Aktuelle Aspekte in der Bildgebung des Felsenbeins

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60 Klin Neuroradiol 2001 · Nr. 2 © Urban & Vogel Aktuelle Aspekte in der Bildgebung des Felsenbeins Randolf Klingebiel 1 , Rüdiger Lehmann 1 Zusammenfassung Hintergrund: Die diagnostische Wertigkeit der Schnittbildverfahren CT und MRT im Rahmen der Felsenbeinbildge- bung wird wesentlich beeinflusst von der Detailerkennbarkeit der komplexen Mittel- und Innenohrstrukturen. Die weitere Herabsetzung der Schichtdicke war eine logische Folge der Bemühungen um eine optimierte Bildgebung. Optimierte Bildgebung: Bei der MRT hat der Einsatz der Volumendatensätze diesen Fortschritt ermöglicht, bei der CT die Einführung der Mehrschicht-Spiral-CT-Technologie. Basierend auf diesen hoch auflösenden Datensätzen entsteht eine Bild- und Informationsflut, die durch das sequenzielle Betrachten und Abfotografieren der Bilddaten nur unzureichend bewältigt wird und eine Datennachverarbeitung erforderlich macht. Nachverarbeitungstechniken: Auch die Nachverarbeitungstechniken haben einschneidende Veränderungen erfah- ren von der Erstellung orthogonaler und multiplanarer Reformationen über die Maximum-Intensitäts-Projektion hinzu3-D-VerfahreninSurface-RenderingundVolume-Rendering-Technik.DieEinführungderletztgenanntenNach- verarbeitungstechnik hat die interaktive extra- und endoluminale Darstellung kleinster anatomischer Hohlräume des Felsenbeins wie der basalen Kochleawindung ermöglicht im Sinne einer virtuell endoskopischen Darstellung. Schlüsselwörter: Felsenbein · Innenohr · Mittelohr · Kleinhirnbrückenwinkel · MSCT · MRT · Virtuelle Endoskopie Current Aspects of Petrous Bone Imaging Abstract Background: The diagnostic value of CT and MRI for sectional imaging of the petrous bone crucially relies on the detail resolution of the complex structures of the middle and inner ear. Efforts to optimize imaging have led to a further reduction of slice thickness. Optimized Imaging: These advances have been made possible by the use of volumetric data sets in the case of MRI and by the advent of multislice helical scanners in the case of CT. The high-resolution data sets generated by these techniques have led to a flood of images and information which cannot be adequately coped with by sequential viewing and photographing of the individual images and hence requires data postprocessing. The Postprocessing Techniques have likewise seen considerable changes in the development from orthogonal and multiplanar reformations and maximum intensity projections to 3-D procedures based on surface rendering and volume rendering. The introduction of the latter postprocessing technique has enabled interactive extra- and endoluminal visualization, or virtual endoscopy, of very tiny anatomic cavities of the petrous bone such as the basal cochlea winding. Key Words: Petrous bone · Inner ear · Middle ear · CPA · MSCT · MRI · Virtual endoscopy Klin Neuroradiol 2001;60–6 DOI 10.1007/s00062-001-2307-5 1 Abteilung Neuroradiologie, Institut für Radiologie, Charité, Campus Mitte, Humboldt-Universität Berlin. Übersichtsarbeit Eingang: 10. September 2000; Annahme Revision: 12. Januar 2001 Einleitung Die Bildgebung des Felsenbeins hat in den letzten Jah- ren wesentliche Veränderungen erfahren durch die Ein- führung der neuen Mehrschicht-Spiral-CT (MSCT), den Einsatz hochauflösender (HR) MRT-Sequenzen so- wie die Anwendung leistungsfähiger dreidimensionaler (3-D) Rekonstruktionsverfahren auf die HR-Schnitt- bild-Datensätze. Im Folgenden werden die aktuellen Neuroradiologie Klinische Herrn Professor Dr. Karsten Voigt zum 60. Geburtstag.

