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Bachelorarbeit Migranten im Alters- oder Pflegeheim Bedürfnisse und Erfahrungen von Bewohnerinnen und Bewohnern mit Migrationshintergrund über 65 Jahre beim Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim Nadine Grêt Freihofstrasse 8c 8633 Wolfhausen S09172826 Yela Keller Kirchgasse 21 8427 Rorbas S09170598 Departement: Gesundheit Institut: Institut für Pflege Studienjahr: 2009 Eingereicht am: 18.05.2012 Betreuende Lehrperson: Frank Luck

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Bachelorarbeit

Migranten im Alters- oder Pflegeheim

Bedürfnisse und Erfahrungen von Bewohnerinnen und Bewohnern

mit Migrationshintergrund über 65 Jahre beim Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim

Nadine Grêt Freihofstrasse 8c 8633 Wolfhausen S09172826 Yela Keller Kirchgasse 21 8427 Rorbas S09170598 Departement: Gesundheit

Institut: Institut für Pflege

Studienjahr: 2009

Eingereicht am: 18.05.2012

Betreuende Lehrperson: Frank Luck

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Abstract

Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim

zu verbringen war ursprünglich keine vorstellbare Perspektive für Migranten. Der

Übertritt ist besonders für Menschen mit Migrationshintergrund schwierig. Sie fürch-

ten ein kulturelles Unverständnis des Pflegepersonals.

Ziel: Welches sind, laut Literatur, die Bedürfnisse und Erfahrungen der Bewohnerin-

nen und Bewohner mit Migrationshintergrund über 65 Jahre beim Übertritt in ein Al-

ters- oder Pflegeheim?

Das Ziel ist, fundiertes Wissen über die Bedürfnisse und Erfahrungen der Bewohner

mit Migrationshintergrund darzustellen. Wissen über die Hintergründe der Migrati-

onssituation von älteren Menschen wird thematisiert. Anhand des Modells der trans-

kulturellen Kompetenz von Domenig werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie in der

Praxis auf Bedürfnisse von Migranten eingegangen werden kann.

Methode: Die Literaturrecherche richtete sich auf Bedürfnisse und Erfahrungen von

Migranten beim Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim. Zwei Review’s und eine qua-

litative Studie wurden verwendet. Studienergebnisse wurden mit dem Modell der

transkulturellen Kompetenz in Verbindung gesetzt.

Relevante Ergebnisse: Bedürfnisse und Erfahrungen werden vor allem in Bereichen

der Kommunikation, Diskriminierung, Wertschätzung, Empathie und von Verlusten

beschrieben. Verschiedene Prozesse des Einlebens werden aufgeführt.

Schlussfolgerung: Das Modell der transkulturellen Kompetenz ist unerlässlich um

eine individuelle und wertneutrale Pflege zu erbringen. Weitere Forschung ist not-

wendig.

Keywords: elderly migrant, nursing home, admission, needs, experience

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Inhaltsverzeichnis

1 Migranten im Alters- oder Pflegeheim .............................................................. 6

1.1 Problemstellung ..................................................................................... 6

1.2 Fragestellung ......................................................................................... 7

1.3 Zielsetzung ............................................................................................ 7

1.4 Limitierung und Begriffserklärung .......................................................... 7

2 Methodik ............................................................................................................. 9

3 Theoretischer Hintergrund zur Migrationsbevölkerung in der Schweiz ...... 10

3.1 Mögliche Schwierigkeiten der Migrationsbevölkerung im Alter ............ 10

3.2 Familiäre Unterstützung ...................................................................... 12

4 Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim .......................................................... 13

5 Transkulturelle Kompetenz nach D. Domenig (2007) .................................... 15

5.1 Selbstreflexion ..................................................................................... 16

5.2 Hintergrundwissen und Erfahrung ....................................................... 16

5.3 Narrative Empathie .............................................................................. 17

5.4 Transkulturelle Kompetenz der Menschen mit Migrationshintergrund . 18

5.5 Leiningers Theorie der transkulturellen Pflege .................................... 18

6 Stand der Forschung über Bedürfnisse und Erfahrungen der

Migrationsbevölkerung im Alters- oder Pflegeheim ..................................... 19

7 Ergebnisse zu Bedürfnissen und Erfahrungen der Migrationsbevölkerung

in Alters- oder Pflegeheimen ........................................................................... 19

7.1 Resultate des Reviews „Minority ethnic elders in care homes: a review

of the literature” Mold, Fitzpatrick und Roberts (2005) ......................... 20

7.1.1 Internationale Perspektiven – Übertritt in das Alters- oder

Pflegeheim ................................................................................... 20

7.1.2 Internationale Perspektiven – Kulturelle Vielfalt ........................... 20

7.1.3 Internationale Perspektiven – Kommunikation ............................. 21

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7.1.4 Internationale Perspektiven – Identität und Familie ..................... 21

7.1.5 Internationale Perspektiven – Entscheidung zum Übertritt in ein

Alters- oder Pflegeheim ............................................................... 21

7.1.6 Perspektiven in Grossbritannien – Hindernisse der

Pflegebereitstellung für ältere Migranten ..................................... 22

7.1.7 Perspektiven in Grossbritannien – Kulturelle Bedürfnisse und

Erfahrungen ................................................................................. 23

7.1.8 Perspektiven in Grossbritannien – Kommunikation ..................... 23

7.2 Resultate des Reviews „A review of older people’s experiences with

residential care placement” Lee, Woo und Mackenzie (2002) ............. 23

7.2.1 Erfahrungen und Prozesse vor dem Alters- oder

Pflegeheimübertritt ....................................................................... 23

7.2.2 Erfahrungen rund um den Prozess des Alters- oder

Pflegeheimübertritts ..................................................................... 24

7.2.3 Erfahrungen und Prozesse nach dem Heimübertritt .................... 25

7.2.3.1 Gefühle von Verlust und Leid ................................................ 25

7.2.3.2 Gefühle der Erleichterung und Sicherheit ............................. 27

7.2.4 Der Umgang mit Erfahrungen im Alters- oder Pflegeheim ........... 27

7.2.4.1 Passive Akzeptanz ................................................................ 27

7.2.4.2 Das Beste aus der Situation machen .................................... 27

7.2.4.3 Neuorientierung ..................................................................... 28

7.2.5 Der Prozess des Einlebens nach Wilson (1997) .......................... 28

7.2.6 Der Prozess des Einlebens nach Brooke (1987) ......................... 29

7.3 Resultate der qualitativen Studie „Aber eben sind wir verschieden”

Kutschke (2001) .................................................................................. 29

7.3.1 Diskriminierung und Ethnisierung ................................................ 29

7.3.2 Krankenhaus und Krankheit ........................................................ 30

7.3.3 Pflege und Genesung .................................................................. 31

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8 Diskussion ........................................................................................................ 31

8.1 Detaillierte Beurteilung der Review‘s und der Studie ........................... 32

8.1.1 Review von Mold et al. (2005) ..................................................... 32

8.1.2 Review von Lee et al. (2002) ....................................................... 32

8.1.3 Qualitative Studie von Kutschke (2001) ....................................... 33

8.2 Studienergebnisse in Verbindung mit dem Model der transkulturellen

Kompetenz nach Domenig (2007) ....................................................... 33

8.2.1 Selbstreflexion – Gesundheits- und Krankheitsverständnis ......... 33

8.2.2 Hintergrundwissen und Erfahrungen – individueller Hintergrund . 33

8.2.3 Narrative Empathie – Kommunikation und Einfühlungsvermögen 34

8.3 Schwerpunkte der Studien .................................................................. 34

8.3.1 Diskriminierung ............................................................................ 34

8.3.2 Angehörigenpflege ....................................................................... 35

8.3.3 Entscheidungsfindung für einen eventuellen Übertritt.................. 35

8.3.4 Situation der Migranten beim Übertritt ......................................... 35

8.3.5 Anforderung an das Pflegepersonal ............................................ 36

8.3.6 Vergleiche der Prozesse von Brooke (1987) und Wilson (1997) . 36

8.4 Bezug zur Fragestellung und Zielsetzung ........................................... 37

9 Schlussfolgerung ............................................................................................. 37

9.1 Theorie-Praxis-Transfer ....................................................................... 38

9.1.1 Transkulturelle Pflegeanamnese ................................................. 38

9.1.2 Wahrung von Autonomie und Identität ......................................... 39

9.1.3 Interventionen .............................................................................. 40

9.2 Zukunftsaussichten .............................................................................. 41

10 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 42

Abbildungsverzeichnis .......................................................................................... 45

Eigenständigkeitserklärung ................................................................................... 46

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Dank ......................................................................................................................... 47

Anhang .................................................................................................................... 48

Anhang A: Suchstrategie ............................................................................ 48

Anhang B: Beurteilung des Reviews von Mold et al. (2005) ....................... 51

Anhang C: Beurteilung des Reviews von Lee et al. (2002) ........................ 52

Anhang D: Beurteilung der qualitativen Studie von Kutschke (2001) ........ 54

Anhand E: Transkulturelle Pflegeanamnese nach Domenig et al. (2007) .. 58

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6 Nadine Grêt & Yela Keller

1 Migranten im Alters- oder Pflegeheim

In der Einleitung wird die Problemstellung beschrieben und mit einem Beispiel

aus der Pflegepraxis verdeutlicht. Fragestellung und Zielsetzung sind ersichtlich. Die

Literaturarbeit wird eingegrenzt und zentrale Begriffe werden erklärt. Ebenso ist die

Anzahl der Wörter des Abstracts und der Literaturarbeit angegeben.

1.1 Problemstellung

Die Migranten der ersten Generation erreichen zunehmend das Rentenalter.

Laut Schopf und Naegele (2005) ist dies in Deutschland schon lange erkennbar. Es

wurde jedoch vermutet, dass die Meisten im Alter wieder zurück in ihr Heimatland

kehren würden und die Wenigen, die im Aufnahmeland blieben, könnten im Bedarfs-

fall von ihren Familien versorgt werden. Aufgrund einer steigenden demographischen

Alterung wird laut Höpflinger, Bayer-Oglesby & Zumbrunn (2011) prognostiziert, dass

sich die Anzahl aller pflegebedürftigen Menschen im Alter erhöhen wird.

Laut Rosswurm (1983, zitiert nach Lee, Woo & Mackenzie, 2002) ist der Über-

tritt in ein Alters- oder Pflegeheim für ältere Menschen ein einschneidendes Ereignis.

Dieses hängt oft mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes, finanziellen

Schwierigkeiten oder dem Tod des Ehepartners zusammen. Auch Pesenti (1990,

zitiert nach Lee et al., 2002) beschreibt, dass die Umstellung an eine andere Umwelt

und an die Pflege eine bewegende Erfahrung für ältere Menschen ist. Ein Alters- o-

der Pflegeheim ist eine Langzeitinstitution in welcher ältere Menschen, unabhängig

des sozio-ökonomischer Status, der Bildung, des Berufs, der Religion oder des geo-

graphischen Hintergrundes, wohnen können und betreut werden.

Nach Saladin (2009) werden Pflege- und Ärztepersonal immer häufiger Men-

schen mit Migrationshintergrund begegnen. Die unterschiedlichen Wertvorstellungen,

sozialen Handlungen oder Handlungskonzepte können das Personal verunsichern.

Hinzukommen möglicherweise Kommunikationsprobleme sprachlicher und kultureller

Art. Hierzu folgendes Beispiel aus der Praxis:

Eine ältere Bewohnerin aus Südosteuropa lebte seit fünf Monaten in einem

Pflegeheim, da sie einen Hirnschlag erlitten hatte. Dieser äusserte sich in einer He-

miplegie (Halbseitenlähmung) und einer Aphasie (Sprachstörung). Dies nahm ihr ihre

Selbständigkeit und verunmöglichte eine verbale Kommunikation. Jeweils, wenn die

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Nadine Grêt & Yela Keller 7

Bewohnerin mit Unterstützung des Pflegepersonals zur Toilette ging, warf sie das

gebrauchte Toilettenpapier in den Abfalleimer. Dieses Verhalten war dem Pflegeper-

sonal unerklärlich und wurde als unhygienisch betrachtet. Die Bewohnerin behielt

diese Handlung, auch nach mehreren Aufforderungen, dies zu unterlassen, bei. Als

dieses Verhalten erneut im Pflegeteam thematisiert wurde, erklärte eine Pflegeper-

son, dass in vielen Regionen, in welchen die Abwasserversorgung nicht optimal aus-

gebaut war, die Menschen das Toilettenpapier in einen separaten Abfalleimer war-

fen. Dies aus dem einfachen Grund, dass das Abwassersystem nicht verstopfte. Das

heisst, die Bewohnerin hatte ausschliesslich mit gutem Wissen und Gewissen ge-

handelt. Sie verstand nicht, dass das Toilettenpapier in der Schweiz direkt in die Toi-

lette geworfen werden kann und nicht in den Abfalleimer entsorgt werden muss.

1.2 Fragestellung

Welches sind, laut Literatur, die Bedürfnisse und Erfahrungen der Bewohne-

rinnen und Bewohner mit Migrationshintergrund über 65 Jahre beim Übertritt in ein

Alters- oder Pflegeheim?

1.3 Zielsetzung

Das Ziel der Literaturrecherche ist es, wissenschaftlich und fachlich fundiertes

Wissen über die Bedürfnisse und Erfahrungen der Bewohner mit Migrationshinter-

grund darzustellen. Wissen über die Hintergründe der sozialen und gesellschaftlichen

Migrationssituation von älteren Menschen in der Schweiz wird thematisiert. Anhand

des Modells der transkulturellen Kompetenz nach Domenig (2007) werden Möglich-

keiten aufgezeigt, wie in der Praxis auf Bedürfnisse von Migranten eingegangen

werden kann.

1.4 Limitierung und Begriffserklärung

Personen mit Migrationshintergrund/Migrationsbevölkerung/Migrantinnen und

Migranten: im Ausland geborene Personen, welche in die Schweiz immigriert sind,

sowie ihre Kinder. Dies unabhängig ihrer Staatsbürgerschaft. Ausgeschlossen von

dieser Literaturarbeit sind Flüchtlinge und asylsuchende Migranten. Zum besseren

Leseverständnis wird in dieser Literaturarbeit meist nur eine Form, wie beispielswei-

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8 Nadine Grêt & Yela Keller

se Migrant, Bewohner oder Patient verwendet. Sie schliesst die weibliche Form mit

ein, sofern keine Differenzierung erwähnt wird.

Ältere Menschen: als ältere Menschen werden Personen über 65 Jahre bezeichnet.

Pflegepersonal/Pflegepersonen: damit sind diplomierte Pflegefachpersonen, Fach-

frauen/-männer Gesundheit (FaGe) und Pflegeassistenten gemeint. Ausgeschlossen

ist das Personal in Ausbildung.

Transkulturelle Kompetenz: Domenig (2007) definiert transkulturelle Kompetenz fol-

gendermassen:

„Transkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, individuelle Lebenswelten in der

besonderen Situation und in unterschiedlichen Kontexten zu erfassen, zu ver-

stehen und entsprechende, angepasste Handlungsweisen daraus abzuleiten.

Transkulturell kompetente Fachpersonen reflektieren eigene lebensweltliche

Prägungen und Vorurteile, haben die Fähigkeit, die Perspektive anderer zu er-

fassen und zu deuten, und vermeiden Kulturalisierungen und Stereotypisie-

rungen von bestimmten Zielgruppen.“ (S. 174)

Kultur: Clark (1979) zitiert nach Radice von Wogau, Eimmermacher, und Lanfranchi

(2004) definiert den Begriff Kultur folgendermassen:

„Die ‚Kultur‘ einer Gruppe oder Klasse umfasst die besondere […] Lebenswei-

se dieser Gruppe oder Klasse, die Bedeutungen, Werte und Ideen, wie sie in

den Institutionen, in den gesellschaftlichen Beziehungen, in Glaubenssyste-

men, in Sitten und Bräuchen, im Gebrauch der Objekte und im materiellen Le-

ben verkörpert sind. Kultur ist die besondere Gestalt, in der dieses Material

und diese gesellschaftliche Organisation des Lebens Ausdruck findet. […]

Männer und Frauen werden daher durch Gesellschaft, Kultur und Geschichte

geformt und formen sich selbst. [...]“ (S. 41f)

Ethnie: „Menschengruppe (insbesondere Stamm oder Volk) mit einheitlicher Kultur“

(DUDEN, 2012).

