Alan W. Watts - Kosmologie Der Freude

114

description

Alan W. Watts, amerikanischer Religionsphilosoph, Psychologe und einer der besten Kenner der indischen Philosophie und des Zen Buddhismus, führt uns in ein neues »Königreich des Bewußtseins«, wie er es selbst auf seinen Reisen erlebte. Er experimentierte an sich und anderen mit LSD, Psilocybin und Meskalin. Die Wirkung dieser Wunderarzeneien auf das menschliche Nervensystem und die Großhirnrinde ist noch weitgehend unbekannt. Keineswegs mit Rauschgiften zu verwechseln, vergleicht Watts die künstlichen Halluzinogene mit jenen »heiligen Pflanzen«, deren sich Medizinmänner und Stammespriester bei ihren religiösen Übungen bedienen.

Transcript of Alan W. Watts - Kosmologie Der Freude

  • Alan W. Watts

    Kosmologie der Freude

    Mit einem Vorwort von Timothy Leary, Ph. D.,

    undRichard Alpert, Ph. D.

    bersetzt von Ted Weissenborn

    Melzer Verlag Darmstadt

  • Originalausgabe: The Joyous Cosmologie Pantheon Books

    1972 Melzer Verlag GmbH 1962 Pantheon Books

    Satz und Druck Poeschel & Schulz-Schomburgk, Eschwege Alle Rechte Vorbehalten

    Einband Klemme und Bleimund, Bielefeld Printed in Germany

    Scan & OCR von Shiva2012

  • Vorwort

    Die Kosmologie der Freude ist eine brillante Anordnung von Worten, die Erfahrungen beschreiben, fr welche unsere Sprache kein Vokabular hat. Um dieses wunderbare, aber schwierige Buch zu verstehen, ist es ntzlich eine knstliche Unterscheidung zwischen dem ueren und dem Inneren zu treffen. Das ist natrlich genau die Unterscheidung, die Alan Watts von uns berschritten haben mchte. Aber Watts betreibt das Wortspiel in einer westlichen Sprache, und sein Leser ist entschuldigt, wenn er konventionellen dichotomischen Modellen folgt. ueres und Inneres. Verhalten und Bewutsein. Die uere Welt zu verndern, war der Genius und die fixe Idee unserer Zivilisation. In den letzten zwei Jahrhunderten haben die westlichen monotheistischen Kulturen ihren

    5

  • Blick nach auen gerichtet und Denkkategorien in Bewe- gung gesetzt, die von erstaunlicher Wirksamkeit sind. In frheren Jahren allerdings war sich unsere Kultur eines strenden Ungleichgewichts bewut geworden. In ihm wurden wir uns des unentdeckten Universums in uns, der nicht verzeichneten Regionen des Bewutseins gewahr. Der dialektische Trend ist nicht neu. Der Zyklus ist in das Leben vieler Kulturen und Individuen eingebrochen. uerem materiellen Erfolg folgt Desillusionierung und grundlegende warum-Fragen, dann die Entdeckung der inneren Welt einer unendlich komplexeren und reicheren Welt als alle kunstvollen Strukturen der ueren Welt, die nach allem Projektionen menschlicher Einbildung entspringt. Schlielich setzt der logische und begriffliche Geist sich von selbst in Gang, erkennt die Drftigkeit der Systeme an, die er der Welt auferlegt, hebt seine eigene strenge Kontrolle auf und strzt die Vorherrschaft der erkennenden Erfahrung um.Wir sprechen hier (und Alan Watts spricht in diesem Buch) ber die Arbeitsweise des Nervensystems sicherlich ebenso kompliziert und sicherlich ebenso wichtig wie ueres Funktionieren. Die Arbeitsweise des Nervensystems umfat die Gegenberstellung von Gemt und Verstand, den tyrannischen verbalen Verstand, der sich vom Organismus und der Welt, von der er ein Teil ist. getrennt hat, der zensiert, wachsam ist und wertet.Auf solche Art erscheint die fnfte Freiheit die Freiheit jenseits des Bildung- und Klturgeistes, nmlich die Freiheit, das Bewutsein ber das knstliche, kulturelle Wissen