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Aktuelle Aspekte in der Bildgebung des Felsenbeins Randolf Klingebiel1, Rüdiger Lehmann1

Zusammenfassung Hintergrund: Die diagnostische Wertigkeit der Schnittbildverfahren CT und MRT im Rahmen der Felsenbeinbildge-bung wird wesentlich beeinflusst von der Detailerkennbarkeit der komplexen Mittel- und Innenohrstrukturen. Dieweitere Herabsetzung der Schichtdicke war eine logische Folge der Bemühungen um eine optimierte Bildgebung.Optimierte Bildgebung: Bei der MRT hat der Einsatz der Volumendatensätze diesen Fortschritt ermöglicht, bei derCT die Einführung der Mehrschicht-Spiral-CT-Technologie. Basierend auf diesen hoch auflösenden Datensätzenentsteht eine Bild- und Informationsflut, die durch das sequenzielle Betrachten und Abfotografieren der Bilddatennur unzureichend bewältigt wird und eine Datennachverarbeitung erforderlich macht. Nachverarbeitungstechniken: Auch die Nachverarbeitungstechniken haben einschneidende Veränderungen erfah-ren von der Erstellung orthogonaler und multiplanarer Reformationen über die Maximum-Intensitäts-Projektionhinzu3-D-VerfahreninSurface-RenderingundVolume-Rendering-Technik.DieEinführungderletztgenanntenNach-verarbeitungstechnik hat die interaktive extra- und endoluminale Darstellung kleinster anatomischer Hohlräumedes Felsenbeins wie der basalen Kochleawindung ermöglicht im Sinne einer virtuell endoskopischen Darstellung.

Schlüsselwörter: Felsenbein · Innenohr · Mittelohr · Kleinhirnbrückenwinkel · MSCT · MRT · Virtuelle Endoskopie

Current Aspects of Petrous Bone Imaging

Abstract Background: The diagnostic value of CT and MRI for sectional imaging of the petrous bone crucially relies on thedetail resolution of the complex structures of the middle and inner ear. Efforts to optimize imaging have led to afurther reduction of slice thickness. Optimized Imaging: These advances have been made possible by the use of volumetric data sets in the case of MRIand by the advent of multislice helical scanners in the case of CT. The high-resolution data sets generated by thesetechniques have led to a flood of images and information which cannot be adequately coped with by sequentialviewing and photographing of the individual images and hence requires data postprocessing. The Postprocessing Techniques have likewise seen considerable changes in the development from orthogonal andmultiplanar reformations and maximum intensity projections to 3-D procedures based on surface rendering andvolume rendering. The introduction of the latter postprocessing technique has enabled interactive extra- andendoluminal visualization, or virtual endoscopy, of very tiny anatomic cavities of the petrous bone such as thebasal cochlea winding.

Key Words: Petrous bone · Inner ear · Middle ear · CPA · MSCT · MRI · Virtual endoscopy

Klin Neuroradiol 2001;60–6 DOI 10.1007/s00062-001-2307-5

1 Abteilung Neuroradiologie, Institut für Radiologie, Charité, Campus Mitte, Humboldt-Universität Berlin.

Übersichtsarbeit

Eingang: 10. September 2000; Annahme Revision: 12. Januar 2001

Einleitung Die Bildgebung des Felsenbeins hat in den letzten Jah-ren wesentliche Veränderungen erfahren durch die Ein-führung der neuen Mehrschicht-Spiral-CT (MSCT), den

Einsatz hochauflösender (HR) MRT-Sequenzen so-wie die Anwendung leistungsfähiger dreidimensionaler(3-D) Rekonstruktionsverfahren auf die HR-Schnitt-bild-Datensätze. Im Folgenden werden die aktuellen

NeuroradiologieKlinische

Herrn Professor Dr. Karsten Voigt zum 60. Geburtstag.

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Bildgebungstechniken des Felsenbeines vorgestellt unddie Implikationen der hoch auflösenden Datensätze fürdie Nachverarbeitung anhand von Bildbeispielen disku-tiert.

