Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum · 2019. 5. 13. · Der Weg stand in seiner gesamten Breite...

117
Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 1 Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum FH-Doz. Univ.-Lektor Mag. Christoph Kothbauer www.kothbauer.co.at [email protected] Christoph Kothbauer: Wohn- und Immobilienrecht § 2 Abs 1 bis 4 WEG (und § 16 Abs 1 und 2 WEG sowie § 523 ABGB) Zur konkludenten Umwidmung von Wohnungseigentumsobjekten bzw deren Zubehör in allgemeine Teile der Liegenschaft OGH 13.12.2018, 5 Ob 219/18v Der OGH (5 Ob 219/18v) hatte sich mit einem Fall auseinanderzusetzen, in welchem ein Wohnungseigentümer einen Liegenschaftsteil in Anspruch genommen hatte, der ihm zwar nach den Grundlagen der Nutzwertermittlung („Parifizierung“) als Reihenhausgarten zugewiesen worden war, in der Zwischenzeit aber konkludent als Zufahrtweg in einen allgemeinen Teil der Liegenschaft umgewandelt wurde. Zumal die konkludente Umwidmung maßgeblich ist, war der Eigentumsfreiheitsklage eines Miteigentümers stattzugeben. Sachverhalt: Die Streitteile sind Mit- und Wohnungseigentümer in einer 1978 errichteten Reihenhausanlage. Das Wohnungseigentumsobjekt der Kläger (W 31) liegt neben dem Reihenhaus des Beklagten (W 32), das der Beklagte im Oktober 1978 von der Bauträgerin gekauft hat. In der Anlage verläuft von den Häusern Nr 13 bis 32 ein gepflasterter, seit seiner Errichtung von den Wohnungseigentümern als Zufahrtsstraße benützter, vom Reihenhausgarten des Objekts W 32 unter anderem durch einen Holzzaun abgegrenzter Wohnweg. Dieser wurde im Zug des Baus der Reihenhausanlage 1977/1978 über Veranlassung der Bauträgerin (frühere Alleineigentümerin) und Wohnungseigentümerin mehrerer Objekte, darunter jenes des Beklagten, nach Einspruch der Feuerwehr abweichend von Wohnungseigentumsvertrag, Parifizierungsgutachten und Parifizierung errichtet. Zum Teil verläuft der Weg über die nach der Parifizierung dem Reihenhaus des Beklagten W 32 zugewiesene Gartenfläche. Im Februar 2015 ließ der Beklagte auf dem Wohnweg angrenzend an den Zaun seines Reihenhauses drei große, tonnenschwere Flußbausteine deponieren. Seither können breitere Fahrzeuge wie Einsatzfahrzeuge von Feuerwehr und Rettung oder Möbeltransporter nicht mehr auf dem Weg zufahren.

Transcript of Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum · 2019. 5. 13. · Der Weg stand in seiner gesamten Breite...

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 1

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum

FH-Doz. Univ.-Lektor Mag. Christoph Kothbauer www.kothbauer.co.at

[email protected]

Christoph Kothbauer: Wohn- und Immobilienrecht

§ 2 Abs 1 bis 4 WEG (und § 16 Abs 1 und 2 WEG sowie § 523 ABGB) Zur konkludenten Umwidmung von Wohnungseigentumsobjekten bzw deren Zubehör in allgemeine Teile der Liegenschaft OGH 13.12.2018, 5 Ob 219/18v

Der OGH (5 Ob 219/18v) hatte sich mit einem Fall auseinanderzusetzen, in welchem ein Wohnungseigentümer einen Liegenschaftsteil in Anspruch genommen hatte, der ihm zwar nach den Grundlagen der Nutzwertermittlung („Parifizierung“) als Reihenhausgarten zugewiesen worden war, in der Zwischenzeit aber konkludent als Zufahrtweg in einen allgemeinen Teil der Liegenschaft umgewandelt wurde. Zumal die konkludente Umwidmung maßgeblich ist, war der Eigentumsfreiheitsklage eines Miteigentümers stattzugeben. Sachverhalt: Die Streitteile sind Mit- und Wohnungseigentümer in einer 1978 errichteten Reihenhausanlage. Das Wohnungseigentumsobjekt der Kläger (W 31) liegt neben dem Reihenhaus des Beklagten (W 32), das der Beklagte im Oktober 1978 von der Bauträgerin gekauft hat. In der Anlage verläuft von den Häusern Nr 13 bis 32 ein gepflasterter, seit seiner Errichtung von den Wohnungseigentümern als Zufahrtsstraße benützter, vom Reihenhausgarten des Objekts W 32 unter anderem durch einen Holzzaun abgegrenzter Wohnweg. Dieser wurde im Zug des Baus der Reihenhausanlage 1977/1978 über Veranlassung der Bauträgerin (frühere Alleineigentümerin) und Wohnungseigentümerin mehrerer Objekte, darunter jenes des Beklagten, nach Einspruch der Feuerwehr abweichend von Wohnungseigentumsvertrag, Parifizierungsgutachten und Parifizierung errichtet. Zum Teil verläuft der Weg über die nach der Parifizierung dem Reihenhaus des Beklagten W 32 zugewiesene Gartenfläche. Im Februar 2015 ließ der Beklagte auf dem Wohnweg angrenzend an den Zaun seines Reihenhauses drei große, tonnenschwere Flußbausteine deponieren. Seither können breitere Fahrzeuge wie Einsatzfahrzeuge von Feuerwehr und Rettung oder Möbeltransporter nicht mehr auf dem Weg zufahren.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 2

Die Vorinstanzen gaben dem auf § 523 ABGB gestützten Beseitigungsbegehren der klagenden Wohnungseigentümer statt. Das Berufungsgericht ließ nachträglich über Abänderungsantrag des Beklagten die Revision zu. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Zum ausschließlichen Nutzungs- und Verfügungsrecht jedes Wohnungseigentümers

hinsichtlich seines Wohnungseigentumsobjekts und dessen Zubehör Jeder Wohnungseigentümer hat ein ausschließliches Nutzungsrecht an einem bestimmten Wohnungseigentumsobjekt.1 Diese Befugnis umfasst die Nutzung der baulich mit dem Wohnungseigentumsobjekt verbundenen Bestandteile und (zufolge § 2 Abs 3 Satz 1 WEG) des dem Wohnungseigentumsobjekt zugewiesenen Zubehörs. b) Konkreter Fall: Zur konkludenten Umwidmung einer „parifizierten“ Gartenfläche in

einen notwendig allgemeinen Teil der Liegenschaft (Zufahrtsweg) Zum Sachverhalt: Angesichts der festgestellten, seit der Errichtung unverändert und unwidersprochen gebliebenen Nutzung des Wohnwegs ist eine rechtliche Einordnung der dem Wohnungseigentumsobjekt des Beklagten im Wohnungseigentumsvertrag in Verbindung mit dem Parifizierungsgutachten zugewiesenen Gartenfläche als Zubehör seines Wohnungseigentums (§ 2 Abs 3 Satz 1 WEG) oder als Bestandteil des Wohnungseigentumsobjekts nicht notwendig. Die dem Zulassungsausspruch zugrunde liegende und im Vordergrund der Revision stehende Frage dieser Abgrenzung stellt sich nicht. Hier liegt (vielmehr) eine nach der Rechtsprechung zulässige2 konkludente Widmung(-sänderung) des betroffenen Teils der Gartenfläche als notwendig allgemeiner Teil im Sinne des § 2 Abs 4 WEG vor. Der mehrere Reihenhäuser erschließende Zufahrtsweg wurde schon anlässlich des Baus der Wohnanlage faktisch so errichtet und von der Gartenfläche des Reihenhauses Nr 32 baulich so abgegrenzt, dass diese in ihrem vom Weg erfassten Teilbereich nie ausschließlich und selbständig vom Wohnungseigentümer des Objekts benutzt werden konnte. Der Weg stand in seiner gesamten Breite den Wohnungseigentümern als Zufahrtsweg zur Verfügung und wurde von Anfang an ungehindert so genutzt. Seine gesamte Fläche ist im Sinn der Rechtsprechung des OGH als allgemeiner Teil des Hauses anzusehen3, an dem kein (Zubehör-)Wohnungseigentum begründet werden konnte. Diese Widmung war ausschlaggebend dafür, was zu einem bestimmten Wohnungseigentumsobjekt gehörte und vom jeweiligen Wohnungseigentümer ausschließlich genützt werden durfte, während die Nutzwertfestsetzung selbst keinen eigenen Rechtsgrund für die Nutzung schaffte.4 c) Zum Abwehranspruch jedes Eigentümers gegen eine eigenmächtige

Inanspruchnahme von allgemeinen Teilen der Liegenschaft

1 Vgl RIS-Justiz RS0081766. 2 RIS-Justiz RS0082712 [T10, T12]; RS0120725 [T4, T9]. 3 RIS-Justiz RS0097520 [T8, T11]. 4 5 Ob 207/16a; 5 Ob 290/07v mit weiteren Nachweisen.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 3

Gegen die eigenmächtige Inanspruchnahme einer Allgemeinfläche steht jedem Wohnungseigentümer auch gegen einen anderen Wohnungseigentümer die Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB zu.5 d) Konkreter Fall: Keine Unbestimmtheit des Begehrens auf Entfernung und

Wiederherstellung des vorherigen Zustands Zum Sachverhalt: Die Lage der Steine hat das Erstgericht mittels eines in die Tatsachenfeststellungen kopierten Fotos festgestellt. Angesichts ihrer Größe und ihres Gewichts ist die Meinung des Beklagten, das Begehren auf Entfernung sei zu unbestimmt, unverständlich. Es kann kein Zweifel daran bestehen, welche Steine von welcher Stelle entfernt werden sollen. e) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Die Revision des Beklagten zeigt somit keine erhebliche Rechtsfrage auf und ist daher – entgegen dem nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – als unzulässig zurückzuweisen. Anmerkung: Fraglich bliebe im vorliegenden Fall, wie der Umstand, dass sich allgemeine Teile der Liegenschaft auf Liegenschaftsteile erstrecken, die ursprünglich „parifiziert“, also mit einem Nutzwert versehen worden waren, saniert werden kann. Die Beantwortung der Frage wird wohl davon abhängig sein, ob die gegenständliche Nutzwertermittlung erst nach der konkludenten Umwidmung und Errichtung des Wegs vorgenommen wurde, oder ob die Nutzwertermittlung der Umwidmung und Errichtung des Wegs zeitlich voranging. Im erstgenannten Fall ist der Tatbestand des Verstoßes gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertermittlung erfüllt, der gemäß § 9 Abs 2 Z 1 WEG Grundlage für eine zeitlich unbefristete Antragstellung auf Neufestsetzung der Nutzwerte ist. Der zweitgenannte Fall ist hingegen als abweichende Bauführung im Sinne des § 9 Abs 2 Z 3 WEG zu qualifizieren, bei welcher erstens die abweichende Bauführung eine Änderung des Nutzwerts eines Wohnungseigentumsobjekts von mehr als drei Prozent herbeigeführt haben muss und zweitens der Antrag auf Neufestsetzung der Nutzwerte im Lichte des § 10 Abs 2 WEG (bzw § 3 Abs 2 WEG 1975) bereits zeitlich ausgeschlossen ist (zumal die Antragstellung innerhalb eines Jahres ab Vollendung der Bauführung erfolgen hätte müssen). Hier stünde als Sanierungsvariante nur mehr eine einvernehmliche Neufestsetzung der Nutzwerte im Sinne des § 9 Abs 6 WEG zur Verfügung. ***

§ 2 Abs 4 WEG (und § 9 Abs 2 Z 1 WEG) Räume, die der Beheizung des Hauses dienen, sind zwingend allgemeine Teile der Liegenschaft und daher nicht wohnungseigentumsfähig OGH 3.10.2018, 5 Ob 74/18w

5 5 Ob 25/08z mit weiteren Nachweisen.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 4

Der OGH (5 Ob 74/18w) hat ganz im Sinne ständiger Rechtsprechung Räumlichkeiten, die der Beheizung des Hauses dienen (Hackschnitzellager und Technikraum), als zwingend allgemeine Teile der Liegenschaft qualifiziert, an denen kein Wohnungseigentum begründet werden kann. Bei einem insoweit vorliegenden Verstoß gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung steht jedem Miteigentümer zeitlich unbefristet und ohne Bagatellgrenze ein Antrag nach § 9 Abs 2 Z 1 WEG offen. Sachverhalt: Die Parteien sind bzw waren zum Zeitpunkt des Sachbeschlusses erster Instanz die Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ *****. Die Wohnhausanlage besteht aus drei Baukörpern, die über das Kellergeschoss miteinander verbunden sind. Die Erstantragsgegnerin, die ursprünglich Alleineigentümerin der Liegenschaft war, agierte als Bauträgerin und Wohnungseigentumsorganisatorin. Die Begründung von Wohnungseigentum erfolgte auf Grundlage eines Parifizierungsgutachtens aus dem Jahr 2006, in dem – neben 26 Wohnungen, einem Büro und 36 Kraftfahrzeugabstellplätzen – als Top 62 (Lager) das Hackschnitzellager und als Top 63 (Technik) der Heizraum der Wohnhausanlage als Wohnungseigentumsobjekte ausgewiesen waren. Beide im Keller gelegene Räumlichkeiten wurden von Anfang an und werden nach wie vor zum Zweck der Beheizung der Liegenschaft verwendet. Die Wohnhausanlage verfügt über keine andere Heizung. An beiden Objekten behielt sich die Bauträgerin das Mit- und Wohnungseigentumsrecht vor. Den Heizkessel legte sie von Anfang so aus, dass eine Beheizung weiterer Objekte von dort aus möglich war, tatsächlich wird mit der Hackschnitzelheizung nicht nur die gesamte Wohnungseigentumsanlage, sondern auch ein angrenzendes Einfamilienhaus samt integriertem Büro beheizt. Anlässlich des Kaufs ihrer Objekte mussten die Interessenten einen zwischen der Eigentümergemeinschaft, vertreten durch die Verwalterin, und der Bauträgerin als Wärmelieferantin abgeschlossenen Wärmeliefervertrag unterzeichnen, der eine Laufzeit von 15 Jahren – mit Verlängerungsmöglichkeit – sowie die Übernahme der Objekte Top 62 und Top 63 samt eingebauter Anlagen und allfälliger Lieferverpflichtungen an Dritte durch die Eigentümergemeinschaft nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zu einem von einem Sachverständigen zu ermittelnden Verkehrswert als Kaufpreis vorsah. Die 1. bis 26. Antragsteller begehrten die Neufestsetzung der Nutzwerte. Heizraum und Hackschnitzelbunker seien zwingend Allgemeinflächen, an denen Wohnungseigentum nicht begründet hätte werden dürfen. Der Gesamtnutzwert der Liegenschaft ändere sich dadurch von 4770stel auf 4704tel Anteile.

Der über Veranlassung des OGH dem Verfahren beigezogene 27. Antragsteller und die 28. Antragstellerin erklärten dem Verfahren auf Antragstellerseite beizutreten.

Das Erstgericht setzte die Nutzwerte dem Antrag entsprechend neu fest.

Heizraum und Bunker für die Hackschnitzelheizung seien notwendig allgemeine Teile.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 5

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegner nicht Folge.

Da die Wohnungseigentumsanlage über keine andere Heizung verfüge und die Hackschnitzelheizung der Beheizung des gesamten Objekts diene, seien die Räume Top 62 und Top 63 für die Wärmeversorgung der Anlage zwingend erforderlich. Dass ein angrenzendes Einfamilienhaus samt integriertem Büro von dieser Heizung beheizt werde, ändere daran nichts. Ein Bezug von Wärme durch einen externen Wärmelieferanten (Fernwärmeheizung) liege hier nicht vor. Selbst in einem solchen Fall müsste die Übergabestation (Schnittstelle) auf einem notwendig allgemeinen Teil der Liegenschaft liegen. Eine Contracting-Konstruktion in Form des Wärmeliefervertrags könne als bloß vertragliche Regelung Verstöße gegen die zwingenden Grundsätze des § 3 Abs 3 iVm § 2 Abs 4 WEG nicht sanieren.

Der Revisionsrekurs wurde vom Rekursgericht zugelassen, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu vorliege, ob der Heizraum und der Hackschnitzellagerraum in einer Wohnungseigentumsanlage zwingend allgemeine Teile der Liegenschaft sein müssten, wenn über die in diesen Räumen befindliche Heizung auch externe Wärmebezieher mit Wärme beliefert werden und die jeweiligen Wohnungseigentümer in einer vertraglichen Beziehung mit der Betreiberin der Heizanlage stehen. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Zu fehlenden Wohnungseigentumsfähigkeit zwingend allgemeiner Teile der

Liegenschaft Nach gesicherter Rechtsprechung6 sind Teile des Hauses, auf deren Mitbenützung auch Dritte angewiesen sind, um ihre individuellen oder gemeinschaftlichen Nutzungsrechte ausüben zu können, als allgemeine Teile der Liegenschaft zu beurteilen, an denen Wohnungseigentum nicht begründet werden kann. Grundsätzlich liegt ein notwendig allgemeiner Teil im Sinne des § 2 Abs 4 zweiter Fall WEG dann vor, wenn das Objekt kraft faktischer Beschaffenheit von vornherein nicht als Wohnung oder Zubehör nutzbar ist, weil ihm die Eignung fehlt, selbständig und ausschließlich benutzt zu werden.

Dass mit dem 3. WÄG 1994 in den Text des damaligen § 1 Abs 4 WEG 1975 neben der Hausbesorgerwohnung auch die gemeinsame Wärmeversorgungsanlage ausdrücklich eingefügt wurde, brachte ebenso wenig eine inhaltliche Änderung wie der Entfall dieses Passus im Zug der WRN 2000.

Maßgebend für den Charakter als notwendig allgemeiner Teil ist unverändert die Zweckbestimmung innerhalb der Gesamtliegenschaft.7 Entgegenstehende Vereinbarungen können grundsätzlich an der mangelnden Wohnungseigentumstauglichkeit notwendig allgemeiner Teile nichts ändern.8

6 RIS-Justiz RS0097520. 7 RIS-Justiz RS0125757; 5 Ob 201/09h. 8 5 Ob 305/98h; 5 Ob 226/07g; 5 Ob 171/12a.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 6

Demgemäß wurden bereits der Zugang zum Heizraum9, der Heizraum selbst10 und eine Heizungspumpe im Vorhaus der Anlage bei der „Übergabestelle“ eines mit Fernwärme beheizten Objekts11 als notwendiger allgemeiner Teil der Liegenschaft beurteilt. Bei einem insoweit vorliegenden Verstoß gegen zwingende Grundsätze steht ein Antrag nach § 9 Abs 2 Z 1 WEG – unbefristet und ohne Bagatellgrenze – offen.12 b) Konkreter Fall: Bunker für Hackschnitzelheizung und Heizraum sind zwingend

allgemeine Teile der Liegenschaft Zum Sachverhalt: An diesen in der Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen hat sich das Rekursgericht orientiert und sie auf den konkreten Einzelfall jedenfalls vertretbar angewendet. Der Umstand alleine, dass sich die Erstantragsgegnerin im Wege eines Contracting-Vertrags zur Lieferung von Heizwärme nicht nur gegenüber den anderen Mit- und Wohnungseigentümern der Anlage verpflichtet hat, sondern von dieser Heizungsanlage aus auch ein weiteres Objekt mit Wärme beliefert wird, ändert nichts daran, dass nach den Feststellungen von einer nicht nur bau-, sondern auch wohnungseigentumsrechtlichen Widmung der Top 62 und Top 63 als Bunker für die Hackschnitzelheizung und Heizraum auszugehen ist und diese Objekte seit Errichtung der Anlage nur in diesem Sinn verwendet wurden. Für die im Revisionsrekurs monierte Widmung als Geschäftslokal eines Fernwärmeerzeugungsunternehmens fehlt es an einer ausreichenden Grundlage im Sachverhalt, wonach die im Heizraum etablierte Hackschnitzelheizung der zentralen Wärmeversorgung der gesamten Wohnungseigentumsanlage und nicht etwa Geschäftszwecken eines Fernmwärmeunternehmens dient. Überdies war im Verfahren nicht strittig, dass die durch diese Hackschnitzelheizung produzierte Wärme in weitaus überwiegendem Ausmaß der Beheizung der Objekte der Wohnungseigentumsanlage dient, nimmt doch die Lieferung der Heizwärme für das externe Objekt nur etwa 20 % der gesamten produzierten Wärme in Anspruch. Dass sämtliche Beteiligten von einer Zweckbestimmung dieser beiden Objekte primär zu Zwecken der Beheizung der Wohnungseigentumsanlage im Sinn einer zentralen Wärmeversorgung ausgingen, ergibt sich auch aus dem Wärmeliefervertrag, der – in rechtlich im Hinblick auf die insoweit nicht gegebene Rechtsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft (§ 18 Abs 1 WEG) bedenklicher Weise – einen Ankauf der Objekte Top 62 und Top 63 durch diese zu einem von einem Sachverständigen festzulegenden Kaufpreis vorsah. c) Konkreter Fall: Es liegt auch kein Bezug von Fernwärme aufgrund eines von jedem

Mit- und Wohnungseigentümer mit der Bauträgerin als Fernwärmelieferantin abgeschlossenen Wärmeliefervertrags vor

Zum Sachverhalt: Ein Bezug von Fernwärme aufgrund eines von jedem einzelnen Mit- und Wohnungseigentümer mit der Bauträgerin als Fernwärmelieferantin abgeschlossenen

9 5 Ob 113/95. 10 5 Ob 171/12a. 11 5 Ob 230/13d = Newsletter vom 25. Juni 2014. 12 Vgl RIS-Justiz RS0117708; 5 Ob 171/12a.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 7

Wärmeliefervertrags ergibt sich aus den Feststellungen nicht. Schon das Rekursgericht wies zutreffend darauf hin, dass der Wärmeliefervertrag von der Eigentümergemeinschaft, vertreten durch den Verwalter, abgeschlossen wurde; dass von den Kaufinteressenten anlässlich des Kaufs auch die Unterfertigung dieses Wärmeliefervertrags (offenbar zur Information) verlangt wurde, vermag zwar – im hier gegebenen Zusammenhang nicht näher zu erörternde – Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit dieser Vereinbarung im Sinn des § 38 Abs 1 Z 1 WEG zu begründen13, bietet aber keine ausreichende Grundlage dafür, rechtlich davon auszugehen, jeder einzelne Mit- und Wohnungseigentümer hätte mit der Bauträgerin als Fernwärmelieferantin einen Fernwärmebezugsvertrag abgeschlossen. Von einer im Revisionsrekurs so bezeichneten „strukturellen Entscheidung für Fernwärme“ ist hier aber nach der vertretbaren Auffassung des Rekursgerichts weder nach der Widmung der in Rede stehenden Räumlichkeiten noch der tatsächlichen Gestaltung der Wärmeversorgung der einzelnen Objekte auszugehen. d) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Der ordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegner ist ungeachtet des den OGH nicht bindenden Ausspruchs des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) nicht zulässig. Da sich die Entscheidung des Rekursgerichts in dem von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bereits vorgegebenen Rahmen hält, war der Revisionsrekurs zurückzuweisen. Er zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG). ***

§ 3 Abs 1 Z 3 WEG Zur Realteilung im Wege zusätzlicher Wohnungseigentumsbegründung im Mischhaus OGH 3.10.2018, 6 Ob 110/18i

Der OGH (5 Ob 110/18i) hatte sich mit einem Fall einer Realteilung im Wege zusätzlicher Wohnungseigentumsbegründung im Mischhaus auseinanderzusetzen. Dabei gelangte er zum Ergebnis, dass bei dieser nachträglichen Wohnungseigentumsbegründung zwar nicht in die Miteigentumsrechte der bereits vorhandenen Wohnungseigentümer (im Sinne des Wohnungseigentums als ausschließliches Nutzungsrecht an einem bestimmten Objekt) eingegriffen werden dürfe, die Nutzwerte aber nicht zwingend unverändert bleiben müssen. Auch die Eigenmächtigkeit von Umbaumaßnahmen schließt diese Form der Realteilung nicht aus. Sachverhalt: Die Parteien sind – bzw waren im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Streitanhängigkeit14 bei angemerkter Teilungsklage15 – Miteigentümer einer Liegenschaft samt Wohnhaus. Es handelt sich um ein sogenanntes Mischhaus, das teilweise im

13 Vgl 1 Ob 220/14f. 14 RIS-Justiz RS0109183. 15 RIS-Justiz RS0118029.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 8

Wohnungseigentum und teilweise im schlichten Miteigentum steht. An den Wohnungen, an denen Wohnungseigentum nicht besteht, wurden einzelnen Wohnungseigentümern und auch schlichten Miteigentümern durch Benutzungsregelungen ausschließliche Benützungsrechte eingeräumt. Die Kläger begehren die Aufhebung der Miteigentumsgemeinschaft hinsichtlich der noch im schlichten Miteigentum stehenden 418/979-Anteile durch Begründung von Wohnungseigentum (§ 3 Abs 1 Z 3 WEG) entsprechend dem Teilungsvorschlag, der die Wohnungseigentumsbegründung nach dem im Jahr 1997/1998 abgeschlossenen Wohnungseigentumsvertrag vorsah. Dieser Teilungsvorschlag sei dahingehend zu ergänzen, dass bei einigen der im schlichten Miteigentum stehenden Objekte auch die – näher bezeichneten – zwischenzeitigen Umbauten (Einbeziehung von Gang-WC und Bassena-Bereichen samt Wanddurchbrüchen) zu berücksichtigen seien. Eine Neufestsetzung der Nutzwerte bedeute keine Beeinträchtigung der bisherigen Wohnungseigentümer. Selbst unter Berücksichtigung dieser Umbauten sei eine Teilung ohne unverhältnismäßige Ausgleichszahlungen möglich.

Dem Viert- und der Fünftbeklagten seien die Wohnungen 4, 11 und 12 als Eigentümerpartnerschaft, dem Erstkläger die Wohnungen 1 und 14, dem Erstbeklagten die Wohnungen 5 und 6, der Zweitbeklagten die Wohnung 18, der Fünftklägerin die Wohnung 16, der Viertklägerin die Wohnung 23 und dem Drittkläger die Wohnung 25 zuzuweisen.

Die erst-, viert- und fünftbeklagten Parteien wendeten insbesondere ein, die seinerzeitige Nutzwertberechnung sei wegen der späteren Umbauten überholt. Die Rückbaukosten seien in Relation zum Gesamtwert des Hauses unverhältnismäßig hoch. Der Teilungsvorschlag der Kläger, der eine Zusammenlegung von Wohnungseigentumsobjekten mit Objekten, an denen kein Wohnungseigentum bestehe, vorsehe, sei unzulässig. Nur die im schlichten Miteigentum stehenden Objekte – ohne die bereits im Wohnungseigentum stehenden Objekte zu tangieren – seien Gegenstand der Teilung. Der Teilungsvorschlag betreffe allgemeine Teile des Hauses, die nur mit – hier nicht vorliegender – Zustimmung aller Miteigentümer aufgeteilt werden dürften. Dies gelte besonders für die bereits erfolgte Zusammenlegung der Wohnungen Top 24 und 25, wobei der in die Top 25 eingezogene allgemeine Teil des Hauses wieder ein solcher werden müsse. Um nicht gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertfestsetzung zu verstoßen, müsse die Ermittlung der Mindestanteile auch auf die Mindestanteile der bestehenden Wohnungseigentumsobjekte Bezug nehmen. Dies habe das Berufungsgericht im ersten Rechtsgang jedoch ausgeschlossen. Ausgehend von der im ersten Rechtsgang vom Berufungsgericht überbundenen Rechtsansicht zur Beschränkung der Wohnungseigentumsbegründung an den verbleibenden schlichten Miteigentumsanteilen wies das Erstgericht im zweiten Rechtsgang die Teilungsklage ab.

Es stellte insbesondere Folgendes fest: „1998 wurde an einzelnen Objekten Wohnungseigentum begründet. Die im schlichten Miteigentum stehenden Wohnungen sind aufgrund von Benützungsvereinbarungen zugewiesen: Top 1, 14 an Erstkläger, Top 25 an Drittkläger, Top 23 an Viertklägerin, Top 16 an Fünftklägerin, Top 5 und 6 an Erstbeklagte, Top 18 an Zweitbeklagte, Top 4, 11, 12 an Viert- und Fünftbeklagte je zur Hälfte. 2004 wurden folgende bauliche Änderungen vorgenommen: Bei Top 4 Änderung der Raumeinteilung, bei Top 5 und 11

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 9

jeweils Einbau von Bad und WC und Veränderung der Raumeinteilung. Zu nicht feststellbaren Zeitpunkten wurden folgende bauliche Veränderungen durchgeführt: Bei Top 12, 14, 18 und 25: Jeweils Integrierung eines Gang-WC´s und einer Zugangsfläche zur Wohnung in den Wohnungsverband, bei Top 23 Integrierung eines Gang-WC´s in den Wohnungsverband, Abtrennung des Badezimmers mit einer Mauer und Abschließung einer Gangtüre sowie einer Tür zwischen zwei Zimmern. Unter Berücksichtigung dieser Änderungen beträgt die Summe

der Nutzwerte aller Liegenschaftsanteile 1.009.“ Auf Basis dieses neuen Gesamtnutzwerts stellte das Erstgericht die einzelnen Nutzwerte für die Wohnungen, an denen noch kein Wohnungseigentum begründet wurde, fest. Rechtlich folgerte es zusammengefasst, die Begründung von Wohnungseigentum sei nur zulässig, wenn sie sich auf alle wohnungseigentumstauglichen Objekte beziehe, die nach der Widmung der Miteigentümer als Wohnungseigentumsobjekte vorgesehen seien. An allgemeinen Teilen des Hauses könne Wohnungseigentum nicht begründet werden. Grundlage für die Einverleibung des Wohnungseigentums sei ein Nutzwertgutachten im Sinn des § 9 Abs 1 WEG oder die rechtskräftige Entscheidung über die gerichtliche Nutzwertfestsetzung im Sinne des § 9 Abs 2 WEG. Maßgeblich für die Bewertung sei der Zeitpunkt der Gutachtenserstattung. Durch die Veränderung der Objekte sei es zwangsläufig zu einer Verschiebung der Nutzwerte und geringfügigen Anteilsverschiebungen gekommen. Die Teilung durch Wohnungseigentumsbegründung sei ausschließlich auf die noch im schlichten Miteigentum stehenden 418/979-Anteile zu beziehen, während aufgrund der Umbauarbeiten an den Wohnungen die Summe der Nutzwerte aller Anteile zum Zeitpunkt der Gutachtenserstattung 1009 betrage. Daran scheitere die Klage auf Begründung von Wohnungseigentum. Die Teilung nur der schlichten Miteigentumsanteile wäre nur möglich, wenn die in der Zwischenzeit erfolgten Veränderungen in den Objekten nicht berücksichtigt würden.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung.

Das Gesetz regle nicht, wie im streitigen Teilungsprozess die für die Parifizierung nötigen Nutzwerte ermittelt werden müssen. Jedenfalls müsse aber ermittelt werden, ob eine ausreichende Zahl an Wohnungseigentumsobjekten vorhanden sei oder ohne unverhältnismäßigen Aufwand geschaffen werden könne. Der Nutzwert sei eine Maßzahl, aus der der Wert eines Wohnungseigentumsobjekts im Verhältnis zu den Werten der anderen Wohnungseigentumsobjekte zu erkennen sei. Eine zwingende gesetzliche Anordnung, ihn mit eins festzusetzen, bestehe nicht, sie sei aber eine empfohlene Methode, welche der Sachverständige auch seinem Gutachten zugrunde gelegt habe. Dieser sei nicht verpflichtet gewesen, „das Gutachten an dessen Ergebnis orientiert“ also so abzufassen, dass die Wohnungseigentumsbegründung am schlichten Miteigentum möglich sei.

Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision zu. Der OGH habe zu den Fragen, ob bei einem Mischhaus die Festsetzung der Nutzwerte im Teilungsverfahren auf die noch im schlichten Miteigentum stehenden Objekte beschränkt sei und deshalb keine Änderung der bestehenden Wohnungseigentumsobjekte erfolgen dürfe, sowie ob das Gericht dem beizuziehenden Sachverständigen rechtliche Vorgaben zu machen habe, welche die Begründung von Wohnungseigentum in Mischhäusern möglich machen (Auswahl des Referenzobjekts, Bestimmung des Nutzwerts), noch nicht Stellung genommen.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 10

Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Zur Begründung von Wohnungseigentum als Sonderform der Realteilung Die Begründung von Wohnungseigentum gilt als Sonderform der Realteilung.16 Der Realteilung kommt grundsätzlich der Vorrang vor der Zivilteilung zu.17 b) Zur Realteilung im Wege zusätzlicher Wohnungseigentumsbegründung im Mischhaus Der Gesetzgeber des WEG 2002 verfolgte das Gesamtziel, die Entstehung neuer Mischhäuser zu verhindern und bestehende Mischhäuser allmählich in „volle“ Wohnungseigentumshäuser umzuwandeln.18 Im Mischhaus erfolgt die Realteilung durch zusätzliche Begründung von Wohnungseigentum an den schlichten Miteigentumsanteilen.

Dem steht § 35 Abs 2 WEG nach der Rechtsprechung des OGH nicht entgegen, weil bei dieser speziellen Form der Realteilung die Miteigentumsgemeinschaft der Mit- und Wohnungseigentümer nicht beseitigt wird, sondern in anderer Form fortbesteht.19

c) Zur Möglichkeit der Realteilung im Wege der Wohnungseigentumsbegründung Die Realteilung durch gerichtliche Wohnungseigentumsbegründung hat jedem Miteigentümer entsprechend seinem Anteil Wohnungseigentum einzuräumen. Es müssen daher wohnungseigentumsfähige Objekte in ausreichender Zahl vorhanden sein oder ohne unverhältnismäßigen Aufwand geschaffen werden können. Die Miteigentümer müssen auch über ausreichende Mindestanteile verfügen, welche die Zuweisung von Sondernutzungsrechten an konkreten Objekten erlauben.20 Gibt es mehr Miteigentümer als (mögliche) Wohnungseigentumsobjekte, ist die Realteilung dennoch möglich, wenn ein Miteigentümer auf ein eigenes Wohnungseigentumsobjekt verzichtet21 oder zwei Miteigentümer eine Wohnungseigentumspartnerschaft gründen wollen22. d) Zur Tunlichkeit der Realteilung im Wege der Wohnungseigentumsbegründung Unverhältnismäßig hohe Umbau- oder Teilungskosten sowie ein unverhältnismäßig hoher Wertausgleich können die Realteilung „untunlich“ machen.23 Ein unverhältnismäßig hoher Wertausgleich hindert die Realteilung jedoch nicht, wenn die von einer Anteilsverminderung betroffenen Miteigentümer auf eine Ausgleichszahlung verzichten und mit der Verminderung ihrer Anteile einverstanden sind.24

16 RIS-Justiz RS0106352 [T1]; RS0013236 [T2]; RS0101771 [T5]. 17 § 843 ABGB; RIS-Justiz RS0013236. 18 5 Ob 68/07x mit weiteren Nachweisen. 19 5 Ob 68/07x; 5 Ob 12/09i; RIS-Justiz RS0101771 [T7]. 20 RIS-Justiz RS0101771 [T3]. 21 RIS-Justiz RS0101771 [T2]. 22 5 Ob 93/10b mit weiteren Nachweisen. 23 5 Ob 4/09p = RIS-Justiz RS0013865 [T9]. 24 5 Ob 93/10b = RIS-Justiz RS0013856 [T12] = RS0013854 [T10].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 11

e) Das Gericht ist im Teilungsverfahren an einen konkreten Teilungsvorschlag der Kläger

nicht gebunden Weder die Realteilungsklage noch die gerichtliche Entscheidung muss eine konkrete Wohnungseigentumsbegründung durch Festsetzung von Nutzwerten für die Wohnungseigentumsobjekte enthalten.25 Mindestvoraussetzung ist nur, dass an der Liegenschaft Wohnungseigentum zu begründen ist.26 Diese Möglichkeit besteht jedoch nicht, wenn – wie hier – ein konkreter Teilungsvorschlag durch Begründung von Wohnungseigentum an schlichten Miteigentumsanteilen mit Festsetzung eines Einzel- und Gesamtnutzwerts vorliegt. Über diesen muss das Gericht verhandeln, ist aber nicht daran gebunden. Folgt es diesem Teilungsvorschlag nicht, ist die Klage nicht abzuweisen, sondern die angemessene Realteilung zu verfügen.27 Eine konkrete Teilung durch Zuordnung bestimmter Wohnungseigentumsobjekte mit entsprechenden Anteilen abweichend vom Teilungsvorschlag ist daher grundsätzlich zulässig. f) Die Beschränkung der Wohnungseigentumsbegründung auf die schlichten

Miteigentumsanteile bedeutet nicht, dass die für die bestehenden Wohnungseigentumsobjekte anlässlich der Begründung von Wohnungseigentum zwingend unverändert bleiben müssen

Zum Sachverhalt: Das Berufungsgericht schließt im konkreten Fall eine Realteilung durch Begründung von zusätzlichem Wohnungseigentum im Mischhaus aus. Seiner Meinung nach greift der Ausspruch der Wohnungseigentumsbegründung an den schlichten Miteigentumsanteilen mit 448/1009-Anteilen in das bereits mit 561/979-Anteilen bestehende Wohnungseigentum ein und kommt daher im Ergebnis einer Neufestsetzung der Nutzwerte am gesamten Haus gleich, die der Gesetzgeber dem speziellen Verfahren nach den §§ 9 f WEG vorbehalten hat. Der erkennende Senat teilt diese Auffassung nicht: Die in der Judikatur geforderte Beschränkung der Wohnungseigentumsbegründung auf die schlichten Miteigentumsanteile28 ist im Kontext mit dem gesetzlichen Teilungsverbot des § 35 Abs 2 WEG zu sehen. Nach dieser Bestimmung ist die Aufhebung der Miteigentumsgemeinschaft bei bestehendem Wohnungseigentum nicht zulässig. Sie verbietet nach der Argumentation des OGH aber nur die Zivilteilung, also die gänzliche Aufhebung der sowohl schlichte Miteigentümer als auch Wohnungseigentümer erfassenden Miteigentumsgemeinschaft, während die (zusätzliche) Begründung von Wohnungseigentum als Sonderform der Realteilung die Miteigentumsgemeinschaft in anderer Form fortbestehen lässt. Zu 5 Ob 12/09i stellte der OGH klar, dass mit Formulierungen wie „das bestehende Wohnungseigentum wird nicht tangiert“ gemeint ist, dass dieses während eines Teilungsverfahrens durch Begründung von zusätzlichem Wohnungseigentum an den

25 RIS-Justiz RS0101774 [T5, T6]; RS0013835 [T3]. 26 RIS-Justiz RS0101771 [T12]; RS0101774 [T4]. 27 5 Ob 151/08d = RIS-Justiz RS0113832 [T8 bis T10]. 28 5 Ob 68/07x; 5 Ob 12/09i.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 12

schlichten Miteigentumsanteilen nicht aufgehoben oder eingeschränkt werden kann. Die Beseitigung des Mischhauses ändert aber nach den Überlegungen des OGH die Rechtsqualität der bestehenden Miteigentümergemeinschaft, weshalb alle schlichten Miteigentümer und Wohnungseigentümer dem Verfahren beigezogen werden müssen. Zum Sachverhalt: Das ist im vorliegenden Fall erfolgt. Die Beschränkung auf die Wohnungseigentumsbegründung an den schlichten Miteigentumsanteilen bedeutet nämlich nicht, dass die für die bestehenden Wohnungseigentumsobjekte anlässlich der Begründung von Wohnungseigentum noch nach dem Regime des WEG 1975 festgesetzten Nutzwerte zwingend unverändert bleiben müssen. Die bisherigen Wohnungseigentümer dürfen nur ihr Miteigentumsrecht verbunden mit Wohnungseigentum als dem ausschließlichen Nutzungsrecht an einem bestimmten Objekt nicht verlieren. Der Mindestanteil ist der Miteigentumsanteil, der zum Erwerb von Wohnungseigentum an einem Wohnungseigentumsobjekt erforderlich ist. Er entspricht dem Verhältnis des Nutzwerts des Objekts zur Summe der Nutzwerte aller Wohnungseigentumsobjekte der Liegenschaft (§ 2 Abs 9 WEG). Er ist nur eine Zahl, die das Verhältnis sämtlicher Objekte auf der Liegenschaft zueinander ausdrückt. Eine Änderung dieser Zahl, die Nutzwertneufestsetzung, greift nicht in das einem Miteigentümer einer Liegenschaft oder einer Eigentümerpartnerschaft eingeräumte dingliche Recht, ein Wohnungseigentumsobjekt ausschließlich zu nutzen und darüber zu verfügen (§ 2 Abs 1 WEG) ein. Sie bedeutet keine unmittelbare Eigentumsveränderung, insbesondere auch keine Änderung der Anteilsverhältnisse29, sondern bildet nur die Grundlage für eine nachfolgende Änderung des Mindestanteils und muss allenfalls im Rechtsweg durchgesetzt und verbüchert werden.30 g) Hinsichtlich der „neuen“ Wohnungseigentumsobjekte findet eine erstmalige

Nutzwertfestsetzung statt und keine Änderung der Nutzwerte Der Veränderlichkeit des Nutzwerts trägt das WEG in § 9 Abs 2 iVm Abs 3 Rechnung (nachträgliche Änderung des Nutzwerts in bestimmten Fällen). Außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle lässt die Rechtsprechung eine Neufestsetzung des Nutzwerts beispielsweise bei Widmungsänderungen (wie von allgemeinen Teilen auf Zubehör) oder bei Neuschaffung von Wohnungseigentumsobjekten (Dachbodenausbau) zu. Die zusätzliche Begründung von Wohnungseigentum an (durch bauliche Maßnahmen noch zu errichtenden bzw wie hier bereits errichteten, allgemeine Teile beanspruchenden) Wohnungseigentumsobjekten im Mischhaus ist vergleichbar der Umwidmung von allgemeinen Teilen auf Zubehör oder der Neuschaffung von Wohnungseigentumsobjekten als Grund für die Neufestsetzung der Nutzwerte anzusehen. Die Nutzwertneufestsetzung ist – ebenso wie die erstmalige Festsetzung des Nutzwerts (§ 9 Abs 2 WEG) – dem wohnungseigentumsrechtlichen Außerstreitverfahren vorbehalten (§ 52 Abs 1 Z 1 WEG).

29 RIS-Justiz RS0106054. 30 RIS-Justiz RS0106055.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 13

Zum Sachverhalt: Darin sehen die Erst- und der Sechstbeklagte das wesentliche Hindernis für die Realteilung. Sie argumentieren in der Revisionsbeantwortung zudem mit der Fristgebundenheit eines Antrags auf Nutzwertneufestsetzung im Sinne des § 10 WEG und der fehlenden Zustimmung aller Mit- und Wohnungseigentümer zu den erfolgten Umbauten in jenen Wohnungen, die im schlichten Miteigentum stehen. In den Fällen der erstmaligen Begründung von Wohnungseigentum durch ein Teilungsurteil, das sich bei Vorliegen eines konkreten Teilungsvorschlags nicht nur auf den Ausspruch der grundsätzlichen Begründung von Wohnungseigentum zu beschränken hat, ist es aber zulässig, die Nutzwerte im Urteil festzusetzen, basierend auf einem Nutzwertgutachten eines Sachverständigen. In diesem Fall erfolgt die Nutzwertfestsetzung eben in einem streitigen Teilungsprozess in Form eines Rechtsgestaltungsurteils, ansonsten ist sie dem Exekutionsverfahren nach § 351 EO vorbehalten.31 Zum Sachverhalt: Hinsichtlich der „neuen“ Wohnungseigentumsobjekte findet eine erstmalige Nutzwertfestsetzung statt und keine Änderung der Nutzwerte. Die Fristgebundenheit eines Antrags auf Nutzwertfestsetzung in bestimmten Fällen (§ 9 Abs 2 WEG) überzeugt deshalb nicht als Gegenargument.

Zum Sachverhalt: Es ist auch nicht verständlich, warum die grundsätzliche Zuordnung des Nutzwert(neu-)festsetzungsverfahrens in das wohnungs-eigentumsrechtliche Außerstreitverfahren der Realteilung durch Begründung von zusätzlichen Wohnungseigentum im Mischhaus mit konkreter Nutzwertfestsetzung, die sich auch auf das bestehende Wohnungseigentum auswirkt, entgegen stehen sollte. Zufolge § 52 Abs 2 Z 1 WEG haben in derartigen Verfahren sämtliche Wohnungseigentümer Parteistellung. Dieser zwingenden Beiziehung trägt die Rechtsprechung im Realteilungsverfahren betreffend ein Mischhaus Rechnung, indem sie alle schlichten Miteigentümer und Wohnungseigentümer als einheitliche Streitpartei (§ 14 ZPO) ansieht. Damit ist das Gehör der „alten“ Wohnungseigentümer gewährleistet.

h) Das Ergebnis des Sachverständigengutachtens ist in der Regel nicht revisibel Das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens ist nur in Ausnahmefällen eine revisible Rechtsfrage, so etwa wenn es gegen zwingende Denkgesetze verstößt.32 Die Auswahl einer anerkannten Methode für die Festsetzung der Nutzwerte (Wahl des Referenzwerts) entzieht sich der Beurteilung durch den OGH. i) Konkreter Fall: Keine Unmöglichkeit der Realteilung Zum Sachverhalt: Dass im konkreten Fall eine ausreichende Anzahl von Wohnungseigentumsobjekten vorhanden ist, ist ebenso wenig strittig wie deren Wohnungseigentumstauglichkeit. Gegen die (teils notwendige) Begründung von Eigentümerpartnerschaften haben die betroffenen Miteigentümer im Revisionsverfahren keine Einwände erhoben.

31 RIS-Justiz RS0118839 [T2]. 32 RIS-Justiz RS0043404.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 14

j) Die Eigenmächtigkeit von Umbaumaßnahmen schließt die Realteilung nicht aus Zum Sachverhalt: Zu klären bleibt, ob der Beurteilung durch den Sachverständigen der „Ist-Zustand“ zugrunde zu legen ist, demnach die baulichen Veränderungen der durch Benützungsvereinbarungen einzelnen Miteigentümern zugewiesenen Wohnungen zu berücksichtigen sind. An der Liegenschaft wurde im Jahr 1998 teilweise Wohnungseigentum begründet. Zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten wurden einige der Wohnungen, an denen noch kein Wohnungseigentum begründet war, baulich verändert. Teilweise handelte es sich um Einbau von Bad und WC und Veränderung der Raumeinteilung. Bei den Objekten Top 12, 14, 18, 23 und 25 wurden jedoch allgemeine Flächen des Hauses (Gang-WC und Zugangsflächen) in den Wohnungsverband integriert. Schlichten Miteigentümern steht kein Änderungsrecht nach § 16 WEG zu.33 Ein Fall des § 37 Abs 5 WEG liegt hier nicht vor. Zum Sachverhalt: Abgesehen von geringfügigen Änderungen im Inneren des Objekts wären die darüber hinausgehenden baulichen Maßnahmen, insbesondere die Beanspruchung allgemeiner Teile jedenfalls nur mit Zustimmung aller Mit- und Wohnungseigentümer zulässig gewesen. Ob diese vorlag (allenfalls erteilt im Rahmen der Benützungsregelung) steht nicht fest. Eine Eigenmächtigkeit der Umbaumaßnahmen schließt die Realteilung jedoch nicht aus. Die Zulässigkeit oder Tunlichkeit der Realteilung durch Begründung von Wohnungseigentum hängt nämlich nicht davon ab, dass sich die Teilhaber über die konkrete Art und Weise der Gestaltung eines oder einzelner Wohnungseigentumsobjekte einig sind.34 Zwar kann seit 2002 auch an Substandardwohnungen Wohnungseigentum begründet werden, weshalb der Einbau von Badezimmern und Einbeziehung von Gang-WC´s keine zwingende Voraussetzung für die Wohnungseigentumstauglichkeit der einzelnen Wohnungen war. Wenn aber die Begründung von Wohnungseigentum nach dem Ist-Zustand eine vernünftige Lösung ist, weil sie eine Realteilung ohne unverhältnismäßig hohe Umbau- oder Teilungskosten sowie unverhältnismäßigen Wertausgleich ermöglicht und diese damit tunlich macht, entspricht sie dem vom Gesetzgeber angestrebten Ziel der Beseitigung von Mischhäusern. k) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Die Revision der Kläger ist zulässig und im Sinn einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt. Aufgrund fehlender Feststellungen zu unverhältnismäßig hohen Teilungskosten oder nicht geringfügiger Ausgleichszahlungen ist eine abschließende Beurteilung ausgeschlossen. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht – ausgehend von der Zulässigkeit, für die neuen Objekte einen Einzelnutzwert auf Basis eines geänderten Gesamtnutzwerts festzusetzen – neuerlich über die vorgeschlagene Realteilung zu entscheiden haben.

