Aktueller Stand der ERA-Einführung in Bayern – Erfahrungen ...

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Aktueller Stand der ERA-Einführung in Bayern – Erfahrungen und Erkenntnisse aus der betrieblichen Umsetzung von B. Brossardt und G. Mantl Gliederung 1 Stand der ERA-Einführung in Bayern 1.1 220.000 erhalten bereits ERA-Entgelt 1.2 Hohem Informationsbedarf entgegenkommen 1.3 Unterstützung vom Verband 2 ERA-Projekt bei der Schaltbau GmbH 2.1 Anderthalb Jahre Vorbereitungszeit 2.2 Enge Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und Betriebsrat 2.3 Unterschreiter-/Überschreiterregelungen 2.4 Leistungsabhängiges Entgelt: gleiche Maßstäbe für alle 2.5 Fazit: Aufwändig, aber erfolgreich Zusammenfassung Die Einführung des Entgeltrahmenabkommens in Bayern schreitet zügig voran. Knapp die Hälfte der Tarifbeschäftigten im Freistaat erhält bereits ERA-Entgelt. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass die Umstellung auf das neue Ver- gütungssystem in den Betrieben einen großen Informationsbedarf geweckt hat. Viele Unternehmen haben dies erkannt und beziehen früh Betriebsräte und Fachkräfte in die Projektplanung zu ERA mit ein. Die Schaltbau GmbH, Ent- wickler und Hersteller von elektromechanischen Produkten für Industrieanwen- dungen und für die Verkehrstechnik, ist diesen Weg gegangen und zieht nach abgeschlossener ERA-Einführung ein positives Fazit. Schlüsselwörter Aufgabenbeschreibung, Bayern, Betriebsrat, Betriebsversammlung, Eingruppie- rung, Entgeltrahmenabkommen, ERA, Führungskräfte, Mitarbeiterinformation, Orientierungsbeispiele, Paritätische Kommission angew. Arbeitswiss. (2007), Nr. 194, S. 1–11 1 Inhalt_194 17.12.2007 19:49 Uhr Seite 1

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Aktueller Stand der ERA-Einführung in Bayern– Erfahrungen und Erkenntnisse aus der betrieblichen Umsetzung

von B. Brossardt und G. Mantl

Gliederung1 Stand der ERA-Einführung in Bayern

1.1 220.000 erhalten bereits ERA-Entgelt

1.2 Hohem Informationsbedarf entgegenkommen

1.3 Unterstützung vom Verband

2 ERA-Projekt bei der Schaltbau GmbH

2.1 Anderthalb Jahre Vorbereitungszeit

2.2 Enge Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und Betriebsrat

2.3 Unterschreiter-/Überschreiterregelungen

2.4 Leistungsabhängiges Entgelt: gleiche Maßstäbe für alle

2.5 Fazit: Aufwändig, aber erfolgreich

Zusammenfassung Die Einführung des Entgeltrahmenabkommens in Bayern schreitet zügig voran.Knapp die Hälfte der Tarifbeschäftigten im Freistaat erhält bereits ERA-Entgelt.Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass die Umstellung auf das neue Ver-gütungssystem in den Betrieben einen großen Informationsbedarf geweckt hat.Viele Unternehmen haben dies erkannt und beziehen früh Betriebsräte undFachkräfte in die Projektplanung zu ERA mit ein. Die Schaltbau GmbH, Ent-wickler und Hersteller von elektromechanischen Produkten für Industrieanwen-dungen und für die Verkehrstechnik, ist diesen Weg gegangen und zieht nachabgeschlossener ERA-Einführung ein positives Fazit.

SchlüsselwörterAufgabenbeschreibung, Bayern, Betriebsrat, Betriebsversammlung, Eingruppie-rung, Entgeltrahmenabkommen, ERA, Führungskräfte, Mitarbeiterinformation,Orientierungsbeispiele, Paritätische Kommission

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1 Stand der ERA-Einführung in Bayern1.1 220.000 erhalten bereits ERA-Entgelt Anfang der 90er Jahre verhandelte der Verband der Bayerischen Metall- undElektro-Industrie e. V. mit der IG Metall erstmals über ein einheitliches Ver-gütungssystem für Arbeiter und Angestellte, das Entgeltrahmenabkommen(ERA). Nach intensiven Verhandlungen ab dem Jahr 2002 wurden im Herbst2005 die ERA-Tarifverträge unterzeichnet. Die Einführungsphase begann inBayern offiziell am 1. Oktober 2006 und endet am 30. September 2009. Von derUmstellung des Verdienstsystems sind in Bayern etwa 450.000 Tarifbeschäftig-te in rund 600 Betrieben betroffen (Abb. 1).

Zu Beginn der Einführungsphase wurde das neue System von mancher Seitekritisiert. Die Kritiker sagten massive Widerstände von Arbeitnehmerseite undheftige Unruhen in den Betrieben voraus. Ein Jahr nach dem ERA-Start inBayern hat sich die öffentliche Diskussion aufgrund der bisherigen Erfahrun-gen deutlich versachlicht. Inzwischen haben mehr als 120 Betriebe im FreistaatERA umgesetzt. Über 220.000 Beschäftigte in Bayern erhalten ERA-Entgelt.Das ist knapp die Hälfte aller bayerischen Tarifarbeitnehmer.

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80000

70000

60000

50000

40000

30000

20000

10000

0

München-Obb.

Arbeitnehmer in Bayern mit ERA-Entgelt nach RegionenStand: Oktober 2007

Schwaben Oberfranken Mittelfranken Unterfranken Niederb.-Opf.

Abb. 1: Stand der ERA-Einführung

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Die ERA-Einführung in Bayern schreitet zügig und bislang ohne größereProbleme voran. In drei Vierteln der Betriebe, die die ERA-Einführungbereits abgeschlossen haben, konnte die Eingruppierung der Arbeitnehmerinnerbetrieblich geregelt werden. Das heißt, Arbeitgeber- und Arbeitneh-mervertretung einigten sich direkt oder im Rahmen einer paritätischen Kom-mission. In den übrigen Betrieben entschied die außerbetriebliche tariflicheSchlichtung über die Eingruppierung der strittigen Fälle. Die Schlichtungser-gebnisse stießen in den Betrieben bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufhohe Akzeptanz.

Das Zwischenergebnis nach einem Drittel der ERA-Einführungsphase zeigt,dass es sich bei ERA um ein faires und tragfähiges Konzept handelt und dieUnternehmen sich tarifkonform verhalten. Das heißt, sie gruppieren ihreBeschäftigten nach den ERA-Bestimmungen aufgrund der Anforderungen dergesamten übertragenen Arbeitsaufgabe korrekt ein.

Um Betrieben die Neueingruppierung ihrer Mitarbeiter zu erleichtern, hat sichder VBM mit der IG Metall Bayern auf 70 Orientierungsbeispiele geeinigt.Dies sind Beschreibungen von Tätigkeiten, die typischerweise in einem Betriebder Metall- und Elektro-Industrie ausgeführt werden, wie zum Beispiel dasBedienen von Maschinen, die Instandhaltung von Betriebsmitteln, Entwick-lungsingenieurstätigkeiten, administrative Aufgaben sowie Lager- und Trans-portarbeiten. Diese Aufgabenfelder haben die Tarifvertragsparteien denjeweiligen Entgeltgruppen zugeordnet.

1.2 Hohem Informationsbedarf entgegenkommenSelbstverständlich läuft die ERA-Einführung nicht überall reibungslos. Wennein etabliertes System abgelöst wird, entstehen Unruhe und Unsicherheit.Immerhin müssen mehr als 450.000 Arbeitsplätze nach den „Anforderungender Arbeitsaufgabe“ neu bewertet werden. Das ist mitunter auch eine emotio-nale Angelegenheit, denn ein gerechteres System einzuführen, bedeutet auch,Bevorzugungen im alten System konsequent zu hinterfragen.

Zu Diskussionen kam es vor allem in den Betrieben, die im Einzelfall größereEntgeltänderungen vornehmen mussten. Das war dort der Fall, wo Eingrup-pierungen nach dem alten Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrag nicht oderzumindest nicht mehr richtig waren, zum Beispiel bei Mitarbeitern, die auf-grund einer Marktlage in der Vergangenheit höher eingruppiert wordenwaren. Ein solcher Arbeitnehmer wird bei der Umstellung auf ERA zumÜberschreiter. Hier greift zwar die tarifliche Besitzstandswahrung, dennochkann die Enttäuschung groß sein. Das ist menschlich nachvollziehbar, dennhier geht es um die subjektiv wahrgenommene persönliche Wertschätzung.

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In der Metall- und Elektro-Industrie ist durch ERA – nicht nur in Bayern – einhoher Informationsbedarf entstanden, den es zu befriedigen gilt. Viele Betrie-be haben dies erkannt. Sie beziehen frühzeitig Führungskräfte und Betriebsrä-te in die Vorbereitungen zur ERA-Einführung ein und betreiben ein profes-sionelles Projektmanagement. Unter dem Strich zieht der VBM – Verband derBayerischen Metall- und Elektro-Industrie e. V. ein Jahr nach dem Start derERA-Einführung in Bayern ein positives Fazit.

Die tarifgebundenen Betriebe haben noch bis Ende September 2009 Zeit, aufERA umzustellen, Fristverlängerungen sind in Einzelfällen möglich. Währendbereits viele große Unternehmen in Bayern ERA eingeführt haben, sind vielekleine und mittlere Firmen derzeit noch in der Vorbereitungsphase. Einegrößere Welle der Systemumstellung wird zum 1. Januar 2008 erwartet.

1.3 Unterstützung vom VerbandDer VBM – Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie e. V.unterstützt seine Mitglieder mit folgenden Services bei der ERA-Einführung:

• juristisches und arbeitswissenschaftliches Know-how unter anderem übereine ERA-Hotline

• 14 ERA-Coaches begleiten die Einführung in den Betrieben vor Ort

• Workshops zur Vermittlung von ERA-Grundlagenwissen

• vertiefende Seminare beispielsweise zum leistungsabhängigen Entgelt oderERA-Projektmanagement

• Tagungen zum betrieblichen Erfahrungsaustausch

• Newsticker mit Praxistipps für die Einführung

Das Angebot wird von den Mitgliedsbetrieben sehr gut angenommen.

2 ERA-Einführung bei der Schaltbau GmbHEines der Unternehmen in Bayern, die ERA in diesem Jahr eingeführt haben,ist die Schaltbau GmbH mit Hauptsitz in München sowie weiteren Standortenin Aldersbach und Velden. Die Schaltbau GmbH entwickelt und fertigt elek-tromechanische Produkte für Industrieanwendungen und für die Verkehrs-technik. Steckverbinder, Schnappschalter und Gleichstromschütze von Schalt-bau finden sowohl im Maschinen- und Apparatebau, in der Mess-, Steuer- undRegeltechnik sowie in der Bahnverkehrstechnik Verwendung. ElektrischeAusrüstungen für Reisezugwagen sowie Fahrschalter und Fahrzeugkompo-nenten kommen weltweit im Nah- und Fernverkehr sowie in Hochgeschwin-digkeitszügen zum Einsatz.

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Im Entgeltrahmenabkommen sah das Management der Schaltbau GmbH schonfrüh die Möglichkeit, ein transparenteres und gerechteres Vergütungssystemeinzuführen. Wenige Monate nach Unterzeichnung der ERA-Verträge in Bay-ern begann die Schaltbau GmbH, sich intensiv mit dem neuen Vergütungssys-tem und der Einführung im eigenen Unternehmen auseinanderzusetzen.

Für die Schaltbau GmbH lag das Hauptaugenmerk bei der ERA-Einführungdarauf, für alle 287 Tarifbeschäftigten über alle drei Standorte hinweg Entgelt-gerechtigkeit herzustellen. Die sehr unterschiedliche Beschäftigungsstrukturan den Standorten stellt die größte Herausforderung dar: In der Vorfertigungin Aldersbach arbeiten knapp 90 Prozent gewerbliche Arbeitnehmer und auchin der Fertigung, Montage und Qualitätssicherung in Velden beträgt der Anteilder gewerblichen Mitarbeiter rund 70 Prozent. Am Hauptsitz in Münchendagegen sind fast ausschließlich Angestellte beschäftigt, von denen sich vieledurch eine hohe Qualifikation auszeichnen.

2.1 Anderthalb Jahre VorbereitungszeitDie Geschäftsführung der Schaltbau GmbH erkannte, dass gerade die hetero-gene Beschäftigungsstruktur des Unternehmens eine sorgfältige Vorbereitungder ERA-Einführung erforderte. Ende 2005 – mehr als anderthalb Jahre vordem Stichtag der Systemumstellung – starteten die Verantwortlichen dasERA-Projekt (Abb. 2).

Zunächst galt es, die bisherige Lohn- und Gehaltssituation der tariflichBeschäftigten zu analysieren. Auf Grundlage der Untersuchungsergebnissekonnte die Geschäftsführung dann die organisatorischen und finanziellen Aus-wirkungen der betrieblichen ERA-Einführung grob abschätzen. Eine wichtigeErkenntnis für das Management war, dass ERA trotz eines hohen Anteilsgewerblicher Mitarbeiter von über 60 Prozent und einer zu erwartenden hohenÜberschreiter-Quote im Angestelltenbereich voraussichtlich kostenneutraleingeführt werden könnte.

In den folgenden Wochen bildete sich das ERA-Projektteam. Dieses setztesich aus der Personalleitung, einem Personalreferenten, den Werksleitern derproduzierenden Standorte sowie je zwei Vertretern des Betriebsrats proStandort zusammen. Während der Umsetzungsphase wurden außerdem zeit-weise Führungskräfte an den verschiedenen Standorten in die Projektarbeitmit einbezogen.

Alle Beteiligten waren sich von Anfang an der großen Verantwortung gegenüberden Beschäftigten bewusst. Um das komplexe Thema selbst schnell zu durch-dringen und auch kompetent weiter vermitteln zu können, informierten sichbeide Betriebsparteien früh, einerseits über die Neuerungen in ERA im Ver-

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gleich zum alten Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrag sowie andererseits überdie zur Einführung notwendigen Schritte und gestalterischen Möglichkeiten.

Bereits im Dezember 2005 informierte die Geschäftsführung dann alle Schalt-bau-Mitarbeiter im Rahmen einer Betriebsversammlung an den jeweiligenStandorten erstmals über ERA. In der Folgezeit wurden die Beschäftigtenregelmäßig über den aktuellen Stand des Projektes sowie über jeweils aktuelleDetails zu ERA in Kenntnis gesetzt. Dies geschah sowohl über Mitarbeiter-und Betriebsversammlungen als auch schriftlich in Form von Flyern und Brie-fen an die Belegschaft.

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� A.1 Betriebliche ERA-Strategie festlegen� Chancen & Risiken (Benchmarks intern/extern)� Entgeltziele festlegen� Geschäftsprozesse überprüfen

� A.2 Information der Führungskräfte� A.3 ERA-Projektteam installieren� A.4 Projektauftrag vergeben (inkl. Einführungstermin)�� A.5 Lenkungsausschuss berufen�� A.6 Information Betriebsrat

� F.1 Grundentgelt�� Arbeitsaufgaben beschreiben� Orientierungsbeispiele anwenden� Arbeitsaufgaben bewerten�� Schattenbetrachtung� Zustimmung des Betriebsrates einholen�� Paritätische Kommission einberufen

� F.2 Leistungsabhängiges Entgelt� Anpassung� Überprüfung und Vereinbarung

� G.1 ERA-Daten erfassen� G.2 Datenqualität sicherstellen� G.3 Soll-/Ist-Vergleich (ERIKA/andere Software)� G.4 Ergebnisse interpretieren� G.5 Übertarifliches Entgelt festlegen

� H.1 Systembedingte Kostenneutralitätsichergestellt durch ERA-Tarifvertrag

� H.2 Betriebliche KostenneutralitätPunktlandung, Abweichung nach oben/unten

� I.1 Termin definieren (ggf. mit BR vereinbaren)

� K.1 Personalabrechnungssoftware umstellen

� L.1 Betriebsversammlung/interne Kampagne� L.2 Führungskräfte einbinden� L.3 Betriebsrat einbinden

� M.1 »Schalter umlegen«� M.2 Controlling� M.3 Umgang mit Einsprüchen

� erforderlich �� optional

� B.1 Projektleiter benennen� B.2 Aufgaben, Rollen und Kompetenzen definieren� B.3 Ressourcen planen� A.4 ERA-Ansprechpartner benennen� B.5 Teammitglieder benennen� B.6 Kick-Off-Veranstaltung

Projektstart, Terminplan, Organisation und Prozesse

�� B.7 Information Belegschaft�� B.8 Information Betriebsrat

� C.1 Schulung, Workshop, Trainings, CBTProjektleiter, ERA-Team, Führungskräfte (Betriebsrat)

�� D.1 Inhalte detaillieren� D.2 Kommunikationsverhalten definieren

� E.1 IST-Daten (i.d.R. LGRTV) erfassen� E.2 IST-Daten (i.d.R. LGRTV) auswerten� E.3 Tätigkeiten analysieren� E.4 Lohn-und Gehaltsstruktur� E.5 Betriebsvereinbarungen prüfen� E.6 Arbeitsverträge prüfen

A ERA-Grundsatzentscheidung

B ERA-Projektteam

C ERA-Kompetenzaufbau

D ERA-Vorgehensweise

E IST-Analyse

M ERA-Einführung

F ERA-Entgelt

G Kostenvergleich

L ERA-Kommunikation

K ERA-Entgeltabrechnung

I ERA-Einführungstermin

H Kostenneutralität

Abb. 2: Projektablauf: Chronologie eines ERA-Projektes

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2.2 Enge Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und BetriebsratUm die 287 Tarifbeschäftigten gemäß ERA neu eingruppieren zu können,erstellten die ERA-Verantwortlichen zunächst für jeden dieser Mitarbeiterentsprechend seiner Tätigkeiten Aufgabenbeschreibungen. Die Eingruppie-rung erfolgte entsprechend dem Tarifvertrag nach der Summarik (Abb. 3).

Zur Vereinfachung des Verfahrens fasste Schaltbau vergleichbare Positionenbei den Aufgabenbeschreibungen zusammen und formulierte diese mithilfeder tariflichen Orientierungsbeispiele aus.

Die Personalabteilung zog zur Beschreibung der einzelnen Tätigkeitsprofilekonsequent den jeweiligen Vorgesetzten hinzu. Es gelang ihr so, eine hoheAkzeptanz bei der späteren Eingruppierung der Mitarbeiter zu erzielen. Bis Juni2006 war dieser Schritt zur Vorbereitung der ERA-Einführung abgeschlossen.

Das Projektteam war sich darüber im Klaren, dass die Neueingruppierung derSchaltbau-Mitarbeiter ein sensibles Thema sein würde. Daher entschieden sich

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Die ERA-Eingruppierungssystematik

Die Eingruppierungssystematik basiert in Bayern auf der Summarik.Eingruppierungskriterien sind fachliche Qualifikation und Handlungsspielraum.

Summarik

Kompetenzen/FähigkeitenZusammenarbeitFührung, Kommunikation

Summarische Eingruppierung

Entgeltgruppen EG 1 bis EG 12

Handlungsspielraumbeim Entscheiden• Disponieren• Gestalten

Nicht in

jeder EG

beschrieben

Fachliche Qualifikation (Kenntnisse, Fertigkeiten)• Ausbildung• Erfahrung

Abb. 3: Die Eingruppierung in Bayern basiert auf der Summarik

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die ERA-Verantwortlichen für eine enge Abstimmung mit dem Betriebsrat:Nachdem alle Beschäftigten anhand ihrer Aufgabenbeschreibungen eingrup-piert worden waren, übergab die Personalleitung die Unterlagen an denBetriebsrat. Dies geschah bereits Anfang Juli 2006 – also ein Jahr vor demgeplanten Einführungsstichtag. Dabei verzichtete die Unternehmensleitungzunächst auf die Einhaltung der tariflich vorgegebenen Widerspruchsfrist vonacht Wochen. Vielmehr ließen sich die Betriebsparteien ausreichend Zeit, dieAufgabenbeschreibungen detailliert miteinander zu besprechen.