Geschichtliches Die Bildgebung des Felsenbeins beruhte bis zur Ein-führung der Schnittbildverfahren auf der Projektionsra-diographie und der Verwischungstomographie und stell-te somit nur die knöchernen Strukturen dar [2]. Seit derEinführung der HRCT vor ca. 25 Jahren hat sich diesesVerfahren aufgrund seiner überlagerungsfreien Darstel-lung der komplexen Felsenbein-Architektur durchge-setzt [20]. Zunächst wurde die HRCT in Inkremental-technik mit einer Schichtdicke von 1 mm durchgeführtund die axialen Schnittbilder wurden durch koronarebzw. sagittale Reformationen ergänzt. Die Einführungder Spiral-CT erlaubte die überlappende Rekonstruk-tion der 1-mm-Schichten und somit eine verbesserte Ab-bildung subtiler anatomischer Details, wie der Stapes-Suprastruktur. Ein prinzipielles Problem der digitalenBildgebung, der Partialvolumeneffekt, konnte durchdie Einführung einer neuen CT-Technologie signifikantreduziert werden, der sog. Mehrschicht-Spiral-CT [13,17, 23]. Je nach Hersteller schwankt die Kollimation derzentralen Detektoreinheiten zwischen 1,25 und 0,5 mm.Die letztgenannte Detektorkollimation führt zu einerHalbierung der Schichtdicke in der Z-Achse bei gleich-zeitig verkürzter Akquisitionszeit und damit reduziertenBewegungsartefakten. Die Datennachverarbeitung zuorthogonalen Reformationen, die eine wesentliche Vor-aussetzung zur mentalen Integration der Schnittbildda-ten in die komplexe (Patho-)Anatomie des Innen- undMittelohres ist, wurde durch das Prinzip der (annä-hernd) isotropen Voxel entscheidend verbessert. Drei-dimensionale Rekonstruktionen des Felsenbeines ausSchnittbilddaten haben seit ca. 1990 Verbreitung erfah-ren, zunächst in der so genannten Surface-Rendering-Technik (SRT) durchgeführt [11, 12]. Hierbei wird eineRekonstruktion der Oberfläche aus vielen kleinen Poly-gonen erzeugt. Die erhöhte Rechenkapazität der Mikro-computer, sog. „Workstations“ erlaubte den Einsatz derVolume-Rendering-Technik; sie ermöglicht nicht nurdie dem Betrachter nächst gelegenen Bildpunkte (wiebei der SRT), sondern alle Bildpunkte des Datensatzesnachzuverarbeiten [24]. Dadurch wurde die interaktiveBewegung der virtuellen Kamera möglich und, in derFolge, die Durchführung virtuell-endoskopischer Bild-gebung u.a. des Innen- und Mittelohres.

Die Bildgebung des Kleinhirnbrückenwinkels be-ruhte bis zur Einführung der MRT auf der Technik derZisternographie [21, 22, 25]. Die MRT ermöglichte dienichtinvasive Darstellung des inneren Gehörgangesund des Kleinhirnbrückenwinkels, zunächst basierendauf den Spin-Echo-(SE-)Sequenzen. Die Weiterent-wicklung des Sequenz-Repertoires zu hoch auflösendenVolumendatensätzen von bis zu 0,5 mm Schichtdickegewährleistete sowohl die Differenzierung aller vierNerven des inneren Gehörganges als auch die Beurtei-lung des Innenohres auf der Basis eines Projektions-verfahrens, der sog. Maximum-Intensitäts-Projektion(MIP) [5]. Als wichtige Indikationen für die hoch auf-lösende MRT (HRMRT) stellten sich u.a. heraus derNachweis dysplastischer, traumatischer, akut und chro-nisch entzündlicher Labyrinthaffektionen sowie derAusschluss intrameataler und -zisternaler Tumoren beiretrokochleärer, sensorineuraler Schwerhörigkeit [3,4]. Eine weitere diagnostische Herausforderung, dieFazialis-Bildgebung, profitierte ebenfalls von der Fort-entwicklung der HRMRT; sowohl multiplanare Refor-mationen, die den Fazialisverlauf vom Hirnstamm biszum Foramen stylomastoideum abbilden können, wieauch virtuell-endoskopische Ansichten des Kleinhirn-brückenwinkels unterstützen die Bildgebung im Rah-men einer peripheren Fazialisaffektion.

Ähnlich der Mittelohrdiagnostik haben 3-D-Nach-verarbeitungsverfahren Eingang gefunden in die Bildge-bung des Innenohres und des Kleinhirnbrückenwinkels[1, 9, 16]. Die Integration axialer und reformatierterSchnittbilder zu einem 3-D-Objekt im Rahmen derBildanalyse ist eine subjektive, mentale Leistung desDiagnostikers und kann erheblichen intra- und inter-individuellen Schwankungen unterworfen sein. Diesementale Leistung wird durch die Anwendung defi-nierter Software-Protokolle standardisiert und durchHardcopy-Dokumentation für alle weiteren Filmleserverfügbar gemacht.