    6

  • hinaus zu erweitern. Das ist die Freiheit, von bestndiger Befangenheit mit den Wortspielen den sozialen Spielen, dem Spiel des Selbst zu der lustvollen Einheit des jenseits Existierenden zu gelangen.Wir haben es hier mit einem Gegenstand zu tun, der nicht neu ist, ein Problemkreis, der seit Jahrhunderten von Mystikern und Philosophen, die religise Erfahrung haben, bedacht wurde, von jenen seltenen und wirklich groen Wissenschaftlern, die in der Lage waren, an die Grenzen und ber die des wissenschaftlichen Spiels hinweg vorzudringen. Das ist von dem groen amerikanischen Psychologen William James klar gesehen und beschrieben worden: ... unser normales waches Bewutsein wir nennen es das rationale Bewutsein ist nur eine besondere Art des Bewutseins, whrend dort ganz um es herum, von ihm durch sehr trbe Schleier getrennt, mgliche Formen vllig verschiedenen Bewutseins liegen. Wir knnen durchs Leben gehen, ohne ihr Vorhandensein zu vermuten. Aber wenn der erforderliche Stimulus angewendet wird, sind sie auf einen Schlag in ihrer ganzen Vollstndigkeit da, so bestimmte Arten der Mentalitt, die wahrscheinlich irgendwo ihr Bezugsfeld und Verwendungsgebiet haben. Kein Bericht ber das Universum in seiner Totalitt kann endgltig sein, der diese anderen Formen des Bewutseins ganz unbeachtet lt. Wie man sie betrachten mu, ist die Frage, denn sie haben keinen Zusammenhang mit dem gewhnlichen Bewutsein. Sie knnen zwar bestimmte Verhaltensweisen bestimmen, jedoch kn-

    7

  • nen sie keine Formeln liefern, und sie ffnen eine ganze Welt, aber sie versagen dabei, einen Plan zu liefern. Auf jeden Fall verbieten sie einen voreiligen Schlu aus unseren Betrachtungen der Realitt. Im Rckblick auf meine eigenen Erfahrungen konvergieren sie alle in Richtung auf eine Art Innensicht, der ich einfach eine metaphysische Bedeutung zuschreiben mu.Aber was sind die notwendigen und angemessenen Stimuli, um die Herrschaft des Begriffs zu strzen und die mglichen Formen des Bewutseins zu ffnen? Es gibt ihrer viele. Indische Philosophen haben hunderte von Methoden beschrieben. Das gleiche haben die japanischen Buddhisten getan. Die Mnche unserer westlichen Religionen liefern weitere Beispiele. Mexikanische Medizinmnner und religise Anfhrer nord- und sdamerikanischer Indianerstmme haben jahrhundertelang heilige Pflanzen gebraucht, um die Bewutseinserweiterung auszulsen. Neuerdings hat unsere westliche Wissenschaft in der Form von chemischen Produkten die direktesten Methoden fr die ffnung neuer Knigreiche des Bewutseins geliefert. William James benutzte Lachgas und Aether, um mystisches Bewutsein von auerordentlichem Grade zu stimulieren. Heutzutage richten Psychologen, Philosophen und Theologen ihre Aufmerksamkeit auf die Wirkungen dreier synthetischer Substanzen Meskalin, Lysergsure (LSD) und Psilocybin.Was sind das fr Substanzen? Medikamente, Drogen oder sakrale Speisen? Es ist leichter zu sagen, was sie nicht sind. Sie sind keine Narkotika, keine Rauschmittel, keine Str

    8

  • kungsmittel (Aufputschmittel), keine Betubungsmittel und keine Beruhigungsmittel. Sie sind eher biochemische Schlssel, die Erfahrungen erschlieen, die fr die meisten Westler umwerfend neu sind.In den letzten beiden Jahren haben Mitarbeiter des Center for Research in Personality (Institut fr Persnlichkeitserforschung) an der Harvard Universitt systematische Experimente mit diesen Substanzen durchgefhrt. Unsere erste Untersuchung ber die biochemische Bewutseinserweiterung war eine Studie ber die Reaktionen von Amerikanern in einer hilfreichen, angenehmen und natrlichen Atmosphre. Wir hatten Gelegenheit, an ber eintausend einzelnen Verabreichungen teilzunehmen. Aus unseren Beobachtungen, Interviews und Berichten, aus der Analyse der Fragebogendaten und vor- und nachexperimentellen Unterschieden in den Ergebnissen der Persnlichkeitstests ergeben sich bestimmte Schlufolgerungen, x) Diese Substanzen verndern das Bewutsein. ber diesen Punkt gibt es keine Debatte. 2) Es ist bedeutungslos, eingehender ber die Wirkung der Droge zu sprechen. Personenkreis und Hintergrund, die Erwartung und die Atmosphre bestimmen jeweils die besondere Art der Reaktion. Es gibt keine Drogen-Reaktion, sondern immer Hintergrund und Droge. 5) Wenn ber die Wirkungsmglichkeit gesprochen wird, ist es ntzlich, nicht nur den Hintergrund und die Droge, sondern eher die Wirkungsmglichkeiten der Grohirnrinde in Betracht zu ziehen, um Vorstellungen und Erfahrungen weit jenseits der engen Grenzen von Worten und Begriffen zu schaffen. Diejenigen