Jeder Mitarbeiter erhielt seine Aufgabenbeschreibung mit der Bitte zu prü-fen, ob Tätigkeiten, die die Anforderungen seiner Arbeitsaufgabe prägen,darin aufgeführt seien. Falls nicht, sollten sie diese vervollständigen. DieMehrzahl der Beschäftigten war mit der Darstellung ihrer Arbeitsaufgabeeinverstanden. Kleinere Ergänzungen übernahmen die Projektverantwortli-chen nach Rücksprache mit dem jeweiligen Vorgesetzten. Größere Abwei-chungen diskutierte das ERA-Projektteam mit dem Vorgesetzten undArbeitnehmer persönlich.

Durch diese konstruktive Zusammenarbeit bei der Finalisierung der Aufga-benbeschreibungen konnten die Betriebsparteien möglichen Konflikten beider Neueingruppierung frühzeitig entgegenwirken. Nach Auslösen der tariflichvorgegebenen Einspruchsfrist Anfang April 2007 kam es – wie zu erwarten –zu keinerlei Einsprüchen seitens des Betriebsrats. Die Eingruppierung konntekomplett einvernehmlich geregelt werden.

Erst nachdem die Eingruppierung abgeschlossen und mit dem Betriebsratjeder Fall durchgesprochen war, legte die Schaltbau GmbH den definitivenTermin für die Umstellung des Vergütungssystems auf den 1. Juli 2007 fest undinformierte alle Mitarbeiter über die voraussichtliche Zusammensetzung ihreskünftigen ERA-Entgelts.

2.3 Unterschreiter-/Überschreiterregelungen

Bei der Neueingruppierung nach ERA gibt es sowohl Beschäftigte, die durchERA einen Anspruch auf eine höhere Vergütung haben („Unterschreiter“) alsauch solche, denen nach der ERA-Einführung weniger zustünde als zuvor(„Überschreiter“). Letzteren garantiert die Besitzstandswahrung, dass sie nichtweniger ausgezahlt bekommen als bisher. Wie viele Arbeitnehmer von ERAprofitieren und für wie viele nach dem neuen Vergütungssystem die Besitz-standsregelung greift, hängt unter anderem von der Struktur des jeweiligenUnternehmens ab (Verhältnis Angestellte/Arbeiter, Produktionstiefe, Fachar-beiteranteil etc.). Insgesamt geht der VBM, Verband der Bayerischen Metall-

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und Elektro-Industrie e. V., davon aus, dass es nach Abschluss der ERA-Ein-führung in Bayern ein etwa ausgeglichenes Verhältnis von Über- zu Unter-schreitern gibt (Abb. 4).

Nach Abschluss der Eingruppierung ergab sich bei der Schaltbau GmbHfolgendes Bild:

In den Werken in Aldersbach und Velden gab es unter den gewerblichen Mit-arbeitern mit 164 von 177 einen sehr hohen Anteil an Unterschreitern. Die Dif-ferenz von altem Lohn zu neuem ERA-Entgelt fiel in den meisten Fällen rela-tiv gering aus. Die Schaltbau GmbH nutzte hier teilweise die Möglichkeit, dieder ERA-Einführungstarifvertrag bietet, bisherige freiwillige Zulagen zu ver-rechnen. Durch diese Lösung konnte ein hoher finanzieller Mehraufwand beider Überführung der Unterschreiter vermieden werden.Problematischer erwies sich die hohe Anzahl an Überschreitern im Angestell-tenbereich (75 von 110), da der Unterschied zwischen neuem und altem Ver-dienst hier zum Teil sehr groß ausfiel. Das Prinzip der Besitzstandswahrunggarantiert, dass kein Arbeitnehmer künftig weniger Entgelt erhält als vor derERA-Einführung. Die Entgelte von Überschreitern werden sukzessive an das

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0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200

75 13

� Angestellte � gewerbliche MA

Unter-schreiter 35 164

Abb. 4: Unter- und Überschreiter bei der Schaltbau GmbH

Über-schreiter

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neue ERA-Entgelt angeglichen. Dies geschieht mittels Verrechnung von Tei-len der jeweiligen Tariferhöhungen.

Der ERA-Einführungstarifvertrag sieht vor, dass Überschreitern die Entgelt-differenz in Höhe von bis zu zehn Prozent des bisherigen tariflichen Entgeltsals Ausgleichszulage, eine darüber hinausgehende Differenz als Überschreiter-zulage ausbezahlt wird. Bei der Schaltbau GmbH einigten sich die Betriebs-parteien darauf, die Ausgleichszulage zu begrenzen. Durch diese betriebsspe-zifische Lösung konnte Schaltbau mögliche Konflikte vor allem am Haupt-standort München vermeiden.

2.4 Leistungsabhängiges Entgelt: gleiche Maßstäbe für alleDas ERA-Grundentgelt bemisst sich an den Anforderungen der dem Arbeit-nehmer übertragenen Tätigkeiten. Mit dem variablen leistungsabhängigenEntgelt wird zusätzlich das Arbeitsergebnis und das Engagement des jeweili-gen Beschäftigten honoriert. Für die Ermittlung des leistungsabhängigen Ent-gelts schreibt der ERA-Tarifvertrag kein einheitliches Vorgehen vor, sondernstellt den Betrieben mehrere Möglichkeiten (Entgeltgrundsätze) zur Auswahl– einzeln sowie in Kombination:

• Zeitentgelt mit der Methode der Leistungsbeurteilung

• Leistungsentgelt (Prämie oder Akkord) mit der Methode des Kennzahlen-vergleichs

• Zielentgelt mit der Methode des Soll/Ist-Vergleichs im Rahmen einer Ziel-vereinbarung

Die Schaltbau GmbH hatte den variablen Anteil von Lohn und Gehalt bereitsvor der ERA-Einführung an den Standorten München und Aldersbach anhandeiner Leistungsbeurteilung ermittelt. In einigen Produktionseinheiten in Vel-den erhielten die Arbeitnehmer eine eingefrorene Prämie in Höhe von durch-schnittlich knapp 20 Prozent.

Die Systemumstellung auf ERA nutzte das Unternehmen zur Vereinheitli-chung des Entgeltgrundsatzes. Ein knappes halbes Jahr vor dem ERA-Ein-führungstermin legten die Betriebsparteien bei Schaltbau fest, dass das leis-tungsabhängige Entgelt der Tarifbeschäftigten an allen drei Standorten künf-tig über die Leistungsbeurteilung ermittelt werden sollte.

Da ERA für das leistungsabhängige Entgelt einen betrieblichen Durchschnittvon 14 Prozent vorschreibt, verringerte sich das leistungsabhängige Entgelt derPrämienlöhner zum Teil deutlich. Dies erwies sich allerdings als weniger pro-blematisch, da dies vor allem die Mitarbeiter betraf, die über die Neueingrup-pierung durch eine Erhöhung ihres ERA-Grundentgelts profitiert hatten.

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2.5 Fazit: Aufwändig, aber erfolgreichSeit Juli 2007 erhalten die Tarifbeschäftigten der Schaltbau GmbH aller dreiStandorte in Bayern ERA-Entgelt. Auch wenn die Einführung aus Sicht derVerantwortlichen gerade in der Anfangsphase aufgrund der Komplexität desThemas etwas mühsam verlief, blickt das Projektteam nun auf eine erfolgrei-che Arbeit zurück.

Im Nachhinein haben sich vor allem zwei Entscheidungen vorteilhaft auf dieSystemumstellung bei der Schaltbau GmbH ausgewirkt: schnell nach derUnterzeichnung der ERA-Tarifverträge mit der Umsetzung zu beginnen sowieeng mit dem Betriebsrat und den Führungskräften zusammenzuarbeiten. Derbaldige Projektstart machte eine saubere Planung und koordinierte Kommuni-kation über alle Standorte hinweg möglich. Die konstruktive Zusammenarbeitder Betriebsparteien förderte bereits zu einem frühen Zeitpunkt das Ver-ständnis und die Akzeptanz des neuen Vergütungssystems.

Die ERA-Einführung bei Schaltbau verlief nicht ohne Diskussionen. Abermit einer großen Bereitschaft der Betriebsparteien, eine zukunftsfähigeLösung zu finden, gelang dem Unternehmen die Etablierung eines transpa-renten und gerechteren neuen Vergütungssystems. Für das Grundentgelt unddie Berechnung des leistungsabhängigen Entgelts aller Mitarbeiter gelten nundie gleichen Maßstäbe. Bei der Eingruppierung von Neueinstellung könnensich die Personalverantwortlichen bei Schaltbau heute an objektiven und ver-bindlichen Kriterien orientieren.

Anschrift der Verfasser:

Bertram Brossardt Hauptgeschäftsführer VBM – Verband derBayerischen Metall- und Elektro-Industrie e. V.Max-Joseph-Str. 5, 80333 MünchenTelefon: 089/55178102

Gerhard MantlPersonalleiter Schaltbau GmbH,Schaltbau GmbHKlausenburger Str. 681677 München Telefon: 089/93005-214 E-mail: [email protected]

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Entgeltsysteme fördern unternehmerisches Handeln – das Beispiel der Göttinger Sartorius AG

von B. Engelmarten, H. Möhwald, G. Pfahlert, W. Werkmeister

Gliederung1 Einführung

2 Sartorius Mechatronics ist Anbieter von Labor- und Prozesstechnologie

3 Neue Entgeltregelung in der Montage Mechatronics

4 Die besondere Situation bei Sartorius electronics

5 Die Entstehung von Sartorius electronics

6 Einführung von Gruppenarbeit und Prämienentlohnung

7 Weiterentwicklung durch Mitarbeitergespräche und Kompetenzentwicklung

8 Gewinnorientierte Prämie für die Mitarbeiter (Teildeckungsbeitrag)

9 Mitarbeitergetragener und führungsgestützter KVP

10 Fazit

ZusammenfassungDer Artikel beschreibt die Entwicklung eines neuen Entgeltsystems mit dem Ziel,die Mitarbeiter zu unternehmerischem Handeln zu motivieren. Bei der Montageist in erster Linie die Liefertreue, in der Eletronikfertigung der Teildeckungsbei-trag eine wesentliche Prämien- bzw. Bonuskomponente.

SchlüsselwörterEntgeltsystem, Gruppenarbeit, Kennzahl, Kontinuierlicher Verbesserungspro-zess, Liefertreue, Mitarbeitermotivation, Prämie, Prozess, Teildeckungsbeitrag,unternehmerisches Handeln

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1 EinführungFür Unternehmen ist es eine große Herausforderung, seine Mitarbeiter für einumfassendes unternehmerisches Handeln zu gewinnen. Je größer das Unter-nehmen, desto abstrakter der Zusammenhang zwischen der Leistung des ein-zelnen Mitarbeiters und dem ökonomischen Erfolg des Unternehmens. Nochschwieriger gestaltet sich die Herausforderung, wenn sich die Unternehmen indynamischen turbulenten Märkten unter Einfluss der Globalisierung befinden.Für viele der Mitarbeiter ist es ohne strukturale Führung kaum überschaubar,den richtigen Beitrag zur Unternehmensentwicklung herauszufinden.

Sartorius Mechatronics aus Göttingen hat in den Fertigungsbereichen Monta-ge und Elektronikfertigung mit einer zielgerichteten Betriebsvereinbarung denGrundstein für die Förderung unternehmerischen Handelns bei den Mitarbei-tern gelegt. Ausgehend von einer Verschärfung der Marktsituation durch neueWettbewerber aus Osteuropa und Asien haben die arbeitspolitischen Partnerneue Lösungen kreiert, um den Wettbewerb erfolgreich zu gestalten. In denGeltungsbereichen des Unternehmens ist der Lösungsansatz je nach Mitarbei-terzahl, Fertigungsprodukt und Einflussmöglichkeit unterschiedlich gewählt.In der Montage ist unternehmerisches Handeln in erster Linie bei der neuenPrämienkomponente „Liefertreue“ gefragt. In der Elektronikfertigung wirddie Prämie der Mitarbeiter nach den unternehmerischen Erfolgskennzahlen(z.B. Deckungsbeitrag) des Bereiches berechnet. Unternehmerisches Handelnsteuert hier den Erfolg. In dem Beitrag steht die Regelung in der Elektronik-fertigung im Mittelpunkt.

Die Entwicklung des neuen Entgeltsystems erfolgte im Rahmen des For-schungsprojektes „Integrierte Modernisierungs-Prozesse in kleinen und mittle-ren Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes (IMPROVE)“. Dieses For-schungsprojekt wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung undForschung (BMBF) innerhalb des Rahmenkonzeptes „Forschung für die Pro-duktion von morgen“ gefördert und vom Projektträger ForschungszentrumKarlsruhe (PTKA) betreut.

2 Sartorius Mechatronics ist Anbieter von Labor- und Prozess-technologie

Der Sartorius Konzern ist ein international führender Anbieter für Labor-und Prozesstechnologie mit den Segmenten Biotechnologie und Mechatronik.Der Technologiekonzern erzielte im Jahr 2006 einen Umsatz von 521,1 Mil-lionen Euro. Das 1870 gegründete Göttinger Unternehmen beschäftigt zurzeitrund 4.500 Mitarbeiter. Das Segment Biotechnologie umfasst die Arbeits-schwerpunkte Fermentation, Filtration, Purification, Fluid Management und

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Labor. Im Segment Mechatronik werden insbesondere Geräte und Systemeder Wäge-, Mess- und Automationstechnik für Labor- und Industrieanwen-dungen hergestellt. Die wichtigsten Kunden von Sartorius stammen aus derpharmazeutischen, chemischen sowie der Nahrungsmittel- und Getränke-industrie und aus zahlreichen Forschungs- und Bildungseinrichtungen desöffentlichen Sektors. Sartorius verfügt in Europa, Asien und Amerika übereigene Produktionsstätten sowie über Vertriebsniederlassungen und örtlicheHandelsvertretungen in mehr als 110 Ländern.

Das Segment Mechatronik macht etwas weniger als die Hälfte des Konzern-umsatzes aus und hat den Schwerpunkt der Fertigung in Göttingen. Die Fer-tigung ist aufgeteilt in die Vorfertigungsbereiche „zerspanende Fertigung“(Teilefertigung) und „Elektronikfertigung“ sowie die Montage bis zum ferti-gen Produkt. Die Geltungsbereiche der neuen Betriebsvereinbarung überEntgeltsysteme ist die gesamte Prozesskette (s. Abb. 1) mit Ausnahme derTeilefertigung.

Beschaf-fungWEK

Electronics

Montage

Teilefertigung

Meister/AV

Lagerort74+75

Packerei

ZubehörLager

EbIT

Meister/AV

Abb. 1: Überblick über die Bereiche, die vom neuen Entgeltsystem berührt sind

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In der Montage Mechatronics arbeiten ca. 180 Mitarbeiter in sechs Gruppen.Die Einbindung in die komplexen unternehmerischen Prozesse ist so wie inanderen Unternehmen auch: Die Kundenkontakte hat der Vertrieb, dieBeschaffung erfolgt durch den Einkauf, und neue Produkte werden in der Ent-wicklung kreiert. Der Einfluss auf unternehmerischen Erfolg beschränkt sichweitgehend auf das, was innerhalb eines Montagebereiches gesteuert werdenkann: Qualität, Schnelligkeit, Effizienz und Liefertreue.

3 Neue Entgeltregelung in der Montage MechatronicsDen geringen unternehmerischen Einflussmöglichkeiten der Montagemitar-beiter musste ein passendes Entgeltsystem für die Montage Rechnung tragen.Eine Prämie für unternehmerisches Handeln würde an dieser Stelle verpuf-fen, da die Einflussnahme dafür viel zu gering ist. Stattdessen wurden die bei-den möglichen Prämienbestandteile Effizienz und Liefertreue herangezogen.Die Effizienz berechnet sich nach Anwesenheitszeit und Fertigungsstundenbzw. Sollzeit zu Istzeit. Werden in einem Zeitraum (x) mehr Fertigungsstun-den (y) geleistet, steigt die Prämie (Prämie = x/y). Die Logik der Prämie istgut verständlich und die individuelle Einflussnahme nachvollziehbar. Nachdieser Methodik werden die Mitarbeiter seit Einführung der Gruppenarbeitim Jahr 1995 entlohnt und sind mit der Wirkungsweise und Steuerung bestensvertraut. Der innovative Ansatz bei diesem Prämienbestandteil ist die anste-hende jährliche Anpassung: Die Einführung der Prämie erfolgt in drei Schrit-ten, jeweils einmal im Jahr werden die Werte für die Prämienausgangsleis-tung (Wert, zu dem die Prämienhöhe = 0 ist) und der Prämienendpunkt(maximaler Prämienwert) neu festgelegt. Die Sollleistung wird dabei in dreiJahren um 15% erhöht.Eine Neuheit für die Montage und auch für die Elektronikfertigung ist dieEinführung einer Prämie für die Liefertreue. Grundlage war dafür die Über-legung, dass den Kunden die pünktliche Belieferung nach zugesagtem Terminimmer wichtiger wird. Der Kunde, wenn es ein Händler ist, will möglichstwenig Materialien und Produkte vorhalten und muss sich deshalb natürlichauf zugesagte Belieferungstermine verlassen können. Bei europäischen Kun-den hat man deshalb bei hoher Liefertreue einen Vorteil gegenüber weit ent-ferntem Wettbewerb, der nur mit Zusatzkosten der Luftfracht kurzfristig undpünktlich liefern kann. Klar war bei der Einführung der Prämie für Liefer-treue auch, dass isolierte Teilbereiche im Gesamtunternehmen (z.B. nur dieMontage) nicht allein für die pünktliche Fertigstellung von Produkten verant-wortlich sein können.

Die Beschaffung muss Material rechtzeitig bereitstellen, die Vorfertigungmuss die Komponenten pünktlich fertigen, und der Versand muss zugesagte

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Produkte sofort ausliefern. Also wurde die gesamte Prozesskette (s. Abb. 1)in die Prämie einbezogen. Ebenso wie die Effizienz wird auch die Liefertreuestufenweise eingeführt, und zwar in zwei Schritten. Damit wird den Mitarbei-tern mehr Zeit gegeben, ihre Einflussmöglichkeiten auf die Liefertreue zutrainieren. In der Beschaffung, dem ersten Glied in der Kette, kümmert sichder Einkäufer mit erhöhter Motivation und erarbeitet Alternativen, wenn einMaterial nicht rechtzeitig einzutreffen scheint. In der Montage wird am Taglänger gearbeitet, wenn dadurch eine Lieferung doch noch pünktlich ausge-liefert werden kann. Der Versand setzt seine Prioritäten entsprechend desLiefertermins und nicht nach „first in – first out“, da er die Liefertreue unmit-telbar und selbst steuern kann.

4 Die besondere Situation bei Sartorius electronicsAnders ist die Situation bei Sartorius electronics: Mit einem Gesamtumsatzvon knapp 20 Millionen Euro und einer Mitarbeiterzahl von aktuell etwasmehr als 80 ist die Elektronikfertigung als „Sartorius electronics“ ein kleinerexterner Anbieter in seiner Branche. Ca. 60% seines Umsatzes macht Sartori-us electronics mit seinen internen Kunden im weltweiten Sartorius-Konzern.Die anderen 40% sind so genannter externer Umsatz mit Kunden außerhalbdes Konzerns. Innerhalb von zehn Jahren haben sich Umsatz und Mitarbeiter-zahl nahezu verdoppelt. Allerdings hat es vor zehn Jahren noch keinen Umsatzmit externen Kunden gegeben. Der Umsatz im internen Geschäft hat sich nurunwesentlich verändert, da trotz des dramatischen Umsatzanstiegs des Sartori-us-Konzerns der interne Verkaufspreis durch Rationalisierungserfolge und sin-kende Materialkosten nicht weiter angestiegen ist.