Begriffe wie virtuelle Otoskopie, Labyrinthoskopieund Zisternoskopie benennen die verschiedenen An-wendungsbereiche dieser Nachverarbeitungstechniken,die insbesondere in den letzten beiden Jahren eine zu-nehmende Verbreitung gefunden haben [7, 8, 15, 24]

Bildgebung des Mittelohrs Die Bildgebung des Mittelohres basiert weitgehend aufder HRCT [6]. Vorwiegend wird die Diagnostik im Zu-sammenhang mit einer kombinierten oder isolierten(Schalleitungs-) Schwerhörigkeit durchgeführt. Insbe-

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sondere die regelhafte Visualisierung der Stapes-Supra-struktur sowie der knöchernen Grenzlamelle des Ca-nalis facialis im tympanalen Abschnitt war mit derkonventionellen HRCT nur bedingt durchführbar.Durch den Einsatz der MSCT mit 0,5 mm Schichtdickeund 0,2 mm Rekonstruktionsinkrement kann sowohldie Abbildung dieser klinisch bedeutsamen Details(Abbildungen 1a und 1c) wie auch die Erzeugung zwei-

und dreidimensionaler Rekonstruktionen (Abbildun-gen 1b, 2a, 2b und 3a bis 3c) optimiert werden. Stan-dardisierte dreidimensionale extra- und endoluminaleRekonstruktionen werden in unserer Abteilung als sog.virtuelle Otoskopie bei Datensätzen durchgeführt, diein der Durchsicht des Bildstapel (sog. „Stack-View“oder „Cine Mode“) fraglich oder sicher pathologischeVeränderungen aufweisen.

Abbildung 1a Abbildung 1b Abbildung 1c

Abbildungen 1a bis 1c. Axiale Schnittbilder des Mehrschicht-Spiral-CT sowie eine 3-D-Rekonstruktion des Stapes in VRT. a) Axiales Schnittbild inHöhe des ovalen Fensters mit Darstellung der Stapes-Schenkel (Pfeil). b) Virtuell-endoskopischer Blick von dorsal des runden Fensters auf den Sta-pes. c) Axiales Schnittbild in Höhe des tympanalen Canalis facialis; die knöcherne Grenzlamelle ist abgrenzbar (Pfeile).

Abbildung 2a Abbildung 2b

Abbildungen 2a und 2b. 3-D-Rekonstruktionen aus HR-Daten der Mehrschicht-Spiral-CT im Rahmen der virtuellen Otoskopie. a) Blick in den Mea-tus acusticus externus von lateral (knochenbetont). b) Blick in die Paukenhöhle von lateral (weichteilbetont).

Hammer

Amboss

RundesFenster

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Im Rahmen der Mittelohrdiagnostik haben sich fol-gende Indikationen als besonders geeignet für die drei-dimensionale Nachverarbeitung erwiesen: Dysplasti-sche, traumatische und postoperative Läsionen desSchläfenbeins, des Meatus acusticus externus und insbe-sondere der ossikulären Kette sowie umschriebene ent-zündliche und neoplastische intraluminale Läsionen desCavum tympani.

Ein wesentliches Merkmal des Nachverarbeitungs-verfahrens ist der Einsatz der direkten Volume-Render-ing-Technik (VRT) auf der Basis von Schwellenwerten.Das bedeutet, dass zeitaufwändige Segmentationsver-fahren nicht zum Einsatz kommen, sondern unter Ver-wendung definierter Protokolle eine virtuelle Otoskopiein ca. 10 Minuten (je Ohr) durchgeführt werden kann.

Den behandelnden HNO-Ärzten wird die Patholo-gie in einer Weise dargestellt, die den klinischen Visua-lisierungstechniken, i.e. der realendoskopischen Oto-skopie/Tympanoskopie, entspricht und auch in derKommunikation mit dem Patienten, z.B. im Rahmen derOperationsaufklärung, hilfreich sein kann.

Bildgebung des Innenohrs Die MRT stellt eine wichtige Ergänzung zur HRCT dar,da nur sie in der Lage ist fibröse Labyrinth-Obliteratio-nen abzubilden, ebenso wie Traumafolgen (Labyrinth-hämatom) und entzündliche Affektionen (Labyrinthi-tis). Stark T2-gewichtete MRT-Sequenzen, wie dieCISS-3D-Sequenz (Abbildung 4a) oder die FSE-Se-quenz, sind die geeigneten Techniken zur Darstellung

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Abbildung 3a Abbildung 3b Abbildung 3c

Abbildungen 3a bis 3c. Virtuelle Otoskopie, Darstellung extra- und endoluminaler Pathologien. a) Atresie des Meatus acusticus externus (MAE)links, b) Stenosierung des MAE rechts (Pfeile). c) Orthotope Lage der Stapes-Prothese intratympanal.