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Nadine Grêt & Yela Keller 9

Die Literaturarbeit wird durch folgende Faktoren limitiert:

Es handelt sich um eine Bachelorarbeit, es wurde deutsch- und englischspra-

chige Literatur verwendet und die Literaturarbeit basiert auf dem Leitfaden und den

Richtlinien der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften [ZHAW] (ZHAW,

2011a; ZHAW, 2011b). Die Autorinnen der vorliegenden Literaturarbeit können auf-

grund der Methodik nicht gewährleisten, dass sämtliche relevanten Suchbegriffe und

Aspekte der Thematik berücksichtigt worden sind.

Anzahl Wörter des Abstracts: 200 Wörter

Anzahl Wörter der Literaturarbeit: 10‘292 Wörter

2 Methodik

Die Literaturrecherche richtete sich nach der beschriebenen Thematik und der

Fragestellung. Der Fokus lag bei den Bedürfnissen und Erfahrungen der Bewohner

mit Migrationshintergrund in Bezug auf den Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim.

Anhand von Keywords und der Verknüpfung von AND und NOT wurde in Datenban-

ken wie CINHAL, Medline und PsycINFO nach geeigneter Literatur recherchiert.

Phänomen, Setting und Population wurden bei den Suchbegriffen berücksichtigt. Li-

teratur wurde hauptsächlich anhand des Schneeballsystems in den Literaturver-

zeichnissen der verwendeten Literatur gefunden. Nach Anpassung der Fragestellung

wurden zwei Reviews und eine qualitative Studie bearbeitet.

Die Beurteilung der qualitativen Studien erfolgte tabellarisch in Anlehnung an

die Guidelines for Critical Review Form nach Letts et al. (2007). Die Reviews wurden

in Anlehnung an das Critical Appraisal Skills Programme (CASP) „10 questions to

help you make sense of reviews” Public Health Resource Unit (2006) bewertet. Such-

pfade befinden sich im Anhang. Die qualitative Studie und die zwei Review’s sind in

die fünf Stufen des Evidenzlevels eingeteilt (Kearney, 2001).

Treffende Studienergebnisse werden mit dem Modell der transkulturellen

Kompetenz von Domenig (2007) anhand der drei Faktoren Selbstreflexion, Hinter-

grundwissen und Erfahrung, narrative Empathie in Verbindung gesetzt.

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10 Nadine Grêt & Yela Keller

Keywords: admission, nursing home, residential care, transition, transcultural

nursing, entry, migration, immigration, experiences, health care needs, resident

home, long term care, requirements, care-dependent, not dementia, not alzheimer

3 Theoretischer Hintergrund zur Migrationsbevölkerung in der Schweiz

Die Altersstruktur der Bevölkerung der Schweiz hat sich in den letzten Jahren

verändert. Die Anzahl Personen über 65 Jahre in der Gesamtbevölkerung steigt ste-

tig an. Die Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz 2010-2060 des

Bundesamts für Statistik [BAS] (2010) zeigen auf, dass der Anteil Personen über 65

Jahre, welcher im Jahr 1960 noch bei 10.3% lag, bereits im Jahr 2008 16.6% der

Gesamtbevölkerung ausmachte. Es wird vermutet, dass der Anteil Personen über 65

Jahre von 2010 bis 2060 von 17.1% auf 28.3% steigen wird. Ursachen dieser Zu-

nahme sind die Baby-Boom Generation, gemeint sind die geburtenstarken Jahrgän-

ge nach dem zweiten Weltkrieg von 1940 bis 1960, und die starke Zuwanderung von

ausländischen Arbeitskräften im Zusammenhang mit der damaligen Wirtschaftslage

(Höpflinger et al., 2011). Arbeitskräfte wurden laut Wicker (2007) in der Nachkriegs-

zeit, wegen des Wirtschaftswachstums, im Ausland gesucht, da sie im Inland kaum

zur Verfügung standen. Anstelle von Integrationsmassnahmen beabsichtigte man,

die Rückkehr zu sichern.

Die statistischen Fakten über Personen mit Migrationshintergrund über 65

Jahre in der Schweiz vermitteln laut BAG (2010) und Hungerbühler (2007) ein einge-

schränktes Bild, da Eingebürgerte nicht mehr zur ausländischen Wohnbevölkerung

gezählt werden. Der wirkliche Anteil von Personen mit einem anderen kulturellen Hin-

tergrund liegt somit höher.

3.1 Mögliche Schwierigkeiten der Migrationsbevölkerung im Alter

Die Arbeitsmöglichkeiten sind laut dem BAG (2010) momentan der wichtigste

Beweggrund für eine Einwanderung in die Schweiz. In erster Linie hängen die Wan-

derungsbewegungen im Zusammenhang mit Erwerbstätigkeit von der schweizeri-

schen Wirtschaftslage ab. Die Emigration organisiert sich in Bezug auf Arbeitsmigra-

tion oftmals nach dem Vernetzungsprinzip, das heisst, migriert wird dahin, wo sich

bereits eigene Landsleute befinden (Wicker, 2007).

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Nadine Grêt & Yela Keller 11

Laut Koch-Straube (2007) bleiben Arbeitsmigranten im Land, wenn das Migra-

tionsziel nicht erreicht ist. Das heisst, wenn es ihnen noch nicht gelungen ist, ein ma-

teriell abgesichertes Leben im Ursprungsland zu erarbeiten, oder wenn im Immigrati-

onsland länger als geplant Arbeitskräfte benötigt werden. Trotz unterschiedlichem

Grad der Integration haben Menschen mit Migrationshintergrund einen Platz in der

Gesellschaft gefunden. Zudem sind sie ihrer Heimat nach der langen Abwesenheit

fremd geworden, da Kontakte und soziale Netzwerke in der Heimat nach und nach

schwinden. Folgende Punkte sind zwei der wichtigsten Gründe, warum Migranten

nicht zurückkehren: Die eigenen Kinder haben Familien gegründet, welche im Auf-

nahmeland verwurzelt sind. Auch die meist bessere Gesundheitsversorgung in der

Schweiz führt dazu, dass Migranten im Alter bleiben.

Hungerbühler (2007) verweist auf Daten von Bolzman, Fibbi und Vial (1999),

welche anhand von zwei Migrationsgruppen (ItalienerInnen und SpanierInnen) im

Alter zwischen 55 und 65 Jahren, in Basel und Genf, belegten, dass nur ein Drittel für

immer in ihr Herkunftsland zurückkehrten. Materiell unterversorgte und gesundheit-

lich angeschlagene Migranten sind oft gezwungen, in der Schweiz zu bleiben. Ein

Drittel pendelt zwischen der Schweiz und dem Herkunftsland, ein Drittel bleibt nach

der Pensionierung in der Schweiz. Prognosen weisen darauf hin, dass die letzteren

beiden Drittel wachsen werden. Tendenziell kehren laut Hungerbühler (2007) materi-

ell abgesicherte und gesunde Personen mit Migrationshintergrund im Rentenalter

zurück in ihr Herkunftsland. Der Entscheid, „Rückkehr oder Bleiben“, löst oft Paar-

oder Familienkrisen aus. Dabei spielt das Geschlecht eine tragende Rolle. Frauen

fühlen sich in ihrer Funktion in der Familie als Mutter oder Grossmutter der Schweiz

zugehörig. Auch haben sie sich oft von traditionellen Rollenbildern emanzipiert, neue

Handlungs- und Bewegungsspielräume gewonnen, welche mit einer Rückkehr ge-

fährdet sein könnten. Männer erfahren oftmals einen Funktionsverlust durch das Aus-

scheiden aus dem Berufsleben. Sie hoffen, im Herkunftsland eine neue soziale Rolle

zu erlangen und hegen daher eher den Wunsch zurückzukehren.

Der Entscheid zu bleiben wird laut Hungerbühler (2007) und Koch-Straube

(2007) nicht in jedem Fall bewusst gefällt. Für diese Migranten steht der Rückkehr-

wunsch über lange Zeit im Vordergrund, auch wenn er immer mehr zur Illusion wird.

Oft ist dann der letzte Wunsch, in der Heimat begraben zu werden. Andere sehen die

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12 Nadine Grêt & Yela Keller

Schweiz als ihren neuen Lebensmittelpunkt und können sich mit der Planung im Alter

in der Schweiz befassen.

Laut Schopf und Naegele (2005) tritt der Bezug zur kulturellen Prägung bei

Migranten, welche aus dem Erwerbsleben ausscheiden, stärker hervor. Vielen fällt es

leichter, unter Gleichgesinnten über Probleme zu sprechen, Geselligkeit und Kultur

zu leben und Wertschätzung zu erfahren. Die Besinnung auf vertraute Gewohnheiten

und Werte kann das Wohlbefinden und die psychosoziale Bewältigung fördern.

3.2 Familiäre Unterstützung

Familienmodelle haben sich laut Hungerbühler (2007) durch den gesellschaft-

lichen Wandel verändert. So trifft die Altersversorgung durch Angehörige, wie sie vie-

le Migrationsgruppen leben, grösstenteils nicht mehr zu. In den Städten setzt sich

mehr und mehr das Modell der Kleinfamilie durch. Migrationsfamilien sind oftmals auf

eine Mehrfacherwerbstätigkeit angewiesen, daher haben sie meist weder genügend

Raum noch Zeit, sich der Pflege von Angehörigen zu widmen. So haben sich die Er-

wartungen an die Altersversorgung durch Angehörige zwischen den Generationen

verändert. Zwar bleibt das Ideal der Altersversorgung durch Angehörige für Eltern

und Kinder oftmals erhalten, jedoch wird die veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit

und somit die Auflösung der herkömmlichen Rollenbilder von beiden Seiten mehrheit-

lich verstanden. Zudem wird die institutionelle Unterbringung im Alter in den Her-

kunftsländern zunehmend als annehmbare Option toleriert. Bartel (1998) und Scheib

(1997), zitiert nach Koch-Straube (1999), erwähnen, dass ältere, traditionsgebunde-

ne Migranten verstehen, dass ihre Kinder nicht zur gewünschten und vertrauten Fa-

milienpflege herbeigezogen werden können, da sich diese meist in der neuen Kultur

eingelebt haben und sie auch leben.

Ältere Migranten sind in den Bereichen Vermögen, Einkommen und der Ge-

sundheit stark in ihren Bedürfnissen gegenüber der gleichaltrigen deutschen Popula-

tion eingeschränkt. Ressourcen zeigen sich in den familiären Beziehungen, welche

bei Migranten meist ausgeprägter vorhanden sind (Schopf & Naegele, 2005).

Für Angehörige kann die Unterstützung und Hilfeleistung der ältere Menschen

psychische Auswirkungen und ein subjektiv schlechteres Gesundheitsbild zur Folge

haben. 80% gaben an, niedergeschlagen, angespannt und nervös zu sein, wobei

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Nadine Grêt & Yela Keller 13

Töchter öfters unter chronischem Stress litten als Partner oder Partnerinnen, welche

eher von sozialer Isolation betroffen waren. Pflegende Angehörige nahmen mehr

Schlaf-, Beruhigungsmedikamente oder Antidepressiva ein als die Referenzbevölke-

rung (Perrig-Chiello, Höpflinger & Schnegg, 2010, zitiert nach Höpflinger et al., 2011).

Eine Übernahme von Pflegeleistungen durch Pflegedienste, kann pflegende

Angehörige entlasten und die Beziehung zwischen Eltern und Kindern kann sich

normalisieren (Höpflinger et al., 2011).

4 Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim

Laut Hungerbühler (2012) ist der Anteil älterer Migranten in Alters- oder Pfle-

geheimen in der Schweiz noch gering. Bewohner mit einem Migrationshintergrund im

Alters- oder Pflegeheim sind insgesamt jünger und machen momentan etwa zehn

Prozent aller Bewohner aus. Durch die zunehmend alternde Migrationsbevölkerung

und ihre sich positiv verändernde Sichtweise zur Altersversorgung in einem Alters-

oder Pflegeheim, wird sich die Anzahl der Bewohner mit Migrationshintergrund ver-

mutlich in den nächsten Jahren erhöhen.

Ein Grossteil von Arbeitsmigranten der ersten Generation, welche nun älter gewor-

den sind, benötigt laut Koch-Straube (2007) Unterstützung im Alter. Dies oft in Folge

gesundheitsschädigender Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit einer schwie-

rigen Lebenssituation. Natürlich sind nicht alle der älteren Personen gleichermassen

betroffen. Oft hängt das Ausmass von folgenden wesentlichen Faktoren ab: soziale

Schicht, Bildung, Gesundheitszustand, Finanzen, Wohnverhältnisse und Geschlecht.

Überträgt man diese Faktoren auf die Population der Migranten, ist unschwer zu er-

kennen, dass sie doppelt benachteiligt sind, nämlich als ältere Menschen und als

Migranten. Laut Guilley (2005) bringt das Alter viele Veränderungen mit sich. Eine

der entscheidendsten Veränderungen ist sicherlich die Aufgabe der Selbständigkeit

mit dem Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim. Diese Übertritte sind oftmals schwer

zu akzeptieren, da das Leben im Alters- oder Pflegeheim mit Vorurteilen behaftet ist.

Ältere Migranten leben seltener in einem Pflegeheim als vergleichsweise ältere

Schweizer. Die geringere Anzahl könnte auf engere familiäre Beziehungen beruhen

oder auf die negative Haltung gegenüber institutioneller Betreuung zurückzuführen

sein (Koch-Straube, 2007).

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14 Nadine Grêt & Yela Keller

Die letzte Lebensphase in einem Pflegeheim in der neuen Heimat zu verbrin-

gen, war ursprünglich keine vorstellbare Perspektive für Menschen mit Migrationshin-

tergrund. Die Übersiedlung in ein Alters- oder Pflegeheim stellt für die Mehrheit der

älteren Menschen, unabhängig ihrer Herkunft, eine grosse Herausforderung dar. Vie-

les ist fremd, der Zutritt ist nur in einer Anzahl beschränkter Räume erlaubt, die Pri-

vatsphäre wird auf ein Minimum reduziert und persönliche Gegenstände sind nur

spärlich vorhanden. Die Tagesabläufe sind geregelt und ähneln nur bedingt den ge-

wohnten Strukturen. Individuelle Gewohnheiten und Bedürfnisse können ebenfalls

nur beschränkt berücksichtigt werden. Die Bewohner eines Pflegeheimes erleben

eine reduzierte Persönlichkeitsentfaltung und den Verlust, ihre Bedürfnisse selbst zu

regeln und persönliche Wünsche Wirklichkeit werden zu lassen (Koch-Straube,

2007).

Der Wunsch von Migranten, in ein Alters- oder Pflegeheim zu ziehen, ist laut

Dietzel-Papakyriakou und Obermann (1995), zitiert nach Koch-Straube (2007), mit

7.7% gering und an die Bedingung geknüpft, sich das Heim selbst auszusuchen. Ist

jedoch ein Übertritt zwingend nötig, würden ihn 44% der Migranten akzeptieren. Die

Angst, abgeschoben zu werden und vor der Einsamkeit, ist immens. Sie fürchten laut

Scheib (1997), zitiert nach Koch-Straube (2007), Entwürdigung und kulturelles Un-

verständnis durch das Pflegepersonal. Das Bedürfnis nach einer Fachkraft mit Migra-

tionshintergrund wird laut, damit sich die Älteren in ihrer Kultur verstanden und ak-

zeptiert fühlen. Aus welchem Kulturkreis die Fachkraft stammt, ist unwichtig.

Der vergleichsweise schlechtere Gesundheitszustand der Migranten wirft die

Frage auf, was dies für die Alterspflege in der Schweiz bedeutet. Eine Umfrage zu

ihren Erwartungen an die Pflege im Alter, von Kallenbach-Mojgani und Tschanz

(1999) zitiert nach Hungerbühler (2007), ergab, dass sich ältere Migranten zu einem

stationären Betreuungssystem skeptischer aussprechen als zur ambulanten Pflege.