Die Produktpalette von Sartorius electronics hat sich im Laufe der Zeit eben-falls verändert. Anfangs waren es ausschließlich die Elektronikbaugruppen fürdie Produkte aus dem Sartorius-Konzern. Für einfachere Endprodukte wurdeneinfache Elektroniken benötigt, häufig dafür in größerer Stückzahl. Wenn dieLeistungsmerkmale eines Endproduktes anstiegen, erhöhte sich auch die Leis-tung der Elektronik und die Fertigung wurde anspruchsvoller. Häufig war ebendiese Tendenz auch mit einer kleineren Stückzahl verbunden. Mit der Zunah-me der externen Kunden nahm dann auch die Vielfalt der Anfragen zu. Durchdie gute Qualifikation im Fachbereich konnten somit auch anspruchsvollereGeräte der Messtechnik von außerhalb des Konzerns realisiert werden. Mitt-lerweile werden komplette Geräte für externe Kunden gefertigt, also nebender Elektronikfertigung auch Geräteendmontage durchgeführt. Gerade imsüdniedersächsischen Messtechnik-Netzwerk „Measurement Valley“ hat sichSartorius electronics damit einen Namen gemacht.

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5 Die Entstehung von Sartorius electronicsDie Entstehungsgeschichte von Sartorius electronics prägt den späteren Son-derweg bereits vor. Anfang der 90er Jahre war Sartorius electronics noch aus-schließlich die Elektronikfertigung für den Sartorius-Konzern. Die Elektroni-ken wurden in Göttingen gefertigt und in die Sartorius-Waagen eingebaut.Der Bereich war in die Teilbereiche Bestückung und Prüfung unterteilt. BeideBereiche standen durchaus in einer Art von Konkurrenz zueinander, da dereine Teil der Mannschaft das prüfte, was der andere fertigte. Die weltwirt-schaftliche Entwicklung in der ersten Hälfte der 90er Jahre war nicht beson-ders rosig, und speziell die Elektronikfertigung befand sich in einer prekärenSituation: In Osteuropa und mehr noch in Südostasien entwickelte sich einsehr ernst zu nehmender Wettbewerb für diese Branche. Hinzu kamenBetriebsmittel, die nicht mehr auf dem aktuellen Stand waren und nicht pro-duktiv fertigten. Elektronikfertigung galt im Sartorius-Konzern nicht als för-derungswürdige Kernkompetenz. Auf einer Betriebsversammlung im Jahr1994 wurde der Belegschaft der Elektronikfertigung von der Geschäftsleitungmitgeteilt, dass ihre Arbeitsplätze nach Südostasien verlagert würden und siebald mit der Entlassung zu rechnen hätten.

Zwei Manager des Bereiches wurden beauftragt, in Südostasien nach einemgeeigneten Unternehmen zu suchen, welches die Fertigung von Elektronik-baugruppen für Sartorius übernehmen könnte. Auf ihrer Reise wurden die bei-den Manager allerdings mit grundlegend anderen Sichtweisen konfrontiert.Ein potenzieller malaysischer Partner machte den Deutschen schnell klar, dasssie an einer Zusammenarbeit nur interessiert sind, wenn Stabilität gegeben ist.Ein Technologieunternehmen aus der Messtechnikbranche, welches sich vonseiner Elektronikfertigung trennt, trennt sich von einem bedeutenden Teil sei-ner Kernkompetenz. Von dieser Sichtweise überrascht und natürlich auchbegeistert, entwarfen die beiden Asien-Reisenden ein Alternativkonzept zurVerlagerung. Durch gezielte Investitionen in moderne und leistungsfähigeBetriebsmittel und durch die Konzentration auf Kernkompetenzen sollte derStandort in Göttingen für die Elektronikfertigung gerettet werden.

6 Einführung von Gruppenarbeit und PrämienentlohnungNach dem Entschluss zum Erhalt des Standortes der Elektronikfertigung inGöttingen wurden neben technologischen Veränderungen auch Organisations-und Personalveränderungen realisiert. Nach zähen Verhandlungen zwischenBetriebsrat und Management wurde eine neue Betriebsvereinbarung verab-schiedet. In dieser Vereinbarung wurde zum einen die Einführung der Organi-sationsform Gruppenarbeit festgelegt. Passend zu der Gruppenarbeit wurde

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zum anderen zusätzlich eine Vereinbarung über die Einführung einer Prämien-entlohnung beschlossen. Beide Vereinbarungen galten für die Elektronikferti-gung und für die Montage gleichermaßen und sind damit quasi die Vorläuferder aktuellen Neuregelung. Zum damaligen Zeitpunkt waren die Regelungen aufgrund der vergleichbarenSituation zwischen Montage und Elektronikfertigung identisch. Auch in derMontage gab es den Druck für Veränderungen, und es wurden auf Produkt-gruppenbasis sechs Module gebildet, die jede für sich nach eigener Gruppen-prämie entlohnt wurden. Nach der Einzelakkorderfahrung der meisten Mitar-beiter war es nicht ganz einfach, sich auf die erhofften Gruppeneffekte einzu-stellen und das Handeln entsprechend auszurichten. Nach den langen Ver-handlungen folgte eine längere Zeit der Eingewöhnung hinsichtlich der neuenPrämie und der neuen Arbeitsform.Die restrukturierten Fertigungsbereiche Montage und Elektronik hattennun eine moderne Arbeitsorganisation, eine leistungsorientierte Bezahlungmit ganzheitlicher Optimierungskomponente und eine Führungsmannschaft,die diese Herausforderungen zu begleiten hatte. Die Position des Vorarbei-ters wurde abgeschafft, die Mitarbeiter wurden als Experten in die Gruppenintegriert. Es wurden Gruppensprecher gewählt und wöchentliche Grup-pengespräche als Ort der Gruppenfindung und der Optimierung vereinbart.Für die gesamte Gruppe mit Gruppengrößen von damals 15 bis 40 Ferti-gungsmitarbeitern gab es eine gemeinsame Gruppenprämie, die sich ausdem Verhältnis von Anwesenheitszeit zu Fertigungszeit berechnete. DasZiel: die Potenziale der bereichsweiten Zusammenarbeit nutzen, insbeson-dere die bislang kritische Kooperation zwischen Bestückung und Prüfungverbessern.Die erwarteten Effekte konnten zunächst nicht realisiert werden. Im Gegen-teil: durch die gemeinsame Prämie taten sich an den bereits bekannten Bruch-stellen noch größere Lücken auf. Waren Probleme in der Zusammenarbeit bis-lang in erster Linie ärgerlich, so führten sie im Prämienlohnsystem zu Geld-verlusten. Die Schuldigen sind in solchen Situationen schnell bei den anderengefunden. Hinzu kam vermehrte Aufmerksamkeit bei Rauch- und Kaffeepau-sen, also die bekannten Problemlagen bei gruppenorientierten Entlohnungs-systemen. An dieser Stelle zeigte sich der Erfolgswille der Produktionsleitung,die nach dem mühsamen Weg der Restrukturierung nun nicht aus diesenGründen scheitern wollte. Es wurden für das Unternehmen bislang einmaligeAktivitäten umgesetzt, um die Gruppenarbeit inklusive der Prämienentloh-nung erfolgreich zu implementieren:• Gruppendynamik-Workshops: Über mehrere Samstage hinweg fanden sich

die Gruppenmitglieder in Kleingruppen bzw. als Gesamtgruppe zu Workshops

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zusammen. In den Workshops wurden Regeln für die Zusammenarbeit ver-einbart und Probleme besprochen. Das Instrument Workshop wird auch zehnJahre nach Einführung der Gruppenarbeit zielgerichtet verwendet (Abb. 1).

• Job rotation: Die Mitarbeiter beschlossen ein System der Job rotation zwischenden verschiedenen Teilbereichen der Fertigung. In der Montage wurde zwi-schen den Bereichen der Vormontage und der Komplettierung rotiert, in derElektronikfertigung zwischen den Bereichen Prüfung und Bestückung. DieMaßnahme zog bei vielen Mitarbeitern Kritik nach sich, wollte man den ange-stammten Platz nicht verlassen und schon gar nicht „bei denen da“ arbeiten.Nach dem Prinzip des Vor- und Nachmachens haben zunächst einige „Mutige“den Schritt in den anderen Bereich gewagt und dabei rasch festgestellt, dass derWeg insgesamt für die Prämienerreichung sehr sinnvoll war. Hier und da einkleiner Verbesserungsvorschlag ließ den Gesamtablauf reibungsloser werden.

• Führungskräftetraining und Coaching: Eine Schlüsselrolle bei derartigen Ver-änderungen kommt den Führungskräften zu. Sie müssen die neuen Mechanis-men verinnerlichen und die Umsetzung unterstützen. Sie müssen auf Kritik und„Genörgel“ die passende Antwort wissen und neue Ansätze vorleben. DieDelegation von Verantwortung und Entscheidung in die Gruppe hängt sehr engdamit zusammen, inwieweit die Aufgaben auch wirklich abgegeben werden. InSchulungen wurden die Maßnahmen und Methoden erläutert und diskutiert.Durch einen externen Coach wurde der gesamte Prozess begleitet. Der Coachstand den Mitarbeitern und den Führungskräften gleichermaßen zur Seite.

Abb. 2: Mitarbeiter arbeiten auf dem Gruppendynamik-Workshop Regeln aus

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Nach ca. zwei Jahren hatte die Implementierung der Gruppenarbeit soweit anStabilität gewonnen, dass der Einführungsprozess als beendet betrachtet werdenkonnte. Die Ergebnisse stabilisieren sich, und die Mitarbeiter erreichten regel-mäßig ihre Prämie, was ein Indiz für gelungene Optimierung innerhalb desBereiches in Verbindung mit ausreichender Leistungserbringung ist. Die kriti-sche Diskussion galt dann lediglich noch der Größe der Gruppe, die 1998 in derElektronikfertigung bei insgesamt über 40 Mitarbeitern lag. Eine Aufteilung derGruppe in bewährte Gruppenarbeitsgrößen hätte aber unweigerlich die über-wundenen Konflikte zwischen den Teilbereichen wieder heraufbeschworen.

7 Weiterentwicklung durch Mitarbeitergespräche undKompetenzentwicklung

Ende der 90er Jahre hatten sich in der Montage und der Elektronikfertigungdurch die Gruppenarbeit, die Prämienentlohnung und durch neue Betriebs-mittel Rationalisierungserfolge eingestellt. Im Jahr 1998 wurde auf Basis die-ser Entwicklung in der Elektronikfertigung erstmals ein Produkt für einenKunden außerhalb des Sartorius-Konzerns gefertigt. Das war der Beginn desDienstleistungsgeschäfts mit anfänglichen Steigerungsraten von mehr als 50 %.Durch das zusätzliche Geschäft erhöhte sich die Auslastung der teurenBetriebsmittel und Materialkosten sanken durch ein höheres Mengengerüst.Allerdings hatte die Entwicklung auch Kehrseiten: Die Anforderungen an dastechnologische Know-how und an die Flexibilität der Mitarbeiter stieg drama-tisch an. Jeder neue Kunde brachte neue Produkte mit ein und die zu fertigen-den Losgrößen variierten enorm. Die Dispositionsaufgaben, das Material-handling und die Maschinenführung wurden immer anspruchsvoller. Aberauch in der Montage wurden immer weiter neue Aufgaben in die Gruppen ver-lagert. Vom Freischalten der Aufträge über Transportaufgaben bis hin zu klei-neren Bestellvorgängen hatte sich die Anforderung an die Montagearbeiterhöht. Da diese Herausforderungen mit dem existierenden Personal sowieeinigen neuen Mitarbeitern bewältigt werden mussten, wurde von der Produk-tionsleitung mit weiteren Maßnahmen reagiert:

• Mitarbeitergespräche: Die Führungskräfte in der Montage und bei Sartoriuselectronics müssen seit dem Jahr 2000 einmal im Jahr mit den Mitarbeiternihres Bereiches ein Mitarbeitergespräch führen. Das Gespräch erfolgt aufBasis eines Leitfadens und wird dokumentiert. Die Fragen beziehen sichneben der allgemeinen Einschätzung der Arbeitssituation auch auf die per-sönliche berufliche Entwicklung und auf den Abgleich zwischen Kompetenzenund Anforderungen. Nach anfänglich defensiver Annahme der Gespräche hatsich das Instrument mit der Zeit etabliert. Die Chance, einmal im Jahr diegegenseitigen Vorstellungen abzugleichen, wird positiv wahrgenommen.

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• Kompetenzentwicklung: Den Schwerpunkt der zweiten Veränderungsphasenahm das Thema Kompetenzentwicklung ein. Ausgangspunkt war dieWahrnehmung deutlich gestiegener Anforderungen an die Fertigkeit unddas Wissen der Mitarbeiter. Dem gegenüber stand die Annahme, dass dieMitarbeiter in überwiegender Zahl noch Weiterentwicklungspotenzialhaben. Da bis zu dem Zeitpunkt Kompetenz- und Personalentwicklung eherzufällig, situativ und sparsam stattfand, sollte mit entsprechenden Aktivitä-ten das reichlich vorhandene Potenzial zu heben sein. In den Mitarbeiterge-sprächen wurden die Mitarbeiter gefragt, wo sie für sich persönlich Ent-wicklungsbedarf sehen, wo es Schwierigkeiten gibt und welche Schulungensie für sich innerhalb oder außerhalb des Arbeitsprozesses sehen. DasErgebnis war ausgesprochen vielfältig und in der Intensität ebenfalls hete-rogen. Es gab eine geringe Anzahl von Mitarbeitern, die für sich keine Maß-nahmen wünschten und keine Möglichkeiten sahen. Die größte Nachfragebestand nach EDV-Schulungen, da der PC verstärkt in der Fertigung Ein-zug gehalten hatte und eine entsprechend systematische Vorbereitung derMitarbeiter nicht stattfand. Andere Inhalte waren sehr eng an der Tagesar-beit orientiert. Lötschulungen, Grundlagenwissen, Material und Betriebs-mittelkenntnisse waren die Schwerpunkte in diesem Bereich.

Die erarbeiteten Schulungsinhalte wurden umgehend in Maßnahmen umge-setzt. Je nach Inhalt nahmen Mitarbeiter an externen Seminaren teil oder wur-den im Arbeitsprozess von Kollegen in die Arbeitsinhalte eingewiesen. Fürden größten Teil der Mitarbeiter war die Kompetenzentwicklung mit positiverErfahrung verbunden, allerdings sind einige wenige an dem Vorhaben der per-sönlichen Weiterentwicklung gescheitert. Insbesondere der Tätigkeitswechselz.B. in die Maschinenführung der anspruchsvollen SMD-Bestückungsmaschi-nen führte auch zu Negativerfahrungen. Einige Mitarbeiter kehrten mit derErfahrung an ihren angestammten Arbeitsplatz zurück, dieser Weiterentwick-lung nicht gewachsen zu sein.

8 Gewinnorientierter Bonus für die Mitarbeiter (Teildeckungsbeitrag)

In der Elektronikfertigung ist jetzt ein Entgeltsystem implementiert, das vollund ganz auf unternehmerisches Handeln der Mitarbeiter setzt. Zehn Jahrenach Einführung der Gruppenarbeit und des leistungsorientierten Bonus hatdie Bereichsleitung beim Betriebsrat die Verhandlung einer kompletten Neu-regelung angestoßen. Parallel dazu wurden auch in der Montage Gesprächeüber eine neue Regelung geführt. Wie war dort nach zehn Jahren der Stand?Die Gruppenarbeit hatte sich als Form der Arbeitsorganisation etabliert undwar bis hin zum Vorstand als „best way“ akzeptiert. Die Gruppen nutzten die

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Potenziale intelligenter Zusammenarbeit und wussten sehr wohl, welcheSchrauben zu drehen sind, um die Leistung der Gruppe optimal auf den Punktin Richtung Höchstprämie zu steuern. Die Gruppen kannten ihr Metier genauund erreichten immer eine Prämie im oberen Bereich. Die Gruppen wähltenjährlich ihren Gruppensprecher und führten monatliche Gruppengespräche zuden aktuellen Zielstellungen durch.

Für die Gruppenmitglieder war die Welt damit ziemlich in Ordnung, da sie sichin einem verlässlichen Rahmen bewegten und sich Routinen angewöhnt haben.Der Bereichsleitung war die Situation allerdings weniger recht. Hauptkri-tikpunkt an der bestehenden Prämienregelung war, dass sie aus einer Zeit mitvöllig anderen Voraussetzungen stammte. Bei der Einführung 1995 galt aus-schließlich das Prinzip der Leistung in Form von fertigen Produkten in Zeit-einheiten. Mittlerweile ist jedoch ein nennenswertes Dienstleistungsgeschäftentstanden, in dem viele neue Faktoren hinzukommen. Flexibilität in der Los-größe und Termintreue sind Themen, denen mit Leistung unter Umständennicht beizukommen ist bzw. wo herkömmliche Leistungskennziffern den Mit-arbeitern die Prämie verhageln würden. Der Kunde konnte zwar durch flexibleAktionen und kleine Losgrößen zufrieden gestellt werden, die klassische Leis-tungsprämie jedoch war dadurch verloren.

Zwischen Bereichsleitung und Betriebsrat wurde deshalb ein ergebnisorientier-ter Bonus vereinbart. Dieser Bonus hat einen Geltungsbereich für Sartoriuselectronics gesamt. Nicht wie vorher nur die Fertigung, sondern auch Entwick-lung, Beschaffung, Engineering und Vertrieb sind mit im Boot. Der Unterneh-mergeist der Mitarbeiter wird gefördert und gefordert, im Erfolgsfall hono-riert. Die Zusammensetzung des Teildeckungsbeitrages als Bonusbezugsgrößeist jedoch nicht ganz einfach. Da der Betriebsrat für den Sartorius-Konzern ins-gesamt zuständig ist und der Sartorius-Vorstand ebenfalls die Konzerninteres-sen gewahrt sehen wollte, setzt sich der Teildeckungsbeitrag aus zwei Kompo-nenten zusammen. Für das externe Dienstleistungsgeschäft ist der Bonusbezugeher simpel: Der Umsatz mit den externen Kunden abzüglich der dafür anfal-lenden Kosten ist der Deckungsbeitrag III. Etwas komplizierter nachzuvollzie-hen ist der interne Teil der Prämie. Am Anfang des Jahres wird für den inter-nen Anteil ein Plankosten-Satz abgegeben. Mit dem Aufwand X soll die Stück-zahl Y gefertigt werden. Wird jetzt mit geringerem Aufwand die gleiche Stück-zahl oder mit gleichem Aufwand eine größere Stückzahl gefertigt, sind dieRestkosten negativ! Der Teildeckungsbeitrag ergibt sich nun aus der Summeder beiden Komponenten. Ziel muss es nun sein, beide Komponenten gleich-berechtigt im Auge zu behalten (Abb. 3).

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Was sich beim ersten Studium als anspruchsvolle und komplizierte Regelungdarstellt, ist es in der Realität auch. In mehreren Gruppengesprächen und vie-len Einzelgesprächen hat die Bereichsleitung versucht, den Geist dieser Rege-lung zu vermitteln. An welchen Schrauben kann ich drehen, damit der Bonuserreicht werden kann? Sind es sechs Monate nach Einführung des Systemserst einige wenige Leistungsträger, die die Kennzahl Teildeckungsbeitrag ver-innerlicht haben, so werden es zusehends mehr Mitarbeiter, so dass derBereich hier insgesamt auf einem guten Weg ist. Da dieses Problem aufgrundder zehn Jahre zurückliegenden Erfahrung mit der Einführung von Gruppen-arbeit und Prämienentlohnung erwartet wurde, muss die neue Kennzahl zurvollen Bonusauszahlung auch nur zu 90% erreicht werden, im Folgejahr zu95% und dann zu 100%. Nachdem im ersten Jahr der neuen Regelung dasJahr bereits um ist, kann nach ersten vorliegenden Auswertungen von einemErreichen des Bonus ausgegangen werden. Die neue Prämienregelung scheintdamit erfolgreich zu sein.