33 5 Ob 38/08m; RIS-Justiz RS0083174. 34 5 Ob 133/14s = RIS-Justiz RS0124807 [T2].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 15

***

§ 5 Abs 3 Satz 3 WEG Zu den Voraussetzungen für eine eindeutige Zuordnung des Zubehörs zum betreffenden Wohnungseigentumsobjekt OGH 17.1.2019, 5 Ob 208/18a

Für die wirksame Schaffung von Zubehör-Wohnungseigentum ist die eindeutige Zuordnung des Zubehörs zum betreffenden Wohnungseigentumsobjekt vonnöten. Diese eindeutige Zuordnung muss sich aus dem Wohnungseigentumsvertrag (bzw dem gerichtlichen Titel zur Wohnungseigentumsbegründung) und/oder dem Nutzwertgutachten eindeutig ergeben. Der OGH (5 Ob 208/18a) hat zu dieser Voraussetzung folgende Feststellungen getroffen bzw in Erinnerung gerufen: Für die eindeutige Zuordnung des Zubehörs zum Hauptobjekt bedarf es in der Regel

einer (etwa ziffernmäßigen) Individualisierung der Zubehörobjekte und deren Darstellung in einem Plandokument.

Nach geäußerter Lehrmeinung genügt im Wohnungseigentumsvertrag und/oder dem Nutzwertgutachten ein Hinweis auf das Plandokument, ohne dass der Plan selbst diesen Urkunden angeschlossen sein muss.

Ob die Zuordnung des Zubehörs eindeutig ist, unterliegt einer Einzelfallbeurteilung. Dass unter Heranziehung von Hilfsunterlagen die Lage des Zubehörobjekts

„weitgehend“ rekonstruiert werden kann, reicht für eine eindeutige Zuordnung naturgemäß nicht aus.

RECHTLICHER HINTERGRUND: Gemäß § 5 Abs 3 Satz 3 WEG35 erstreckt sich die Eintragung des Wohnungseigentums an einem Wohnungseigentumsobjekt auch auf dessen Zubehörobjekte nach § 2 Abs 3 WEG, soweit sich deren Zuordnung zum Wohnungseigentumsobjekt aus dem Wohnungseigentumsvertrag (§ 3 Abs 1 Z 1 WEG) oder der gerichtlichen Entscheidung (§ 3 Abs 1 Z 2 bis 4 WEG) jeweils im Zusammenhalt mit der Nutzwertermittlung oder -festsetzung eindeutig ergibt. Diese Bestimmung gilt auch für Eintragungen, die vor dem Inkrafttreten am 1. Jänner 2015 vorgenommen wurden (§ 58c Abs 1 WEG).36 Die WRN 2015 hat gleichzeitig – entgegen zuvor ergangener Rechtsprechung37 – klargestellt, dass es für eine sachenrechtlich wirksame Begründung von Zubehör-Wohnungseigentum dessen Verbücherung, also der Einverleibung dessen Umfangs im B-Blatt beim betreffenden Miteigentumsanteil nicht bedarf. SACHVERHALT:

35 In der Fassung der WRN 2015, BGBl I 2014/100. 36 Siehe hierzu ausführlich den Newsletter vom 3. Dezember 2014 zur WRN 2015 und die Anmerkungen zum

vorliegenden Newsletter. 37 Insbesondere 4 Ob 150/11d.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 16

Zwischen den Parteien ist die Frage strittig, ob eine im Geometerplan schraffiert eingezeichnete Fläche als Zubehör zum Objekt Wohnung 4/Haus IV des Klägers in seinem Wohnungseigentum steht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren dahin statt, dass es feststellte, die auf dem im Zuge des Gerichtsverfahrens eingeholten Plan des Vermessungssachverständigen vom 28. April 2017 farbig eingegrenzte Fläche stehe als Zubehör im Wohnungseigentum des Klägers. Das Berufungsgericht gab der Berufung der 1.–5., 7., 8., 13., 14., 16.–21. und 24.–26. Beklagten Folge und wies das Feststellungsbegehren des Klägers – allerdings unter Zugrundelegung des in der Klage genannten Geometerplans – ab. In den der Eintragung zugrunde liegenden Urkunden sei die Lage des strittigen Gartenanteils und dessen Zuordnung zum Objekt des Klägers nicht eindeutig dokumentiert. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und ließ die ordentliche Revision nicht zu. RECHTLICHE BEURTEILUNG DES OGH: a) Für die eindeutige Zuordnung des Zubehörs zum Hauptobjekt wird es in der Regel

einer (etwa ziffernmäßigen) Individualisierung der Zubehörobjekte und deren Darstellung in einem Plandokument bedürfen

Zu den Voraussetzungen der Erstreckung der Eintragung des Wohnungseigentums auf das Zubehörobjekt nach § 5 Abs 3 WEG in der Fassung der WRN 201538 liegen bereits zwei ausführlich begründete Entscheidungen des erkennenden Fachsenats vor. Zu 5 Ob 162/16h39 vertrat der erkennende Senat unter Hinweis auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage und das einhellige Schrifttum die Auffassung, dass Voraussetzung der Erstreckung der Eintragung des Wohnungseigentums auf das Zubehörobjekt dessen eindeutige Zuordnung zum Hauptobjekt durch eine eindeutige Darstellung im Titel für die Wohnungseigentumsbegründung oder in der Urkunde für die Nutzwertermittlung oder -festsetzung ist. Pauschale Hinweise auf die Art des Zubehörs ohne weitere Individualisierung genügen nicht, die Objekte sind vielmehr in irgendeiner Form planlich oder sonst zu spezifizieren, somit gemäß dem sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatz eindeutig zu umschreiben. An diesen Anforderungen hielt der Senat zu 5 Ob 4/17z fest. Zum Sachverhalt: Dass für eine eindeutige Zuordnung im Sinne des § 5 Abs 3 WEG aus den Urkunden die Widmung des Zubehörobjekts in allen Facetten hervorgehen muss, also dessen Eigenschaft als Zubehörwohnungseigentum (und somit nicht als allgemeiner Teil der Liegenschaft), dessen dingliche Zuordnung zum jeweiligen Wohnungseigentumsobjekt und auch dessen vorhergesehene Verwendung, gesteht der Kläger in seiner Revision im Übrigen durchaus zu.

38 BGBl I 2014/100. 39 = Newsletter vom 3. Mai 2017.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 17

b) Nach geäußerter Lehrmeinung genügt im Wohnungseigentumsvertrag und/oder dem

Nutzwertgutachten ein Hinweis auf das Plandokument, ohne dass der Plan selbst diesen Urkunden angeschlossen sein muss

Selbst Höllwerth, der in seiner kritischen Glosse zu 5 Ob 162/16h40 auf das evidente Ziel des Gesetzgebers der WRN 2015 verweist, die Sanierung des Wohnungseigentums bei Zubehörobjekten tendenziell zu ermöglichen, verlangt für die Frage der eindeutigen Zuordnung nach § 5 Abs 3 WEG, dass im Wohnungseigentumsvertrag bzw der Nutzwertermittlung oder -festsetzung eindeutig erkennbar auf einen bestimmten Plan als Grundlage für die Wohnungseigentumsbegründung Bezug genommen wird, ohne dass dieser aber den genannten Urkunden nachgewiesenermaßen angeschlossen gewesen sein hätte müssen. Zum Sachverhalt: Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Auffassung erübrigt sich, weil nach den Feststellungen hier die Planunterlagen, die der im Gerichtsverfahren bestellte Sachverständige durch seine Recherchen ausfindig machen konnte, weder im Wohnungseigentumsvertrag noch im Nutzwertfestsetzungsbeschluss erwähnt wurden und der Inhalt des dort genannten Gutachtens des Niederösterreichischen Gebietsbauamts, das nicht in der Urkundensammlung des Grundbuchs erliegt, im Verfahren nicht mehr festgestellt werden konnte. c) Ob die Zuordnung des Zubehörs eindeutig ist, unterliegt einer Einzelfallbeurteilung Ob sich die Zuordnung eines Zubehörobjekts zum Hauptobjekt aus den der Vereinbarung zugrunde liegenden Urkunden eindeutig ergibt, richtet sich nach den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls, sodass dieser Frage – von Fällen grober Fehlbeurteilung abgesehen – keine über diesen hinausgehende Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukommt.41 d) Dass unter Heranziehung von Hilfsunterlagen die Lage des Zubehörobjekts

„weitgehend“ rekonstruiert werden kann, reicht für eine eindeutige Zuordnung naturgemäß nicht aus

Zum Sachverhalt: Der revisionswerbende Kläger meint, § 5 Abs 3 WEG erfordere nicht, dass sich die Lage des Zubehörobjekts auf der Liegenschaft aus den im Grundbuch erliegenden Urkunden ergebe. Die geforderte Individualisierbarkeit des Hausgartens liege vor, weil dessen Flächenausmaß im Nutzwertfestsetzungsbeschluss auf zwei Dezimalstellen genau angegeben worden sei und sich die streitgegenständliche Gartenfläche nur rund um das Haus des Klägers befinden könne. Das Berufungsgericht gehe selbst davon aus, dass sich aus den Beilagen des Sachverständigengutachtens überzeugende Anhaltspunkte zur Situierung der Gartenfläche und deren Zuordnung zum Wohnungseigentumsobjekt des Klägers ergäben. Eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung vermag der Kläger damit nicht aufzuzeigen.

40 EvBl 2017/147. 41 5 Ob 162/16h = Newsletter vom 3. Mai 2017.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 18

Die Materialien42 sprechen zwar nicht ausdrücklich davon, dass sich auch die Lage des Zubehörobjekts auf der Liegenschaft aus den der Eintragung zugrunde liegenden Urkunden ergeben muss. Gerade bei einer Wohnungseigentumsanlage mit mehreren Hausgärten (insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt von dem zu 5 Ob 29/17a entschiedenen Fall) davon auszugehen, dass die vom Gesetzgeber verlangte „eindeutige Zuordnung der Widmung des Zubehörobjekts in allen Facetten“ zumindest ausreichend spezifizierte Hinweise auf die Lage des Gartens erfordert, der als Zubehörobjekt einer bestimmten Wohnung zugeordnet werden soll, hält sich im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung. Dass der bloße Hinweis auf ein Gesamtausmaß des Hausgartens im Nutzwertfestsetzungsbeschluss in einer Anlage mit einer Vielzahl von Hausgärten und Allgemeinflächen nicht ausreicht, um dem vom Gesetzgeber ausdrücklich verlangten Gebot der Individualisierung und Spezifizierung zu genügen, bedarf daher keiner Korrektur im Einzelfall. Zum Sachverhalt: Zur Klärung der Frage, welche Fläche mit dem im Nutzwertfestsetzungsbeschluss genannten „Garten im Ausmaß von 1.853,68 m²“ gemeint sein konnte, bedurfte es nicht nur eines vermessungstechnischen Sachverständigen-gutachtens, sondern auch des Rückgriffs auf handschriftliche Aufzeichnungen eines bereits pensionierten Zivilgeometers und Projektunterlagen der damaligen Bauträgerin. Das Projekt wurde letztlich nicht wie geplant ausgeführt. Es hätte selbst nach den Ergebnissen des Sachverständigengutachtens zu einer Adaptierung der Begrenzung der Zubehörfläche zu kommen. Daraus den Schluss zu ziehen, der bloße Hinweis auf das Flächenausmaß eines zugeordneten Hausgartens sei jedenfalls dann nicht als ausreichend im Sinn des § 5 Abs 3 WEG zu werten, wenn sich die Situierung dieses Hausgartens nicht eindeutig aus den der Vereinbarung zugrunde liegenden Urkunden nachvollziehen lässt, bildet keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts. Dass die Vorinstanzen auf tatsächlicher Ebene übereinstimmend davon ausgingen, aufgrund der Ergebnisse des im Verfahren eingeholten Sachverständigen-gutachtens und der vorgelegten Urkunden könne im Nachhinein – weitgehend – rekonstruiert werden, welcher Garten mit dem im Nutzwertfestsetzungsbeschluss genannten Hausgarten im Ausmaß von 1.853,68 m² und den darauf entfallenden Nutzwert gemeint sein hätte können, ändert nichts daran, dass sich die Zuordnung eines derartigen Hausgartens zum Objekt des Klägers aus den der Eintragung zugrundeliegenden Urkunden nicht ausreichend deutlich ergab. e) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf. Sie war somit mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO). ANMERKUNGEN: Bislang wurde – soweit überblickbar – noch nicht ausjudiziert, ob das die Lage der Zubehörobjekte darstellende Plandokument den „Begründungsurkunden“ (Wohnungs-

42 ErläutRV 352 BlgNR 25. GP 7.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 19

eigentumsvertrag/Nutzwertgutachten) ange-schlossen sein muss (bzw ausdrücklich zum integrierten Bestandteil dieser Urkunden erklärt werden muss) oder ein Hinweis auf das Plandokument in diesen Urkunden genügt. Der OGH ging auf diese Frage im vorliegenden explizit nicht ein. Die zitierte Meinung Höllwerths verdient aber meines Erachtens Zustimmung. Dies einerseits wegen der von Höllwerth ins Treffen geführten Ansicht, zu strenge Anforderungen („Nachweishürden“) würden das evidente Ziel des Gesetzgebers der WRN 2015, die Sanierung des Wohnungseigentums bei Zubehörobjekten tendenziell zu ermöglichen, verfehlen. Andererseits gilt es aber auch, einer Aufblähung der „Begründungurkunden“ entgegenzuwirken (man denke etwa an sehr komplexe und umfangreiche Plandokumente für größere Anlagen mit einer Vielzahl von Hausgärten und sonstigem Zubehör). ***

§ 16 Abs 2 WEG Genehmigte Widmungsänderungen von Wohnungseigentumsobjekten gelten auch für Rechtsnachfolger der umwidmenden Wohnungseigentümer OGH 13.2.2018, 5 Ob 6/18w

Der OGH (5 Ob 6/18w) hat bekräftigt, dass eine einmal erteilte – wenngleich auch nur stillschweigend erteilte – Zustimmung zur Umwidmung eines Wohnungseigentumsobjekts durch die übrigen Wohnungseigentümer grundsätzlich auch für den Rechtsnachfolger des umwidmenden Wohnungseigentümers gilt. Sobald nämlich eine wohnungseigentumsrechtliche Widmung wirksam zustande gekommen ist, ist von ihrer dauerhaften Wirkung auszugehen und bedürfte eine neuerliche Änderung der Einstimmigkeit. Rechtliche Beurteilung des OGH: Nach der Rechtsprechung des OGH kann eine Änderung der Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts, die eine Willenseinigung aller Mit- und Wohnungseigentümer erfordert, grundsätzlich auch konkludent zustande kommen.43 Zum Sachverhalt: Im Wohnungseigentumsobjekt des Beklagten wird seit Jahren eine Kinderarztpraxis betrieben, was sämtlichen übrigen Wohnungseigentümern bekannt war und zumindest acht Jahre hindurch unwidersprochen blieb. Darin sah der OGH im Unterlassungs-(vor-)prozess gegen die Einzelrechtsvorgängerin des Beklagten eine konkludente Widmungsänderung.44 Dies wird von den klagenden Wohnungseigentümern auch nicht bestritten. Sie rechtfertigen ihr Unterlassungsbegehren allerdings damit, dass sie dem Beklagten, der das Wohnungseigentumsobjekt [erst] 2014 erworben hatte, keine Zustimmung erteilt haben. Damit zeigen sie keine erhebliche Rechtsfrage auf. Wenn eine Widmungsänderung aufgrund der (konkludent erteilten) Zustimmung aller übrigen

43 5 Ob 105/16a = Newsletter vom 28. Dezember 2016 mit weiteren Nachweisen; RIS-Justiz RS0120725 [T4,

T9]; RS0114928 [T2]. 44 5 Ob 100/14p = Newsletter vom 19. November 2014.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 20

Wohnungseigentümer bereits wirksam zustande gekommen ist, bedürfte eine neuerliche Änderung der Einstimmigkeit. ***

§ 16 Abs 2 WEG (und § 523 ABGB sowie § 1295 Abs 2 ABGB) Zum Einwand der Schikane gegen Unterlassungsansprüche im Wohnungseigentum OGH 15.5.2018, 5 Ob 236/17t

Der OGH (5 Ob 236/17t) hat bekräftigt, dass auch das Eigentumsrecht grundsätzlich durch das Verbot der schikanösen Rechtsausübung beschränkt wird, doch ist dem Mit- und Wohnungseigentümer stets ein Interesse an der Abwehr eines eigenmächtigen Eingriffs in das Miteigentum zuzubilligen. Der im konkreten Verfahren seitens des beklagten Wohnungseigentümers, der auf der zu seinem Wohnungseigentumsobjekt gehörigen Terrasse einen Wintergarten errichtet hatte, erhobene Einwand der Schikane gegen einen ihm gegenüber geltend gemachten Unterlassungsanspruch blieb erfolglos: Der Beklagte hatte nämlich die behauptete Vorwegzustimmung des Klägers zur gegenständlichen Änderung nicht rechtzeitig vorgebracht, und eine solche Vorwegzustimmung wurde im Verfahren auch gar nicht festgestellt. Rechtlicher Hintergrund: Nach § 16 Abs 2 WEG ist der Wohnungseigentümer zu Änderungen (einschließlich Widmungsänderungen) an seinem Wohnungseigentumsobjekt auf seine Kosten berechtigt; dabei gilt Folgendes: Die Änderung darf weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer, besonders auch keine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses, noch eine Gefahr für die Sicherheit von Personen, des Hauses oder von anderen Sachen zur Folge haben (Z 1). Werden für eine Änderung auch allgemeine Teile der Liegenschaft in Anspruch genommen, so muss die Änderung überdies entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen (Z 2). Schon die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Mit- und Wohnungseigentümer verpflichtet nach ständiger Rechtsprechung den änderungswilligen Wohnungseigentümer, die Zustimmung aller anderen Mit- und Wohnungseigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters einzuholen. Erweist sich in diesem Sinne eine Änderung als genehmigungsbedürftig (= genehmigungspflichtig), bedarf es somit der Zustimmung aller Wohnungseigentümer (= Sachverfügung nach § 828 Abs 1 ABGB), die aber keinen Formvorschriften unterliegt und daher auch stillschweigend erteilt werden kann. Eine fehlende Zustimmung kann auf Antrag bei Vorliegen aller negativen Voraussetzungen (§ 16 Abs 2 Z 1 WEG) – sowie bei Inanspruchnahme allgemeiner Teile der Liegenschaft auch der positiven (§ 16 Abs 2 Z 2 WEG) Voraussetzungen – durch einen Beschluss des Außerstreitrichters ersetzt werden (§ 52 Abs 1 Z 2 WEG), der somit über die Genehmigungsfähigkeit einer genehmigungsbedürftigen Maßnahme zu entscheiden hat.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 21

Gegen einen Wohnungseigentümer, der eigenmächtig, also ohne vorherige Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer, Änderungen einschließlich Widmungsänderungen im Sinne des § 16 Abs 2 WEG vornimmt, kann jeder einzelne Wohnungseigentümer im streitigen Rechtsweg nach allgemeinen Grundsätzen petitorisch mit Klage nach § 523 ABGB auf Beseitigung der Änderung und Wiederherstellung des früheren Zustands sowie gegebenenfalls auf Unterlassung künftiger Änderungen vorgehen.45 Der Streitrichter hat in einem solchen Fall die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung und die eigenmächtige Rechtsanmaßung als Vorfrage über die Berechtigung des Unterlassungs- und Wiederherstellungsbegehrens zu prüfen; die Genehmigungsfähigkeit selbst ist nicht Gegenstand des Verfahrens.46 Sachverhalt: Die Parteien des Verfahrens sind Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Die Klägerin war die Wohnungseigentumsorganisatorin; mit den ihr nach der Begründung von Wohnungseigentum verbliebenen Miteigentumsanteilen ist Wohnungseigentum an einem Kfz-Abstellplatz verbunden. Mit den Miteigentumsanteilen des Beklagten ist Wohnungseigentum an einer Wohnung verbunden. Auf der zu dieser Wohnung gehörenden Terrasse hat der Beklagte ohne Zustimmung aller anderen Miteigentümer einen Wintergarten errichtet. Die Klägerin begehrte, den Beklagten schuldig zu erkennen, diesen Wintergarten zu entfernen und den ursprünglichen Bauzustand wiederherzustellen.

Der Beklagte habe den Wintergarten errichtet, ohne vorher die Zustimmung der übrigen Miteigentümer der Liegenschaft einzuholen. Die erteilte baurechtliche Bewilligung ersetze die fehlende Zustimmung der Miteigentümer nicht. Durch den Wintergarten sei die Optik der Wohnhausanlage schwer beeinträchtigt.

Der Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung der Klage.

Das Vorgehen der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich und schikanös. Als Verkäuferin der Eigentumswohnung habe sie den Beklagten (und auch andere Käufer) im Zuge der Verkaufsgespräche als zusätzliches Verkaufsargument auf die Möglichkeit des Umbaus der Terrasse zu einem Wintergarten aufmerksam gemacht. Die Klägerin selbst sei nur mehr Wohnungseigentümerin eines PKW-Abstellplatzes. Die Errichtung des Wintergartens sei zudem verkehrsüblich und beeinträchtige weder die Optik der Wohnhausanlage noch sonstige schutzwürdige Interessen anderer Miteigentümer.

Im Laufe des – bis dahin unterbrochenen – Verfahrens bestätigte das Landesgericht Salzburg als Rekursgericht einen Sachbeschluss des Bezirksgerichts Salzburg, in welchem das Begehren des hier Beklagten abgewiesen wurde, die Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer – unter anderem der Klägerin – zur Errichtung eines Wintergartens zu ersetzen, weil durch die Errichtung schutzwürdige Interessen der anderen Wohnungseigentümer beeinträchtigt würden.

45 RIS-Justiz RS0083156. 46 RIS-Justiz RS0083156 [T1, T20].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 22

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Die Klageführung sei schikanös und rechtsmissbräuchlich. Vertreter bzw Repräsentanten der Klägerin hätten dem Beklagten bei den Verkaufsgesprächen – wie anderen späteren Eigentümern auch – zugesagt, er könne den Wohnraum durch Errichtung eines Wintergartens vergrößern. Der Beklagte habe die Wohnung auch aufgrund dieses Arguments gekauft. Wenn sich nun die Klägerin – noch dazu als Eigentümerin nur eines Parkplatzes – darüber beschwere, dass der Wintergarten tatsächlich errichtet worden sei, dann liege darin eine missbräuchliche Rechtsausübung. Bedenke man den weiteren Hintergrund, konkret den Umstand, dass der Geschäftsführer der Klägerin der Ansicht sei, der Beklagte habe in der Eigentümergemeinschaft einen Mängelprozess gegen die Klägerin und deren Abberufung als Hausverwalterin „angezettelt“, dann könne man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich bei der hier zu beurteilenden Klageführung um eine versuchte Retourkutsche gegenüber dem Beklagten handle.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts im klagestattgebenden Sinn ab.

Schon die Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Mit- und Wohnungseigentümer verpflichte den änderungswilligen Wohnungseigentümer, die Zustimmung aller anderen Miteigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters einzuholen. Tue er das nicht oder setze er sich über den Widerspruch eines anderen Miteigentümers hinweg, handle er in unerlaubter Eigenmacht, insofern rechtswidrig und könne im streitigen Rechtsweg zur Beseitigung der Änderung gegebenenfalls auch zur Unterlassung künftiger Änderungen verhalten werden. Das Interesse an der Abwehr des eigenmächtigen Eingriffs eines Mit-(Wohnungs-)eigentümers durch einen anderen Mit-(Wohnungs-)eigentümer sei stets zuzubilligen, darin liege noch keine Schikane. Die Beweispflicht für den Rechtsmissbrauch treffe denjenigen, der ihn behaupte. Der unzulässige Eingriff des beklagten Wohnungseigentümers in Form von unerlaubter Eigenmacht im Sinne des § 523 ABGB stehe hier fest. Die ausschließlich im außerstreitigen Verfahren zu treffende Entscheidung über die Genehmigungsfähigkeit infolge Vorliegens der Voraussetzungen nach § 16 Abs 2 WEG und damit über die Verpflichtung zur Duldung einer Änderung sei hier auch bereits rechtskräftig zum Nachteil des Beklagten gefällt worden, weil die Zustimmung der Antragsgegner in diesem Verfahren (ua der Klägerin) nicht ersetzt worden sei. Selbst wenn die Klägerin ihren Anspruch nach § 523 ABGB aus Gründen einer Revanche verfolgte, sei dies daher keine Schikane. Abgesehen davon habe die Klägerin den Beklagten nach dem festgestellten Sachverhalt ohnehin darauf hingewiesen, dass er vor dem Bau des Wintergartens die Zustimmung sämtlicher Eigentümer einholen müsse, was er offensichtlich nicht getan habe. Das Berufungsgericht sprach nachträglich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Ob im Lichte der Duldungspflicht aus einer vertraglichen Vereinbarung im streitigen Verfahren auf Entfernung des Wintergartens dem Klagebegehren die ursprünglich erteilte Zustimmung der klagenden Partei entgegengehalten, somit Rechtsmissbrauch oder Schikane eingewandt werden könne, sei eine im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Er beantragt, die angefochtene Entscheidung abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag. Die Klägerin beantragte

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 23

in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Allgemeines zum Schikaneverbot Grundsätzlich wird auch das Eigentumsrecht durch das Verbot der schikanösen Rechtsausübung beschränkt47, doch ist dem Mit- und Wohnungseigentümer stets ein Interesse an der Abwehr eines eigenmächtigen Eingriffs in das Miteigentum zuzubilligen48; darin liegt daher noch keine Schikane.49 Zwar liegt schikanöse Rechtsausübung nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten und den beeinträchtigten Interessen eines anderen ein krasses Missverhältnis besteht und das Interesse des Rechtsausübenden an der Wiederherstellung des ehemaligen Zustands gegenüber den Interessen des Beklagten auf Belassung des gegenwärtigen Zustands völlig in den Hintergrund tritt (missbräuchliche Rechtsausübung).50 b) Der Schikaneeinwand zielt auf Fragen der Interessenabwägung ab, für die im

streitigen Verfahren kein Raum bleibt Die Genehmigungsfähigkeit einer eigenmächtigen Änderung ist nicht als Vorfrage für die Berechtigung des Unterlassungs- und Beseitigungsbegehrens zu prüfen. Der OGH hat daher bereits ausgesprochen, dass der Einwand der Schikane in einem solchen Fall Fragen dieser Interessensabwägung berührt, für die im streitigen Verfahren kein Raum bleibt.51 c) Konkreter Sachverhalt: Auf eine Vorwegzustimmung der Klägerin zur Errichtung

eines Wintergartens hat sich der beklagte Wohnungseigentümer gar nicht berufen, eine solche liegt auch nicht vor – somit kann der Schikaneeinwand auch nicht auf eine solche Zustimmung gestützt werden

Zum Sachverhalt: Der beklagte Wohnungseigentümer begründet die Zulässigkeit und die Berechtigung seiner Revision mit der Behauptung, das Berufungsgericht habe übersehen, dass die klagende Wohnungseigentümerin nicht nur mit der Möglichkeit der Errichtung eines Wintergartens geworben, sondern dieser Änderung auch bereits zugestimmt habe. Eine einmal erteilte Zustimmung könne nicht ohne weiteres zurückgenommen werden und binde die Klägerin. Rechtsprechung zur Frage, ob ein dem Eingriff ursprünglich zustimmender Mit- und/oder Wohnungseigentümer nach Ablehnung einer Duldungspflicht durch den Außerstreitrichter den Beseitigungsanspruch „ohne Prüfung“ des Rechtsmissbrauchs und der Schikane durchsetzen könne oder die „Duldungspflicht aus einer vertraglichen Vereinbarung“ zu prüfen sei, fehle. Auch das Berufungsgericht unterstellt in seiner Zulassungsbegründung

47 RIS-Justiz RS0026265 [T9]; RS0013203 [T4]. 48 RIS-Justiz RS0013203. 49 RIS-Justiz RS0012138. 50 8 Ob 54/15x mit weiteren Nachweisen; RIS-Justiz RS0013207; RS0026265; RS0037903 [T7]. 51 5 Ob 5/15v; 5 Ob 40/12m = Newsletter vom 23. Jänner 2013.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 24

das Bestehen eben einer solchen Duldungspflicht aus einer vertraglichen Vereinbarung. Die damit angesprochenen Rechtsfragen, ob und wenn ja, wie lange die von einem Wohnungseigentümer erteilte Zustimmung zu einer – mangels Zustimmung auch aller anderen Wohnungseigentümer im Sinne der dargestellten Rechtsprechung eigenmächtig – vorgenommenen Änderung diesen zumindest noch in dem Sinn bindet, dass sie als Verzicht auf den Entfernungs- und Wiederherstellungsanspruch gewertet werden kann, sowie ob einem zustimmenden Wohnungseigentümer in diesem Fall zumindest in der Regel das Interesse an der Abwehr des Eingriffs abzusprechen ist52, sind für die Entscheidung in diesem Rechtsstreit allerdings nicht relevant. Der beklagte Wohnungseigentümer hat die förmliche Zustimmung der Klägerin in dem hier maßgeblichen Sinn im Verfahren vor dem Erstgericht nämlich gar nicht behauptet. Eine solche ist aus den Feststellungen des Erstgerichts auch nicht abzuleiten. Die vom Erstgericht festgestellten, mehrere Jahre vor der späteren Errichtung des Wintergartens getätigten Aussagen über das Bestehen dieser Möglichkeit, zu einem Zeitpunkt, als die spätere, nun hier zu beurteilende Änderung weder zeitlich absehbar noch der Gestalt nach auch nur in irgendeiner Form konkretisiert war, sind nach dem für deren Verständnis maßgeblichen objektiven Erklärungswert zwar als eine Art Absichtserklärung zu verstehen53, aber nicht als bindende Vorwegzustimmung zu den konkreten, nunmehr beanstandeten Baumaßnahmen. d) Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist einzelfallbezogen zu beurteilen – im konkreten Fall

ist der Klägerin ein Abwehranspruch durchaus zuzubilligen Ob eine Rechtsausübung als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.54 Eine Einzelfallentscheidung ist aber für den OGH nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit eine grobe Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts korrigiert werden müsste.55 Zum Sachverhalt: Das ist hier jedoch nicht der Fall. Der Klägerin ist das Interesse an der Abwehr eines eigenmächtigen Eingriffs in ihr Miteigentum zuzubilligen. Das schließt die Annahme aus, der einzige Grund der Rechtsausübung bilde die Absicht, den Beklagten zu schädigen.56 Dass die Klägerin den Eingriff in ihr Miteigentumsrecht ausschließlich bekämpft, um dem Beklagten zu schaden, wurde auch nicht positiv festgestellt.57 Bei der Beurteilung, ob die Klageführung zufolge eines krassen Missverhältnisses zwischen den beiderseitigen Interessen rechtsmissbräuchlich ist, ist zunächst zu beachten, dass für eine Interessenabwägung im eigentlichen Sinn in diesem streitigen Verfahren kein Raum bleibt.58 Abgesehen davon, verweist das Berufungsgericht zu Recht darauf, dass der Klägerin hier nicht nur das Interesse an der Verteidigung ihres Eigentumsrechts im Allgemeinen, sondern die Wahrung konkreter schutzwürdiger Interessen im Sinne des § 16 Abs 2 Z 1 WEG

52 Vgl 5 Ob 23/16t. 53 Vgl 5 Ob 114/05h [„Zustimmungserklärung eigener Art“, die Änderung „nicht mehr grundsätzlich

abzulehnen und zu beeinspruchen“]. 54 8 Ob 54/15x; RIS-Justiz RS0013207 [T1]. 55 Vgl RIS-Justiz RS0044088. 56 5 Ob 40/12m = Newsletter vom 23. Jänner 2013; RIS-Justiz RS0013203. 57 Vgl 5 Ob 56/07g. 58 5 Ob 5/15v; 5 Ob 40/12m = Newsletter vom 23. Jänner 2013.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 25

zuzugestehen ist, eben jener schutzwürdigen Interessen, die im erwähnten Außerstreitverfahren der Ersetzung (auch) ihrer Zustimmung entgegenstanden. e) Ergebnis des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Eine erhebliche Rechtsfrage zeigt der Beklagte nicht auf. Die Revision ist daher entgegen dem – den OGH nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig und zurückzuweisen. Anmerkung: Nachdem im vorliegenden Fall das Außerstreitgericht bereits die Genehmigungsfähigkeit der verfahrensgegenständlichen Errichtung eines Wintergartens verneint hat und sich damit im Sinne des § 16 Abs 2 Z 1 WEG schon explizit mit der Beeinträchtigung der schutzwürdigen Interessen der anderen Wohnungseigentümer zu befassen hatte, kann das fehlende Interesse des Klägers an der Wiederherstellung des vorherigen Zustands im streitigen Verfahren im Wege des Schikaneeinwands nicht (nochmals) geltend gemacht werden.59 Abgesehen von diesem verfahrensrechtlichen Aspekt fußt die Entscheidung vorwiegend darauf, dass zu dem den Schikaneeinwand tragenden Argument der Vorauszustimmung des Klägers zur Errichtung jenes Wintergartens, dessen Beseitigung nunmehr begehrt wird, im erstinstanzlichen Verfahren seitens des beklagten Wohnungseigentümers kein Vorbringen erstattet worden war, und eine solche Vorwegzustimmung auch nicht festgestellt werden konnte. Die vom Beklagten in seiner Revision geltend gemachte erhebliche Rechtsfrage, ob nämlich im streitigen Verfahren auf Entfernung des Wintergartens dem Begehren der Klägerin ihre ursprünglich erteilte Zustimmung entgegengehalten könne, lag somit nicht vor. Meines Erachtens steht aber die Zustimmung eines Wohnungseigentümers zu einer Änderung einem späteren – im Wege der Eigentumsfreiheitsklage durchzusetzenden – Anspruch auf Widerherstellung des vorigen Zustands ohnehin nicht entgegen, wenn diese Änderung insofern eigenmächtig vorgenommen wurde, als für sie nicht die Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer vorliegt (und die fehlende Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer auch nicht durch eine Entscheidung des Außerstreitgerichts ersetzt wurde): Zwanglos wird man nämlich annehmen dürfen, dass jegliche Zustimmung stillschweigend an die Bedingung geknüpft ist, dass für die beabsichtigte Änderung auch die Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer (oder die Genehmigung seitens des Außerstreitgerichts) vorliegt. Mangels einer derartigen Zustimmung aller übrigen

59 Dass für Fragen der Interessenabwägung, die vom Schikaneeinwand berührt werden, im streitigen

Verfahren kein Raum verbleibt, ist zwar im vorliegenden wohnungs- bzw miteigentumsrechtlichen Zusammenhang zutreffend (vgl hierzu bereits 5 Ob 297/98g), kann aber nicht generell behauptet werden. Man denke nur an nachbarrechtliche Auseinandersetzungen, die zur Gänze dem streitigen Rechtsweg überantwortet werden, und bei denen daher keinerlei Fragen in ein Außerstreitverfahren „ausgelagert“ werden können. Das Ineinandergreifen von Ansprüchen, die auf dem streitigen Rechtsweg geltend zu machen sind und solchen, die dem Außerstreitverfahren vorbehalten bleiben, ist eine für das Miteigentum typische Erscheinung, begegnet uns aber in vielen anderen Rechtsbereichen – wie etwa dem Nachbarrecht – gerade nicht.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 26

Wohnungseigentümer (bzw einer Genehmigung seitens des Außerstreitgerichts) würde nämlich durch die Änderung ein konsensloser Zustand geschaffen werden, auf dessen Beseitigung wohl jeder der übrigen Miteigentümer Anspruch hat, und zwar unabhängig davon, ob er ursprünglich seine Zustimmung zur Änderung erteilt hat oder nicht. ***

§ 16 Abs 2 WEG (§ 9 Abs 2 WEG, § 10 Abs 3 und Abs 4 WEG) Konkludente Widmungsänderung im Wege der Zustimmung zu einem Umbau und Nichtbeeinspruchung der behördlichen Neufestsetzung der Nutz- bzw Mietwerte OGH 15.5.2018, 5 Ob 179/17k

Der OGH (5 Ob 179/17k) hat in Erinnerung gerufen, dass angesichts des grundbücherlichen Eintragungsprinzips eine Änderung der Nutzwerte allein noch keine Änderung der Miteigentumsanteile bewirkt. Für die dadurch erforderlichen Rechtsänderungen hat der Gesetzgeber vielmehr privatrechtliche Übereignungsakte vorgesehen, die sogar mittels Klage erzwungen werden können. Ein Verzicht auf Anteilsberichtigung ist wegen Verstoßes gegen zwingendes Recht unwirksam. Erteilen sämtliche Miteigentümer zum Umbau eines Geschäftslokals in eine Wohnung ihre ausdrückliche Zustimmung, und lassen sie zudem die Entscheidung der Schlichtungsstelle, in der der Mietwert für das betreffende Objekt neu festgesetzt wurde, unangefochten, so kann dies als konkludente privatrechtliche Widmungsänderung angesehen werden. Sachverhalt: Die Klägerin erwarb 2011 im Rahmen einer Zwangsversteigerung das Eigentum an Anteilen (B-LNr 1) der Liegenschaft EZ***** verbunden mit dem Wohnungseigentum am Geschäftslokal 1/Stiege 1. Die beklagten Parteien sind (bzw waren bei Schluss der Verhandlung erster Instanz) Mit- und Wohnungseigentümer dieser Liegenschaft. Das Geschäftslokal wurde mit Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer in eine Wohnung umgebaut. Die MA 50 – Wiener Schlichtungsstelle – setzte am 10. Juni 2014 den Mietwert der Liegenschaftsanteile der Klägerin aufgrund der Umänderung des Geschäftslokals in eine Wohnung neu fest und sprach gemäß § 9 Abs 4 WEG aus, dass die Gesamtsumme der Mietwerte aller selbständigen Objekte der Liegenschaft nunmehr 33.640 statt zuvor 34.600 betrage. Die Entscheidung der Schlichtungsstelle erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Die Klägerin begehrt gestützt auf § 10 WEG von den Beklagten die Unterfertigung des – den Entscheidungen der Vorinstanzen angeschlossenen – Anteilsberichtigungsvertrags. Da sich die Miteigentumsanteile sämtlicher Beklagten durch die Anteilsberichtigung erhöhen, sei kein Entgelt von der Klägerin zu bezahlen.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 27

Die sich am Verfahren beteiligenden Beklagten wendeten ein, die Klägerin habe bislang noch keine wohnungseigentumsrechtliche Umwidmung im Sinne des § 16 WEG erlangt, dem 13.-Beklagten gegenüber habe sie auf eine Anteilsberichtigung verzichtet. Die 6.-Beklagte habe den Vertrag bereits unterschrieben, ebenso der Rechtsvorgänger der 21.-Beklagten. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Da es bei keinem der Miteigentumsanteile zu einer Änderung von mehr als 10 % komme, könne gemäß § 10 Abs 3 WEG die Berichtigung in sinngemäßer Anwendung des § 136 Abs 1 GBG auch ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer erfolgen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin insoweit Folge, als es die 1.- bis 5.- und 7.- bis 25.-Beklagten zur Unterfertigung des Anteilsberichtigungsvertrags verpflichtete. Die Klageabweisung gegen die 6.-Beklagte bestätigte es.

Es verneinte die Anwendbarkeit des § 10 Abs 3 WEG, weil jedenfalls beim Anteil der Klägerin durch die Entscheidung der Schlichtungsstelle eine Änderung eintrete, die 10 % übersteige. Ziel der Klägerin sei die grundbücherliche Durchführung der durch die Entscheidung der Schlichtungsstelle herbeigeführten Änderung der Mietwerte. Der Anteilsberechtigungsvertrag diene der Umsetzung der Verpflichtung der Miteigentümer, zur Änderung der Miteigentumsanteile entsprechend einer gerichtlichen oder einvernehmlichen Nutzwertfestsetzung gegenseitig Miteigentumsanteile in einem solchen Ausmaß zu übernehmen und zu übertragen, dass jedem Wohnungseigentümer der für sein Wohnungseigentumsobjekt erforderliche Mindestanteil zukomme. Aus der Tabelle des Anteilsberichtigungsvertrags ergebe sich die Änderung der Miteigentumsanteile eindeutig, er enthalte auch die erforderlichen Aufsandungserklärungen. Da § 10 Abs 4 WEG eine Übertragungspflicht infolge gerichtlicher Nutzwertfestsetzung vorsehe und jeder Miteigentümer berechtigt und verpflichtet sei, daran mitzuwirken, sei ein Verzicht auf die Durchführung einer grundbücherlichen Anteilsänderung nicht wirksam.

Dass die Klägerin keine Widmungsänderung im Außerstreitverfahren erwirkt habe, sei unschädlich, weil sämtliche Miteigentümer dem Umbau des Geschäftslokals in eine Wohnung zugestimmt und hierfür die Einreichpläne unterfertigt hätten. Die privatrechtliche Einigung (der Widmungsakt) der Wohnungseigentümer könne auch konkludent erfolgen. Die ausdrückliche Zustimmung zum Umbau des Geschäftslokals in eine Wohnung beinhalte die Zustimmung zur Verwendung der neu geschaffenen Wohnung zu Wohnzwecken. Auch dass sämtliche Wohnungseigentümer die Entscheidung der Schlichtungsstelle unangefochten ließen, sei als konkludente privatrechtliche Widmungsänderung zu werten. Die Klägerin habe daher den gesetzlichen Anspruch auf Unterfertigung des Anteilsberichtigungsvertrags als grundbuchstaugliche Urkunde im Sinne des § 10 Abs 4 WEG. Die 6.-Beklagte habe den Vertrag bereits unterfertigt, ihr gegenüber habe es bei der Abweisung des Klagebegehrens zu bleiben. Die Unterschrift des Einzelrechtsvorgängers der 21.-Beklagten könne ihre eigene als aktueller Wohnungseigentümerin nicht ersetzen.

Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer grundbücherlichen Anteilsänderung im Wege der klageweisen Durchsetzung, weiters zur Frage, ob auf die grundbücherliche

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 28

Anteilsänderung wirksam verzichtet werden könne und ob die erteilte Zustimmung zum Umbau eines Geschäftslokals in eine Wohnung auch als Zustimmung zu dieser Widmungsänderung gelte. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Zur Zulässigkeit der klagsweisen Durchsetzung der grundbücherlichen

Anteilsänderung Zum Sachverhalt: Auf den ersten Teil der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts gehen die Revisionswerber mit keinem Wort ein. Dass eine grundbücherliche Anteilsänderung nach § 10 Abs 4 WEG im Weg einer Klage auf Unterfertigung eines entsprechenden Vertrags durchgesetzt werden kann, bezweifeln sie nicht, sondern setzen sie voraus, wenn sie argumentieren, der zur Unterschriftsleistung eingeklagte Anteilsberichtigungsvertrag sei (gemeint offenbar: nur) deshalb nicht ausreichend, weil er keine wohnungseigentumsrechtliche Umwidmungsvereinbarung enthalte. Dass die Verpflichtung zur Angleichung im Sinn des § 10 Abs 4 WEG – mangels Erwähnung in § 52 WEG – im streitigen Rechtsweg durchzusetzen ist, entspricht der ständigen Rechtsprechung60 und herrschenden Lehre.

Der erkennende Senat sprach erst kürzlich aus61, dass eine durch Exekutionstitel wörtlich festgelegte Erklärung, in eine bestimmte Eigentumsübertragung einzuwilligen, etwa durch Unterfertigung einer diesbezüglichen Urkunde, eine Exekutionsführung nach § 350 EO gestattet. Daraus ist zu schließen, dass dies dem Übertragungsmechanismus des § 10 Abs 4 WEG grundsätzlich entspricht.

b) Zum Änderungsmodus des § 10 Abs 4 WEG Das Berufungsgericht wies zutreffend darauf hin, dass es zur Änderung der Miteigentumsanteile nach § 10 Abs 4 Satz 1 bis 3 WEG (idF WRN 2006) bei Nichtanwendbarkeit des § 136 GBG – wie hier, wo sich jedenfalls der Mindestanteil der Klägerin um mehr als 10 % ändert – einer grundbuchsfähigen Urkunde bedarf, in der einzelne Miteigentümer bestimmte Miteigentumsanteile an bestimmte andere Miteigentümer übertragen, entsprechende Aufsandungserklärungen vorliegen und der Rechtsgrund angegeben wird.62 Zum Sachverhalt: Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der hier vorgelegte Anteilsberichtigungsvertrag entspreche diesen Anforderungen, weil sich aus dessen Tabellen die Änderung der Miteigentumsanteile für das Grundbuch eindeutig ergebe, ziehen die Beklagten in ihrer Revision nicht in Zweifel, die diesbezügliche rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts sprechen sie gar nicht an. Eine erhebliche Rechtsfrage ist auch insoweit nicht zu beantworten.