Abbildung 4a Abbildung 4b Abbildung 4c

Abbildungen 4a bis 4c. MRT-Schnittbildgebung des linken Innenohrs und abgeleitete 3-D-Rekonstruktionen in VRT. a) Axiales Schnittbild in Höhedes Meatus acusticus internus, CISS-Sequenz. b) Frontale Ansicht der Cochlea und des Vestibulums. c) Ansicht der Bogengänge von kraniolateral.

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von Obliterationen des labyrinthären Lumens [3, 14].Die Nachverarbeitung dieser Sequenzen findet ge-wöhnlich als sog. MIP statt, bei der die signalreichstenBildpunkte entlang eines Projektionsstrahles auf dieimaginäre Hintergrundleinwand projiziert werden.

Nachteil dieses Verfahrens ist die fehlende dritte Di-mension im rekonstruierten Bild, die Tiefendimension.Die Projektion muss in mehreren Richtungen durchge-führt werden zur überlagerungsfreien Abbildung derPathologie. Hintergrundartefakte, wie z.B. das Flüssig-keitssignal im meatalen Fundus, können zu wesentlichenEinschränkungen der Bildqualität führen. Die dreidi-mensionale Nachverarbeitung in VRT (Abbildungen4b und 4c) vereint eine unkomplizierte (da schwellen-wertgesteuerte) dreidimensionale Darstellungsformmit Nachverarbeitungsoptionen, wie dem sog. „DepthCueing“ (Tiefenabschwächung der Lichtquelleninten-sität), die durch Unterdrückung von Bildartefakten dieAbbildungsqualität wesentlich verbessern [16]. Dieseswiederum ermöglicht nicht nur über die Inzidenz, son-dern auch über die Morphologie der labyrinthären Ob-literationen Informationen zu erhalten; so weist einesymmetrische, stummelförmige labyrinthäre Obliterati-on des lateralen Bogenganges (Abbildung 5a) auf einedysplastische Erkrankung hin, gemäß der embryonalenEntwicklung des Bogenganges. Ein diffuses Obliterati-onsmuster hingegen ist suggestiv für ein (post-)ent-zündliches Geschehen (Abbildung 5b). Dieses kannz.B. für die Entscheidung bezüglich einer antiinflamma-torischen Therapie eine klinisch hilfreiche Informationsein.

In Abhängigkeit von der klinischen Fragestellungkann die Akquisition von HR T1-gewichteten Bildernsinnvoll sein, z.B. wenn ein posttraumatisches Laby-rinthhämatom ausgeschlossen werden soll. Aber aucheine Labyrinthitis (z.B. im Rahmen eines Cholestea-toms) kann Gegenstand einer T1-gewichteten Innen-ohr-MRT sein, in diesem Fall mit Kontrastmittelgabe.Die Verwendung einer T1-gewichteten MP-RAGE-Sequenz unterstützt die Visualisierung diskreter la-byrinthärer und intrameataler Pathologien sowie dieErstellung von 2-D- und 3-D-Rekonstruktionen desSchnittbild-Datensatzes [14, 19].

Bildgebung des Nervus facialis und Nervus vestibulocochlearis

Die aktuelle Diagnostik des siebten und achten Hirn-nervs beruht im Wesentlichen auf den bereits genann-ten HRMRT-Datensätzen [5, 10, 19].

Abbildung 5a

Abbildung 5b

Abbildungen 5a und 5b. 3-D-Rekonstruktionen der Bogengänge: Obli-terationen des labyrinthären Lumens. a) Dysplasie des horizontalenBogengangs (Pfeile). b) Postentzündliche Obliterationen bei bekann-ter Otosklerose.