Dienstleistungsgeschäft extern:

Umsatz

minus Herstellkosten

Deckungsbeitrag III

Konzerngeschäft intern:

Plankosten

minus Ist-Fertigungskosten

Restkosten*

Deckungsbeitrag III

plus Restkosten

Teildeckungsbeitrag

*Restkosten: Überdeckung: negativer Zahlenwert; Unterdeckung: positiver Zahlenwert

Abb. 3: Der Teildeckungsbeitrag setzt sich aus internem und externem Umsatzzusammen

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9 Mitarbeitergetragener und Führungsgestützter KVPDie Einführung der neuen ergebnisorientierten Vergütung in der Elektronik-fertigung und auch des Bonus mit fortgeschriebener Leistungssteigerung wirdmit einem zusätzlichen neuen Instrument begleitet: dem Kontinuierlichen Ver-besserungsprozess (KVP). Für den Sartorius-Konzern ist das Instrument neu,so dass hier noch keine verwertbaren Erfahrungen vorliegen.

In der Montage wird der KVP-Prozess durch speziell ausgebildete Prozessin-genieure begleitet. Unmittelbar nach der Verabschiedung der Betriebsverein-barung wurde mit der Vorbereitung des KVP begonnen. Dem Konzept liegtdie Trennung des KVP in Makro- und Mikro-KVP zugrunde, also die Tren-nung in Struktur- und Prozessverbesserungen. Dafür werden die Mitarbeiter inKVP-Schulungen durch die Prozessingenieure auf das Thema vorbereitet undlernen dabei, den Verbesserungsgedanken aufzunehmen. Zunächst werden dieMitarbeiter mit dem Mikro-KVP vertraut gemacht, also dem Erkennen dervielen kleinen Verschwendungen rund um den Arbeitsplatz. Der ungünstigeGreifweg, die nicht sortierten Werkzeuge sind einfache Beispiele für ver-schwendete Zeit, die mit einfachen Mitteln behoben werden können.

Werkzeuge

Makro-KVPStrukturverbesserungen

Ziel:Schaffung

Transporte Strukturenals Basis für Mikro-KVP

Mikro-KVPProzessverbesserungen

Ziel:Durch Vermeidung

von Verschwendung Wertschöpfung erhöhen

Methoden

KVP-MottoNicht härter arbeiten, sondern klüger!

Abb. 4: Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)

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Der Makro-KVP geht in seiner Zielstellung einen großen Schritt weiter undstellt ganze Prozesse in Frage. Als Vorbereitung wird die Gruppe zu einemexternen KVP-Training an einem speziellen Montagesimulator entsendet. Vondort zurück werden die Prozesse im Bereich und zwischen den Bereichen eben-so in Frage gestellt, wie die Aufstellung von Betriebsmitteln und das Layoutder Abteilung. Ebenso werden interne und externe Materialflüsse analysiertund korrigiert. Jeder unnötige Weg, jeder zu weite Weg ist Verschwendungund kostet der Gruppe Zeit. Wenn Wege- und Suchzeiten in der Gruppe dra-matisch verkürzt werden können, kann sich die Gruppe besser ihrer eigentli-chen Aufgabe widmen, nämlich der Montage. KVP ist demnach ein Instrumentzur besseren Erreichung der Gruppenprämie und hilft Mitarbeitern undUnternehmen zu mehr Effizienz (Abb. 4).Im Bereich der Elektronikfertigung hat man sich mit Unterstützung eines exter-nen Beraters ein etwas anderes KVP-System erarbeitet. Der Bonus für denUnternehmenserfolg ist komplexer als die Montagelösung und muss mit nochmehr Aufwand begleitet werden. Das KVP-System ist mehrstufig und wird vonder Bereichsleitung initiiert. Das liegt vor allem daran, dass die Mitarbeiter vonsich aus das für sie unbekannte Instrument schwerlich hätten nutzen können.• KVP-Workshop: Gestartet wird der KVP-Prozess mit einem kleinen Work-

shop, zu dem sich eine Kleingruppe von 5-6 Personen mit der Bereichsleitungund dem Berater trifft. Im ersten Schritt wird noch einmal auf den neuenBonus eingegangen und herausgearbeitet, an welchen Schrauben die Mitar-beiter zur Erreichung des Bonus drehen können. Im Mittelpunkt stehen diebekannten KVP-Faktoren Vermeidung von Verschwendung in allen erdenk-lichen Formen von Wegezeiten über Materialien bis zu Suchzeiten.

• Während des KVP-Workshops erhalten die Mitarbeiter einzeln oder inKleingruppen Aufgaben und nehmen den Fertigungs- und Verwaltungspro-zess unter die Lupe. Wo wird etwas verschwendet? Die Ergebnisse werdenunmittelbar notiert und dann in der Workshoprunde besprochen. Dabei wirdgenau erklärt, was gemeint ist und auch, was man tun sollte.

• Im dritten Schritt arbeitet der Electronics-Steuerkreis nach einem Bewer-tungsschema eine Prioritäten-Liste aus. Nach den Faktoren Kosten (waskostet die Umsetzung), Zeitumfang (wie lange dauert die Umsetzung), Zeit-nähe (wie schnell kann umgesetzt werden) und KVP-Nutzen (was bringt derVorschlag) werden alle Vorschläge bewertet und priorisiert. Die Vorschlägewerden mit Verantwortlichen (Umsetzungstreibern) versehen und müssensofort umgesetzt werden. Die Ideengeber bekommen ebenfalls den Hinweisüber die Umsetzung und sind angehalten, die Umsetzung zu überwachen.

Die Erfahrungen mit KVP laufen seit dem Frühjahr 2007 und haben innerhalbvon sechs Monaten mehr als 120 Ideen an den Tag gebracht. Eine große

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Anzahl der Ideen ist bereits umgesetzt und hilft den Mitarbeitern, den Erfolgs-bonus zu erreichen. Es gibt keine Regel, welche Gruppe von Mitarbeitern(Ingenieure, Maschinenbediener oder Bestückerin) die besten Vorschlägemacht. Das ist höchst individuell von den beteiligten Personen abhängig. DieKunst wird es weiterhin sein, der jetzt geweckten Erwartung auch genüge zutun und die meisten der gut bewerteten Ideen auch tatsächlich umzusetzen.Das zu überwachen bleibt Aufgabe der Bereichsleitung (Abb. 5).

10 FazitDie Einführung eines neuen Entgeltsystems stellt die Unternehmensleitung, denBetriebsrat, die Führungskräfte und die Mitarbeiter vor große Herausforderun-gen. Je komplexer und neuer ein Prämien- bzw. Bonusbezug ist, desto größer istder Begleitungs- und Betreuungsaufwand. Die Mitarbeiter brauchen von allenSeiten Unterstützung, um die richtigen Stellschrauben zu erkennen und zubedienen. Die Erwartungshaltung, dass nach Einführung einer neuen Prämieoder eines Erfolgsbonus die Mitarbeiter allein das Ruder in die Hand nehmenund sicher durch die Klippen der Leistungserbringung steuern, ist falsch.

Abb. 5: Bisher an verschiedenen Stellen liegendes Werkzeug trägtnun jeder Mitarbeiter in einer Werkzeugtasche am Mann

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Die Methode des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) ist einesder wirksamsten Hilfsmittel zur Erreichung hoher Prämien- und Erfolgsziele.Die unerkannte Verschwendung ist in jedem Fertigungsbereich zu finden, esmuss an der Transparenz und der Beseitigung gearbeitet werden. Das bedarfeiner engen Begleitung durch die Führungsmannschaften, die die Mitarbeiterzu KVP animieren und im nächsten Schritt die Umsetzung von Veränderungengenehmigen und steuern müssen. Manchmal geraten auch sie in Konflikte,wenn sie z.B. eine andere Sicht auf die Mitarbeiterlösung haben.

Was in den Fertigungsbereichen vorgelebt wird und in vielen Punkten zu Ver-besserungen für die Mitarbeiter und das Unternehmen geführt hat, muss ander Werkshalle nicht zu Ende sein. Die gleiche Logik von Vermeidung derVerschwendung gilt für alle Bereiche eines Unternehmens. Ist dieses Formularwirklich nötig? Sollte die Abteilung nicht anders strukturiert sein? Sind dieArbeitsmittel auch die richtigen für die geforderte Arbeit? Unternehmen ver-schenken viel Potenzial, wenn sie sich nicht umfassend in Frage stellen. Auchwenn gelegentlich etwas Fantasie vonnöten ist, sollte man immer bestrebt sein,einen besseren Weg zu gehen.

Anschriften der Verfasser:

Holger MöhwaldTuckermannweg 437085 GöttingenMail: [email protected]: 0551/7706868

Bianca Engelmarten, Personalbetreuung Sartorius Corporate Administration GmbH, Telefon: 0551/3084081

Gebhard Pfahlert, MontageleitungSartorius Mechatronics, Telefon: 0551/3083689

Wilfried Werkmeister, Bereichsleitung Sartorius electronics,Telefon: 0551/308 3617

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Verbesserung von betrieblichen Prozessen – ein nutzerorientiertes Dienstleistungsangebot

von R. Tielsch, L. Aprin, H. Peters und B. H. Müller1

Kurzgliederung1 Einführung

2 Handlungsbedarf – Prozessbezogenes Informations- und Wissens-management in KMU

3 Lösungsansatz PRO:AGTiV – Dienstleistungsangebot „Informationen und Instrumente zur Arbeits- und Prozessgestaltung“

4 Ausblick

5 Literatur

ZusammenfassungPRO:AGTiV als internetbasiertes Dienstleistungsangebot für kleine und mittle-re Unternehmen (KMU) stellt solche Informationen und Instrumente zur Verfü-gung, die interaktiv und feedbackgesteuert betriebliches Handeln mit dem Zielder Arbeits- und Prozessgestaltung im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe unterstüt-zen. Informationen und nützliche und relevante, d.h. problem- und prozessbe-zogen aufbereitete Instrumente stellen den Kern des Angebotes dar. Instrumente –verstanden als Hilfsmittel und Unterstützungswerkzeuge im weitesten Sinne –werden u.a. in den Beschreibungskategorien Ziel bzw. Zweck, Weg oder Prin-zip, Vorteile und Chancen, Nachteile und Risiken dargestellt sowie mit Beispie-len unterstützt. Die Teilnahme von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite (Ver-band der Metall-Elektro-Industrie NRW, Verband des Maschinen- und Anla-genbaus NRW, Technologieberatungsstelle beim DGB NRW) an diesem Vorha-ben stellt sowohl Praxis- wie Interessenbezug für die betrieblichen Zielgruppendes Projekts – Entscheider, „Durchführer“ von Gestaltungs- und Organisations-maßnahmen und davon betroffene Mitarbeiter – sicher.

1 Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich D – Architektur, Maschinenbau, Bauingenieur-wesen, Sicherheitstechnik – Fachgebiet Arbeitssicherheit/Ergonomie

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Das Informationsangebot berücksichtigt die unterschiedlichen Informationsbedar-fe dieser Nutzergruppen durch eine gestufte Informationsdarbietung (z.B. in Formvon „Übersicht“, „Ziele und Anwendungsfelder“, „Detaildarstellung“, „konkreteAnforderungen und Lösungsmöglichkeiten“ sowie „Regelungen, Quellen“).

Die Qualitätssicherung der in PRO:AGTiV eingestellten Informationen – überExperten aus dem betrieblichen Umfeld, Fachberater der Verbände, Wissenschaft-ler und Experten von Berufsgenossenschaften und Aufsichtsbehörden – wird alsentscheidende Voraussetzung und gleichzeitige Garantie für eine zunehmendselbstverständliche Nutzung des PRO:AGTiV-Angebotes durch KMU betrachtet.

SchlüsselwörterArbeitsgestaltung, Arbeitsplatz, Dokument, Information, Nutzer, Organisation,Portal, Prozessgestaltung, Wissen, Wissensmanagement, Wissenspool

1 EinführungInformationen werden zunehmend als zentrale Unternehmensressource ver-standen. Dabei betrifft das Wissen eines Unternehmens beispielsweise Pro-dukte, Prozesse und Technologien, Organisationsstrukturen, Fähigkeiten undErfahrungen der Mitarbeiter sowie Marktinformationen. Betriebliches Infor-mations- und Wissensmanagement hat die Aufgabe, das für die Unternehmens-prozesse erforderliche Wissen verfügbar zu machen, weiter zu entwickeln undin neue oder bessere Produkte und Prozesse umzusetzen sowie das im Unter-nehmen vorhandene Wissen verfügbar zu halten. Informations- und Wis-sensmanagement wird auch in Klein- und Mittelunternehmen (KMU) als zen-trale Unternehmensaufgabe gesehen.

In der Mehrzahl stehen KMU der Nutzung auch externer Informationen positivgegenüber (Tielsch et al., 1997, Pawlowsky et al., 2006). Als Voraussetzung wirddabei vor allem eine an den spezifischen Bedürfnissen der KMU orientierte Auf-bereitung und Darstellung des Wissens genannt, die durch Bezug auf unter-schiedliche Branchen, Arbeitsplätze und Tätigkeiten ebenso wie auf die verschie-denen betrieblichen Handlungsanlässe erfolgen sollten (vgl. Stadler et al., 2000).

Wissen zur Arbeitsgestaltung und Prozessorganisation ist an vielerlei Stellenverfügbar, so z.B. bei den Verbänden von Arbeitgebern und Arbeitnehmern,öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, wissenschaftlichen Instituten, arbeitsme-dizinischen Einrichtungen und Unternehmensberatern. Dieses Wissen wird inder Regel anbieterorientiert dargeboten: Inhalte, Aufbereitung, Strukturie-rung und Zugriffswege folgen den Ordnungsschemata des Anbieters, der Nut-zer muss sich einarbeiten und die Fundstücke auf seine Anwendung übertra-gen und ggf. anpassen. Gerade KMU sind hier hinsichtlich ihrer Kapazität und

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auch der vorgehaltenen Fachkompetenz schnell überfordert. Sie können dienötige Anpassung kaum leisten und verzichten evtl. auf den eigentlich erfor-derlichen Einsatz adäquater Methoden oder auf die Adaption von Beispielenguter Gestaltung. Vor allem für die Zielgruppe kleiner und mittlerer Unternehmen ist es daherdringlich, das verfügbare Wissen zur Arbeits- und Prozessgestaltung nutzerori-entiert aufzubereiten und verfügbar zu machen (vgl. Müller, 2000). Die Struk-turierung eines solchen Dienstleistungsangebots muss sich an denjenigenbetrieblichen Anlässen ausrichten, die Gestaltungsaktivitäten auslösen und diebetroffenen Prozesse und Probleme explizit mit einbeziehen, und sich hinsicht-lich Auswahl der Inhalte, Aufbereitung und Tiefe der Darstellung vordringlichan der Sprache und den Begriffswelten der Nutzer orientieren. Grundsätzlicherfüllen nachfrageorientierte Informationsangebote für KMU, wie z.B. dasKompetenznetz „Moderne Arbeit“ (www.komnet.nrw.de), diese Voraussetzun-gen am ehesten, sind aber noch sehr wenig verbreitet (Tielsch, Müller, 2000). Das Kompetenznetz Arbeitsschutz NRW (KomNet NRW) stellt beispiels-weise eine nachfrageorientierte Informations- und Beratungsstruktur fürkleine und mittlere Unternehmen dar, die über Call-Center sowie InternetAnfragen zu betrieblichen Gestaltungs- und Organisationsproblemen entge-gennimmt und Antworten sowie Lösungen kurzfristig verfügbar macht.Zunächst als Kompetenznetz Arbeitsschutz entwickelt (vgl. Deilmann et al.,2002) wird es kontinuierlich auf das gesamte Feld der Arbeits- und Prozess-gestaltung ausgeweitet.Die dialogorientierte und kooperative Vorgehensweise des KomNet-Systemserleichtert KMU den Zugang zu dem für sie relevanten Wissen. Der Aufbau desWissensbestands erfolgt entsprechend den Nachfragen und betrieblichen Pro-blemstellungen und spiegelt so den aktuellen Stand des Informationsbedarfsv.a. von KMU, und weniger den Wissensstand bzw. -vorsprung der Expertendes jeweiligen Fachgebiets wider. Durch den Zugriff auf an vielen unterschied-lichen Stellen vorliegendes Expertenwissen verknüpft KomNet die Beratungs-kompetenz vieler unterschiedlicher Experten zu einem umfassenden Netzwerk. Das Dienstleistungsangebot PRO:AGTiV (PRO:AGTiV – „Betriebliche Pro-zesse zur Gestaltung von Arbeit, Kompetenz, Gesundheit und Technologieinnovativ verbessern“), gefördert vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit undSoziales des Landes NRW und dem Europäischen Sozialfonds (2005-2008),greift diese Strukturen auf und bereitet Informationen und Instrumente derArbeits- und Prozessgestaltung nutzerangepasst auf und stellt sie in einer anden betrieblichen Frage- und Problemstellungen und Handlungsanlässen ori-entierten Struktur bereit. (Der Zugang erfolgt über eingeführte und den Ziel-gruppen vertraute Internetportale.)

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2 Handlungsbedarf – Prozessbezogenes Informations- und Wissensmanagement in KMU

Leistungsfähige Unternehmensprozesse sind Voraussetzung für den wirt-schaftlichen Erfolg und für die Sicherung der Existenz der Unternehmen.Neben den eigentlichen Geschäftsprozessen (Leistungsprozessen) wird dieLeistungsfähigkeit des Unternehmens wesentlich von unterstützenden Aufga-ben bestimmt, die oft als Querschnittsfunktionen wahrgenommen werden (vgl.Abb. 1). Hierzu zählen beispielsweise Arbeitssystem- und Prozessgestaltung,Arbeits- und Gesundheitsschutz, Qualitätsmanagement und Umweltschutz(aber auch Personalwesen, Controlling und Finanzen).

Insbesondere nicht direkt wertschöpfende Aufgaben, wie die der Neu- oderUmgestaltung von Arbeitssystemen und Prozessen oder des Arbeits- undGesundheitsschutzes, sind meist von den normalen betrieblichen Abläufenabgekoppelt. Oft durch externe Vorgaben ausgelöst geben sie häufig Anlass zunachträglichen Korrekturen an Produkten, Fertigungsprozessen, Arbeitsabläu-fen und Arbeitsbedingungen, die erheblichen Aufwand an Zeit und Kostenverursachen können.

Durch Integration dieser Aufgaben in die normalen betrieblichen Prozessewerden sie schon in Planungs- und Gestaltungsvorgänge eingebunden (vgl.Braun, Schopp, 2003). Ihr proaktiver statt korrektiver Einsatz hilft, falscheWeichenstellungen und Fehlentwicklungen zu verhindern und trägt so zu bes-seren, leistungsfähigeren Prozessen, höherer Wirtschaftlichkeit und bessergestalteten Arbeitsabläufen und –bedingungen bei. Eine derartige Prozessori-entierung bei Planungs- und Gestaltungsmaßnahmen erfordert und bewirkt,dass der Betrachtungshorizont an Stelle der Detailaufgabe den gesamtenLebenszyklus eines Produktes, Arbeitssystems oder Prozesses umfasst und ver-stärkt in Wirkungsbeziehungen gedacht wird.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Prozessintegration ist, dass das für dieseUnterstützungsaufgaben erforderliche Wissen für die Verantwortlichen in denUnternehmen auch verfügbar ist. Gerade in kleinen und mittleren Unterneh-men (KMU) ist dies jedoch häufig nicht der Fall: Spezialisten können in derRegel nicht für alle derartigen Aufgaben vorgehalten werden, oft sind sie imVerantwortungsbereich der Geschäftsführung oder des Eigentümers selbstangesiedelt.

Wissens- und Nutzungsdefizite sind auch dadurch verursacht, dass die erfor-derlichen Informationen und geeigneten Gestaltungsmethoden zwar an vielenunterschiedlichen Stellen bereit gehalten werden, etwa bei Verbänden, Behör-den, Unfallversicherungsträgern und arbeitswissenschaftlichen Instituten. IhrAbruf im Bedarfsfall erfordert in der Regel jedoch detaillierte Kenntnisse der

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Angebote sowie der jeweiligen Zugangswege, die in der Praxis weniger ver-breitet sind. Insbesondere KMU benötigen noch stärker an ihrem jeweiligenBedarf ausgerichtete Dienstleistungsangebote für eine effiziente Nutzung desvielfältig vorliegenden Wissens zur Optimierung ihrer Prozesse.