Die angstauslösenden Vorurteile werden durch veraltete Institutionen in der Heimat,

mangelnde Information und schlechte Erfahrung mit Schweizer Institutionen gebildet.

Furcht vor sozialer Isolation und Kommunikationsproblemen werfen in Bezug auf ei-

nen stationären Aufenthalt Fragen auf.

Laut Koch-Straube (2007) ist ein Übergang in ein Alters- oder Pflegeheim be-

sonders für Menschen mit Migrationshintergrund schwierig, weil sie das Unbekannte

ängstigt. Sie fürchten, den Übertritt psychisch nicht zu bewältigen. Ältere Menschen

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Nadine Grêt & Yela Keller 15

im Alters- oder Pflegeheim verspüren eine grosse Diskrepanz zwischen Gewohntem

und Neuem und nehmen diese befremdliche Situation nicht immer widerstandslos

an. Zu sehr sind sie von Erfahrungen und Gewohnheiten geprägt. Der Verlust der

vertrauten Umgebung, den gewohnten Tagesabläufen, der Übertritt in eine Instituti-

on, welcher manchmal sehr plötzlich erfolgt, sowie die neuen Heimabläufe und Re-

geln können ältere Menschen überfordern. Das alles kann dazu führen, dass sie kei-

ne Kraft mehr haben, sich nochmals zu integrieren. Alters- oder Pflegeheimstrukturen

sind meist geregelt, üben auf die Bewohner einen starken Anpassungsdruck aus und

können als Bevormundung verstanden werden. Dies kann sich in Aggression, Angst,

psychischem oder physischem Rückzug zeigen. Die Angst kann im Zusammenhang

mit Krankheit, Alter, Schwäche, funktioneller Einschränkung und dem Sterben stärker

auftreten. Andere Anzeichen, wie zum Beispiel psychischer Rückzug, werden häufig

falsch interpretiert und als Verwirrtheit, dementielle Erkrankung oder Wahrneh-

mungsstörung diagnostiziert. Durch den psychischen Rückzug versuchen sich ältere

Menschen vor der neuen, ihnen unbekannten Umgebung zu schützen.

5 Transkulturelle Kompetenz nach D. Domenig (2007)

In gesundheitlichen Versorgungsinstitutionen werden Fachpersonen immer

häufiger Menschen mit Migrationshintergrund begegnen. Schwierigkeiten in der Be-

treuung von Migranten sind meist in Sprachbarrieren, Frau- Mann- Verhältnissen,

Ausdrucksformen für Schmerzen und häufiger Angehörigenpräsenz zu suchen.

Durch Zeitnot, hohe Arbeitsbelastung und mangelnde transkulturelle Kenntnisse wird

es den Fachpersonen zusätzlich erschwert, eine individuelle Pflege zu leisten, und

bietet nur eine minimal notwendige Behandlung. Dass das Pflegepersonal häufig

keine bedürfnisorientierte Pflege durchführen kann, liegt laut Domenig (2007) daran,

dass der Lebensumstand und die Krankheitserfahrungen von Migranten nicht genü-

gend wahrgenommen werden.

Transkulturelle Kompetenz ist eine Interaktion zwischen Pflegendepersonal

und Migranten. Diese richtet den Blick nicht auf Unterschiede, Kultur oder Andersar-

tigkeit, sondern versucht, Gemeinsamkeiten zu entdecken. Durch die Offenheit ge-

genüber Neuem und Unbekannten ist es laut Domenig (2007) möglich, eine Abgren-

zung und Ausgrenzung von Migranten zu verhindern.

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16 Nadine Grêt & Yela Keller

Die transkulturelle Kompetenz hängt von drei wichtigen Faktoren ab (siehe

Abbildung 1): Domenig (2007) bezeichnet diese als Selbstreflexion, Hintergrundwis-

sen und Erfahrung sowie narrative Empathie.

Abb. 1 Modell der transkulturelle Kompetenz (S. 175)

5.1 Selbstreflexion

Bevor eine Person die transkulturelle Kompetenz entwickeln kann, muss sie

lernen, ihr eigenes Denken und Handeln zu reflektieren und sich Unbewusstes und

Selbstverständliches bewusst zu machen. Erst dann ist die Person fähig, sich mit den

individuellen und komplexen Situationen von Migranten auseinanderzusetzen und sie

zu verstehen. Um dies zu erreichen, ist Hintergrundwissen nötig.

5.2 Hintergrundwissen und Erfahrung

Kenntnisse über Kultur, Integration, Grund- und Menschenrechte, migrations-

spezifische Lebensbedingungen, Zusammenhänge von Migration und Gesundheit,

Zugangsbarrieren zur Gesundheitsversorgung, Rassismus und Diskriminierung,

frauen- und männerspezifische Lebenswelten, psychische Erkrankungen, Folter und

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Nadine Grêt & Yela Keller 17

Gewalt und das Verständnis von Gesundheit und Krankheit sind von Vorteil, um Mig-

ranten besser zu verstehen, wenn sie von ihren Lebenswelten erzählen.

Laut Schütz und Luckmann (2003, zitiert nach Domenig, 2007) bedeutet die

Lebenswelt eine nicht hinterfragte Tatsache aller Gegebenheiten, in welche der

Mensch hineingeboren wurde. Laut Domenig (2007) ist es erst möglich, eine ange-

passte Behandlung und Pflege auszuführen, wenn die Situation von Migranten mög-

lichst wertneutral erfasst wird.

5.3 Narrative Empathie

Narrative Empathie wird wie folgt beschrieben: die Fähigkeit, sich in jemandes

Lage hineinzuversetzen, Gefühle zu erfassen, diese mit dem Betroffenen zu teilen

und sich so über dessen Handeln bewusst zu werden. Es bedeutet, auf das Gegen-

über zuzugehen und sich ihm zuzuwenden, Neues zu erfahren und mit Offenheit und

Neugier zu agieren. Um Unbekanntes zu verstehen, braucht es Interesse, Geduld

und Bemühung. In der narrativen Empathie geht es nicht nur um das Einfühlungs-

vermögen gegenüber dem Betroffenen, sondern auch darum, das Gespräch durch

Zustimmung und Nachfragen zu vertiefen und den Migranten im Erzählen der Narra-

tionen seiner Lebenswelt zu unterstützen.

Mattingly & Garro (1994), zitiert nach Domenig (2007) beschreibt Narration

folgendermassen: „Narrationen werden von PatientInnen benutzt, um konkrete Er-

eignisse zu verstehen, welche das in-Bezug-setzen der inneren und äusseren Welt

erfordern. Durch Narrationen wird Ereignissen Sinn und Bedeutung in einer subjekti-

ven Lebensgeschichte verliehen.“ (S.771). Erst durch diese Perspektive und der Ver-

knüpfung der Situation ist ein besseres Verstehen von Menschen mit Migrationshin-

tergrund möglich (Schweizerisches Rotes Kreuz, 2012).

Nach Davies und Higginson (2004), zitiert nach dem Schweizerischen Roten

Kreuz (2012) bedeutet transkulturelle Kompetenz nicht, spezifisches Kulturwissen

über die jeweilige Migrantengruppe zu haben, sondern jede Situation individuell zu

betrachten. Transkulturelle Kompetenz kann jedoch nicht nur bei Migranten ange-

wandt werden, es eignet sich generell für eine patientenorientierte Pflege und Be-

handlung, da mit dieser Kompetenz sehr individuell auf die Lebenswelten geachtet

werden kann (Schweizerisches Rotes Kreuz, 2012).

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18 Nadine Grêt & Yela Keller

5.4 Transkulturelle Kompetenz der Menschen mit Migrationshintergrund

Sowohl Fachpersonen als auch Migranten können über eine transkulturelle

Kompetenz verfügen. Die transkulturelle Kompetenz, welche Personen mit Migrati-

onshintergrund laut Kilcher (2004) im Laufe ihrer Aufenthaltszeit teilweise entwickeln,

darf in Anbetracht ihrer schwierigen Lebenssituation nicht übersehen werden. Trotz

erschwerter Bedingungen müssen Migranten in Alltag und Berufsleben bestehen. Sie

lernen, in einer neuen Umgebung zu leben, und haben sich zum Teil den ihnen

fremden Anforderungen angepasst. Ihre soziokulturellen Bindungen gehen dabei al-

lerdings nicht verloren. Laut Bartel (1998) und Scheib (1997), zitiert nach Koch-

Straube (2007), zeigt sich dies zum Beispiel, indem sie verstehen, dass ihre Kinder

sich der Aufnahmegesellschaft angepasst haben und die Familienpflege nicht mehr

im Vordergrund steht. Laut Kilcher (2004) wird die transkulturelle Kompetenz ihnen

erneut helfen, sich im Alters- oder Pflegeheim zurechtzufinden.

5.5 Leiningers Theorie der transkulturellen Pflege

Die Theorie von Madeleine Leininger, welche in Amerika weit verbreitet ist,

wird nicht behandelt, da sich diese Literaturarbeit auf das Modell der transkulturellen

Kompetenz von Domenig (2007) konzentriert. Hier eine Erläuterung: Leininger er-

forschte die Besonderheiten verschiedener Kulturen und untersuchte unterschiedli-

che Kulturpflegepraktiken. Die Ergebnisse dieser Forschung listet Leininger in einem

Raster nach Aspekten wie Eigenschaften, kulturpflegespezifische Handlungen oder

Wertvorstellungen auf. Der Blick wird auf die Unterschiede gerichtet und stellt Ge-

wohnheiten und Handlungen in den Vordergrund. Diese Kulturraster sollten dem

Pflegepersonal als Leitfaden für die Betreuung von Menschen mit Migrationshinter-

grund dienen (Domenig, 2007).

Domenig (2007) bringt folgende Kritik an: Vorurteile könnten sich gegenüber

Migranten bilden. Einer Kultur lassen sich Merkmale und Eigenschaften zuordnen,

nicht aber einem Individuum, da dieses von Erfahrungen und Lebensbedingungen

geprägt wird. Zu beachten sind auch Faktoren wie sozialer Status, Geschlecht, Bil-

dung und Alter.

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Nadine Grêt & Yela Keller 19

6 Stand der Forschung über Bedürfnisse und Erfahrungen der Migrationsbe-

völkerung im Alters- oder Pflegeheim

Laut Habermann, Schenk, Albrecht, Gavaranidou, Linswer und Butler (2009)

wird aufgrund der sich abzeichnenden Bevölkerungsentwicklung versucht, das Al-

tenhilfesystem den Menschen mit Migrationshintergrund anzupassen. Die Schwierig-

keit besteht darin, dass konkrete Daten und Bedarfseinschätzungen fehlen. Ebenso

mangelt es an subjektiven Einschätzungen der Bedürfnisse von Migranten. Die Prob-

lematik wird durch die Heterogenität der Migrationspopulation zusätzlich verschärft.

In vielen Statistiken im Gesundheitswesen werden Migrationsmerkmale nicht erho-

ben.

Zurzeit sind ältere Migranten in der Alters- und Integrationspoitik und -arbeit

keine Zielgruppe. Fachpersonen sind sich jedoch einig, dass betagte Menschen mit

Migrationshintergrund zukünftig zu einer Zielgruppe werden. Das Bewusstsein für die

Vorbereitung der damit Verbundenen Aufgaben nimmt zu, sowie die Einsicht, dass

eine gute Vernetzung zwischen Alters- und Integrationsbereich nötig ist. Es kann in

der Schweiz nicht von einer Chancengleichheit gesprochen werden. Dennoch sind

positive und konkrete Ansätze durchaus festzustellen (Hungerbühler & Abati, 2012).

Auch in Deutschland werden mittlerweile Massnahmen getroffen, um den Zu-

gang zu Hilfe- und Pflegediensten für Migranten zu erleichtern. Weiter werden trans-

kulturelle Schwerpunktangebote entwickelt, welche sich nach den Gewohnheiten der

Migranten richten. Trotz dieser Bemühungen wird zurzeit die Pflegeinfrastruktur für

ältere Migranten noch als ungenügend betrachtet (Schopf & Naegele, 2005).

7 Ergebnisse zu Bedürfnissen und Erfahrungen der Migrationsbevölkerung

in Alters- oder Pflegeheimen

Relevante Ergebnisse der Reviews Mold, Fitzpatrick und Roberts (2005), Lee,

Woo und Mackenzie (2002) und der Studie von Kutschke (2001), zur Beantwortung

der Forschungsfrage werden aufgezeigt.

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20 Nadine Grêt & Yela Keller

7.1 Resultate des Reviews „Minority ethnic elders in care homes: a review of

the literature” Mold, Fitzpatrick und Roberts (2005)

Die Resultate dieses Reviews werden in internationale Perspektiven und Per-

spektiven in Grossbritannien eingeteilt und anhand der Themen gegliedert.

7.1.1 Internationale Perspektiven – Übertritt in das Alters- oder Pflegeheim

Zwei Studien berichteten über Diskriminierung hinsichtlich des Zugangs zu

Alters- oder Pflegeheimen (Belgrave, Wykle & Choi, 1993; Mercer, 1996, zitiert nach

Mold et al., 2005). Laut Belgrave et al. (1993, zitiert nach Mold et al., 2005) sind

ungleiche finanzielle Situation der Migranten und deren Gesundheitszustand sowie

kulturell bedingte Pflege durch Angehörige dafür verantwortlich.

Amerikanische Studien belegen gravierende Unterschiede in Alters- oder

Pflegeheimen für Migranten (Howard et al. 2002; Wallace et al.1998, zitiert nach

Mold et al., 2005). Zum Beispiel Institutionen für Afroamerikaner in Alters- oder

Pflegeheimen variieren in der Grösse, ihrer Ausstattung und der Qualität der Versor-

gung (Howard et al., 2002, zitiert nach Mold et al., 2005). Diese Institutionen befin-

den sich in ländlicheren Gegenden und ärmeren Gemeinden. Ist der Leiter des

Alters- oder Pflegeheims ebenfalls afroamerikanischer Herkunft, ist eine Aufnahme

einfacher. Sauberkeit und Unterhalt in diesen Alters- oder Pflegeheimen sind von

geringerer Qualität. Mögliche Erklärungen dafür sind laut Wallace et al. (1998), zitiert

nach Mold et al. (2005), dass diese über geringere Ressourcen und schlechtere

finanzielle Mittel verfügen.

7.1.2 Internationale Perspektiven – Kulturelle Vielfalt

Bei der Gesundheitsversorgung von Personen mit Migrationshintergrund ist es

wichtig, den individuellen Hintergrund, den Lebensstil, die religiöse Überzeugung und

die gesundheitlichen Praktiken der Menschen zu kennen (Sasson, 2002; Snyder,

1982, zitiert nach Mold et al., 2005).

Obwohl das Pflegepersonal nicht voreingenommen gegenüber älteren Perso-

nen mit Migrationshintergrund war, hatten sie klare Vorstellungen von den Gewohn-

heiten der Migrationsgruppen. Dies zeigt die Notwendigkeit der Weiterbildung von

Mitarbeitenden in der transkulturellen Kompetenz (Robinson, 1992; Tirrito, 1989,

zitiert nach Mold et al., 2005).

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Nadine Grêt & Yela Keller 21

7.1.3 Internationale Perspektiven – Kommunikation

Wenn eine individuelle Pflege erreicht werden soll, ist eine angebrachte, gute

Kommunikation sehr wichtig im Umgang mit Personen mit Migrationshintergrund

(Jones, 1986, zitiert nach Mold et al., 2005). Jones (1886) und Mercer, Heacock und

Beck, (1993) zitiert nach Mold et al., (2005) erwähnen, dass sich die Kommunikation

schwieriger gestaltet, wenn Personen aus vielen verschiedenen Migrationsgruppen

zusammenkommen. Vorschläge zur Verbesserung der Kommunikation zwischen

Bewohnern und dem Pflegeteam sind folgende: Anstellung von Pflegefachpersonen

mit Migrationshintergrund, Förderung des Dolmetscherservices, Investition in Schu-

lung und Ausbildung der Pflegepersonen in transkultureller Pflege (Jones, 1986;

Clermont, Samter & Fisher, 1993, zitiert nach Mold et al., 2005).