    9

  • von uns, die an dem Forschungsprojekt mitarbeiteten, verbrachten einen guten Teil ihrer Arbeitsstunden damit, den Leuten zuzuhren, die ber die Wirkung und den Gebrauch von bewutseinserweiternden Drogen sprachen. Wenn wir das Wort Grohirnrinde fr Droge einsetzen, dann knnen wir jeder Feststellung ber die Wirkungsmglichkeiten zustimmen fr gut oder schlecht, fr helfen oder verletzen, fr lieben oder frchten. Wirkungsmglichkeiten der Grohirnrinde, nicht der Droge. Die Droge ist nur ein Instrument.Als wir die Ergebnisse unserer Studien analysierten und interpretierten, blickten wir zuerst auf die konventionellen Modelle moderner Psychologie - Psychoanalyse und Behaviorismus. Wir fanden diese Begriffe gnzlich inadquat, um den Reichtum und die Breite des erweiterten Bewutseins zu erfassen. Um unsere Entdeckungen zu verstehen, waren wir schlielich gezwungen, auf eine Sprache und einen Ansatzpunkt zurckzugreifen, die uns, die wir in den Traditionen der mechanistischen objektiven Psychologie geschult sind, ganz fremd waren. Wir muten wieder und wieder zu den nicht-dualistischen Vorstellungen st- licher Philosophie zurckkehren, einer geistigen Theorie, die unserer westlichen Welt durch Bergson, Aldous Huxley und Alan Watts deutlicher und vertrauter gemacht worden ist. Im ersten Teil dieses Buches legt Watts mit wunderbarer Klarheit diese Theorie des Bewutseins dar, die wir in den Berichten unserer Studienobjekte Philosophen, ungebildete Strflinge, Hausfrauen, Intellektuelle und Alkoholiker besttigt gefunden haben. Der Sprung

    10

  • ber das verwirrende Dickicht des Verbalen, um sich mit der Totalitt des Erfahrenen zu identifizieren, ist ein Phnomen, das wieder und wieder von diesen Personen berichtet worden ist.Alan Watts gelingt es seine Trip-Erfahrung in wunderbarer Klarheit zu beschreiben.Er versucht natrlich das Unmgliche in Worten zu beschreiben (die immer lgen), was jenseits der Worte liegt. Aber wie gut ist ihm das gelungen.Alan Watts ist einer der groen Berichterstatter unserer Zeit. Er hat eine intuitive Empfindsamkeit fr Neuigkeiten, fr die entscheidenden Probleme und Ereignisse des Jahrhunderts. Gleichzeitig verfgt er ber das sprachliche Rstzeug eines dichterischen Philosophen, um zu lehren und zu informieren. Er hat uns damit die wahrscheinlich beste Darstellung zum Thema des Mystizismus im Raumzeitalter gegeben, die wagemutiger ist als die beiden klassischen Werke von Aldous Huxley, weil Watts der Fhrung Huxleys folgt, dann aber ber ihn hinausgeht. Die Erkenntnis des Aspekts der Liebe in der mystischen Erfahrung und die Folgen fr neue Formen sozialer Kommunikation sind besonders wichtig.Sie haben ein bedeutendes menschliches Dokument in der Hand. Wenn sie jedoch nicht einer der wenigen Westler sind, die (zufllig oder durch das Glck der Droge) einen mystischen Augenblick erweiterten Bewutseins erlebt haben, werden Sie vermutlich nicht verstehen, was der Autor sagt. Das ist auerordentlich bedauerlich, jedoch kein Anla zur berraschung. Die Geistesgeschichte er

    11

  • innert uns daran, da neue Begriffe und neue Einsichten zunchst immer unverstanden geblieben sind. Wir knnen nicht verstehen, wofr wir keine Worte haben. Doch Watts lt sich auf das Spiel mit dem Buch, mit dem Wort ein, und der Leser ist der ihm verpflichtete Partner.Hren Sie gut zu, seien Sie vorbereitet. Es gibt Punkte von groer Bedeutung in diesem Buch, dutzende von wichtigen Ideen. Zu viele3 zu stark komprimiert. Sie ziehen zu schnell vorber. Halten Sie ihr Augenmerk darauf. Wenn Sie nur einige dieser Ideen aufnehmen, werden Sie sich die gleichen Fragen stellen wie wir, als wir unser Forschungsmaterial gesichtet haben: Wohin gelangen wir von hier aus? Wie ist die Anwendbarkeit dieser neuen Wundermedikamente? Knnen sie mehr bewirken, als denkwrdige Augenblicke und Bcher hervorzubringen ?Die Antwort kommt aus zwei Richtungen. Mehr und mehr Menschen mssen diese Erfahrungen machen, und sie mssen uns berichten, wie Alan Watts es hier tut, was sie erlebt haben. (Es wird wohl kaum einen Mangel an Freiwilligen fr diese aufregende Reise geben. Einundneunzig Prozent unserer Versuchspersonen sind begierig darauf, die Erfahrung mit ihrer Familie und mit Freunden zu teilen.) Ebenso mssen wir systematisch objektive Untersuchungen durch Wissenschaftler ermutigen, die die Droge selbst eingenommen haben, und die den Unterschied zwischen dem Verborgenen und dem ueren, zwischen dem Bewutsein und dem Verhalten, erfat haben. Solche Forschungen sollten die Anwendbarkeit dieser Erfahrungen fr die Probleme des modernen Lebens ausweiten

    12

  • auf Erziehung, Religion, schpferische Arbeit und Knste.Es gibt, viele Leute, die glauben, da wir an einem wichtigen Wendepunkt fr des Menschen Fhigkeit stehen, sein Bewutsein zu kontrollieren und zu erweitern. Unsere Forschung liefert uns eine vorlufige Grundlage fr solchen Optimismus. Die Kosmologie der Freude ist ein handfester Beweis fr die gleichen frohen Erwartungen.