60 RIS-Justiz RS0106055. 61 5 Ob 139/17b. 62 RIS-Justiz RS0123506.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 29

Allein das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu einer bestimmen Fallgestaltung begründet für sich noch nicht eine erhebliche Rechtsfrage63, insbesondere wenn das Gesetz selbst eine eindeutige Regelung trifft oder im Wege einfacher Auslegung ein eindeutiges Ergebnis erzielt werden kann64. Gleiches gilt, wenn die vom Gericht zweiter Instanz als erheblich erachtete Rechtsfrage zwanglos anhand der Gesetzeslage und der bereits vorhandenen Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann.65 c) Eine Neufestsetzung der Nutzwerte hat nur auf Antrag stattzufinden Aus § 16 Abs 2 WEG, der den Wohnungseigentümer zu Änderungen (einschließlich Widmungsänderungen) an seinem Wohnungseigentumsobjekt auf seine Kosten unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt, ist abzuleiten, dass es der freien Dispositionsbefugnis des einzelnen Wohnungseigentümers unterliegt, ob er eine derartige Änderung vornehmen will oder nicht. Die Neufestsetzung der Nutzwerte als Folge einer Widmungsänderung hat nur auf Antrag stattzufinden. Hier ist nämlich die Neufestsetzung der Mietwerte (im Hinblick auf die Begründung von Wohnungseigentum an der Liegenschaft vor dem 1. September 1975 sind die mit der Neuparifizierung zusammenhängenden Streitfragen noch nach den Vorschriften des WEG 1948 zu lösen66 –) durch Bescheid der Schlichtungsstelle vom 10. Juni 2014 bereits rechtskräftig erfolgt. Gemäß § 58b Abs 3 WEG 2002 ist auf das Verfahren zur Änderung der Mindestanteile § 10 Abs 3 und 4 WEG 2002 idF GBG-Novelle 2012 anzuwenden. d) Zur zwingenden Verknüpfung von Nutzwert (Mietwert) und Mindestanteil und dem

daraus resultierenden Anspruch auf Anteilsänderung Schon nach § 2 WEG 1948 bestimmte sich der zur Begründung von Wohnungseigentum notwendige (damals noch nicht als „Mindestanteil“ bezeichnete) Miteigentumsanteil nach dem Verhältnis des Jahresmietzinses 1914 des betreffenden Objekts zur Gesamtsumme der Jahresmietzinse aller Objekte der Liegenschaft. § 3 Abs 1 Satz 1 WEG 1975 definierte den Mindestanteil als solchen Anteil, der dem Verhältnis des Nutzwerts der im Wohnungseigentum stehenden Wohnung oder sonstigen Räumlichkeit zum Nutzwert aller Wohnungen und sonstigen Räumlichkeiten der Liegenschaft entspricht. Gemäß § 2 Abs 9 Satz 2 WEG entspricht der Mindestanteil dem Verhältnis des Nutzwerts des Objekts zur Summe der Nutzwerte aller Wohnungseigentumsobjekte der Liegenschaft. Gemäß § 5 Abs 1 WEG kann Wohnungseigentum nur von dem Miteigentümer erworben werden, dessen Anteil dem Mindestanteil entspricht. Demgemäß kann nach herrschender

63 Vgl RIS-Justiz RS0042656. 64 RIS-Justiz RS0042656 [T32]. 65 RIS-Justiz RS0042656 [T48]. 66 RIS-Justiz RS0048303.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 30

Rechtsprechung67 derjenige, der nicht über den erforderlichen Mindestanteil verfügt, kein Wohnungseigentum erwerben, was die Nichtigkeit des Wohnungseigentumsvertrags und in weiterer Folge auch die Nichtigkeit einer darauf beruhenden Verbücherung des Wohnungseigentums nach sich zieht. Dem Wohnungseigentumsrecht ist somit eine zwingende Verknüpfung zwischen den Miet- bzw Nutzwerten und dem Mindestanteil (bei sonstiger Nichtigkeit der Wohnungseigentumsbegründung) immanent. Sie ist die Grundlage der nunmehr in § 10 Abs 3 und 4 WEG geregelten, aber schon in § 4 Abs 2 WEG 1975 vorgesehenen erzwingbaren Ausgleichsmöglichkeit im Fall einer gerichtlichen oder einvernehmlichen Nutzwertneufestsetzung, damit jedem Miteigentümer sein passender Mindestanteil zukommen kann. Angesichts des Eintragungsprinzips bewirkt nämlich eine Änderung der Nutzwerte allein noch keine Änderung der Miteigentumsanteile und im Verfahren zur Nutzwertneufestsetzung ist nicht über eigentumsrechtliche Konsequenzen abzusprechen, die sich aus neuen Jahresmiet- bzw Nutzwerten ergeben. Für die dadurch erforderlichen Rechtsänderungen (die bis zur Neubegründung des Wohnungseigentums gehen könnten) hat der Gesetzgeber vielmehr privatrechtliche Übereignungsakte vorgesehen, die sogar erzwungen werden können.68 e) Ein Verzicht auf Anteilsberichtigung widerspricht zwingendem Recht und ist daher

unwirksam Dass zwingende Bestimmungen des Wohnungseigentumsrechts einem Verzicht nicht zugänglich sind, hat der OGH bereits ausgesprochen.69 Zum Sachverhalt: Die Beurteilung des Berufungsgerichts, ein Verzicht auf Anteilsberichtigung sei unwirksam, hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und wird in der Revision, die nur mit einem Verzicht auf Umwidmung und Nutzwertneufestsetzung argumentiert, gar nicht bezweifelt. f) Die Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts ist eine Frage der privatrechtlichen

Einigung, die keinen Formvorschriften unterliegt Das Berufungsgericht verwies zutreffend darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung70 für die Frage der Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts auf die privatrechtliche Einigung der Wohnungseigentümer (in der Regel im Wohnungseigentumsvertrag) abzustellen ist und baurechtliche oder raumordnungsrechtliche Widmungen die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse der Wohnungseigentümer untereinander nicht definieren. Die privatrechtliche Einigung (der Widmungsakt) der Wohnungseigentümer kann auch konkludent erfolgen.71

So wurde bereits ausgesprochen72, dass im Falle, dass auf Antrag der Wohnungseigentümer in einem Nutzwertfestsetzungsverfahren ein zuvor als allgemeiner Teil der Liegenschaft

67 RIS-Justiz RS0114510. 68 RIS-Justiz RS0118638. 69 5 Ob 94/10z zu § 35 Abs 2 WEG 2002; 5 Ob 91/85 zu § 17 Abs 3 WEG 1975. 70 RIS-Justiz RS0120725. 71 RIS-Justiz RS0120725 [T4]. 72 RIS-Justiz RS0082893.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 31

gewidmeter Teil als Zubehör einem Wohnungseigentumsobjekt zugeschlagen wurde, in dem Umstand, dass diese antragsgemäße Entscheidung unangefochten rechtskräftig wurde, eine Zustimmung zur nunmehr ausschließlichen Nutzung und ein Verzicht auf die ursprüngliche Widmung dieses Teils der Liegenschaft liege.

g) Zur Widmung der Top 1 im konkreten Fall Das rechtswirksame Zustandekommen und der Inhalt einer Widmung von Teilen einer im Wohnungseigentum stehenden Liegenschaft hängen von den konkreten Umständen des zu beurteilenden Falls ab.73 Die Auslegung von (konkludenten) Willenserklärungen im Einzelfall ist vom OGH – von groben Auslegungsfehlern und sonstigen krassen Fehlbeurteilungen abgesehen – nicht zu überprüfen.74 Zum Sachverhalt: Eine auffallende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts in Bezug auf die schlüssige Zustimmung zur Umwidmung des Geschäftslokals der Klägerin auf Wohnung liegt hier nicht vor: Das Berufungsgericht wertete nicht nur die ausdrücklich erteilte Zustimmung sämtlicher Miteigentümer zum Umbau des Geschäftslokals in eine Wohnung, sondern auch den Umstand, dass alle Miteigentümer die Entscheidung der Schlichtungsstelle vom 10. Juni 2014, in der der Mietwert für die Wohnung der Klägerin neu festgesetzt wurde, unangefochten ließen, als konkludente privatrechtliche Widmungsänderung. Dies ist nicht zu beanstanden, zumal nach der Rechtsprechung75 als Grundlage der Nutzwert- (oder hier eben Mietwert-)Festsetzung die der jeweiligen materiellen Rechtslage entsprechende konkrete Widmung heranzuziehen ist, sodass der Außerstreitrichter (bzw die Schlichtungsstelle) die Rechtslage von Amts wegen als Vorfrage zu prüfen hat, während die Feststellung der Nutzwerte gar keinen eigenen Rechtsgrund für eine Widmung schaffen könnte.76 Die Schlichtungsstelle befasste sich mit der Frage der Umwidmung und begründete die Notwendigkeit einer Neufestsetzung der Mietwerte damit, dass das Geschäft Top 1 auf Stiege 1 in eine Wohnung umgewidmet worden sei. Dass sämtliche Beklagte diese Entscheidung unwidersprochen zur Kenntnis nahmen und in Rechtskraft erwachsen ließen, lässt im Zusammenhang damit, dass sie zuvor die zum Umbau erforderlichen Einreichpläne an die Baubehörde unterfertigten und damit ihre Zustimmung zum Umbau des Geschäftslokals in eine Wohnung dokumentierten, nach der jedenfalls vertretbaren Auffassung des Berufungsgerichts selbst unter Berücksichtigung der strengen Voraussetzungen des § 863 ABGB keinen anderen Schluss zu, als dass sie mit der Widmungsänderung einverstanden waren. Die Frage, ob die Widmungsänderung zu einer intensiveren Nutzung des Objekts führt, ist in diesem Verfahren nicht zu klären. h) Entscheidung des vorliegenden Falls

Selbst wenn das Berufungsgericht zu Recht ausgesprochen hat, die ordentliche Revision an den OGH sei zulässig, das Rechtsmittel aber dann nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist die Revision trotz der

73 RIS-Justiz RS0120725 [T3]. 74 RIS-Justiz RS0042555 [T18, T28]. 75 RIS-Justiz RS0083252. 76 RIS-Justiz RS0128353.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 32

Zulässigerklärung durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen.77 Wird die vom Berufungsgericht als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO beurteilte Rechtsfrage im Rechtsmittel nicht angesprochen, ist auf diese Frage nicht weiter einzugehen, weil der OGH nicht dazu berufen ist, theoretisch zu einer Rechtsfrage Stellung zu nehmen, deren Lösung durch die zweite Instanz vom Rechtsmittelwerber gar nicht bestritten wird.78

Zum Sachverhalt: Die Revision der im Spruch genannten Beklagten (in der Folge kurz: Beklagte) ist ungeachtet des den OGH nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig. Den Beklagten gelingt es auch nicht, in ihrer Revision eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen: Die ordentliche Revision war daher zurückzuweisen. ***

§ 16 Abs 2 WEG (und § 37 Abs 5 WEG) Zum Änderungsrecht eines Wohnungseigentumsbewerbers und zu Abwehransprüchen gegen eigenmächtige Änderungen OGH 12.6.2018, 5 Ob 79/18f

Der OGH (5 Ob 79/18f) hat die „Vorauswirkung“ wohnungseigentumsrechtlicher Bestimmungen im Stadium der Wohnungseigentumsbegründung in Erinnerung gerufen. Ein Wohnungseigentumsbewerber, der das ihm zugesagte Objekt bereits bezogen hat, kann sich gemäß § 37 Abs 5 Satz 2 WEG bereits auf das Änderungsrecht nach § 16 Abs 2 WEG berufen. Sein Begehren auf (bauliche oder widmungstechnische) Änderung des ihm zugesagten und bereits übergebenen Objekts hat er mangels Zustimmung der übrigen Wohnungseigentumsbewerber im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren durchzusetzen. Ungeachtet dieses Änderungsrechts des Wohnungseigentumsbewerbers, das dieser bereits mit Bezug des Objekts und unabhängig vom Erwerb des Miteigentums erwirbt, setzt umgekehrt der im Wege der Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB durchzusetzende Abwehranspruch gegen eigenmächtige Änderungen sehr wohl die Stellung als Miteigentümer voraus. Rechtlicher Hintergrund: a) Zu den Vorauswirkungen des WEG im Stadium der Wohnungseigentumsbegründung Die abschließende Regelung des § 37 Abs 5 WEG über die Anwendung von wohnungseigentumsrechtlichen Bestimmungen im Begründungsstadium verlangt zwar in allen Fällen die Anmerkung der Zusage der Einräumung des Wohnungseigentums gemäß § 40 Abs 2 WEG im Grundbuch, unterscheidet aber letztlich drei unterschiedliche Fälle:79

Sobald eine Zusage der Einräumung des Wohnungseigentums im Grundbuch angemerkt ist und zumindest ein Wohnungseigentumsbewerber Miteigentum

77 RIS-Justiz RS0102059. 78 RIS-Justiz RS0102059 [T8, T13, T18]. 79 5 Ob 173/08i; 5 Ob 143/12h.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 33

erworben hat, gelten gemäß § 37 Abs 5 Satz 1 WEG für die Verwaltung der Liegenschaft und die Rechte der Miteigentümer die §§ 16 bis 34, 36 und 52 WEG.

Nach § 37 Abs 5 Satz 2 WEG hat ein Wohnungseigentumsbewerber, der noch nicht Miteigentümer, zu dessen Gunsten aber eine solche Zusage angemerkt ist, ab Bezug des wohnungseigentumstauglichen Objekts die Rechte nach §§ 16 und 52 Abs 1 Z 2 WEG sowie den Anspruch auf Rechnungslegung gemäß § 34 WEG.

Nach § 37 Abs 5 Satz 3 WEG hat ein solcher Wohnungseigentumsbewerber ab dem Zeitpunkt, zu dem sein späterer Miteigentumsanteil – insbesondere durch ein bereits vorliegendes Nutzwertgutachten – bekannt ist, die Rechte eines Miteigentümers, sofern zumindest ein anderer Wohnungseigentumsbewerber bereits Miteigentum erworben hat.

b) Zum Änderungsrecht des Wohnungseigentümers

Nach § 16 Abs 2 WEG ist der Wohnungseigentümer zu Änderungen (einschließlich Widmungsänderungen) an seinem Wohnungseigentumsobjekt auf seine Kosten berechtigt; dabei gilt Folgendes: Die Änderung darf weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer, besonders auch keine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses, noch eine Gefahr für die Sicherheit von Personen, des Hauses oder von anderen Sachen zur Folge haben (Z 1). Werden für eine Änderung auch allgemeine Teile der Liegenschaft in Anspruch genommen, so muss die Änderung überdies entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen (Z 2). Schon die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Mit- und Wohnungseigentümer verpflichtet nach ständiger Rechtsprechung den änderungswilligen Wohnungseigentümer, die Zustimmung aller anderen Mit- und Wohnungseigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters einzuholen. Erweist sich in diesem Sinne eine Änderung als genehmigungsbedürftig (= genehmigungspflichtig), bedarf es somit der Zustimmung aller Wohnungseigentümer (= Sachverfügung nach § 828 Abs 1 ABGB), die aber keinen Formvorschriften unterliegt und daher auch stillschweigend erteilt werden kann. Eine fehlende Zustimmung kann auf Antrag bei Vorliegen aller negativen Voraussetzungen (§ 16 Abs 2 Z 1 WEG) – sowie bei Inanspruchnahme allgemeiner Teile der Liegenschaft auch der positiven (§ 16 Abs 2 Z 2 WEG) Voraussetzungen – durch einen Beschluss des Außerstreitrichters ersetzt werden (§ 52 Abs 1 Z 2 WEG), der somit über die Genehmigungsfähigkeit einer genehmigungsbedürftigen Maßnahme zu entscheiden hat. Gegen einen Wohnungseigentümer, der eigenmächtig, also ohne vorherige Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer, Änderungen einschließlich Widmungsänderungen im Sinne des § 16 Abs 2 WEG vornimmt, kann jeder einzelne Wohnungseigentümer im streitigen Rechtsweg nach allgemeinen Grundsätzen petitorisch mit Klage nach § 523 ABGB auf Beseitigung der Änderung und Wiederherstellung des früheren Zustands sowie

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 34

gegebenenfalls auf Unterlassung künftiger Änderungen vorgehen.80 Der Streitrichter hat in einem solchen Fall die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung und die eigenmächtige Rechtsanmaßung als Vorfrage über die Berechtigung des Unterlassungs- und Wiederherstellungsbegehrens zu prüfen; die Genehmigungsfähigkeit selbst ist nicht Gegenstand des Verfahrens.81 Sachverhalt: Die Kläger sind zu je 83/16702 und 9/16702-Anteilen Miteigentümer einer Liegenschaft, mit denen Wohnungseigentum an Top 11.8, Keller 11.8 und einem Garagenabstellplatz für Kfz 17 verbunden ist. Die Beklagte ist zu 71/8351 und 9/8351-Anteilen Miteigentümerin der Liegenschaft verbunden mit Wohnungseigentum an Top 12.4, Keller 12.4 und Garagenabstellplatz für Kfz 21. Die Wohnungen der Streitteile verfügen über nördlich vorgelagerte Terrassen, die durch eine Mauer getrennt werden, auf der die Beklagte über die gesamte Länge eine Glaswand mit einer Metallkonstruktion befestigt hat. An beiden Enden dieser Glaswand sind Metallstützen montiert, die einerseits an der Metallkonstruktion, andererseits aber auch an der Hausmauer angeschraubt sind. An anderen Ecken der Terrasse befinden sich zwei weitere Stützen, die mit vier Schrauben an einer Metallplatte befestigt sind, die sich auf der Innenseite der Terrassenumfassungsmauer der Beklagten befindet. Sie kragen in einem Winkel von 15° von der Terrasse der Beklagten aus. Diagonal über die Terrasse verläuft eine Metallstange bzw Antriebswelle, an der ein Sonnensegel angebracht ist, das nach beiden Seiten ausgefahren werden kann. Komplett ausgefahren überspannt es die gesamte 5 x 5,5 m große Terrasse der Beklagten und wirft dann – je nach Sonnenstand und Ausfahrweite – Schatten auf die Terrasse der Kläger. Schon leichter Wind bewirkt Geräusche, die mit der Windstärke zunehmen. Das Sonnensegel kann über Automatik oder händisch betrieben werden. Die Kläger hatten bereits am 18.3.2011 mittels Klage die Beseitigung dieses Sonnensegels sowie Unterlassung derartiger Störungen von der Beklagten begehrt. Die Streitteile waren damals noch nicht Mit- und Wohnungseigentümer, Alleineigentümerin der Liegenschaft war – bis zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt nach Schluss der Verhandlung erster Instanz im Vorverfahren – noch die Wohnungseigentumsorganisatorin. Allerdings war zugunsten der Streitteile jeweils bereits die Zusage der Einräumung des Wohnungseigentumsrechts angemerkt und die Wohnungen den Streitteilen bereits übergeben worden. Im Vorverfahren änderte der OGH82 die stattgebenden Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Den Klägern als bloßen Wohnungseigentumswerbern stehe die Eigentumsfreiheitsklage zur Abwehr eigenmächtiger Änderungen eines Wohnungseigentumsbewerbers (oder Wohnungseigentümers) vor der Verbücherung seines Eigentums noch nicht zu, sodass die Kläger im Vorverfahren ihr Begehren nicht auf § 16 WEG erfolgreich stützen könnten.

80 RIS-Justiz RS0083156. 81 RIS-Justiz RS0083156 [T1, T20]. 82 5 Ob 143/12h.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 35

Die Kläger unterfertigten den Wohnungseigentumsvertrag am 31.3.2011, die Beklagte am 18.9.2012. Gegenstand des nunmehrigen Verfahrens ist das von den Klägern nunmehr auf ihr Wohnungseigentum gestützte Beseitigungs- und Wiederherstellungsbegehren in Bezug auf die Metallkonstruktion samt Sonnensegel. Das Erstgericht verneinte das Vorliegen einer rechtskräftig entschiedenen Streitsache und gab dem Beseitigungs- und Wiederherstellungsbegehren statt. Das Berufungsgericht verwarf die Nichtigkeitsberufung der Beklagten und gab der Berufung im Übrigen nicht Folge.

Der rechtserzeugende Sachverhalt sei nach zutreffender Auffassung des Erstgerichts ein anderer, weil die Streitteile bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Vorverfahren noch nicht Wohnungseigentümer gewesen seien. In rechtlicher Hinsicht ging es davon aus, dass im Fall einer Gesetzesänderung für einen Dauersachverhalt die Rechtsfolgen des neuen Gesetzes ab seinem Inkrafttreten bzw Anwendbarkeit des Gesetzes gelten. Die Konstruktion sei zwar „vor Anwendbarkeit des WEG“ geschaffen worden, repräsentiere aber einen Dauertatbestand, sodass § 16 WEG darauf anzuwenden sei. Der Streitrichter habe allerdings nur die Genehmigungsbedürftigkeit, nicht die Genehmigungsfähigkeit der Änderung zu prüfen, schon die Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer verpflichte den Änderungswilligen, deren Zustimmung oder die Genehmigung des Außerstreitrichters einzuholen. Dies habe die Beklagte verabsäumt. Aus dem Wohnungseigentumsvertrag ergebe sich nicht, dass die Außenhaut jener Wände, die auf der eigenen Terrasse liegen, uneingeschränkt der Nutzung der jeweiligen Wohnungseigentümer zugewiesen worden wäre. Die Außenhaut des Gebäudes sei – jedenfalls im Licht des § 16 Abs 2 Z 2 WEG – nach ständiger Rechtsprechung als allgemeiner Teil der Liegenschaft anzusehen. Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision zur Frage der „Anwendbarkeit des WEG auf Sachverhalte, die sich vor Anwendbarkeit desselben verwirklicht haben“ zu.

In ihrer Revision beantragte die Beklagte die Abänderung im Sinn einer Klageabweisung, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfragen zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Konkreter Fall: Zum Zeitpunkt der Errichtung des Sonnensegels war § 16 WEG bereits

aufgrund der Bestimmung des § 37 Abs 5 Satz 2 WEG anwendbar – die beklagte Wohnungseigentumsbewerberin hätte ihr Änderungsbegehren somit mangels Zustimmung im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren durchsetzen müssen

Zum Sachverhalt: Im Verfahren war nie strittig, dass die Beklagte die Metallkonstruktion und das Sonnensegel etwa 2009/2010 errichtete, also zu einem Zeitpunkt, als sowohl für sie als auch für die Kläger bereits die Zusage des Wohnungseigentums an den ihnen

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 36

letztlich auch zugewiesenen Objekten angemerkt und diese an sie bereits übergeben waren. Entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung lässt sich der Vorentscheidung 5 Ob 143/12h nicht entnehmen, § 37 Abs 5 WEG sei auf das Verhältnis der Streitteile untereinander gar nicht anzuwenden. Im Gegensatz zu den Regelungen nach Satz 1 und Satz 3 des § 37 Abs 5 WEG setzt dessen Satz 2 somit die Begründung von Miteigentum an der Liegenschaft nicht voraus, sondern verlangt nur den Bezug des wohnungseigentumstauglichen Objekts. Damit kann ein solcher Wohnungseigentumsbewerber sämtliche Ansprüche, die sich aus den §§ 16 und 34 WEG ergeben, im dafür generell vorgesehenen wohnungseigentumsrechtlichen Außerstreitverfahren nach § 52 WEG durchsetzen. Zum Sachverhalt: Damit waren zwar die Kläger im Vorverfahren als Wohnungseigentumsbewerber aufgrund des Umstands, dass damals noch kein Miteigentum an der Liegenschaft begründet gewesen war, nicht zur Klage auf Beseitigung eigenmächtiger Änderungen eines anderen Wohnungseigentumsbewerbers legitimiert.83 Allerdings wäre dessen ungeachtet die Beklagte als Wohnungseigentumsbewerberin nach § 37 Abs 5 Satz 2 WEG nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet gewesen, vor einer Änderung aufgrund der durch die eindeutige gesetzliche Anordnung in das Gründungsstadium vorverlegten Anwendbarkeit des § 16 WEG mangels Zustimmung ihr Änderungsbegehren im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren zu verfolgen und allenfalls durchzusetzen. Damit ist § 16 WEG auf die von der Beklagten veranlasste Änderung hier bereits anzuwenden, auch wenn diese auch noch vor Begründung des Wohnungseigentums selbst erfolgte. b) Konkreter Fall: Die Legitimation zur Einbringung einer Eigentumsfreiheitsklage ist

nunmehr aufgrund des mittlerweile erfolgten Miteigentumserwerbs seitens der Kläger gegeben

Die Beurteilung des Fachsenats, den klagenden Wohnungseigentumsbewerbern könne nicht bereits vor Begründung von Miteigentum an der Liegenschaft die Eigentumsfreiheitsklage zugebilligt werden84, bezog sich jeweils auf einen Zeitraum vor Einverleibung des Miteigentums für zumindest einen weiteren Wohnungseigentumsbewerber. Mit diesem Zeitpunkt erlangt der weitere Wohnungseigentumsbewerber (bzw hier eben der einverleibte Wohnungseigentümer) aber jedenfalls das Recht, zur Abwehr einer eigenmächtig vorgenommenen Änderung im Sinn des § 16 Abs 2 WEG durch einen anderen Wohnungseigentümer (bzw -bewerber) mit Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB einen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch geltend zu machen.85 c) Konkreter Fall: Eigenmacht der Beklagten, zumal die Errichtung des Sonnensegels

auch die Fassade als allgemeinen Teil der Liegenschaft in Anspruch nahm

83 5 Ob 143/12h; RIS-Justiz RS0124155. 84 5 Ob 173/08i; 5 Ob 143/12h. 85 Vgl RIS-Justiz RS0083156.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 37

Zum Sachverhalt: An der Eigenmacht der Beklagten vermag nach der jedenfalls vertretbaren Auslegung der Vorinstanzen der Wohnungseigentumsvertrag nichts zu ändern. Die Außenfassade des Hauses ist nach der ständigen Rechtsprechung86 allgemeiner Liegenschaftsteil und bleibt funktionell auch dann allgemeiner Teil des Hauses, wenn daran eine Flugdachkonstruktion auf einer zu einem Wohnungseigentumsobjekt gehörenden Terrasse87 oder eine Markise zur Beschattung eines Wohnungseigentumsobjekts inklusive des anschließenden (Zubehör-)Gartens88 befestigt wird. An der Genehmigungsbedürftigkeit einer solchen Änderung ist nicht zu zweifeln. d) Im streitigen Verfahren ist nur die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung, nicht

aber deren Genehmigungsfähigkeit zu prüfen Dass der Streitrichter nur die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung und die eigenmächtige Rechtsanmaßung als Vorfrage für die Berechtigung des Unterlassungs- und Wiederherstellungsbegehrens zu prüfen hat, nicht hingegen die Genehmigungsfähigkeit, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats.89 e) Ergebnis des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage stellt sich nicht, weil das Gesetz selbst (§ 37 Abs 5 WEG) eine klare und eindeutige Regelung zur Anwendbarkeit von Bestimmungen des WEG vor Begründung des Wohnungseigentums trifft und hierzu bereits Judikatur des Fachsenats – nicht zuletzt in dem die Streitteile betreffenden Vorverfahren90 – vorliegt. Die Revision war daher mangels erheblicher Rechtsfrage als unzulässig zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren – über die Ausführung der Zurückweisungsgründe hinausgehenden – Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO). Anmerkungen: Während sich der Wohnungseigentumsbewerber bereits ab Bezug des ihm zugesagten Objekts auf das Änderungsrecht nach § 16 Abs 2 stützen kann, setzt der im Wege der Eigentumsfreiheitsklage geltend zu machende Abwehranspruch nach der Rechtsprechung den Erwerb von Miteigentum an der Liegenschaft voraus. Das Recht zur Einbringung einer Eigentumsfreiheitsklage kann somit nicht als Gegenstück zum Änderungsrecht nach § 16 Abs 2 WEG gesehen werden. Der OGH erklärt dies damit, dass die Gewährung der Eigentumsfreiheitsklage an einen Wohnungseigentumsbewerber völlig losgelöst von seiner Miteigentümerstellung die in § 37

86 RIS-Justiz RS0069976 [T3]; RS0083334 [T1]. 87 5 Ob 97/09i. 88 5 Ob 188/15f mit weiteren Nachweisen. 89 5 Ob 192/15v; RIS-Justiz RS0083156. 90 5 Ob 143/12h.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 38

Abs 5 WEG exakt vorgesehene Differenzierung, in welchen Fällen d der „Vorauswirkung“ wohnungseigentumsrechtlicher Bestimmungen die Begründung von Miteigentum vorausgesetzt wird (Satz 1 und Satz 3) und in welchem Fall nicht (Satz 2) vernachlässigen würde. Im Übrigen habe die Eigentumsfreiheitsklage ihre Wurzel gerade nicht in § 16 Abs 2 WEG, sondern in § 523 ABGB im Verbindung mit § 829 ABGB. Die Verbesserung der Rechtsposition eines Wohnungseigentumsbewerbers durch Einräumung des im außerstreitigen Verfahrens durchzusetzenden Änderungsrechts muss nicht zwangsläufig mit der Gewährung der Eigentumsfreiheitsklage verbunden sein, die Eingriffe in das (Mit-)Eigentumsrecht verhindern soll. Dass die Rechtsprechung den Wohnungseigentumsbewerbern Klagsansprüche nach § 372 ABGB (actio publiciana = Klage aus dem rechtlich vermuteten Eigentum), § 364 ABGB (= nachbarrechtlicher Immissionsschutzanspruch) und § 364a ABGB (= Eingriffshaftung bei behördlich genehmigten Anlagen) analog zubilligt, ändert daran nichts.91 *** • § 16 Abs 2 WEG (§ 2 Abs 3 WEG)

Bagatellhafte Änderungen (hier: Errichtung eines Gartenzauns und Verlängerung einer Steinmauer in einem Garten) sind im Wohnungseigentum nicht genehmigungsbedürftig

OGH 18.7.2018, 5 Ob 84/18s

Der OGH (5 Ob 84/18s) hat in Erinnerung gerufen, dass bei der Beurteilung der Frage der Genehmigungsbedürftigkeit einer Änderung auch die mögliche Interessensbeeinträchtigung der anderen Mit- und Wohnungseigentümer durch eine erhebliche Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses mitzuberücksichtigen ist und als bagatellhaft zu qualifizierende Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes (hier: Errichtung eines Gartenzauns und Verlängerung einer Steinmauer in einem Garten) daher keine Genehmigungsbedürftigkeit auslösen. Sachverhalt: Die Kläger sind Miteigentümer einer Liegenschaft verbunden mit Wohnungseigentum an einer Wohnung samt Zubehör Kellerabteil und Garten. Die Beklagten sind ebenfalls Miteigentümer dieser Liegenschaft mit Wohnungseigentum an einer Wohnung samt Kellerabteil sowie Garten als Zubehör. Die Beklagten erwarben ihre Anteile mit Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag vom 11. November 2013 direkt von der Bauträgerin und Wohnungseigentumsorganisatorin. Sämtliche übrigen Anteile verblieben zunächst bei der Bauträgerin. Die Kläger erwarben ihre Anteile erst mit Wohnungseigentumskaufvertrag vom 28. August 2014 von der Bauträgerin. Vor dem Bau der Anlage befanden sich dort eine Wiese und ein paar Bäume. Die Idee der Bauträgerin war, das Umfeld so zu lassen wie es ursprünglich war, allerdings sollten die

91 Siehe hierzu näher mit weiteren Nachweisen 5 Ob 173/08i.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 39

Wohnungseigentümer ihre zugehörigen Gärten bis zu einem gewissen Grad individuell gestalten können. In dem zwischen den Beklagten und der Bauträgerin abgeschlossenen Bauträgervertrag hieß es (Punkt 16.6) unter „gegenseitige Rücksichtnahme/Gestaltungsplan“:

„Die Wohnungseigentümer verpflichten sich bei der Nutzung und Gestaltung der ihnen allein zugewiesenen Außenflächen (Balkon, Terrasse und Garten), insbesondere bei der Bepflanzung auf die übrigen Miteigentümer Rücksicht zu nehmen. Die Erwerberseite unterwirft sich dem von der Verkäuferseite zu erlassenden Gestaltungsplan hinsichtlich der Abgrenzung der einzelnen, zu den Wohnungseigentumseinheiten dazuparifizierten Garteneinteile. Sie verpflichtet sich, die ihr allenfalls zukommenden Gartenanteile nicht anders als im festgelegten Gestaltungsplan von den übrigen Gartenanteilen abzugrenzen. Die Abgrenzung darf ihr jedoch nicht untersagt werden. Diese Verpflichtungen sind allfälligen Rechtsnachfolgern im Eigentum zu überbinden.“

Der Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag der Beklagten mit der Bauträgerin enthält unter Punkt 16.6 „gegenseitige Rücksichtnahme/Gestaltungsplan“ nur mehr den Satz:

„Die Wohnungseigentümer verpflichten sich, bei der Nutzung und Gestaltung der ihnen alleine zugewiesenen Außenflächen (Balkon, Terrasse und Garten), insbesondere bei der Bepflanzung, auf die übrigen Miteigentümer Rücksicht zu nehmen.“

Gleich nach Kauf ihrer Wohnung begannen die Beklagten mit Errichtung einer Steinmauer in ihrem Garten, dies mit Zustimmung der Bauträgerin, allerdings „ohne Zustimmung der Wohnungseigentumsgemeinschaft“. In weiterer Folge verlängerten die Beklagten diese Steinmauer weiter in Richtung des Gartens der Kläger. Im Frühjahr 2016 begannen die Beklagten mit der Umgestaltung ihres Gartenanteils, indem sie einen Zaun anbrachten. Außerdem legten sie unter Verwendung von quer zur Hangneigung verlegten Holzbalken – mittlerweile begrünte und bepflanzte – Terrassen an. Der tiefer liegende Garten der Kläger grenzt unmittelbar an denjenigen der Beklagten an. Die übrigen Gärten der Wohnanlage sind ebenfalls mit Sträuchern und Blumen bepflanzt, weisen aber keine Anlage auf wie diejenige der Beklagten. Die Kläger begehrten von den Beklagten die Beseitigung der von ihnen vorgenommenen Veränderungen, nämlich Anbringung einer Steinmauer, eines mehrstufigen Gebildes bestehend aus quer verlegten Holzbalken und eines Zaunes, die Wiederherstellung des früheren Zustands in Form einer begrünten Wiesenfläche entsprechend der Gesamtanlage und Unterlassung derartiger Änderungen. In der Tagsatzung vom 14. September 2017 modifizierten sie unter Hinweis auf die im Einvernehmen mit der Bauträgerin errichtete Steinmauer und einer allfälligen behördlichen Auflage für den Zaun auf der Mauer zwischen den beiden Wohnungseigentumseinheiten ihr Beseitigungsbegehren dahingehend, dass es sich auf „die Anbringung einer Steinmauer,

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 40

soweit diese nicht bereits im Oktober 2014 bestand, des mehrstufigen Gebildes bestehend aus quer verlegten Holzbalken und eines Zaunes, soweit dieser nicht baubehördlich vorgegeben sei“, beziehen solle und präzisierten die wiederherzustellende begrünte Wiesenfläche unter Hinweis auf den Gestaltungsplan und vorgelegte Lichtbilder. Aufgrund der vom Erstgericht geäußerten Bedenken der mangelnden Exekutionsfähigkeit dieses Begehrens erklärten die Kläger letztlich, das ursprüngliche Klagebegehren aufrecht zu erhalten und das modifizierte Klagebegehren als Eventualbegehren zu stellen. Sie behaupteten, die Änderungen der Beklagten widersprächen § 16 Abs 2 Z 1 WEG, weil nun bei Regenfällen Wasser vom Garten der Beklagten in denjenigen der Kläger eindringen könne, sodass schutzwürdige Interessen anderer Wohnungseigentümer beeinträchtigt würden. Überdies hätte die Gartengestaltung eine wesentliche Veränderung der äußeren Erscheinung der Gesamtanlage zur Folge. Die Beklagten sprachen sich gegen die Zulassung der Klageänderung aus und wendeten ein, der Gartenanteil sei ihnen zur alleinigen Nutzung zugeordnet. Die von ihnen angelegten Terrassen entsprächen einer üblichen Gartengestaltung. Ein Gestaltungsplan sei nie Inhalt des Wohnungseigentumsvertrags geworden. Eine Schädigung oder Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer oder des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses durch die Gartengestaltung sei auszuschließen. Die Steinmauer habe die Bauträgerin ausdrücklich genehmigt. Das Erstgericht ließ die Klageänderung zu und gab dem Hauptbegehren statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies Haupt- und Eventualbegehren in Bezug auf die Steinmauer und den Zaun mittels Teilurteil ab. Hinsichtlich des mehrstufigen Gebildes aus den quer verlegten Holzbalken hob es das Ersturteil zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung auf.

Das Klagebegehren sei schlüssig. Die Änderung eines Objekts, das sich auf einem im Zubehör-Wohnungseigentum stehenden Liegenschaftsteil befinde und folglich dem ausschließlichen Nutzungsrecht des Wohnungseigentümers unterliege, sei nur nach § 16 Abs 2 Z 1 WEG zu prüfen. Die Änderung dürfe somit weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer, insbesondere auch keine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses noch eine Gefahr für die Sicherheit von Personen, des Hauses oder von anderen Sachen zur Folge haben. Als Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses sei nur eine Verschlechterung des Erscheinungsbildes zu werten. Zwar verpflichte schon die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Mit- und Wohnungseigentümer den Änderungswilligen, die Zustimmung aller anderen Miteigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters einzuholen, widrigenfalls auf Beseitigung der Änderung und Wiederherstellung des früheren Zustands und Unterlassung auch vom einzelnen Mit- und Wohnungseigentümer geklagt werden könne. Im streitigen Verfahren sei aber ausschließlich die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung zu prüfen, über die Genehmigungsfähigkeit infolge Vorliegens der Voraussetzungen nach § 16 Abs 2 WEG habe im Konfliktfall ausschließlich der Außerstreitrichter zu entscheiden. Eine vertragliche Vereinbarung der Wohnungseigentümer, an einer einheitlichen Gestaltung der Wohnungseigentumsanlage

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 41

festzuhalten, sei bei der Prüfung der Schutzwürdigkeit des Interesses an der Abwehr von Eingriffen besonders zu berücksichtigen.

Hier hätten die Beklagten zwar im Bauträgervertrag erklärt, sich hinsichtlich der Abgrenzung der einzelnen Gartenanteile dem Gestaltungsplan der Verkäufer zu unterwerfen, eine derartige Bestimmung enthalte der Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag aber nicht mehr, was jedenfalls als speziellere Vereinbarung zu Punkt 1.3 dieses Vertrags zu werten sei, wonach die Vereinbarung der Vertragsparteien im Bauträgervertrag aufrecht bleibe. Die Parteien hätten daher den Plan gar nicht mehr zum Gegenstand der Nutzungsvereinbarung betreffend die Gartenanteile gemacht. Eine bloße Idee der Bauträgerin, das Umfeld natürlich zu belassen, sei nicht als bindende Vereinbarung zu werten. Die Wohnungseigentümer seien daher berechtigt, die Gartenanteile individuell zu gestalten, müssten dabei aber insbesondere bei der Bepflanzung auf die übrigen Miteigentümer Rücksicht nehmen.

Eine Gefahr der Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der Kläger durch die Gartengestaltung der Beklagten liege nicht vor. Die Errichtung von Steinmauern, Holzbalken und einem niedrigen Holzzaun liege im Rahmen der alleinigen Gartennutzungsbefugnis. Diese Gartengestaltung führe nicht zu einer dauernden Substanzveränderung im Sinn der Entscheidung 5 Ob 25/13g. Auch die Möglichkeit der Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes der Anlage durch die Gartengestaltung sei nicht zu erkennen. In Bezug auf die Steinmauer und den niedrigen Holzzaun sei das Klagebegehren daher mangels Vorliegens einer Genehmigungsbedürftigkeit abzuweisen.

Betreffend die Holzbalkenkonstruktion sah das Berufungsgericht allerdings einen sekundären Feststellungsmangel, weil die Kläger behauptet hätten, dadurch gelange vermehrt Regenwasser in ihren Gartenbereich. Sei dies der Fall, bestehe die Möglichkeit der Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Interessen im Sinn des § 16 Abs 2 Z 1 WEG. Das Erstgericht habe dazu keine Feststellungen getroffen, weshalb das Ersturteil insoweit aufzuheben sei.

Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision gegen das Teilurteil mit der Begründung zu, es fehle Judikatur zur Frage, in welchem Umfang eine Ermessensentscheidung über die Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes bei Prüfung der Genehmigungsbedürftigkeit nach § 16 Abs 2 Z 1 WEG bereits im streitigen Verfahren vorzunehmen sei. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Zum Gegenstand des Revisionsverfahrens Zum Sachverhalt: Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nur gegen das Teilurteil zu, hinsichtlich des aufhebenden Teils seiner Entscheidung erfolgte kein Zulassungsausspruch im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO. Dass ein solcher Ausspruch bloß versehentlich unterblieben wäre92, ist aus der Begründung nicht ableitbar. Aufhebungsbeschlüsse ohne Rechtskraftvorbehalt sind aber unanfechtbar.93 Eine Überprüfung der berufungsgerichtlichen

92 RIS-Justiz RS0043986 [T10]. 93 Vgl RIS-Justiz RS0043986; 5 Ob 194/17s mit weiteren Nachweisen.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 42

Rechtsauffassung in Bezug auf den aufhebenden Teil der Entscheidung scheidet somit aus. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Genehmigungsbedürftigkeit des Zauns und der Steinmauer im Hausgarten der Beklagten. b) Die Genehmigungsbedürftigkeit einer Änderung liegt schon bei bloßer Möglichkeit

einer Interessenbeeinträchtigung vor Nach der ständigen Rechtsprechung verpflichtet schon die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Mit- und Wohnungseigentümer den Änderungswilligen, die Zustimmung aller anderen Miteigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters einzuholen. Tut er das nicht, nimmt er also Änderungen im Sinn des § 16 Abs 2 WEG ohne vorherige Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer und ohne Genehmigung des Außerstreitrichters vor, handelt er in unerlaubter Eigenmacht und kann im streitigen Rechtsweg petitorisch mit Klage nach § 523 ABGB zur Beseitigung der Änderung und Wiederherstellung des früheren Zustands sowie gegebenenfalls auf Unterlassung künftiger Änderungen verhalten werden.94 Im Prozess über die Klage auf Unterlassung oder Beseitigung rechtswidriger Änderungen ist nach herrschender Rechtsprechung auch des erkennenden Senats95 die Genehmigungsbedürftigkeit, nicht aber die Genehmigungsfähigkeit der Änderung zu prüfen.96 c) Bagatellhafte Umgestaltungen sind genehmigungsfrei In der Rangordnung unter § 16 Abs 2 WEG – und daher von den Einschränkungen dieses Individualrechts gar nicht erfasst – sind lediglich nicht genehmigungsbedürftige Änderungen im Sinn von bagatellhaften Umgestaltungen.97 Der OGH hat dazu bereits ausgesprochen98, dass einem Miteigentümer, dem der physische Besitz eines Teils der Liegenschaft zur alleinigen Nutzung überlassen wurde, die alleinige rechtliche Verfügungsgewalt über diesen Teil zukommt und dass das alleinige Nutzungsrecht unter gewissen Voraussetzungen auch das Recht zur physischen Veränderung umfasst. § 828 ABGB, wonach kein Teilhaber einer gemeinsamen Sache bei Uneinigkeit der Miteigentümer Veränderungen vornehmen darf, steht dem nur dann entgegen, wenn durch die Substanzveränderungen in die Rechtssphäre der übrigen Teilhaber eingegriffen und deren wichtige Interessen berührt werden. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist eine typische Einzelfallbeurteilung.

94 RIS-Justiz RS0083156; RS0005944. 95 5 Ob 73/14t = Newsletter vom 21. Jänner 2015. 96 RIS-Justiz RS0013665 [T15]; RS0083156 [T6, T14, T20]. 97 Vgl RIS-Justiz RS0109247. 98 5 Ob 73/14t = Newsletter vom 21. Jänner 2015; 5 Ob 40/12m = Newsletter vom 23. Jänner 2013; vgl auch

RIS-Justiz RS0013205.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 43

In der Entscheidung 5 Ob 25/13g99 (die auf die ausführliche Darstellung der Judikatur zur Frage bagatellhafter Änderungen in 5 Ob 25/08z verwies), wurden Gartengestaltungsmaßnahmen in Form der Errichtung eines Maschendrahtzauns, einer Terrassenfläche aus Betonplatten im Ausmaß von 13,5 m² samt Randleiste, der Anbringung von drei Betonringen im Boden zur Verwendung als Blumentröge und der Errichtung von 8 cm hohen Randleisten im Bereich des Maschendrahtzauns samt Mähkanten aus Betonsteinen als nicht genehmigungsbedürftige, weil rein oberflächliche Gestaltungsmaßnahmen gewertet, zumal dort keine alle Wohnungseigentümer bindende Vereinbarung, die Gartenfläche zur Gänze in bestimmter Form zu belassen und zu gestalten festgestellt sei.

In der bereits zitierten Entscheidung 5 Ob 73/14t100 stellte der Senat im Zusammenhang mit dem Austausch einer Holzwohnungseingangstür für die Beurteilung der Genehmigungsbedürftigkeit auch auf die – dort massive – Veränderung im Erscheinungsbild des Wohnungseingangsbereichs ab, ebenso zu 5 Ob 38/15x, wo es um den Einbau eines Garagentores ging. Dort nahm der Fachsenat auch dezidiert zur Prüfbefugnis des Streitrichters Stellung: Wenn eine erhebliche Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses nicht mehr als bagatellhaft qualifiziert wird, ist das im Einzelfall nicht zu beanstanden. Für Fragen der angeblich fehlenden Beeinträchtigung der Interessen der Mit- und Wohnungseigentümer und der Interessensabwägung ist im streitigen Verfahren kein Raum.

Die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage ist somit bereits dahin beantwortet, dass bei der Beurteilung der Frage der Genehmigungsbedürftigkeit einer Änderung auch die mögliche Interessensbeeinträchtigung der anderen Mit- und Wohnungseigentümer durch eine erhebliche Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses mitzuberücksichtigen ist und als bagatellhaft zu qualifizierende Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes daher keine Genehmigungsbedürftigkeit auslösen. Zum Sachverhalt: Dass das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung der Genehmigungsbedürftigkeit der Anbringung des Zauns und der Steinmauer auch auf die Frage der Verschlechterung des Erscheinungsbildes der übrigen Wohnanlage abstellte (die es letztlich aber verneinte), hält sich somit im Rahmen der zitierten Rechtsprechung und ist nicht korrekturbedürftig. d) Zur Auslegung des Bauträgervertrags und des nachfolgenden Kauf- und

Wohnungseigentumsvertrags im vorliegenden Fall Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde.101 Zum Sachverhalt: Dies ist hier nicht der Fall. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die allgemeine Bezugnahme [auf den Bauträgervertrag] in Punkt 1.3. des Kauf- und

99 = Newsletter vom 4. Dezember 2013. 100 = Newsletter vom 21. Jänner 2015. 101 RIS-Justiz RS0042936.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 44

Wohnungseigentumsvertrags102 reiche im Hinblick auf die speziellere Bestimmung 16.6. des Vertrags nicht aus, um von einer verbindlichen Unterwerfung der Beklagten unter den Gestaltungsplan ausgehen zu können, ist vertretbar. Im Übrigen reicht der festgestellte Wortlaut ohnedies nicht aus, um von einer verbindlichen Vereinbarung der Gartengestaltung ausgehen zu können, enthält doch 16.6. des Bauträgervertrags das Recht auf nicht untersagbare Abgrenzungen, die auch dem Gestaltungsplan (in Form von Mauern und Bepflanzung) zu entnehmen sind. Eine im Streitverfahren beachtliche, alle Wohnungseigentümer bindende Vereinbarung, die Gartenflächen in bestimmter Form zu belassen und zu gestalten, läge somit selbst dann nicht vor, wenn der Plan tatsächlich Bestandteil des Kauf- und Wohnungseigentumsvertrags geworden wäre. e) Konkreter Fall: Die Garteneinzäunung ist keine genehmigungsbedürftige Änderung Zum Sachverhalt: Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Einzäunung sei keine dauerhafte Substanzveränderung, ist nicht korrekturbedürftig. Sie folgt der Entscheidung 5 Ob 25/13g103, deren Gegenstand (ua) ein Maschendrahtzaun war. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch die ständige Rechtsprechung104, wonach die Begründung von Zubehörwohnungseigentum nur an deutlich abgegrenzten Teilen einer Liegenschaft zulässig ist, wobei ar uf eine sinnlich wahrnehmbare Abgrenzung abzustellen ist. Wenn dabei auch die Verkehrsauffassung maßgeblich und eine Abgrenzung nicht allein auf die Errichtung von Zäunen oder Mauern beschränkt ist, würde doch eine völlig offene Gartengestaltung sämtlicher im Zubehörwohnungseigentum stehender Hausgärten ohne jegliche sinnlich wahrnehmbare Abgrenzung – wie offenbar von den Klägern gewünscht – dieser Definition des Zubehörwohnungseigentums widersprechen. f) Konkreter Fall: Die (Verlängerung der) Steinmauer ist keine

genehmigungsbedürftige Änderung Zum Sachverhalt: Auch hinsichtlich der Steinmauer bedarf die Beurteilung des Berufungsgerichts keiner Korrektur im Einzelfall. Ob mit der Errichtung der Steinmauer ursprünglich eine gewisse Substanzveränderung des Hausgartens verbunden war, bedarf keiner weiteren Erörterung. Selbst wenn man dies annehmen wollte, war diese Veränderung damals jedenfalls von der ausdrücklichen Zustimmung der Bauträgerin (und alleinigen Liegenschaftseigentümerin) getragen, zumal nach dem Vorbringen der Kläger selbst die Beklagten bereits unmittelbar nach Erwerb ihres Anteils (der mit der Wohnungseigentumsbegründung einherging) mit der Errichtung dieser Mauer begonnen haben. Die vom Erstgericht missverständlich getroffene Feststellung, eine Zustimmung der „Wohnungseigentümergemeinschaft“ hierzu liege nicht vor, ist daher nach der insoweit unstrittigen Aktenlage und dem Grundbuchstand dahin zu relativieren, dass lediglich die nachträglich hinzugekommenen Mit- und Wohnungseigentümer (wie die Kläger), die ihre

102 Gemeint ist offenbar eine Bezugnahme dergestalt, dass die Bestimmungen des Bauträgervertrags Geltung

haben sollten, soweit der Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag keine davon abweichenden spezielleren Regelungen vorsieht.