7.1.4 Internationale Perspektiven – Identität und Familie

Laut Sasson (2001, zitiert nach Mold et al., 2005) ist die Aufrechterhaltung der

Familien- und Verwandtenbeziehungen für viele Bewohner von Alters- oder Pflege-

heimen ein wichtiger Faktor. Der Übergang vom eigenen Zuhause in eine Pflegeein-

richtung hat nicht nur Auswirkungen auf die Familienstruktur (Hikoyeda & Wallace,

2001, zitiert nach Mold et al., 2005), sondern auch auf die Erwartung und Zufrieden-

heit bezüglich der geleisteten Pflege (Mutran et al., 2001, zitiert nach Mold et al.,

2005) und das Selbstwertgefühl der älteren Migranten (Sasson, 2001, zitiert nach

Mold et al., 2005).

Es zeigt sich laut Sasson (2001, zitiert nach Mold et al., 2005), dass die Iden-

tität erhalten bleibt, wenn Bewohner mit Migrationshintergrund die Möglichkeit be-

kommen, Aufgaben oder Verantwortung im Alters- oder Pflegeheim zu übernehmen

und so Respekt und Struktur im Alltag erhalten. Verbindungen mit Freiwilligenorgani-

sationen haben laut Maclean und Bonar (1983, zitiert nach Mold et al., 2005)

ebenfalls positive Auswirkungen auf die Lebensqualität, Stärkung der Identität und

die Haltung zur veränderten Lebenssituation.

7.1.5 Internationale Perspektiven – Entscheidung zum Übertritt in ein Alters-

oder Pflegeheim

Laut Groger (1994, zitiert nach Mold et al., 2005) ist die persönliche Auseinan-

dersetzung, in ein Alters- oder Pflegeheim einzutreten, für viele ältere Menschen ein

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22 Nadine Grêt & Yela Keller

Thema, unabhängig ihrer Herkunft. Der Entschluss zum Übertritt in ein Alters- oder

Pflegeheim ist nach Fitzgerald, Mullavey-O’Brian und Clemson (2002, zitiert nach

Mold et al., 2005) meist unwiderruflich und stellt die Unabhängigkeit und Autonomie

der älteren Menschen in Frage. Die Entscheidung zum Übertritt in ein Alters- oder

Pflegeheim ist besonders für pflegende Angehörige mit einem Dilemma verbunden.

Zum Einen sind dies familiären Verpflichtungen, welchen sie unterliegen, zum

Anderen sind es praktische und auch erleichternde Aspekte, welche die Einweisung

eines Angehörigen in eine Langzeitinstitution mit sich bringen (Liu & Tinker, 2001,

zitiert nach Mold et al., 2005). Durch weite Anfahrtswege können zudem zusätzliche

Kosten für die Besucher der Betroffenen entstehen (Davies, Laker & Ellis, 1997,

zitiert nach Mold et al., 2005).

7.1.6 Perspektiven in Grossbritannien – Hindernisse der Pflegebereitstellung

für ältere Migranten

Unterschiedliche gesundheitliche und soziale Bedürfnisse der Migrationsbe-

völkerung wurden in London festgestellt. Ausgeprägteres kulturelles Bewusstsein des

Pflegepersonals über die Einstellungen und Überzeugungen von Migranten wurde

von Lowdell et al. (2000, zitiert nach Mold et al., 2005) gefordert. Relevant für die

Bildung des Pflegepersonals ist die Förderung der transkulturellen Kompetenz durch

Kurse sowie Beteiligung von Organisationen wie „Ethnic Minority Forum“ und das

„Refugee Network“ (Bromley Council on Ageing., 1999, zitiert nach Mold et al., 2005).

Unterschiedliche Bedürfnisse von Migranten, Ungleichheiten derer Gesund-

heit, der Dienstleistungen, der Einkommen und der Übertrittsmöglichkeiten wurden

im Age Concern (2002, zitiert nach Mold et al., 2005) erwähnt. Empfehlungen, den

individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden, wären eine höhere Beteiligung von

lokalen Diensten (Jewson, Jeffers & Kalra, 2003, zitiert nach Mold et al., 2005) und

angepasstere Leistungen (Age Concern., 2002, zitiert nach Mold et al., 2005). Beide

Dokumente weisen keinen expliziten Fokus auf die Langzeitpflege auf, sind jedoch

relevant, um den Personen mit Migrationshintergrund die Langzeitpflege zu erleich-

tern und ihren Erwartungen bezüglich der kulturellen Leistungen gerecht zu werden.

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Nadine Grêt & Yela Keller 23

7.1.7 Perspektiven in Grossbritannien – Kulturelle Bedürfnisse und

Erfahrungen

Patel (1998), Counsel and Care, (2003), Help the Aged, (2001), zitiert nach

Mold et al. (2005) erwähnen, dass Menschen mit Migrationshintergrund den Wunsch

nach Unabhängigkeit äussern und möchten, dass ihre kulturellen Bedürfnisse aner-

kannt werden. Viele Migranten machten bereits Erfahrungen von kulturell unange-

messener Pflege. Dies zeigte sich in verschiedenen Formen, zum Beispiel wurde

über Fehler in diätetischen Bedürfnissen, Unsensibilität in religiösen Überzeugungen

und Praktiken, fehlerhafte Interpretationen von Verhalten und Mangel an ausländ-

ischen Arbeitskräften in den Institutionen berichtet. Unzureichende Übersetzung

wurde ebenfalls bemängelt (Jewson, Jeffers & Kalra, 2003, zitiert nach Mold et al.,

2005).

7.1.8 Perspektiven in Grossbritannien – Kommunikation

Kommunikation zeigt sich als Schwerpunkt in verschiedenster Fachliteratur

von Grossbritannien. Eine unzureichende Anzahl von Heimen für Migranten und ein

dürftiges Dolmetscherangebot wird von Nazarko (1994, zitiert nach Mold et al., 2005)

aufgeführt. Wenn individualisierte, transkulturelle Pflege gewährleistet werden soll,

muss die Kommunikation dringendst verbessert werden. Ein einheitliches Pflege-

schema ohne Berücksichtigung einzelner Individuen löst bei Personen mit Migra-

tionshintergrund Unbehagen aus.

7.2 Resultate des Reviews „A review of older people’s experiences with resi-

dential care placement” Lee, Woo und Mackenzie (2002)

Die Forschungsergebnisse wurden in drei Phasen eingeteilt, vor, während und

rundum sowie nach dem Übertritt (Lee, et al., 2002). Weitere Ergebnisse betreffen

den Umgang mit Erfahrungen und das Einleben nach Wilson (1997) und Brooke

(1987).

7.2.1 Erfahrungen und Prozesse vor dem Alters- oder Pflegeheimübertritt

Nach Tobin und Liebermann (1976, zitiert nach Lee et al., 2002) zeigte sich,

dass die Ablehnung gegenüber der Institution und negative psychische Effekte be-

reits vor dem tatsächlichen Übertritt in ein Alters- oder Pflegheim einsetzen. Ältere

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24 Nadine Grêt & Yela Keller

Menschen, welche auf einer Warteliste für einen Heimplatz standen, hatten ein nied-

rigeres Selbstwertgefühl, zeigten weniger Emotionen und eine kognitiv schwächere

Leistung als die Kontrollgruppe. Biedenharn & Normoyle (1991, zitiert nach Lee et

al., 2002) fanden heraus, dass viele ältere Menschen Angst vor dem Übertritt in eine

Institution haben. Diese betrifft Bereiche wie niedrige Pflege- und Lebensqualität,

hohe Kosten und geringe Einbringung der Familie in der Betreuung. Lee (1997, in

Lee et al., 2002) fand heraus, dass viele ältere Menschen bezüglich des Pflege-

heimübertritts zögerlich sind, da sie oftmals mit negativen Erzählungen von Verwand-

ten oder Freunden konfrontiert wurden, was ihre Sicht auf die stationäre Pflege eben-

falls negativ beeinflusste. Victor (1992) zitiert nach Lee et al. (2002) berichtet, dass

ältere Menschen den Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim als letztes Zeichen des

Versagens betrachten. Diese Ängste beeinflussen sie negativ und beeinträchtigen

das Einleben (Nolan, 1999, zitiert nach Lee et al., 2002).

7.2.2 Erfahrungen rund um den Prozess des Alters- oder Pflegeheimübertritts

Chenitz (1983, zitiert nach Lee et al., 2002) beschrieb, dass ältere Menschen

den Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim besser akzeptieren, wenn dieser als not-

wendig, freiwillig, gewünscht, wichtig oder als nur vorübergehend erachtet wurde.

Dies vor allem dann, wenn die ältere Person den Übertritt als die einzig mögliche Al-

ternative verstand. Freiwillige Vereinbarung und Kontrolle über den Übertritt wird von

weiteren Autoren als positive Faktoren beschrieben (Davidson & O'Connor, 1990;

Greene & Dunkle, 1992; Mikhail, 1992; Minichiello, 1986; Petrou & Oberchain, 1987;

Reinardy 1992; Reinardy, 1995; Teitelman & Priddy, 1988, zitiert nach Lee et al.,

2002). Ohne diese Einsicht oder Vorbereitung reagierten die Patienten auf den Über-

tritt mit Resignation oder kräftigem Widerstand (Chenitz, 1983, zitiert nach Lee et al.,

2002).

Je nachdem, wie aktiv sich ältere Menschen über ein Alters- oder Pflegeheim

informierten und sich mit dem Gedanken zum Übertritt auseinandersetzen, wurde der

Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim unterschiedlich erlebt. Es werden vier Typen

bezüglich des Einlebens in ein Alters- oder Pflegeheim unterschieden. Die als die

positive Wahl (the positive choice), die rationalisierte Alternative (the rationalized al-

ternative), die anzweifelnde Option (the descredited option) und die vollendete Tat-

sache (the „fait accompli“) benannt werden. Die wünschenswerteste Art des Über-

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Nadine Grêt & Yela Keller 25

tritts ist die positive Wahl, da diese berücksichtigt, wann und wo dieser stattfindet

sowie eine gewisse Kontinuität gewährleistet (Nolan et al., 1996, zitiert nach Lee et

al., 2002). Der Typ der rationalisierten Alternative setzt sich weniger mit Erwartun-

gen, Beteiligung, Erkundung und Informationsbeschaffung auseinander. Der Übertritt

ins Alters- oder Pflegeheim war nicht erwünscht, wird jedoch als notwendig oder re-

versibel erachtet. Der Typ der anzweifelnden Option beginnt, kurz nach dem Über-

tritt, wenn sich die Situation anders herausstellt als erwartet, die Entscheidung in

Frage zu stellen. Der Typ der vollendeten Tatsache ist der problematischste, da kei-

ne der Bedingungen für die Akzeptanz gegeben sind. In dieser Situation wird der

Übertritt als gänzlich negativ wahrgenommen (Nolan et al., 1996, zitiert nach Lee et

al., 2002).

Wenn laut Nolan et al. (1996, zitiert nach Lee et al., 2002) eine aktive Ausei-

nandersetzung eines Übertritts fehlt, führt dies oftmals zu weniger bevorzugten Ty-

pen des Einlebens. Was nicht überrascht, da die meisten Heimübertritte aufgrund

einer Krise, wie nach einem Spitalaufenthalt, einer akuten Erkrankung oder des To-

des eines Ehepartners stattfinden und meist keine gründliche Information und Pla-

nung vorangeht.

7.2.3 Erfahrungen und Prozesse nach dem Heimübertritt

Nach dem Übertritt können negative Gefühle wie Verlust und Leid (feelings

about loss and suffering), aber auch positive Gefühle wie Erleichterung und Sicher-

heit (sense of relief and security), auftreten.

7.2.3.1 Gefühle von Verlust und Leid

Die Erfahrung des Übertritts in ein Alters- oder Pflegeheim wird als schmerzli-

ches Ende von allem, was für eine ältere Person wichtig war, dargestellt. Gefühle von

Verlust und Leid zeigen sich in Unsicherheit und einem abgewerteten Selbstwertge-

fühl. Man spricht von abstrakten, materiellen und sozialen Verlusten (Nay, 1995, zi-

tiert nach Lee et al., 2002).

Der abstrakte Verlust beschreibt Rolle, Freiheit, Alltag, Autonomie und Pri-

vatsphäre (Brooke, 1987; Brubaker, 1996; Faucett, Ellis, Underwood, Naqvi & Wil-

son, 1990; Fiveash, 1998; Iwasiw, Goldenberg, MacMaster, McCutcheon & Bol,

1996; Learman, Avron, Everitt & Rosenthal, 1990; Nay, 1995; Pearson, Hockings,

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26 Nadine Grêt & Yela Keller

Mott & Riggs, 1993; Peisah, 1991; Ryden, 1984; Wilson, 1997, zitiert nach Lee et al.,

2002). Der Verlust der Autonomie und der Privatsphäre, die Anpassung an das

Gruppenleben und die Regeln bezüglich der Aktivitäten des täglichen Lebens wurden

als Hindernisse, welche die Phase des Einlebens erschweren, festgestellt. Der mate-

rielle Verlust betrifft die Heimat, das Zuhause und das persönliche Eigentum (McCra-

cken 1987; Nay 1995; Thomasma, Yeaworth & McGabe, 1990, zitiert nach Lee et al.,

2002). Der soziale Verlust beinhaltet die Familie, die Freunde und auch die Haustiere

(Brooke, 1987; Iwasiw et al., 1996; Nay, 1995; Patterson, 1995; Wilson, 1997, zitiert

nach Lee et al., 2002).

Es wurde beschrieben, dass entscheidende Aspekte für das Leid von Bewoh-

nern die Gefährdung oder Verlust der Existenz und des eigenen Seins sind (Kahn &

Steves 1986, zitiert nach Lee et al., 2002). Kahn (1990), Morgen, Reed und Palmer

(1997), Nay (1995), zitiert nach Lee et al. (2002) haben festgestellt, dass die Wahr-

nehmung des Verlustes nicht auf materielle Objekte selbst gerichtet ist, sondern auf

das, was diese symbolisieren und welche Erinnerungen daran geknüpft sind.

Danermark und Ekstorm (1990, zitiert nach Lee et al., 2002) haben herausge-

funden, dass eine Unterkunft, welche mit Erinnerungen an das Zuhause verbunden

ist, Gefühle der Sicherheit, Kontrolle und persönlicher Identität hervorruft. Folglich ruft

der Verlust des eigenen Zuhauses und des persönlichen Eigentums und der damit

verbundenen Erinnerungen negative Gefühle hervor.

Der Verlust der Privatsphäre und Kontrolle über die Aktivitäten des täglichen

Lebens können Angst und Stress erzeugen (Thomasma et al., 1990, zitiert nach Lee

et al., 2002), was wiederum zu einer Abwertung der eigenen Individualität und

Selbstbestimmung führt (Kahn, 1990; Nay, 1995, zitiert nach Lee et al., 2002). Tat-

sächlich sind die häufigsten Empfindungen niedriges Selbstwertgefühl, Ohnmacht,

Trauer, Depression, Wut und Verrat (Chenitz, 1983; Gorman, 1996; Iwasiw et al.,

1996; Nay, 1995; Reed & Roskell Payton, 1996; Tobin & Lieberman, 1976; Wilkins &

Hughes, 1987, zitiert nach Lee et al., 2002). Die negativen Erfahrungen vor dem

Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim werden durch institutionelle Einschränkungen

unmittelbar nach dem Übertritt verstärkt (Brooke, 1987; Brubaker, 1996; Chenitz,

1983; Fiveash, 1998; Iwasiw et al., 1996; Jilek, 2000; Learman et al., 1990; Nay,

1995; Pearson et al., 1993; Peisah, 1991; Ryden, 1984; Wilson, 1997, zitiert nach

Lee et al., 2002).

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Nadine Grêt & Yela Keller 27

7.2.3.2 Gefühle der Erleichterung und Sicherheit

Positive Gefühle sind laut Iwasiw et al. (1996, zitiert nach Lee et al., 2002)

weniger Einsamkeit, Erleichterung durch Mahlzeitenservice, keine belastende, eige-

ne Haushaltsführung und erhöhtes Sicherheitsempfinden durch die Betreuung. Ein

Bewohner berichtete gar über gesteigertes Selbstwertgefühl und verringerte Schuld-

gefühle gegenüber seiner Familie.

