Abstract Improvisationstheater oder Kammerspiel

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Improvisationstheater oder Kammerspiel? E-Portfolios in der Lehrerbildung

Prolog Im Improvisationstheater gibt es kein Drehbuch, keine Regieanweisungen, zuweilen nicht

einmal einen vorgeschriebenen Handlungsverlauf. Die Phantasie und die Spontanität der

Akteure entscheiden über Entwicklung und Ausgang einer Szene. Die Texte sind selbst kon-

struiert, im Affekt entstanden und bauen die Persönlichkeit der Rolle auf.

Unsere Lehrerausbildung gleicht eher einem Kammerspiel. Es gibt festgelegte Sprechtexte,

die handelnden Akteure sind die Lehrenden, die den Studierenden Stoff vermitteln, den sie

wiedergeben sollen. Tun sie das gut und richtig, werden sie weitergereicht an den nächsten

Akteur. Statt eines freien Handlungsverlaufs, gibt es vollgepackte Faktenklausuren, theorie-

orientierte Referate und thematisch eng begrenzte Hausarbeiten. Einziges Ziel: schnell die

nächste Szene, also das nächste Semester, erreichen. Kommunikatives und kooperativen

Lernen, Reflexion, Selbstinszenierung, Persönlichkeitsbildung – dafür ist vielleicht im Refe-

rendariat Zeit?

Wagt man das Gedankenexperiment, das Lehramtsstudium als Improvisationstheater zu

denken statt als Kammerspiel, so muss man sich unweigerlich mit einer neuen Lernkultur

auseinandersetzen: offene Lernszenarien und Prüfungsformen, selbstgesteuertes Lernen,

Selbstreflexion und konstruktives Miteinanderlernen. Doch wie lässt sich diese Lernkultur

mit dem Curriculum, mit den Credit-Points und dem universitären Anspruch an die Wissen-

schaftlichkeit des Studiums vereinbaren?

Im Folgenden beschreibt das „Drehbuch“ die theoretischen Grundlagen zur E-Portfolio-

Methode. Mit neuer „Besetzung“ und neuen „Requisiten“ können die „Regieanweisungen“

als Handlungsempfehlungen zur E-Portfolio-Implementierung umgesetzt werden.

Das Drehbuch Das E-Portfolio als Lernmethode und offene Prüfungsform kann nicht nur die Wissens-

aneignung, sondern auch die Wissensumsetzung, also die Anwendung von Wissen de-

monstrieren (vgl. Baumgartner, 2005, p. 5). Definieren lassen sich E-Portfolios als elekt-

ronische Sammlung von Artefakten in verschiedensten Formaten (Text, Bild, Video,

Audio, …), die den Lernprozess wiederspiegeln und Lernprodukte darstellen, um die er-

reichten Kompetenzen zu dokumentieren. Sammlung und Organisation der Artefakte

wird durch ein Content Management System unterstützt, welches über ein Rechteverga-

besystem verfügt, mit dem durch den Besitzer des E-Portfolios Schreib- und Leserechte

zugewiesen oder entzogen werden können (u. a. Barrett, 2000, p. 15; Baumgartner,

2012, p. 7; Hornung-Prähauser, Geser, Hilzensauer, & Schaffert, 2007, p. 14).

Die E-Portfolio-Arbeit lässt sich als Kreisprozess darstellen, der sich stetig wiederholen

kann. Beginnend mit dem selbstständigen Auswählen und Erstellen der Materialien und

Lernprodukte und dem Reflektieren über die Inhalte und den eigenen Lernfortschritt,

setzt sich der reflexive und kooperative Lernprozess bis zur endgültigen Freigabe einer

Lernleistung zur Bewertung fort.

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Abbildung 1: Die Fünf Prozesse im Arbeiten mit E-Portfolios (Hornung-Prähauser et al., 2007, S. 15)

Die Besetzung Eine Befragung von Didaktikern und Fachdidaktikern der TU Dresden ergab, dass bisher

noch nicht mit E-Portfolios gearbeitet wird. Mit papierbasierten Portfolios hingegen haben

schon einige Lehrende positive Erfahrungen gemacht und die meisten Befragten zeigten sich

offen gegenüber diesem Thema. Ein Lerntagebuch halten 59 % der Probanden für eine

sinnvolle Ergänzung ihrer Lehrveranstaltung und 55 % der Teilnehmer wären interessiert an

E-Portfolio-Fortbildungen (vgl. Lißner, 2012, p. 32). Die Besetzung zeigt sich also interessiert

und ist bereit, die Bühne der offenen und selbstreflexiven Lehr- und Lernprozesse zu betre-

ten. Dazu gehört Studierende anzuleiten, miteinander und füreinander zu lernen, Feedback-

prozesse zu initiieren und persönliche Lernfortschritte in die Bewertung einzubeziehen.