103 = Newsletter vom 4. Dezember 2013. 104 RIS-Justiz RS0118605.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 45

Anteile erst später von der Bauträgerin als Wohnungseigentümerin erwarben, dazu keine ausdrückliche Zustimmung mehr erklärten. Da die Beklagten bei der ursprünglichen Errichtung der Steinmauer aber über eine Zustimmung der Bauträgerin verfügten, die damals Eigentümerin aller anderen Miteigentumsanteile war, bedurften sie insoweit keiner Genehmigung des Außerstreitgerichts. Unter Berücksichtigung dieses Umstands ist es aber nicht zu beanstanden, die bloße Verlängerung dieser Steinmauer in Richtung des Gartens der Kläger – in nicht näher festgestelltem Ausmaß – als nicht wesentlich substanzverändernd, somit als bagatellhaft und nicht genehmigungsbedürftig zu werten. g) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Da sich somit keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO stellt, ist die Revision als unzulässig zurückzuweisen. ***

§ 16 Abs 2 WEG (und § 523 ABGB sowie § 863 ABGB) Zur Anscheinsvollmacht im Rahmen von Zustimmungserklärungen im Wohnungseigentum OGH 6.11.2018, 5 Ob 119/18p

Der OGH (5 Ob 119/18p) hat im Wohnungseigentumsrecht vor dem Hintergrund einer eigenmächtigen baulichen Änderung (Errichtung eines Wintergartens auf der Terrasse eines Wohnungseigentümers) festgestellt, dass sich bei Bestehen einer Eigentümerpartnerschaft ein Eigentümerpartner auch ohne Mitwirkung des anderen Eigentümerpartners gegen einen rechtswidrigen Eingriff in sein Anteilsrecht wehren kann. Im konkreten Fall konnte auch nicht von einer Zustimmung des Klägers zur gegenständlichen baulichen Änderung im Wege einer Anscheinsvollmacht der Ehegattin und Eigentümerpartnerin des Klägers ausgegangen werden, die der Änderung nachträglich zugestimmt hat. Bei einer Anscheinsvollmacht hat nämlich der die Vertretungsmacht begründende Anschein nicht vom Vertreter, sondern von einem Verhalten des Vertretenen auszugehen. Die Untätigkeit des Klägers über zweieinhalb Jahre trotz Kenntnis der baulichen Änderung hat auch noch keine konkludente Zustimmung bewirkt. Sachverhalt: Die Parteien des Verfahrens sind (neben weiteren am Verfahren nicht beteiligten Personen) Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Die Miteigentumsanteile des Klägers sind gemäß §§ 5 Abs 3, 13 Abs 3 WEG mit jenen seiner Ehegattin verbunden (Eigentümerpartnerschaft). Der Beklagte hat im Jahr 2013 auf der Terrasse der in seinem Wohnungseigentum stehenden Wohnung einen Wintergarten errichtet. Der Kläger begehrte, den Beklagten schuldig zu erkennen, diesen Wintergarten zu entfernen und den ursprünglichen Bauzustand wiederherzustellen.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 46

Der Beklagte wandte unter anderem ein, dass die Klage schikanös und rechtsmissbräuchlich sei.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Entfernung des Wintergartens und Wiederherstellung des ursprünglichen Bauzustands.

Der Kläger habe nie seine Zustimmung erteilt. Die Ehegattin, die der Errichtung des Wintergartens nachträglich zugestimmt habe, habe nicht im Vollmachtsnamen des Klägers gehandelt. Es lägen auch keine Umstände vor, aufgrund welcher der Beklagte auf eine Anscheinsvollmacht der Ehegattin des Klägers vertrauen habe dürfen. Der vom Kläger „vorsichtshalber“ erklärte Widerruf einer allfälligen Zustimmung lasse weder auf eine Anscheinsvollmacht noch auf eine stillschweigende Zustimmung zur Errichtung des Wintergartens schließen. Aus der zweijährigen Untätigkeit könne nicht geschlossen werden, dass der Kläger auf sein Recht zur Beseitigung des Wintergartens verzichtet habe. Beweisergebnisse, die auf eine alleinige Schädigungsabsicht des Klägers im Vorgehen gegen den Beklagten schließen ließen, lägen nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge.

Es sei völlig unklar, welchen Anschein der Kläger zum Zeitpunkt der Unterfertigung der Erklärung durch seine Ehegattin gesetzt haben solle, der ihm als Vollmachtserteilung zugerechnet werden könnte. Aus dem Widerruf seiner „angeblichen“ Zustimmung könne jedenfalls keine Anscheinsvollmacht der Ehegattin des Klägers zum Zeitpunkt ihrer Zustimmungserklärung abgeleitet werden. Wenn der Kläger im Nachhinein, um Missverständnissen vorzubeugen, ausdrücklich klarlege, nicht zugestimmt zu haben, so setze er gerade keinen Tatbestand, aus dem der Beklagte für die Vergangenheit schließen könne, seine Ehegattin hätte (auch) für den Kläger zugestimmt. Die zweijährige Untätigkeit des Klägers könne nicht als konkludente Zustimmung verstanden werden. Der Beklagte habe gewusst, dass die Zustimmung aller Wohnungseigentümer zur Errichtung eines solchen Wintergartens erforderlich sei, weshalb er dem schlichten Schweigen von Wohnungseigentümern keinen Erklärungswert im Sinn eines Verzichts beimessen habe dürfen. Ein Zeitraum von zwei Jahren sei mangels sonstiger Anhaltspunkte zu kurz, um eine widmungswidrige Veränderung unangreifbar zu machen. Das Interesse an der Abwehr eigenmächtiger Eingriffe in das (Mit-)Eigentum sei stets zuzubilligen. Darin liege noch keine Schikane. Allein aufgrund des Umstands, dass sich der Kläger unter gewissen Umständen eine positive Abstimmung über die Errichtung von Wintergärten vorstellen habe können, sei seine Rechtsverfolgung nicht als ausschließlich von Schädigungsabsicht getragen einzuschätzen.

Das Berufungsgericht sprach – in Stattgebung des Abänderungsantrags des Beklagten nach § 508 Abs 1 ZPO – nachträglich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Er beantragt, die angefochtene Entscheidung abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

Der Beklagte begründet die Zulässigkeit und die Berechtigung seiner Revision zusammengefasst damit, dass das Berufungsgericht in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch nicht behandelte Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Einwand der Schikane unrichtig beurteilt

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 47

habe. In diesem Sinn zu klären sei, welche Bedeutung einer ursprünglich – auf Basis einer Anscheinsvollmacht – erteilten, später zwar widerrufenen, aber unter bestimmten Bedingungen wieder in Aussicht gestellten Zustimmung des Klägers und dessen nachfolgender jahrelanger Untätigkeit zukomme.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung des OGH:

a) Zur Genehmigungsbedürftigkeit baulicher Änderungen und zum

Unterlassungsanspruch der übrigen Miteigentümer bei eigenmächtiger Vornahme Die Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Mit- und Wohnungseigentümer verpflichtet den änderungswilligen Wohnungseigentümer, die Zustimmung aller anderen Mit- und Wohnungseigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters einzuholen. Tut er das nicht, nimmt er also Änderungen im Sinne des § 16 Abs 2 WEG ohne vorherige Zustimmung der übrigen Mit- und Wohnungseigentümer und ohne Genehmigung des Außerstreitrichters vor, handelt er in unerlaubter Eigenmacht und kann im streitigen Rechtsweg petitorisch mit Klage nach § 523 ABGB zur Beseitigung der Änderung und Wiederherstellung des früheren Zustands sowie gegebenenfalls auf Unterlassung künftiger Änderungen verhalten werden.105 Das Recht zur Abwehr eigenmächtig vorgenommener Änderungen durch einen anderen Wohnungseigentümer steht jedem einzelnen Wohnungseigentümer zu.106 Bei Bestehen einer Eigentümerpartnerschaft nach § 13 WEG kann sich ein Eigentümerpartner gegen einen rechtswidrigen Eingriff in sein Anteilsrecht wehren, ohne der Mitwirkung des anderen Eigentümerpartners zu bedürfen.107 Grundsätzlich wird zwar auch das Eigentumsrecht durch das Verbot der schikanösen Rechtsausübung beschränkt108, doch ist dem Mit- und Wohnungseigentümer stets ein Interesse an der Abwehr eines eigenmächtigen Eingriffs in das Miteigentum zuzubilligen109; darin liegt daher noch keine Schikane.110 Schikanöse Rechtsausübung liegt aber nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten und den beeinträchtigten Interessen eines anderen ein krasses Missverhältnis besteht und das Interesse des Rechtsausübenden an der Wiederherstellung des ehemaligen Zustands gegenüber den Interessen des Beklagten auf Belassung des gegenwärtigen Zustands völlig in den Hintergrund tritt.111

105 RIS-Justiz RS0083156; RS0005944; RS0012137. 106 RIS-Justiz RS0083156 [T15]; RS0005944 [T1]; RS0012137 [T17]. 107 4 Ob 8/04m; RIS-Justiz RS0035415 [T2]. 108 RIS-Justiz RS0026265 [T9]; RS0013203 [T4]. 109 RIS-Justiz RS0013203. 110 RIS-Justiz RS0012138. 111 Missbräuchliche Rechtsausübung; 5 Ob 236/17t = Newsletter vom 11. Juli 2018 mit weiteren Nachweisen;

RIS-Justiz RS0013207; RS0026265; RS0037903 [T7].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 48

b) Bei einer Anscheinsvollmacht muss der die Vertretungsmacht begründende Anschein

von einem Verhalten des Vertretenen (und nicht von einem Verhalten des Vertreters) ausgehen

Zum Sachverhalt: Die Vorinstanzen haben die Voraussetzungen für die Annahme einer Anscheinsvollmacht der Ehegattin des Klägers und damit eine wirksame Stellvertretung verneint. Demnach hätte der Kläger der Errichtung des Wintergartens niemals zugestimmt. Eine Anscheinsvollmacht (Vollmacht wegen des Vertrauens auf den äußeren Tatbestand) setzt voraus, dass Umstände vorliegen, die geeignet sind, im Dritten den begründeten Glauben an die Berechtigung des Vertreters zum Abschluss des beabsichtigten Geschäfts zu erwecken.112 Der die Vertretungsmacht begründende Anschein hat nicht vom Vertreter, sondern von einem Verhalten des Vertretenen auszugehen. Der auf diese Weise gesetzte, dem Vertretenen zurechenbare äußere Tatbestand muss das Vertrauen des Dritten vom Vorhandensein der Vertretungsmacht rechtfertigen.113 Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls einer strengen Überprüfung zu unterziehen.114 Auch die Fragen, wie weit die Mitwirkung des scheinbaren Vollmachtgebers an der Erweckung des Anscheins eines Vollmachtsverhältnisses gehen und ob sie dem vertrauenden Dritten gegenüber unmittelbar in Erscheinung treten muss, sind typisch einzelfallbezogen.115 Eine solche Einzelfallentscheidung ist vom OGH nur dann überprüfbar, wenn eine auffallende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorliegt.116 Zum Sachverhalt: Das ist hier aber nicht der Fall. Der festgestellte Sachverhalt lässt keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Anscheinsvollmacht erkennen. c) Vorliegender Fall: Die Untätigkeit des Klägers über zweieinhalb Jahre trotz Kenntnis

der baulichen Änderung hat noch keine konkludente Zustimmung bewirkt

Zum Sachverhalt: Analoges gilt für die Beurteilung der Vorinstanzen, die Untätigkeit des Klägers über zweieinhalb Jahre trotz Kenntnis der Thematik bewirke weder eine konkludente nachträgliche Zustimmung zur Errichtung des Wintergartens noch einen konkludenten Verzicht auf sein Abwehrrecht. Ob ein Verhalten als konkludente Willenserklärung verstanden werden durfte, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und ist in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO.117

112 RIS-Justiz RS0019609. 113 RIS-Justiz RS0019609 [T17], vgl auch RS0020145; RS0020331. 114 RIS-Justiz RS0019609 [T18]. 115 8 Ob 98/17w mit weiteren Nachweisen. 116 Vgl RIS-Justiz RS0044088. 117 RIS-Justiz RS0109021 [T5, T6]; RS0081754 [T5, T6]; RS0043253 [T1, T2]; für den Verzicht: RS0107199.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 49

Zum Sachverhalt: Eine vom OGH ausnahmsweise aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen liegt nicht vor. d) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Die behauptete Zustimmung des Klägers ist aus den Feststellungen nicht abzuleiten. Die darauf aufbauenden Überlegungen des Beklagten spielen daher für die – wiederum von den Umständen des Einzelfalls abhängige118 – Beurteilung, ob die Rechtsausübung des Klägers als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, keine Rolle. Wenn daher die Vorinstanzen die Missbräuchlichkeit der Rechtsausübung des Klägers verneinen, ist auch dies nicht korrekturbedürftig. Die Revision ist daher mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig und deshalb zurückzuweisen. Anmerkungen:

Schon mangels behaupteter Zustimmung des klagenden Miteigentümers zur verfahrensgegenständlichen baulichen Änderung (Errichtung eines Wintergartens) musste aus Sicht der OGH auf den Schikaneeinwand des Beklagten nicht näher eingegangen werden: Diesem sei nämlich das Interesse an der Abwehr eines eigenmächtigen Eingriffs in sein Miteigentum grundsätzlich zuzubilligen. Das schließe die Annahme aus, der einzige Grund der Rechtsausübung bilde die Absicht, den Beklagten zu schädigen.119 Dass der Kläger den Eingriff in sein Miteigentumsrecht ausschließlich bekämpft, um dem Beklagten zu schaden, sei auch nicht positiv festgestellt worden.120 Bei der Beurteilung, ob die Klageführung zufolge eines krassen Missverhältnisses zwischen den beiderseitigen Interessen rechtsmissbräuchlich ist, sei zu beachten, dass für eine Interessenabwägung im eigentlichen Sinn im diesem streitigen Verfahren kein Raum bleibe.121 Abgesehen davon seine dem Kläger hier nicht nur das Interesse an der Verteidigung seines Eigentumsrechts im Allgemeinen, sondern die Wahrung konkreter schutzwürdiger Interessen im Sinne des § 16 Abs 2 Z 1 WEG 2002 zuzugestehen, eben jener schutzwürdigen Interessen, die im Außerstreitverfahren der Ersetzung (auch) seiner Zustimmung entgegenstanden. ***

§ 16 Abs 2 Z 2 WEG Zur Verkehrsüblichkeit bzw dem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers im Hinblick auf die Änderung eines Wohnungseigentumsobjekts OGH 13.12.2018, 5 Ob 169/18s

Der OGH (5 Ob 169/18s) hat in Erinnerung gerufen, dass gemäß § 16 Abs 2 Z 2 WEG eine Änderung an einem Wohnungseigentumsobjekt, die auch allgemeine Teile der Liegenschaft in Anspruch nimmt, nur dann genehmigungsfähig ist, wenn sie der Übung des Verkehrs entspricht oder einem wichtigen Interesse des änderungswilligen

118 5 Ob 236/17t = Newsletter vom 11. Juli 2018; RIS-Justiz RS0013207 [T1]. 119 5 Ob 236/17t = Newsletter vom 11. Juli 2018; RIS-Justiz RS0013203. 120 Vgl 5 Ob 56/07g. 121 5 Ob 236/17t = Newsletter vom 11. Juli 2018 mit weiteren Nachweisen.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 50

Wohnungseigentümers dient. Die Auffassung, nach welcher im Wohngebiet des 19. Wiener Gemeindebezirks bis zum Boden ragende Fenster und Fenstertüren nicht geradezu selbstverständlicher Teil der Nutzung eines Geschäftslokals und daher nicht verkehrsüblich seien, sei durchaus vertretbar. Ein wichtiges Interesse des Wohnungseigentümers im Sinne einer Genehmigungsfähigkeit könne zwar auch wirtschaftlich motiviert sein, es müsse aber über das selbstverständliche Interesse an einer besseren Verwertbarkeit der Räumlichkeiten und Wertsteigerung seines Objekts hinausgehen. Bei einer Umgestaltung der Fenster eines Geschäftslokals zur Attraktivitätssteigerung gegenüber Kunden sei dies aber nicht der Fall. RECHTLICHER HINTERGRUND: Nach § 16 Abs 2 WEG ist der Wohnungseigentümer zu Änderungen (einschließlich Widmungsänderungen) an seinem Wohnungseigentumsobjekt auf seine Kosten berechtigt; dabei gilt Folgendes: Die Änderung darf weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer, besonders auch keine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses, noch eine Gefahr für die Sicherheit von Personen, des Hauses oder von anderen Sachen zur Folge haben (Z 1). Werden für eine Änderung auch allgemeine Teile der Liegenschaft in Anspruch genommen, so muss die Änderung überdies entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen (Z 2). Schon die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Mit- und Wohnungseigentümer verpflichtet nach ständiger Rechtsprechung den änderungswilligen Wohnungseigentümer, die Zustimmung aller anderen Mit- und Wohnungseigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters einzuholen. Erweist sich in diesem Sinne eine Änderung als genehmigungsbedürftig (= genehmigungs-pflichtig), bedarf es somit der Zustimmung aller Miteigentümer (= Sachverfügung nach § 828 Abs 1 ABGB), die aber keinen Formvorschriften unterliegt und daher auch stillschweigend erteilt werden kann. Eine fehlende Zustimmung kann auf Antrag bei Vorliegen aller negativen Voraussetzungen (§ 16 Abs 2 Z 1 WEG) – sowie bei Inanspruchnahme allgemeiner Teile der Liegenschaft auch der positiven (§ 16 Abs 2 Z 2 WEG) Voraussetzungen – durch einen Beschluss des Außerstreitrichters ersetzt werden (§ 52 Abs 1 Z 2 WEG), der somit über die Genehmigungsfähigkeit einer genehmigungsbedürftigen Maßnahme zu entscheiden hat. Gegen einen Wohnungseigentümer, der eigenmächtig, also ohne vorherige Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer, Änderungen einschließlich Widmungsänderungen im Sinne des § 16 Abs 2 WEG vornimmt, kann jeder einzelne Wohnungseigentümer im streitigen Rechtsweg nach allgemeinen Grundsätzen petitorisch mit Klage nach § 523 ABGB auf Beseitigung der Änderung und Wiederherstellung des früheren Zustands sowie gegebenenfalls auf Unterlassung künftiger Änderungen vorgehen.122 Der Streitrichter hat in einem solchen Fall die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung und die eigenmächtige Rechtsanmaßung als Vorfrage über die Berechtigung des Unterlassungs- und Wiederherstellungs-begehrens zu prüfen; die Genehmigungsfähigkeit selbst ist nicht Gegenstand des Verfahrens.

122 RIS-Justiz RS0083156.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 51

SACHVERHALT: Der Antragsteller plant die Fenstergestaltung des in seinem Wohnungseigentum stehenden Geschäftslokals zu ändern und die bestehenden Fenster gegen bodentiefe Fenster und Fenstertüren auszutauschen. RECHTLICHER BEURTEILUNG DES OGH:

a) Die gegenständliche Änderung unterliegt (auch) § 16 Abs 2 Z 2 WEG

Zum Sachverhalt: Im Hinblick auf die damit verbundene Inanspruchnahme allgemeiner Teile der Liegenschaft müssen diese Änderungen zusätzlich zu den in § 16 Abs 2 Z 1 WEG geforderten negativen Voraussetzungen kumulativ auch die Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 2 WEG erfüllen. Die geplanten Maßnahmen müssen also entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen.123 b) Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen einer der beiden positiven

Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 2 WEG trägt der änderungswillige Wohnungseigentümer

Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen einer dieser zusätzlichen Voraussetzungen trägt der änderungswillige Wohnungseigentümer.

c) Bisherige Rechtsprechung zur Verkehrsüblichkeit und zum wichtigen Interesse Sowohl zur „Übung des Verkehrs“ als auch zum „wichtigen Interesse“ des Wohnungseigentümers im Sinne des § 16 Abs 2 Z 2 WEG liegt bereits umfangreiche Judikatur des OGH vor: Bei Beurteilung der Verkehrsüblichkeit einer Änderung kommt es danach nicht auf eine allgemeine, generalisierende Betrachtung einer vom Standort abstrahierten Baupraxis an, sondern darauf, ob die konkret beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten Ausgestaltung unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Hauses, des Umfelds, des Ausmaßes des Eingriffs in die Bausubstanz sowie des Ausmaßes der Inanspruchnahme oder Umgestaltung allgemeiner Teile verkehrsüblich ist.124 Für das Vorliegen eines wichtigen Interesses des Wohnungseigentümers an einer Änderung seines Objekts kommt es besonders darauf an, ob die beabsichtigte Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen.125 Zweckmäßigkeitserwägungen und eine Steigerung des

123 RIS-Justiz RS0083233. 124 5 Ob 145/17k; 5 Ob 240/16d; 5 Ob 137/12a; RIS-Justiz RS0126244. 125 5 Ob 145/17k; 5 Ob 240/16d; 5 Ob 98/11i; RIS-Justiz RS0083341 [T18]; RS0083345 [T16].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 52

Verkehrswerts des Objekts genügen hingegen für die Annahme eines wichtigen Interesses in der Regel nicht.126

d) Die Genehmigungsfähigkeit einer Änderung ist einzelfallbezogen zu beurteilen Die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit einer dem § 16 Abs 2 WEG zu unterstellenden Änderung unter den Gesichtspunkten ihrer Verkehrsüblichkeit127 und/oder des wichtigen Interesses daran128 hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind. Dabei ist den Vorinstanzen ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt. Solange dieser Ermessensspielraum nicht verlassen wird, liegt keine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG vor. Nur in Fällen einer groben, die Rechtssicherheit in Frage stellenden Fehlbeurteilung hat der OGH korrigierend einzugreifen.129 e) Konkreter Fall: Die Verkehrsüblichkeit der beabsichtigten Änderung ist nicht gegeben Zum Sachverhalt: Die Auffassung des Rekursgerichts, für die vom Antragsteller geplanten Änderungen liege keine der nach § 16 Abs 2 Z 2 WEG alternativ erforderlichen Voraussetzungen vor, bewirkt keine solche vom OGH aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Die Verkehrsüblichkeit einer Änderung ist zunächst nach der allgemeinen Lebenserfahrung, aber auch nach der Beschaffenheit des betreffenden Hauses und seines konkreten Umfelds zu beurteilen.130 Zum Sachverhalt: Das Rekursgericht stellte bei seiner Beurteilung des Umfelds und der Häufigkeit von Gastronomiebetrieben mit Fenstertüren – anders als das Erstgericht – nicht auf das gesamte Stadtgebiet Wiens ab, sondern auf die nähere Umgebung. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des OGH, in der unter dem maßgeblichen Umfeld in der Regel die „Gegend“ oder die (nächste oder unmittelbare) „Umgebung“ verstanden wird.131 Die Auffassung des Rekursgerichts, dass nach der Lebenserfahrung in dem Wohngebiet des 19. Wiener Gemeindebezirks bis zum Boden ragende Fenster und Fenstertüren nicht geradezu selbstverständlicher Teil der Nutzung eines Geschäftslokals im Sinn der Rechtsprechung zur Verkehrsüblichkeit sind, ist vertretbar. Der Antragsteller machte im Verfahren vor dem Erstgericht auch keine besonderen Umstände geltend, die eine andere Beurteilung geboten erscheinen ließe.132 f) Konkreter Fall: Es liegt auch kein wichtiges Interesse des Antragstellers vor

126 5 Ob 13/14v; 5 Ob 21/12t; 5 Ob 98/11i; RIS-Justiz RS0083341 [T2, T4]; RS0083345 [T1]; RS0110977). 127 5 Ob 49/18v; 5 Ob 240/16d; 5 Ob 113/15a = Newsletter vom 18. November 2015; 5 Ob 137/12a. 128 RIS-Justiz RS0083309 [T16]; RS0083341 [T23]; RS0083345 [T20]. 129 5 Ob 49/18v; 5 Ob 240/16d; 5 Ob 212/15k = Newsletter vom 30. März 2016; 5 Ob 39/15v = Newsletter vom

9. September 2015; RIS-Justiz RS0083309 [T9, T13, T16]; RS0109643 [T10, T11]. 130 5 Ob 19/16d mit weiteren Nachweisen; 5 Ob 113/15a = Newsletter vom 18. November 2015. 131 Vgl 5 Ob 145/17k; 5 Ob 113/15a = Newsletter vom 18. November 2015; 5 Ob 39/15v = Newsletter vom 9.

September 2015; 5 Ob 109/06z. 132 Die in diesem Zusammenhang behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft; sie liegt

nicht vor (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 53

Zum Sachverhalt: Als wichtiges Interesse im Sinne des § 16 Abs 2 Z 2 WEG machte der Antragsteller die Verbesserung seines Wohnungseigentumsobjekts durch Herstellung eines zeitgemäßen Zustands und die damit verbundene bessere Benützbarkeit und höhere Attraktivität für Kunden geltend. Zwar können grundsätzlich auch wirtschaftliche Interessen des änderungswilligen Wohnungseigentümers als wichtig im Sinne des § 16 Abs 2 Z 2 WEG angesehen werden.133 Diese müssen aber ebenfalls über das selbstverständliche Interesse des Eigentümers an einer besseren Verwertbarkeit der Räumlichkeiten und Wertsteigerung seines Objekts hinausgehen.134 Zum Sachverhalt: Eben dies hat das Rekursgericht hier im Ergebnis vertretbar verneint. Auf das konkrete Ausmaß der Inanspruchnahme allgemeiner Liegenschaftsteile und deren Verhältnismäßigkeit zur Wichtigkeit des Interesses des Änderungswilligen als eines der weiteren Beurteilungskriterien135 kommt es bei dieser Sachlage nicht entscheidend an. g) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 16 Abs 2 Z 2 WEG werden nicht geteilt Zum Sachverhalt: Der Antragsteller behauptet die Verfassungswidrigkeit des § 16 Abs 2 Z 2 WEG aufgrund einer Verletzung des Gleichheitssatzes (Art 7 B-VG) und eines nicht gerechtfertigten Eingriffs in dessen Rechte auf Eigentum (Art 5 StGG; Art 1.1. ZP-EMRK) und Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG). Der erkennende Senat teilt dessen Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 16 Abs 2 Z 2 WEG nicht. Wenn der OGH die verfassungsrechtlichen Bedenken des Rechtsmittelwerbers nicht teilt, liegt keine die Anrufung des OGH rechtfertigende Rechtsfrage vor136; auch dann nicht, wenn dieser zur Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Bestimmung noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat.137 Es bedarf dabei auch keiner Begründung, aus welchen Erwägungen es das Gericht nicht für geboten erachtet, die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens zu erwirken.138 h) Entscheidung des vorliegenden Falls

Zum Sachverhalt: Der Revisionsrekurs des Antragstellers war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG in Verbindung mit § 62 Abs 1 AußStrG (erhebliche Rechtsfrage) zurückzuweisen.

***

§ 16 Abs 3 WEG (und § 28 Abs 1 Z 1 WEG sowie § 30 Abs 1 Z 1 WEG) Zur Durchsetzbarkeit der Erhaltungspflichten der Eigentümergemeinschaft und zu den Duldungspflichten im Rahmen der Durchführung von Erhaltungsarbeiten

133 5 Ob 191/04f; 5 Ob 29/89. 134 Vgl 5 Ob 19/16d; 5 Ob 21/12t; 5 Ob 13/14v. 135 5 Ob 19/16d mit weiteren Nachweisen; vgl RIS-Justiz RS0126244 [T4]. 136 RIS-Justiz RS0116943. 137 RIS-Justiz RS0122865. 138 5 Ob 193/16t; RIS-Justiz RS0053805 [T7].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 54

OGH 13.3.2018, 5 Ob 195/17p

Der OGH (5 Ob 195/17p) hat festgestellt, dass ein bei der Errichtung eines Wohnungseigentumsobjekts ausgeführter Sonderwunsch zu keiner Einschränkung der Erhaltungspflicht der Eigentümergemeinschaft führt. Im Rahmen seiner Duldungspflichten muss ein Wohnungseigentümer eine Form der Sanierung, die der Eigentümergemeinschaft zwar Kosten erspart, ihn aber übermäßig beeinträchtigen würde (hier: Einbau eines Stand-WCs statt Versetzung des Abfallstrangs unter Beibehaltung eines – aufgrund eines Sonderwunsches – geschaffenen Hänge-WCs), nicht dulden, wenn mehrere Sanierungsvarianten zur Wahl stehen. Rechtlicher Hintergrund: Nach § 28 Abs 1 Z 1 WEG gehört die Erhaltung der allgemeinen Teile der Liegenschaft im Sinne des § 3 MRG, einschließlich baulicher Veränderungen, die über den Erhaltungszweck nicht hinausgehen, zur ordentlichen Verwaltung. Zweckmäßige und wirtschaftlich gebotene Erneuerungsarbeiten gehören auch dann noch zur Erhaltung bestehender Anlagen, wenn es sich um die erstmalige Herstellung eines mängelfreien Zustands handelt, es dabei zu einer vollständigen Erneuerung kommt und/oder dabei Veränderungen vorgenommen werden, die gegenüber dem vorigen Zustand als „Verbesserungen“ anzusehen sind („dynamischer Erhaltungsbegriff“).139 Voraussetzung für die Qualifikation als Erhaltungsarbeit ist jedoch eine Reparaturbedürftigkeit, Schadensgeneigtheit oder Funktionseinschränkung.140 Nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG kann jeder Wohnungseigentümer die Entscheidung des Gerichts unter anderem darüber verlangen, dass Arbeiten im Sinne des § 28 Abs 1 Z 1 WEG durchgeführt werden. Voraussetzung für die Anrufung des Gerichts ist also die Untätigkeit der Mehrheit oder des Verwalters, entweder durch die Unterlassung einer Beschlussfassung oder die Ablehnung einer Erhaltungsarbeit.141 Ein wesentliches Kriterium für die Durchsetzbarkeit der von einem Wohnungseigentümer nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG begehrten Erhaltungsmaßnahmen ist deren Dringlichkeit; überdies ist auf wirtschaftliche Aspekte, wie Kostenaufwand und Finanzierbarkeit, Bedacht zu nehmen.142 Nach § 16 Abs 3 Satz 2 WEG trifft den Wohnungseigentümer in Zusammenhang mit der Erhaltung allgemeiner Teile der Liegenschaft und der Behebung von ernsten Schäden des Hauses zwar eine Duldungspflicht gegenüber der Eigentümergemeinschaft.143 Der Wohnungseigentümer hat das Betreten und die Benützung des Wohnungseigentumsobjekts zu gestatten, soweit dies zur Erhaltung der allgemeinen Teile der Liegenschaft und der Behebung ernster Schäden des Hauses erforderlich ist. Sachverhalt:

139 RIS-Justiz RS0114109; RS0083121. 140 RIS-Justiz RS0116998; RS0069944 [T11]. Vgl zuletzt unsere Newsletter vom 21. Februar 2018 zu 5 Ob

122/17b und vom 16. Mai 2018 zu 5 Ob 230/17k. 141 5 Ob 107/16w = Newsletter vom 8. März 2017; 5 Ob 225/15x = Newsletter vom 25. Mai 2016; 5 Ob 212/13g

= Newsletter vom 22. Oktober 2014 mit weiteren Nachweisen; vgl auch RIS-Justiz RS0116139. 142 RIS-Justiz RS0123169 [T1, T4, T5]; RS0116139; RS0083121. 143 Vgl RIS-Justiz RS0125904.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 55

Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind die Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Gegenstand dieses Verfahrens ist der auf § 30 Abs 1 Z 1 WEG gestützte Antrag auf Sanierung des Abfallstrangs, der den übereinander angeordneten WC-Anlagen mehrerer Wohnungseigentumsobjekte, insbesondere auch der WC-Anlage in der Wohnung der Antragstellerin dient. Das Erstgericht gab dem Antrag statt.

Es sprach aus, dass durch die Eigentümergemeinschaft eine Sanierung des Abfallstrangs binnen 3 Monaten ab Rechtskraft dermaßen stattzufinden habe, dass es bei Benützung der Sanitäreinrichtungen bzw der Waschmaschine in den oberhalb der Wohnung der Antragstellerin befindlichen Wohnungen zu keinen Einspülungen im WC der Antragstellerin komme. Die WC-Einmündung (der WC-Anschluss) der Wohnung der Antragstellerin sei in den Ablaufstrang, der sich im Kellerabteil der Erst- und Zweitantragsgegner befinde, zu versetzen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Viertantragsgegnerin und des Fünftantragsgegners – nach Beweiswiederholung und -ergänzung – nicht Folge.

Es bestätigte den Sachbeschluss des Erstgerichts mit der Maßgabe, dass die Eigentümergemeinschaft – dem neu gefassten Spruch entsprechend – die WC-Anlage der Antragstellerin durch Versetzen eines Teils des ursprünglichen Abfallstrangs wie aus einer einen Bestandteil des Sachbeschlusses bildenden Skizze ersichtlich binnen 3 Monaten ab Rechtskraft des Sachbeschlusses sanieren lassen werde. Da die im Inneren der Mauern verlaufenden Leitungen nicht zum Wohnungseigentumsobjekt gehörten, die Sanierung solcher Leitungen daher gemäß § 28 Abs 1 WEG der Eigentümergemeinschaft obliege, diese jedoch untätig geblieben sei, habe die Antragstellerin zu Recht von ihrem in § 30 Abs 1 Z 1 WEG geregelten Minderheitsrecht Gebrauch gemacht. Die für dessen Durchsetzbarkeit geforderte Dringlichkeit der Erhaltungsarbeit ergebe sich aus der Unzumutbarkeit für die Antragstellerin noch weiter zuzuwarten. Wenn es – wie hier festgestellt – bei Betätigung der WC-Spülung in der oberhalb gelegenen Wohnung zu Rückspülungen von durch Fäkalien verfärbtem Abwasser komme, was teilweise mit einer Geruchsbelästigung verbunden sei, könne von einer bloß minimalen Einschränkung der Funktionsfähigkeit keine Rede sein. Derartige unappetitliche Auswirkungen eines Mangels bedürften vielmehr der ehestbaldigen Beseitigung. Die Antragstellerin müsse dabei nicht die von den Rekurswerbern bevorzugte Variante der Mängelbehebung durch Austausch des bestehenden Hänge-WCs gegen ein Stand-WC hinnehmen, nur weil diese möglichen Varianten kostengünstiger seien als die bei Belassung des Hänge-WCs erforderliche Versetzung des Abfallstrangs. Der Austausch des Hänge-WCs gegen ein Stand-WC sei der Antragstellerin nicht zumutbar, auch wenn sie bei Errichtung des Gebäudes eine Sonderausstattung gewählt hätte. Zudem führten die zusätzlich zum Austausch notwendigen baulichen Maßnahmen zu einer nicht zumutbaren optischen und tatsächlichen Beeinträchtigung. Gleiches gelte für das Höhersetzen des vorhandenen Hänge-WCs, weil in diesem Fall eine normale Benützung nicht mehr möglich wäre. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob einem Wohnungseigentümer, der sein Minderheitsrecht nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG geltend mache, eine Sanierungsvariante in seinem Wohnungseigentumsobjekt aufgezwungen werden könne, die zu einer Beeinträchtigung führe und ein Abgehenmüssen von einer ihm bei Errichtung des Wohnungseigentumsobjekts zur Wahl gestandenen Ausführungsvariante bedeute.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 56

Mit ihrem Revisionsrekurs machen die Viertantragsgegnerin und der Fünftantragsgegner eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Sie beantragen, die Entscheidung des Rekursgerichts abzuändern und den Antrag abzuweisen. Hilfsweise stellen sie einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

Die Antragstellerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, in eventu diesem keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Ein bei der Errichtung eines Wohnungseigentumsobjekts ausgeführter Sonderwunsch

führt zu keiner Einschränkung der Erhaltungspflicht der Eigentümergemeinschaft Zum Sachverhalt: Die Qualifikation der Sanierung des nach den Feststellungen nur eingeschränkt funktionstauglichen, den WC-Anlagen mehrerer Wohnungseigentumsobjekte dienenden Abfallstrangs als Maßnahme der Erhaltung eines allgemeinen Teils der Liegenschaft ist im Revisionsverfahren ebenso wenig strittig wie deren Dringlichkeit. An der daraus folgenden Erhaltungspflicht der Eigentümergemeinschaft nach § 28 Abs 1 Z 1 WEG ändert auch der Umstand nichts, dass die konkrete Ausführung des WCs im Wohnungseigentumsobjekt der Antragstellerin (als Hänge-WC) nicht der Standardausstattung entspricht, sondern auf einem Sonderwunsch beruht. Ein solcher bei der Errichtung des Objekts ausgeführter Sonderwunsch ist nach der Rechtsprechung kein gesetzlich vorgesehener Grund, der die Erhaltungspflicht der Eigentümergemeinschaft nach § 28 Abs 1 Z 1 WEG einschränkt.144 Dies steht im Einklang damit, dass die allgemeine Regel des § 28 Abs 1 Z 1 WEG auch für die Erhaltung eines geänderten Wohnungseigentumsobjekts gilt, selbst wenn die Änderung nur einem einzigen Wohnungseigentümer zugutegekommen ist.145 b) Allfällige vom Gesetz abweichende Erhaltungspflichten berühren das Recht auf

Antragstellung zur gerichtlichen Entscheidung über die Durchführung von Erhaltungsarbeiten nicht

Auch allfällige im Zusammenhang mit der Ausführung von solchen Sonderwünschen getroffenen allgemeinen Vereinbarungen zwischen dem Wohnungseigentumsorganisator und/oder den Wohnungseigentümern, die (nur) die interne Kostentragung der Wohnungseigentümer betreffen, sind schon inhaltlich kein nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG (in Verbindung mit § 28 Abs 1 Z 1 WEG) maßgebliches Entscheidungskriterium und daher für die Beurteilung eines auf der genannten Gesetzesstelle beruhenden Antrags eines Wohnungseigentümers nicht relevant.146 c) Zum Ermessensspielraum des Gerichts bei der Entscheidung über die Durchführung

von Erhaltungsarbeiten

144 5 Ob 230/13d = Newsletter vom 25. Juni 2014 [Heizungspumpe für Fußbodenheizung]. 145 RIS-Justiz RS0116332 [T2, T5]. 146 5 Ob 212/13g = Newsletter vom 22. Oktober 2014; RIS-Justiz RS0129473.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 57

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Erhaltungsarbeit über Antrag eines Wohnungseigentümers im Sinn des § 30 Abs 1 Z 1 WEG aufzutragen ist, ist dem Gericht ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt.147 Zum Sachverhalt: Diesen Ermessensspielraum hat das Rekursgericht auch in Bezug auf die Konkretisierung der Sanierungsmaßnahmen nicht verlassen. Die Entscheidung des Gerichts im Verfahren nach § 30 Abs 1 WEG ist rechtsgestaltend. Sie ersetzt den von der Eigentümergemeinschaft abgelehnten oder versäumten Mehrheitsbeschluss. Die Durchführung von Erhaltungsarbeiten bleibt dabei in der Kompetenz der Eigentümergemeinschaft. Der diese vertretende Verwalter ist an die Entscheidung, die Erhaltungsarbeiten durchzuführen, gebunden.148 Bei der Entscheidung nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG ist demnach (auch) auf die Durchführbarkeit der Erhaltungsmaßnahme Bedacht zu nehmen. d) Ein Wohnungseigentümer muss eine Form der Sanierung, die der

Eigentümergemeinschaft zwar Kosten erspart, ihn aber übermäßig beeinträchtigen würde, nicht dulden, wenn mehrere Sanierungsvarianten zur Wahl stehen

Die Duldungspflicht des Wohnungseigentümers nach § 16 Abs 3 Satz 2 WEG umfasst auch die (dauernde) Veränderung des Wohnungseigentumsobjekts. Jedenfalls ist aber im Einzelfall zu prüfen, ob ein derartiger Eingriff in die Rechte des Wohnungseigentümers auch wirklich erforderlich ist. Wenn mehrere Sanierungsmaßnahmen zur Wahl stehen, muss der Wohnungseigentümer eine Form der Sanierung, die der Eigentümergemeinschaft zwar vielleicht Kosten erspart, ihn aber übermäßig beeinträchtigen würde, nicht dulden.

Sind zeit- und/oder kostspieligere Maßnahmen möglich, ist die Umsetzung einer derartigen Maßnahme bei der anzustellenden umfassenden Interessenabwägung eben gerade nicht erforderlich.

Zum Sachverhalt: Vor diesem Hintergrund vertrat das Rekursgericht die Auffassung, dass die Antragstellerin die nach seinen ergänzenden Feststellungen in Betracht kommende (mit ca 2.500 EUR statt ca 6.200 EUR) kostengünstigere Sanierungsvariante nicht zu dulden habe, weil sie gegenüber der (vom Sachverständigen als optimale Lösung bezeichneten) Sanierung durch Versetzung des Abfallstrangs zu einem unzumutbaren Eingriff in das Nutzungsrecht der Antragstellerin führte. Bei der von den Revisionsrekurswerbern bevorzugten Variante müsste nämlich das bestehende Hänge-WC durch ein Stand-WC ersetzt und außerhalb der Wand ein Bogen gesetzt werden. Den damit verbundenen optischen und tatsächlichen Beeinträchtigungen maß es dabei (implizit) entscheidend mehr Gewicht bei, als jenen, die mit der Versetzung des Ablaufstrangs im Kellerabteil der Erst- und Zweitantragsgegner verbunden sind. Diese auf den konkreten Umständen des Einzelfalls beruhende Beurteilung ist jedenfalls vertretbar.

147 RIS-Justiz RS0083121 [T9]; RS0123169 [T2]; RS0116139 [T4]. 148 RIS-Justiz RS0123170.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 58

e) In der Entscheidung des Gerichts über die Durchführung von Erhaltungsarbeiten ist die Festlegung der Details der Ausführung nicht erforderlich

Zum Sachverhalt: (Auch) Der Einwand der mangelnden Bestimmtheit des Spruchs der Entscheidung des Rekursgerichts ist nicht stichhältig. Die rechtsgestaltende Entscheidung des Gerichts im Verfahren nach § 30 Abs 1 Z 1 in Verbindung mit § 52 Abs 1 Z 3 WEG enthält keinen Leistungsbefehl und ist nicht vollstreckbar; sie ersetzt vielmehr den von der Eigentümergemeinschaft abgelehnten oder versäumten Mehrheitsbeschluss.149 In einem Grundsatzbeschluss der Eigentümergemeinschaft ist die Festlegung der Details der Ausführung nicht erforderlich, wenn – wie im vorliegenden Fall – die möglichen Varianten aus technischen Gründen ohnehin begrenzt und überdies nur von Fachleuten beurteilbar sind.150 Zum Sachverhalt: Ungeachtet dessen ist die Erhaltungsmaßnahme durch die Bezugnahme auf eine Skizze des Sachverständigen im Spruch der angefochtenen Entscheidung und den diese konkretisierenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen151 ohnedies hinreichend deutlich definiert. f) Entscheidung des konkreten Falls Zum Sachverhalt: Der Revisionsrekurs der Viertantragsgegnerin und des Fünftantragsgegners ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG (in Verbindung mit § 52 Abs 2 WEG und § 37 Abs 3 Z 16 MRG) unzulässig und daher zurückzuweisen. ***

§ 18 Abs 2 WEG Zu den Voraussetzungen für eine wirksame Anspruchsabtretung nach § 18 Abs 2 WEG OGH 18.6.2018, 6 Ob 115/18g

Der OGH (6 Ob 115/18g) hat einige wesentliche Grundlagen zur Abtretung individueller Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche an die Eigentümergemeinschaft nach § 18 Abs 2 WEG in Erinnerung gerufen. Die Abtretung kann sowohl Ansprüche bezüglich allgemeiner Teile der Liegenschaft als auch solche bezüglich der einzelnen Wohnungseigentumsobjekte erfassen und bedarf keiner bestimmten Form. Die abgetretenen Ansprüche müssen seitens der Eigentümergemeinschaft angenommen werden, wobei sich die Annahme durch eine Annahmeerklärung manifestieren muss. Der Titel für die Abtretung ist in dem zwischen der Eigentümergemeinschaft und den Wohnungseigentümern begründeten Treueverhältnis zu erblicken. Im Falle des Abverkaufs ins Wohnungseigentum beginnt die dreijährige Gewährleistungsfrist für individuelle

149 RIS-Justiz RS0123170 150 5 Ob 42/09a. 151 Vgl RIS-Justiz RS0000300; RS0000296; RS0000234.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 59

Gewährleistungsansprüche des einzelnen Erwerbers – welche auch Mängel an allgemeinen Teilen der Anlage umfassen – (erst) ab jenem Zeitpunkt zu laufen, zu welchem ihm das von ihm erworbene Wohnungseigentumsobjekt übergeben wurde Rechtlicher Hintergrund: Nach § 18 Abs 2 erster Satz WEG können die Wohnungseigentümer die Liegenschaft betreffende Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche152 der Eigentümergemeinschaft abtreten, wonach diese die Ansprüche erwirbt und in eigenem Namen geltend machen kann. Damit soll der Problematik der Abgrenzung der Legitimation der Eigentümergemeinschaft von jener der einzelnen Wohnungseigentümer, insbesondere bei Gewährleistungsansprüchen, die sich auf Mängel an allgemeinen Teilen der Liegenschaft beziehen, ihre rechtliche Wurzel aber in von den Wohnungseigentümern selbst geschlossenen Verträgen haben, begegnet werden.153 Sachverhalt: Die Beklagte errichtete als Bauträgerin und Wohnungseigentumsorganisatorin eine Wohnungseigentumsanlage. Mit Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag vom 15. Oktober 2013 erwarben S***** F***** und J***** F***** unter gleichzeitiger Begründung einer Eigentümerpartnerschaft Miteigentumsanteile an der Liegenschaft verbunden mit Wohnungseigentum an den Objekten Top 9/1 Haus 9, Keller B Haus 9 und Tiefgaragen-Abstellplatz 136. Mit der – nur eine Unterschrift aufweisenden – „Erklärung der Abtretung der Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche betreffend EZ ***** GB *****“ erklärten sie, als Miteigentümer der angeführten Liegenschaft ihre Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche betreffend die allgemeinen Teile der Liegenschaft an die Eigentümergemeinschaft abzutreten. Mittels Umlaufbeschlusses stimmten Miteigentümer von 53,66 % der Anteile für die Annahme der abgetretenen Gewährleistungsansprüche. Die klagende Eigentümergemeinschaft begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes und der Gewährleistung einerseits 1.500 EUR sA sowie zahlreiche Verbesserungen an den Baukörpern auf der angeführten Liegenschaft, in eventu die Zahlung von 560.400 EUR sA. Außerdem strebt sie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Schäden aus der nicht sach- und normgerechten Verlegung der Kaltwasser-, Warmwasser- und Heizungsleitungen auf der gesamten Liegenschaft sowie der nicht fachgerechten Ausführung der Tiefgaragendecke an.