    Timothy Leary, Dr. phil. Richard Alpert, Dr. phil. Harvard Universitt, im Januar 1962.

    13

  • Einleitung

    In den Pforten der Wahrnehmung liefert uns Aldous Huxley einen berwltigend geschriebenen Bericht ber die Wirkung von Meskalin auf eine hochsensible Person. Das war die Aufzeichnung seiner ersten Erfahrung mit dieser bemerkenswerten Bewutseinsvernderung. Inzwischen wei er durch nachfolgende Experimente, da es zu weit tieferen Einblicken fhren kann, als sein Buch beschreibt. Zwar kann ich nicht hoffen, Aldous Huxley als Meister englischer Prosa zu bertreffen. Ich halte allerdings die Zeit reif fr die Darstellung einiger der tieferen oder hheren Einsichts-Ebenen, die durch bewutseins- verndernde Drogen erreicht werden knnen. Dazu mssen sie von anhaltender philosophischer Reflektion begleitet werden, das wiederum bei einer Person, der es nicht

    14

  • um Nervenkitzel, sondern um Verstndnis geht. Ich halte philosophische Reflektion fr unfruchtbar, wenn sie von dichterischer Eingebung getrennt ist; denn wir schreiten zum Verstndnis der Welt auf zwei Beinen, nicht auf einem.Es ist mittlerweile ein Gemeinplatz, da es einen ernstlichen Mangel an Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Laien auf der theoretischen Ebene gibt, denn der Laie versteht nicht die mathematische Sprache, in der der Wissenschaftler denkt. Zum Beispiel kann der Begriff des gekrmmten Raumes nicht in irgendeinem Bild dargestellt werden, das den Sinnen einsichtig ist. Noch mehr bin ich allerdings betroffen von der Lcke zwischen theoretischer Beschreibung und immittelbarer Erfahrung unter Wissenschaftlern selbst. Westliche Wissenschaft skizziert jetzt einen neuen Begriff vom Menschen, nicht als eines einzelnen Ego innerhalb eines Haufens von Fleisch, sondern als eines Organismus der ist, was er ist, durch seine Untrennbarkeit von der brigen Welt. Aber von den seltensten Ausnahmen abgesehen; sehen Wissenschaftler ihre Existenz nicht so. Sie und fast jeder von uns bewahren ein Gefhl von Individualitt, das unabhngig ist, isoliert, inselartig und entfremdet vom Kosmos, der sie umgibt. Irgendwie mu diese Lcke geschlossen werden, und unter den verschiedenen Mitteln, mit denen das initiiert oder erreicht werden kann, sind medizinische Prparate. Die Wissenschaft hat sie entdeckt, aber sie knnten sich als Sakramente ihrer Religion erweisen.Lange Zeit waren wir an die Trennung von Wissenschaft

    15

  • und Religion gewhnt, als ob sie zwei ganz verschiedene und grundstzlich unzusammenhngende Wege der Weltbetrachtung seien. Ich glaube nicht, da dieser Zustand des zweigleisigen Denkens anhalten kann. Er mu letztlich ersetzt werden durch eine Sicht der Welt, die weder religis noch wissenschaftlich, sondern schlicht unsere Sicht der Welt ist. Deutlicher gesagt: es mu eine Sicht der Welt gefunden werden, in der Berichte von Wissenschaft und Religion ebenso bereinstimmen wie jene von Augen und Ohren.Aber die traditionellen Wege geistiger Erfahrung sprechen selten Personen mit wissenschaftlichem oder skeptischem Temperament an, denn die Vehikel, die von ihnen benutzt werden, sind gebrechlich und mit zuviel Gepck befrachtet. Daher gibt es nur wenig Gelegenheit fr die regen und kritischen Denker aus erster Hand, an den Erscheinungsformen des Bewutseins teilzuhaben, die Seher und Mystiker auszudrcken versuchen oft in archaischer und unbeholfener Symbolik. Wenn der Pharmakologe dabei hilft, diese unbekannte Welt zu entdecken, so kann er uns den auerordentlichen Dienst erweisen, religise Erfahrung vor den Obskuranten zu retten.Damit dieses Buch die Eigenschaft eines von Drogen vermittelten Bewutseins mglichst deutlich zeigt, habe ich eine Anzahl von Photographien beigefgt, die mit ihrer intensiven Widerspiegelung von natrlichen Mustern einen Eindruck einer rhythmischen Schnheit vermitteln, die Drogen in gewhnlichen Dingen enthllen. Denn ohne ihre normale Sichtweite zu verlieren, scheinen

    16

  • die Augen in ein Mikroskop zu wandeln, durch das der Geist tiefer und tiefer in das kompliziert schwingende Gefge unserer Welt eindringt.

