030. 693 26 54 E.,.mail: [email protected] Postbank Berlin BlZ 100 100 10 Kto Nr. 7769 100

Mitglieder

Die Dramaturgische Gesellschaft ging 1956 aus dem 1953 entstan­

denen Dramaturgischen Arbeits­kreis hervor. Von der Gründung a·n vesteht sie sich als eine Gesell­schaft, die keine parteipolitischen

und gewerblichen Ziele verfolgt. Waren in ihr zunächst nur die

auf dem Gebiet der Dramaturgie tätigen Personen vereinigt, so versteht sich die Gesellschaft seit ihrer Satzungsänderung im

Jahr 1972 als eine Vereinigung von Praktikern und Theoretikern und versucht verstärkt, nicht nur diejenigen anzusprechen, die aus beruflicher Tätigkeit, sondern auch die, die aus persönlichen

Mitgliedsbeitrag

Der Jahresbeitrag beträgt seit

dem 16.11.1993:

Alte Bundesländer

persönliche Mitglieder DM 120,­

(ermäßigt 42,-)

korporative Mitglieder DM 415,-

Neue Bundesländer

persönliche Mitglieder DM 72,­

(ermäßigt 36,-)

korporative Mitglieder DM 249,-

Österreich

persönliche Mitglieder öS 842,­

(ermäßigt 295,-)

korporative Mitglieder ÖS 2919,-

Schweiz

persönliche Mitglieder SFr 143,­

(ermäßigt 50,-)

korporative Mitglieder SFr 494,-

Gründen an Fragen der Dramaturgie interessiert sind.

Die Gesellschaft hat gegenwärtig ca. 400 persönliche und 50 kor­porative Mitglieder.

Mitglied kann jede natürliche oder juristische Person werden, die im Sinne der Gesellschaft

. tätig ist. Die Mitgliedschaft muß schriftlich beantragt werden.

Über die Aufnahme entscheidet der Vorstand, der seinen Beschluß dem Antragsteller schriftlich mit­teilt.

................................................................................................................................................ ~ lieferbare Publikationen

Schriften

iJ DM 70,-

!3 Tournee-Theater, 1975

Friedrich Schultze, 1975

Steuerreform und Theater­finanzierung, 1976

:'}) 25 Jahre Dramaturgische

Gesellschaft, 1978 Theater·von heute - Räume

von gestern, 1979

r: Sprache und Sprechen, 1979

D, Ist das Theater noch zu retten?- Politische Wende=

Theaterwende?, 1984

Unlust an Erstarrung - Lust auf Veränderung (Schauspiel -Musiktheater), 1985

i Brauchen Fernsehspiel u~d Hörspiel eine neue Drama­turgie?, 1986

Deutsche Dramaturgie -als Beispiel?, 1986

:: Heiner Müller I Unterhaltung im Theater, 1987

0J Tanztheater I Mordsweiber I Kaltes, 1990

r01 Sturz vom Sockel? Künstlerische Arbeit in den

Medien der DDR, 1991 Theaterarbeit Ost/West, ·1994

E Dramaturgie heute, 1996/97 ~;s Herausforderungen zu

Gren~überschreitungen, 1998

EinzelveröffentliChungen

iJ DMB,-Ci Theater in. Berlin nach 1945,

1984 Frauen im Theater (FiT): Dokumentation 1984

Frauen im Theater (FiT):

Dokumentation 1985

''' Frauen im Theater (FiT): Dokumentation 1986/87

Nachrichtenblatt

''' DRAMATURG lieferbar ab 1985 Einzelheft iJ DM 5,­Doppelheft iJ DM 10,-

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Bitte schicken Sie mir die angekreuztein Veröffentlichung/en

zuzügl~ch Versandkosten an folgende Adresse:

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