152 Darüber hinaus auch aus ihrem Miteigentum erfließende Unterlassungsansprüche, wie insbesondere

Eigentumsfreiheitsklagen nach § 523 ABGB, nachbarrechtliche Ansprüche nach §§ 364 ff ABGB, Räumungsklagen oder auch Besitzstörungsklagen.

153 Vgl hierzu ErläutRV 1183 BlgNR 22. GP 21 ff. Für die Anspruchsabtretung an die Eigentümergemeinschaft kommen vor allem Ansprüche der Wohnungseigentümer (Wohnungseigentumsbewerber) gegen den Bauträger (Wohnungseigentumsorganisator) in Betracht.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 60

S***** F***** und J***** F***** hätten die von ihnen erworbenen Wohnungseigentumsobjekte am 13. Dezember 2013 von der Beklagten übernommen; im Frühjahr 2014 seien erste Mängel an allgemeinen Teilen der Liegenschaft sichtbar geworden.

Die beklagte Bauträgerin bestritt das Klagebegehren und beantragte dessen Abweisung. Mangels wirksamer Abtretung sei die Klägerin nicht klagslegitimiert. In der Abtretungserklärung sei keinerlei Rechtsgrund enthalten, sodass die Zession ungültig sei. Das Erstgericht wies die Klage ab.

Der klagende Zessionar habe den Nachweis der gültigen Zession zu erbringen und damit auch den Rechtsgrund der Abtretung zu behaupten und zu beweisen. Diesen Anforderungen werde die vorliegende Abtretungserklärung nicht gerecht.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Die vom Erstgericht herangezogenen Gründe seien nicht geeignet, die Aktivlegitimation der Eigentümergemeinschaft zu verneinen. Aus § 9 EO lasse sich nicht ableiten, dass außerhalb des Exekutionsverfahrens der Rechtsgrund der Abtretung in der – prinzipiell gar nicht notwendigen – schriftlichen Abtretungserklärung enthalten sein müsse. Damit erlaube die vorliegende Tatsachengrundlage noch keine abschließende rechtliche Beurteilung. Im fortgesetzten Verfahren werde sich das Erstgericht mit der inhaltlichen Berechtigung des Klagebegehrens auseinanderzusetzen haben. Sofern der Hinweis in den Feststellungen des Erstgerichts, wonach die Abtretungserklärung augenscheinlich nur eine Unterschrift trage, Bedenken des Erstgerichts an der Gültigkeit der Abtretung zum Ausdruck bringen sollte, werde dies mit den Parteien zu erörtern sein. Ein Bewertungsausspruch sei angesichts der Höhe des Eventualbegehrens nicht erforderlich. Zur Frage, ob die aus dem Gemeinschaftsverhältnis zwischen den Miteigentümern entspringenden Treuepflichten schon für sich einen ausreichenden Rechtsgrund für die Abtretung nach § 18 Abs 2 erster Satz WEG darstellten, fehle höchstgerichtliche Judikatur, sodass der Rekurs an den OGH zuzulassen sei.

Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Zur Abtretung des Ansprüche nach § 18 Abs 2 WEG Zum Sachverhalt: Grundlage für die geltend gemachten Ansprüche ist nach dem Klagsvorbringen der von den Erwerbern S***** F***** und J***** F***** mit der Beklagten abgeschlossene Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag vom 15. Oktober 2013. In einem solchen Fall ist zunächst nur der Erwerber und nicht die (allenfalls noch gar nicht bestehende) dingliche Rechtsgemeinschaft forderungsberechtigt.154 § 18 Abs 2 WEG sieht jedoch ausdrücklich vor, dass die Wohnungseigentümer die Liegenschaft betreffende Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche an die Eigentümergemeinschaft abtreten können, wodurch die Eigentümergemeinschaft diese Ansprüche erwirbt und in eigenem Namen geltend machen kann. Diese Abtretung kann

154 RIS-Justiz RS0082907 [T5].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 61

sowohl Ansprüche bezüglich allgemeiner Teile der Liegenschaft als auch solche bezüglich der einzelnen Wohnungseigentumsobjekte erfassen.155 Die klagsweise Geltendmachung von Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen durch die Eigentümergemeinschaft iSd § 18 Abs 2 WEG erfordert daher eine wirksame Abtretung dieser Ansprüche vom Wohnungseigentümer an die Eigentümergemeinschaft. Die Abtretung bedarf weder Schriftlichkeit noch die Nennung eines Rechtsgrunds in einer Urkunde, sie kann nach § 18 Abs 2 WEG auch formlos erfolgen.156

Zum Sachverhalt: Was den Umstand betrifft, dass die Abtretungserklärung nur eine einzelne Unterschrift trägt, obwohl Ansprüche sowohl von S***** F***** als auch von J***** F***** betroffen sind, hat das Berufungsgericht dem Erstgericht ohnehin eine Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen. Im Übrigen bedarf die Abtretung nach § 18 Abs 2 WEG wie ausgeführt nicht der Schriftform und/oder einer Unterschrift. Das Erstgericht hat diesbezüglich festgestellt, dass „S***** F***** und J***** F*****“ die Abtretung erklärten. Zum Sachverhalt: Auch die weiteren Rekursausführungen sind nicht stichhältig. In der bisherigen Judikatur157 wurden Erklärungen, die die Abtretung „der Gewährleistungsansprüche“ beinhalteten, nicht beanstandet. Nur im Fall der Klagsführung durch einen Wohnungseigentümer selbst ist eine vorherige gesonderte Willensbildung in der Eigentümergemeinschaft zur Wahl des Gewährleistungsbehelfs erforderlich, weil es ansonsten zur Beeinträchtigung von Gemeinschaftsinteressen kommen könnte.158 Im Fall der Klagsführung durch die Eigentümergemeinschaft steht es hingegen ohnehin dieser offen, ob und welche gegebenenfalls abgetretenen Ansprüche sie geltend machen will, sodass es einer zusätzlichen Überprüfung der dazu getroffenen internen Willensbildung der Eigentümergemeinschaft als Voraussetzung für deren Aktivlegitimation zur Geltendmachung nach § 18 Abs 2 WEG 2002 abgetretener Ansprüche nicht bedarf.159

b) Die Anspruchsabtretung bedarf der Annahme seitens der Eigentümergemeinschaft Die – auch schlüssig mögliche – Annahme der Abtretung hat durch den Vertreter der Eigentümergemeinschaft zu erfolgen. Die wirksam zustande gekommene Zession bewirkt dann bereits im Außenverhältnis die Aktivlegitimation der Eigentümergemeinschaft, ohne dass das Prozessgericht die über die Geltendmachung der abgetretenen Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche gegebenenfalls erfolgte interne Willensbildung der Eigentümergemeinschaft überprüfen müsste.160 Zum Sachverhalt: Im vorliegenden Fall wurde der Inhalt der Abtretungserklärung vom Erstgericht festgestellt; weiters steht fest, dass die Eigentümer mit Umlaufbeschluss für die Annahme der Ansprüche stimmten.

155 ErläutRV 1183 BlgNR 22. GP 22. 156 5 Ob 71/12w = Newsletter vom 18. Juli 2012. 157 5 Ob 69/10y = Newsletter vom 22. September 2010. 158 Vgl RIS-Justiz RS0108158. 159 5 Ob 71/12w = Newsletter vom 18. Juli 2012. 160 RIS-Justiz RS0128567. Siehe hierzu unsere Newsletter vom 18. Juli 2012 zu 5 Ob 71/12w, vom 9. Juli 2014 zu

2 Ob 55/13x und vom 5. April 2017 zu 5 Ob 88/16a.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 62

c) Neben der Annahme des abgetretenen Anspruchs bedarf es aber auch eine

Annahmeerklärung Nach der Entscheidung 5 Ob 71/12w161 muss allerdings zwischen der Willensbildung der Eigentümergemeinschaft bei der Annahme der Abtretung und der Erklärung der Annahme nach außen getrennt werden, wobei letztere in der Regel durch den Verwalter erfolgen wird, da dieser die Eigentümergemeinschaft vertritt. Zum Sachverhalt: Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht bloß festgestellt, dass die Eigentümer der Annahme der Abtretung zustimmten, nicht aber, wie die Eigentümergemeinschaft den abtretenden Eigentümern gegenüber die Annahme erklärte. d) Der Titel für die Abtretung ist in dem zwischen der Eigentümergemeinschaft und den

Wohnungseigentümern begründeten Treueverhältnis zu erblicken Auf die Abtretung nach § 18 Abs 2 WEG kommen die allgemeinen Grundsätze der §§ 1392 ff ABGB (Zession) zur Anwendung, sodass es sich um einen formlosen Konsensualvertrag handelt, dessen Zustandekommen zunächst die Erklärung der Forderungsübertragung durch den Altgläubiger und deren Annahme durch den Neugläubiger erfordert.162 Die Abtretung setzt als kausales Verfügungsgeschäft ein gültiges Grundgeschäft voraus; sie bildet ebenso wenig wie die Übergabe einen abstrakten Vertrag. Titelgeschäft und Abtretung fallen meist zusammen.163 Die Unwirksamkeit der Abtretung und den daraus folgenden Mangel der Gläubigerstellung des Klägers kann der Beklagte als abgetretener Schuldner dem Kläger gegenüber einwenden.164 Der Zessionar hat die erforderlichen Beweise für einen gültigen Rechtsgrund zu erbringen, sobald der Zessionsschuldner die Wirksamkeit der Abtretung wegen Fehlens eines tauglichen Titels bestreitet.165 Zur Abtretung nach § 18 Abs 2 WEG wird vertreten, dass den Titel das zwischen Eigentümergemeinschaft und Wohnungseigentümern bestehende (Treue-)Verhältnis abgebe.166 Dem schließt sich U. Terlitza167, an, wenn er ausführt, das erforderliche Grund„geschäft“ werde im Gemeinschaftsverhältnis zwischen sämtlichen Wohnungseigentümern zu suchen sein, aus dem auch ein Treueverhältnis der einzelnen gegenüber der Eigentümergemeinschaft erwachse. Nach diesen Autoren genügt daher bei einer Abtretung nach § 18 Abs 2 WEG bereits das gemeinschaftliche Interesse der

161 = Newsletter vom 18. Juli 2012. 162 5 Ob 71/12w = Newsletter vom 18. Juli 2012 mit weiteren Nachweisen. 163 RIS-Justiz RS0032682. 164 RIS-Justiz RS0032510. 165 RIS-Justiz RS0032510 [T3]. 166 Löcker in Hausmann/Vonkilch, WEG4 § 18 Rz 29d. 167 Die Eigentümergemeinschaft und die Zession nach § 18 Abs 2 WEG 2002, in FS Würth (2014) 224.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 63

Wohnungseigentümer an der Schadensbehebung.168 Dem ist im Hinblick auf die in § 18 Abs 2 WEG sondergesetzlich ausdrücklich eröffnete Möglichkeit der Abtretung zuzustimmen.

Der Gesetzgeber will damit für den einzelnen Wohnungseigentümer die Durchsetzung seiner Ansprüche erleichtern. Aus typologischer Sicht handelt es sich dabei um einen Sonderfall des Auftrags, wobei dessen Grundlage im Verhältnis zwischen den Wohnungseigentümern liegt. Einer besonderen Anführung eines – sich schon aus der gesetzlichen Ausgestaltung des Wohnungseigentumsrechts ergebenden – Auftrags in der Abtretungserklärung bedurfte es nicht. Das gemeinsame Interesse an der Schadensbehebung lässt sich im vorliegenden Fall zudem auch aus der positiven Beschlussfassung durch die Eigentümer über die Annahme der Abtretung ableiten.

e) Im Falle des Abverkaufs ins Wohnungseigentum beginnt die dreijährige

Gewährleistungsfrist für individuelle Gewährleistungsansprüche des einzelnen Erwerbers – welche auch Mängel an allgemeinen Teilen der Anlage umfassen – (erst) ab jenem Zeitpunkt zu laufen, zu welchem ihm das von ihm erworbene Wohnungseigentumsobjekt übergeben wurde, dies ungeachtet der Frage, wann die übrigen Wohnungseigentümer ihre Objekte (mehrheitlich) bezogen haben

Zum Sachverhalt: Der Rekurs steht auf dem Standpunkt, das Klagebegehren sei auch wegen Verjährung abzuweisen. Der Rekurs gesteht jedoch selbst zu, dass der Rechtsmeinung der beklagten Bauträgerin die Entscheidung 5 Ob 69/10y169 entgegensteht, in der der für das Wohnrecht zuständige Fachsenat ausführt, auch im gegebenen Zusammenhang des Wohnungseigentums beginne die dreijährige Gewährleistungsfrist für Sachmängel mit der Übergabe. Die Entscheidung enthält auch eine Auseinandersetzung mit gegenteiligen Literaturmeinungen, die jedoch abgelehnt werden.

Zum Sachverhalt: Die Argumentation im Rekurs, dieses Ergebnis sei in Fällen nicht sachgerecht, in denen es um ganz andere Teile der Liegenschaften gehe, für die der Erwerber gar nicht „erhaltungspflichtig“ sei, übersieht, dass ein Wohnungseigentümer nicht Eigentümer einer einzelnen räumlich abgegrenzten Wohnung, sondern Miteigentümer der gesamten Liegenschaft wird (vgl § 2 Abs 1 WEG), sodass sich auch Mängel an diesen Teilen in seinem Vermögen niederschlagen. Der Rekurs nennt auch keine einzige Literaturstelle, bei der die genannte Entscheidung „von der Lehre stark kritisiert“ worden wäre. Vielmehr hat Prader170 der Entscheidung ausdrücklich zugestimmt; auch bei Friedl171 findet sich keine Kritik.

f) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Zusammenfassend erweist sich der angefochtene Beschluss als frei von Rechtsirrtum, sodass dem zwar zulässigen, aber unberechtigten (unbegründeten) Rekurs der beklagten Bauträgerin ein Erfolg zu versagen war. ***

168 Vgl RIS-Justiz RS0119208. 169 = Newsletter vom 22. September 2010. 170 Immolex 2011/26. 171 Ecolex 2011/45.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 64

§ 20 Abs 1 WEG (und §§ 1295 ff ABGB) Zur Haftung des Verwalters im Wohnungseigentum bezüglich der Kostentragung für eine Balkonsanierung OGH 24.9.2018, 8 Ob 112/18f

Der OGH (8 Ob 112/18f) hat festgestellt, dass eine Verwalterin Informationen, die an sie im Rahmen der Liegenschaftsverwaltung seitens eines Wohnungseigentümers ohne Widerspruch der übrigen Wohnungseigentümer herangetragen werden, für wahr halten darf, solange es keine erheblichen Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit gibt. Im vorliegenden Fall wurde keine Verpflichtung der Verwalterin erkannt, einen in der Eigentümerversammlung einstimmig gefassten Beschluss zu hinterfragen, mit dem sie beauftragt wurde, eine Begutachtung und Sanierung von Balkonen in die Wege zu leiten – dies ungeachtet einer allenfalls bestehenden, der Verwalterin aber unbekannten Erhaltungspflicht einzelner Wohnungseigentümer. Sachverhalt: Die klagende Eigentümergemeinschaft begehrte von der Beklagten – der vormaligen Verwalterin der betreffenden Liegenschaft (fortan: „Verwalterin“) – den Ersatz von insgesamt 27.018,48 EUR sA an Kosten für die Sanierung zweier Balkone und zweier Terrassen der Wohnhausanlage. Die Verwalterin habe diesen Aufwand aus der Reparaturrücklage beglichen, obwohl die Erhaltungspflicht die jeweiligen Wohnungseigentümer getroffen hätte, worüber die Verwalterin die Eigentümergemeinschaft hätte aufklären müssen. Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab. Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich über Antrag der Klägerin gemäß § 508 ZPO für zulässig erklärt, weil vom OGH zu klären sei, ob dem Berufungsgericht der von der Revisionswerberin behauptete krasse Fehler bei der Verneinung des Verschuldens der Verwalterin unterlaufen sei. Im Hintergrund stehe außerdem die Frage, wie eine Hausverwaltung vorzugehen habe bzw wer die Kosten für eine Mängelbehebung zu tragen habe, wenn Gewährleistungsansprüche der Eigentümergemeinschaft grundsätzlich gegeben seien, das ausführende Unternehmen jedoch nicht mehr existiere. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Zur Weisungsgebundenheit des Verwalters im Wohnungseigentum Nach § 20 Abs 1 Satz 1 WEG trifft den Verwalter die Pflicht, die gemeinschaftsbezogenen Interessen aller Wohnungseigentümer zu wahren und Weisungen der Mehrheit der Wohnungseigentümer zu befolgen, soweit diese nicht gesetzwidrig sind. Eine gesetzwidrige Weisung an den Verwalter ist unbeachtlich.172 Bei unklarer Sach- oder Rechtslage und daher nicht offensichtlich rechtswidriger Weisung soll der Verwalter die Weisung befolgen dürfen.

172 RIS-Justiz RS0083550 [T1].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 65

b) Der Verwalter ist kein Sachverständiger für diffizile Rechtsfragen und bautechnische Fragen

Dazu wird vertreten, dass dem – in der Regel nicht rechtskundigen – Verwalter nicht die Rechtsberatung der Eigentümergemeinschaft oder der Wohnungseigentümer zukomme, sein Auftrag sei die auf Organisation des Betriebs und Erhaltung der Liegenschaft gerichtete Geschäftsbesorgung. In diesem Zusammenhang könne er allenfalls verhalten sein, im Zweifel Rechtsauskünfte für die Eigentümergemeinschaft einzuholen173 oder auch die Zuziehung eines Sachverständigen zu veranlassen oder zu empfehlen. Die Last der im Wohnungseigentumsrecht mannigfaltig auftretenden rechtlichen Abgrenzungsschwierigkeiten könne jedenfalls nicht dem Verwalter aufgebürdet werden.174 Der Verwalter ist Machthaber und hat daher, soweit nicht Sonderregelungen bestehen, auch alle Rechte und Pflichten eines Machthabers nach §§ 1002 ff ABGB.175 Die Haftung des Verwalters ist nicht im WEG geregelt, sie richtet sich nach § 1012 ABGB in Verbindung mit §§ 1293 ff ABGB. Für den Verwalter gilt der Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB.176 Demnach hat er den typischerweise zu erwartenden Leistungsstandard seiner Berufsgruppe einzuhalten. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht dürfen hierbei nicht überspannt werden.177 Der Verwalter ist kein Sachverständiger für diffizile Rechtsfragen und bautechnische Fragen.178 c) Die Haftung des Verwalters unterliegt einer Einzelfallbeurteilung Ob ein Verwalter im Einzelfall die gebotene Sorgfalt eingehalten hat, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls geprüft werden und stellt regelmäßig keine Frage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar.179 Das gilt auch für die Frage, ob bzw welche Beratungs- und Aufklärungspflichten bestehen.180 d) Konkreter Fall: Zum Informationsstand des Verwalters bezüglich der Kostentragung

für die Balkonsanierung Zum Sachverhalt: Nach den Feststellungen kümmerte sich der Mit- und Wohnungseigentümer Dipl.-Ing. R***** schon vor seiner nunmehrigen Bestellung zum Eigentümervertreter gemäß § 22 WEG faktisch aktiv um die Belange des Hauses, nachdem er bereits maßgeblich mit der ursprünglichen Organisation der Eigentümergemeinschaft und der Errichtung des Gebäudes befasst gewesen war. Er bot dem Geschäftsführer der Verwalterin an, dieser könne sich in technischen Fragen an ihn wenden, und erteilte ihm auch Informationen aus Zeiten vor der Verwalterbestellung. In der vom Geschäftsführer der Verwalterin geleiteten Versammlung der Eigentümergemeinschaft am 23. Mai 2012, in der

173 E. M. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4 § 20 WEG Rz 12. 174 E. M. Hausmann in wobl 2016, 233/83 [Glosse zu 6 Ob 3/14f]. 175 RIS-Justiz RS0013751 [insb T2 und T3]; 5 Ob 98/12s. 176 RIS-Justiz RS0083550 [T9]. 177 Vgl RIS-Justiz RS0026584. 178 6 Ob 3/14f. 179 Vgl RIS-Justiz RS0026584 [insb T17 und T21]. 180 RIS-Justiz RS0106373; RS0026419 [T10 und T15]; vgl RS0119752.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 66

über die Sanierung von Balkonen und Terrassen gesprochen wurde, vertrat Dipl.-Ing. R***** die Auffassung, dass die Probleme bei den Terrassen auf eine mangelhafte Generalsanierung des Gebäudes im Jahr 2002 zurückzuführen seien (die unter anderem die Erneuerung sämtlicher Abdichtungen und Oberbeläge der Terrassen und Balkone umfasste). Er teilte der Verwalterin auch mit, dass die gesamte damalige Generalsanierung einschließlich der Arbeiten an den Terrassen nach einem Sonderschlüssel von der Eigentümergemeinschaft und nicht von den einzelnen Wohnungseigentümern finanziert worden sei. Anlässlich der Versammlung wurde zudem besprochen, dass man Gewährleistungsansprüche gegen das damals tätige Unternehmen nicht mehr geltend machen könne, weil dieses zwischenzeitlich in Konkurs gegangen sei und es laut Auskunft der Wirtschaftskammer Vorarlberg die Firma nicht mehr gebe. e) Konkreter Fall: Keine Anhaltspunkte des Verwalters, an der Unrichtigkeit an ihn

herangetragenen Informationen zu zweifeln, daher auch keine Sorgfaltswidrigkeit Zum Sachverhalt: Es bildet keine auffallende, vom OGH aufzugreifende Fehlbeurteilung, dass die Vorinstanzen vor diesem Hintergrund die Verwalterin nicht für verpflichtet hielten, den in der Folge in der Eigentümerversammlung einstimmig gefassten Beschluss zu hinterfragen, mit dem die Verwalterin beauftragt wurde, eine Begutachtung und Sanierung der Balkone in die Wege zu leiten. Es entspricht der Rechtsprechung, dass die zur Erhaltung der allgemeinen Teile der Liegenschaft notwendigen Vor- und insbesondere auch Nach-(folge-)arbeiten in die Zuständigkeit der Eigentümergemeinschaft fallen.181 Zum Sachverhalt: Die – auf den Informationen des technisch ausgebildeten und mit den Vorgängen vertrauten Dipl.-Ing. R***** basierende und damit entgegen der Meinung der Eigentümergemeinschaft nicht rein spekulative – Annahme des Geschäftsführers der Verwalterin, die Kosten für die Sanierung der schadhaften Terrassen und Balkone werde – wie die Kosten für die vorangegangene Generalsanierung – die Eigentümergemeinschaft tragen, ließ sich mit dieser Rechtsprechung in Einklang bringen. Solange dem Beauftragten Angaben des Auftraggebers über Fakten vollständig und richtig erscheinen dürfen, ist er zur Überprüfung dieser Äußerungen nicht verpflichtet.182 Zum Sachverhalt: Dass die Verwalterin bzw deren Geschäftsführer erhebliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der von Dipl.-Ing. R***** in der Eigentümerversammlung verbreiteten Informationen gehabt hätte und diese daher in Zweifel hätte ziehen müssen, zeigt die Eigentümergemeinschaft nicht auf. Die Ansicht der Vorinstanzen, der Beklagten sei in der vorliegenden Konstellation keine haftungsbegründende Sorgfaltswidrigkeit anzulasten, ist vertretbar, durfte der Geschäftsführer doch in Bezug auf die Sanierungsmaßnahmen von „abgeleiteten Erhaltungsmaßnahmen“ ausgehen.

181 RIS-Justiz RS0083228 vgl auch 5 Ob 181/16b; 5 Ob 143/14m; 5 Ob 83/06a ua. 182 RIS-Justiz RS0106940.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 67

Zum Sachverhalt: Dahingestellt kann bleiben, ob der Sanierungsbedarf der Terrassen bzw Balkone, der sich letztlich auf deren Oberflächen beschränkte, tatsächlich auf eine Mangelhaftigkeit der 2002 durchgeführten Generalsanierung zurückzuführen war, und ob der Eigentümergemeinschaft ein Gewährleistungsanspruch oder vertraglicher Schadenersatzanspruch gegen den seinerzeitigen Werkunternehmer zugestanden wäre, welchen das Berufungsgericht dem (nachträglichen) Zulassungsausspruch zugrunde legte.

f) Entscheidung der vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Insgesamt gelingt es der Eigentümergemeinschaft nicht, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, die die Revision zulässig machen würde. Die Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen. Anmerkung: Nachdem sich die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken konnte (§ 510 Abs 3 ZPO), lassen sich aus der Entscheidung nicht alle für eine umfassende rechtliche Analyse erheblichen Sachverhaltselemente ableiten. Die Entscheidung legt nämlich nicht offen, ob den Geschäftsführer der Verwalterin nicht bloß kein Verschulden trifft, sondern ihm allenfalls gar nicht der Vorwurf der Rechtswidrigkeit gemacht werden kann. Für die Behauptung der klagenden Eigentümergemeinschaft, die Erhaltungspflicht für die Balkone träfe die jeweiligen Wohnungseigentümer, bedürfte es nämlich einer (seit dem 1.9.1975 zwingend schriftlichen) Vereinbarung aller Eigentümer hinsichtlich einer vom Gesetz abweichenden Aufteilung der Erhaltungspflichten bzw Kosten gemäß § 32 Abs 2 WEG. Ob es eine derartige Vereinbarung überhaupt gibt, kann anhand der vorliegenden Entscheidung nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Aber selbst wenn es eine derartige Vereinbarung gäbe, beträfe sie in letzter Konsequenz nur die interne Kostentragung und würde die grundsätzlich zu bejahende Erhaltungspflicht der Eigentümergemeinschaft – und damit Verantwortung des Verwalters zur Begutachtung von Schäden und Veranlassung von Arbeiten – gerade nicht berühren. Vgl hierzu insb 5 Ob 212/13g (in einem Außerstreitverfahren ist einem von einem Wohnungseigentümer nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG eingebrachten Antrag auf Durchführung von Erhaltungsarbeiten auch dann stattzugeben, wenn allenfalls eine vom Gesetz abweichende vertragliche Vereinbarung über die Erhaltungspflicht geschlossen wurde) und im Mietrecht zuletzt 5 Ob 122/17b mit weitern aktuellen Nachweisen (im Außerstreitverfahren zur Durchsetzung der gesetzlichen Erhaltungspflicht des Vermieters sind auf vertragliche Vereinbarungen gestützte Einwendungen ebenso wenig zu prüfen wie Fragen der Verursachung und des Verschuldens). ***

§ 20 Abs 3 WEG (und § 34 WEG)

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 68

Eine richtige Abrechnung im Wohnungseigentum hat das „tatsächlich Geschuldete“ abzubilden OGH 6.11.2018, 5 Ob 197/18h

Der OGH (5 Ob 197/18h) hat bestätigt, dass es für die Richtigkeit einer Ausgabe in der vom Verwalter im Wohnungseigentum zu legenden Jahresabrechnung maßgeblich darauf ankommt, dass es zu einem auf einem rechtswirksamen Vertrag zwischen Eigentümergemeinschaft und einem dritten Unternehmer beruhenden Leistungsaustausch gekommen ist. Schließt daher der Hausverwalter im Namen der Eigentümergemeinschaft einen Vertrag mit einem dritten Unternehmer, ist dessen (berechtigte) Forderung für erbrachte Leistungen das von der Eigentümergemeinschaft „tatsächlich Geschuldete“. Ein behauptetes pflichtwidriges Verhalten des Hausverwalters ist im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe im Rechnungslegungsverfahren weder zu prüfen noch für die Richtigkeit der Abrechnung relevant. Rechtlicher Hintergrund: Der Verwalter hat gemäß § 20 Abs 3 WEG den Wohnungseigentümern nach den Regelungen des § 34 WEG innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Abrechnungsperiode (dh im Normalfall bis 30. Juni des Folgejahres) eine (formell) ordentliche und (inhaltlich) richtige Abrechnung zu legen. Die Abrechnung muss nicht nur ein rechnerisch richtiges, vollständiges und plausibles Zahlenwerk darstellen, sondern in seinen einzelnen Positionen auch den gesetzlichen und vertraglichen Grundlagen des Rechtsverhältnisses zwischen Wohnungseigentümer und Verwalter entsprechen. Ergebnis der Abrechnung muss das tatsächlich Geschuldete sein.183 Sachverhalt: Die Antragsteller sind Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft, auf der Reihenhäuser errichtet sind. Die Erstantragsgegnerin ist die Verwalterin dieser Liegenschaft. Gegenstand des Verfahrens ist die Überprüfung der von ihr für das Jahr 2012 gelegten Abrechnung. Der Erstantragsteller begehrte dazu, der Verwalterin unter Androhung einer Ordnungsstrafe die Vorlage einer formell ordnungsgemäßen, inhaltlich richtigen Abrechnung aufzutragen und nannte nach Erörterung184 die von ihm beanstandeten Positionen. Die Zweit- bis Viertantragsteller schlossen sich diesem Antrag an.

183 RIS-Justiz RS0117889, RS0119057. 184 RIS-Justiz RS0083560 [T1]: Der seinen Rechnungslegungsanspruch ausübende Wohnungseigentümer hat

daher bei Vorliegen einer Abrechnung genau anzugeben, was er an ihr auszusetzen hat; tut er dies nicht schon in seinem Antrag, ist er vom Gericht anzuleiten, seine Beschwerdepunkte zu nennen. Vgl hierzu etwa 5 Ob 14/16v = Newsletter vom 27. Juli 2016 [im konkreten Fall vertraten die Vorinstanzen übereinstimmend die Auffassung, dass die Antragstellerin dieser Konkretisierungspflicht in Bezug auf angeblich nicht abgerechnete Geldflüsse – trotz Anleitung und Setzung einer angemessenen Frist – nicht nachgekommen sei].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 69

Das Rekursgericht hob mit seiner Entscheidung den das Begehren abweisenden Sachbeschluss des Erstgerichts auf und trug diesem die Ergänzung des Verfahrens auf, weil Feststellungen zur Beurteilung einzelner Positionen der Abrechnung fehlten. Zusammengefasst handelt es sich dabei um Zahlungen an den Hausbetreuer, Rechnungen von Fremdfirmen und für diverse Anschaffungen in Baumärkten. Im Übrigen hielt es die von den Antragstellern gegen die Abrechnung vorgetragenen Argumente aber für nicht stichhältig. Dazu legte es die in der Rechtsprechung vertretenen Grundsätze einer ordentlichen und richtigen Verwalterabrechnung nach § 34 WEG in Verbindung mit § 20 Abs 3 WEG ausführlich dar und begründete zu den noch strittigen Positionen, aus welchen Erwägungen es eine Ergänzung des Sachverhalts für erforderlich erachtet. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zur Frage zu, ob es für die Überprüfung einer Ausgabe in der Jahresabrechnung darauf ankommt, dass es aufgrund eines rechtswirksamen Vertrags tatsächlich zu einem Leistungsaustausch zwischen der Eigentümergemeinschaft und einem Dritten gekommen ist oder – im Sinn des Zu- und Abflussprinzips – bereits die Zahlung an den Dritten aufgrund des Vertrags genügt, der Leistung des Dritten daher keine gesonderte Bedeutung zukommt. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Ergebnis einer – richtigen – Abrechnung muss das tatsächlich Geschuldete sein In einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 6 iVm §§ 20 Abs 3, 34 Abs 3 WEG ist zu prüfen, ob die gerügte Ausgabeposition der Abrechnung durch Vereinbarung oder Gesetz gedeckt ist und daher als Aufwendung für die Liegenschaft im Sinn des § 32 WEG zu qualifizieren ist.185 Als Vorfrage ist auch die materielle Richtigkeit und Berechtigung von in die Abrechnung aufgenommenen Forderungen Gegenstand der Prüfung in einem solchen Verfahren.186 Ergebnis der Abrechnung muss das tatsächlich Geschuldete sein.187 b) Für das „tatsächlich Geschuldete“ kommt es auf einen Leistungsaustausch an, dem

ein Vertrag zwischen der Eigentümergemeinschaft und einem dritten Unternehmer zugrunde liegt

Zu der vom Rekursgericht in seiner Zulassungsbegründung aufgeworfenen Frage hat der Fachsenat zuletzt zu 5 Ob 146/16f188 ausführlich Stellung genommen und festgehalten, dass es für die Überprüfung einer Ausgabe in der Jahresabrechnung maßgeblich darauf ankommt, dass es zu einem auf einem rechtswirksamen Vertrag zwischen Eigentümergemeinschaft und einem dritten Unternehmer beruhenden Leistungsaustausch gekommen ist. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass die Orientierung am tatsächlichen Leistungsaustausch der Unbeschränkbarkeit der Verwaltervollmacht nach außen gemäß § 20 Abs 1 WEG Rechnung trägt. Schließt daher der Hausverwalter im Namen der Eigentümergemeinschaft einen Vertrag mit einem dritten Unternehmer, ist dessen

185 5 Ob 228/17s mit weiteren Nachweisen. 186 RIS-Justiz RS0119057; 5 Ob 228/17s. 187 RIS-Justiz RS0117889, RS0119057. 188 = RIS-Justiz RS0131374.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 70

(berechtigte) Forderung für erbrachte Leistungen das von der Eigentümergemeinschaft „tatsächlich Geschuldete“, welches im Ausmaß der Zahlung durch den Hausverwalter in die Jahresabrechnung aufgenommen werden muss. Zum Sachverhalt: Die Entscheidung des Rekursgerichts trägt im Ergebnis der in der Entscheidung 5 Ob 146/16f vertretenen Rechtsansicht Rechnung und beruht daher insoweit auf gesicherter Rechtsprechung.189 Die Verwalterin tritt dieser Rechtsansicht auch gar nicht entgegen, sondern steht – zusammengefasst – auf dem Standpunkt, dass zu allen strittigen Positionen der Abrechnung ohnedies ein Leistungsaustausch stattgefunden habe, weswegen ihrer Ansicht nach dem Rekurs des Erstantragstellers keine Folge zu geben gewesen wäre. Dazu beruft sie sich unter anderem auf von ihr im Verfahren erster Instanz vorgelegte Urkunden und übersieht dabei, dass der OGH auch im Verfahren außer Streitsachen nicht Tatsacheninstanz ist.190 c) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Wenn das Rekursgericht auf der Basis seiner im Ergebnis zutreffenden Rechtsansicht den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht für ergänzungsbedürftig erachtet, kann dem der OGH daher nicht entgegentreten.191 Insbesondere kann er in einem solchen Fall nicht prüfen, ob die vom Rekursgericht als notwendig erachtete Ergänzung der Feststellungen tatsächlich erforderlich ist192, weswegen die Erstantragsgegnerin auch mit ihrem Verweis auf Erwägungen des Erstgerichts in seiner Beweiswürdigung und deren Qualifikation als (dislozierte) Feststellungen keine Rechtsfragen von der Qualität gemäß § 62 Abs 1 AußStrG anspricht. Der Revisionsrekurs ist – entgegen dem den OGH nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 16 MRG und § 71 Abs 1 AußStrG) – nicht zulässig und daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG). Anmerkung: Bei dem in der vorliegenden Entscheidung bestätigten Rechtssatz handelt es um den Grundsatz, wonach einer Ausgabe in der Jahresabrechnung ein tatsächlicher Leistungsaustausch zugrunde liegen muss, der auf einem rechtswirksamen Vertrag zwischen der Eigentümergemeinschaft und einem dritten Unternehmer beruht. Ein behauptetes pflichtwidriges Verhalten des Hausverwalters ist im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe im Rechnungslegungsverfahren weder zu prüfen noch für die Richtigkeit der Abrechnung relevant. Vgl hierzu etwa auch 5 Ob 80/18b. Siehe weiters zur Abrechnungspflicht des Verwalters im Wohnungseigentum und dem damit korrespondierenden Rechnungslegungsanspruch eines Wohnungseigentümers ua unsere Newsletter vom 4. November 2015 zu 5 Ob 30/15w [eine Abrechnung im

189 RIS-Justiz RS0103384: Eine Entscheidung, die zwar bisher die einzige ist, die aber ausführlich begründet und

mehrfach veröffentlicht wurde, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen und die auch vom Schrifttum ohne Kritik übernommen wurde, reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus.

190 RIS-Justiz RS0007236. 191 RIS-Justiz RS0042179; RS0006737. 192 RIS-Justiz RS0042179 [T19].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 71

Wohnungseigentum muss derart gestaltet sein, dass der Wohnungseigentümer ihr auch entnehmen kann, ob die gesetzlichen Kostenaufteilungsgrundsätze des und/oder allfällige davon abweichende Aufteilungsschlüssel oder Abrechnungseinheiten beachtet wurden], vom 1. April 2015 zu 5 Ob 114/14x [eine Gegenüberstellung der Solleinnahmen mit den tatsächlichen Zahlungseingängen ist in der Abrechnung zumindest in der Form erforderlich, dass bei jedem einzelnen Mitglied der Gemeinschaft oder jedem einzelnen Wohnungseigentumsobjekt ausgewiesen wird, ob das Konto ausgeglichen ist oder ein Rückstand besteht] und vom 20. Juni 2012 zu 5 Ob 3/12w [der Rechnungslegungsanspruch stellt ein zwingendes Individualrecht jedes einzelnen Wohnungseigentümers dar; er kann daher auch nicht durch eine von der Eigentümergemeinschaft beschlossene „Genehmigung“ der gelegten Abrechnung beseitigt werden]. ***

§ 21 Abs 3 Fall 2 WEG (und § 52 Abs 1 Z 8 WEG) Zum Individualrecht auf Abberufung des Verwalters wegen grober Pflichtverletzung OGH 28.8.2018, 5 Ob 126/18t

Der OGH (5 Ob 126/18t) hat die wesentlichen Grundsätze für eine gerichtliche Abberufung des Verwalters wegen grober Pflichtverletzung auf Antrag (nur) eines Miteigentümers in Erinnerung gerufen. Für eine solche Abberufung sind gravierende, die Vertrauensbasis zerstörende Pflichtverletzungen zu fordern. Es muss sich um Gründe handeln, die nach allgemeiner Verkehrsauffassung so gewichtig sind, dass die Wahrnehmung der Interessen der Wohnungseigentümer nicht mehr gesichert ist. Dem Verwalter steht es zu, im Hinblick auf zu erwartende Erhaltungsaufwendungen bei nicht gesicherter Liquidität der Eigentümergemeinschaft auch ohne Beschluss der Eigentümergemeinschaft die Beiträge zur Rücklage zu erhöhen. Eine grobe Pflichtverletzung kann insofern nicht behauptet werden. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Grundsätze für die gerichtliche Abberufung des Verwalters wegen grober

Pflichtverletzung Das Individualrecht auf Auflösung des Verwaltungsvertrags kann nur dann erfolgreich ausgeübt werden, wenn nach dem Verhalten des Verwalters begründete Bedenken gegen seine Treue- und Interessenwahrungspflicht bestehen. Dabei muss es sich um Gründe handeln, die nach allgemeiner Verkehrsauffassung so gewichtig sind, dass die Wahrnehmung der Interessen der Wohnungseigentümer nicht mehr gesichert ist.193 Geringfügige und entschuldbare Fehlleistungen haben unberücksichtigt zu bleiben.194 Mehrere einzelne Pflichtverletzungen des Verwalters, die für sich allein betrachtet noch keine grobe Vernachlässigung der Verwalterpflichten sind, können bei einer Gesamtschau seine Abberufung rechtfertigen.195 Für die sofortige Abberufung des Verwalters einer

193 RIS-Justiz RS0083249. 194 RIS-Justiz RS0083249 [T1]. 195 RIS-Justiz RS0083249 [T2].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 72

Wohnungseigentumsanlage auf Antrag (nur) eines Miteigentümers sind gravierende, die Vertrauensbasis zerstörende Pflichtverletzungen zu fordern196, zumal im Hinblick auf das Verbot der Wiederbestellung (§ 21 Abs 3 WEG) zu berücksichtigen ist, dass durch eine derartige Abberufung der Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer – die dem Verwalter weiterhin das Vertrauen schenken – ein Verwalterwechsel aufgezwungen wird.197 Ob ausreichende Gründe vorliegen, den Verwaltungsvertrag auf Antrag eines Mit- und Wohnungseigentümers aufzulösen, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen.198 Die Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten des Verwalters als grobe Vernachlässigung einer Pflicht zu werten ist, eröffnet dabei einen gewissen Beurteilungsspielraum. Solange die Vorinstanzen ihre Entscheidung innerhalb dieses Spielraums treffen, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor.199 Zum Sachverhalt: Dies ist hier der Fall. b) Für die Festlegung der Beiträge zur Rücklage besteht Entscheidungsautonomie des

Verwalters Zum Sachverhalt: Nach der übereinstimmenden Rechtsauffassung der Vorinstanzen bedurfte die Erhöhung der Rücklage ab 2013 keines Mehrheitsbeschlusses, sodass der Antragsgegnerin diesbezüglich keine Pflichtverletzung vorzuwerfen sei. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt insoweit nicht vor. § 31 Abs 1 WEG verpflichtet nunmehr die Wohnungseigentümer zur Bildung einer angemessenen Rücklage zur Vorsorge für künftige Aufwendungen. Die Bildung dieser angemessenen Rücklage ist Maßnahme der ordentlichen Verwaltung (§ 28 Abs 1 Z 2 WEG). Im Fall einer akuten Liquiditätskrise, die die laufende Bewirtschaftung des Objekts gefährdet, steht es dem Verwalter im Rahmen der ordentlichen Verwaltung daher zu, monatliche Vorschreibungen für Betriebskosten und Rücklage auch während des laufenden Jahres zu erhöhen, er hat lediglich durch entsprechende Information den Wohnungseigentümern eine (abweichende) Weisung zu ermöglichen.200 Mehrfach wurde auch bereits ausgesprochen201, dass selbst der Wegfall eines die Erhöhung der Beiträge zur Rücklage bestimmenden Beschlusses nichts an der Berechtigung des Verwalters ändert, die Höhe der Rücklage selbständig in entsprechender Höhe festzusetzen und vorzuschreiben, was die Minderheit solange bindet, als nicht durch rechtsgestaltenden Beschluss des Außerstreitrichters mit Wirkung ex nunc die Herabsetzung verfügt wird.202 c) Konkreter Fall: Rücklagenerhöhung war im Hinblick auf durchzuführende

Erhaltungsarbeiten legitim

196 RIS-Justiz RS0083249 [T4]. 197 5 Ob 293/07k. 198 RIS-Justiz RS0111893. 199 RIS-Justiz RS0042763. 200 RIS-Justiz RS0083581 [T3]; 5 Ob 144/15k 201 5 Ob 29/15y = Newsletter vom 15. Juli 2015; 5 Ob 72/15x. 202 RIS-Justiz RS0103218.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 73

Zum Sachverhalt: Dass die – hier nach den Feststellungen nicht zuletzt aufgrund mehrfacher Anzeigen der Antragstellerin bei der Baupolizei – durchzuführenden Erhaltungsarbeiten mangels ausreichender Liquidität eine Erhöhung der Rücklage durch die Antragsgegnerin erforderten, zieht auch die Antragstellerin nicht in Zweifel. Auf eine Bindung der Antragsgegnerin an Weisungen der Eigentümergemeinschaft betreffend Rücklagenhöhe aus den Jahren 1990 und 1999 hat sich die Antragstellerin im Verfahren erster Instanz nicht berufen, Feststellungen dazu finden sich im erstinstanzlichen Sachbeschluss daher nicht. Auch im Rekurs nahm sie auf diese Beschlüsse nicht Bezug. Der erstmaligen Geltendmachung im Revisionsrekurs steht das im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren geltende Neuerungsverbot entgegen.203 Einer näheren Erörterung, ob bei 1999 noch nicht absehbaren Liquiditätsengpässen ungeachtet eines Beschlusses der Eigentümergemeinschaft die Verwalterin nicht ohnedies im Rahmen der ordentlichen Verwaltung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet gewesen wäre, unzureichende Rücklagenbeiträge zu erhöhen, bedarf es daher nicht. d) Behördlich aufgetragene Sanierungen von Terrassen und Balkonen sind der

ordentlichen Verwaltung zuzurechnen Zum Sachverhalt: Weshalb die Vorinstanzen von den in der Entscheidung 5 Ob 91/17v dargelegten Grundsätzen abgewichen sein sollen, ist nicht erkennbar. Gegenstand dieser Entscheidung war eine von der Verwalterin beauftragte Liftsanierung, die im Hinblick darauf, dass in einem TÜV-Bericht gewisse Maßnahmen aufgrund der Änderungen des Wiener Aufzugsgesetzes verlangt wurden, als Erhaltungsmaßnahme beurteilt wurde. Dort sprach der Fachsenat ausdrücklich aus, die Vornahme einer demgemäß als ordentliche Verwaltung zu qualifizierenden Maßnahme ohne vorangegangene Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft sei keine Pflichtverletzung der Verwalterin. Zum Sachverhalt: Soweit die Antragstellerin meint, hier habe die Antragsgegnerin eine neue Heizanlage angeschafft, obwohl weder Gefahr im Verzug bestand noch die alte defekt gewesen sei, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wonach der Eigentümergemeinschaft mit Bescheid vom 10. Juli 2013 aufgetragen worden war, die Heizungsanlage schalltechnisch ö-normgerecht auszuführen. Überdies lag der Grund für die Erhöhung der Rücklagenbeiträge letztlich ohnedies in den von der Antragstellerin bereits zuvor initiierten baupolizeilichen Aufträgen zur Sanierung der Terrassen und Balkone der Häuser (Bescheid vom 4. Mai 2009). Dass insoweit jedenfalls Erhaltungsarbeiten und somit Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung im Sinn des § 28 Abs 1 Z 1 WEG vorliegen, bestreitet auch die Antragstellerin nicht. e) Entscheidungen über die Rücklagendotierung dürfen nicht von einer Vereinbarung

aller Miteigentümer abhängig gemacht werden

203 RIS-Justiz RS0070485.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 74

Zum Sachverhalt: Die auf § 38 WEG gestützte rechtliche Beurteilung des Erstgerichts betreffend die Unzulässigkeit der Klausel des Nutzungsregelungsvertrags, wonach Änderungen der Höhe der Beiträge zur Reparaturrücklage der einstimmigen Vereinbarung der Wohnungseigentümer bedürften, zog die Antragstellerin im Rekurs nicht in Zweifel. Die insoweit in zweiter Instanz unterlassene ordnungsgemäße Rechtsrüge ist in dritter Instanz aber nicht nachholbar.204 Davon abgesehen ordnet § 56 Abs 13 WEG ausdrücklich an, dass das WEG 2002 – soweit die hier nicht einschlägigen § 56 Abs 1 bis 12 WEG nichts Abweichendes anordnen – auch auf vor dem 1. Juli 2002 begründete Wohnungseigentumsrechte und vor diesem Zeitpunkt zwischen Wohnungseigentümern, Wohnungseigentumsbewerbern und Wohnungseigentumsorganisatoren untereinander oder mit Dritten geschlossene Rechtsgeschäfte anzuwenden ist. f) Eine einmalige Verletzung der zweijährigen Mindestfrist zur Einberufung einer

Eigentümerversammlung und kleinere Nachlässigkeiten im Zusammenhang mit einer durchgeführten Terrassensanierung haben für eine gerichtliche Abberufung zu wenig Gewicht