Smith und Bengtson (1979, zitiert nach Lee et al., 2002) fanden heraus, dass

nach dem Übertritt beide Generationen entweder eine Weiterführung oder eine Ver-

besserung der engen Familienverbundenheit erlebten. Zu den wichtigsten Ergebnis-

sen zählten erneute Verbundenheit, Entdeckung neuer Liebe und Zuneigung und

Stärkung des Familienbandes.

7.2.4 Der Umgang mit Erfahrungen im Alters- oder Pflegeheim

Der Umgang mit Erfahrungen im Alters- oder Pflegeheim wird in drei Metho-

den eingeteilt. Diese sind Passive Akzeptanz (passive acceptance), das Beste aus

der Situation machen (making the best of available choices) und Neuorientierung

(reframing).

7.2.4.1 Passive Akzeptanz

Die passive Akzeptanz ist die vorrangigste Methode, um sich mit den ver-

schiedenen Einschränkungen und Vorschriften im Alters- oder Pflegeheim zurechtzu-

finden. Ältere Bewohner haben sich mit ihrem Verhalten an die Normen und Routinen

des Alters- oder Pflegheims angepasst und akzeptieren passiv den Verlust der Kon-

trolle über ihr tägliches Leben (Iwasiw et al., 1996, zitiert nach Lee et al., 2002). Sie

gewöhnen sich an die Normen und Werte, begrüssen diese jedoch nicht wirklich.

7.2.4.2 Das Beste aus der Situation machen

Die Methode „das Beste daraus machen“ ist eng mit der Verhaltensweise der

passiven Akzeptanz verbunden. Es geht den Bewohnern darum, die Kontrolle über

die noch möglichen Aktivitäten beizubehalten (Kahn, 1990; Porter & Clinton, 1992,

zitiert nach Lee et al., 2002). Beziehungen zu Familie und engen Freunden versuch-

ten die Bewohner auch nach Übertritt unter Kontrolle zu haben, da sie so die Wert-

schätzung beibehielten (Iwasiw et al., 1996, zitiert nach Lee et al., 2002).

Page 30: Migranten im Alters- oder Pflegeheim - alter-migration.ch · Abstract Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim zu verbringen war ursprünglich

28 Nadine Grêt & Yela Keller

7.2.4.3 Neuorientierung

Eine weitere Methode ist, sich nicht mehr als nutzlos zu erachten und so mit

dem Verlust verschiedener Kontrollen durch den Übertritt ins Alters- oder Pflegeheim

umzugehen. Um dieses Gefühl der Nutzlosigkeit abzulegen, vergleichen sich Be-

wohner mit anderen Heimbewohnern (Brooke, 1987; Kahn, 1990; Porter & Clinton,

1992, zitiert nach Lee et al., 2002) in Bezug auf körperliche Gesundheit, kognitive

Fähigkeiten, sozialen Status, Familienbesuche und finanzielle Situation. Solche Ver-

gleiche helfen den Bewohnern, einen anderen Blickwinkel zu bekommen und sich mit

der Unpersönlichkeit des Alters- oder Pflegeheim zu arrangieren (Kahn, 1990, zitiert

nach Lee et al., 2002).

7.2.5 Der Prozess des Einlebens nach Wilson (1997)

Das Einleben in ein Alters- oder Pflegeheim wird in drei Phasen unterteilt. Die-

se sind laut Wilson (1997, zitiert nach Lee et al., 2002) die Phase der Überforderung

(the overwhelmed phase), der Anpassung (the adjustment phase) und der anfängli-

chen Akzeptanz (the initial acceptance phase). Die Phase der Überforderung wird

definiert als eine emotionale Ebene, welche Gefühle wie Einsamkeit, Trauer, Weinen,

Angst und Verlusterfahrungen beinhaltet. In der Phase der Anpassung beginnen die

meisten Bewohner, die negativen Emotionen aufzugeben und eine positive Haltung

für die Zukunft und das tägliche Leben zu entwickeln. Die Bewohner knüpfen neue

Beziehungen und können über den Kontroll- und Autonomieverlust sprechen. Die

anfängliche Akzeptanz hat zum Ziel, die komplette Akzeptanz zu erreichen. Die Be-

wohner beginnen, bei Aktivitäten teilzunehmen, sich in die Gruppe zu integrieren,

und schliessen neue Freundschaften. Das Selbstvertrauen steigt und die Bewohner

realisieren, dass sie eine Zukunft in der neuen Heimat haben werden. Es wurde fest-

gestellt, dass die Phase zur Anpassung an ein Alters- oder Pflegeheim viel Arbeit von

jedem Individuum abverlangt. Jene, die sich nicht mit der Planung des Übertritts in

ein Alters- oder Pflegeheim befasst haben, brauchen länger, um sich dort einzule-

ben.

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Nadine Grêt & Yela Keller 29

7.2.6 Der Prozess des Einlebens nach Brooke (1987)

Brooke (1987, zitiert nach Lee et al., 2002) beschrieb vier Phasen der Ent-

wicklung beim Einleben in ein Alters- oder Pflegeheim. Die vier Phasen werden als

Desorganisation (disorganization), Reorganisation (reorganization), Beziehungen

knüpfen (relationship building) und Stabilisierung (stabilization) bezeichnet. 93% aller

neuen Bewohner durchlaufen diese Phasen in acht Monaten. Die Phase der Desor-

ganisation wird charakterisiert als eine emotionale Erregung, welche den Verlust von

wichtigen Bezugspersonen, körperlichen oder geistigen Fähigkeiten und des Eigen-

tums beinhaltet. Ebenfalls sind Gefühle von „am falschen Ort zu sein“, Verletzlichkeit

und Verlassenheit üblich. In dieser, meist zwei Monate dauernden Phase, waren die

Bewohner häufig in sich gekehrt. Die drei Monate dauernde Phase der Reorganisati-

on gleicht einer Problemlösungsphase, welche sich mit Themen wie dem Leben im

Alters- oder Pflegeheim, dem Kennenlernen von Routinen, den Pflegebedarf ausfin-

dig machen und der Zielsetzung auseinandersetzt. Die Phase in der neue Beziehun-

gen zu Mitbewohnern und Pflegepersonal geknüpft werden, dauert meist drei bis vier

Monate. Die Phase der Stabilisierung dauert vier bis sechs Monate und wird charak-

terisiert durch das Zulassen von Nähe und das positive Erleben neuer Erfahrungen.

Brooke (1987, zitiert nach Lee et al., 2002) betont, dass neu aufgenommene

Bewohner diesen Prozess nicht unbedingt immer in diesem Zeitrahmen und zwin-

gend in dieser Struktur durchlaufen. Wann immer ein Bewohner einen emotionalen

oder körperlichen Rückschlag erleidet, fällt dieser in die Phase der Desorganisation

zurück. In diesem Fall ist jedoch meist die Verweildauer in dieser Phase verkürzt.

7.3 Resultate der qualitativen Studie „Aber eben sind wir verschieden”

Kutschke (2001)

Als zentrales Thema wurde das „Anderssein – Fremdsein“ genannt, woraus

sich vier Konfliktfelder ergaben. Diese sind Diskriminierung und Ethnisierung, Verän-

derungen durch Migration, Krankenhaus und Krankheit, Pflege und Genesung

(Kutschke, 2001).

7.3.1 Diskriminierung und Ethnisierung

Dadurch, dass Migranten sich ausgegrenzt und diskriminiert fühlen, wenden

sie sich vermehrt der eigenen Ethnie zu und stellen den Familienzusammenhalt und

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30 Nadine Grêt & Yela Keller

Traditionelles in den Vordergrund (Kutschke, 2001). Diese neu in den Vordergrund

gerückten Verhaltensweisen und Werte sind kein typisches kulturelles Phänomen,

sondern hängen mit der Migration an sich zusammen. Ebenfalls dazu trägt die Ent-

wurzelung bei, welche durch eine missglückte Anpassung an das Aufnahmeland und

des Heimatverlustes zustande kommt (Garcia, 1999, zitiert nach Kutschke, 2001).

Garcia (1999) zitiert nach Kutschke (2001) stellte fest, dass Menschen mit

Migrationshintergrund aufgrund einer missglückten Anpassung im Aufnahmeland

eine erhöhte psychische Krankheitsanfälligkeit haben und zu einem lädierten Selbst-

wertgefühl neigen.

7.3.2 Krankenhaus und Krankheit

Als weitere Schwierigkeiten wurden auffallend oft die Teilnahmslosigkeit und

das Gefühl des Nicht-ernst-genommen-werdens durch das Pflegepersonals aufge-

zählt. Ausgelöst wurde es durch das Ignorieren von Fragen und Schmerzäusserun-

gen, nicht Berücksichtigung von Essenswünschen und ungenügender Transparenz

bei medizinischen Handlungen. Von schlecht deutsch sprechenden Migranten wurde

bemängelt, dass sie zu wenig über ärztliche und pflegerische Tätigkeiten informiert

und aufgeklärt wurden. Vertrauensbildende Gespräche zwischendurch oder während

Pflegeverrichtungen wären wichtig, doch sind sie ohne Deutschkenntnisse des Pati-

enten kaum möglich (Kutschke, 2001).

Laut Habermann (1992) zitiert nach Kutschke (2001) wurde jedoch auch be-

schrieben, dass nebst sprachlichen Schwierigkeiten auch das individuelle Erleben

und der unterschiedliche Beschrieb des Erlebten zu Konflikten führen können.

Ein weiteres Problem liegt in Untersuchungen, welche ohne Aufklärung durch-

geführt werden und wenn Medikamente verabreicht werden, von denen die Patienten

nicht wissen, was sie enthalten und wie diese wirken. Vielen Interviewpartnern fiel es

schwer, empfundene Schmerzen differenziert auszudrücken. Die meisten können

weder Region noch Art des Schmerzes präzisieren. Ob sich dieser Schmerz auf die

Beschreibung oder aber die Empfindung bezieht, konnte in der Studie nicht eindeutig

geklärt werden (Kutschke, 2001).

Migranten haben häufig ein anderes Verständnis von Krankheit und Schmerz.

Meist wird es mit einer Schuldfrage oder Strafe für ein Fehlverhalten assoziiert und

nicht mit einem Organdefekt (Kutschke, 2001).

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Nadine Grêt & Yela Keller 31

7.3.3 Pflege und Genesung

Einige Migranten beschreiben die Pflege als „nett“, „wirklich gut“, „liefert gute

Leistung“, andere geben an, „keine Probleme“ zu haben. Zuvor berichteten sie je-

doch von negativen Erfahrungen. In keiner Weise wird direkt kritisiert, was auf eine

Verunsicherung der Migranten hindeutet. Laut der Äusserungen der Interviewpartner

versuchten sie mehrheitlich, sich anzupassen als mitzubestimmen. Eine gute Gene-

sung geht einher mit Vertrauen und Menschlichkeit, erwähnen die Interviewpartner.

Wichtig erachten sie zudem die Wertschätzung und Empathie, um einen guten Hei-

lungsverlauf zu erzielen. Hilfe vom Pflegepersonal anzunehmen fiel den meisten Mig-

ranten schwer, da einerseits Scham und Hemmungen, anderseits ein anderes Pfle-

geverständnis zugrunde lagen (Kutschke, 2001).

Den Autoren fiel auf, dass die Pflege von Migranten nach einem Kranken-

hausaufenthalt kaum gewichtet wurde und dass vor allem die ärztlichen Verrichtun-

gen zählten. Da die Pflege in ihren Herkunftsländern meist durch Angehörige durch-

geführt wird, kann zudem die professionelle Körperpflege befremdend sein.

Ein Beispiel aus Kutschke (2001): „So kam ich ins Krankenhaus mit Be-

schwerden hab nicht verstanden, ... wurde wieder entlassen und ich weiss immer

noch nicht, was ich hab“ (5/13) (S. 94).

Um eine kulturangepasste Pflege zu erreichen sind Fähigkeiten wie Empathie,

Wertschätzung sowie Respekt vor jedem Individuum und ein kulturelles Hintergrund-

wissen nötig. Dies soll zukünftig in der Ausbildung von Pflegenden gefördert werden

(Kutschke, 2001).

8 Diskussion

Die einzelnen Studien werden kritisch beurteilt und diskutiert. Der Einfluss der Güte

der verwendeten Literatur auf die Ergebnisse der Literaturarbeit wird aufgezeigt. Die

Studienergebnisse werden mit dem Modell der transkulturellen Kompetenz von Do-

menig (2007) anhand der drei Faktoren Selbstreflexion, Hintergrundwissen und Er-

fahrung, sowie narrative Empathie in Verbindung gesetzt. Weitere Schwerpunkte wie

Diskriminierung, Angehörigenpflege, Entscheidungsfindung für einen eventuellen

Übertritt, Situation der Migranten beim Übertritt und Anforderung an das Pflegeper-

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32 Nadine Grêt & Yela Keller

sonal werden aufgegriffen. Ein Bezug zur Fragestellung und Zielsetzung wird herge-

stellt.

8.1 Detaillierte Beurteilung der Review‘s und der Studie

Das Evidenzlevel der verwendeten Studie von Kutschke (2001) liegt aufgrund

des phänomenologischen Designs bei drei. Das Evidenzlevel der Reviews Lee et al.

(2002) und Mold et al. (2005) liegt bei fünf. Diese Levels entsprechen einem hohen

bis sehr hohen Evidenzlevel. Stufe eins ist die niedrigste und fünf die höchste Stufe

(Kearney, 2001).

8.1.1 Review von Mold et al. (2005)

Im Review von Mold et al. (2005) wurden teils äusserst zutreffende Aspekte

beschrieben, jedoch anschliessend kaum näher darauf eingegangen und weiter er-

läutert. Beispielsweise wurden unterschiedliche gesundheitliche und soziale Bedürf-

nisse der Migranten festgestellt. Hierbei ist nicht klar, um welche unterschiedlichen

gesundheitlichen und sozialen Bedürfnisse es sich handelt. Die Studienpopulation

bestand aus Migranten, welche in ein Alters- oder Pflegeheim übertraten. Es wurden

internationale Studien und Artikel mit solchen aus Grossbritannien verglichen. Die

Herkunft der Migranten, der Standard der Institutionen und die Pflegeausbildungen

sind in den untersuchten Studien unterschiedlich. Daher lassen sich diese Resultate

nur bedingt auf die Schweiz übertragen.

8.1.2 Review von Lee et al. (2002)

Der Review wurde vom „Journal of Advanced Nursing“ in einem Peer-Review

Prozess ausgewertet und vom „Editor-in-chief“ genehmigt (Journal of Advanced

Nursing, 2012). Im Review von Lee et al. (2002) werden Phasen, Prozesse und Ty-

pen des Übertritts in ein Alters- oder Pflegeheim festgehalten. Allerdings werden die

Phasen des Einlebens in ein Alters- oder Pflegeheim bezüglich deren Zeitpunkt des

Auftretens sowie die Erklärung, wie die Bewohner von einer zur anderen Phase ge-

langen, nicht adäquat beschrieben. Migranten wurden im Review nicht spezifisch

erfasst. Dies bedeutet, dass die Ergebnisse für diese Literaturarbeit nur beschränkt

Aufschluss geben können.

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Nadine Grêt & Yela Keller 33

8.1.3 Qualitative Studie von Kutschke (2001)

Die Studie von Kutschke (2001) wurde durch den Verlag Hans Huber (2010) in

einem Peer-Review-Prozess ausgewertet. Die qualitative Studie von Kutschke (2001)

befasst sich mit der Hypothese, dass in Deutschland auf stationären Abteilungen der

Krankenhäuser kulturelle Unterschiede bei Menschen mit Migrationshintergrund

kaum Beachtung geschenkt wird. Es werden keine Angaben bezüglich Alter, Krank-

heit sowie Migrationshintergrund gemacht. Auch welche Population mit einbezogen

wurde, deren Alter, Krankheiten oder Migrationshintergrund der Patienten, wurde

nicht festgehalten. Die Anzahl der Interviewten ist für eine qualitative Studie ausrei-

chend, jedoch können die Ergebnisse nicht auf die gesamte Population der Migran-

ten übertragen werden. Diese Studie erfasst Patienten einer stationären Abteilung im

Krankenhaus. Daher sind auch diese Ergebnisse nur bedingt übertragbar. Dennoch

können die Konfliktbereiche, welche sich herauskristallisiert haben, auch in der

Langzeitinstitution auftreten.