Die Verbesserung der Unternehmensprozesse erfordert es daher auch, die zurGestaltung von Arbeitssystemen und Prozessen erforderlichen Informationenebenso wie die Instrumente für diese Gestaltungs- und Verbesserungsprozessenutzerangepasst und an den betrieblichen Abläufen und Bedürfnissen orien-tiert bereitzustellen. Hierzu müssen die Unternehmen und dort vor allem diepotenziellen Nutzer informiert und für die Annahme dieser Angebote undderen Gebrauch geworben werden, um so Nutzungshemmnisse zu minimieren.Ein neues, optimal an die Bedarfe von KMU angepasstes Dienstleistungsange-bot muss die vorhandenen, erfolgreichen und von der Praxis angenommenenStrukturen integrieren und ggf. zielorientiert weiter entwickeln. Zugangswegeund Suchprozesse – insbesondere für die betrieblichen Akteure und über das

Führungs-/Management-

prozesse

Geschäfts-prozesse

Unterstüt-zungsprozesse

Strategie,Unternehmens-

planung

Auftrags-abwicklung:Produktions-

prozess

PersonalControlling,

Finanzen

Wartung,Instand-haltung

Arbeits- undProzess-

gestaltung

Qualitäts-management,Umweltschutz

Konstruktion – Einkauf – ProduktionVertrieb – Versand – Service – Recycling

EntwicklungUnternehmens-kultur, Human

RessourcesSteuerung

Abb. 1: Unternehmensprozesse

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Internet – müssen sich ebenso wie die Strukturierung und Aufbereitung derInformationen an den betrieblichen Anforderungen orientieren.

Informationen und Instrumente müssen zielgruppengerecht aufbereitet undunterschiedlichen Nutzergruppen ggf. auch in unterschiedlicher Form undDarstellungstiefe dargeboten werden. Als Zielgruppen müssen dabei insbe-sondere die „Entscheider“ (über die Durchführung von Veränderungen), die„Ausführenden“ der entsprechenden Projekte und Maßnahmen und die„Betroffenen“, also die Mitarbeiter an den in Aktivitäten der Arbeits- undProzessgestaltung einbezogenen Arbeitsplätzen, angesprochen werden.

Die Informationsbedarfe dieser Zielgruppen unterscheiden sich z.B. hinsicht-lich angesprochener Themen und Detaillierung, aber ggf. auch im Hinblick aufZielsetzungen, Bewertungen und angemessene Methoden. Ein Dienstleis-tungsangebot zur Arbeits- und Prozessgestaltung in KMU muss solche Unter-schiede berücksichtigen.

3 Lösungsansatz PRO:AGTiV – Dienstleistungsangebot „Informa-tionen und Instrumente zur Arbeits- und Prozessgestaltung“

Ziel des vom Land NRW und dem Europäischen Sozialfonds geförderten Ver-bundprojekts PRO:AGTiV ist es, insbesondere KMU darin zu unterstützen, diebetrieblichen Rahmenbedingungen z.B. für höhere Leistung und Qualität derArbeit, optimierte Prozesse, höhere Arbeitszufriedenheit und geringere Fehl-zeiten zu verbessern. An die spezifischen Problemstellungen und Bedingungenangepasstes Wissensmanagement soll KMU dazu motivieren und darin unter-stützen, die weit verstreut, in vielfältiger Form und an unterschiedlichen Ortenbereitgestellten Informationen und Instrumente der Arbeits- und Prozessge-staltung zur Lösung ihrer Aufgaben nutzbar zu machen.

An dem vom Fachgebiet Arbeitssicherheit/Ergonomie der Bergischen Univer-sität Wuppertal federführend durchgeführten Projekt beteiligen sich Arbeitge-ber- und Arbeitnehmerseite aktiv (VDMA NRW, Metall NRW und TBS NRW– Technologieberatungsstelle beim DGB NRW). Das Projekt konzentriert sichbesonders auf kleine und mittlere Unternehmen und dabei wegen ihrer her-ausragenden Bedeutung für Wirtschaftskraft und Beschäftigung auf die Bran-chen Metall- und Elektro-Industrie sowie auf Bereiche des Handwerks.

3.1 VorgehenWesentlicher Aspekt des Vorgehens ist es, Aufgaben wie die der Arbeits- undProzessgestaltung und in Perspektive auch des Qualitäts- und des Umwelt-managements sowie des Arbeits- und Gesundheitsschutzes mit bestehenden

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betrieblichen Strukturen zu verknüpfen und so neue, umfassendere Unter-stützungsprozesse zu generieren. Auch die Art und Organisation der Datenfür diese Unterstützungsprozesse muss den vorliegenden betrieblichen Daten-strukturen angepasst werden, um den Aufwand für Erhebung, Integration undPflege gering zu halten und ihre Verwendung auch in anderen Einsatzberei-chen, wie z.B. der Termin- und Kapazitätsplanung und dem Personaleinsatz,zu ermöglichen.

Hierzu werden Informationen und Instrumente für KMU verfügbar gemacht,um im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe einen Beitrag zur verbesserten Gestal-tung von Unternehmensprozessen in KMU, und dabei insbesondere derUnterstützungsprozesse zur Integration von Aufgaben der Arbeits- und Pro-zessgestaltung, zu leisten.

PRO:AGTiV bereitet das zur Arbeits- und Prozessgestaltung verfügbare Wis-sen schwerpunktmäßig in Form von nützlichen Instrumenten für KMUbedarfsgerecht, d.h. entsprechend den betrieblichen Problemstellungen undHandlungsanlässen und unter Berücksichtigung der gerade in KMU begrenz-ten Kapazitäten auf und macht es in eingeführten Portalen nutzerorientiertverfügbar. Hierbei wird durch innovative technische Lösungsansätze (s.u.) einMinimum an Suchaufwand angestrebt, so dass auf Seite der Nutzer Kapazitä-ten und damit Kosten eingespart werden, die für andere, vordringliche innova-tive Aufgaben eingesetzt werden können.

Projektergebnisse und damit erzielbare betriebliche Veränderungen wirkennachhaltig: die im Rahmen des Projekts bereitgestellten Informationen undInstrumente sind an betrieblichen Problemstellungen und Strukturen sowie anden Anforderungen unterschiedlicher Nutzergruppen orientiert. Der Zugriffauf den durch das Projekt bereitgestellten Wissenspool ist durch die Integrati-on in bestehende Portale und Systeme der Recherche und Darbietung praxis-orientierten Wissens zur Arbeits- und Prozessgestaltung nachhaltig gesichert.Darüber hinaus wird es auch einen zentralen Zugang geben.

Die Projektpartner Verband Metall NRW und Verband Deutscher Maschi-nen- und Anlagenbau NRW stellen sicher, dass die Dienstleistungsangebotevon realen Unternehmensprozessen ausgehend und unter Berücksichtigungder aktuellen Bedarfe der KMU hinsichtlich Informationen und Methoden derArbeits- und Prozessgestaltung konzipiert und entwickelt werden. Die Tech-nologieberatungsstelle (TBS) beim DGB bringt die spezifischen Informations-bedürfnisse der Mitarbeiter und ihrer Vertretungen und die Handlungsanlässefür Gestaltungsaktivitäten aus Sicht der Beschäftigten in die Entwicklung desInformationssystems ein.

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3.2 Anforderungen an betriebliche Informationsvermittlung– Umsetzung eines effizienten Portalservices

Die Konzeption des PRO:AGTiV-Dienstleistungsangebots betrifft insbeson-dere den Weg der Generierung einer umfassenden und qualitativ abgesicher-ten Daten- und Wissensbasis, auf die der Systemanwender seinem Informati-onsbedarf entsprechend unkompliziert zugreifen kann.

Zentrale Aufgabenstellungen sind dabei:

• Sichtung von Dokumenten für eine Einbindung in den Dokumentenbestanddes Portals.

• Integration des gesichteten Wissens in die Onlineplattform durch geeignete Inde-xierung, so dass eine optimale Interpretation des Nutzeranliegens erfolgen kann.

• Wissensextraktion aus dem Datenpool des Internetportals, orientiert amInformationsbedürfnis des Anwenders (Information Retrieval).

Als (elektronisches) Dokument wird eine Datei verstanden, die mit Hilfe eines(EDV-) Programms verwaltet und bearbeitet werden kann. Dokumentenma-nagement ist die datenbankgestützte Verwaltung elektronischer Dokumente.Wichtige Eigenschaften sind visualisierte Ordnungsstrukturen sowie daten-bankgestützte Metadatenverwaltung zur indexierten Dokumentensuche (vgl.Götzer et al., 2004).

3.2.1 Sichtung neuer Dokumente als Grundvoraussetzung des Portalservices

Der Umfang des zu betrieblichen Unterstützungsprozessen sowie der Arbeits-und Prozessgestaltung entwickelten Wissens und die vielfältigen Wege seinerAufbereitung und Darbietung erfordern eine automatisierte Sichtung.

Zur Erschließung und Bereitstellung von gestaltungsrelevanten Informationenund von Beispielen guter Gestaltung und Organisation wird sowohl auf dieöffentlich zugänglichen Websites („Oberflächenweb“) als auch auf ausgewähl-te und themenspezifische Informationssammlungen aus dem „Deep Web“zugegriffen. Die Erschließung neuer Datenquellen aus dem Internet geschiehtdabei durch den Einsatz moderner thematischer Crawler-Programme zur auto-matischen Webseiten-Analyse (vgl. Stock, 2007), mit deren Hilfe sich, ausge-hend von einer Menge bekannter Web-Dokumente, über die Verarbeitung derin ihnen enthaltenen Links automatisiert ganze Sektionen des Internets durch-forsten lassen. Der so erschlossene Dokumentenpool wird zusätzlich erweitertdurch das thematisch gezielte und ebenfalls automatisierte Abfragen vonbereits bestehenden Website-Indexen, wie sie beispielsweise Suchmaschinenzugrunde liegen. Des Weiteren bietet das Portal seinen Benutzern die Möglich-

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keit, über Eingabemasken den Portalbestand durch Vorschläge eigenhändig zubereichern. In ausgewählter Form wird auch das in den Datenbanken der Ver-bundpartner angesammelte und strukturierte Wissen zur Verfügung gestellt.

Ein zweites Ziel von PRO:AGTiV ist, KMU entscheidungsrelevantes Anwen-derwissen in Gestalt von Qualitätswerkzeugen bereit zu stellen. Solche Werk-zeuge / Instrumente zur Verbesserung der Unternehmensprozesse lassen sichaufgrund ihrer informativen Verdichtung nicht automatisiert der Webland-schaft entnehmen. Um dem Anwender ausreichende Informationen überderen Nützlichkeit und Anwendungsbereiche zu vermitteln, wurden sie anHand aussagekräftiger Kriterien für Qualitätswerkzeuge beschrieben.

Zu den Adressaten dieses Wissens zählen sowohl Experten der Verbundpart-ner als auch registrierte Endanwender. Das Portal ist also auch in Bezug auf dieInstrumentenvermittlung in einer zweifachen Weise offen ausgestaltet: zumeinen können informierte Nutzer bei der Sichtung der großen Instrumenten-vielfalt initiierend mitwirken, zum anderen besteht – angelehnt an die Idee vonWikipedia – ein Raum zur Diskussion und Überarbeitung des bereits in denBestand integrierten Wissens.

Geeignet zur Einbeziehung in das Wissenssystem sind Dokumente (Informatio-nen, Gestaltungsbeispiele und Instrumente) insbesondere mit den Merkmalen

• für die Nutzer bei der Erfüllung ihrer betrieblichen Aufgaben nützlich,

• fehlerfrei, widerspruchsfrei, verständlich und aktuell,

• ggf. mit Erfahrungen und Bewertungen zu Einsatzbereichen und möglichenProblemen bei der Anwendung und sowie weiteren Informationen versehen.

Aufgabe des Qualitätsmanagements ist es, vor Aufnahme in den Datenbestandqualitativ ungeeignete Dokumente, wie Werbeseiten („Spam“), Dubletten undinhaltsschwache Texte, zu identifizieren und auszuselektieren (vgl. Lewandowski,2005). Eine Automatisierung dieses Selektionsvorgangs ist nur eingeschränktmöglich, daher fällt neben dem Einsatz moderner Filtertechniken dem partizi-pativen Grundsatz von PRO:AGTiV bei der Qualitätssicherung der Online-Plattform durch die Vernetzung der Verbundpartner und die Einbindung bzw.das Feedback der Nutzer besonderes Gewicht zu.

3.2.2 Aufbereitung und Indexierung der gesichteten DokumenteNachdem die Informationsdokumente und Instrumentenbeschreibungengesichtet worden sind und die Qualitätskontrolle positiv durchlaufen haben,werden sie sprachlich aufbereitet, kategorisiert und indexiert. Ziel dieser Pro-zesskette ist es, ein Dokument derart in den Wissensbestand einzupflegen, dasses dem Nutzer als für ihn relevante Antwort auf seinen Informationsbedarf

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übermittelt werden kann. Der Nutzer kann über hierarchische Begriffsbäumeund eine Suchmaschine auf das Wissensangebot zugreifen. Die portalinterneAufbereitung der Dokumente muss dabei gewährleisten, dass jedes Dokumentdem Ast des Begriffsbaumes mit der höchsten inhaltlichen Übereinstimmungzugeordnet wird. Während Informations- bzw. Internetdokumente und Instru-mentenbeschreibungen automatisch in die Begriffsbäume eingefügt werden,erfordert die Kategorisierung der Instrumente ein menschliches Urteil. Vor-dringlich wurden Kategoriensysteme bzw. Begriffsbäume zu den ÜberschriftenBetriebliche Problemstellungen und Einsatzgebiete entwickelt und umgesetzt.

Um konkrete Fragestellungen aus dem betrieblichen Alltag mit Qualitätsinstru-menten in inhaltliche Verbindung setzen zu können, erlaubt es das Portal, betrieb-liche Fragestellungen über entsprechende Webmasken nach den oben erwähntenKategorien („Problemstellungen“ und „Einsatzgebiete“) zu klassifizieren und auf-zugeben. Der Vorteil für den Nutzer ist, dass die Portalsuchmaschine auch auf sehrkonkrete Suchanliegen passende Ergebnisse zu liefern vermag.

Darüber hinaus muss bei einer im Alltagsvokabular des Nutzers formuliertenSuchanfrage sichergestellt werden, dass ein Dokument nur dann als Trefferauftaucht, wenn es für den Nutzer tatsächlich relevant ist. Zu diesem Zweckwerden die gesichteten Dokumente vor ihrer Indexierung informationslinguis-tisch (d.h. mit dem Ziel der Bewältigung textsprachlicher Barrieren) analysiertund aufbereitet („Natural Language Processing“) (vgl. Stock, 2007).

Alle im Rahmen der informationslinguistischen Aufbereitung gewonnenenTextmerkmale werden zusammen mit dem Dokumententext in den Prozessder Indexierung, d.h. der Zuordnung von Deskriptoren zu einem Dokumentmit dem Ziel, die darin enthaltenen Inhalte zu erschließen, überführt. Mittelseines solchen Indexes lassen sich zu den Suchanfragen des Nutzers sehr schnelldie passenden Dokumente identifizieren; es ist nicht notwendig, den gesamtenPortalbestand zu durchsuchen.

3.2.3 Nutzeranfrage und DokumentenausgabeDer Vorgang der Nutzeranfrage beginnt in der Regel zeitlich weit vor demPortalbesuch mit einem Problem, zu dessen Lösung Informationen benötigtwerden. An die Existenz des Problems schließt sich die Repräsentation desProblems im Bewusstsein des Anwenders als ein Informationsbedürfnis an.Diese Repräsentation muss sich nicht zwingend mit dem tatsächlich vorhande-nen Problem decken: Möglicherweise nimmt der Nutzer sein Informations-problem falsch oder nur partiell wahr. Es folgt die Repräsentation des Infor-mationsbedürfnisses in der natürlichen Sprache des Nutzers: Der Anwenderformuliert sein Anliegen. Schließlich wird das Anliegen in der Sprache des Por-talsystems als Anfrage repräsentiert (vgl. Mizzaro, 1997, Abb. 2).

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Das PRO:AGTiV-Portal – in Abb. 3 als eine zzt. noch projektinterne Arbeits-plattform dargestellt – bietet dem Anwender zwei Möglichkeiten, seine Anfra-ge zu repräsentieren: er kann sie unter Verwendung von so genannten Boole-schen Operatoren („UND“, „ODER“, „AUSSCHLIEßENDES UND“) freiformulieren oder mittels der oben erwähnten Begriffsbäume („Problemstel-lungen“ und „Einsatzgebiete“) durch den Portalbestand navigieren. Systemin-tern wird die Anfrage auf orthographische Richtigkeit hin überprüft und imnegativen oder zweifelhaften Fall an den Nutzer interaktiv zurückgegeben.Eine anschließende sprachanalytische Bearbeitung der formulierten Anfrageerhöht die Wahrscheinlichkeit ihrer Übereinstimmung mit den Dokumenten-texten des Portalbestandes.

Durch Abgleich der aufbereiteten Suchbegriffe mit der zentralen Indexdatei(„Matching“) wird die Menge von Dokumenten identifiziert, in denenBegriffe der Nutzeranfrage enthalten sind. Dieser Dokumentenpool ist ineine Relevanzreihenfolge zu bringen, bevor er dem Anwender als Trefferli-ste ausgegeben werden kann („Ranking“). Zur Bestimmung der Dokumen-tenrelevanz bedient sich das Portalsystem sowohl anfrageabhängiger alsauch anfrageunabhängiger Methoden. Anfrageabhängig lässt sich dieGewichtung eines Treffers unter anderem durch die Position der Suchbe-griffe und oder die Häufigkeit des Vorkommens im Trefferdokument oderdurch die (inverse) Häufigkeit des Vorkommens eines Begriffes in sämtli-chen Dokumenten des Portalbestandes bestimmen. Anfrageunabhängigkann die Relevanz, z.B. anhand der Aktualität oder der über „Klickauswer-tung“ ermittelten Nutzerpopularität der Dokumente beurteilt werden (vgl.Lewandowski, 2005). Ein Beispiel für ein mögliches Suchergebnis für Instru-mente aus dem Bereich der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung ist inAbb. 4 und 5 dargestellt.

ProblemInformations-

bedürfnisFormuliertes

AnliegenFormulierte

Anfrage

Repräsentation imBewusstsein

Repräsentation inmaschineller Sprache

Repräsentation innatürlicher Sprache

Abb. 2: Entwicklung einer Anfrage (vgl. Mizzaro, 1997)

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Die Ergebnisdarstellung kann durch den Anwender personalisiert werden(z.B. durch Auswählen von Beschreibungskriterien für Instrumententexte).Darüber hinaus bietet das PRO:AGTiV-Portal nach der ErgebnisausgabeUnterstützung bei einer Neuformulierung seiner Suchanfrage an, z.B. durch„relevance feedback“ (Suche nach inhaltlich ähnlichen Dokumenten auf Basisder vom Nutzer als relevant markierten Treffer) oder durch „Thesaurus-Aus-wertungen“ (Suche nach Oberbegriffen für eine erneute Suchanfrage). DerVorgang der Dokumentenausgabe ist abgeschlossen, nachdem der Nutzersein Informationsbedürfnis als befriedigt oder als nicht lösbar wahrnimmt.

Abb. 3: PRO:AGTiV Portalversion

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4 AusblickGestaltungsrelevante Informationen und Instrumente, die gemäß denbetrieblichen Erfordernissen aufbereitet und verständlich dargeboten wer-den, finden Eingang in normales betriebliches Handeln. Je besser sie denbetrieblichen Akteuren zugänglich gemacht werden, desto eher werdenAnsätze und Methoden der Arbeits- und Prozessgestaltung zur Unterstüt-zung der betrieblichen Leistungsprozesse auch eingesetzt. Die Teilhabe derBeschäftigten an Gestaltungs- und Organisationsmaßnahmen wird ebensowie die Wahrnehmung von Mitwirkungsrechten ihrer betrieblichen Interes-senvertreter durch die Verfügbarkeit des nutzerorientiert aufbereitetenDienstleistungsangebots erleichtert.