Zum Sachverhalt: Die Auffassung des Rekursgerichts, aus der einmaligen Verletzung der zweijährigen Mindestfrist zur Einberufung einer Eigentümerversammlung (§ 25 Abs 1 WEG) im Jahr 2011 verbunden mit von der Antragsgegnerin nur in geringem Umfang zu verantwortenden Nachlässigkeiten und Versäumnissen bei der Terrassensanierung sei auch in der Gesamtschau keine grobe Vernachlässigung ihrer Verwalterpflichten abzuleiten, ist nicht korrekturbedürftig, zumal unstrittig ist, dass sämtliche übrigen Mit- und Wohnungseigentümer der Antragsgegnerin weiterhin ihr Vertrauen schenken. ***

§ 21 Abs 3 Fall 2 WEG Einbringung unrichtiger Fertigstellungsanzeigen als grobe Pflichtverletzung des Verwalters OGH 6.11.2018, 5 Ob 177/18t

Der OGH (5 Ob 177/18t) hatte rezent einen Fall zu prüfen, in welchem eine Verwalterin im Wohnungseigentum – gestützt auf Spezialvollmachten der Wohnungseigentümer – mittels Einbringung unrichtiger Fertigstellungsanzeigen bei der Baubehörde zum Teil konsenslose und nicht bewilligungsfähige bauliche Veränderungen zu kaschieren trachtete. Dabei erblickte der erkennende Senat in der Feststellung des Rekursgerichts, dass es sich hierbei um eine grobe Pflichtverletzung der Verwalterin handle, keine Fehlbeurteilung. Dem Geschäftsführer der Verwalterin habe klar sein müssen, dass er hier mangels Erzielung einer nachhaltigen Lösung keineswegs im Interesse der Eigentümer gehandelt habe. Sachverhalt:

204 RIS-Justiz RS0043480.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 75

Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag eines Mit- und Wohnungseigentümers auf Auflösung des Verwaltungsvertrags wegen grober Vernachlässigung der Verwalterpflichten gemäß § 21 Abs 3 WEG. Die Verwalterin schritt in mehreren Bauverfahren unter Berufung auf die ihr dafür von den Mit- und Wohnungseigentümern erteilten Spezialvollmachten als Vertreterin der Grundeigentümer und Bauwerber ein. Die Baubehörde hatte die Erfüllung diverser Verpflichtungen aus lange vor Begründung des Wohnungseigentums und vor Bestellung der Verwalterin erteilten Baubewilligungen eingefordert. Die damals vorgenommenen baulichen Veränderungen wichen zum Teil nicht nur vom baubehördlichen Konsens ab, sie waren auch gar nicht bewilligungsfähig. Um den Aufträgen der Baupolizei dennoch nachkommen zu können, erstattete die Verwalterin in Absprache und im Zusammenwirken mit dem von ihr beauftragten Sachverständigen mehrere teilweise unrichtige Fertigstellungsanzeigen, wobei ihr die jeweilige Unrichtigkeit bewusst war bzw im Fall der Errichtung einer Aufzugsanlage zumindest bewusst sein hätte müssen. Gegenüber dem Sachverständigen gab die Verwalterin eine „Enthaftungserklärung“ ab. Die Mit- und Wohnungseigentümer informierte die Verwalterin ungenügend; sie klärte sie weder über die baurechtliche Problematik noch den von ihr gewählten „Lösungsweg“ auf. Die Fertigstellungsanzeigen erfolgten im Jahr 2011, danach blieb die Verwalterin trotz ihres Wissens bzw Wissenmüssens um den konsenswidrigen Zustand untätig, bis die Baubehörde neuerlich einschritt und im Juli 2015 nach vorangegangenen Begehungen erneut entsprechende Bauaufträge erteilte. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Ob der Verwaltungsvertrag wegen grober Pflichtverletzung des Verwalters

aufzulösen ist, unterliegt einer Einzelfallbeurteilung Zu den Voraussetzungen dieses Individualrechts eines Mit- und Wohnungseigentümers auf Auflösung des Verwaltungsvertrags wegen grober Pflichtverletzung des Verwalters existiert bereits umfangreiche Judikatur.205 Ob ausgehend von diesen Grundsätzen ausreichende Gründe vorliegen, den Verwaltungsvertrag auf Antrag eines Mit- und Wohnungseigentümers aufzulösen, lässt sich immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen.206 Die Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten des Verwalters als grobe Vernachlässigung seiner Pflicht zu werten ist, eröffnet dabei einen gewissen Beurteilungsspielraum. Solange die Vorinstanzen ihre Entscheidung innerhalb dieses Beurteilungsspielraums treffen, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor.207 b) Konkreter Fall: Unrichtige Fertigstellungsanzeigen an die Baubehörde sind als grobe

Pflichtverletzung zu qualifizieren Zum Sachverhalt: Das Rekursgericht qualifizierte die Vorgangsweise des Geschäftsführers der Verwalterin als gravierenden Vollmachtsmissbrauch gegenüber allen Eigentümern, weil ihm klar sein habe müssen, dass er mit den unrichtigen Fertigstellungsanzeigen

205 RIS-Justiz RS0083249; RS0101593; RS0111894 ua. 206 RIS-Justiz RS0111893. 207 RIS-Justiz RS0042763.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 76

keineswegs im Interesse der Eigentümer gehandelt habe. Er hätte die Eigentümer über die Sachlage, ihre Möglichkeiten und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen umfassend aufklären und sie darin unterstützen müssen, eine nachhaltige Lösung zu finden. Die Pflichtverletzung liege zwar schon Jahre zurück, aber der durch diese Fehlleistung prolongierte konsenswidrige Zustand dauere nach wie vor und nur deshalb an, weil der Geschäftsführer der Verwalterin mit seinem Verhalten verhindert habe, dass überhaupt eine nachhaltige Lösung gesucht werde. Daher könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Wahrnehmung der Interessen der Wohnungseigentümer in Zukunft gesichert wäre. Die Auffassung des Rekursgerichts, das Verhalten der Verwalterin begründe so gewichtige Bedenken gegen deren Treue- und Interessenwahrungspflicht, dass die Auflösung des Verwaltungsvertrags nach § 21 Abs 3 WEG gerechtfertigt sei, ist vertretbar. Auch mit seiner aus dem nachfolgenden Verhalten der Erstantragsgegnerin abgeleiteten negativen Zukunftsprognose verlässt das Rekursgericht den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht. Zum Sachverhalt: Es kommt im vorliegenden Fall für diese Beurteilung nicht entscheidend darauf an, dass die Verwalterin im gegebenen Zusammenhang aufgrund von Spezialvollmachten namens der Mit- und Wohnungseigentümer gehandelt und damit keine Maßnahme im Rahmen der Verwaltung der Liegenschaft gesetzt haben mag. Denn unabhängig von der Frage, inwieweit die Vorbereitung und Begleitung von Maßnahmen der außerordentlichen Verwaltung oder Verfügungsmaßnahmen vom Geschäftsbesorgungsauftrag eines Verwalters nach dem WEG umfasst sind208 hat die Verwalterin hier jedenfalls gegenüber den Wohnungseigentümern hinsichtlich ihrer Handlungskompetenz nicht ausreichend klar differenziert und sich in dem Informationsschreiben, das der Erteilung der Spezialvollmachten zugrunde lag, sogar ausdrücklich auf die ordentliche Verwaltung und Deckung der Kosten dieser Maßnahmen durch die Rücklage berufen. c) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Der Revisionsrekurs der Verwalterin zeigt keine Fehlbeurteilung durch das Rekursgericht auf, die ungeachtet der Einzelfallbezogenheit dieser Entscheidung im Interesse der Rechtssicherheit durch den OGH korrigiert werden müsste. Der Revisionsrekurs war daher mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinne des § 52 Abs 2 WEG in Verbindung mit § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen. ***

§ 23 WEG (§ 30 Abs 1 Z 6 WEG)

208 Vgl 5 Ob 11/15a = Newsletter vom 5. August 2015. Den ausführlichen Anmerkungen im Newsletter kann

werden, dass meiner Überzeugung nach zwar noch die Vorbereitung und die Begleitung von Maßnahmen der außerordentlichen Verwaltung vom Geschäftsbesorgungsauftrag eines Verwalters nach dem WEG umfasst sind, keinesfalls aber Handlungen im Bereich der (Anteils- und Sach-)Verfügungen. Dies schlicht deshalb, weil der Eigentümergemeinschaft (deren Vertreter der Verwalter ist) im Bereich der Verfügungen – von Anspruchsabtretungen nach § 18 Abs 2 WEG abgesehen – keinerlei Rechtsfähigkeit und -zuständigkeit zukommt.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 77

Zur Abweisung eines Antrags auf Bestellung eines vorläufigen Verwalters, wenn während des Verfahrens von der Eigentümergemeinschaft ein „regulärer“ Verwalter bestellt wird OGH 13.3.2018, 5 Ob 204/17m

Der OGH (5 Ob 204/17m) hat festgestellt, dass ein Antrag auf Bestellung eines vorläufigen Verwalters abzuweisen ist, wenn während des Verfahrens seitens der Eigentümergemeinschaft durch Mehrheitsbeschluss ein „regulärer“ Verwalter bestellt wird. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Bestellungsbeschluss angefochten wird und damit noch keine „endgültige“ Rechtswirksamkeit erlangt hat. Es mangelt nämlich dessen ungeachtet an dem für eine Antragsstellung nach § 30 Abs 1 Z 6 WEG in Verbindung mit § 23 WEG zwingenden Tatbestandselement der fehlenden Verwalterbestellung, zumal Beschlüsse im Bereich der ordentlichen Verwaltung bis zu ihrer rechtskräftigen Aufhebung vollziehbar sind (das heißt, eine Beschlussanfechtung hat keine aufschiebende Wirkung, weshalb vom Bestand eines Verwaltungsverhältnisses auszugehen ist). Rechtlicher Hintergrund: § 30 Abs 1 Z 6 WEG gewährt dem einzelnen Wohnungseigentümer das Recht auf Bestellung eines Verwalters oder vorläufigen Verwalters. Ist kein Verwalter bestellt, so kann sowohl ein Wohnungseigentümer als auch ein Dritter, der ein berechtigtes Interesse an einer wirksamen Vertretung der Eigentümergemeinschaft hat, die gerichtliche Bestellung eines vorläufigen Verwalters beantragen (§ 23 Satz 1 WEG). Die Vertretungsbefugnis des vorläufigen Verwalters endet mit der Bestellung eines Verwalters durch die Gemeinschaft (§ 23 Satz 1 WEG). Sachverhalt: Der Antragsteller und die Antragsgegner sind die Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Die P***** & Dr. ***** GmbH war ehemals die Verwalterin der Liegenschaft; über deren Vermögen wurde mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 13. August 2010 der Konkurs eröffnet. Der Geschäftsführer der ehemaligen Verwalterin gründete im Jahr 2008 die P***** GmbH; diese fungiert seit dem Jahr 2008 de facto als Hausverwalterin der Liegenschaft.

Die Bestellung der P***** GmbH zur Verwalterin war Gegenstand eines Beschlussanfechtungsverfahrens nach § 52 Abs 1 Z 4 WEG. In diesem sprach das Rekursgericht aus, dass dem Versuch der P***** GmbH, der P***** & Dr. ***** GmbH als Verwalterin nachzufolgen, gravierende Verstöße gegen die Bestimmungen des WEG betreffend die Willensbildung der Eigentümergemeinschaft zu Grunde gelegen seien. In der Gesamtschau liege nicht einmal der Anschein eines Beschlusses vor, weshalb die vom Antragsteller vorgenommene – den Gegenstand des Rekursverfahrens bildende – Anfechtung der Verwalterbestellung nach § 52 Abs 1 Z 4 WEG im außerstreitigen Verfahren nicht möglich sei. Die Verwalterbestellung sei vielmehr ab ovo nichtig gewesen.

Mit Antrag vom 19. Juli 2016 beantragte der Antragsteller die Bestellung eines vorläufigen Verwalters. Die P***** GmbH habe ungeachtet des Fehlens eines rechtswirksamen

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 78

Verwaltungsauftrags die rechtswidrigen Handlungen der ehemaligen Verwalterin fortgesetzt. Vor allem im Zusammenhang mit einem laufenden Sanierungskredit und der Wohnbauförderung bedürfe es eines vertretungsberechtigten Verwalters. Die Antragsgegner traten dem Antrag des Antragstellers nicht entgegen. Die P***** GmbH teilte dem Erstgericht hingegen am 18. Oktober 2016 mit, dass eine in der Zwischenzeit durchgeführte neuerliche Abstimmung der Wohnungseigentümer über ihre Bestellung zur Verwalterin eine Zustimmung von 52,7 % ergeben habe. Das Erstgericht bestellte die Dr. B***** GmbH zum vorläufigen Verwalter gemäß § 23 WEG.

Nach den dazu getroffenen Feststellungen und der im Vorverfahren ergangenen Rekursentscheidung sei klar, dass die P***** GmbH nicht Verwalterin der Liegenschaft sei. Auch der neuerliche Umlaufbeschluss im September/Oktober 2016 über deren Bestellung zur Verwalterin stehe der im berechtigten Interesse der Wohnungseigentümer liegenden Bestellung eines vorläufigen Verwalters nicht entgegen, weil dazu ein Beschlussanfechtungsverfahren anhängig sei.

Das Rekursgericht gab dem vom 117. Antragsgegner, der 118. Antragsgegnerin und der P***** GmbH erhobenen Rekurs nicht Folge.

Tatbestandselement der Bestellung eines vorläufigen Verwalters nach § 23 WEG sei das endgültig feststehende Fehlen eines Verwalters. Vor dem Hintergrund der unbekämpft gebliebenen Entscheidung des Rekursgerichts im Vorverfahren sei jedenfalls zum Zeitpunkt der Antragseinbringung kein Verwalter für die Liegenschaft wirksam bestellt gewesen. In der Zwischenzeit sei zwar eine Beschlussfassung über die Bestellung der P***** GmbH zur Verwalterin erfolgt. Die rechtzeitige Anfechtung eines solchen Beschlusses der Eigentümergemeinschaft bewirke jedoch eine zeitliche Einschränkung seiner Rechtswirksamkeit bis seine Rechtmäßigkeit im Anfechtungsverfahren evaluiert sei oder aber der ex tunc wirkende Feststellungsausspruch der Unwirksamkeit des Beschlusses in Rechtskraft erwachsen sei. Das Rekursgericht folge der Ansicht von E. M. Hausmann209, wonach es der Bestellung eines vorläufigen Verwalters nicht entgegenstehe, wenn die Verwalterbestellung Gegenstand einer Beschlussanfechtung sei. Lege man die Ansicht des OGH, bei einer – eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung bildenden – Kündigung des Verwaltervertrags komme es auf die endgültige Bestandkraft des angefochtenen Beschlusses an210, auf den vorliegenden Fall um, komme man zum Ergebnis, dass auch hier eine Bestellung eines vorläufigen Verwalters erst mit endgültiger Bestandkraft des Beschlusses der Eigentümer im Bestellungsverfahren ausscheide. Im vorliegenden Fall stünden Erledigungen im Zusammenhang mit Maßnahmen der außerordentlichen Verwaltung an und könne ein langwieriges Anfechtungsverfahren nicht ausgeschlossen werden. Mangels endgültiger Wirksamkeit des Verwalterbestellungsbeschlusses sei die gerichtliche Bestellung eines vorläufigen Verwalters daher zu Recht erfolgt. Da – sowie überblickbar – keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage vorliege, ob ein vorläufiger Verwalter auch dann bestellt

209 In Hausmann/Vonkilch4 § 23 WEG Rz 6a. 210 Weshalb während eines Beschlussanfechtungsverfahrens im Hinblick auf die ordentliche Kündigung eines

Verwalters kein vorläufiger Verwalter gemäß § 23 WEG bestellt werden könne (5 Ob 69/04i).

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 79

werden könne, wenn bereits eine Beschlussfassung der Eigentümer über die Bestellung eines Verwalters erfolgt, aber noch nicht rechtswirksam sei, sei der ordentliche Revisionsrekurs zuzulassen.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des 117. Antragsgegners, der 118. Antragsgegnerin und der P***** GmbH.

Der Antragsteller hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Der Übergang von Selbst- zur Fremdverwaltung ist im Wohnungseigentum eine

Maßnahme der ordentlichen Verwaltung Die in § 833 ABGB geregelte Selbstverwaltung der Miteigentümer ist als Normalfall der Verwaltung konzipiert. Ein Übergang von der Selbst- zur Fremdverwaltung, sowohl was die Beendigung der Selbstverwaltung betrifft als auch die Auswahl der Person des Verwalters, kann von der Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer beschlossen werden (§ 28 Abs 1 Z 5 WEG). b) Mangels Fremdverwalters kann bei Untunlichkeit der Selbstverwaltung auch von

jedem Wohnungseigentümer die gerichtliche Bestellung eines vorläufigen Verwalters begehrt werden

Daneben besteht aber ein Minderheitsrecht jedes Mit- und Wohnungseigentümers, vom Gericht die Entscheidung darüber zu verlangen, dass ein gemeinsamer Verwalter bestellt wird (§ 30 Abs 1 Z 6 WEG). Für die rechtsgestaltende Entscheidung des Außerstreitrichters darüber, ob auf Antrag eines Mit- und Wohnungseigentümers (anstelle der bisherigen Selbstverwaltung) ein Verwalter zu bestellen ist, reicht es nicht (schon) aus, dass noch kein Verwalter bestellt ist. Es muss vielmehr untunlich sein, die Selbstverwaltung beizubehalten. Der antragstellende Wohnungseigentümer hat ein wichtiges Interesse zu behaupten und zu beweisen. Für die Bestellung eines vorläufigen Verwalters müssen – abgesehen vom Nachweis einer konkreten Dringlichkeit – die beschriebenen Voraussetzungen ebenfalls gegeben sein.211 c) Zur Bestellung des Verwalters und zur Auflösung des Verwaltungsvertrags als

Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung – Beschlüsse im Bereich der ordentlichen Verwaltung sind sofort vollziehbar

Die Bestellung des Verwalters und die Auflösung des Verwaltungsvertrags sind gemäß § 28 Abs 1 Z 5 WEG Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung der Liegenschaft.212 Als Maßnahme der ordentlichen Verwaltung ist der wirksame Beschluss der Eigentümergemeinschaft auf Bestellung eines Verwalters sofort vollziehbar und bewirkt die (vorläufige) Rechtswirksamkeit der Bestellung. Der Bestand des Beschlusses der

211 5 Ob 185/16s = Newsletter vom 14. Juni 2017; 5 Ob 129/08v = RIS-Justiz RS0105715 [T2 bis T6]. 212 RIS-Justiz RS0106051 [T5].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 80

Eigentümergemeinschaft ist (nur) insoweit – auflösend (nicht aufschiebend) – bedingt, als er erst bei einem Unterbleiben fristgerechter Anfechtung oder ihrem rechtskräftigen Scheitern endgültig „bestandskräftig” ist. Mit der feststellenden Entscheidung über die Beschlussanfechtung wird endgültig über die Rechtswirksamkeit des Beschlusses der Eigentümergemeinschaft abgesprochen, und zwar im Fall der Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des Beschlusses mit Wirkung ex tunc (= rückwirkend).213 Hat die Eigentümergemeinschaft den bestehenden Verwaltungsvertrag aufgelöst und auch einen neuen Verwalter bestellt, muss sich der frühere Verwalter jeder Tätigkeit für das neue Verwaltungsjahr enthalten.214 Eine Pflicht des Verwalters, seine Tätigkeit nach § 1025 ABGB fortzusetzen, besteht nur bis zur Bestellung eines neuen Verwalters.215 Das gilt auch während eines Verfahrens auf Anfechtung der Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft auf Kündigung des bisherigen Verwalters und Bestellung eines neuen Verwalters. Diese Beschlüsse sind als Maßnahme der ordentlichen Verwaltung sofort vollziehbar und bewirken die (vorläufige) Rechtswirksamkeit der Verwalterkündigung und Neubestellung. Der bisherige Verwalter ist während der Zeit der vorläufigen, „zeitlich eingeschränkten“ Vollziehbarkeit dieser Beschlüsse nicht zur Vertretung der Eigentümergemeinschaft berechtigt.216 Dessen Vertretungsbefugnis endet somit auch durch einen angefochtenen Bestellungsbeschluss. Ist die Anfechtung letztlich erfolgreich, beseitigt dies zwar den angefochtenen Beschluss mit Wirkung ex tunc217, ändert aber nichts daran, dass er bis dahin vollziehbar war.218 d) Wird während des Verfahrens zur Bestellung eines vorläufigen Verwalters durch

Mehrheitsbeschluss der Eigentümergemeinschaft ein „regulärer“ Verwalter bestellt, so ist der Antrag auf Bestellung eines vorläufigen Verwalters abzuweisen, auch wenn der Beschluss der Eigentümergemeinschaft angefochten wird und damit noch keine „endgültige“ Rechtswirksamkeit erlangt hat

Zum Sachverhalt: Einziges im Revisionsverfahren strittiges Tatbestandselement der Bestellung eines vorläufigen Verwalters nach § 23 WEG ist das endgültig feststehende Fehlen eines Verwalters.219 Wird während des Verfahrens durch Mehrheitsbeschluss ein Verwalter bestellt, so ist der Antrag auf Bestellung eines vorläufigen Verwalters abzuweisen. Zum Sachverhalt: Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat die Eigentümergemeinschaft hier nach Einleitung des Verfahrens einen Umlaufbeschluss über die Bestellung einer Verwalterin der Liegenschaft gefasst. Dieser Beschluss ist zwar Gegenstand eines Anfechtungsverfahrens, als Maßnahme der ordentlichen Verwaltung aber (vorläufig)

213 5 Ob 193/17v = Newsletter vom 31. Jänner 2018; 5 Ob 194/16i = Newsletter vom 28. Juni 2017; 5 Ob

228/09d; RIS-Justiz RS0122765 [T3, T5, T6]; RS0125809. 214 5 Ob 194/16i = Newsletter vom 28. Juni 2017; RIS-Justiz RS0125809. 215 RIS-Justiz RS0125756. 216 5 Ob 194/16i = Newsletter vom 28. Juni 2017. 217 RIS-Justiz RS0122765 [T3]. 218 5 Ob 193/17v = Newsletter vom 31. Jänner 2018. 219 5 Ob 65/09h.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 81

rechtswirksam und sofort vollziehbar. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fassung des erstgerichtlichen Sachbeschlusses lag die Voraussetzung des Fehlens eines Verwalters nicht mehr vor. Daher ist (bereits) dann, wenn während laufendem Verfahren zur Bestellung eines vorläufigen Verwalters ein (neuer) Verwalter bestellt wird, der Antrag auf Bestellung eines vorläufigen Verwalters abzuweisen.220 Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass – entgegen E.M. Hausmann221 und dem ihr folgenden Rekursgericht – während eines Beschlussanfechtungsverfahrens im Hinblick auf die Bestellung eines Verwalters kein vorläufiger Verwalter gemäß § 23 WEG bestellt werden kann.

Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu bestehender Rechtsprechung zu vergleichbaren Situationen. Die Annahme des Rekursgerichts, die Bestellung eines Verwalters durch die Eigentümergemeinschaft hätte bis zu deren – durch die Anfechtung aufgeschobenen – endgültigen Wirksamkeit keine Auswirkungen auf die Vertretungsbefugnis eines vor Beschlussfassung und damit zu Recht bestellten vorläufigen Verwalters, trifft nicht zu. Auch ein bereits bestellter vorläufiger Verwalter wäre aufgrund und während der Zeit der vorläufigen Vollziehbarkeit dieses Bestellungsbeschlusses nicht mehr zur Vertretung der Eigentümergemeinschaft berechtigt.222

Die auf der Entscheidung 5 Ob 69/04i basierende Rechtsprechung, wonach auch während eines Beschlussanfechtungsverfahrens im Hinblick auf die ordentliche Kündigung eines Verwalters kein vorläufiger Verwalter gemäß § 23 WEG bestellt werden kann, liegt nach 5 Ob 65/09h die Überlegung zugrunde, dass vor der Entscheidung über die Anfechtung des Kündigungsbeschlusses das Fehlen eines Verwalters noch nicht „endgültig“ feststehe. Auch in dem hier zu beurteilenden Fall, dass der Bestellungsbeschluss angefochten wird, steht vor einer Entscheidung über die Beschlussanfechtung nicht endgültig fest, dass ein Verwalter fehlt.

e) Ergebnis des konkreten Falls Zum Sachverhalt: Dem – zulässigen und berechtigten – Revisionsrekurs war Folge zu geben. Die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen waren dahin abzuändern, dass der Antrag auf Bestellung eines vorläufigen Verwalters abgewiesen wird. Anmerkung:

Der Entscheidung ist im Hinblick auf die sattsam bekannten Konsequenzen einer Beschlussfassung und -anfechtung im Bereich der ordentlichen Verwaltung im Wohnungseigentum (Beschlüsse sind sofort vollziehbar, Beschlussanfechtungen zeitigen keine aufschiebende Wirkung) voll zuzustimmen. Dass die Rechtsprechung die Bestellung eines vorläufigen Verwalters während eines Verfahrens zur Anfechtung eines Beschlusses auf Kündigung des Verwalters nicht zulässt, rechtfertigt es nicht, während eines Verfahrens zur Anfechtung eines Beschlusses auf

220 Vgl LGZ Wien 40 R 39/11y. 221 In Hausmann/Vonkilch4 § 23 WEG Rz 6a. 222 Vgl 5 Ob 196/05t.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 82

Bestellung eines Verwalters vom Gegenteil auszugehen. Der Umstand, dass den betreffenden Beschlüssen erst mit Rechtskraft der Abweisung einer fristgerecht geltend gemachten gerichtlichen Anfechtung „endgültige“ Wirksamkeit zukommt, ist hierbei nämlich nicht entscheidend. Maßgeblich ist vielmehr, dass in beiden Fällen das Fehlen eines Verwalters angesichts des noch anhängigen Anfechtungsverfahrens nicht endgültig feststeht223 – dies ungeachtet der Frage, ob während des Anfechtungsverfahrens jemand mit der Fremdverwaltung der Liegenschaft betraut ist (was bei der Anfechtung eines Beschlusses auf Verwalterbestellung der Fall ist) oder nicht (wovon bei Anfechtung eines Beschlusses auf Kündigung des Verwalters ohne gleichzeitige Bestellung eines neuen Verwalters auszugehen ist). ***

§ 24 Abs 5 WEG (und §§ 922 ff ABGB) Zum Erfordernis eines Mehrheitsbeschlusses als Grundlage für eine Gewährleistungsklage eines Wohnungseigentümers gegen den Bauträger wegen Mängeln an allgemeinen Teilen der Liegenschaft OGH 29.8.2018, 1 Ob 136/18h

Der OGH (1 Ob 136/18h) hat in Erinnerung gerufen, dass bei der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen wegen Mängeln allgemeiner Teile des Hauses durch den Erwerber einer Eigentumswohnung am Erfordernis eines Mehrheitsbeschlusses grundsätzlich festzuhalten ist, weil die möglicherweise unterschiedlichen Interessen der anderen Wohnungseigentümer (im Hinblick auf die Auswahl des Gewährleistungsbehelfs) nicht unberücksichtigt bleiben können. Weiters ist daran festzuhalten, dass es bei einer schriftlichen Beschlussfassung (Umlaufbeschluss) der Bekanntgabe des Ergebnisses bedarf, um den Beschluss rechtswirksam werden zu lassen. Sachverhalt: Der Kläger begehrt von der beklagten Bauträgerin die Behebung eines Mangels der Entsorgung des Oberflächenwassers in bestimmt bezeichneter Form auf den Terrassen von zwei Eigentumswohnungen. Das Berufungsgericht hatte im ersten Rechtsgang das angefochtene Ersturteil insoweit aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen, um mit dem Kläger die Notwendigkeit der Beibringung eines die Klagsführung rechtfertigenden Mehrheitsbeschlusses der Eigentümergemeinschaft zu erörtern und ihm die Gelegenheit zu verschaffen, einen solchen (oder einen die Zustimmung ersetzenden Beschluss des Außerstreitgerichts) herbeizuführen. Es hatte dazu erläutert, dass wenn die „Außenhaut“ des Gebäudes, also ein allgemeiner Teil der Liegenschaft, betroffen sei und durch das Vorgehen eines Einzelnen Gemeinschaftsinteressen beeinträchtigt sein könnten, etwa bei Wahl des Gewährleistungsbehelfs oder jener zwischen Naturalrestitution oder Geldersatz, die Individualrechte aufeinander abzustimmen seien.

223 Vgl 5 Ob 65/09h.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 83

Der Klagevertreter richtete daraufhin ein Schreiben an sämtliche Miteigentümer, in dem er um Zustimmung zur Klagsführung unter Beilage einer vorbereiteten Erklärung ersuchte und erwirkte so die Zustimmung von 36 Miteigentümern (3380/5770 Anteile). Weitere 26 Miteigentümer (2390/5770 Anteile) gaben aber keine Zustimmungserklärung ab. Unstrittig erfolgte kein Hausanschlag über das Abstimmungsverhalten der Miteigentümer. Das Berufungsgericht bestätigte im zweiten Rechtsgang die Abweisung des Klagebegehrens durch das Erstgericht unter Hinweis auf seine schon im Aufhebungsbeschluss vertretene Rechtsansicht zur Notwendigkeit der Abstimmung der Individualinteressen und teilte den Standpunkt des Erstgerichts, es liege mangels Hausanschlag kein rechtswirksamer Mehrheitsbeschluss vor. Den Wert des Entscheidungsgegenstands bewertete es mit jeweils (pro Wohnung) 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und erklärte die Revision nachträglich für zulässig, weil der Kläger eine Judikaturdivergenz zur Frage, ob es für die Rechtswirksamkeit eines (Umlauf-)Beschlusses der Bekanntgabe des Ergebnisses bedürfe, habe aufzeigen können. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Die Wahl des Gewährleistungsbehelfs wegen Mängeln allgemeiner Teile steht trotz

dessen Klagslegitimation grundsätzlich nicht dem einzelnen Wohnungseigentümer allein zu, sondern es ist darüber ein Mehrheitsbeschluss der Eigentümergemeinschaft einzuholen

Die Wahl des Gewährleistungsbehelfs wegen Mängeln allgemeiner Teile steht grundsätzlich nicht dem einzelnen Wohnungseigentümer224 allein zu, sondern es ist darüber ein Mehrheitsbeschluss der Eigentümergemeinschaft oder eine substituierende Entscheidung des Außerstreitrichters erforderlich225; (nur) soweit Gemeinschaftsinteressen nicht gefährdet sind, kann der einzelne Mit- und Wohnungseigentümer seine auch allgemeine Teile der gemeinschaftlichen Sache betreffenden Gewährleistungs- oder Schadenersatzansprüche allein geltend machen226.

Gerade in der einzigen vom Revisionswerber dazu zitierten Entscheidung (5 Ob 21/09p) wird das Erfordernis eines Mehrheitsbeschlusses nur für ein (hier nicht gestelltes) Feststellungsbegehren über die Haftung für künftige Schäden verneint, ansonsten aber daran festgehalten und ausdrücklich erläutert, es sei davon im Regelfall auszugehen anzusehen und deshalb von der Behauptungs- und Beweislast der (dortigen) Kläger (als einzelne Mit- und Wohnungseigentümer) umfasst.

Zum Sachverhalt: Angesichts dieser Judikatur kann des klagenden Wohnungseigentümers, der im Verfahren erster Instanz weder vorbrachte noch darlegte, dass und aufgrund welcher Umstände und Erwägungen eine Beeinträchtigung von Interessen der anderen

224 Rührt der Gewährleistungsanspruch aus einem vom Erwerber eines Wohnungseigentumsobjekts mit dem

Bauträger abgeschlossenen Vertrag her, so ist der Erwerber auch wegen Mängeln an allgemeinen Teilen der Liegenschaft klagslegitimiert (RIS-Justiz RS0108157). Siehe zur Möglichkeit einer Abtretung des Anspruchs an die Eigentümergemeinschaft § 18 Abs 2 WEG.

225 RIS-Justiz RS0108158 [T26, T27]. 226 Siehe RIS-Justiz RS0108158 [T7, T21].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 84

Miteigentümer nicht zu besorgen sei, sondern im zweiten Rechtsgang bloß die Einholung eines wirksamen Mehrheitsbeschlusses behauptete, keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zur Frage der Notwendigkeit der Rechtfertigung der Klage durch einen Mehrheitsbeschluss aufzeigen. Dass Eingriffe in die Terrassenabdeckung, bei der auch die Feuchtigkeitsisolierung berührt werden kann, von vorneherein ungeeignet wären, die Interessen der Übrigen zu gefährden, kann nicht gesagt werden. b) Bei einer schriftlichen Beschlussfassung (Umlaufbeschluss) bedarf es der

Bekanntgabe des Ergebnisses, um den Beschluss rechtswirksam werden zu lassen, weil erst mit der Bekanntgabe des Ergebnisses die Bindung der Wohnungseigentümer an ihre Stimme eintritt

Die angefochtene Entscheidung steht auch insoweit in Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung, als danach ein schriftlicher Umlaufbeschluss nicht bereits mit dem Erreichen der Mehrheit zustande kommt, sondern vielmehr die Bekanntgabe des Ergebnisses erforderlich ist, um die Entscheidung rechtswirksam werden zu lassen. Die Bindung der Teilnehmer an ihre Erklärung tritt nämlich erst ein, wenn sie allen anderen am Willensbildungsprozess Beteiligten – im Sinn der besonderen Kundmachungsnorm des § 24 Abs 5 WEG – zugegangen ist; bis zu diesem Zeitpunkt kann jeder Mit- und Wohnungseigentümer seine Entscheidung widerrufen.227 Zum Sachverhalt: Der klagende Wohnungseigentümer beruft sich für den von ihm eingenommenen – der herrschenden Ansicht aber widersprechenden – Standpunkt, der Hausanschlag sei nur für den Beginn der Anfechtungsfrist bedeutsam und für das konstitutive Zustandekommen des Beschlusses der Mit- und Wohnungseigentümer nicht notwendig, weil deren Bindung an das Abstimmungsverhalten bereits eingetreten sei, „wenn allen Miteigentümern entsprechende Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt“ worden sei, auf zwei Entscheidungen des fünften Senats.

Die Entscheidung 5 Ob 155/06i ist aber für den vorliegenden Fall schon deshalb nicht einschlägig, weil sie zu einer Abstimmung in einer Eigentümerversammlung erging, bei der – anders als bei Beschlussfassung im Umlaufweg – vor der Abstimmung eine Beratung vorgesehen ist.228 Die Möglichkeit der gegenseitigen argumentativen Beeinflussung der Miteigentümer soll aber nicht dadurch ausgeschaltet sein, dass bei einer Abstimmung im Umlaufweg Meinungsäußerung und Abstimmungsverhalten endgültig zusammenfallen (so schon 5 Ob 2306/96w). Auch die zweite vom Rechtsmittelwerber zitierte (im Rahmen einer Zurückweisung einer außerordentlichen Revision) zu 5 Ob 172/05p ergangene Entscheidung ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, lag doch der damals geäußerten Rechtsansicht, dass nur bis zu dem Zeitpunkt, nach dem allen Wohnungseigentümern Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden sei, ein Wohnungseigentümer an seine bereits abgegebene

227 RIS-Justiz RS0106052 [besonders T4, T6, T11]; 5 Ob 16/16p = Newsletter vom 21. September 2016 mit

weiteren Nachweisen und viele andere. 228 Ganz abgesehen davon ist es in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt ohnehin zu einem

ordnungsgemäßen Anschlag der betreffenden Beschlüsse im Sinn des § 24 Abs 5 Satz 1 WEG gekommen, es unterblieb aber eine Belehrung über die Beschlussanfechtungsmöglichkeiten im Sinn des § 24 Abs 5 Satz 4 WEG.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 85

Erklärung nicht gebunden sei, die – hier eben nicht gegebene – Sonderkonstellation einer einstimmigen Beschlussfassung aller Mit- und Wohnungseigentümer zugrunde.229

Schon zu 5 Ob 18/07v stellte der fünfte Senat anlässlich eines Falles, in dem das genaue (nicht einstimmige) Abstimmungsergebnis den Miteigentümern nicht bekannt gegeben worden war, klar, dass eine Bindung deswegen noch nicht eingetreten war und daher die Miteigentümer, die ursprünglich ihre Zustimmung erteilt hatten, diese widerrufen konnten. Eine Judikaturdivergenz, die anlässlich der Lösung dieses Rechtsstreits einer Klarstellung bedürfte, liegt damit nicht vor. c) Ergebnis des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision des Klägers mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig. Sie wird daher zurückgewiesen. ***

§ 28 Abs 1 Z 1 WEG (und § 16 Abs 2 WEG sowie § 3 MRG und § 14a WGG) Zum Umfang der Erhaltungspflichten der Eigentümergemeinschaft im Hinblick auf „Nacharbeiten“ bei der Sanierung eines Flachdachs OGH 13.3.2018, 5 Ob 15/18v

Der OGH (5 Ob 15/18v) hat bekräftigt, dass im Rahmen der ordentlichen Verwaltung im Sinne des § 28 Ab 1 Z 1 WEG die Eigentümergemeinschaft nicht nur die bloße Beseitigung eines ernsten Hausschadens, sondern die gesamte Wiederherstellung des ordnungsgemäßen Zustands zu verantworten hat. Werden Sanierungsarbeiten an einem Flachdach nötig, das Bestandteil oder Zubehör eines Wohnungseigentumsobjektes ist, so zählt zu diesen „Nacharbeiten“ auch die Wiederanbringung eines Bodenbelags. Dass der Wohnungseigentümer selbst den ursprünglichen Terrassenbelag auf dem Flachdach als Teil seines Wohnungseigentumsobjekts oder als Zubehörobjekt angebracht hat, ist kein nach § 16 Abs 2 WEG genehmigungspflichtiger Vorgang. Rechtlicher Hintergrund: Zu den vom Vermieter (im Vollanwendungsbereich des MRG gemäß § 3 MRG bzw im Anwendungsbereich des WGG gemäß § 14a WGG) sowie von der Eigentümergemeinschaft im Wohnungseigentum (gemäß § 28 Abs 1 Z 1 WEG) durchzuführenden Erhaltungsarbeiten gehören auch die Vor- und Nacharbeiten. Ob solche (bloß) vorbereitende, begleitende oder nachfolgende Tätigkeiten vorliegen, ist aus deren funktionellem Zusammenhang mit der eigentlichen Erhaltungsarbeit zu erschließen. Sie sind zu deren Durchführung notwendig, ermöglichen oder erleichtern sie oder dienen dazu, den ursprünglichen Zustand nach

229 Die in dieser Entscheidung vom OGH als richtig eingeschätzte Ansicht des Rekursgerichts, wonach die

Bekanntgabe des Beschlussergebnisses lediglich für die Frage des Beginns der Anfechtungsfrist von Bedeutung sei, mit der Willensbildung der Wohnungseigentümer aber nicht im Zusammenhang stehe, ist dessen ungeachtet in dieser allgemeinen Form unzutreffend.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 86

Abschluss der Erhaltungsarbeit wiederherzustellen. Diesen „abgeleiteten“ Erhaltungsarbeiten ist gemeinsam, dass sie als notwendige Folge der eigentlichen Erhaltungsarbeit in direktem Zusammenhang mit dieser stehen, selbst aber nicht Teil der eigentlichen Erhaltungsmaßnahme sind.230 Sachverhalt: Den Wohnungseigentumsobjekten der Antragstellerin ist nach dem Wohnungseigentumsvertrag ein begehbares Flachdach zugeordnet, auf dem sie einen Belag angebracht hatte. Aufgrund eines Wassereintritts veranlasste die Eigentümergemeinschaft eine Sanierung des Flachdaches. Zu diesem Zweck musste der von der Antragstellerin errichtete Terrassenbelag beseitigt werden, eine Wiederherstellung durch die Eigentümergemeinschaft unterblieb. Das Rekursgericht änderte den das Begehren der Antragstellerin abweisenden Sachbeschluss des Erstgerichts ab und verpflichtete die Eigentümergemeinschaft zum Ersatz der der Höhe nach unstrittigen Kosten für die Wiederherstellung des Terrassenbelags. Den Revisionsrekurs ließ es zu, weil die Frage, ob die Eigentümergemeinschaft oder nur der Wohnungseigentümer die durch die Änderung (gemeint von allgemeinen Teilen des Hauses) verursachten Folge-(mehr-)kosten tragen müsse, einer Klärung durch den OGH bedürfe. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Konkreter Fall: Um die Frage, wer die der Folge-(mehr-)kosten von

Erhaltungsarbeiten zu tragen hat, wenn diese aufgrund eigennütziger Änderungen allgemeiner Teile des Hauses seitens einzelner Wohnungseigentümer entstehen, geht es hier nicht – die Anbringung eines Bodenbelags auf dem Flachdach ist nämlich kein Eingriff in die allgemeinen Teile der Liegenschaft

Zum Sachverhalt: Das Rekursgericht bezieht sich in der Begründung seines Zulassungsausspruchs auf die Entscheidung 5 Ob 188/15f, die die in Rechtsprechung und Lehre nicht einhellig beantwortete Frage, ob die Eigentümergemeinschaft zufolge § 28 Abs 1 Z 1 erster Fall WEG oder nur der Wohnungseigentümer die Folge-(mehr-)kosten der Änderung an allgemeinen Teilen tragen müsse, thematisierte. Diese Ausführungen bezogen sich auf die Judikatur des OGH, dass die Eigentümergemeinschaft – nimmt der Wohnungseigentümer allgemeine Teile der Liegenschaft ausschließlich in Anspruch und kommt die Änderung nur ihm zugute – das geänderte Objekt erhalten muss, wenn ernste Schäden zu beheben sind.231 Demgegenüber geht die Lehre zum Teil davon aus, dass Folge-(mehr-)kosten ausschließlich vom Wohnungseigentümer zu tragen sind, der von der Änderung profitiert.232

Zum Sachverhalt: Das Fragen in diesem Zusammenhang sind im vorliegenden Fall aber nicht zu beantworten, weil keine Änderung im Sinn des § 16 Abs 2 Z 2 WEG erfolgte, sodass

230 5 Ob 143/14m = Newsletter vom 1. Juli 2015 mit weiteren Nachweisen. Zuletzt 5 Ob 249/15a = Newsletter

vom 31. August 2016. 231 RIS-Justiz RS0116332 [T2; T3]; 5 Ob 63/09i; 5 Ob 21/12t. 232 Siehe zum Meinungsstand in der Lehre: Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4, § 16

WEG Rz 41a.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 87

sich auch die vom Rekursgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage nicht stellt. Das Flachdach ist in die Ermittlung der Nutzwerte eingeflossen und nach dem Wohnungseigentumsvertrag den Wohnungseigentumsobjekten der Antragstellerin zugeordnet. Je nachdem, ob es baulich mit diesen verbunden ist oder nicht, ist es entweder Teil des Wohnungseigentumsobjekts oder Zubehör-Wohnungseigentum. Für beide Fälle gilt, dass die von der Antragstellerin vorgenommene Änderung einen Bereich betrifft, für den ihr das ausschließliche Nutzungsrecht zukommt. Werden zur Liegenschaft gehörige Gartenflächen Wohnungseigentümern zur alleinigen Nutzung überlassen, gilt, dass diesen damit – vergleichbar dem Recht zur Ausgestaltung des Inneren eines Wohnungseigentumsobjekts – auch das Recht zur Gestaltung zukommt.233 Für die Nutzung des einem Wohnungseigentumsobjekt zugeordneten Flachdaches kann nichts anderes gelten. Das Aufbringen eines Bodenbelags begründet daher keine unter dem Gesichtspunkt des § 16 Abs 2 Z 2 WEG relevante Inanspruchnahme von allgemeinen Teilen der Liegenschaft, sondern entspricht der Nutzung der einer Zwischendecke eigenen Tragefunktion und ist damit der Ausgestaltung innerhalb des eigenen (Zubehör-)Wohnungseigentumsobjekts vergleichbar. Zum Sachverhalt: Als rein oberflächliche Gestaltung bewegte sich das (ursprüngliche) Aufbringen eines Terrassenbelags im Rahmen des Zuweisungszwecks, sodass allein mit den für die Wiederherstellung des Belags erforderlichen Kosten eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer und damit die Genehmigungsbedürftigkeit nach § 16 Abs 2 Z 1 WEG nicht begründet werden kann. Dass durch den Belag am Flachdach die äußere Erscheinung des Hauses beeinträchtigt wäre, hat die Eigentümergemeinschaft erst gar nicht behauptet, sodass die Beurteilung des Rekursgerichts, dass diese Maßnahme nicht genehmigungsbedürftig im Sinn des § 16 Abs 2 WEG war, im Einklang mit der Rechtsprechung steht. b) In die Zuständigkeit der erhaltungspflichtigen Eigentümergemeinschaft fällt nicht nur

die Behebung des Schadens im Sinn des § 28 Abs 1 Z 1 WEG (hier: Sanierung des Flachdachs), sondern die gesamte Wiederherstellung des ordnungsgemäßen Zustands (hier: damit auch die Wiederanbringung eines Bodenbelags auf dem Flachdach)

Zum Sachverhalt: Die Arbeiten am begehbaren Flachdach waren nach den übereinstimmenden Standpunkten der Parteien wegen Wassereintritte in die darunter liegenden Wohnungseigentumsobjekte der Antragstellerin notwendig. Damit steht außer Frage, dass sie auch der Behebung eines ernsten Schadens im Sinn des § 28 Abs 1 Z 1 WEG (§ 3 Abs 2 Z 2 MRG) dienten und damit in die Zuständigkeit der Eigentümergemeinschaft fielen, die dafür auch zahlungspflichtig ist.234 In einem solchen Fall fällt nicht nur die bloße Schadensbehebung, sondern die gesamte Wiederherstellung des ordnungsgemäßen Zustands in die Zuständigkeit der

233 5 Ob 25/13g = Newsletter vom 4. Dezember 2013. 234 RIS-Justiz RS0112445; 5 Ob 16/05x: Sanierungsarbeiten auf der Terrasse.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 88

Gemeinschaft.235 Der OGH hat auch schon ausgesprochen, dass die Wiederherstellung der Verfliesung eines Terrassenbodens, die zum Zweck der Sanierung abgetragen werden musste, zu jenen Aufwendungen gehört, die von allen Miteigentümern getragen werden müssen.236 c) Ergebnis der vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Die Erneuerung des Belags am Flachdach der Antragstellerin ist nicht anders zu beurteilen, weil auch dessen Entfernung zur Behebung eines ernsten Schadens erforderlich war, sodass das Ergebnis des Rekursgerichts auf bereits vorhandener Judikatur des OGH beruht. Der Revisionsrekurs ist daher entgegen dem den OGH nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) nicht zulässig. Anmerkung: Zu den vom Vermieter durchzuführenden Erhaltungsarbeiten gehören zwar auch die Vor- und Nacharbeiten. Ob solche (bloß) vorbereitende, begleitende oder nachfolgende Tätigkeiten vorliegen, ist aus deren funktionellem Zusammenhang mit der eigentlichen Erhaltungsarbeit zu erschließen. Sie sind zu deren Durchführung notwendig, ermöglichen oder erleichtern sie oder dienen dazu, den ursprünglichen Zustand nach Abschluss der Erhaltungsarbeit wiederherzustellen. Diesen „abgeleiteten“ Erhaltungsarbeiten ist gemeinsam, dass sie als notwendige Folge der eigentlichen Erhaltungsarbeit in direktem Zusammenhang mit dieser stehen, selbst aber nicht Teil der eigentlichen

Erhaltungsmaßnahme sind.237 Zu Vor- und Nachabreiten als Bestandteil jener Erhaltungspflichten, die den Vermieter bzw die Eigentümergemeinschaft treffen, siehe bereits unsere Newsletter vom 19. Jänner 2011 zu 5 Ob 113/10v [Entfernung von Fahrnissen aus dem Mietobjekt zum Zwecke der Durchführung der Arbeiten sowie die Wiedereinbringung dieser Fahrnisse in den Mietgegenstand nach Abschluss der Arbeiten], sowie vom 24. Mai 2017 zu 5 Ob 181/16b [Wiederanbringung einer Loggienverglasung nach Fassadensanierung]. ***

§ 31 Abs 4 WEG (und § 28 Abs 1 WEG sowie § 32 Abs 2 WEG) Zur Bildung einer gesonderten Rücklage für eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit OGH 3.10.2018, 5 Ob 160/18t

Der OGH (5 Ob 160/18t) hat in Erinnerung gerufen, dass vom Gesetz abweichende Vereinbarungen der Mit- und Wohnungseigentümer nach § 32 Abs 2 WEG bezüglich der Tragung der liegenschaftsbezogenen Aufwendungen nach dem einer objektiven Auslegung zugänglichen Wortlaut zu interpretieren sind. Danach ist auch zu beurteilen, ob vom

235 5 Ob 170/11b 236 5 Ob 92/85. 237 5 Ob 143/14m = Newsletter vom 1. Juli 2015 mit weiteren Nachweisen.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 89

Gesetz abweichende Erhaltungspflichten oder lediglich vom Gesetz abweichende Kostentragungen vereinbart wurden. Im Falle einer von der Liegenschaft abweichenden Abrechnungseinheit ist gemäß § 31 Abs 4 WEG die Bildung einer gesonderten Rücklage zulässig bzw sogar geboten. Ein über die Bildung einer gesonderten Rücklage gefasster Mehrheitsbeschluss ist nicht gesetzwidrig. Rechtlicher Hintergrund: Gemäß § 32 Abs 1 WEG sind die Aufwendungen für die Liegenschaft einschließlich der Beiträge zur Rücklage von den Wohnungseigentümern nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile bei Ende der Abrechnungsperiode zu tragen.