Die Requisiten Um den Akteuren in der Lehrerausbildung an der TU Dresden die richtigen Requisiten für

ihre Premiere des Aktes E-Portfolio zur Verfügung zu stellen, wurde eine Software-

Evaluation durchgeführt. Dabei standen sich das E-Portfolio-Werkzeug in OPAL und die E-

Portfolio-Software Mahara im direkten Vergleich gegenüber. Nach dem Verfahren der Quali-

tativen Gewichtung und Summierung nach Michael Scrivens wurden Kategorien gebildet und

Kriterien festgelegt, nach denen die beiden Werkzeuge systematisch untersucht wurden. Als

etablierte E-Portfolio-Plattform zeichnet sich Mahara durch bessere Usability und Optik, viel-

seitigere Möglichkeiten der Präsentation und bessere Funktionalitäten zur asynchronen

Kommunikation in Gruppen aus. OPAL als das meistgenutzte Lernmanagement-System in

Sachsen steht Mahara zwar um einiges nach, ist aber durch die umfangreiche Anbindung an

sächsischen Hochschulen das Werkzeug der Wahl für integrierte E-Portfolio-Szenarien. Be-

stehende E-Learning-Infrastruktur zu nutzen, ist ein wichtiger Aspekt für Akzeptanz und Wei-

terentwicklung der E-Portfolio-Methode in Sachsen.

Die Regieanweisungen Um die Schauspieler auch beim Improvisationstheater nicht allein zu lassen, werden Regie-

anweisungen formuliert, die Unterstützungen bieten sollen, ohne die Phantasie zu begren-

zen.

Der Umgang mit den Requisiten muss begleitet und unterstützt werden. Dafür sollten Admi-

nistratoren und Ansprechpartner für technische Probleme zur Verfügung stehen. Tutoren

können den Arbeitsaufwand reduzieren, Kommentare und Reflexionen konstruktiv beurteilen

und die webbasierte Kommunikation moderieren. Damit treten nun auch Studierende mit auf

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die Bühne der Beurteilenden, sie kommentieren, geben Tipps, kritisieren und lernen dabei

selbst noch dazu.

Neben der technischen und personellen Unterstützung sollten auch hochschuldidaktische

Weiterbildungen und Beratungen angeboten werden, die das Entwickeln einer Feedback-

Kultur – nicht zuletzt einer neuen Lernkultur – unterstützen und neue Wege der formativen

Bewertung von Lernleistungen aufzeigen.

Epilog Vielleicht kann es gelingen, mit einem neuen Drehbuch, einer neuen Besetzung, neuen Re-

quisiten und einer kleinen Regieanweisung einer offenen Lernkultur ein wenig näher zu

kommen. Eventuell bieten E-Portfolios den Raum für Selbstreflexion und kommunikative

Lernprozesse schon im Studium und nicht erst im Referendariat. Dieses Gedankenexperi-

ment wagte ich im Rahmen meiner Masterarbeit und kam zu dem Schluss, dass die Imple-

mentierung von E-Portfolios ein weiterer Schritt in Richtung exzellenter Lehrerbildung in

Sachsen sein könnte.

Literatur

Barrett, H. C. (2000). Create your own electronic Portfolio. Using Off-the-Shelf Software to Showcase Your Own or Student Work. Learning & Leading with Technology. Retrieved November 27, 2012, from http://www.helenbarrett.com/portfolios/LLwTApr00.pdf

Baumgartner, P. (2005). Eine neue Lernkultur entwickeln: Kompetenzbasierte Ausbildung mit Blogs und E-Portfolios. In V. Hornung-Prähauser (Ed.), ePortfolio Forum Austria 2005 (pp. 33–38). Salzburg. Retrieved from http://www.peter.baumgartner.name/material/article/eportfolio_und_weblog.pdf

Baumgartner, P. (2012). Eine Taxonomie für E-Portfolios. Krems.

Hornung-Prähauser, V., Geser, G., Hilzensauer, W., & Schaffert, S. (2007). Didaktische, organisatorische und technologische Grundlagen von E-Portfolios und Analyse internationaler Beispiele und Erfahrungen mit E-Portfolio-Implementierungen an Hochschulen. Salzburg. Retrieved August 5, 2012, from http://www.fnm-austria.at/projekte/ePortfolio/Dateiablage/view/fnm-austria_ePortfolio_Studie_SRFG.pdf

Lißner, A. (2012). E-Portfolios an der Technischen Universität Dresden. Durchführung einer explorativen Studie zur Erhebung des Status quo und Gestaltung eines Einsatzszenarios im Bereich der bildungstechno-logischen Ausbildung von Lehramtsstudierenden. Technische Universität Dresden.