8.2 Studienergebnisse in Verbindung mit dem Model der transkulturellen

Kompetenz nach Domenig (2007)

Im folgenden Abschnitt werden einige Studienergebnisse in Verbindung mit

dem Modell der transkulturellen Kompetenz nach Dagmar Domenig (2007) gestellt.

8.2.1 Selbstreflexion – Gesundheits- und Krankheitsverständnis

Die Fähigkeit der Selbstreflexion der trankulturellen Kompetenz nach dem

Modell von Domenig (2007) ist wichtig, um die unterschiedlichen Sichtweisen des

Erlebens der Migranten, zum Beispiel den Umgang mit Schmerzen oder der profes-

sionellen Körperpflege, zu verstehen. Nicht übereinstimmende Sichtweisen führen

laut Habermann (1992, zitiert nach Kutschke, 2001) häufig zu Konflikten.

8.2.2 Hintergrundwissen und Erfahrungen – individueller Hintergrund

Nach dem Modell der transkulturellen Pflege von Domenig (2007) ist der Be-

reich des Hintergrundwissens und der Erfahrungen unumgänglich, um eine ange-

passte und wertneutrale Pflege zu erbringen. Dies untermauern Snyder (1982) und

Sasson (2002) zitiert nach Mold et al. (2005). Auch Migranten äussern den Wunsch,

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34 Nadine Grêt & Yela Keller

dass ihre kulturellen Bedürfnisse anerkannt werden (Patel, 1998, Counsel and Care,

2003, Help the Aged, 2001, zitiert nach Mold et al., 2005).

Hintergrundwissen bedeutet nicht, sich Wissen anhand eines Kulturrasters anzuei-

gnen, wie dies Madeleine Leiniger beschreibt (Domenig, 2007), sondern den persön-

lichen Hintergrund, den Lebensstil und die religiöse Überzeugung der Menschen indi-

viduell zu kennen (Lowdell et al., 2000; Snyder, 1982; Sasson, 2002, zitiert nach

Mold et al., 2005).

8.2.3 Narrative Empathie – Kommunikation und Einfühlungsvermögen

Um eine individuelle Pflege zu erreichen, ist eine angemessene Kommunikati-

on notwendig (Jones, 1986, zitiert nach Mold et al., 2005). Ein wichtiger Aspekt um

dies zu gewährleisten, wäre der Ausbau des Dolmetscherangebots (Jewson, Jeffers

& Kalra, 2003; Nazark,1994, zitiert nach Mold et al., 2005). Um dem Bedürfnis der

Kommunikation gerecht zu werden, wäre die narrative Empathie der transkulturellen

Kompetenz nach Domenig (2007) angemessen. Indem die Pflegeperson versucht,

sich in die Lage des Migranten hineinzuversetzten, seine Gefühle zu erfassen und

Offenheit und Geduld entgegen bringt, zeigt die Pflegeperson ein wertschätzendes

Verhalten. Kutschke (2001) fordert diese Fähigkeit von Pflegepersonen, da laut Inter-

views mit Migranten vertrauensbildende Gespräche und Menschlickkeit zu einer

besseren Genesung führen.

8.3 Schwerpunkte der Studien

Weitere wichtige Ergebnisse der Literaturrecherche werden aufgezeigt.

8.3.1 Diskriminierung

Erklärungen für diskriminierende Unterschiede hinsichtlich des Zugangs zu

Alters- oder Pflegeheimen sind laut Belgrave et al. (1993, zitiert nach Mold et al.,

2005) folgende: ungleiche finanzielle Situation der Migranten, unterschiedlicher Ge-

sundheitszustand der Migranten und kulturell bedingte Pflege durch Angehörige. Die

Diskriminierung und Ethnisierung wird auch in der Studie von Kutschke (2001) als

eine der vier Konfliktfelder hervorgehoben. Die Diskriminierung zeigt sich vor allem

im Rückzug zur eigenen Ethnie, wenn sich Migranten von der Aufnahmegesellschaft

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Nadine Grêt & Yela Keller 35

ausgegrenzt fühlen. Das Thema ist sehr komplex, deshalb wird in dieser Literatur-

arbeit nicht weiter darauf eingegangen.

8.3.2 Angehörigenpflege

Schopf und Naegele (2005) berichten über ein stabiles, familiäres und ausge-

prägtes Hilfsnetzwerk, welches Migranten als Ressource nützen können. Auch Koch-

Straube (2007) vermutet, dass die geringere Anzahl an Migranten in Alters- oder

Pflegeheimen mit der engeren familiären Beziehung zusammenhängen könnte. Hin-

gegen weist Hungerbühler (2007) darauf hin, dass sich Familienstrukturen verändert

haben. Die Altersversorgung durch Angehörige wird weniger praktiziert, da oft weder

Platz noch Zeit vorhanden ist. Auch die Resultate der Studie von Lee et al. (2002)

widersprechen dem gängigen Vorurteil, dass Alters- oder Pflegeheime dem Fami-

lienzusammenhalt schaden.

8.3.3 Entscheidungsfindung für einen eventuellen Übertritt

Bei einer Pflege durch Angehörige kann sich die belastende Situation negativ

auf die Gesundheit der pflegenden Angehörigen auswirken (Höpflinger et al., 2011).

Der Entscheid zu einem Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim ist für Migranten und

Angehörige nicht leicht und führt oft zu einem Dilemma der Angehörigen (Liu &

Tinker, 2001, zitiert nach Mold et al., 2005). Smith et al. (1979, zitiert nach Lee et al.,

2002) belegt jedoch, dass in gewissen Fällen nach dem Übertritt eine Verbesserung

der Familienverbundenheit möglich ist.

8.3.4 Situation der Migranten beim Übertritt

Migranten können sich einen Übertritt in ein Alters- oder Pflegheim schwer

vorstellen. Nach Koch-Straube (2007) wünschen sich Migranten den Übertritt nicht

und haben Angst vor Einsamkeit und kulturellem Unverständnis des Pflegepersonals

(Scheib, 1997, zitiert nach Koch-Straube, 2007). Diese Empfindungen werden durch

die Verunsicherung und die Ungewissheit ausgelöst, durch einen plötzlichen Über-

tritt, häufig aufgrund einer Krise, verstärkt (Nolan et al., 1996, zitiert nach Lee et al.,

2002). Dadurch besteht das Risiko, den Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim ohne

gründliche Information und Planung als unerwünscht und unfreiwillig wahrzunehmen,

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36 Nadine Grêt & Yela Keller

was das Einleben massiv erschweren kann (Chenitz, 1983, zitiert nach Lee et al.,

2002).

8.3.5 Anforderung an das Pflegepersonal

Eine wertschätzende Haltung und Empathie gegenüber Migranten sind be-

deutsame Ergebnisse von Kutschke (2001). Das Zusprechen von Trost und Mut wird

laut Bartels (1998) als wesentlicher Aspekt der Pflege von Migranten betrachtet, dies

im Gegensatz zur deutschen Bevölkerung.

Robinson (1992) und Tirrito (1989) zitiert nach Mold et al. (2005) erwähnten,

dass das Pflegepersonal klare Vorstellungen der Gewohnheiten von Migranten hatte,

obwohl es nicht voreingenommen bezüglich den Migranten war. Dies zeigt die

Notwendigkeit der Weiterbildung von Mitarbeitenden in der transkulturellen Pflege

(Kutschke, 2001; Mold et al., 2005).

8.3.6 Vergleiche der Prozesse von Brooke (1987) und Wilson (1997)

Im Review von Lee et al. wurden die Prozesse von Brooke (1987) und Wilson

(1997) verglichen und wie folgt diskutiert:

Die Prozesse von Brooke (1987) und Wilson (1997) wurden in einem sehr

ähnlichen Muster beschrieben. Die Phase der Desorganisation (disorganization) von

Brooke (1987) kann mit der Phase der Überforderung (the overwhelmed phase) von

Wilson (1997) verglichen werden. Die Reorganisation (reorganization) von Brooke

(1987) und die Phase der Anpassung (the adjustment phase) von Wilson (1997) zei-

gen ebenfalls parallelen auf. Zudem gleichen die beiden Phasen von Brooke (1987)

Beziehung entwickeln (relationship building) und Stabilisierung (stabilization), jener

Phase der anfänglichen Akzeptanz (the initial acceptance phase) von Wilson (1997).

Beide Studien von Brooke (1987) und Wilson (1997) beschreiben bei Bewoh-

nern geringere Anpassungsschwierigkeiten, wenn der Übertritt gründlich und selbst

geplant und als freiwillig erachtet wurde. Dies bestätigt auch Chenitz (1983, zitiert

nach Lee et al., 2002) in seiner Studie. Allerdings mahnen beide Studien zur Vorsicht

in der Zuordnung der verschiedenen Phasen. Eine zeitliche Begrenzung einer Phase

sollte ebenfalls nicht angestrebt werden. Diese Phasen dürfen nicht als fixe Struktu-

ren dienen (Lee et al., 2002).

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Nadine Grêt & Yela Keller 37

Obwohl Brooke (1987) und Wilson (1997) beschreiben, wie ältere Menschen

den Übertritt erleben, wird der Hintergrund und die Ursache nicht beleuchtet. Vor-

handen sind mangelhafte Erkenntnisse über das Einleben und sich Anpassen an ein

Alters- oder Pflegeheim. Obwohl die Anpassungsprozesse ähnlich beschrieben wer-

den, unterscheiden sie sich im zeitlichen Ablauf. Bei Brooke (1987) dauert die Phase

der Desorganisation (disorganization) zirka zwei Monate. In Wilsons (1997) Studie

enden hingegen alle Phasen nach dem ersten Monat des Übertritts. Es ist offensicht-

lich, dass mehr Einblicke in diesen Prozess, des Einlebens in ein Alters und Pflege-

heim, benötigt werden.

8.4 Bezug zur Fragestellung und Zielsetzung

Mithilfe der bearbeiteten Literatur konnte die Wichtigkeit der Anerkennung der

individuellen Bedürfnisse von Migranten aufgezeigt werden. Bedürfnisse und Erfah-

rungen von Migranten wurde in der Literaturarbeit dargelegt, sowie die Forschungs-

frage beantwortet. Weitere Forschung ist jedoch nötig, um repräsentative Ergebnisse

zu erhalten. Spezifische Bedürfnisse einzelner Migrantengruppen werden in dieser

Literaturarbeit nicht berücksichtigt.

Diese Literaturarbeit zeigt auf, dass das Modell der transkulturellen Kompe-

tenz nach Domenig (2007) in der Praxis im Umgang mit Migranten explizit angewen-

det werden sollte. Das Model kann die Pflegenden unterstützen, individuell auf die

Bedürfnisse von Migranten einzugehen. Zudem hilft es ihnen, Verständnis für die

Situation von Migranten aufzubringen. Dies wiederum stärkt Migranten in ihrer Per-

son und sie fühlen sich in ihrem Handeln respektiert.

9 Schlussfolgerung

Wie die Studie von Lee et al. (2002) zeigt, ist die Vorbereitung auf den Über-

tritt in ein Alters- oder Pflegeheim wichtig, da dies das Einleben positiv beeinflusst

(Davidson & O'Connor, 1990; Greene & Dunkle, 1992; Mikhail, 1992; Minichiello,

1986; Petrou & Oberchain, 1987; Reinardy 1992; Reinardy, 1995; Teitelman & Prid-

dy, 1988, zitiert nach Lee et al., 2002). Dieses Wissen kann als Grundstein für mögli-

che Interventionen zur Erleichterung des Übertritts und Einlebens dienen (Lee et al.,

2002).

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38 Nadine Grêt & Yela Keller

Hungerbühler (2011) beschreibt folgende Massnahmen, welche die Alterssitu-

ation der Migranten in der Schweiz verbessern sollen. Systematische Bedarfsanaly-

sen sollen Handlungsgrundlagen zu verschiedenen Gruppen innerhalb der älteren

Migrationsbevölkerung liefern. Auf den Ebenen Bund, Kantone und Gemeinden soll

eine Alterspolitik entstehen, welche die Bedürfnisse von Migranten berücksichtigt und

Migranten als Zielgruppe versteht. Um bedarfsgerechte Dienstleistungen zu erbrin-

gen, ist es wichtig, Institutionen und Fachpersonal für Menschen mit Migrationshin-

tergrund zu sensibilisieren sowie auszubilden. Damit Migranten lange gesund, inte-

griert und autonom leben können, ist es wichtig, dass sie in ihren Ressourcen ge-

stärkt werden.

Bedürfnisse ausserhalb der Langzeitinstitutionen sind ebenfalls vorhanden.

Nach der Pensionierung benötigen Migranten Rechtsauskünfte, wenn sie eine Rück-

kehr ins Herkunftsland in Betracht ziehen. Um den Zugang zu wichtigen Informatio-

nen wie: Gesundheits- und Altersversorgung, sozialversicherungsrechtliche Belange,

stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen und -dienste, Wohnformen im Alter

und Deutschkursen zu erleichtern, sollten diese in der jeweiligen Muttersprache an-

geboten werden. Fragen über die Gesundheit, wie Ernährung, Bewegung und Ge-

sundheitsvorsorge sind offen und sollten bei Bedarf geklärt werden (Hungerbühler,

2011).

9.1 Theorie-Praxis-Transfer

Im Theorie-Praxis-Transfer wird die transkulturelle Pflegeanamnese von Do-

menig, Stauffer und Georg (2007) vorgestellt. Möglichkeiten zur Wahrung der Identi-

tät und Autonomie werden erläutert. Zudem sind Interventionen für den Praxisalltag

aufgeführt.

9.1.1 Transkulturelle Pflegeanamnese

Für den Pflegeprozess ist wichtig, dass das Pflegepersonal Menschen mit

Migrationshintergrund nicht einer Ethnie oder einer Kultur zuschreibt, sondern jeden

Menschen individuell betrachtet und herausfindet, welche Bedeutung dieser selbst

seiner Kultur gibt (Kutschke, 2001).

Die transkulturelle Pflegeanamnese bietet eine Übersicht von migrationsspezi-

fischen Themen und listet dazu entsprechende Fragen auf. Sie dienen als Anhalts-

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Nadine Grêt & Yela Keller 39

punkte zur Unterstützung des Pflegepersonals bei der Informationsbeschaffung der

individuellen Bedürfnisse und Sichtweisen von Migranten. Somit kann die zentrale

Bedeutung der Situation für die einzelne Person und deren Angehörigen genauer

erfasst, nachvollzogen und verstanden werden (Domenig et al., 2007).

Fehlende transkulturelle Kompetenz wird in der Ignoranz von Fragen,

Schmerzäusserungen und Essenswünschen ersichtlich (Kutschke, 2001). Besonders

Zuschreibungen bezüglich diätetischen Bedürfnissen und Interpretationen von Ver-

halten, religiösen Überzeugungen und Praktiken sollen gemieden werden (Counsel

and Care, 2003; Help the Aged, 2001; Patel, 1998, zitiert nach Mold et al., 2005).

Eine Förderung der transkulturellen Kompetenz und deren Anwendung könnten dazu

führen, dass die oft beschriebene Teilnahmslosigkeit der Migranten vermindert wird

(Kutschke, 2001).

Um die Kommunikation zwischen Bewohnern und Pflegepersonal zu verbes-

sern, wird vorgeschlagen den Dolmetscherservice auszubauen und Pflegefachper-

sonen mit Migrationshintergrund einzustellen (Jones, 1986; Clermont, Samter &

Fisher, 1993, zitiert nach Mold et al., 2005).

Transkulturelle Kompetenz sollte zudem durch Schulungen und Weiterbildun-

gen gefördert werden (Jones, 1986; Clermont, Samter & Fisher, 1993; Robinson,

1992; Tirrito, 1989, zitiert nach Mold et al., 2005). Kale (2003), Nazarko (1994) und

Rawlings-Anderson (2001) zitiert nach Mold et al. (2005) führen die Notwendigkeit

die kulturelle Vielfalt anzuerkennen, ein kulturelles Bewusstsein zu entwickeln, trans-

kulturelle Kompetenz zu schulen und vermehrte Zusammenarbeit zwischen den Pfle-

geteams, den Bewohnern und ihren Angehörigen auf.