Die Förderung proaktiver statt korrektiver Gestaltung von Arbeitssyste-men und –prozessen ermöglicht besser gestaltete Arbeit, die Gefährdungender Mitarbeiter vermeidet, weniger ermüdend ist und bei der Arbeitsfehlerseltener auftreten; so können eine höhere Leistung erreicht und gleichzei-tig die Arbeitszufriedenheit gesteigert werden. Die Qualitätssicherung desin PRO:AGTiV eingestellten Wissens – über betriebliche Experten, Fach-beratern der Verbände, Wissenschaftlern und Experten von Berufsgenos-senschaften und Aufsichtsbehörden – ist Voraussetzung und gleichzeitigGarantie für eine zunehmend selbstverständliche Nutzung des Angebotsdurch KMU.

Projektergebnisse und damit erzielbare betriebliche Veränderungen wirkennachhaltig: Die im Rahmen des Projekts bereitgestellten Informationen undInstrumente sind an betrieblichen Problemstellungen und Strukturen sowiean den Anforderungen unterschiedlicher Nutzergruppen orientiert. DerZugriff auf den durch das Projekt bereitgestellten Wissenspool ist durch dieIntegration in bestehende Portale und Systeme der Recherche und Darbie-tung praxisorientierten Wissens zur Arbeits- und Prozessgestaltung auchkünftig gesichert.

Die wesentlichen im Portal hinterlegten Werkzeuge und Instrumente werdenzu Beginn des Jahres 2008 in der überarbeiteten und erweiterten Veröffentli-chung „Methodensammlung zur Unternehmensprozess-Optimierung“ in derIfaA-Taschenbuch-Reihe erscheinen. Damit ist vorab bereits eine Nutzungdieser Instrumente möglich.

Über den Rahmen und die Zielstellungen von PRO:AGTiV hinaus ist es vonentscheidender Bedeutung, dass neben den in das Projekt einbezogenen unddaran aktiv beteiligten KMU auch solche weiterer Branchen auf das Dienst-leistungsangebot zugreifen und es optimal nutzen können. Dies bedingt auch

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die Erweiterung der Strukturen und Zugriffswege um spezifische betrieblicheProzesse und Handlungsanlässe anderer als der am Projekt beteiligten Bran-chen. Darüber hinaus soll das Themenspektrum um weitere wesentlicheUnterstützungsprozesse erweitert werden, so v.a. Umwelt- und Qualitäts-management, Qualifikationserhalt und -entwicklung und Controllingprozes-se für KMU.

KMU können nur dann nachhaltigen Nutzen aus dem von PRO:AGTiV ent-wickelten Dienstleistungsangebot ziehen, wenn dessen kontinuierliche Pflegeund Weiterentwicklung sicher gestellt werden kann. Auch die Qualitätssiche-rung durch Feed-Back-Strukturen und die Bewertung und Nutzung der dabeirückgemeldeten Einsatzerfahrungen und ggf. Probleme in der betrieblichenPraxis an administrativen Stellen sind unter diesem Aspekt von herausragen-der Bedeutung für Akzeptanz und standardmäßige Nutzung dieses sich dyna-misch entwickelnden Angebotes.

5 Literatur Braun, M.; Schopp, R.: Arbeitsschutz und betriebliche Planung. Anforderun-gen an die Integration von Arbeitsschutzinformationen in betriebliche Pla-nungsprozesse. FB/IE 49 (2000), Nr. 6, S. 1-4

Deilmann, M.; Lang, K.-H.; Müller, B. H.; Saßmannshausen, A.; Tielsch, R.:Kompetenznetz Arbeitsschutz NRW (KomNet) – Beratung durch virtuellenExperten-Verbund jetzt auch im eGovernment erfolgreich. In: BMBF (Hrsg.):Tagungsband zur 1. Tagung Innovative Arbeitsgestaltung – Zukunft der Arbeitfür eine menschengerechte Arbeitswelt. Bonn, 2002

Gebhardt, Hj.; Lang, K.-H.; Müller, B. H.; Stein, M.; Tielsch, R. (Hrsg.):Sicherheit und Gesundheit bei betrieblichen Entwicklungs- und Planungspro-zessen. Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven (Schriftenreihe Werkstattberich-te: Wissenschaft und Technik, Wb 27), 2003

Götzer, K., U.; Schneiderath, B; Maier; Komke, T.: Dokumenten-Manage-ment. dpunkt.Verlag, Heidelberg, 2004

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Mizzaro, S.: Relevance: The whole story. In: Journal of the American Societyof Information Science 48, 1997, S. 811 ff.

Pawlowsky, P; Gerlach, L.; Hauptmann, S.; Puggel, A.: Wissen als Wettbe-werbsvorteil in kleinen und mittelständischen Unternehmen. EmpirischeTypologisierungen auf Grundlage einer bundesweiten Befragung. In: FOKUSprints 09/06, Technische Universität Chemnitz, 2006

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Stadler, P.; Beer, B.; Wenchel, Th.: Nutzung von Arbeitsschutzinformationendurch Kleinbetriebe. Strategien, Bedarf und Problemlagen. In: Die BG, Heft 8,Jg. 2000, S. 440

Stock, W. G.: Information Retrieval – Informationen suchen und finden.Oldenbourg Wissensch. Verlag, 2007, München, S. 99-104 und S. 121-125

Tielsch, R.; Müller B. H.: Innovative Informationssysteme und -netzwerke imBereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. In: BADURA, B., LITSCH,M., VETTER, C. (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2000 – Zukünftige Arbeitswelten:Gesundheitsschutz und Gesundheitsmanagement, Springer, Berlin Heidel-berg, 2000, S. 129

Tielsch, R.; Müller, B. H.; Deilmann, M.: Präventiver Arbeitsschutz in Klein-und Mittelbetrieben – Anforderungen, Probleme und Lösungskonzepte; Mini-sterium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW (Hrsg.), WAZ-Druck, Duisburg, 1997

Anschrift der Verfasser:

Rainer TielschLars AprinHelmut PetersBernd Hans Müller

Bergische Universität WuppertalGaußstr. 2042119 WuppertalTel. 0202 439 3222Fax. 0202 439 3828Mail. [email protected]

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Anreizsysteme für High Potentials

von St. Amstutz und M.-C. Fundinger

Kurzgliederung1 Einführung

2 Die Relevanz der richtigen Anreizsetzung

3 Anreize und Anreizsysteme aus verschiedenen theoretischen Blickwinkeln

4 Ausgestaltung eines Anreizsystems für High Potentials

5 Schlussfolgerung

6 Literatur

ZusammenfassungIn der heutigen schnelllebigen Gesellschaft ist es für den Unternehmenserfolgvon entscheidender Bedeutung, dass High Potentials an die Unternehmen ge-bunden werden. Die adäquate Gestaltung des angebotenen Anreizsystems istdafür im wesentlichen Maß mitverantwortlich.

Das Ziel des vorliegenden Artikels besteht darin, ein mögliches Anreizsystem zuentwickeln, welches speziell auf die Ansprüche der High Potentials, der hochqualifizierten Mitarbeitenden, zugeschnitten ist. Der betrieblichen Praxis soll einDenkanstoß geliefert werden, in dem verschiedene Ausgestaltungsideen für An-reize skizziert und kommentiert werden.

SchlüsselwörterAnreiz, Anreizsystem, Arbeitsbedingung, Entgelt, Führung, High Potential,Incentive, Leistung, Management, Mensch, Motivation, Unternehmen

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1 EinführungDer Erfolg eines Unternehmens ist von vielen verschiedenen Faktoren abhän-gig. In der heutigen wissensbasierten Gesellschaft wird der Faktor Menschjedoch immer bedeutender und zudem wird bei ansteigender Arbeitnehmer-knappheit der Kampf um die hoch qualifizierten Mitarbeiter zunehmend inten-siver geführt. In vielen Schweizer Großunternehmen werden bspw. für diegeglückte Vermittlung eines neuen Mitarbeitenden Prämien in der Größen-ordnung von mehreren tausend Franken an den Vermittler ausgeschüttet. Fürdie erfolgreiche Vermittlung eines hoch qualifizierten Mitarbeitenden, eines sogenannten „High Potentials“, liegt die Prämie noch wesentlich höher.

In der Literatur hat sich noch keine allgemeingültige Definition für High Poten-tial etablieren können. Verschiedene Autoren stützen sich bei ihren Definitions-versuchen jedoch auf ähnliche Kriterien. So sollen hoch qualifizierte Mitarbei-tende („High Potentials“) eine internationale Orientierung aufweisen, in derForm von Auslandsaufenthalten oder Praktika, über ein Leistungspotenzial ver-fügen, welches sich in überdurchschnittlichen Noten und einer kurzen Studien-dauer ausdrückt, eine sozial-kompetente, team- und projektfähige sowie durch-setzungsstarke Persönlichkeit mitbringen und einen Praxisbezug in Ergänzungzum theoretischen Wissen vorweisen können (vgl. Ahlers/Eggers, 1999, S. 39; vgl.Bruns/Fröhlich-Krummenauer, 2000, S. 536; vgl. Kienbaum/Kinkel, 1999, S. 191).

Für das Erreichen ambitionierter Unternehmensziele und für die Gestaltung derunternehmerischen Zukunft ist es von entscheidender Bedeutung, die Wis-sensträger langfristig an die Unternehmen zu binden. Die richtige Ausgestaltungvon Anreizsystemen ist ein (wenn nicht gar der entscheidende) Schlüsselfaktorfür eine erfolgreiche Mitarbeitermotivation und die Bindung ans Unternehmen.Dabei muss auch der in den letzten Jahren stattgefundene Wandel der Werthal-tung bei Menschen angemessen honoriert werden. In der westlichen Industrie-gesellschaft hat ein Wertewandel in den 60er und 70er Jahren zu verändertenAnsprüchen an die Arbeit geführt. Pflicht- und Akzeptanzwerte wurden zuneh-mend von Selbstverwirklichungs- und Engagementwerten abgelöst, worauf inder Folge Beruf und Karriere neu bewertet wurden (vgl. Herbert, 1991, S. 55).

Der vorliegende Artikel hält Gedanken und Empfehlungen betreffend der opti-malen Ausgestaltung von Anreizsystemen für High Potentials fest. Vier wissen-schaftliche Theorien sind auf ihre Aussagekraft bezüglich verschiedener Anreiz-arten hin überprüft worden. Befunde der aktuellen Towers Perrin Global Work-force Study – Deutschland (vgl. Enneking/Sebald, 2006) wurden mitberücksich-tigt. Die Erkenntnisse dieser Theorien- und Datenanalyse werden zur Systema-tisierung und Sensibilisierung gegenüber der Problematik der Anreize für HighPotentials in Form einer Überblick bietenden Grafik vorgestellt.

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2 Die Relevanz der richtigen AnreizsetzungWild, definiert ein Anreizsystem als „die Summe aller bewusst gestaltetenArbeitsbedingungen, die bestimmte Verhaltensweisen (durch positive Anrei-ze, Belohnung etc.) verstärken, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens andererdagegen mindern (negative Anreize, Sanktionen)“ (Wild, 1973, S. 47).

Bei Anreizsystemen können vier verschiedene Funktionen unterschieden wer-den. Die erste Funktion eines Anreizsystems ist die Aktivierungsfunktion, wel-che zum Zweck hat, die Motive und kognitiven Fähigkeiten des Einzelnenanzuregen. Als zweite Funktion kann die Steuerungsfunktion angeführt wer-den. Das Verhalten der Unternehmensmitglieder kann durch die Verknüpfungvon geeigneten Anreizsystemelementen mit den Zielen der Unternehmengesteuert und nachhaltig beeinflusst werden. Nach Weinert kann durch dierichtige Gestaltung der Anreize die Zufriedenheit der Mitarbeiter beeinflusstwerden, welche wiederum auf die Motivation des Mitarbeiters wirkt (vgl. Wei-nert, 1992, S. 126). Die Informationsfunktion stellt die dritte Funktion dar. DieElemente eines Anreizsystems geben Auskunft über die Führungspolitik, Stra-tegie und Kultur eines Unternehmens. Dem Mitarbeiter werden Signale übererwünschtes und nicht erwünschtes Verhalten und die daraus resultierendenFolgen vermittelt. Die vierte Funktion ist die Veränderungsfunktion. Anreiz-systeme verdeutlichen im Rahmen von Organisationsentwicklungsmaßnahmendie veränderten Anforderungen an die Mitarbeiter (vgl. Becker, 2002, S. 18).

Betriebsexterne und -interne Kontextfaktoren werden als Rahmenbedingun-gen von Anreizsystemen bezeichnet. Sie bestimmen im entscheidenden Maßdie Ausgestaltung und die Wirksamkeit von Anreizsystemen mit (vgl. Speng-ler, 1999, S. 36).

Rosenstiel nimmt eine Unterscheidung zwischen finanziellen Anreizen, sozia-len Anreizen, Anreizen des organisatorischen Umfeldes und solchen derArbeit selbst vor (vgl. Thom 2004, S. 306). Dieser Klassifikationsvorschlagwurde von Thom bei der grafischen Darstellung eines umfassenden Anreizsys-tems in Anlehnung an Bayard mitberücksichtigt (Abb. 1).

Für eine wirkungsvolle und langfristige Motivation, welche zu einer Arbeits-leistungsverbesserung beiträgt, müssen alle Anreizarten berücksichtigt und diemateriellen und immateriellen Anreize situationsgerecht kombiniert werden(vgl. Hegner et al., 1997, S. 514).

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3 Anreize und Anreizsysteme aus verschiedenen theoretischenBlickwinkeln

Verschiedene ökonomische Theorien beleuchten jeweils unterschiedliche parti-elle Aspekte von Anreizsystemen. Der Abb. 1 ist zu entnehmen, dass sich diePrinzipal-Agenten-Theorie auf die finanziellen Anreize beschränkt, die Anreiz-Beitrags-Theorie wie auch die Zwei-Faktoren-Theorie sämtliche Anreizartenberücksichtigen und die VIE-Theorie keine Anreize näher betrachtet.

3.1 Anreize und Anreizsysteme im Fokus der Prinzipal-Agenten-TheorieDer Grund für die häufige Verwendung der Prinzipal-Agenten-Theorie imZusammenhang mit Anreizsystemen ist in der asymmetrischen Informations-verteilung zu suchen (vgl. Bau, 2003, S. 80). Die Leistung des Agenten istgekennzeichnet durch eine mangelnde intersubjektive Überprüfbarkeit, was fürden Prinzipal ein Risiko darstellt (vgl. Mayer et al., 2005, S. 16). Anreizsysteme,welche die Bedürfnisse der Mitarbeiter ansprechen, leisten einen Beitrag zurReduktion des unternehmerischen Risikos (vgl. Hiltbrand, 1999, S. 19 und Paul,2005, S. 37-43). Ein effizientes Anreizsystem hat den positiven Nebeneffekt,dass durch eine gute Vertragsausgestaltung zwischen Prinzipal und Agent das

Extrinsische Motivation

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Materielle Anreize

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Personaleinsatz

Abb. 1: Elemente eines umfassenden Anreizsystems (vgl. Thom 2004, S. 306)

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opportunistische Verhalten seitens des Agenten minimiert werden kann (vgl.Bau, 2003, S. 79). Wenn die Anreize die Bedürfnisse und Erwartungen desAgenten erfüllen, fühlt er sich weniger verleitet, den Prinzipal zu hintergehen.

Laut der Prinzipal-Agenten-Theorie ist die Verifizierbarkeit der Vertragsele-mente charakteristisch für einen Vertrag. Nur verifizierbare, also objektivbeobachtbare und nachweisbare Elemente können bei Konflikten die Verhal-tenssicherheit und die Durchsetzbarkeit des Vertrages garantieren (vgl. Jost,2001, S. 13-15). Der Wert von direkt finanziellen Anreizen ergibt sich aus sichselbst. Indirekt finanzielle Anreize sind vor Gericht durch das Heranziehenvon Vergleichsgütern aus dem Markt verifizierbar.

3.2 Anreize und Anreizsysteme im Fokus der Anreiz-Beitrags-TheorieFür ein Unternehmen ist es gemäß der Anreiz-Beitrags-Theorie unbedingterforderlich, ein attraktives Angebot an Anreizen vorweisen zu können, um diequalifizierten Mitarbeiter zum Eintritt anzuregen und die vorhandenen Arbeits-kräfte zu halten. Der Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmersoll durch ein geeignetes Anreizsystem so unterstützt werden, dass jene Aspek-te dem Ermessen des Beschäftigten überlassen werden, welche für den Arbeit-geber von geringem und für den Arbeitnehmer von großem Interesse sind (vgl.March/Simon, 1976, S. 87). Der Einsatz eines „Cafeteria-Modells“ als Entloh-nungssystem kann helfen, den individuellen Nutzen zu maximieren. Aufseitendes Arbeitnehmers stellt sich die Frage, welche Alternativen das Individuum inBezug auf die Anreize erkennt, wie es diese bewertet und welche Konsequen-zen es mit den Alternativen verbindet (vgl. March/Simon, 1976, S. 52).

Die Theorie konzentriert sich nicht speziell auf eine Gruppe von Anreizen. ImGegenteil, sie berücksichtigt das wohl breiteste Spektrum an materiellen, imma-teriellen und ideellen Anreizen (vgl. Ridder, 1999, S. 121, zit. in: Bau 2003, S. 87).

3.3 Anreize und Anreizsysteme im Fokus der Zwei-Faktoren-Theorie vonHerzberg

Die Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg gilt als eine Theorie der Arbeits-zufriedenheit. Die Erfüllung von Hygienefaktoren (Frustratoren) führt dabeizur Verkleinerung der Arbeitsunzufriedenheit; jene der Motivationsfaktoren(Motivatoren) verursacht Arbeitszufriedenheit (vgl. Herzberg et al., 1959, S. 113-114). Durch das Konzept der Arbeitszufriedenheit kann die Verbindungzu den Anreizsystemen hergestellt werden, deren richtige Ausgestaltung zuzufriedenen Mitarbeitern führt.

Obwohl der wissenschaftliche Wert der Zwei-Faktoren-Theorie umstritten ist,sind ihre Ansätze für die Praxis von erheblicher Bedeutung. Sie versuchen, die

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Frage zu klären, wie Anreizsysteme konkret zu gestalten sind. Sie geben durchdie Einteilung in Motivations- und Hygienefaktoren Aufschluss darüber, aufwelche Anreize fokussiert werden soll. Häufig auftretende und beobachteteBedürfnisse werden von der Theorie beschrieben, was nicht ausschließt, dassderen Gewichtung von Person zu Person variieren kann (vgl. Bau, 2003, S. 67).

3.4 Anreize und Anreizsysteme im Fokus der VIE-TheorieDer Parameter „V“ steht für die Valenz und drückt den individuell wahrge-nommenen Wert eines Handlungsergebnisses aus, „I“ steht für die Instru-mentalität, also für die Erwartung, dass für ein bestimmtes Resultat einebestimmte Belohnung entrichtet wird und „E“ für die Vorstellung, mit einembestimmten Verhalten ein bestimmtes Resultat bewerkstelligen zu können.Die Handlungsstärke ist dabei das Produkt der multiplikativen Verknüpfungdieser drei Faktoren. Ein Mitarbeiter erbringt somit dann gute Leistungen,wenn die Wahrscheinlichkeit als hoch eingeschätzt wird, dass die persönlichenBemühungen zu hoher Arbeitsleistung und diese zu erwünschten persönli-chen Zielen und Ergebnissen führen (vgl. Weinert, 1998, S. 161). Je stärker dieInstrumentalität und die Valenz wahrgenommen werden, desto höher ist dieArbeitsproduktivität (vgl. Heckhausen, 2006, S. 136).

Ambitionierte Mitarbeiter, welche die Instrumentalität und die Valenz starkwahrnehmen, werden in einem Unternehmen Kaderfunktionen einnehmen.Durch die Arbeitsproduktivität und ihrem Willen voranzukommen, sind sie inder Lage, Verantwortung zu übernehmen und das Unternehmen zu führen. Mit-arbeiter, die eine geringe Verknüpfung der Variablen empfinden, sind nach derVIE-Theorie nicht besonders produktiv und aus diesem Grund in eher tieferenPositionen anzutreffen. Die Ausgestaltung eines Anreizsystems sollte den unter-schiedlichen Mitarbeitertypen Rechnung tragen und beiden gerecht werden.