    San Francisco, 1962Alan W. Watts

    17

  • Prolog

    Langsam wird deutlich, da die Trennung zwischen Geist und Krper einer der grten Aberglauben ist. Das bedeutet nicht, da wir gezwungen sind, nur den Krper gelten zu lassen 5 es bedeutet, da wir eine ganz und gar neue Auffassung vom Krper ins Leben rufen. Denn der Krper, vom Geist getrennt betrachtet, ist eine Sache ein beseelter Leichnam. Aber der Krper, den wir als untrennbar vom Geist ansehen, ist etwas anderes; doch bisher haben wir noch kein eigenes Wort fr eine Wirklichkeit, die gleichermaen geistig und krperlich ist. Sie geistig-kr- perlich zu nennen, reicht nicht aus 3 das wre die sehr unbefriedigende Verbindung zweier Begriffe, die beide durch lange Trennung und Gegnerschaft verarmt sind. Aber wir sehen wenigstens eine Mglichkeit, Vorstellungen von ei-

    18

  • nem Stoff, der geistig und einem anderem, der materiell ist, aufzugeben. Stoff ist ein Wort, das den formlosen Brei beschreibt, den wir bemerken, wenn der Verstand nicht scharf genug ist, sein Bild wiederzugeben. Die Ansicht ber materiellen oder geistigen Stoff beruht auf der falschen Analogie, da Bume aus Holz, Berge aus Stein, und Bewutsein aus Geist in der gleichen Weise gemacht sind, wie Tpfe aus Ton. Trge Materie scheint eine uerliche und vernunftbegabte Energie zu erfordern, um ihr Form zu geben. Aber wir wissen, da Materie nicht trge ist. Ob sie organisch oder anorganisch ist, wir lernen Materie als Energiestrukturen zu sehen 5 nicht von Energie als Stoff, sondern als energetisches Modell, als bewegende Ordnung und aktive Vernunft.Die Einsicht, da Geist und Krper, Form und Materie eins sind, wird indessen durch jahrhundertelange begriffliche Verwirrung und psychologische Vorurteile blockiert. Denn es ist die allgemeine Ansicht, da jedes Modell, jede Gestalt oder Struktur die Form von etwas ist, so wie es Tpfe aus Lehm sind. Es ist schwer einzusehen, da dieses Etwas ebenso entbehrlich ist wie der ther, von dem einst angenommen wurde, da das Licht sich darin fortbewege, oder die sagenhafte Schildkrte, von der man sich vorstellte, da die Welt auf ihr ruhte. Jeder, der diesen Kernpunkt wirklich erfat hat, wird eine seltsam heitere Befreiung erfahren; denn die Last des Stoffs wird von ihm fallen und er wird weniger beschwerlich gehen.Der Dualismus von Geist und Krper entstand mglicherweise als unbeholfener Versuch die Fhigkeit eines intelli

    19

  • genten Organismus, sich selbst zu beherrschen, zu beschreiben. Es schien vernnftig, sich den kontrollierten Teil als eine, den kontrollierenden Teil als eine andere Sache vorzustellen. Solcherart stand der bewute Wille den ungewollten Trieben und die Vernunft dem Instinkt gegenber. Gleichermaen haben wir gelernt, unsere Identitt, unsere Persnlichkeit im kontrollierenden Teil dem Geist zu begreifen und im zunehmenden Ma den kontrollierten Teil zum bloen Vehikel zu degradieren. So entging unserer Aufmerksamkeit, da der Organismus als ganzes weitgehend unbewut ist, und Bewutsein und Verstand benutzte, um sich zu informieren und zu kontrollieren. Wir glaubten, mit unserer bewuten Intelligenz von einer hheren Sphre herunterzusteigen, um von einem krperlichen Medium Besitz zu ergreifen. Daher bersahen wir das Wirken eines gleichen formativen Vorgangs wie die Struktur von Nerven, Muskeln, Adern und Knochen einer Struktur, die so subtil eingerichtet ist, (d. h. intelligent), da bewutes Denken sie noch immer nicht beschreiben kann.Diese radikale Trennung des kontrollierenden Teils vom kontrollierten hat den Menschen von einem selbst beherrschten zu einem selbstfrustrierenden Organismus verndert, zu jenem verkrperten Konflikt und Selbstwiderspruch, der er im Verlauf seiner bekannten Geschichte gewesen ist. Seit die Entzweiung einmal eingetreten ist, hat die bewute Intelligenz begonnen, fr ihre eigenen Zwek- ke zu sorgen anstatt fr die jenes Organismus, der sie hervorbrachte. Genauer gesagt, es wurde das Ziel der bewu-