Besteht aber ein vor Wohnungseigentumsbegründung über ein wohnungseigentumstaugliches Objekt geschlossener Hauptmiet- oder Nutzungsvertrag nach diesem Zeitpunkt weiter, so sind – soweit nichts anderes rechtswirksam vereinbart ist – nur die Beiträge zur Rücklage sowie die Kosten für die Erhaltung und Verbesserung nach der Regelung des ersten Satzes, die übrigen Aufwendungen jedoch nach dem Aufteilungsschlüssel zu tragen, der für das vor Wohnungseigentumsbegründung eingegangene Hauptmiet- oder Nutzungsverhältnis maßgeblich ist.

Gemäß § 32 Abs 2 WEG können sämtliche Wohnungseigentümer einen von der Regelung des § 32 Abs 1 WEG abweichenden Aufteilungsschlüssel oder eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit festlegen; für die nur diese abweichende Abrechnungseinheit betreffenden Angelegenheiten kann auch eine von der Liegenschaft abweichende Abstimmungseinheit festgelegt werden. Solche Vereinbarungen bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftform; sie werden frühestens für die ihrem Abschluss nachfolgende Abrechnungsperiode wirksam und werden gemäß § 32 Abs 7 WEG durch Eigentümerwechsel nicht berührt. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Allgemeines zu abweichenden Aufteilungsschlüsseln und abweichenden

Abrechnungseinheiten Ein vereinbarter abweichender Aufteilungsschlüssel im Sinne des § 32 Abs 2 WEG kann nicht bloß in Prozentsatzverschiebungen bestehen, sondern auch in einer den Wohnungseigentümer unmittelbar treffenden Kostentragungspflicht.238 Durch die Festsetzung einer abweichenden Abrechnungseinheit wird die Abrechnungseinheit Liegenschaft unterteilt und der Kreis von Miteigentümern bestimmt, die die Aufwendungen für diese Abrechnungseinheit zu tragen haben.239

238 5 Ob 277/01y mit weiteren Nachweisen = RIS-Justiz RS0116331 [zu § 19 Abs 1 Z 2 WEG 1975 in der Fassung

vor dem 3. WÄG]; 5 Ob 158/16w. 239 RIS-Justiz RS0122484 [T6].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 90

b) Konkreter Fall: Die Vertragsauslegung ergibt, dass keine vom Gesetz abweichende Erhaltungspflicht, sondern bloß eine vom Gesetz abweichende Kostentragung vereinbart wurde

Zum Sachverhalt: Der Antragsteller zieht nicht in Zweifel, dass es sich bei der in Punkt VII. des Wohnungseigentumsvertrags enthaltenen Regelung, wonach er als Eigentümer der top 1 die Kosten der Erhaltung des gesamten Bereichs (also auch der Allgemeinteile) der Shedhalle seines Wohnungseigentumsobjekts zur Gänze zu tragen hat, um eine Vereinbarung nach § 32 Abs 2 WEG handelt. Seine Ansicht, diese wäre dahin zu interpretierten, dass keine [Anm: gesonderte] Rücklage gebildet werden müsse, weil ihm damit nicht nur die Kostentragungs-, sondern auch die Erhaltungspflicht übertragen worden sei, findet im Wortlaut der Vereinbarung jedoch keine Deckung. Der Wohnungseigentumsvertrag und Vereinbarungen der Mit- und Wohnungseigentümer nach § 32 Abs 2 WEG sind nach dem einer objektiven Auslegung zugänglichen Wortlaut zu interpretieren.240 Ausgehend davon liegt keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts vor, wenn es in dieser Vertragsbestimmung lediglich eine Regelung über die Kostentragung sah. c) Zur Bildung einer gesonderten Rücklage bei Vereinbarung einer abweichenden

Abrechnungseinheit Besteht eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit, ist gemäß § 31 Abs 4 WEG die Bildung einer gesonderten Rücklage zulässig bzw sogar eine Notwendigkeit.241 a) Erhaltung und Rücklagenbildung sind Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung und

daher einem Mehrheitsbeschluss zugänglich Maßnahmen der (ordentlichen oder außerordentlichen) Verwaltung können nach der Rechtsprechung Gegenstand einer Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft sein.242 Nach § 28 Abs 1 Z 1 WEG gehört die Erhaltung der allgemeinen Teile der Liegenschaft im Sinne des § 3 MRG, einschließlich baulicher Veränderungen, die über den Erhaltungszweck nicht hinausgehen, zur ordentlichen Verwaltung.243 Sowohl Erhaltung als auch Bildung der Rücklage fallen daher nach § 28 Abs 1 WEG in die Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung und sind einer Beschlussfassung der Gemeinschaft zugänglich. e) Konkreter Fall: Beschluss zur Bildung einer gesonderten Rücklage ist nicht

gesetzwidrig Zum Sachverhalt: Der Antragsteller beruft sich auf eine Gesetzwidrigkeit (§ 24 Abs 6 WEG) der von der Mehrheit beschlossenen Rücklage für die Erhaltung der allgemeinen Teile der Shedhalle seines Wohnungseigentumsobjekts, die er im Wesentlichen damit begründet, dass er danach sowohl zur allgemeinen als auch zur gesonderten Rücklage beizutragen habe. Damit zeigt er aber schon deshalb keine Fehlbeurteilung des Rekursgerichts auf, weil die

240 5 Ob 198/16b mit weiteren Nachweisen = Newsletter vom 15. Februar 2017; vgl auch RIS-Justiz RS0117165. 241 E. M. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4 § 31 WEG Rz 48. 242 5 Ob 161/17p = Newsletter vom 17. Jänner 2018; RIS-Justiz RS0130070 [T1]. 243 Vgl RIS-Justiz RS0114109; RS0083121.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 91

Vereinbarung einer abweichenden Abrechnungseinheit für die Shedhalle und die Bildung einer Rücklage für diese hier keineswegs bedeutet, dass er von den (übrigen) Aufwendungen der Liegenschaft befreit wäre. Dass er diese einschließlich der Beiträge zur Rücklage im Verhältnis seiner Miteigentumsanteile zu tragen hat, folgt aus § 32 Abs 1 WEG. Naturgemäß kann der Aufwand für Erhaltungsarbeiten, die zwar ihrer Art nach feststehen, aber noch nicht durchgeführt sind, nur geschätzt werden. Dem trägt § 31 Abs 1 WEG Rechnung, wonach bei der Festlegung der Beiträge zur Rücklage auf die voraussichtliche Entwicklung der Aufwendungen Bedacht zu nehmen ist. Warum daraus eine Fehlbeurteilung des Rekursgerichts abzuleiten wäre, das die beschlossene Dotierung der Sonderrücklage in Anbetracht des Sanierungsbedarfs als angemessen beurteilte, bleibt nach den Ausführungen des Revisionsrekurswerbers unklar. Soweit er damit argumentiert, dass „die übrigen Wohnungseigentümer über den Kopf des Antragstellers Erhaltungsmaßnahmen beschließen“ könnten, und dabei offensichtlich für ihn nicht abschätzbare Kosten fürchtet, ist er auf die §§ 28, 29 WEG sowie § 30 Abs 1 Z 1 WEG zu verweisen, der jedem Wohnungseigentümer die Möglichkeit eröffnet, in Bezug auf die ordnungsgemäße Erhaltung der allgemeinen Teile der Liegenschaft auch gegen den grundsätzlich maßgebenden Mehrheitswillen aufzutreten und gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. f) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers wird mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinne des § 52 Abs 2 WEG in Verbindung mit § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG). Anmerkung: Entgegen den Ausführungen des OGH bleibt anzumerken, dass ein Wohnungseigentümer im Wege seines Individualrechts nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG nur tätig werden kann, wenn die Eigentümergemeinschaft hinsichtlich der ihr aufgetragenen Erhaltung säumig bleibt. Einer seitens der Mehrheit beschlossenen Maßnahme kann sich hingegen ein einzelner Wohnungseigentümer mit seinem Individualrecht nicht entgegenstellen. Auch der Hinweis des OGH auf das Beschlussanfechtungsrecht eines Wohnungseigentümers ist vor dem Hintergrund des entschiedenen Falls nicht zielführend: Der vom OGH zitierte § 29 WEG betrifft nur Maßnahmen der außerordentlichen Verwaltung und ist im vorliegenden Fall der Erhaltung allgemeiner Teile daher gar nicht einschlägig. Im Bereich der ordentlichen Verwaltung nach § 28 WEG kann indes ein Wohnungseigentümer den von der Mehrheit gefassten Beschluss nur im Hinblick auf formelle Mängel, Gesetzwidrigkeit oder das Fehlen der erforderlichen Mehrheit anfechten. Ein inhaltliches Anfechtungsrecht steht einem Wohnungseigentümer im Bereich der ordentlichen Verwaltung gerade nicht zu. ***

§ 32 Abs 5 WEG Zu den Voraussetzungen für eine gerichtliche (Neu-)Festsetzung des Kostenaufteilungsschlüssels OGH 10.4.2018, 5 Ob 42/18i

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 92

Der OGH (5 Ob 42/18i) hatte sich erneut mit der gerichtlichen Neufestsetzung des Aufteilungsschlüssels für Aufzugsanlagen im Wohnungseigentum zu befassen. Die Abänderung des Aufteilungsschlüssels für die Kosten eines Aufzugs setzt voraus, dass die objektive Nutzungsmöglichkeit für einen Wohnungseigentümer erheblich hinter der Nutzungsmöglichkeit anderer Miteigentümer zurückbleibt. Verfügt ein Wohnungseigentümer über eine Wohnung im Erdgeschoß und einen Tiefgaragenabstellplatz, so bleibe die objektive Nutzungsmöglichkeit des Aufzugs für ihn aber nicht erheblich hinter der der übrigen Miteigentümer zurück. Ein Tiefgaragenabstellplatz sei nämlich keine nach objektiven Kriterien selten aufgesuchte Gemeinschaftsräumlichkeit. Rechtlicher Hintergrund: § 32 Abs 5 WEG ermöglicht einem Wohnungseigentümer, bei erheblich unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten eine rechtsgestaltende Neufestsetzung des Aufteilungsschlüssels durch gerichtliche Entscheidung zu erlangen. Die Abänderung des Aufteilungsschlüssels für die Kosten eines Aufzugs setzt voraus, dass die objektive Nutzungsmöglichkeit für einen Wohnungseigentümer erheblich hinter der Nutzungsmöglichkeit anderer Miteigentümer zurückbleibt.244 Sachverhalt: Die Antragsteller sind Wohnungseigentümer der Wohnung Top Nr 1 und des Tiefgaragenabstellplatzes TG 1. Ihre Wohnung liegt im „Erdgeschoss“, das allerdings vom Haupteingang über ein Treppenhaus und fünf Stufen zu erreichen ist. Neben der Wohnung der Antragsteller befinden sich dort zwei weitere Wohnungen, dieses „Erdgeschoss“ ist durch einen Liftzugang erschlossen. Über dem „Erdgeschoss“ befinden sich zwei Obergeschosse mit jeweils ebenfalls drei Wohnungen und je einem Liftzugang. Auch das Kellergeschoss ist über den Lift erschlossen, im Keller befinden sich der Technikraum, eine „Waschküche“, die mit Vorrichtungen zum Abstellen von Schiern ausgestattet ist, ein Kinderwagenraum, der auch zum Abstellen von Fahrrädern genutzt wird, und die Tiefgarage mit dem Tiefgaragenabstellplatz der Antragsteller. Außer über das Kellergeschoss ist die Tiefgarage auch über einen separaten Tiefgarageneingang erreichbar. Das Erstgericht wies den Antrag auf Neufestsetzung des Verteilungsschlüssels dahin ab, die Antragsteller zu 4/5 von der Tragung der mit der Liftanlage der Wohnungseigentumsanlage zusammenhängenden Gesamtkosten ab der Abrechnungsperiode 2017 zu befreien. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteige und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Rechtliche Beurteilung des OGH:

244 RIS-Justiz RS0083087. Siehe zu § 32 Abs 5 WEG zuletzt 5 Ob 81/18z = Newsletter vom 5. September 2018.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 93

Die Beurteilung der Frage, inwieweit eine Befreiung von Liftkosten gerechtfertigt ist, ist eine Ermessensentscheidung im Einzelfall245, die für den OGH nur dann überprüfbar wäre, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm korrigiert werden müsste. Zum Sachverhalt: Dies ist hier nicht der Fall. Wohnungseigentümer von im Erdgeschoss liegenden Objekten werden zwar in der Regel um 4/5 von der Tragung der Liftkosten dann befreit, wenn sie den Aufzug im Wesentlichen nur zum Erreichen von Gemeinschaftsräumlichkeiten im Keller nutzen können.246

In einem Fall247, wo der Lift einerseits allgemein nutzbare Dachterrassen und andererseits – oftmals benutzte – Coloniaräume im Kellergeschoss erschloss, wurde hingegen die Beurteilung, es lägen keine erheblichen Unterschiede in der Nutzungsmöglichkeit des Liftes vor, für jedenfalls vertretbar angesehen.

Auch zu 5 Ob 55/15x, wo die Antragstellerin als Wohnungseigentümerin zweier im Erdgeschoss liegender Geschäftsräumlichkeiten sowie eines Garagenstellplatzes und einer Garage im ersten Untergeschoss auch Lager und Küche in diesem Untergeschoss nutzen konnte, dazu eine allgemein zugängliche Dachterrasse und weitere allgemein zugängliche Räumlichkeiten im zweiten Obergeschoss, sah der Fachsenat durch die Beurteilung, über die Lifte seien nach objektiven Kriterien nicht nur selten aufgesuchte Gemeinschaftsräumlichkeiten im Keller erreichbar, den Ermessensrahmen nicht überschritten.248

Der zu 5 Ob 2423/96a beurteilte Sachverhalt ist nicht vergleichbar, weil dort der Lift im Halbstock hielt, das Geschäftslokal der Antragsteller sich allerdings – im Gegensatz zum hier zu beurteilenden Fall – im Erdgeschoss befand, sodass sie eine Reihe von Stufen überwinden mussten, um ihn zu verwenden. Hier liegt der Liftzugang des „Erdgeschosses“ hingegen auf derselben Ebene wie die Wohnung der Antragsteller. Auch 5 Ob 48/12p249, wo der Lift ebenso wie die Ordination des Antragstellers im Hochparterre lag, ist nicht vergleichbar. Dort wurde eine erheblich unterschiedliche Nutzungsmöglichkeit bejaht, weil der Antragsteller den Aufzug im Wesentlichen nur zum Erreichen von Geschäftsräumlichkeiten im Keller nutzen konnte, wobei auch über den Kellereingang kein barrierefreier Zugang für Patienten gewährleistet war. Über einen Tiefgaragenstellplatz verfügte der Antragsteller ebenfalls nicht.

Zum Sachverhalt: Die Vorinstanzen gingen vertretbar davon aus, die objektive Nutzungsmöglichkeit des Aufzugs für die Antragsteller bleibe nicht erheblich hinter der der übrigen Miteigentümer zurück. Ein Tiefgaragenabstellplatz ist keine nach objektiven Kriterien selten aufgesuchte Gemeinschaftsräumlichkeit. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt grundlegend von dem zu 5 Ob 129/14b250 entschiedenen Fall. Die Antragsteller haben überdies über den Zugang zum Tiefgaragenabstellplatz die Möglichkeit, den Lift vom Kellergeschoss aus – ebenso wie die Wohnungseigentümer der darüber liegenden

245 RIS-Justiz RS0107157 [T3]. 246 5 Ob 129/14b = Newsletter vom 29. April 2015 mit weiteren Nachweisen. 247 5 Ob 19/01g. 248 In diesem Sinn auch 5 Ob 54/15z. 249 = Newsletter vom 17. Juli 2013. 250 = Newsletter vom 29. April 2015.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 94

Geschosse – dazu zu verwenden, schwere Lasten direkt in das Erdgeschoss auf die Ebene ihrer Wohnung zu transportieren, ohne die Stufen vom Haupteingang zur Wohnungstür zurücklegen zu müssen. Insoweit ist daher von einer besonderen Attraktivität der Liftnutzung auch für die Antragsteller auszugehen. Wenn die Vorinstanzen in diesem Fall eine teilweise Befreiung der Antragsteller von den Liftkosten ablehnten, bleiben sie in dem von der bisherigen Judikatur gezogenen Ermessensrahmen ohne dass es darauf ankäme, ob der Dachboden in die Wohnungseigentumsobjekte integriert ist oder nicht und ob das Haus über einen Fernwärmeanschluss oder eine Satellitenanlage am Dach verfügt. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsteller zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf, weshalb er mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG in Verbindung mit § 52 Abs 2 WEG zurückzuweisen ist. Anmerkung: Das vom OGH erstgenannte Argument (ein Tiefgaragenabstellplatz ist keine nach objektiven Kriterien selten aufgesuchte Gemeinschaftsräumlichkeit) ist im Hinblick auf die seit dem 1. Juli 2002 bestehende Wohnungseigentumstauglichkeit von Kfz-Abstellplätzen nicht überzeugend: Die Liftnutzung im Interesse der Erreichbarkeit des Kfz-Abstellplatzes im Kellergeschoß kann nur diesem, nicht aber der Wohnung im Erdgeschoß zugerechnet werden. Selbst wenn an einem Kfz-Abstellplatz noch Zubehör-Wohnungseigentum bestehen sollte (und daher Wohnung und Kfz-Abstellplatz hinsichtlich der Kostentragung vorerst nicht gesondert behandelt werden können), darf nicht übersehen werden, dass gemäß der Übergangsregelung des § 56 Abs 1 WEG jederzeit eine „Verselbständigung“ des Kfz-Abstellplatzes erwirkt werden kann, womit ab diesem Zeitpunkt die Verbindung zwischen Kfz-Abstellplatz und Wohnung gar nicht mehr bestünde.

***

§ 32 Abs 5 WEG Zu den Voraussetzungen für eine gerichtliche (Neu-)Festsetzung des Kostenaufteilungsschlüssels OGH 12.6.2018, 5 Ob 81/18z

Der OGH (5 Ob 81/18z) hat in Erinnerung gerufen, dass die Bestimmung des § 32 Abs 5 WEG zur gerichtlichen Neufestsetzung des Kostenaufteilungsschlüssels im Wohnungseigentum zwei unterschiedliche Tatbestände enthält: Solange der gesetzliche Aufteilungsschlüssel zur Anwendung gelangt, legitimieren ohne Weiteres bereits erheblich unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten der Wohnungseigentümer einen Antrag auf gerichtliche (Neu-)Festsetzung des Aufteilungsschlüssels nach billigem Ermessen. Besteht aber bereits eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer über einen vom Gesetz abweichenden Aufteilungsschlüssel, so muss seit dem Zustandekommen einer solchen Vereinbarung eine wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeiten eingetreten sein – das bloße Vorliegen unterschiedlicher Nutzungsmöglichkeiten (ohne dass zwischenzeitlich eine Änderung dieser Nutzungsmöglichkeiten eingetreten ist) reicht somit nicht aus. Rechtlicher Hintergrund:

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 95

Die Aufwendungen für die Liegenschaft einschließlich der Beiträge zur Rücklage sind von den Wohnungseigentümern grundsätzlich nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile bei Ende der Abrechnungsperiode zu tragen (§ 32 Abs 1 Satz 1 WEG). Sämtliche Wohnungseigentümer können jedoch einen von dieser Regelung abweichenden Aufteilungsschlüssel oder eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit festlegen; für die nur diese abweichende Abrechnungseinheit betreffenden Angelegenheiten kann auch eine von der Liegenschaft abweichende Abstimmungseinheit festgelegt werden. Solche Vereinbarungen bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftform (§ 32 Abs 2 WEG). Bei einer wesentlichen Änderung der Nutzungsmöglichkeit seit einer Vereinbarung im Sinne des § 32 Abs 2 WEG oder bei erheblich unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten kann das Gericht den Aufteilungsschlüssel auf Antrag eines Wohnungseigentümers nach billigem Ermessen neu festsetzen (§ 32 Abs 5 Satz 1 WEG). Besteht eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit, kann ein abweichender Verteilungsschlüssel auch innerhalb dieser gesonderten Abrechnungseinheit festgelegt werden.251 Die gerichtliche Festsetzung des abweichenden Aufteilungsschlüssels ist ab der der Antragstellung nachfolgenden Abrechnungsperiode wirksam (§ 32 Abs 5 Satz 2 WEG). Da es sich dabei um eine rechtsgestaltende Entscheidung des Außerstreitrichters handelt, kann sie nur für die Zukunft getroffen werden.252 Sachverhalt: In dem von den damaligen Wohnungseigentumsbewerbern im Zeitraum 27. September 1993 bis 27. April 1994 unterfertigten Übereinkommen zur Begründung von Wohnungseigentum vereinbarten diese unter Punkt IV zum Zweck der einheitlichen Verrechnung der Betriebs-, Erhaltungs- und Verbesserungskosten, somit auch der Wohnhaussanierungskosten für das gesamte Haus die Nutzflächen der Wohnungen als Aufteilungsschlüssel. Die Vereinbarung enthält auch Bestimmungen für den 1994 begonnenen Dachgeschossausbau. Diese vom Gesetz abweichende Vereinbarung über die Aufteilung der Aufwendungen wurde 1994 im Grundbuch ersichtlich gemacht. Das Erstgericht setzte über Antrag der Antragsteller für die beiden Liftanlagen (Stiege 1 und Stiege 2) im Haus gemäß § 32 Abs 5 WEG einen abweichenden Verteilungsschlüssel fest, wobei es einzelne näher bezeichnete Eigentümer von im Erdgeschoss gelegenen Objekten von der Kostentragung für die Liftanlage ausnahm. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der 6.-, 7.-, 11.-, 22.- bis 25.- und 36.-Antragsgegner Folge und wies den Antrag auf Abänderung des Verteilungsschlüssels ab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteige und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Rechtliche Beurteilung des OGH:

251 Vgl 5 Ob 176/14i mit weiteren Nachweisen. 252 RIS-Justiz RS0083220.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 96

a) Besteht bereits eine vom Gesetz abweichende Kostenaufteilungsvereinbarung, so

setzt eine (Neu-)Festsetzung des Aufteilungsschlüssels durch das Gericht eine wesentliche Änderung der (objektiven) Nutzungsmöglichkeit(en) seit dem Zustandekommen der vom Gesetz abweichenden Vereinbarung voraus

§ 32 Abs 5 WEG enthält zwei unterschiedliche Tatbestände (ebenso bereits § 19 Abs 3 Z 1 WEG 1975 in der Fassung des 3. WÄG): Das Gericht kann bei einer wesentlichen Änderung der Nutzungsmöglichkeit seit Vereinbarung eines vom Gesetz abweichenden Aufteilungsschlüssels oder – kommt der gesetzliche Verteilungsschlüssel zur Anwendung – bei erheblich unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten (schlechthin) den Aufteilungsschlüssel auf Antrag eines Wohnungseigentümers nach billigem Ermessen neu festsetzen. Der OGH sprach bereits mehrfach aus, dass – besteht eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer über einen vom Gesetz abweichenden Verteilungsschlüssel – eine wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeiten seit der Vereinbarung zwingende gesetzliche Voraussetzung für eine gerichtliche (Neu-)Festsetzung ist.253 b) Die wesentliche Änderung der (objektiven) Nutzungsmöglichkeit(en) hat im

Verfahren zur (Neu-)Festsetzung des Aufteilungsschlüssels der Antragsteller zu behaupten und zu beweisen

Zum Sachverhalt: Das Rekursgericht ging davon aus, eine auch die Liftkosten umfassende Vereinbarung eines abweichenden Aufteilungsschlüssels liege hier vor und eine wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeiten sei weder ausreichend behauptet worden noch hervorgekommen. Diese Beurteilung ist im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit der Vertragsauslegung254 und der Auslegung von Prozessvorbringen255 jedenfalls vertretbar und bedarf keiner Korrektur im Einzelfall. Da es bei Vorliegen einer Vereinbarung über einen vom § 32 Abs 1 WEG abweichenden Aufteilungsschlüssel zwingende gesetzliche Voraussetzung für eine gerichtliche Änderung ist, dass sich seit einer solchen Vereinbarung eine wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeiten ergeben hat, besteht insoweit auch im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren eine qualifizierte Behauptungspflicht der Antragsteller.256 Zum Sachverhalt: Der Antragsgegner wendete das Bestehen einer derartigen Vereinbarung konkret ein; die Beurteilung des Rekursgerichts, eine wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeiten hätten die Antragsteller nicht ausreichend behauptet, blieb im Revisionsrekursverfahren unbeanstandet. Auf die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zum Zeitpunkt der Lifterrichtung bzw -bewilligung ging das Rekursgericht dessen ungeachtet ohnedies ein.

253 5 Ob 235/10k = Newsletter vom 14. Dezember 2011; 5 Ob 224/09s; 5 Ob 199/11t. 254 RIS-Justiz RS0042776; zur Frage der Vereinbarung eines abweichenden Verteilungsschlüssels 5 Ob 3/10t. 255 RIS-Justiz RS0042828. 256 Vgl RIS-Justiz RS0070480.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 97

Zum Sachverhalt: Die rekursgerichtliche Auslegung des Wohnungseigentumsvertrags und der darin in Punkt IV enthaltenen Vereinbarung über den abweichenden Verteilungsschlüssel ist selbst dann nicht korrekturbedürftig, wenn man im Sinn der Rechtsprechung257 nur auf deren einer objektiven Auslegung zugänglichen Wortlaut abstellt. Das Rekursgericht stützte seine Beurteilung, die Vereinbarung des abweichenden Verteilungsschlüssels habe auch die Liftkosten betroffen, gar nicht auf einen aus dem Wohnungseigentumsvertrag nicht hervorgehenden abweichenden Parteiwillen, sondern auf den Wortlaut dieses Vertrags, der auf den damals nicht nur geplanten, sondern bereits begonnenen Dachgeschossausbau (in dessen Zug nach den Feststellungen die Errichtung der Liftanlage erfolgte) mehrfach Bezug nahm und diesbezüglich konkrete Regelungen etwa im Zusammenhang mit der Aufteilung der Aufwendungen für die zu errichtenden Dachgeschosswohnungen vorsah.

c) Vergleichsmaßstab für die wesentliche Änderung der (objektiven)

Nutzungsmöglichkeit(en) ist jener Bau- und Nutzungszustand, auf den sich die abweichende Kostenaufteilungsvereinbarung bezieht

Zum Sachverhalt: Dass das Rekursgericht als Vergleichsmaßstab für eine (wesentliche) Änderung der Nutzungsmöglichkeit nicht den faktischen Zustand bei Abschluss der Vereinbarung, sondern den Bau- bzw Nutzungszustand heranzog, auf den sich die Vereinbarung bezieht, ist ebenso wenig korrekturbedürftig. Dafür spricht, dass eine Vereinbarung eines abweichenden Verteilungsschlüssels bereits im Stadium vor Wohnungseigentumsbegründung durch die Wohnungseigentumsbewerber zulässig ist, somit zu einem Zeitpunkt, in dem die Wohnungseigentumsanlage noch gar nicht vollständig fertig gestellt ist.258 Auf die Frage, ob die Liftanlage bei Abschluss der Vereinbarung bereits gebaut bzw zulässigerweise in Betrieb genommen war, kommt es daher gar nicht an. d) Entscheidung im vorliegenden Fall Zum Sachverhalt: Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsteller zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf und war somit zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG). Anmerkungen: Besteht bereits eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer über einen vom Gesetz abweichenden Aufteilungsschlüssel, ist eine (zwischenzeitlich eingetretene) wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeiten seit der Vereinbarung zwingende gesetzliche Voraussetzung für eine gerichtliche (Neu-)Festsetzung.259 Das damit verbunden Problem liegt für Wohnungseigentümer auf der Hand: Ob sie gerichtlich gegen allenfalls unbillige Aufteilungsschlüssel vorgehen können, hängt mehr oder minder zufällig davon ab, ob der zugrundeliegende Wohnungseigentumsvertrag eine Kostenaufteilung wie nach § 32 Abs 1 WEG beinhaltet (= Aufteilung der

257 5 Ob 181/02g mit weiteren Nachweisen. 258 5 Ob 162/12b = Newsletter vom 22. Mai 2013. 259 5 Ob 78/09w, 5 Ob 224/09s und 5 Ob 53/07s.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 98

liegenschaftsbezogenen Aufwendungen im Verhältnis der Miteigentumsanteile) bzw sich einer Regelung über die Kostenaufteilung verschweigt (womit ebenfalls die gesetzliche Kostenaufteilung nach § 32 Abs 1 WEG aufrecht bleibt) oder aber nach § 32 Abs 2 WEG bereits eine vom Gesetz abweichende Kostenaufteilung (häufig im Verhältnis der Nutzflächen der Wohnungseigentumsobjekte260) vorsieht. Es kann getrost davon ausgegangen werden, dass sich die Wohnungseigentumsbewerber zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Wohnungseigentumsvertrags (der in aller Regel vom Wohnungseigentumsorganisator „vorgelegt“ wird und auf dessen Inhalt die Bewerber für gewöhnlich keinen Einfluss nehmen können) häufig der aus § 32 Abs 5 WEG erfließenden Konsequenzen nicht bewusst sind. Unbillige Kostenaufteilungen in Wohnungseigentumsverträgen, die nach § 32 Abs 2 WEG bereits einen von § 32 Abs 1 WEG abweichenden Aufteilungsschlüssel vorsehen, können nachträglich de facto nicht mehr korrigiert werden.261 Siehe zu diesem Thema bereits unseren Newsletter vom 14. Dezember 2011 zu 5 Ob 235/10k. ***

§ 32 Abs 5 Fall 1 WEG Zur Neufestsetzung des Aufteilungsschlüssels für den Lift bei einer wesentlichen Änderung der Nutzungsmöglichkeit OGH 13.12.2018, 5 Ob 168/18v

Der OGH (5 Ob 168/18v) hat zur Neufestsetzung des Kostenaufteilungsschlüssels beineiner wesentlichen Änderung der Nutzungsmöglichkeit folgende Feststellungen getroffen: Eine gerichtliche Neufestsetzung des Aufteilungsschlüssels hat dem Grundsatz

billigen Ermessens zu entsprechen. Dabei soll eine billige Lösung für alle Beteiligten gefunden werden.

Ist bei einem bereits bestehenden vom Gesetz abweichenden Aufteilungsschlüssel nach 32 Abs 2 WEG der Neufestsetzungstatbestand der wesentlichen Änderung der Nutzungsmöglichkeit seit der vom Gesetz abweichenden Vereinbarung gemäß § 32 Abs 5 Fall 1 WEG auch nur bei einem einzigen Miteigentumsanteil erfüllt, so ist bei der Neufestsetzung auf alle Unterschiede der Nutzungsmöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Dies gilt auch für jene Miteigentümer, bei denen seit der abweichenden Abweichung keine wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeit eingetreten ist.

RECHTLICHER HINTERGRUND: Die Aufwendungen für die Liegenschaft einschließlich der Beiträge zur Rücklage sind von den Wohnungseigentümern grundsätzlich nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile bei

260 Dies etwa schon alleine im Hinblick auf die Verwertbarkeit der geschäftlich genutzten und daher mit einem

höheren Nutzwert versehenen Wohnungseigentumsobjekte. 261 Sieht man von der wenig praktischen Möglichkeit einer nachträglichen schriftlichen einvernehmlichen

Änderung des Aufteilungsschlüssels bzw einer nachträglichen schriftlichen einvernehmlichen Schaffung von vom Gesetz abweichenden Abrechnungseinheiten jeweils im Sinne des § 32 Abs 2 WEG ab.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 99

Ende der Abrechnungsperiode zu tragen (§ 32 Abs 1 Satz 1 WEG). Sämtliche Wohnungseigentümer können jedoch einen von dieser Regelung abweichenden Aufteilungsschlüssel oder eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit festlegen; für die nur diese abweichende Abrechnungseinheit betreffenden Angelegenheiten kann auch eine von der Liegenschaft abweichende Abstimmungseinheit festgelegt werden. Solche Vereinbarungen bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftform (§ 32 Abs 2 WEG). Bei einer wesentlichen Änderung der Nutzungsmöglichkeit seit einer Vereinbarung im Sinne des § 32 Abs 2 WEG oder bei erheblich unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten kann das Gericht den Aufteilungsschlüssel auf Antrag eines Wohnungseigentümers nach billigem Ermessen neu festsetzen (§ 32 Abs 5 Satz 1 WEG). Besteht eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit, kann ein abweichender Verteilungsschlüssel auch innerhalb dieser gesonderten Abrechnungseinheit festgelegt werden.262 Die gerichtliche Festsetzung des abweichenden Aufteilungsschlüssels ist ab der der Antragstellung nachfolgenden Abrechnungsperiode wirksam (§ 32 Abs 5 Satz 2 WEG). Da es sich dabei um eine rechtsgestaltende Entscheidung des Außerstreitrichters handelt, kann sie nur für die Zukunft getroffen werden.263 SACHVERHALT: Die Antragstellerinnen und die Antragsgegner sind Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ *****, KG *****. Das darauf errichtete Haus besteht aus Kellergeschoß, Erdgeschoß, Mezzanin, vier Stockwerken und einem ausgebauten Dachgeschoß. Der Personenaufzug führt vom Erdgeschoß (Parterre) aus über das Mezzanin bis in das Dachgeschoß und hat in jedem Geschoß eine Ausstiegsstelle. Mit den Miteigentumsanteilen der Erstantragstellerin ist das ausschließliche Nutzungsrecht an den im Erd- und Kellergeschoß des Hauses gelegenen Büroräumlichkeiten top I/III verbunden. Der Zugang zu diesen Räumlichkeiten ist nur von der Straße her möglich. Mit den Anteilen der Zweitantragstellerin ist das Nutzungsrecht an dem im Mezzanin des Hauses gelegenen Büro top 3a und 3b verbunden. Der Büroeinheit top 3b ist ein Abteil im Kellergeschoß zugeordnet. Diese Büroräumlichkeiten sind sowohl mit dem Personenaufzug als auch über das allgemeine Stiegenhaus erreichbar. Mit den Miteigentumsanteilen der Siebentantragsgegnerin ist das ausschließliche Nutzungsrecht am Objekt W 1 verbunden. Dieses Objekt liegt im Parterre des Hauses; ihm ist kein Kellerabteil zugeordnet. Mit den Anteilen der Neuntantragsgegnerin ist das ausschließliche Nutzungsrecht am im Erdgeschoß und Mezzanin gelegenen Büro V mit Balkon untrennbar verbunden.

262 Vgl 5 Ob 176/14i mit weiteren Nachweisen. 263 RIS-Justiz RS0083220.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 100

Der Wohnungseigentumsvertrag vom 29. Oktober 1996 enthält über die Aufteilung der Liegenschaftsaufwendungen nachstehende Bestimmungen:

„1. Abweichend vom gesetzlichen Aufteilungsschlüssel des WEG 1975 vereinbaren die Vertragspartner, dass die Aufteilung der Betriebskosten, des Verwaltungshonorars und der Instandhaltungskosten einschließlich der Beiträge zum Reparaturfonds (…) und Erhaltungs- und Verbesserungsbeiträge nicht nach den Nutzwerten bzw Liegenschaftsanteilen, sondern nach dem jeweils im Mietrechtsgesetz in der jeweils geltenden Fassung normierten Aufteilungsschlüssel erfolgt. Die Kosten sind daher nach dem Verhältnis der Nutzflächen zu tragen. (…)“

Seit Abschluss des Wohnungseigentumsvertrags hat sich die Nutzunsgmöglichkeit am Lift für das Objekt top V samt Balkon insofern geändert, als der ehemals bestehende Zugang zum Objekt im Mezzanin des Hauses verschlossen wurde, sodass das Objekt nunmehr nur noch vom Erdgeschoß aus betreten werden kann. Der Liftzugang im Mezzanin ist für die Erreichbarkeit des Objekts top V seitdem nicht mehr von Nutzen. Darüber hinaus gab es keine Änderungen der Nutzungsmöglichkeit an der Liftanlage. Die Antragstellerinnen begehrten, den Verteilungsschlüssel für die Betriebs- und Instandhaltungskosten des Personenaufzugs dergestalt zu ändern, dass sie davon zur Gänze befreit werden. Während es bei der Erstantragstellerin schon an einer objektiven Nutzungsmöglichkeit fehle, bleibe die Nutzungsmöglichkeit der Zweitantragstellerin im Vergleich zu anderen Mit- und Wohnungseigentümern zurück, weil nur ein Geschoß zu überwinden sei. Aufgrund von Baumaßnahmen bestehe nunmehr vom Mezzanin kein Zugang mehr zum Objekt top V der Neuntantragsgegnerin. Das Erstgericht wies das Begehren der Antragstellerinnen ab und änderte den Verteilungsschlüssel für die Betriebs- und Instandhaltungskosten des Personenaufzugs dahin ab, dass es die Neuntantragsgegnerin als Wohnungseigentümerin der top V von 4/5 von diesen Kosten befreite.

Eine erhebliche Änderung sei seit dem Abschluss des Wohnungseigentumsvertrags nur hinsichtlich des Objekts top V der Neuntantragsgegnerin, nicht jedoch hinsichtlich jener der Antragstellerinnen eingetreten, sodass deren Begehren keine Berechtigung zukomme. Die (Neu-)Festsetzung des Verteilungsschlüssels durch gerichtliche Entscheidung erfolge gegen alle übrigen Mit- und Wohnungseigentümer, ohne dass das Gericht inhaltlich an den Änderungsvorschlag gebunden wäre. Da Eigentümer von Wohnungen im Erdgeschoß auch dann nicht zur Gänze von den Aufwendungen für Personenaufzüge befreit werden könnten, wenn in höheren Stockwerken keine Räume liegen, die der allgemeinen Benützung dienten, sei die Neuntantragsgegnerin zu 4/5 und nicht zur Gänze von der Kostentragung zu befreien.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Sachbeschluss.

Eine Änderung des Aufteilungsschlüssels sei nach § 32 Abs 5 WEG nur dann möglich, wenn seit dem Abschluss der Vereinbarung eine wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeit eingetreten sei. Das sei nur in Bezug auf das Objekt top V der Neuntantragsgegnerin der Fall, sodass eine Änderung des Aufteilungsschlüssels gegenüber dem vertraglich vereinbarten Schlüssel nur hinsichtlich dieses Objekts in Betracht komme. Dadurch, dass die

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 101

Neuntantragsgegnerin nicht zur Gänze, sondern nur zu 4/5 befreit werde, seien die Antragstellerinnen nicht beschwert.

RECHTLICHE BEURTEILUNG DES OGH:

a) Konkreter Fall: Es besteht ein vom Gesetz abweichender Aufteilungs-schlüssel Zum Sachverhalt: Die Wohnungseigentümer haben in dem im Jahr 1996 abgeschlossenen Vertrag zur Begründung von Wohnungseigentum eine Vereinbarung über die Aufteilung der liegenschaftsbezogenen Aufwendungen nach dem Verhältnis der Nutzflächen getroffen. Die Antragstellerinnen bezweifeln im Revisionsrekurs nicht mehr, dass die im Wohnungseigentumsvertrag vom 29. Oktober 1996 enthaltene Regelung eine nach § 19 Abs 2 WEG 1975 idF des 3. WÄG (nunmehr § 32 Abs 2 WEG) zulässige Vereinbarung über eine vom gesetzlichen Verteilungsschlüssel abweichende Aufteilung der Kosten enthält. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die im Wohnungseigentumsvertrag enthaltene Vereinbarung über einen abweichenden Aufteilungsschlüssel gemäß (nunmehr) § 32 Abs 2 WEG auch die Betriebs- und Instandhaltungskosten des Personenaufzugs erfasst. b) Bei einem bereits bestehenden vom Gesetz abweichenden Aufteilungs-schlüssel

setzt eine gerichtliche Neufestsetzung eine nachfolgende wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeit voraus

Eine Neufestsetzung des Aufteilungsschlüssels nach einer Vereinbarung eines abweichenden Verteilungsschlüssels erfordert nach § 32 Abs 5 WEG (wie bereits nach § 19 Abs 3 Z 1 WEG 1975 idF des 3. WÄG) eine nachfolgende wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeiten.264 Das setzt eine Änderung der Sachverhaltsgrundlage im Vergleich zu jener bei Abschluss der Vereinbarung voraus. Ob das der Fall ist, hat der Antragsteller darzulegen. Insoweit trifft ihn auch im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren eine qualifizierte Behauptungspflicht.265 Zum Sachverhalt: Die Antragstellerinnen haben eine solche wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeit im Vergleich zu jener bei Abschluss des Wohnungseigentumsvertrags behauptet, indem sie geltend machten, das Wohnungseigentumsobjekt der Neunt-antragsgegnerin top V sei aufgrund von Baumaßnahmen nicht mehr vom Mezzanin aus, sondern nur noch über das Erdgeschoß erreichbar. Die Vorinstanzen haben diese Änderung auch als eine solche beurteilt, die zu einer Neufestsetzung des Aufteilungsschlüssels berechtigt, und die Neuntantragsgegnerin hinsichtlich ihres Eigentumsobjekts im Umfang von 4/5 (Anmerkung: gemeint des auf sie sonst nach dem vereinbarten Schlüssel entfallenden Teils) von der Tragung der Kosten für den Personenaufzug befreit. c) Die Neufestsetzung des Aufteilungsschlüssels hat dem Grundsatz billigen Ermessens

zu entsprechen

264 5 Ob 235/10k; 5 Ob 199/11t; 5 Ob 81/18z = Newsletter vom 5. September 2018 ua. 265 RIS-Justiz RS0070480 [T2); 5 Ob 81/18z = Newsletter vom 5. September 2019.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 102

Zum Sachverhalt: Aus dem Begründungszusammenhang der Entscheidungen der Vorinstanzen lässt sich dazu entnehmen, dass sie die Auffassung vertreten, eine gerichtliche (Neu-)Festsetzung des Aufteilungsschlüssels sei bei Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Nutzungsmöglichkeit nur in Bezug auf jenes Wohnungseigentumsobjekt vorzunehmen, auf das sich die Änderung bezieht. Das widerspricht dem Wesen einer Entscheidung nach § 32 Abs 5 WEG. Zutreffend ist, dass es sich beim Verfahren auf Neufestsetzung des Aufteilungsschlüssels um eine sogenannte Regelungsstreitigkeit266 handelt, bei der das Gericht nicht an den Antrag gebunden ist, sodass auch eine Entscheidung zu Lasten des Antragstellers zulässig ist.267 Das ist Ausfluss der vom Gesetz angeordneten Anwendung billigen Ermessens bei der Festsetzung eines neuen Aufteilungsschlüssels. Sowohl bei der Entscheidung infolge einer wesentlichen Änderung der Nutzungsmöglichkeit seit Abschluss einer Vereinbarung, wie auch bei erheblich unterschiedlicher Nutzungsmöglichkeit bei gesetzlichem Aufteilungsschlüssel soll eine billige Lösung für alle Beteiligten gefunden werden. Liegen die Voraussetzungen für eine (Neu-)Festsetzung vor, ist daher in beiden Fällen des § 32 Abs 5 WEG ein für alle Mit- und Wohnungseigentümer geltender Aufteilungsschlüssel nach billigem Ermessen zu finden.268 Für beide Tatbestände des § 32 Abs 5 WEG gelten dieselben Entscheidungsgrundsätze. Liegt daher eine wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeit seit Abschluss einer Vereinbarung vor, ist auch im ersten Fall des § 32 Abs 5 WEG eine alle Mit- und Wohnungseigentümer erfassende Entscheidung über den Aufteilungsschlüssel zu treffen, die dem Grundsatz des billigen Ermessens entsprechen muss.