Obwohl in der Schweiz in der Ausbildung zur Pflegefachfrau die transkulturelle

Kompetenz im Bildungsplan enthalten ist, wird das theoretische Wissen in der Praxis

kaum geübt und angewandt. Laut Domenig (2007) gäbe es in der Praxis etliche Situ-

ationen, in welchen die transkulturelle Kompetenz angewandt werden könnte, jedoch

wird dies kaum genützt.

9.1.2 Wahrung von Autonomie und Identität

Die Erfahrung des Verlustes der Autonomie beim Übertritt, kann zu einer

Schwächung der eigene Identität führen (Sasson, 2001, zitiert nach Mold et al.,

2005) und das Einleben erschweren (Chenitz, 1983, zitiert nach Lee et al., 2002). Im

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40 Nadine Grêt & Yela Keller

Review von Lee et al. (2002) wird beschrieben, welche Verhaltensweisen Bewohner

im Umgang mit Erfahrungen im Alters- oder Pflegeheim anwenden um mit Verlusten

umzugehen. Laut Sasson (2001, zitiert nach Mold et al., 2005), Kahn (1990) und Por-

ter & Clinton (1992) zitiert nach Lee et al. (2002) wird die Identität erhalten, wenn die

Bewohner die Möglichkeit haben bedeutsame Aufgaben im Alters- oder Pflegeheim

zu übernehmen. Daraus lassen sich mögliche Interventionen für den Praxisalltag her-

leiten. Ein einfacher Lösungsansatz wäre, den Bewohnern mehr Entscheidungsfrei-

raum zu lassen und ihnen gezielt Tätigkeiten anzubieten. Freie Entscheidung bezüg-

lich der Wahl des Zeitpunktes der Schlafenszeiten, der individuellen Wünsche zur

Körperpflege, sofern diese vertretbar sind. Vertretbar deswegen, weil die Durchfüh-

rung dieser Aspekte individuell zwischen den Bewohnern, der Situation und der Mög-

lichkeiten des Alters- oder Pflegeheimes abgeschätzt werden sollten und nicht immer

umsetzbar sind.

Tätigkeiten oder Aufgaben für Bewohner könnten in Bereichen des Tischde-

ckens oder dem Servietten falten sein. Hierbei ist jedoch darauf zu achten, dass die

Aufgaben nicht als Pflicht betrachtet werden.

9.1.3 Interventionen

Koch-Straube (2007) weist auf mögliche Interventionen im Pflegealltag mit

Migranten hin. Das Pflegepersonal muss sich über die Individualität jeder Person be-

wusst sein, dies bezüglich Gesundheit und Krankheit, Älterwerden, Pflege und alltäg-

liche Gewohnheiten. Das Pflegepersonal soll gegenüber individuellen Lebensvorstel-

lungen offen sein. Nicht alle Migranten geben der Religion und Tradition denselben

Stellenwert. Verfügt das Pflegepersonal über kulturelles Hintergrundwissen kann dies

im Pflegealltag hilfreich sein. Es ist jedoch darauf zu achten, nicht vom Hintergrund-

wissen auf die Lage einer einzelnen Person zu schliessen. Aufgrund von eventuellen

Sprachbarrieren sollte vermehrt auf nonverbale Signale geachtet und ein Überset-

zungsdienst zur Verfügung gestellt werden. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Mig-

rationshintergrund können eine wichtige Ressource darstellen, um das Fremd-

heitsgefühl der Migranten zu minimieren.

Kulturelle Vielfalt sollte auch in den Alters- oder Pflegeheimalltag, bei Mahlzei-

ten und Aktivitäten berücksichtigt und zum Ausdruck gebracht werden. Dazu gehört

auch, Familie und Freunde im Alters- oder Pflegeheim willkommen zu heissen, ihnen

Page 43: Migranten im Alters- oder Pflegeheim - alter-migration.ch · Abstract Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim zu verbringen war ursprünglich

Nadine Grêt & Yela Keller 41

genügend Raum zu bieten und, wenn möglich und gewünscht, in die Arbeit mit ein-

zubeziehen (Koch-Straube, 2007).

9.2 Zukunftsaussichten

Wie sieht die Altersversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund in der

Zukunft aus? Es stellt sich die Frage, welcher Ansatz der Altersversorgung sinnvoll

ist. Es gibt das segregative Modell, welches annimmt, dass sich Migranten im Alter

auf die eigenen Wurzeln zurückbesinnen und daher Angebote für spezifische Migran-

tengruppen bietet. Im Gegensatz dazu steht das integrative Modell, welches zum Ziel

hat, bestehendes Angebot transkulturell zu öffnen, um so den Zugang für alle Mig-

ranten gleichermassen zu bieten (Hungerbühler, 2012).

Welcher Ansatz sich schliesslich bewährt ist unklar. Laut Hungerbühler (2012)

wird sich das segregative Modell in Zukunft nicht durchsetzen, da die Nachfrage nur

bei einem Teil der heutigen älteren Migranten vorhanden ist. Wichtig sind Institutio-

nen welche, ressourcenorientiert arbeiten und Wert auf Offenheit und Individualität

legen.

Wie sieht die Situation in der Spitex aus? Wie können Barrieren bezüglich der

ambulanten Pflege zuhause abgebaut werden? Habermann et al. (2009) weist auf

den Wunsch hin, dass viele älterer Menschen möglichst lange in der eigenen Woh-

nung bleiben möchten. Daher wird eine kulturelle Öffnung in den Bereichen Essens-

und Haushaltsdienste und der Spitex gefordert.

Transkulturelle Kompetenz beruht immer auf einer Gratwanderung zwischen

dem kulturellem Hintergrundwissen und der Individualität einer Person. Wie weit soll-

te sich die Pflegeperson Hintergrundwissen über Bedeutungszusammenhänge an-

eignen? Welches Wissen bezüglich Gesundheits- und Krankheitskonzepte oder un-

terschiedliche Gesundheitssysteme ist notwendig? Welches Verhalten oder Sicht-

weisen beruhen auf einer individueller Lebensgeschichte? Erst wenn die Pflegeper-

son den Bewohnern mit Migrationshintergrund zuhört, welche Bedeutung und Erklä-

rung diese ihrer Situation geben, kann sie den Bedürfnissen von Migranten ange-

passt handeln (Domenig, 2003).

Page 44: Migranten im Alters- oder Pflegeheim - alter-migration.ch · Abstract Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim zu verbringen war ursprünglich

42 Nadine Grêt & Yela Keller

10 Literaturverzeichnis

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Nadine Grêt & Yela Keller 43

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Nadine Grêt & Yela Keller 45

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ZHAW. (2011b). Vorgaben für die Gestaltung von Literaturhinweisen, Zitaten und

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Modell der transkulturellen Kompetenz. In D. Domenig (Hrsg.), (2007)

Transkulturelle Kompetenz - Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und

Sozialberufe (2. Auflage). (175). Bern: Verlag Hans Huber.

Page 48: Migranten im Alters- oder Pflegeheim - alter-migration.ch · Abstract Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim zu verbringen war ursprünglich

46 Nadine Grêt & Yela Keller

Eigenständigkeitserklärung

“Wir erklären hiermit, dass wir die vorliegende Arbeit selbständig, ohne Mithilfe Dritter

und unter Benutzung der angegebenen Quellen verfasst haben.“

Ort und Datum

_____________________________________________

Nadine Grêt

_____________________________________________

Yela Keller

_____________________________________________

Page 49: Migranten im Alters- oder Pflegeheim - alter-migration.ch · Abstract Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim zu verbringen war ursprünglich

Nadine Grêt & Yela Keller 47

Dank

Herrn Frank Luck danken wir für die kompetente und engagierte Begleitung. Für die

tatkräftige Unterstützung im Beschaffen geeigneter Literatur danken wir Frau Hilde-

gard Hungerbühler.

Eugen Benz und Sylvia Keller gebührt für das Lektorieren der Literaturarbeit eben-

falls unser Dank.

Bei unseren Familien, Freundinnen und Freunden bedanken wir uns herzlich für ihre

moralische Unterstützung und das Verständnis, welches sie uns während der Bear-

beitung der Bachelorarbeit entgegenbrachten.

Page 50: Migranten im Alters- oder Pflegeheim - alter-migration.ch · Abstract Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim zu verbringen war ursprünglich

48 Nadine Grêt & Yela Keller

Anhang

Anhang A: Suchstrategie

Datum Datenbank Suchstrategie (Begriffe, Kombinationen)

# Hits

# Abstract # relevanter Artikel

01.10.11 medline admission AND nursing home 1565

transition AND nursing home 114

admission AND nursing home AND transition

29 10 2

entry AND nursing home 170

entry AND nursing home AND transition

4 2 1

admission AND nursing home AND migrant

0

0

admission AND nursing home AND foreigner

0

0

entry AND nursing home AND migrant

0

0

transition AND nursing home AND migrant

0

0

transcultural 4638

transcultural AND transition AND nursing home

0

0

transition AND transcultural 31 5 1

older people AND migrant 6 1 0

02.10.11 Cinahl transition AND migrant AND care

5

older migrant 0

Institutionalization AND migrant 0

02.10.11 pubmed Migrant AND nursing home 0

03.10.11 psycINFO Nursing home AND transition AND migrant

17 3 (1)

Datum Datenbank Suchstrategie (Begriffe, Kombinationen)

# Hits

# Abstract # relevanter Artikel

24.02.12 CINHAL Nursing homes AND immigrant AND experience

2 1 0

Nursing home AND migrant AND experience

0

Nursing home AND migrants AND experiences

1 0 0

Residential AND immigrants AND experience

8 1 (1)

Page 51: Migranten im Alters- oder Pflegeheim - alter-migration.ch · Abstract Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim zu verbringen war ursprünglich

Nadine Grêt & Yela Keller 49

Nursing home AND immigrants AND experience

6 0 0

Nursing home AND immigrant AND experience

4 1 0

Nursing home AND immigrants AND health care needs

1 0 0

Nursing home AND immigrants AND needs

5 0 0

Resident home AND experienc-es

20 4 (1)

Long term care AND migrant 5 0 0

Long term care AND immigrant 16 0 0

residential AND immigrant 21 0 0

Requirements AND nursing home

184

Requirements AND nursing home AND experience

3 0 0

Datum Datenbank Suchstrategie (Begriffe, Kombinationen)

# Hits

# Abstract # relevanter Artikel

28.03.12

Medline

Nursing home AND experience not dementia not alzheimer

560

0

0

Immigrant AND experience not dementia not alzheimer AND nursing home

1

1

0

Immigrant AND experience not dementia not alzheimer AND long term care

2

0

0

Immigrant AND needs 640 0 0

Immigrant AND nursing home AND needs

0 0 0

Immigrant AND long term care AND needs

5 0 0

Immigrants AND residents AND experience not dementia not alzheimer

33

2

0

Care-dependent AND immigrant 0

0

0

Immigrants AND nursing home AND requirement

0

0

0

Migrants AND nursing home AND experience not dementia not alzheimer

1

1

0

Old age home AND immigrants 0

0

0

Requirement AND immigrants 14

0

0

Admission AND nursing home 1557 0 0

Admission AND nursing home AND immigrants

1

1

0

Page 52: Migranten im Alters- oder Pflegeheim - alter-migration.ch · Abstract Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim zu verbringen war ursprünglich

50 Nadine Grêt & Yela Keller

Datum Datenbank Suchstrategie (Begriffe) # Hits

# Abstract # relevanter Artikel

30.03.12 Psychinfo Migrants AND nursing home 68 1 0

Health care needs AND mi-grants AND 65+

7 0 0

Admission AND migrant AND residential home

0 0 0

experience AND migrant AND nursing home

43 2 0

Migrant NOT dementia NOT depression AND nursing home

26 1 0

nursing home AND needs AND migrants

37 2 0

nursing home AND immigrants AND experience AND germany

36 3 0

nursing home AND immigrants AND experience AND switzer-land

17 1 0

Page 53: Migranten im Alters- oder Pflegeheim - alter-migration.ch · Abstract Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim zu verbringen war ursprünglich

Nadine Grêt & Yela Keller 51

Anhang B: Beurteilung des Reviews von Mold et al. (2005)

10 Questions to help you make sense of reviews – Critical Appraisal Skills Programme (CASP) Minority ethnic elders in care homes: a review of the literature (Mold, Fitzpatrick & Roberts, 2005)

Werden klar fokussierte Fragen gestellt? Ja Nein Nicht angegeben

“this paper reviews the literature concerned with minority ethnic elders in care homes” Das Ziel ist klar formuliert. Details zur Population werden nicht ge-nauer beschrieben. In der Literatur wird nach Erkenntnissen betref-fend Migranten im Pflegeheim gesucht. Weitere Einschränkungen werden nicht erwähnt.

Wird die richtige Art der Studien mit einbezogen? Ja Nein Nicht angegeben

Drei unabhängige Gutachter nahmen ein strukturiertes Assessment jeder Studie vor, der Fokus lag auf dem Zweck der Studie, die Ro-bustheit der Methode, der Teilnehmer, den theoretischen Ansatz, der Analyse und die Implikation in die Praxis.

Versuchte der Review alle relevan-ten Studien zu identifizieren? Ja Nein Nicht angegeben

Die Suche beschränkte sich laut Mold et al. (2005) auf folgende Datenbanken: „Web of Science“, „Pub Med“, „Sociological Ab-stracts“, „Social Sciences Index“, „AMED“, „British Nursing Index“, „Medline“, „PsychInfo“, und „CINHAL“. 102 Artikel und Studien wurden gefunden. 25 Exemplare wurden bei der näheren Inspektion ausgeschlossen, da sie den Kriterien nicht vollständig entsprachen und weitere 21 Duplikate aus ver-schiedenen Datenbanken wurden extrahiert. Datensuche und Auswahlverfahren der übrigen Exemplare (n=56) wurde Anhand der „Checklist of data source“ von Greenhalg (1997, zitiert nach Mold et al., 2005) verwendet. Nichtpublizierte Studien werden nicht gesucht/ verwendet. Die Literatur ist in engli-scher Sprache verfasst. Drei unabhängige Gutachter nahmen ein strukturiertes Assessment jeder Studie vor. Offene Fragen wurden im Team diskutiert. Von den 56 Studien wurden 38 in das Review von Mold et al. (2005) verwendet.

Beurteilt der Review die Qualität der Studien? Ja Nein Nicht angegeben

Drei unabhängige Gutachter nahmen ein strukturiertes Assessment jeder Studie vor, der Fokus lag auf dem Zweck der Studie, die Ro-bustheit der Methode, der Teilnehmer, den theoretischen Ansatz, der Analyse und die Implikation in die Praxis. Informationen zur verwendeten Literatur werden tabellarisch Dargestellt und beinhal-ten Autoren, Ziel, Methode/Analyse, Setting, Teilnehmer, Datener-hebung, Ergebnisse und Schlussfolgerung. Wie bereits genannt, überprüften drei unabhängige Gutachter die Güte der verwendeten Literatur.

Wenn die Resultate der Studien Kombiniert wurden, was wurde vorgeschlagen? Ja Nein Nicht angegeben

Die Studien wurden nicht auf ihre Heterogenität geprüft. In der Dis-kussion werden die Internationalen Ergebnisse mit solchen aus Grossbritannien verglichen und Schlüsse daraus gezogen.

Wie sind die Resultate präsentiert Die Literatur wird in zwei Sektionen eingeteilt. Sektion 1 legt den

Page 54: Migranten im Alters- oder Pflegeheim - alter-migration.ch · Abstract Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim zu verbringen war ursprünglich

52 Nadine Grêt & Yela Keller

und was ist das Hauptergebnis?

Fokus auf die internationalen Ergebnisse und Sektion 2 bezieht sich auf Ergebnisse von Grossbritannien. Das Ziel ist, Erkenntnisse für die Pflege von Menschen mit Migrationshintergrund in Grossbri-tannien zu erhalten.

Wie präzise sind die Ergebnisse?

Die Ergebnisse sind zusammenfassend aufgeführt und nicht präzi-se beschrieben. Sie erwähnen viele wichtige Aspekte, diese wer-den jedoch nicht genau erläutert, was viele offene Fragen aufwirft.