    20

  • ten Intelligenz, fr ihre eigenen losgelsten Ziele zu arbeiten. Aber wie wir sehen werden, ist die Trennung von Geist und Krper ebenso eine Illusion wie die Unterwerfung des Krpers unter die unabhngigen Schemata des Geistes. Mittlerweile jedoch ist die Illusion genauso real wie die Halluzinationen der Hypnose. Der menschliche Organismus frustriert sich tatschlich selbst durch Verhaltensmuster, die sich in hchst komplexen Teufelskreisen bewegen. Der Hhepunkt ist eine Kultur, die immer mehr den Zielen mechanischer Ordnung dient, Zielen, die losgelst sind von denen organischer Erbauung und die gegen den Instinkt jedes ihrer Mitglieder auf Selbstzerstrung aus sind.Wir glaubten daher, da der Geist den Krper kontrolliert und nicht, da der Krper sich selbst durch den Geist kontrolliert. Daher kommt auch das eingefleischte Vorurteil, da der Geist unabhngig von allen krperlichen Hilfen wirken sollte trotz Mikroskop, Teleskop, Kamera, Meskalen, Computer, Bcher, Kunstwerke, Alphabete und all jener krperlicher Werkzeuge, ohne die es wahrscheinlich kein geistiges Leben geben wrde. Gleichzeitig hat es immer zumindest eine dunkle Ahnung davon gegeben, da an dem eigenen Gefhl, man sei abgespaltener Geist, Seele oder Ego, etwas falsch ist. Das ist nur natrlich. Jemand, der seine Identitt in etwas anderem findet als seinem ganzen Organismus, ist weniger als ein halber Mensch. Er ist von vollstndiger Teilnahme an der Natur abgeschnitten. Anstatt ein Krper zu sein, hat, er einen Krper. Anstatt zu leben und zu lieben, hat er In-

    21

  • stinkte zum berleben und zur Kopulation. Derart verleugnet, treiben sie ihn wie blinde Furien oder Dmonen, die ihn besitzen.Das Gefhl, da bei alledem etwas nicht stimmt, kreist tun einen Widerspruch, der fr die ganze Zivilisation charakteristisch ist. Das ist der gleichzeitige Zwang, sich zu erhalten und sich zu vergessen. Hier ist der Teufelskreis: Wenn man sich getrennt fhlt vom eigenen organischen Leben, fhlt man sich zum berleben getrieben; berleben Weiterleben wird so zur Pflicht und auch zum Hemmschuh, weil man nicht voll dabei ist; weil es nicht ganz den Erwartungen entspricht, fhrt man fort, zu hoffen, da sie eintreten, und sich nach mehr Zeit zu sehnen und sich immer mehr getrieben fhlen, weiterzumachen. Was wir Selbst-Bewutsein nennen, ist somit die Empfindung des sich selbst zerstrenden Organismus, der nicht mit sich selbst in Einklang steht; um es so zu sagen: Des Fahrens mit Gashebel und Bremse zugleich. Dieses hchst unerfreuliche Gefhl mchten die meisten Menschen natrlich vergessen.Der geistig anspruchslose Weg, sich selbst zu vergessen, ist, sich zu betrinken, zu zerstreuen oder natrliche Mittel des Selbstvergessens auszunutzen, wie den Geschlechtsverkehr. Die anspruchsvollere Weise heit, sich auf schne Knste, sozialen Dienst oder religisen Mystizismus zu werfen. Dies hat jedoch selten Erfolg, weil es den grundlegenden Irrtum der Spaltung nicht ausschliet. Die anspruchsvollen Arten verschrfen noch den Irrtum. Diejenigen, die ihnen folgen, sind stolz darauf,