Das Cafeteria-System gilt aus Sicht der VIE-Theorie als geeignetes Anreizsys-tem-Modell. Es garantiert eine weitgehend optimale Allokation betrieblicherRessourcen, und der Mitarbeiter kann seinen Nutzen durch eine bedürfnisge-rechte Auswahl der Anreize maximieren.

Die Theorie äussert sich nicht speziell zur Ausgestaltung einzelner Anreizar-ten. Durch die Verknüpfung mit dem Anreizsystem berücksichtigt die VIE-Theorie indirekt die Anreize, welche in einem Anreizsystem integrierbar sind.Da den verschiedenen Anreizen ein verifizierbarer Tauschwert zugeteilt wer-den muss, eignen sich direkt finanzielle oder indirekt finanzielle Anreize fürdie Ausgestaltung. Aus der Kategorie der organisatorischen Anreize kannzusätzlich noch der Stimuli des Arbeitszeitsystems, bei dem überschüssigeArbeitszeit gegen Urlaubstage (vgl. OR Art. 321 lit. c Abs. 2) eingetauscht wer-den kann, integriert werden (Abb. 2).

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Berücksichtigt, da verifizierbar

Berücksichtigt, dadurch Vergleichswerteleicht verifizierbar

Nicht berücksichtigt

Nicht berücksichtigt

Nicht berücksichtigt

Die Prinzipal-Agenten-Theorie ist für Anreiz-systeme im weitesten Sinn nicht geeignet.Nur verifizierbareAnreize werden thematisiert.

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Berücksichtigt

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Berücksichtigtz.B. Beförderungs-systemeEinfluss auf die Stellenbesetzung

Berücksichtigtz.B. subjektive Arbeits-befriedigung

Das Nutzenverhältnisvon Anreizen undBeiträgen ist relevant,wobei zu den Anreizennur vereinzelt differenziert Stellunggenommen wird.Das Cafeteria-Modellist ein geeigneterAnsatz für ein Anreizsystem.

M: ArbeitsentgeltH: Arbeitsentgelt

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bedingungen,beeinflusst durchberufl. Entscheide

M: AnerkennungH: Status

PersonalführungBeziehungen zuArbeitskollegen

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ArbeitsbedingungenUnternehmenspolitikUnternehmens-verwaltung

M: LeistungArbeitsinhaltGeistiges WachstumVerantwortungArbeitserfolg1

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Durch die Zwei-Faktoren-Theorie wer-den alle Anreizartenberücksichtigt, welcheihrerseits noch in die Kategorien der Moti-vatoren und Hygiene-faktoren unterteiltwerden können.

Nicht direkt berücksichtigt, jedochim Cafeteria-Systemintegrierbar

Nicht direkt berücksichtigt, jedochim Cafeteria-Systemintegrierbar

Nicht direkt berücksichtigt

Nicht direkt berücksichtigt, jedochder Anreiz des Arbeits-zeitsystems ist im Cafeteria-System integrierbar

Nicht direkt berücksichtigt

Das Cafeteria-Modellerweist sich nach derVIE-Theorie als guterBezugsrahmen.Die einzelnen Anreizewerden von der VIE-Theorie nichtbeleuchtet.

Die grauen Linien zeigen auf, dass es keine scharfe Abgrenzung zwischen den verschiedenenAnreizarten gibt. Die Autoren haben zwischen den direkten und den indirekten finanziellenAnreizen eine schwarze Linie gewählt, da Geld immer den direkt finanziellen Anreizen zuzuord-nen ist und mit den anderen Anreizarten nicht kollidiert.

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Abb. 2 : Anreize und Anreizsysteme im Blickwinkel verschiedener Theorien

1 Der Arbeitserfolg beinhaltet Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten.

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4 Ausgestaltung eines Anreizsystems für High PotentialsWie bereits erwähnt wurde, ist die richtige Ausgestaltung des Anreizsystemsnicht unwesentlich daran beteiligt, High Potentials an das Unternehmen zubinden. In der Folge werden zu den einzelnen Kategorisierungstypen vonRosenstiel Gestaltungsmöglichkeiten und Gedanken betreffend Anreize fürHigh Potentials angeführt, welche in Abb. 3 veranschaulicht sind.

4.1 Finanzielle AnreizeDie finanziellen Anreize haben für High Potentials eine wichtige Bedeutung.Das Gehalt stellt beim Eintritt in ein Unternehmen oft die einzige Dimensiondar, anhand welcher ein Individuum die Arbeitgeber beurteilen kann. Daherist es wichtig, dass das gebotene Gehalt mit dem der Konkurrenz vergleichbar,fair und die Festlegung der individuellen Entlohnung nachvollziehbar ist (vgl.Enneking/Sebald, 2006, S. 18). Das Gehalt verliert mit der Zeit jedoch an Be-deutung. Es werden andere Aspekte der neuen Organisation und der Aufgabeerkennbar, was eine neue Basis zur Bewertung der eigenen Entscheidung bie-tet (vgl. Bau, 2003, S. 194). Dieser Wichtigkeitsverlust des Gehalts wird auchdurch die Tatsache verstärkt, dass High Potentials über ein Lohnniveau verfü-gen, mit dem sie die Grundbedürfnisse und mehr abdecken können. DieErgänzung des Grundlohnes mit variablen Bestandteilen kann für die Motiva-tion von High Potentials durchaus förderlich sein. Eine leistungsabhängigeGehaltsspreizung wurde in der Studie von Wischer als zweitwichtigste Anreiz-kategorie herausgefiltert (vgl. Wischer, 2005, S. 216). Es ist aber wichtig, dassdie Leistung an Fakten gemessen wird, welche von High Potentials beeinflusstwerden können. Es bieten sich Bereichs-, Gruppengewinne oder auch Prämienfür die Akquisition von Aufträgen an, welche den Einsatz der High Potentialserfordern. Einflussfaktoren der Umwelt, welche das Erreichen gewisser Be-rechnungsgrundlagen beeinflussen, müssen ebenso mitberücksichtigt werden.Die Ausschüttungsform der Prämien variiert von Barauszahlungen über Options-pakete bis hin zu jahrelang gesperrten Mitarbeiteraktien.

Angemessene Zusatzleistungen oder Fringe Benefits machen ein Unternehmenzusätzlich interessant und sind für die Mitarbeiterbindung mitverantwortlich(vgl. Enneking/Sebald, 2006, S. 18). Die Gesundheits- und Altersvorsorge bildeteine wichtige Nebenleistung, welche bestenfalls ganz vom Unternehmen über-nommen wird. Ein zusätzlicher Anreiz für High Potentials ist das Angebot einerRechtsberatung, welche den Mitarbeitern in ihren Fragen beisteht. Zum Beispielist es für ausländische High Potentials oder High Potentials im Ausland attrak-tiv, wenn sich das Unternehmen um steuerliche Angelegenheiten kümmert. Sokann gewährleistet werden, dass die Steuererklärung optimal ausgefüllt ist, ohnedass sich der Mitarbeiter mit der fremden Gesetzgebung auseinandersetzen

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muss. Für die High Potentials kann die Bezahlung von Aus- oder Weiterbildungsowie das zur Verfügung stellen von Arbeitszeit als relevante Nebenleistungangesehen werden. Eine allfällige Selbstfinanzierung könnte High Potentialseventuell von der nötigen Aus- oder Weiterbildung abhalten. Die Zusatzleistun-gen sollen so ausgestaltet werden, dass sie das Wohlbefinden des Mitarbeitersstärken. Durch das Angebot von Sportmöglichkeiten oder einem Beitrag ansFitnessabonnement kann aktiv etwas für die Work-Life-Balance des Mitarbei-ters getan werden. Zudem kann durch das Angebot von Massagegelegenheitendie Befindlichkeit am Arbeitsplatz erheblich gesteigert werden. Durch Vergün-stigungen, welche von der ganzen Familie genutzt werden können, werden dasVerhältnis von Arbeit und Freizeit und die Einstellung der Familie dem Unter-nehmen gegenüber positiv beeinflusst. Dies kann beispielsweise ein so genann-ter Kulturbeitrag sein, bei dem der Mitarbeiter einen Teil an kulturellen Anläs-sen bezahlt erhält, welche er mit seiner Familie besuchen kann. Ein wichtigerAnreiz besonders für weibliche High Potentials ist die Bereitstellung von Kin-derbetreuungsplätzen, was eine bessere Koordination von Beruf und Familieermöglicht. Unter dem Aspekt der Zeitersparnis ist die Bereitstellung von geo-graphisch nahen Parkplätzen ein wichtiger Anreiz, da die Parkplatzsuchzeitreduziert und der hiermit verursachte psychische Stress eliminiert wird.

Um High Potentials durch finanzielle Anreize an das Unternehmen zu binden,muss ihnen mehr geboten werden als bei der Konkurrenz. Dies trifft vor allemauf die Zusatzleistungen zu. Sie sind das „Zünglein an der Waage“. Die Auto-ren sind der Ansicht, dass die Bindung eines High Potentials ans Unternehmengestärkt wird, wenn er in allen direkten und indirekten Finanzangelegenheitengut betreut und hinreichend unterstützt wird.

4.2 Organisatorische AnreizeFür die Bildung eines Anreizsystems für High Potentials sind sowohl organisa-torische Anreize im engeren wie im weiteren Sinne relevant. Die Anreize imengeren Sinne sind für das Unternehmen einfacher und kurzfristiger gestaltbarals diejenigen im weiteren Sinne.

Im Folgenden werden zuerst die Anreize im engeren Sinn vorgestellt, zu denenMaßnahmen der Arbeitszeitregelung und der Personalentwicklung zu zählen sind.

Aus der Towers Perrin Global Workforce Study – Deutschland geht hervor,dass der Zugang zu verschiedenen Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten fürdie Bindung von Mitarbeitern von entscheidender Bedeutung ist (vgl. Enne-king/Sebald, 2006, S. 18). Als Personalentwicklungsmaßnahme bietet sich fürHigh Potentials einerseits das „training on the job“ an. Es umfasst eine Dele-gation von Aufgaben, die Teilnahme an Entscheidungsvorbereitungen sowiedie Anleitung und Beratung durch den jeweiligen Fachvorgesetzten (vgl.

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Olesch, 1992, S. 81). Wird ein High Potential durch den Vorgesetzten gecoacht,dann können anfallende Fragen geklärt und das unternehmensspezifische Wis-sen schnell vermittelt werden. Der High Potential rentiert sich für das Unter-nehmen am meisten, wenn er möglichst schnell nach Arbeitseintritt selbststän-dig und kompetent arbeiten kann. Zudem soll das Coaching vom Gedankender Zusammenarbeit geprägt sein und dem High Potential helfen, Eigenschaf-ten wie Offenheit, Widmung, Commitment und Verantwortungsgefühl zu ent-wickeln, indem sie ihm vorgelebt werden (vgl. Weinert, 1998, S. 727). Durch einCoaching wird eine optimale Betreuungssituation geschaffen, was für die Ent-wicklung eines High Potentials sehr positiv ist.

Durch eine „training off the job-Weiterbildung“ kann ein High Potential zusätz-lich gezielt auf seine Aufgaben vorbereitet werden (vgl. Olesch, 1992, S. 81).Zudem kann ein Unternehmen für High Potentials an Attraktivität gewinnen,indem es seinen Mitarbeitern eine freie Weiterbildungswahl eingesteht undauch in Weiterbildungsvorhaben unterstützt, welche sie fachlich in eine Rich-tung weiterentwickelt, die nicht primär vom Unternehmen vorgesehen wurde.Diese Weiterentwicklung kann eine Versetzung des High Potentials in einenanderen Unternehmensbereich zur Folge haben, in dem er seine neu erlerntenFähigkeiten anwenden kann.

Für weltweit tätige Unternehmen besteht zudem die Möglichkeit, High Potenti-als einen Auslandaufenthalt zu ermöglichen. Dieser Anreiz ist besonders effek-tiv für Länder wie die USA, in denen es schwierig ist, eine Arbeitsbewilligung zuerhalten. Zudem ist man durch einen unternehmensinternen Austausch bereitsbei der Ankunft sozial integriert. Es ist im Interesse des Unternehmens, dass sichdie High Potentials im Gastland wohl fühlen und positive Emotionen mit demAufenthalt und der Firma verbinden, was eine zusätzliche Bindung hervorruft.

Das Unternehmen sollte auch darum bemüht sein, ein transparentes und nach-vollziehbares Beförderungssystem zu etablieren. Um High Potentials an dasUnternehmen zu binden, müssen ihnen die Aufstiegsmöglichkeiten aufgezeigtwerden und sie sollten wissen, was sie leisten müssen, um ihre Karrierelauf-bahn positiv zu beeinflussen (laut der VIE-Theorie wird die Instrumentalitätund Erwartung erhöht, was eine höhere Leistung erwarten lässt). Unterneh-men, die höhere Führungspositionen aufgrund von Kronprinzenkonzeptenbesetzen, können die Karriereabsichten von High Potentials kaum befriedigen,was langfristig dazu führt, dass sich die hoch qualifizierten Mitarbeitenden aufdem Arbeitsmarkt nach einer neuen Herausforderung umsehen. Aus diesemGrund sollte mit jedem High Potential das Gespräch gesucht werden, damit dieindividuelle Laufbahn im Unternehmen geplant werden kann. DiesesGespräch ist für beide Seiten von Vorteil. Zum einen ist es nicht zwingend,dass ein High Potential Karriereabsichten hegt und zum anderen kann das

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Unternehmen eine bessere Nachfolgeplanung erstellen, wenn es weiß, welcheAmbitionen die einzelnen Mitarbeiter haben. In der Praxis stellt sich häufigdas Problem, dass nicht genügend Positionen im Unternehmen zur Verfügungstehen, welche eine vertikale Versetzung ermöglichen. Daher ist es notwendig,dass den High Potentials die Möglichkeit einer horizontalen und/oder zentri-petalen Versetzung aufgezeigt wird (vgl. Enneking/Sebald, 2006, S. 16).

Zu den organisatorischen Anreizen sind auch alle Facetten der Arbeitszeitrege-lung zu zählen (Die Aspekte der Arbeitszeitregelung sind im Cafeteria-Systemintegrierbar; durch die individuellen Auswahlmöglichkeiten wird die Bindung andas Unternehmen verstärkt.). Unter der Arbeitszeitregelung wird nicht nur dasArbeitszeitmodell verstanden, nach welchem sich die Mitarbeiter zu richtenhaben. Da es bei High Potentials unwahrscheinlich ist, dass sie ihre Sollzeit nichterfüllen, ist es für sie attraktiver, wenn sie über gleitende Arbeitszeiten verfügen,welche sie in ihren persönlichen Tätigkeiten nicht einschränken und wenn sie beiBedarf zusätzlichen Urlaub erhalten können. Dies ist jedoch nur möglich, wenndas Unternehmen in saisonalen Geschäften tätig ist und der Urlaub in der ausser-saisonalen Zeit bezogen wird bzw. wenn die Arbeit auf andere Mitarbeiterumverteilt werden kann. Zusätzlich erstrebenswert sind so genannte Veto-Tage.Diese Anzahl von Ferientagen kann von den Mitarbeitern ohne Rücksicht auf dasUnternehmen bezogen werden. Sie müssen vom Unternehmen nicht genehmigtwerden, sondern können für persönlich wichtige Ereignisse eingesetzt werden,ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Die Veto-Tage erhöhen die Work-Life-Balance, da die Unabhängigkeit vom Willen des Unternehmens unterstützt wird.Bei der Geburt eines Kindes ist es beispielsweise nicht im Ermessen des Vorge-setzten, ob zwei Freitage gewährt werden oder nicht. Es wird also weniger Frei-raum für persönliche Machtspiele zwischen Vorgesetztem und High Potential ein-geräumt. Eine flexible Pensionierung kann für High Potentials auch ein Ansporndarstellen. Sie lässt dem Mitarbeiter die Entscheidung offen, bis zu welchemLebensjahr er arbeiten möchte. Eine Frühpensionierung kann zum Beispiel einer-seits für die täglichen Strapazen und Bemühungen entschädigen und andererseitskann das Wissen um eine frühere Pensionierung auch einen Anreiz darstellen,sich in der verbleibenden Zeit noch mehr anzustrengen.

Zur zweiten Kategorie von Anreizen sind jene im weiteren Sinn zu zählen.Diese beinhalten Anreize wie die Größe, die Struktur, die Kultur und das Imageder Organisation.

Die Größe des Unternehmens als organisatorischer Anreiz ist für High Poten-tials nicht ganz unwesentlich. Je größer ein Unternehmen ist, desto mehr Kar-rieremöglichkeiten können durch vertikale, horizontale und/oder zentripetaleVersetzungen innerhalb des Unternehmens realisiert werden. Es ist daher fürein Unternehmen von Vorteil, eine gewisse Größe zu besitzen, um die für die

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Bindung von High Potentials relevanten Aufstiegschancen zu gewährleisten.Die optimale Größe ist jedoch branchenabhängig.

Die Unternehmenspolitik und -kultur, die High Potentials anzieht, sollte ihreWerte reflektieren. Sie sollte offen, menschlich, kommunikativ und dynamischsein sowie die Mitarbeiter begeistern, motivieren und sie leistungsmäßig her-ausfordern können. Zum Beispiel sollte ein Unternehmen über die finanziellenZahlen und über die strategischen und operativen Vorhaben des Unterneh-mens informieren, damit sich die Mitarbeiter als einen Teil des Ganzen fühlen,den es wert ist, zu informieren. Der Vertrauensbeweis stärkt das Gefühl derZugehörigkeit und die Bindung des High Potentials an das Unternehmen.Das Unternehmensklima sollte so gestaltet werden, dass sich High Potentialsgerne in den Räumlichkeiten aufhalten, in welchen sie arbeiten. Viele Großun-ternehmen stellen beispielsweise der gesamten Belegschaft einen Fitnessclubauf dem betriebseigenen Gelände gratis oder gegen eine bescheidene Jahres-gebühr zur Benutzung in der Freizeit zur Verfügung. Das Unternehmensklimakann dabei schon durch relativ schnell realisierbare Maßnahmen nachhaltigverbessert werden: Beispielsweise beeinflusst die Verwendung der richtigenFarbkombinationen das individuelle Wohlbefinden maßgeblich. Zudem kanndas dezente Versprühen von stimulierenden Aromaessenzen die Befindlich-keit der Mitarbeiter verbessern und die Motivation bei der Arbeit fördern.Betriebswirtschaftlich schlägt sich ein höheres Wohlbefinden in tieferen Fluk-tuations- und Fehlzeitenraten nieder und stellt somit eine klassische „win-win-Situation“ dar.Zur Unternehmensstruktur kann angeführt werden, dass eine relativ flacheHierarchie die Attraktivität und die Bindung an das Unternehmen positivbeeinflussen. Junge High Potentials besetzen ziemlich rasch eine Position, inder Verantwortungsübernahme in ihrem Kerngebiet gefordert wird. Jedochsollte auch eine relativ flache Hierarchie noch Karrierestufen aufweisen, dieeinen Aufstieg ermöglichen. Wenn zu viele Karrierestufen vorhanden sind,sinkt die Bedeutung jedes Karriereaufstiegs, da jeweils nur kleine Schrittegenommen werden und wenn zu wenig Karriereoptionen angeboten werden,wandern die High Potentials zu anderen Unternehmen ab. Positionen aufhöheren Karriereebenen können beispielsweise durch Aufgaben der Personal-und Unternehmensführung sowie durch vermehrt konzeptionelle, strategischeund aquisitorische Verpflichtungen angereichert werden. Das Unternehmensimage sollte bewusst so gestaltet werden, dass sich HighPotentials angezogen fühlen. Laut der Towers Perrin Global Workforce Study– Deutschland hat sich herausgestellt, dass das Image und ein positives Unter-nehmensergebnis wichtige Faktoren sind, um Mitarbeiter zu gewinnen, zumotivieren und zu binden (vgl. Enneking/Sebald, 2006, S. 19). Die Werbung

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sollte zum Beispiel gezielt so platziert werden, dass sie von der Zielgruppewahrgenommen wird. Die Imagepositionierung sollte zum Ziel haben, dieHigh Potentials stolz zu machen, einen Teil dieses Ganzen zu sein.