Für den zweiten Tatbestand des § 32 Abs 5 WEG hat der Senat bereits wiederholt ausgesprochen, dass allen betroffenen Mit- und Wohnungseigentümern Gelegenheit zu geben ist, eigene Nutzungsbeschränkungen geltend zu machen, wobei Verfahrensergebnisse nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, aus denen erhebliche Unterschiede in der Nutzungsmöglichkeit der Lifte resultieren.269 Da die gerichtliche Festsetzung des Aufteilungsschlüssels in beiden Fällen des § 32 Abs 5 WEG nach billigem Ermessen erfolgt, kommen diese Grundsätze auch zum Tragen, wenn im Fall einer Vereinbarung im Sinn des § 32 Abs 2 WEG nachträglich eine wesentliche Änderung eingetreten ist.

d) Die Neufestsetzung hat alle Unterschiede der Nutzungs-möglichkeiten zu

berücksichtigen, auch wenn die wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeit nur bei einem Wohnungseigentümer eingetreten ist

Zum Sachverhalt: Umgelegt auf den vorliegen Fall folgt: Trifft die Behauptung der Antragstellerinnen zu, wovon die Vorinstanzen übereinstimmend ausgegangen sind, dass sich seit Abschluss des Wohnungseigentumsvertrags und des darin vereinbarten Aufteilungsschlüssels die Liftnutzungsmöglichkeit für die Neuntantragsgegnerin wesentlich geändert hat, weil der Zugang im Mezzanin zu deren Wohnungseigentumsobjekt

266 Siehe dazu 5 Ob 459/97d. 267 Vgl dazu RIS-Justiz RS0013385 [T5]. 268 5 Ob 301/02d. 269 5 Ob 301/02d; 5 Ob 255/04t.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 103

verschlossen wurde, ist der Aufteilungsschlüssel nach billigem Ermessen für alle Anteilseigner binden (neu) festzusetzen, ohne dass es darauf ankäme, dass sich die Nutzungsmöglichkeiten für die Antragstellerinnen selbst wesentlich geändert haben; es genügt, dass das bei irgendeinem Wohnungseigentümer der Fall ist. Eine solche Entscheidung hat daher nicht nur die eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit des Lifts für das Eigentumsobjekt der Neuntantragsgegnerin, sondern auch Nutzungsbeschränkungen der Antragstellerinnen zu enthalten. e) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Nach den bisherigen Feststellungen ist die objektive Nutzungsmöglichkeit des Lifts nicht nur für die Neuntantragsgegnerin, sondern auch für die Erstantragstellerin und die Siebentantragsgegnerin erheblich einge-schränkt, sodass bei der Neufestsetzung des Aufteilungsschlüssels auch insoweit eine Berücksichtigung angezeigt scheint. Ob allenfalls darüber hinaus Einschränkungen hinsichtlich der Liftnutzungsmöglichkeiten bestehen, lässt sich hingegen noch nicht beurteilen. Eine abschließende Entscheidung ist daher noch nicht möglich, weil Feststellungen über die Lage aller Objekte im Haus und deren Anteil an der objektiv möglichen Nutzung der Aufzugsanlage fehlen.270 Dem außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller wird daher Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. ***

§ 36 WEG Kein Anhörungsrecht der Minderheit (inklusive des beklagten Wohnungseigentümers) vor Einbringung einer Ausschlussklage OGH 6.11.2018, 5 Ob 193/18w

Der OGH (5 Ob 193/18w) hat in Erinnerung gerufen, dass eine auf den Ausschluss eines Wohnungseigentümers aus der Eigentümergemeinschaft gerichtete Klage (Ausschlussklage) nicht von der Eigentümergemeinschaft, sondern von der Mehrheit der übrigen Wohnungseigentümer einzubringen ist. Daraus ergibt sich, dass die Einbringung einer Ausschlussklage keine Verwaltungsmaßnahme ist. Ein Anhörungsrecht der Minderheit (inklusive des beklagten Wohnungseigentümers) analog der für die Willensbildung der Eigentümergemeinschaft in Verwaltungsangelegenheiten geltenden Vorschrift des § 24 Abs 1 Satz 2 WEG besteht nicht. Rechtlicher Hintergrund: Gemäß § 36 Abs 1 WEG ist ein Wohnungseigentümer auf Klage der Mehrheit der übrigen Wohnungseigentümer aus der Gemeinschaft auszuschließen, wenn er

270 5 Ob 255/04t.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 104

1. seinen Pflichten aus der Gemeinschaft nicht nachkommt, insbesondere die ihm obliegenden Zahlungen auch nicht bis zum Schluss der dem erstinstanzlichen Urteil vorangehenden Verhandlung leistet,

2. von seinem Wohnungseigentumsobjekt oder den allgemeinen Teilen der Liegenschaft

einen die Interessen der übrigen Wohnungseigentümer empfindlich schädigenden Gebrauch macht oder

3. durch sein rücksichtsloses, anstößiges oder sonst grob ungehöriges Verhalten den

Mitbewohnern das Zusammenwohnen verleidet oder sich gegenüber einem Wohnungseigentümer oder einer im Haus wohnenden Person einer strafbaren Handlung gegen das Eigentum, die Sittlichkeit oder die körperliche Sicherheit schuldig macht, sofern es sich nicht um den Umständen nach geringfügige Fälle handelt.

Sachverhalt: Die Erstklägerin ist zu 272/1150 sowie 26/1150 Anteilen, der Zweitkläger zu 340/1150 sowie 58/1150 Anteilen Miteigentümer einer Liegenschaft. Mit ihrem Anteil ist jeweils Wohnungseigentum an einer Wohnung sowie an Abstellplätzen verbunden. Die restlichen Anteile entfallen auf den Beklagten, der Wohnungseigentümer der Wohnung Nr 3 und zweier Abstellplätze ist. Die Kläger begehren den Ausschluss des Beklagten aus der Eigentümergemeinschaft, in eventu den Rückbau bestimmter Baumaßnahmen und die Verpflichtung, es zu unterlassen, genehmigungsbedürftige Änderungen ohne Zustimmung durchzuführen. Das Erstgericht beschränkte das Verfahren auf die Frage der Aktivlegitimation in Ansehung des Hauptbegehrens, verneinte diese und wies das Hauptbegehren ab.

Seiner Beurteilung zufolge bedarf die Bildung der zur Einbringung einer Ausschlussklage (§ 36 WEG) aktivlegitimierten Mehrheit zwar keiner Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft, jedoch der Anhörung sämtlicher Wohnungseigentümer, somit auch des Beklagten, die nach den Feststellungen nicht ausreichend erfolgt sei. Dem Beklagten sei nur bei diversen Gelegenheiten mitgeteilt worden, sein Verbleib in der Eigentümergemeinschaft sei nicht möglich bzw unerwünscht. Es sei jedoch weder über den Entschluss zur Einbringung der Ausschlussklage informiert noch zur Äußerung zu konkreten Ausschließungsgründen aufgefordert worden.

Das Berufungsgericht teilte diese Auffassung nicht und hob das Urteil des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Es lehnte die in der Lehre teils geforderte analoge Heranziehung der Bestimmungen über die Willensbildung der Eigentümergemeinschaft ab. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich nicht der Gemeinschaft, sondern der Mehrheit der übrigen Eigentümer die Klagelegitimation zugebilligt. Dieser Weg sei gewählt worden, um dem – speziell bei größeren Wohnungseigentumsanlagen auftretenden – Umstand Rechnung zu tragen, dass ein gemeinsames Vorgehen nicht immer leicht herbeizuführen ist und die Mehrheit genügen solle, die notwendigen verfahrensrechtlichen Schritte zu setzen, ohne nicht zustimmende oder nicht teilnehmende

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 105

Miteigentümer auf Zustimmung zur Klage verhalten zu müssen. Ein Anhörungsrecht der den Ausschluss nicht wünschenden Minderheit oder gar des Gegners würde das offensichtlich beabsichtigte Ziel des Gesetzgebers unterlaufen, einen Ausschluss eines Wohnungseigentümers nicht durch die Formalvorgaben des § 24 WEG zu erschweren. Eine Anhörung vor Einbringung werde auch bei Teilungsklagen nach § 830 ABGB oder Ausschlussklagen nach § 1210 ABGB oder § 140 UGB nicht verlangt. Die Rechtsprechung fordere lediglich eine Abmahnung für Kündigungen nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG, wenn dem Bestandnehmer die Schädlichkeit des Gebrauchs nicht ohne weiters erkennbar sei, was mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar sei. Der Rekurs an den OGH sei zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege und die Lehrmeinungen unterschiedlich seien.

Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Einbringung der Ausschluss durch die Mehrheit der übrigen Wohnungseigentümer

(und nicht durch die Eigentümergemeinschaft) Ein Wohnungseigentümer ist nach § 36 Abs 1 WEG auf Klage der Mehrheit der übrigen Wohnungseigentümer aus der Gemeinschaft auszuschließen, wenn einer, der in Z 1 bis 3 dieser Bestimmung aufgezählten Ausschlussgründe vorliegt. Nach Lehre und Rechtsprechung ist nicht die Eigentümergemeinschaft, sondern die – nach Anteilen zu berechnende – Mehrheit der übrigen Wohnungseigentümer zur Einbringung der Ausschlussklage aktivlegitimiert271, wobei der (gesamte) Anteil des Beklagten nicht zu berücksichtigen ist272. b) Mehrheitsbildung vor Einbringung der Ausschlussklage: Kein Anhörungsrecht

Minderheit (inklusive des beklagten Wohnungseigentümers) analog den Willensbildungsvorschriften des WEG in Verwaltungsangelegenheiten

Ob diese Mehrheitsbildung (analog) den Bestimmungen des WEG über die Beschlussfassung durch die Eigentümergemeinschaft im Rahmen der Verwaltung unterliegt oder formlos ohne Anhörungsrecht der überstimmten oder allenfalls gar nicht kontaktierten Minderheit (einschließlich des betroffenen Wohnungseigentümers) erfolgen kann, wird im – bereits vom Berufungsgericht dargestellten – Schrifttum unterschiedlich gesehen:

So lehnt T. Hausmann273 die Meinung Oberhofers274 zur formlos möglichen Mehrheitsbildung ab. Seiner Ansicht nach ergibt sich diese Konsequenz trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Anordnung in § 36 WEG aus dem ansonsten zu den Grundgedanken der Willensbildung im Rahmen der Verwaltung der Liegenschaft nach § 24 WEG entstehenden Wertungswiderspruch. Es müssten zumindest die Anhörungsrechte sämtlicher Wohnungseigentümer infolge eines Größenschlusses aus § 24 Abs 1 Satz 2 WEG 2002 gewahrt werden.

Dieser Auffassung halten Würth/Zingher/ Kovanyi275 entgegen, dass sich für ein Anhörungsrecht in der gesetzlichen Regelung des § 36 WEG, der die Klage der Mehrheit, aber keinen Beschluss fordert, kein Anhaltspunkt findet.

271 5 Ob 8/18i; RIS-Justiz RS0113761. 272 Vgl RIS-Justiz RS0113758. 273 In Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4 § 36 WEG Rz 23. 274 In immolex 1998, 187 sowie in Schwimann, ABGB IV2 § 22 WEG 1975 Rz 50. 275 Miet- und Wohnrecht23 § 36 WEG Rz 9.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 106

Die Rechtsprechung sieht die in ihrer Grundkonzeption einander entsprechenden Bestimmungen über den Ausschluss von Wohnungseigentümern in § 10 WEG 1948, § 22 WEG 1975 und § 36 WEG als qualitativen Ausgleich dafür, dass solange Wohnungseigentum besteht, der Anspruch auf Aufhebung der Eigentumsgemeinschaft ausgeschlossen ist.276

§ 35 Abs 2 WEG verbietet bei aufrechtem Wohnungseigentum die gänzliche Aufhebung der Eigentumsgemeinschaft durch Zivilteilung, lässt aber die Realteilung durch zusätzliche Begründung von Wohnungseigentum im Mischhaus zu. In diesem Fall wird die Gemeinschaft nur in anderer Form fortgesetzt.277 Außerhalb dieses Teilungsverbots kann jeder (schlichte) Miteigentümer nach § 830 ABGB eine Teilungsklage gegen sämtliche Teilhaber als notwendige Streitgenossenschaft278 einbringen. Eine zwingende vorangegangene Anhörung des/der Teilungsgegner wird weder in Judikatur noch Lehre gefordert. Eine fehlende Gelegenheit zur Stellungnahme vor Klageeinbringung kann allenfalls Kostenfolgen nach § 45 ZPO nach sich ziehen, beseitigt aber nicht das Klagerecht.

Sowohl Teilungs- als auch Ausschlussklage sind auf eine Rechtsgestaltung gerichtet: Die Gemeinschaft wird aufgehoben oder durch das Ausscheiden eines Wohnungseigentümers bzw im Fall der Realteilung durch (zusätzliche) Begründung von Wohnungseigentum geändert. Die Ausübung des Gestaltungsrechts durch den oder die (bei der Ausschlussklage mehrheitlich) klagenden Teilhaber ist keine Verwaltungsmaßnahme. Für ein Anhörungsrecht des (künftig) beklagten Teilhabers analog § 24 Abs 1 Satz 2 WEG über die Beschlussfassung durch die Eigentümergemeinschaft, deren Gegenstand ausschließlich Maßnahmen der Verwaltung sein dürfen279, besteht kein Grund. So sah das offensichtlich auch der Gesetzgeber, der in § 36 Abs 1 WEG das Klagerecht ausdrücklich der Mehrheit der Wohnungseigentümer und nicht der Eigentümergemeinschaft einräumte. Das in der Lehre teils geforderte Äußerungsrecht des beklagten Wohnungseigentümers analog § 24 Abs 1 Satz 2 WEG würde eine planwidrige Gesetzeslücke voraussetzen.280 Eine derartige Einschränkung des Klagerechts der Mehrheit kann dem Gesetzgeber, der die Eigentümergemeinschaft grundsätzlich nur in Angelegenheiten der Verwaltung mit Rechtsfähigkeit ausstattete281 und sich der Unterscheidung zwischen Verwaltung und Verfügung bewusst war, nicht unterstellt werden. c) Entscheidung des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Im vorliegenden Fall vereinen die Kläger die Mehrheit der Anteile auf sich. Die restlichen Anteile hält der Beklagte. Das Berufungsgericht hat die Aktivlegitimation der Kläger zutreffend nicht durch ein Anhörungsrecht des nach § 36 WEG 2002 auf Ausschluss beklagten Wohnungseigentümers eingeschränkt angesehen (§ 510 Abs 3 ZPO). Der – zulässige – Rekurs des Beklagten ist daher nicht berechtigt.

276 5 Ob 63/10s mit weiteren Nachweisen = RIS-Justiz RS0082929 [T1]. 277 5 Ob 12/09i; 5 Ob 94/10z je mit weiteren Nachweisen. 278 RIS-Justiz RS0013245. 279 RIS-Justiz RS0130070 [T1]. 280 RIS-Justiz RS0008931. 281 § 18 Abs 1 WEG.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 107

Anmerkungen: Mangels Zuständigkeit der Eigentümergemeinschaft für Ausschlussklagen kommt auch dem Verwalter als Vertreter der Eigentümergemeinschaft rund um die Ausschlussklage keinerlei Zuständigkeit zu. Der Verwalter ist weder verpflichtet noch berechtigt, Handlungen zur Vorbereitung (etwa in Gestalt einer Beratung der Wohnungseigentümer oder einer Organisation der Willensbildung) oder gar Durchführung (etwa durch Beauftragung eines Rechtsvertreters) einer Ausschlussklage zu treffen. Ebenso wenig können die Kosten einer Ausschlussklage aus der Rücklage getragen werden. Die Rücklage darf nämlich als Vermögen der Eigentümergemeinschaft nur für deren Aufwendungen Verwendung finden darf (dabei handelt es sich ausschließlich um Aufwendungen im Rahmen der Liegenschaftsverwaltung sowie Kosten der Prozessführung betreffend allfälliger nach § 18 Abs 2 WEG an die Eigentümergemeinschaft abgetretener Ansprüche). ***

§ 37 Abs 4 WEG Zum Begriff der „größeren Erhaltungsarbeiten“, für die der Wohnungseigentumsorganisator mangels Bauzustandsgutachtens gewährleistungsrechtlich einzustehen hat OGH 28.6.2018, 6 Ob 101/18y

Der OGH (6 Ob 101/18y) hat zu § 37 Abs 4 WEG, wonach der Wohnungseigentumsorganisator mangels Einbeziehung eines Bauzustandsgutachtens in den Kaufvertrag gewährleistungsrechtlich für einen Erhaltungszustand des Hauses einzustehen hat, der in den nächsten zehn Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert, drei wesentliche Feststellungen getroffen: Erstens kommt es dem Wesen der Gewährleistung entsprechend nur auf jene Erhaltungsarbeiten an, die bereits im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs notwendig waren. Zweitens muss es sich bei den „größeren“ Erhaltungsabreiten um solche handeln, die über die laufende Instandhaltung hinausgehen. Drittens muss es unbeachtlich bleiben, ob die in Frage stehenden Erhaltungsarbeiten durch eine allenfalls vorhandene Rücklage finanziert werden können. Rechtlicher Hintergrund: Gemäß § 37 Abs 4 WEG haben die Wohnungseigentumsorganisatoren vor oder mit der Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum an Teilen eines Hauses, dessen Baubewilligung zum Zeitpunkt der Zusage älter als 20 Jahre ist, dem Wohnungseigentumsbewerber ein Gutachten eines für den Hochbau zuständigen Ziviltechnikers oder eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für das Hochbauwesen über den Bauzustand der allgemeinen Teile des Hauses, insbesondere über in absehbarer Zeit (ungefähr zehn Jahre) notwendig werdende Erhaltungsarbeiten, zu übergeben. Das Gutachten darf zum Zeitpunkt der Zusage nicht älter

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 108

als ein Jahr sein und ist in den Kaufvertrag über den Liegenschaftsanteil, an dem Wohnungseigentum erworben werden soll, einzubeziehen. Mit dieser Einbeziehung gilt der im Vertrag beschriebene Bauzustand als bedungene Eigenschaft im Sinne des § 922 Abs 1 ABGB; damit haftet der Wohnungseigentumsorganisator bzw Verkäufer für den beschriebenen Bauzustand. Erfolgt keine Einbeziehung eines solchen Gutachtens in den Kaufvertrag, gilt ein Erhaltungszustand des Hauses als vereinbart, der in den nächsten zehn Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert. Die Regelung des § 37 Abs 4 WEG ist gemäß § 37 Abs 6 WEG vertraglich nicht abdingbar. Der Inhalt von Satz 3 des § 37 Abs 4 WEG282 ist als gesetzlich typisierte Gewährleistungspflicht zu betrachten. § 37 Abs 4 WEG übernimmt damit den durch die Novelle 1997 in § 23 Abs 3 Z 4 WEG 1975 eingeführten speziellen Schutzmechanismus, der bei Wohnungseigentumsbegründung im „Althaus“ den Wohnungseigentumsbewerber vor der nicht ausreichenden Berücksichtigung der anstehenden Kosten für Erhaltungsmaßnahmen bewahren soll. Zweck der Regelung ist es, die Übervorteilung des (einzelnen) Wohnungseigentumsbewerbers, der oft rechtlich unerfahren ist und die Problematik des Wohnungseigentums an einem Gebäude, das hohen Instandsetzungsaufwand erfordert, nicht abzuschätzen vermag, zu verhindern.283 Die Schutzbestimmung des § 37 Abs 4 WEG erstreckt sich in analoger Anwendung unter Umständen zeitlich weit über die Phase der Wohnungseigentumsbegründung hinaus, weil sie nämlich bei sukzessivem Abverkauf durch den ursprünglichen Wohnungseigentumsorganisator (oder seinem Gründungshelfer) so lange zum Tragen kommt, bis der letzte Miteigentumsanteil veräußert wurde. Der Gesetzeszweck spreche nämlich gegen die Rechtsansicht, nach der bei sukzessivem Erwerb von Wohnungseigentum bloß die ersten Wohnungseigentumsbewerber/Wohnungseigentümer geschützt werden, während alle Späteren dem Argument ausgesetzt seien, sie erwerben vom Wohnungseigentumsorganisator Wohnungseigentum nur mehr derivativ, sodass der Schutz der §§ 37 bis 44 WEG nicht greife.284 Sachverhalt: Die Kläger erwarben vom Beklagten im Jahr 2009 die Wohnung Nr 18 im Haus *****. Das Haus wurde im Jahr 1910 errichtet. Der Beklagte war bis zum Jahr 1984 Alleineigentümer der Liegenschaft. Zu diesem Zeitpunkt begründete er dort Wohnungseigentum, wobei er sich zunächst sämtliche Anteile selbst einräumte und die Wohnungen schließlich sukzessive bis zum Jahr 2011 abverkaufte. In der Eigentümerversammlung vom 21. Mai 2013 stellte sich heraus, dass in dem Haus möglicherweise zahlreiche Erhaltungsarbeiten mit Gesamtkosten von ca 555.000 EUR

282 „Wird in den Kaufvertrag kein solches Gutachten einbezogen, so gilt ein Erhaltungszustand des Hauses als

vereinbart, der in den nächsten zehn Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert.“ 283 Vgl bereits 6 Ob 56/16b = Newsletter vom 12. Oktober 2016. 284 6 Ob 56/16b = Newsletter vom 12. Oktober 2016 (Entscheidung zum vorliegenden Fall im ersten

Rechtsgang).

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 109

durchzuführen sein werden. Den Klägern wurde anlässlich des Kaufs der Wohnung Nr 18 kein Gutachten über den Zustand des Hauses gemäß § 37 Abs 4 WEG übergeben. Die Kläger begehren die Zahlung von 31.072,13 EUR sA sowie die Feststellung, dass der Beklagte für sämtliche darüber hinausgehende Gewährleistungsansprüche gemäß § 37 Abs 4 WEG hafte, die den Klägern aus dem Kaufvertrag vom 27. August 2009 erwachsen, in eventu, dass zwischen den Klägern und dem Beklagten festgestellt werde, dass der Beklagte dem Grunde nach für sämtliche Gewährleistungsansprüche gemäß § 37 Abs 4 WEG hafte, die den Klägern aus dem Kaufvertrag vom 27. August 2009 erwachsen. Zum bisherigen Verfahrensgang kann auf die Entscheidung des erkennenden Senats 6 Ob 56/16b verwiesen werden. Im zweiten Rechtsgang erkannte das Erstgericht mit Zwischenurteil das Leistungsbegehren für dem Grunde nach zu Recht bestehend.

Dabei ging es im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus: Der alterstypische Zustand des Hauses war den Klägern bekannt. Sie wussten jedoch nicht, dass Erhaltungsarbeiten anstehen, die erhebliche, mit einer gesamten monatlichen Rücklagendotierung von 893,40 EUR (auch nicht des Doppelten) in einem längeren Zeitraum nicht abzudeckende Kosten verursachen. Die Elektroleitungen entsprechen „nicht dem derzeitigen Stand“; die Instandsetzung würde Kosten von 65.000 EUR verursachen. Gleiches gelte für die Gasleitungen; dies erfordere weitere 80.000 EUR. Die Erneuerung der Wasserleitung würde 110.000 EUR und im Anschluss erforderliche Malerarbeiten würden 30.000 EUR kosten. Die Beseitigung der aufsteigenden Feuchtigkeit im Bereich des Kellergeschosses und im Erdgeschoss würde samt Nebenarbeiten 100.000 EUR kosten. Die notwendige Dacherneuerung würde Kosten von rund 200.000 EUR verursachen. Der Zustand der Wasserleitungen – außer im Keller – ist altersentsprechend; die bei Gebrechen auftretenden Schäden sind üblicherweise von einer Versicherung gedeckt. Bei den Elektro- und Gasleitungen bestand im Jahr 2009 kein Erhaltungsbedarf. Das Dach ist am Ende seiner Lebensdauer angelangt und muss erneuert werden. Das Stiegenhaus wurde schon sehr lange nicht mehr ausgemalt und weist umfangreiche Rissbildungen auf. Außerdem besteht Reparaturbedarf an der Fassade. Wenn die Dachhaut gepflegt worden wäre, würde dies über einen zehnjährigen Zeitraum kumuliert netto 14.580 EUR ergeben. Für die Sicherung der Fassade sind 3.040 EUR erforderlich; die Erneuerung von 20 lfm Verputz am Sockel würde zuzüglich Baustelleneinrichtung 1.700 EUR netto kosten. Die von der Hausverwaltung den Eigentümern mitgeteilten Kosten der „größeren Erhaltungsarbeiten“ beinhalten auch Neuherstellungen, dies insbesondere betreffend die Steigleitungen. Der Stand der Rücklage konnte nicht festgestellt werden.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 110

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Nach Verwerfung einer Beweisrüge und Verneinung einer geltend gemachten Aktenwidrigkeit erwog es in rechtlicher Sicht, dass vom Wohnungseigentumsorganisator nur ein entsprechender Zustand zum Zeitpunkt des jeweiligen Gefahrenübergangs zu prästieren sei. Es müsse sich um Erhaltungsarbeiten am Gebäude selbst handeln, die über die laufende Instandhaltung hinausgingen. Da nach den Feststellungen des Erstgerichts jedenfalls (auch) eine derartige Erhaltungsarbeit zum Zeitpunkt 27. August 2009 erforderlich gewesen sei (Isolierung der Wasserleitung, schadhafter Sockelputz, Schäden im Gesimse und Attikabereich, Feuchtigkeitsschäden am Verputz im Keller- und Erdgeschossbereich, wobei letztere sich frühestens am 21. Mai 2013 manifestierten), habe der Beklagte dem Grunde nach zu haften. Die Dacherneuerung sei hingegen nur deshalb erforderlich, weil seit dem Jahr 2009 nur notdürftige Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt worden seien und die entsprechende Dachhautpflege rechtlich bloß als laufende Instandhaltung zu qualifizieren sei. Unbeachtlich sei, ob die in Frage stehenden Erhaltungsarbeiten durch eine allenfalls vorhandene Rücklage finanziert werden könnten, weil in weiterer Folge die (Neu-)Dotierung der Rücklage den Erwerber massiv und überraschend belasten könne. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des in § 37 Abs 4 WEG verwendeten Begriffs „größere Erhaltungsarbeiten“ fehle.

Rechtliche Beurteilung des OGH:

a) Was eine „größere“ Erhaltungsarbeit ist, ist im Wege einer Einzelfallbeurteilung zu

ermitteln Grundsätzlich kann die Beurteilung, ob Erhaltungsarbeiten „größer“ sind, nur nach den Umständen des Einzelfalls vorgenommen werden, sodass dem Berufungsgericht ein gewisser Spielraum zukommt und die Anrufung des OGH nur bei einer eklatanten Ermessensüberschreitung gerechtfertigt wäre.285 Zum Sachverhalt: Da jedoch zu § 37 Abs 4 WEG – wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt – bisher diesbezüglich keine Rechtsprechung vorliegt, ist die Revision trotz ihrer Einzelfallbezogenheit zulässig. b) Zum Begriff der „Erhaltungsarbeit“ gemäß § 37 Abs 4 WEG (im Sinne des

dynamischen Erhaltungsbegriffs) Der Terminus „Erhaltungsarbeit“ in § 37 Abs 4 WEG ist im Sinn des § 28 Abs 1 Z 1 WEG und damit im Einklang mit § 3 Abs 1 und 2 MRG auszulegen.286 Erhaltungsarbeiten sind alle Arbeiten, die der ordnungsgemäßen Erhaltung der gemeinsamen Teile und Anlagen der Liegenschaft dienen, einschließlich baulicher Änderungen, die über den Erhaltungszweck nicht hinausgehen.287 Dazu gehören

285 Vgl RIS-Justiz RS0044088. 286 6 Ob 141/16b mit weiteren Nachweisen. 287 Vgl RIS-Justiz RS0083421.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 111

beispielsweise die Behebung von Feuchtigkeitsschäden288 oder von Schimmelbefall im Kellergeschoß des Hauses289 ebenso wie die Behebung statischer Mängel am Gebäude290 oder die Behebung der Undichtheit einer Terrasse oder einer Gasleitung.291 Durch die Verweisung des § 28 Abs 1 Z 1 WEG auf § 3 Abs 1 MRG ist klargestellt, dass mit „Erhaltung“ eine solche „im jeweils ortsüblichen Standard“ gemeint ist, sodass zweckmäßige und wirtschaftlich gebotene Erneuerungsarbeiten zur Erhaltung bestehender Anlagen noch zur Erhaltung gehören, auch wenn es sich um die erstmalige Herstellung eines mängelfreien Zustands handelt oder es dabei zu einer vollständigen Erneuerung kommt und dabei sogar Veränderungen vorgenommen werden.292 Demnach zählen etwa auch die Aufbringung eines äußeren Fassadenvollwärmeschutzes und der Einbau neuer Fenster zu den Erhaltungsarbeiten.293 c) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Erhaltungsbedarfs Was den Begriff der Erhaltungsarbeit in § 37 Abs 4 WEG betrifft, kommt es – dem Wesen der Gewährleistung entsprechend – nur auf jene Erhaltungsarbeiten an, die bereits im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs notwendig waren, während eine nachträgliche Verschlechterung des Zustands des Gebäudes keine Gewährleistungspflichten auslöst. d) „Größere“ Erhaltungsarbeiten im Sinn des § 37 Abs 4 WEG gehen über die laufende

Instandhaltung hinaus – auf Kostendeckung in der Rücklage kommt es nicht an Durch den Begriff „größere“ Erhaltungsarbeiten wollte der Gesetzgeber eine gewisse Begrenzung der gesetzlich vertypten Einstandspflichten im Sinn einer „Bagatellgrenze“ schaffen: Demnach muss es sich nach Vonkilch um Erhaltungsarbeiten handeln, die über die laufende Instandhaltung hinausgehen.294

Engin-Deniz295, führt aus, das Wort „größere“ bei „größere Erhaltungsarbeiten“ deute darauf hin, dass es wichtige Erhaltungsarbeiten sein müssten, wie beispielsweise eine Dacherneuerung oder die Neuherstellung von Versorgungsleitungen. Call296 geht unter Verweis auf § 6 Abs 2 MG 1922 von Arbeiten aus, die in größeren als einjährigen Abständen wiederkehren, wie beispielsweise Dacherneuerung, Neuherstellung der Versorgungsleitungen, Ausmalen des Stiegenhauses oder Generalüberholung der Heizungsanlage. Andere Autoren schlagen eine Orientierung an § 18 MRG zur Mietzinsanhebung vor, in dem der Begriff der „größeren Erhaltungsarbeit“ ebenfalls vorkommt.297 Auch dort kann diese Qualifikation aber nur nach den Umständen des Einzelfalls vorgenommen werden; eine größere Erhaltungsarbeit

288 Vgl RIS-Justiz RS0083089. 289 RIS-Justiz RS0083089 [T13]. 290 Vgl RIS-Justiz RS0105675. 291 Vgl RIS-Justiz RS0112445. 292 RIS-Justiz RS0114109. 293 RIS-Justiz RS0114108. 294 In Hausmann/Vonkilch, Kommentar Österreichisches Wohnrecht – WEG4 § 37 Rz 43. 295 BTVG² § 23 WEG Rz 2. 296 ImmZ 1997, 343. 297 Ofner in Schwimann, ABGB² § 23 WEG Rz 17.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 112

soll dann vorliegen, wenn die Gesamtkosten der Erhaltungsarbeit(en), welche auch die angemessenen entgangenen Habenzinsen für eigenes Kapital des Vermieters bzw die angemessenen Sollzinsen im Falle der Fremdfinanzierung sowie die erforderlichen Geldbeschaffungskosten umfassen, ein Jahreshauptmietzinsaufkommen überschreiten.298

Zum Sachverhalt: Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht festgestellt, dass die Isolierung eines freiliegenden Rohres im Keller zu netto 15 EUR pro Laufmeter notwendig ist, weiters bestehen ein schadhafter Sockelputz, Schäden im Gesimse und Attikabereich sowie Feuchtigkeitsschäden am Verputz im Keller- und Erdgeschossbereich. Daneben liegen auch Kostenschätzungen von Professionisten vor, die insgesamt Beträge im sechsstelligen Bereich nennen; schließlich ist das Dach am Ende seiner Lebensdauer angelangt. Die Hausverwaltung teilte den Wohnungseigentümern bereits im Jahr 2007 mit, dass die Dotierung der Rücklage von 350 EUR auf 893,40 EUR monatlich erhöht werden müsse. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage zu dem Ergebnis gelangten, dass die von Vonkilch vertretene Bagatellgrenze überschritten sei und nicht bloß laufende Instandhaltungsarbeiten durchzuführen seien, sondern „echte“ Reparaturen und Erneuerungen anstünden, so ist dies nicht zu beanstanden. Die Putzlockerungen in der Fassade in der ***** Straße wurden – ebenso wie die laufenden Arbeiten am Dach – vom Berufungsgericht nicht zu Lasten des Beklagten berücksichtigt, da die Mängel an der Fassade in der ***** Straße erst nach der Übergabe im Jahr 2009 auftraten. Die anderen Mängel, insbesondere die mit aufsteigender Feuchtigkeit zusammenhängenden Schäden am Verputz im Keller- und Erdgeschossbereich waren jedoch schon im Jahr 2009 vorhanden. Zur Frage der Rücklage führt Vonkilch299 aus, es müsse unbeachtlich bleiben, ob die in Frage stehenden Erhaltungsarbeiten durch eine allenfalls vorhandene Rücklage finanziert werden können, da in weiterer Folge die (Neu-)Dotierung der Rücklage den Erwerber massiv und überraschend belasten kann. Ähnlich vertritt Call300, auch eine „ausgeräumte“ Rücklage werde den Wohnungseigentumsbewerber zusätzlich belasten, weil er sie ja anteilig dann wieder auffüllen müsse, um dem Zweck der Rücklage zu dienen. Diese Überlegungen sind überzeugend. Dies gilt auch für das weitere Argument, dass das Vorhandensein der Rücklage nichts an der Notwendigkeit der Erhaltungsarbeiten ändert und die Rücklage nach Verbrauch der vorhandenen Gelder von den Wohnungseigentümern neu dotiert werden muss, was ebenso eine finanzielle Belastung bedeutet. e) Ergebnis des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Zusammenfassend erweist sich die Entscheidung des Berufungsgerichts als frei von Rechtsirrtum, sodass der zwar zulässigen (siehe oben), aber unbegründeten (unberechtigten) Revision ein Erfolg zu versagen war. Anmerkungen:

298 E.M.Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Kommentar Österreichisches Wohnrecht – MRG³ § 18 Rz 16. 299 In Hausmann/Vonkilch, Kommentar Österreichisches Wohnrecht – WEG4 § 37 Rz 43. 300 ImmZ 1997, 341.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 113

Vgl zu § 37 Abs 4 WEG insbesondere auch die Entscheidung zum vorliegenden Fall im ersten Rechtsgang zu 6 Ob 56/16b, welche neben der Feststellung, dass die Erwerberschutzbestimmung des § 37 Abs 4 WEG auch bei sukzessivem Abverkauf von Wohnungseigentum zur Anwendung gelangt, zwei weitere Erkenntnisse geliefert hat: Hinsichtlich der Relevanz der Erwerberschutzbestimmung ist nicht auf den Zeitpunkt

der Wohnungseigentumsbegründung, sondern auf jenen des Kaufvertragsabschlusses abzustellen. Dies ist im vorliegenden Fall von Bedeutung, weil die Schutzbestimmung des § 37 Abs 4 WEG (bzw davor: § 23 Abs 3 Z 4 WEG 1975) zum Zeitpunkt der Wohnungseigentumsbegründung im Jahr 1984 noch gar nicht existiert hat, sehr wohl aber bereits zum Zeitpunkt des hier maßgeblichen Kaufvertrags aus dem Jahr 2009.

Der Lauf der Gewährleistungsfrist für aus § 37 Abs 4 WEG abzuleitende Ansprüche beginnt nicht schon mit dem Zeitpunkt der Übergabe des Wohnungseigentumsobjekts an den Erwerber, sondern erst dann, wenn die Mangelhaftigkeit des Gutachtens bzw die Notwendigkeit größerer Erhaltungsarbeiten evident ist. Der Betrachtungszeitraum von (ungefähr) zehn Jahren (nämlich einerseits für das Gutachten, das für eine absehbare Zeit von ungefähr zehn Jahren eine Aussage zu treffen hat, und andererseits für die im Falle eines fehlenden Gutachtens bestehende Verantwortung des Wohnungseigentumsorganisators für einen Zustand, der in den nächsten zehn Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert) würde keinen Sinn ergeben, könnten Mängel des Gutachtens bzw die Notwendigkeit von größeren Erhaltungsarbeiten nur innerhalb von drei Jahren ab Übergabe des Wohnungseigentumsobjekts gewährleistungsrechtlich geltend gemacht werden. Es ist also in der Tat richtig, hinsichtlich des Beginns der dreijährigen Gewährleistungsfrist auf jenen Zeitpunkt abzustellen, zu welchem die Mangelhaftigkeit des Gutachtens bzw die Notwendigkeit größerer Erhaltungsarbeiten evident wird, sofern dieser Zeitpunkt innerhalb der ersten zehn Jahre ab Abschluss des Kaufvertrags liegt.

Siehe auch die Entscheidung 5 Ob 218/16v, nach welcher sich die Ausdehnung des Erwerberschutzes auf Fälle des sukzessiven Abverkaufs selbstverständlich nicht auf den Fall beschränken lässt, dass Wohnungseigentum mit einem Gründunghelfer begründet wurde (sondern auch die Wohnungseigentumsbegründung ohne Gründungshelfer zur analogen Anwendung des § 37 Abs 4 WEG führt, solange Einheiten sukzessiv verwertet werden). Auch der Umstand, dass der Käufer als bisheriger Mieter Kenntnis von der Liegenschaft hatte, steht nach dieser Entscheidung der analogen Anwendung des § 37 Abs 4 WEG über den Zeitpunkt der Wohnungseigentumsbegründung hinaus nicht entgegen. Offen sind hingegen bis dato die inhaltlichen Anforderungen an ein Bauzustandsgutachten nach § 37 Abs 4 WEG. Die Rechtsprechung wird noch zu klären haben, einer wie genauen Untersuchung das Gebäude bei einem Gutachten nach § 37 Abs 4 WEG zu unterziehen sein wird. Reicht eine „augenscheinliche“ zerstörungsfreie Begutachtung aus, oder ist dem Ziviltechniker bzw Sachverständigen eine eingehendere „zielgerichtete“ Untersuchung abzuverlangen? Welche genauen Fach- und Sachkenntnisse dürfen bei der Person, die das Gutachten erstellt, vorausgesetzt werden? Hat sie gegebenenfalls weitere Sachverständige hinzuzuziehen?

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 114

***

§ 52 Abs 1 Z 6 WEG (§ 31 Abs 3 WEG) Zur Dispositionsmaxime im wohnrechtlichen Rechnungslegungsverfahren OGH 18.7.2018, 5 Ob 80/18b

Der OGH (5 Ob 80/18b) hat vor dem Hintergrund eines seitens einer Eigentümergemeinschaft geltend gemachten Rechnungslegungsanspruchs die Dispositionsmaxime im wohnrechtlichen Ausßerstreitverfahren in Erinnerung gerufen. Im Verfahren zur Durchsetzung der Rechnungslegungs- und Herausgabepflicht des Verwalters bezüglich der Rücklage bei Beendigung des Verwaltungsvertrags nach § 52 Abs 1 Z 6 WEG in Verbindung mit § 31 Abs 3 WEG beschränkt sich der Prüfumfang des Gerichts (= der Verfahrensgegenstand) auf die von der Eigentümergemeinschaft geltend gemachten Abrechnungsmängel. Es bedarf hierbei eines konkreten Vorbringens, aus welchen Gründen die Abrechnung formell mangelhaft oder inhaltlich unrichtig sein soll (= Bestimmtheitserfordernis). Sachverhalt: Die Vorinstanzen wiesen den auf § 31 Abs 3 WEG gestützten Antrag auf Rechnungslegung und Herausgabe des sich aus der Abrechnung ergebenden Überschusses301 übereinstimmend ab. Der Antragsgegner habe als Verwalter seiner Abrechnungsverpflichtung nach § 31 Abs 3 WEG entsprochen und die von ihm gelegte Abrechnung habe keinen Überschuss ergeben. Rechtliche Beurteilung des OGH: a) Zur Abrechnungs- und Herausgabepflicht des Verwalters bezüglich der Rücklage Bei Beendigung eines Verwaltungsvertrags hat der Verwalter ohne Verzug über die Rücklage Rechnung zu legen und den Überschuss an den neuen Verwalter oder bei Fehlen eines solchen an die Eigentümergemeinschaft herauszugeben (§ 31 Abs 3 WEG).

Die Verwendung ein- und desselben Begriffs für verschiedene Inhalte führt dazu, dass man als Rücklage bei einem weiten Begriffsverständnis sämtliche Gelder, die die Wohnungseigentümer an die Eigentümergemeinschaft für Aufwendungen im Sinne der §§ 31, 32 WEG zahlen, bezeichnen kann oder bei engerem Verständnis im Sinn des § 20 Abs 2 WEG und des § 18 Abs 4 WEG nur jene Vorschreibungen, die als eine Art „Zwangs-Ansparsystem“ für künftige Aufwendungen auf die Liegenschaft, also neben den laufenden Betriebskosten vorgeschrieben werden.302

301 Dieser Anspruch ist von der Eigentümergemeinschaft (und nicht von den einzelnen Wohnungseigentümern

geltend zu machen) geltend zu machen, weil es sich bei der Rücklage ja um ein Vermögen der Eigentümergemeinschaft handelt. Vgl hierzu 5 Ob 303/04a.

302 5 Ob 185/07b. Zu beachten ist, dass mit dem 3. WÄG (BGBl 1993/800) die auf Erhaltungs- und nützliche Verbesserungsarbeiten beschränkte Zweckbindung der Rücklage aufgegeben wurde, zumal sie fortan als Vermögen und damit auch Haftungsfonds der mit dem 3. WÄG als rechtsfähiges Subjekt geschaffenen

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 115

In Bezug auf die in § 31 Abs 3 WEG festgelegte besondere Abrechnungs- und Herausgabepflicht des Verwalters ist die Betrachtung der Rücklage als das der Deckung von Aufwendungen dienende Gesamtvermögen der Eigentümergemeinschaft (also ein weites Verständnis des Rücklagenbegriffs) geboten, weil nur damit gewährleistet ist, dass sämtliche Geldmittel der Eigentümergemeinschaft von der Verpflichtung zur Abrechnung und Herausgabe an die Eigentümergemeinschaft oder den neuen Verwalter umfasst sind. b) Zur Dispositionsmaxime und dem Bestimmtheitserfordernis im wohnrechtlichen

Außerstreitverfahren Die Amtswegigkeit ist im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren eingeschränkt.303 In Verfahren, in denen Abrechnungen oder Kostenpositionen zu überprüfen sind, beschränkt sich die Pflicht des Gerichts zur amtswegigen Prüfung des Sachverhalts auf das von der Partei erhobene Sachvorbringen (= Dispositionsmaxime). Erst wenn im zuvor dargestellten Sinn konkrete Sacheinwendungen erhoben wurden oder ein bestimmter abgegrenzter Sachverhalt amtswegig klärungsbedürftig erscheint und danach Unklarheiten verbleiben, stellen sich Fragen der Beweislast.304 Im Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 6 WEG im Verbindung mit § 31 Abs 3 WEG bezieht sich die Amtswegigkeit demnach nur auf die von der Eigentümergemeinschaft geltend gemachten Abrechnungsmängel. Der Prüfumfang des Gerichts hat sich auf diese zu beschränken. Es bedarf daher eines konkreten Vorbringens, aus welchen Gründen die Abrechnung formell mangelhaft oder inhaltlich unrichtig sein soll (= Bestimmtheitserfordernis).305 Fehlt es an einem zureichenden Vorbringen in erster Instanz, steht diesem im Rechtsmittelverfahren das im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren geltende Neuerungsverbot (§ 37 Abs 3 Z 14 MRG) entgegen. Zum Sachverhalt: Auf zahlreiche im Verfahren vor dem Erstgericht erhobene Einwendungen formaler und inhaltlicher Natur kommt die Eigentümergemeinschaft als Antragstellerin in ihrem Revisionsrekurs nicht mehr zurück.306 Deren Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf die behauptete Unvollständigkeit der Abrechnung mangels Ausweises der Zinserträge und der Dotierungen. Das Rekursgericht führte dazu aus, dass die Eigentümergemeinschaft zu dem erstmals im Rekurs monierten Fehlen von Zinserträgen, Vergütungszinsen, Dotierungen und transparenten Buchungen in erster Instanz kein ausreichendes Vorbringen erstattet habe und auf diese erstmals im Rekurs erhobenen Einwände daher im Hinblick auf das Neuerungsverbot nicht mehr einzugehen sei.

Eigentümergemeinschaft dienen sollte. Die Rücklage fungiert seither vielmehr als Vermögensmasse für jedweden liegenschaftsbezogenen Aufwand.

303 RIS-Justiz RS0083783; RS0029344; RS0070480; RS0069653. 304 5 Ob 80/14x. 305 Vgl RIS-Justiz RS0083560. 306 Vgl RIS-Justiz RS0043338.

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 116

c) Ob eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, unterliegt ebenso einer Einzelfallbeurteilung wie die Feststellung einer unzulässigen Neuerung im Rechtmittelverfahren

Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt.307 Auch die Beantwortung der Frage, ob eine im Rechtsmittelverfahren unzulässige Neuerung vorliegt, geht in ihrer Bedeutung über den Einzelfall nicht hinaus.308 Gegenteiliges würde im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit nur dann gelten, wenn die Auslegung des Parteivorbringens mit seinem Wortlaut unvereinbar wäre oder gegen die Denkgesetze verstieße309, das Auslegungsergebnis daher als unvertretbar anzusehen wäre.310 Zum Sachverhalt: Das ist hier nicht der Fall. d) Ergebnis des vorliegenden Falls Zum Sachverhalt: Der Revisionsrekurs zeigt auch sonst keine Rechtsfrage auf, der im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Bedeutung zukommt. So entspricht es – losgelöst von der Frage, ob an die Abschlussrechnung nach § 31 Abs 3 WEG überhaupt die gleichen Anforderungen zu stellen wären, wie an die Jahresabrechnung nach § 20 Abs 3 in Verbindung mit § 34 WEG – der Rechtsprechung des OGH, dass ein behauptetes pflichtwidriges Verhalten des Verwalters im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe an Dritte im Rechnungslegungsverfahren weder zu prüfen noch für die Richtigkeit der Abrechnung relevant ist.311 Zum Sachverhalt: Mit dem Einwand der fehlenden „Belegeinsicht“ verstößt die Eigentümergemeinschaft nicht nur gegen das Neuerungsverbot, dieser Einwand ist angesichts der festgestellten Tatsache, dass der Verwalter sämtliche Verwaltungsunterlagen der neuen Verwalterin übergab, auch nicht nachvollziehbar. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 52 Abs 2 WEG in Verbindung mit § 37 Abs 3 Z 16 MRG und § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG). Anmerkungen:

307 RIS-Justiz RS0042828. 308 RIS-Justiz RS0042828 [T35]. 309 RIS-Justiz RS0042828 [T11]. 310 RIS-Justiz RS0042828 [T30] 311 5 Ob 146/16f mit weiteren Nachweisen [bei der Prüfung der Richtigkeit der Abrechnung ist einer

Orientierung am tatsächlichen Leistungsaustausch geboten – Fälle der auch krassen Misswirtschaft können nicht einfach dadurch aus der Welt geschafft werden, dass einzelne Ausgaben im Nachhinein aus der Abrechnung genommen werden].

Aktuelle Judikatur zum Wohnungseigentum, 23. April 2019 [email protected] I Seite 117

Zur Dispositionsmaxime und dem damit verbundenen Bestimmtheitserfordernis bezüglich des zu erstattenden Vorbringens im Rechnungslegungsverfahren siehe insbesondere auch 5 Ob 14/16v = Newsletter vom 27. Juli 2016: Ein Wohnungseigentümer, der ein Verfahren zur Überprüfung einer [gelegten] Verwaltungsabrechnung einleitet, hat genau anzugeben, was er an ihr auszusetzen hat; tut er dies nicht schon in seinem Antrag, ist er vom Gericht anzuleiten, seine Beschwerdepunkte zu nennen.312 [Im konkreten Fall vertraten die Vorinstanzen übereinstimmend die Auffassung, dass die Antragstellerin dieser Konkretisierungspflicht in Bezug auf angeblich nicht abgerechnete Geldflüsse – trotz Anleitung und Setzung einer angemessenen Frist – nicht nachgekommen sei.] Siehe weiters zur Abrechnungspflicht des Verwalters im Wohnungseigentum und dem damit korrespondierenden Rechnungslegungsanspruch eines Wohnungseigentümers ua unsere Newsletter vom 4. November 2015 zu 5 Ob 30/15w [eine Abrechnung im Wohnungseigentum muss derart gestaltet sein, dass der Wohnungseigentümer ihr auch entnehmen kann, ob die gesetzlichen Kostenaufteilungsgrundsätze des und/oder allfällige davon abweichende Aufteilungsschlüssel oder Abrechnungseinheiten beachtet wurden], vom 1. April 2015 zu 5 Ob 114/14x [eine Gegenüberstellung der Solleinnahmen mit den tatsächlichen Zahlungseingängen ist in der Abrechnung zumindest in der Form erforderlich, dass bei jedem einzelnen Mitglied der Gemeinschaft oder jedem einzelnen Wohnungseigentumsobjekt ausgewiesen wird, ob das Konto ausgeglichen ist oder ein Rückstand besteht] und vom 20. Juni 2012 zu 5 Ob 3/12w [der Rechnungslegungsanspruch stellt ein zwingendes Individualrecht jedes einzelnen Wohnungseigentümers dar; er kann daher auch nicht durch eine von der Eigentümergemeinschaft beschlossene „Genehmigung“ der gelegten Abrechnung beseitigt werden].

312 RIS-Justiz RS0083560 [T1].