Können die Resultate auf die lokale Population bezogen werden? Ja Nein Nicht angegeben

Die Herkunft der Migranten, der Standard der Institutionen und die Pflegeausbildungen sind in den untersuchten Studien unterschied-lich. Daher lassen sich diese Resultate nur bedingt auf die Schweiz übertragen.

Werden alle wichtigen Ergebnisse beachtet/ durchdacht? Ja Nein Nicht angegeben

Auf die individuellen Bedürfnisse der Migranten wird eingegangen, wenn auch nicht vertieft. Ebenfalls sind mögliche Schwierigkeiten der Angehörigen aufgeführt. Fähigkeiten und Fertigkeiten des Pfle-gepersonals zur Unterstützung der Migranten werden genannt.

Sollten die Strategien und Praktiken in Bezug auf gegebene evidenzba-sierte Resultate in diesem Review geändert werden? Ja Nein Nicht angegeben

Studienresultate sollten differenzierter und ausführlicher beschrie-ben werden, und so als Erklärung dienen. Wenn der Gesundheitsservice für die Migranten und Migrantinnen verbessert werden sollte, bedarf es an Zusammenarbeit zwischen der Regierung und unabhängigen Alters- und Pflegeheimen. Mold et al. (2005) führt auf, dass weitere Forschung notwendig ist, um die Bedürfnisse von Migranten vertieft zu erfassen.

Anhang C: Beurteilung des Reviews von Lee et al. (2002)

10 Questions to help you make sense of reviews – Critical Appraisal Skills Programme (CASP) A review of older people’s experiences with residential care placement (Lee, Woo & Mackenzie 2002)

Werden klar fokussierte Fragen gestellt? Ja Nein Nicht angegeben

Es werden keine spezifischen Fragen formuliert. Es besteht jedoch ein Ziel. Das Ziel ist es die Literatur bezüglich der Erfahrungen beim Übertritt in ein Alters- oder Pflegeheim zu überprüfen und zu synthetisieren.

Wird die richtige Art der Studien mit einbezogen? Ja Nein Nicht angegeben

Die verwendeten Studien sind hilfreich um das Ziel des Review’s zu erreichen. Ob die verwendeten Studien ein korrektes Design angewandt ha-ben, wird nicht erläutert.

Versuchte der Review alle relevan-ten Studien zu identifizieren? Ja

Die Studien wurden in den Datenbanken CINAHL, PSYCINFO, MEDLINE und SOCIOLOGICAL ABSTRACTS gesucht. Ein-schlusskriterium war das Jahr 1970 bis 2000 der Studien und sich

Page 55: Migranten im Alters- oder Pflegeheim - alter-migration.ch · Abstract Darstellung des Themas: Die letzte Lebensphase in einem Alters- oder Pflegeheim zu verbringen war ursprünglich

Nadine Grêt & Yela Keller 53

Nein Nicht angegeben

mit dem Thema des Einlebens in ein Alters- oder Pflegeheim be-fassten.

Beurteilt der Review die Qualität der Studien? Ja Nein Nicht angegeben

Bei zwei Studien (Brooke 1987,Wilson,1997) welche verwendet wurden, wurde genau erläutert, dass diejenigen die einzigen mit einer täglichen Beobachtung der Bewohner waren und werden kritisch analysiert. Bei den anderen Studien wird die Qualität nicht beschrieben.

Wenn die Resultate der Studien Kombiniert wurden, was ist ange-messen zu tun? Ja Nein Nicht angegeben

Es wird oft erwähnt, dass das Thema des Übertritts noch zu wenig erforscht wurde. Es werden Phasen, Prozesse und Typen vorge-schlagen, wie mit dem Übertritt und dem Einleben umgegangen wird, jedoch werden keine Massnahmen, wie man diese Phase, Prozesse und Typen erreicht beschrieben. Es wird darauf hinge-wiesen, dass jede Person individuell ist und deshalb die Phasen, Prozesse und Typen nicht als fixe Strukturen betrachtet werden dürfen.

Wie sind die Resultate präsentiert und was ist das Hauptergebnis?

Die Resultate werden in drei Phasen vor, während und nach dem Übertritt in ein Alters- oder Pflegheim eingeteilt. Nach dem Übertritt wird nochmals in verschiedene Themenbereiche des Erlebens ein-geteilt, dies in einem fliess Text. Ein Hauptergebnis gibt es nicht.

Wie präzise sind die Ergebnisse?

Es werden Prozesse, Phasen und Typen genau beschrieben, je-doch wird, wann und in welchem zeitlichen Rahmen diese Prozes-se des Einlebens auftreten, und wie die Bewohner von einer zur anderen Phase gelangen, nicht adäquat in der Literatur beschrie-ben.

Können die Resultate auf die lokale Population bezogen werden? Ja Nein Nicht angegeben

Da die untersuchte Population ältere Menschen unabhängig ihrer Herkunft sind, welche in ein örtliches Alters- oder Pflegeheim über-treten, kann dies auch für die älteren Menschen in der Schweiz angewandt werden. Allerdings wird auch erwähnt, dass die Ergebnisse nicht unbedingt auf ethnische Minderheiten zutreffen müssen und nur mit Vorsicht auf andere ethnische Gruppen übertragen werden können.

Werden alle wichtigen Ergebnisse beachtet/ durchdacht? Ja Nein Nicht angegeben

Die Ergebnisse handeln sich vor allem um das Empfinden einer Situation des älteren Menschen, welcher in ein Alters- oder Pflege-heim eintreten wird. Angehörige werden kurz erwähnt, jedoch vor allem im Bezug auf negative Vorurteile gegenüber dem Leben in einer Langzeitinstitution. Das Pflegepersonal wird im Review nicht berücksichtigt und es werden keine Interventionen beschrieben.

Sollten die Strategien und Praktiken in Bezug auf gegebene evidenzba-sierte Resultate in diesem Review geändert werden? Ja Nein Nicht angegeben

Es wurden nur geringe Bemühungen angestellt um das Wissen über das Einleben in ein Alters- oder Pflegeheim systematisch zu überprüfen. Eine solche Untersuchung wäre wichtig für weitere Forschung, da es Pflegemanagern ermöglichen könnte, neue Stra-tegien zu entwickeln um das Einleben für Bewohner zu erleichtern.

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54 Nadine Grêt & Yela Keller

Anhang D: Beurteilung der qualitativen Studie von Kutschke (2001)

ZWECK DER STUDIE

Wurde der Zweck klar angege-ben? Ja Nein

Skizzieren Sie den Zweck der Studie. Forschungsfrage: Wie erleben Menschen aus anderen Kulturkrei-sen Pflege in deutschen Krankenhäusern? Ziel der Studie war die Situation der Patienten mit Migrationshinter-grund zu erforschen und für die Pflege verständlich zu machen.

LITERATUR

Wurde die relevante Hintergrund Literatur gesichtet? Ja Nein

Geben Sie an, wie die Notwendigkeit der Studie gerechtfertigt wurde. Die Forscher vermuteten, dass in Deutschland kaum kulturelle Un-terschiede berücksichtigt werden in der Pflege. Weitere Gründe für die Notwendigkeit dieser Studie wurden nicht erläutert. In welcher Weise bezieht sich Studie auf Ihre Forschungsfra-ge? Es wird ein zentrales Thema und vier Unterkategorien für mögliche Konfliktfelder von Migranten und Pflegenden beschrieben.

STUDIENDESIGN

Welches Design hatte die Studie? (Fett markieren) Ethnographie Grounded Theory (gegen-standsverankerte Theoriebildung) Partizipative Handlungsfor-schung Phänomenologie Andere

Welches Design hatte die Studie? Entsprach das Design der Studienfrage (z.B. hinsichtlich des Wissensstandes zur betref-fenden Frage, hinsichtlich ethischer Aspekte)? Es handelt sich um eine phänomenologisches Studiendesign. Da die Studie persönliches Erleben erforschte, wurde eine qualitative Methode mit explorativem Charakter gewählt. Dieses Design eigne-te sich, um die Studienfrage zu beantworten. Die Theoriebildung über soziale Wirklichkeit ist als interpretativer Prozess angelegt. Ethische Aspekte wurden mit diesem Design nicht verletzt, Inter-views wurden anonymisiert.

Verwendete Methode(n): (Fett markieren) Teilnehmende Beobachtung Interviews historische Forschung Fokusgruppen andere

Beschreiben Sie die Methode(n), die zur Beantwortung der Forschungsfrage verwendet wurde(n). Die Daten wurden anhand eines problemzentrierten Interviews gewonnen. 30 Gespräche wurden geführt, schlussendlich durften jedoch nur neun Interviews verwendet werden. Die Auswertung der Interviews erfolgte in Anlehnung nach Burnard. Anschliessend wur-den die Transkripte offen kodiert.

STICHPROBENAUSWAHL

Wurde der Vorgang der gezielten Auswahl beschrieben? Ja Nein Wurde die Stichprobe so lange zusammengestellt, bis Redun-danz der Daten erreicht war? Ja

Beschreiben Sie die Methoden zur Zusammenstellung der Stichprobe. Wurde beim Prozess der Stichprobenauswahl fle-xibel vorgegangen? Zur Kontaktaufnahme wurden Stationen der Krankenhäuser be-sucht, um einen Kontakt zu Pflegekräften, welche die „Gatekeeper“ Funktion übernehmen, herzustellen. Ein detaillierter Vorgang ist nicht beschrieben.

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Nadine Grêt & Yela Keller 55

Nein Nicht angegeben Wurde wohlinformierte Zustim-mung eingeholt? Ja Nein Nicht angegeben

Es wurden 30 Gespräche mit möglichen Interviewpartnern geführt, davon wurden 9 Interviews verwendet. Beschreiben Sie das Ethik-Verfahren. Da einige Interviewpartner bedenken äusserten, dass die Gesprä-che gegen ihre Interessen Verwendung finden könnten, wurden diese nicht verwendet.

DATENERHEBUNG

Deskriptive Klarheit Klare und vollständige Beschrei-bung von: Ort: Ja Nein Teilnehmern: Ja Nein Referenzen des Forschers: Ja Nein Rolle des Forschers und seine Beziehung zu den Teilnehmern: Ja Nein Angabe der Annahmen des For-schers "in Klammern" ("bracke-ting"): Ja Nein

Beschreiben Sie den Kontext der Studie. Genügte er, um das "Gesamtbild" zu verstehen? Es wurden 30 Gespräche geführt, neun davon wurden für die Stu-die verwendet. In Krankenhäusern wurden Teilnehmer von ver-schiedenen Stationen ausgewählt. Detaillierter wurde der Ort und die Teilnehmer nicht beschrieben. Die Referenzen des Forschers sind nicht aufgeführt. Bei den Interviews war es dem Forscher wichtig, dass die Aus-drucksmöglichkeiten des Interviewten so unterstützt werden, dass seine Sicht sich gegebenenfalls gegen die des Forschers durchset-zen kann. Hypothese: „Zu Beginn der Studie stand die Vermutung, dass im Pflegeprozess kulturelle Unterschiede zwischen Pflegenden und Patienten in Deutschland kaum berücksichtigt werden.“

Prozedurale Strenge Waren die Strategien zur Daten-erhebung von prozeduraler Strenge? Ja Nein Nicht angegeben

Beschreiben Sie die Methoden der Datenerhebung. Inwiefern waren die Daten repräsentativ für das "Gesamtbild"? Be-schreiben Sie jegliche Flexibilität bei Design und Methoden der Datenerhebung. Die Ergebnisse der Interviews wurden in ein zentrales Thema und vier Unterkategorien eingeteilt. Womit mögliche Konfliktfelder zwi-schen Pflegepersonen und Migranten aufgezeigt werden. Es be-steht eine Problemstellung zum Ausgangspunkt und ein theoreti-sches Vorwissen, der Forscher muss dem Prinzip der Flexibilität folgen.

DATENANALYSE

Überprüfbarkeit Wurde ein Entscheidungspfad entwickelt und Regeln angege-ben?

Beschreiben Sie die Entscheidungen des Forschers bezüglich der Transformation von Daten in Aussagen/Codes. Skizzieren Sie das angegebene Prinzip der Entwicklung von Aussagen. Die Methode des problemzentrierte Interviews, welche offen kodiert

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Ja Nein Nicht angegeben Wurde der Prozess der Trans-formation von Daten in Aussa-gen/Codes adäquat beschrieben? Ja Nein Nicht angegeben Theoretische Verbindungen Hat sich ein sinnvolles Bild des untersuchten Phänomens erge-ben? Ja Nein

wurden, wurde angewandt. Die Interviews wurden anschliessend in Kategorien zusammengefasst und systematisiert. Die Endgültige Kategorienliste wurde erneut mit den Interviewtranskripten vergli-chen. Danach wurden die Interviews nach der Kategorienliste er-neut kodiert und unter den jeweiligen Themen zusammengefasst. Die Resultate wurden mit zwei Interviewpartnern zur Überprüfung ihrer Aussagen diskutiert. Die Erkenntnisse werden in Kategorien eingeteilt und mit dem theo-retischen Vorwissen diskutiert. Der Forscher hat ein zentrales Thema und vier Unterkategorien für mögliche Konfliktbereiche auf-gezeigt. Es hat sich ein sinnvolles Bild des untersuchten Phänomens erge-ben, indem das zentrale Thema und die vier Unterkategorien be-stimmt wurden.

VERTRAUENSWÜRDIGKEIT

Wird Triangulierung angegeben, nach Methoden: Ja Nein Forscher, Theorien und Quel-len/Daten: Ja Nein Wurde "Member checking" (Überprüfung durch die Teilneh-mer) benutzt, um Ergebnisse zu verifizieren? Ja Nein Nicht angegeben

Beschreiben Sie die Strategien, die verwendet wurden, um die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Um Validität zu erreichen wurden die Interviews kodiert und mit zwei Interviewpartnern auf ihre Richtigkeit ihrer Aussagen über-prüft. Die Ergebnisse wurden nicht mit Theorien oder Modellen verknüpft. Im Abschnitt, in welchem das Vorwissen behandelt wurde, wurde das Modell von Madleine Leininger aufgenommen und erläutert.

SCHLUSSFOLGERUNGEN UND IMPLIKATIONEN

Waren die Schlussfolgerungen den Ergebnissen der Studie an-gemessen? Ja Nein

Zu welchem Schluss kam die Studie? Welche Implikationen hatten die Ergebnisse für die Praxis und Forschung? Pflege wird als solche von Migranten kaum wahrgenommen, son-dern von ärztlich-medizinischen Tätigkeiten dominiert wird. Es wur-de herausgefunden, dass die oft enge Familienzusammengehörig-keit kein typisch kulturelles Phänomen, sondern eher ein typisches Migrationsphänomen darstellt. Dass die Population einer spezifi-schen Migrantengruppe, z.B den moslemischen Migranten sehr heterogen sein kann, sodass eine Verallgemeinerung nicht möglich ist, wird ebenfalls beschrieben. In den Ergebnissen wird erwähnt, dass die Migranten selbst häufig die Migration als begrenzten betrachtet haben und sich daher nicht aktiv versucht haben zu integrieren. Sprachschwierigkeiten wurden sehr zentral beschrieben, vor allem

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die mangelnde Aufklärung wurde als diskriminierend empfunden. Die Interviewpartner empfanden Wertschätzung, Empathie, Menschlichkeit und Vertrauen sehr wichtig, allerdings kann dies ohne gemeinsame Sprache kaum stattfinden. Die Wahrnehmung und Akzeptanz des fremden Wirklichkeitsver-ständnisses ist Ausgangspunkt für eine kulturangepasste Pflege. Als Empfehlung für die Praxis wird Wertschätzung und Empathie gefordert, aber auch Respekt vor jeder einzelnen Person und ein kulturelles Grundwissen ist unerlässlich. Diese Fähigkeiten müssen bei der Ausbildun von Pflegenden zu-künftig gefördert werden. Worin lagen die hauptsächlichen Begrenzungen der Studie? Die Studie hat keine Limitierung bezüglich der zu untersuchenden Population angegeben. Die hauptsächliche Begrenzung lag darin, dass Migranten während eines stationären Krankenhausaufenthalts in Deutschland befragt wurden.

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Anhand E: Transkulturelle Pflegeanamnese nach Domenig et al. (2007)