    22

  • sich selbst mit rein geistigen Mitteln zu vergessen obgleich gerade der Knstler Farben oder Klnge benutzt, der soziale Idealist materiellen Wohlstand verteilt, und der religise Mensch Sakramente oder Rituale benutzt oder andere physische Mittel wie Fasten, Yoga-Atmung oder Derwisch-Tnze. Es gibt einen gesunden Instinkt beim Gebrauch dieser krperlichen Hilfen, wie bei der wiederholten Beteuerung von Mystikern, da es nicht genge, Gott zu kennen: Transformation des Selbst ist nur mglich durch Fhlen oder Verwirklichen von Gott. Der verborgene Punkt ist, da der Mensch nicht richtig funktionieren kann, indem er so oberflchliche Dinge wie die Ordnung seiner Gedanken, und seines gespaltenen Geistes ndert. Was verndert werden mu, ist das Verhalten seines Organismus; er mu sich selbst-kontrollieren anstatt sich selbst zu frustrieren.Wie kann das bewerkstelligt werden? Es ist klar, da nichts vom Geist und vom bewuten Willen getan werden kann, solange diese als etwas vom gesamten Organismus Getrenntes empfunden werden. Wenn aber anders gefhlt wrde, mte nichts getan werden! Eine ganz kleine Zahl stlicher Gurus oder Meister der Weisheit und westlicher Psychotherapeuten haben ziemlich mhsam mit Kunstgriffen und viel Geduld Wege gefunden, das Eins-werden mit sich selber zu erreichen, meistens durch eine Art Judo oder sanften Weg, die den Proze der Selbstfrustration besiegt, indem sie ihn zu logischen und absurden Extremen treibt. Das ist vor allem der Weg des Zen und gelegentlich der Psychoanalyse. Wenn diese Wege funktionieren, ist es

    23

  • ganz offensichtlich, da etwas mehr mit dem Schler oder Patienten passiert ist, als eine Vernderung seiner Denkweise; er ist auch emotional und krperlich anders geworden, sein ganzes Sein wirkt auf neue Weise.Seit langer Zeit war es fr mich klar, da stliche Formen des Mystizismus, besonders Taoismus und Zen-Bud- dhismus nicht ein Universum voraussetzen, das Materielles und Geistiges trennt. Sie kulminieren auch nicht in einem Bewutseinszustand, wo die krperliche Welt in eine undifferenzierte und krperlose Lumineszenz dahinschwindet. Taoismus und Zen sind gleichermaen auf einer Philosophie der Relativitt gegrndet, aber diese Philosophie ist nicht blo spekulativ. Sie ist eine Disziplin im Bewutsein, als dessen Resultat die gemeinsame Wechselbeziehung aller Dinge und aller Geschehnisse ein permanentes Erlebnis wird. Dieser Empfindung liegt unsere normale Wahrnehmung der Welt als Ansammlung getrennter und verschiedenartiger Dinge zugrunde eine Kenntnis, die sich selbst in der buddhistischen Philosophie Avidya (Unwissenheit, Unkenntnis) nennt, weil sie ausschlielich den Unterschieden Aufmerksamkeit widmet und die Beziehungen ignoriert. Sie sieht nicht, da beispielsweise Geist und Form oder Gestalt und Raum so untrennbar voneinander sind wie vorne und hinten, auch nicht, da der einzelne so stark mit dem Universum verwoben ist, da beide einen Krper bilden.Dieser Gesichtspunkt leugnet im Gegensatz zu anderen Formen des Mystizismus nicht die krperlichen Unterschiede, sondern begreift sie als unmiverstndlichen Aus-

    2 4

  • druck der Einheit. So sieht man deutlich bei chinesischer Malerei, da der einzelne Baum oder Felsen zu dem Kaum gehrt der seinen Hintergrund bildet, und nicht auf ihn gesetzt ist. Das vom Pinsel unberhrte Papier ist ein integraler Bestandteil des Bildes und niemals reines Hilfsmittel. Aus diesem Grund antwortet ein Zen-Meister, wenn er nach dem Universellen und Endgltigen gefragt wird, mit dem Unmittelbaren und Besonderen Die Zypresse im Garten ! Da haben wir dann, was Robert Linssen spirituellen Materialismus genannt hat ein Standpunkt, der Relativitt und Feldtheorie moderner Wissenschaft weit nher ist, als jedem Religisem Supernaturalismus. Aber whrend wissenschaftliches Verstndnis des relativen Universums noch so weitgehend theoretisch ist, haben diese stlichen Disziplinen es zu einer direkten Erfahrung gemacht. Potentiell knnten sie dann scheinbar eine wunderbare Parallele zu westlicher Wissenschaft anbieten, aber auf der Ebene unseres unmittelbaren Bewutseins von der Welt.Denn die Wissenschaft folgt der Annahme des gesunden Menschenverstandes, da die Natur eine Multiplikation einzelner Dinge und Ereignisse ist, und versucht, diese Einheiten so genau wie mglich zu beschreiben. Weil Wissenschaft vor allem analytisch vorgeht, scheint sie zuerst mehr als je zuvor zu trennen. Ihre Experimente sind Studien sorgfltig isolierter Situationen. Sie sind erdacht, um unmessbare und unkontrollierbare Einflsse auszuschalten so, wie man fallende Krper in einem Vacuum studiert, um die Reibung der Luft auszuschlieen. Aus diesem