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Der siebte Hirnnerv ist aufgrund seines komplexenVerlaufes nicht direkt zusammenhängend darzustellen.Multiplanare Reformationen (MPR) aus HRCT- undMRT-Datensätzen ermöglichen eine langstreckige Visu-alisierung des Canalis bzw. Nervus facialis in nur einerreformatierten Abbildung von der Fossa geniculata(CT) bzw. dem intrazisternalen Anteil (MRT) bis zumForamen stylomastoideum (Abbildung 6a). Neuritidenund Neurinome erfordern den Einsatz kontrastmittel-gestützter, T1-gewichteter Sequenzen. Aufgrund dergeringen Kaliberstärke und des komplexes Verlaufesdes Nervus facialis ist auch hier die Anwendung derMP-RAGE-Sequenz vorteilhaft, die aufgrund der Par-titionsoption mit 0,7–1 mm Schichtdicke annäherndisotrope Voxel und somit eine adäquate Bildqualität inden Rekonstruktionen ermöglicht. Differentialdiagnos-tische Schwierigkeiten kann dabei das physiologischauftretende Enhancement des siebten Hirnnervs auf-grund des gefäßreichen perineuralen Bindegewebes be-reiten; allgemein wird jedoch eine KM-Aufnahme imintrameatalen Verlauf als pathologisch angesehen [18].Neurovaskuläre Konflikte und neurale Affektionen beiKHBW-Tumoren können durch die hoch auflösendenT2-gewichteten Sequenzen (CISS 3-D, FSE) abgebildetwerden, wobei die 3-D-Nachverarbeitung (virtuelle Zis-ternoskopie) hilfreich sein kann bei der Veranschauli-chung komplexer räumlicher Beziehungen.

Die Bildgebung des achten Hirnnervs basiert aufden gleichen Bildgebungstechniken und wird vor allembei retrokochleären sensorineuralen Hörstörungen so-

wie im Rahmen der Schwindel- und Tinnitusdiagnostikdurchgeführt. Die Durchführung eines HRMRT ist in-diziert zum Nachweis kleiner intrameataler Tumoren;hier wiederum ist die Zuordnung des Tumors zu denKomponenten des akusticofazialen Bündels für dasoperativ bedingte Ertaubungsrisiko und somit für dieAufklärung des Patienten von Bedeutung. Die T2-gewichteten Sequenzen erlauben eine Herabsetzungder Schichtdicke auf bis zu 0,5 mm und bieten so dieGewähr für eine sehr gute Detailerkennbarkeit mitder Option endoluminaler Ansichten des Meatus acus-ticus internus und Kleinhirnbrückenwinkels (Abbil-dungen 6b bis 6c). Die T1w-Aufnahmen, möglichstals MP-RAGE-Sequenz, sind wegen der Darstellungder KM-Aufnahme unerlässlich, erlauben u.a. eineTumorvolumetrie und unterstützen die Vorbereitungder Radiochirurgie, bei der zur Ermittlung des optima-len Bestrahlungsvolumens Bilddaten aus MRT und CTfusioniert werden.

Schlussfolgerungen Eine Optimierung der neuroradiologischen Felsenbein-Bildgebung ist durch die Weiterentwicklung der hoch-auflösenden Akquisitionsprotokolle sowie der dreidi-mensionalen Nachverarbeitungstechniken im Rahmender Schnittbildverfahren CT und MRT ermöglichtworden. Weitere klinisch-radiologische Studien sinderforderlich um die Wertigkeit und Indikationsstellungder 3-D-Rekonstruktionsverfahren zu spezifizieren.Insbesondere die Technik der virtuellen Endoskopie,

Klingebiel R, Lehmann R. Bildgebung des Felsenbeins

Abbildung 6a Abbildung 6b Abbildung 6c

Abbildungen 6a bis 6c. Bildgebung des siebten und achten Hirnnervs (Pfeile). a) MPR des Nervus facialis. Darstellung des Nervs vom zisternalenVerlauf bis zum Foramen stylomastoideum (Pfeile). b) Virtuelle Zisternoskopie. Abbildung beider Hirnnerven zwischen Porus acusticus internusund Hirnstamm. c) Virtuelle Endoskopie des rechten MAI. Abbildung einer Raumforderung im Fundus (Pfeile) ohne sichere Beziehung zum Ner-vus cochlearis; aufgrund der dorsokranialen Lage bildgebend am ehesten vereinbar mit einem Vestibularis-Neurinom (operativ bestätigt).

AICA

N. VII/VIII

MAINeurinom

N. VII

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die in fotorealistischer Weise fiberendoskopieähnlicheAnsichten ermöglicht, schlägt eine Brücke zwischen derdichtewert- und signalintensitätsgesteuerten radiolo-gischen Bildgebung und einer Klinikern und Patientenplausiblen Sichtweise der petrosalen Pathologie.

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Korrespondenzanschrift Dr. Randolf Klingebiel Abteilung Neuroradiologie Institut für Radiologie Charité CM Schumannstraße 20/21 10098 Berlin Deutschland Telefon (+49/30) 2802-1287, Fax -1442 E-Mail: [email protected]