4.3 Soziale AnreizeLaut der Towers Perrin Workforce Study – Deutschland gehört der Führungs-stil zu den Treibern für die Mitarbeitergewinnung, -motivation und -bindung.Für einen Mitarbeiter ist es wichtig, dass sich die Chefetage für ihn interessiert,der Direktvorgesetzte offen und zugänglich ist und die Führungspersonen dievon ihm geforderten Werte auch selber vorleben (vgl. Enneking/Sebald, 2006,S. 19). Die Autoren vertreten die Meinung, dass High Potentials durch einenpartizipativen Führungsstil in relativ flacher Hierarchie geführt werden sollen,bei dem schnell viel Verantwortung an den Mitarbeiter abgegeben wird. Dabeisoll der Führungsstil dem High Potential möglichst große Handlungsspielräu-me gewähren.Andererseits soll vom Unternehmen darauf geachtet werden, dass High Poten-tials von einer Gruppe von Ihresgleichen umgeben sind. Die Qualität der Kolle-gen wurde laut der Towers Perrin Workforce Study – Deutschland als wichtigerTreiber für die Mitarbeiterbindung identifiziert (vgl. ebenda, 2006, S. 19). DieAutoren sind der Meinung, dass dadurch das Interesse an der Arbeit gesteigertwird, da über Fachthemen diskutiert werden kann und ein Wissensaustauschstattfindet, welcher sowohl das implizite und explizite Know-how des Einzelnenals auch das unternehmensspezifische Wissen steigert. Zudem kann durch Mit-arbeiteranlässe die soziale Zugehörigkeit gesteigert werden, was einerseits dieBildung von Freundschaften innerhalb der Belegschaft positiv beeinflusst undandererseits Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit darstellt.Die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Mitarbeitern selbst sowiejene zwischen der Unternehmensleitung und den Mitarbeitern sind wichtig.Um High Potentials zu motivieren und in das Unternehmen zu integrieren, solleine offene, stufengerechte Kommunikations- und Informationspolitik verfolgtwerden. Zum Beispiel sollen High Potentials über Umstrukturierungspläne,welche sie selber betreffen, rechtzeitig informiert und miteinbezogen werden,damit sie Einfluss auf das Vorhaben nehmen und ihre Wünsche anbringen kön-nen. Dieser frühzeitige Einbezug und die zumindest partielle Mitgestaltungs-möglichkeit führen dazu, dass sich die High Potentials auch nach der Umstruk-turierung in ihrem Arbeitsumfeld wohl fühlen und sie somit nicht, wie in derbetrieblichen Praxis oft beobachtet, das Unternehmen nach beispielsweiseeiner aus der Presse erfahrenen Umstrukturierungsankündigung freiwillig ver-lassen. Kommt es trotzdem zu keiner arbeitsrechtlichen Kündigung, so findetjedoch oftmals eine Kündigung des psychologischen Vertrags statt, was sich u.a. in

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einer nachlassenden Arbeitsleistung, in einem geringeren Bindungsgefühl zumUnternehmen oder ganz allgemein ausgedrückt in einer Form der Unzufrie-denheit äußert. Der Wohlfühlfaktor stellt somit für die Autoren einen ganzwichtigen Faktor dar, dem in der betrieblichen Praxis allerdings nach wie vorzu wenig Beachtung geschenkt wird.Eine statusorientierte Stellung innerhalb des Unternehmens oder dieZugehörigkeit zu einem innerbetrieblichen Elitezirkel gilt ebenfalls als HighPotential-Motivator (vgl. Draeger et al., 1999, S. 199). Einem High Potentialwird Anerkennung entgegengebracht, indem man ihn befördert. Die Beförde-rung dient als Anerkennung für die erbrachte Leistung und für die absolvierteAusbildung. Aber bereits die Erlaubnis, eine Ausbildung auf Unternehmens-kosten absolvieren zu dürfen, kann eine gewisse Anerkennung bedeuten. Aner-kennung kann auch durch die Übergabe von mehr Verantwortung oder durchdas Anvertrauen von Führungsaufgaben ausgedrückt werden. Durch die Aner-kennung wird dem High Potential bestätigt, dass seine Arbeit geschätzt wirdund dass sie qualitativ gut ist und auf diese Weise wird er indirekt an das Unter-nehmen gebunden.

4.4 Anreize der Arbeit selbstHigh Potentials verfügen über ein fundiertes Wissen, welches umgesetzt wer-den will. Aus diesem Grund ist es für die Aufgabe, mit welcher der High Poten-tial betraut wird, unabdingbar, dass sie herausfordernd und abwechslungsreichist und dem Mitarbeiter Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten sowie geistigesWachstum bietet. Zur adäquaten Ausgestaltung der Aufgabe kann zum Bei-spiel das Mitarbeitergespräch herbeigezogen werden, in dem die Wünsche desMitarbeiters erfragt werden und versucht wird, die Arbeitsstelle dementspre-chend zu gestalten. Zudem kann im Mitarbeitergespräch auch der Wunschnach den Karriereabsichten geklärt werden.

Im Weiteren ist es wichtig, dass High Potentials mit wesentlichen Aufgabenbetraut werden, welche für den Erfolg des Unternehmens von Bedeutung sind.High Potentials haben das Bedürfnis, ihre Fähigkeiten gegenüber dem Arbeit-geber unter Beweis zu stellen, damit ihr Wert erkannt wird und sie sich alsmögliche Kandidaten einer unternehmensinternen Nachfolgeplanung herauskristallisieren. Das Unternehmen seinerseits nimmt die erbrachten Leistungenmit Freude zur Kenntnis und sorgt für eine vermehrte Förderung der Hoch-qualifizierten durch weitere, noch spannendere und herausfordernde Arbeiten.

Zudem ist es für High Potentials von großer Bedeutung, dass ihre Aufgabendem Anspruch nach Ganzheitlichkeit gerecht werden und sie aktiv in denArbeitsprozess eingreifen und die gesetzten Ziele mit selbst gewählten Arbeits-

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methoden erreichen können. Dies erhöht automatisch ihre Entscheidungsfrei-heit und Selbstständigkeit sowie die mit der Arbeit verbundene Verantwortung.

Die Autonomie kann vom Unternehmen durch das Mitarbeitergespräch kon-trolliert und reguliert werden. Beim Mitarbeitergespräch können Ziele formu-liert werden, welche im nächsten Jahr erreicht werden sollen. Wenn der Mitar-beiter die Ziele zur besten Zufriedenheit erfüllt hat, kann der Verantwortungs-bereich ausgebaut und dem Mitarbeiter mehr Selbstständigkeit zugesprochenwerden. Falls man noch über keine Erfahrungswerte betreffend eines Mitarbei-ter verfügt, können die Gespräche auch halbjährlich angesetzt werden.

4.5 Kritische Beleuchtung des Anreizsystems für High PotentialsBeim Erarbeiten des Anreizsystems hat sich gezeigt, dass die einzelnen Maß-nahmen nicht eindeutig nur einer einzigen Anreizart zuzuordnen sind. Als Bei-spiel kann die Weiterbildung angeführt werden. Die Weiterbildung stellt einenfinanziellen Anreiz dar, wenn die Kosten vom Unternehmen übernommenwerden. Zudem ist sie als Personalentwicklungsmaßnahme ein organisatori-scher, als Mittel der Anerkennung ein sozialer und als Lern- und Entwick-lungsmöglichkeit ein Anreiz der Arbeit selbst.

Das in der Abb. 3 konzipierte Anreizmodell erhebt keinen Anspruch auf Voll-ständigkeit, sondern soll einen Denkanstoß liefern. Es ist die Synthese ausErgebnissen der Towers Perrin Global Workforce Study – Deutschland sowieeiner umfassenden Literaturstudie zur Thematik der Anreizsysteme und Ideenrespektive Erfahrungen der Autorenschaft.

Das Anreizsystem für High Potentials ist unter dem Dach der Work-Life-Balance aufgebaut. Wenn es dem Anreizsystem gelingt, ein angenehmesKlima um den Mitarbeiter zu generieren, in dem er sich wohl fühlt, dann hilftdies, den Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Nur Mitarbeiter, dieüber eine ausgewogene Work-Life-Balance verfügen, sind aus Unterneh-menssicht voll einsatzfähig und belastbar. Das Unternehmen sollte darumbemüht sein, dem High Potential so viel Nebensächlichkeiten wie möglichabzunehmen und ihm in organisatorischen Aufgaben des persönlichen LebensHilfe anzubieten und damit das Erreichen einer ausgewogenen Work-Life-Balance zu ermöglichen. Als Instrument für die Entwicklung eines passendenAnreizsystems dient das Mitarbeitergespräch, das im erstellten Anreizmodelleine zentrale Stellung einnimmt. Persönliche Anliegen und Bedürfnisse kön-nen diskutiert und gemeinsam gelöst sowie Ziele vereinbart werden. Die Ziel-setzung dient als Gestaltungselement der Leistungsentlohnung. Jedoch kanndurch die Zielvereinbarung auch das Weiterbildungsbedürfnis und diebetriebliche Karriereplanung geklärt werden (vgl. Wälchli, 1995, S. 396). Es

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Work-Life-Balance

Mitarbeitergespräche

Integrierbar in Cafeteria-System

INDIVIDUELLE, FAIRE VERGÜTUNGvergleichbares Basisgehaltvariables Gehalt, welches beeinflusst werden kann(Prämien, Gewinnbeteiligung)Festlegung der Vergütung nachvollziehbar und fair

WETTBEWERBSFÄHIGE NEBENLEISTUNGENGesundheitsvorsorge, AltersvorsorgeRechtsberatung, Steuerberatungbezahlte Aus-/WeiterbildungSportmöglichkeiten, MassagemöglichkeitVergünstigungen (z.B. Kulturbeitrag)Kinderbetreuungreservierte Parkplätze...

FINANZIELLE ANREIZE

FÜHRUNGSSTILpartizipativer Führungsstil in flacher HierarchieFührung ist an Mitarbeitern interessiertVorgesetzter ist offen und zugänglichFührung ist ein Vorbild bezüglich den UG-Werten

GRUPPENMITGLIEDSCHAFThochqualifizierte Arbeitskollegensoziale Zugehörigkeit durch Mitarbeiteranlässe

KOMMUNIKATION/INFORMATIONoffene stufengerechte Kommunikationspolitik

ANERKENNUNG/STATUS Beförderung, Verantwortung, Führungsaufgaben,Weiterbildung

ANFORDERUNGSVIELFALTherausfordernde und abwechslungsreiche Arbeit

LERN- UND ENTWICKLUNGSMÖGLICHKEITENgeistiges Wachstum, Karrieremöglichkeiten

WESENTLICHKEITwichtige und für Unternehmenserfolgrelevante Aufgaben

GANZHEITLICHKEITMöglichkeit, aktiv die Arbeitsprozesse zu beeinflussen

AUTONOMIEEntscheidungsfreiheit, hohes Maß an Selbstständig-keit, Verantwortung

ORGANISATORISCHE ANREIZE

SOZIALE ANREIZE

ARBEITSZEITREGELUNGflexible Pensionierung zusätzlicher Urlaubgleitende Arbeitszeiten Veto-Tage

PERSONALENTWICKLUNGTraining on the job (Coaching)Training off the job nach eigener WahlAuslandsaufenthalteLaufbahnplanung (transp. Beförderungssysteme)offene, dynamische Unternehmenspolitik, -kulturpositives Image und Finanzlage des Unternehmensflache Hierarchiestrukturgesunde UnternehmensgrößeAroma- und Farbtherapie zur Klimaförderung

ANREIZE DER ARBEIT SELBST

Abb. 3: Anreizsystem für High Potentials (eigene Darstellung)

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können Ziele für alle vier Anreizarten formuliert werden, welche kurz oderlangfristig angestrebt werden. Für das Unternehmen dient das Mitarbeiterge-spräch als Quelle für Verbesserungsvorschläge und für die Entwicklung einesAnreizsystems mit bindender Wirkung. In das oben vorgestellte Anreizsystemfür High Potentials ist zudem das Cafeteria-System eingebaut. Elemente derindividuellen, fairen Vergütung, der wettbewerbsfähigen Nebenleistungenund der Arbeitszeitregelung sind integriert.

Die aus der Towers Perrin Global Workforce Study – Deutschland gewonne-nen Erkenntnisse betreffend der Mitarbeiterbindung wurden zusätzlich imAnreizsystem berücksichtigt. Neben drei finanziellen Treibern kommen diewichtigsten Faktoren für die Mitarbeiterbindung aus dem nicht monetärenBereich. Der erste Platz belegt laut dieser Studie das Vorhandensein von Kar-rieremöglichkeiten, gefolgt von ausreichender Entscheidungsfreiheit und demRuf des Unternehmens. An vierter Stelle steht die faire Vergütung im Ver-gleich zu den Arbeitskollegen gefolgt von angemessenen Nebenleistungen.Aus dem Bereich des Arbeitsumfeldes wurde das Verhalten des Vorgesetztenals wichtig identifiziert. Der Vorgesetzte muss verstehen, was den Mitarbeitermotiviert und er sollte offen und zugänglich sein. Zudem ist es für die Bindungder Mitarbeiter wichtig, dass die Work-Life-Balance stimmt und genügendAnreize zur Gesundheitsvorsorge bestehen (vgl. Enneking/Sebald, 2006, S. 16).

5 SchlussfolgerungZusammenfassend kann angeführt werden, dass ein Anreizsystem für HighPotentials über umfangreiche Anreize verfügen muss, welche alle Anreizkate-gorien abdecken. Ein stärkeres Gewicht fällt den nicht-monetären Anreizenzu, was nicht zuletzt auf den bereits erwähnten Wertewandel und die Höhe dermonetären Anreize zurückzuführen ist. Den individuellen Wünschen der HighPotentials muss Rechnung getragen werden und das Anreizsystem soll die Mit-arbeiter so weit wie möglich von allen Unannehmlichkeiten und Verpflichtun-gen entlasten. Nur so kann der Druck, der auf den High Potentials lastet, abge-baut werden, was die Arbeitszufriedenheit und die Work-Life-Balance derIndividuen fördert und die Bindung an das Unternehmen positiv beeinflusst.

6 LiteraturverzeichnisAhlers F.; Eggers, B.: Schlüsselfaktoren eines erfolgreichen High-Potential-Personalmarketing, in: Eggers, B.; Thiele, A.: Personalmarketing für High-Potentials, Göttingen: Verlag für angewandte Psychologie, 1999, S. 39-48

Bau, F.: Anreizsysteme in jungen Unternehmen, Eine empirische Untersu-chung, Köln: Josef Eul Verlag, 2003

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Becker, F. G.: Anreizsysteme als Instrumente der strukturellen Mitarbeiter-führung, in: Eyer, E. (Hrsg): Praxishandbuch Entgeltsysteme, Durch differen-zierte Vergütung die Wettbewerbsfähigkeit steigern, Düsseldorf: SymposionVerlag, 2002, S. 11-26Bruns, I.; Fröhlich-Krummenauer, M.: Personalmarketing im Internet – Unter-nehmenspräsentation zur Ansprache von High Potentials, in: Personal, Heft10, 2000, S. 536-542Draeger, A.; Eggers, B.; Thiele, A.: Top-Unternehmen und High Potentials:Leitsätze eines erfolgreichen Personalmarketings, in: Eggers, B.; Thiele, A.:Innovatives Personalmarketing für High-Potentials, Göttingen: Verlag fürangewandte Psychologie, 1999, S. 197-206Enneking, A.; Sebald, H.: Was Mitarbeiter bewegt und Unternehmen erfolg-reich macht, Gewinnen, Binden und motivieren von Mitarbeitern als erfolgs-kritischer Beitrag zum Unternehmenserfolg, Frankfurt: Towers Perrin, 2006Heckhausen, J.; Heckhausen, H.: Motivation und Handeln, 3. Auflage. Heidel-berg: Springer Verlag, 2006Hegner, F.; Kleibs, R.: Entgeltsysteme zielbezogen und motivierend gestalten,in: Personal 49, Nr. 10, 1997, S. 512-517Herbert, W.: Wertewandel und Anreizattraktivität, in: Schanz, G. (Hrsg.):Handbuch Anreizsysteme, Stuttgart: Schaeffer-Poeschel Verlag, 1991, S. 53-89Herzberg, F.; Mausner, B., Synderman, B.: The motivation to work, 2. Ausga-be. New York: John Wiley & Sons Inc, 1959Hiltbrand, F.: Flexible Lohnsysteme gewinnen weiter an Bedeutung, in: DerBund 150, Nr. 85, 1999, S. 19Hüls, U.: Individuelle Faktoren betrieblicher Anreizgestaltung, Analyse undpraktische Implikationen des Zusammenhangs von Motivationsstrukturen undAnreizpräferenzen, Münster: Waxmann Verlag GmbH, 2003Jost, P.-J. (Hrsg.): Die Prinzipal-Agenten-Theorie in der Betriebswirtschafts-lehre, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, 2001Kienbaum, J.; Kinkel, A.: Internationales High-Potential-Recruiting bei Kien-baum und Partner, in: Eggers, B.; Thiele, A.: Innovatives Personalmarketing fürHigh-Potentials, Göttingen: Verlag für angewandte Psychologie, 1999, S. 185-194Mayer, B.; Pfeiffer, T.; Reichel, A.: Zu Anforderungen und Ausgestaltungs-prinzipien von Anreizsystemen aus agencytheoretischer Sicht, in: BfuP 57,Heft 1, 2005, S. 12-29March, J. G.; H.; Simon, A.: Organisation und Individuum - Menschliches Ver-halten in Organisationen, Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th.Gabler, 1976

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Olesch, G.: Praxis der Personalentwicklung, Weiterbildung im Betrieb, 2. Auf-lage, Heidelberg: Sauer Verlag, 1992Paul,C.: Personalrisikomanagement – Bestandsaufnahme und Perspektive,Düsseldorf: Hans-Bröckler-Stiftung, 2005Spengler, T.: Grundlagen und Ansätze der strategischen Personalplanung mitvagen Informationen, München: Rainer Hampp Verlag, 1999Thom, N.; Ritz, A.: Public Management - Innovative Konzepte zur Führung imöffentlichen Sektor, 2. Auflage, Wiesbaden: Gabler Verlag, 2004Wälchli, A.: Strategische Anreizgestaltung, Modell eines Anreizsystems für stra-tegisches Denken und Handeln des Managements, Bern: Paul Haupt Verlag, 1995Wagner, D.: Anreizpotentiale und Gestaltungsmöglichkeiten von Cafeteria-Modellen, in: Schanz, G. (Hrsg.): Handbuch Anreizsysteme in Wirtschaft undVerwaltung, Stuttgart, Poeschel Verlag, 1991, S. 93-109Weinert, A.B.: Organisationspsychologie, 4. Auflage, Weinheim: PsychologieVerlags Union, 1998Weinert, A. B.: Anreizsysteme, verhaltenswissenschaftliche Dimension, in:Frese, E. (Hrsg.): Handwörterbuch der Organisation, Stuttgart, Poeschel Ver-lag, 1992, S. 122-133Wild, J.: Organisation und Hierarchie, in: Zeitschrift für Organisation 42, Heft1, 1973, S. 45-54Wischer, T.: Ein Modell zur Beurteilung der Effizienz von Anreizsystemen,München: Rainer Hampp Verlag, 2005

Anschrift der Verfasser:

Marie-Claire Fundinger, 1978, cand.oec,Universität Zürich,[email protected]

Stephan Amstutz, 1977, lic. oec. publ., eidg.dipl. Handelslehrer, Assistent am LehrstuhlHuman Resource Management,Universität ZürichTel. + 41 44 634 29 [email protected]ät ZürichISU – Institut für Strategie und UnternehmensökonomikPlattenstraße 14CH-8032 Zürich

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Herausgegeben vom IfaAKöln: Wirtschaftsverlag Bachem 2007Ordner: 31,5x25, 5x4,8 cm, ca. 80 SeitenOrdner mit CD-ROM: ISBN 3-89172-467-5, € 30,00

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