    35

  • Grund jedoch versteht der Wissenschaftler besser als irgend jemand sonst, wie untrennbar die Dinge sind. Je mehr er bei einer experimentellen Situation uere Einflsse zu eliminieren versucht, umso mehr neue vllig unerwartete entdeckt er. Je sorgfltiger er, sagen wir, die Bewegung eines gegebenen Partikels beschreibt, umso mehr geht er dazu ber, auch den Raum zu beschreiben, in dem es sich bewegt. Die Einsicht, da alle Dinge untrennbar verbunden sind, geht Hand in Hand mit dem Versuch, sie klar zu unterscheiden. Wissenschaft berschreitet daher ihren Ausgangspunkt, den des gesunden Menschenverstandes. Sie kommt auf Dinge und Geschehnisse als Eigenschaften des Gebietes, in dem sie Vorkommen, zu sprechen. Das aber ist nur eine theoretische Beschreibung der Sachlage, die in diesen Formen stlichen Mystizismus direkt gesprt wird. Sobald das klar ist, haben wir eine gesunde Basis fr eine Begegnung der Geister von Ost und West, die bemerkenswert fruchtbar sein kann.Die praktische Schwierigkeit ist, da Taoismus und. Zen den fernstliche Kulturformen verbunden sind. Es ist ein Hauptproblem, sie westlichen Erfordernissen anzupassen. stliche Lehrer arbeiten z. B. nach dem esoterischen und aristokratischen Prinzip, da der Schler den schweren Weg lernen und fast alles selbst herausfinden mu. Abgesehen von gelegentlichen Hinweisen akzeptiert der Lehrer entweder die Fertigkeiten des Schlers oder er weist zurck. Westliche Lehrer aber arbeiten nach dem exoterischen und demokratischen Prinzip, wonach der Student soweit wie mglich informiert und untersttzt, werden soll

    2 6

  • te, um ihm die Beherrschung des Themas zu erleichtern. Verwssert das nur, wie Puristen behaupten, die Disziplin? Die Antwort ist, das es von der Art der Disziplin abhngt. Wenn jeder genug Mathematik lernt, um quadratische Gleichungen zu lsen, scheint das Erreichte gering im Vergleich zu dem viel selteneren Verstndnis der Zahlentheorie. Aber die Transformation des Bewutseins, die im Taoismus und Zen unternommen wird, ist eher eine Korrektur fehlerhafter Wahrnehmung oder Heilen einer Krankheit. Es ist kein Aneignungsprozess, mehr und mehr Fakten aufzunehmen oder sich grere und noch grere Fhigkeiten anzueignen, sondern eher ein Umlernen von falschen Angewohnheiten und Meinungen. Wie Lao-tse sagte: Der Schler gewinnt jeden Tag, aber der Taoist verliert jeden Tag.Die Praxis des Taoismus oder des Zen im Fernen Osten ist daher ein Unterfangen, bei dem der Westler sich von vielen Barrieren konfrontiert sieht. Sie sind ganz berlegt errichtet, um mige Neugierde zu entmutigen oder falsche Ansichten zu annulieren. Der Schler soll systematisch und beharrlich mit falschen Voraussetzungen weiterschreiten bis zur reductio ad absurdum. Mein eigenes Hauptinteresse beim Studium des vergleichenden Mystizismus war, dieses Knuel zu durchschneiden und die wesentlichen psychologischen Prozesse solcher Wahrnehmungsvernderungen zu identifizieren. Sie versetzen uns in die Lage, uns und die Welt in ihrer grundlegenden Einheit zu sehen. Ich habe vielleicht ein wenig Erfolg dabei diese Form der Erfahrung auf westliche Weise zugng-

    27

  • licher zu machen. Daher erfreut und verwirrt mich gleichzeitig eine Entwicklung in der westlichen Wissenschaft, die diese Vision der Einheit mglicherweise durch fast schok- kierend einfache Mittel vieler nahe bringen wird, die bis jetzt mit traditionellen Methoden vergeblich danach gesucht haben.Es gehrt, zum Genius westlicher Wissenschaft, einfachere und rationalere Wege fr Dinge zu finden, die frher zufllig oder mhselig waren. Wie jeder Erfindungsproze macht er diese Entdeckungen nicht immer systematisch; oft stolpert er nur ber sie, aber dann geht er weiter, sie in eine verstndliche Ordnung umzuarbeiten. In der Medizin z. B. isoliert die Wissenschaft das wesentliche Medikament von dem vormaligen Hexen-Doktor-Gebru aus Salamander, Beifu, pulverisierten Totenkpfen und getrocknetem Blut. Die gereinigte Arznei heilt weit sicherer, aber sie verewigt die Gesundheit nicht. Der Patient mu noch immer seine Lebens- und Ernhrungsgewohnheiten ndern, die ihn fr Krankheiten anfllig machen.Knnte die westliche Wissenschaft dann eine Arznei liefern, die dem menschlichen Organismus wenigstens ein Startzeichen gbe, sich von seinem chronischen Selbst-Wi- derspruch zu befreien? Das Medikament mte tatschlich von anderen Verfahren untersttzt werden von Psychotherapie, geistigen Disziplinen und einer grundlegenden Vernderung der Lebensgestaltung , aber jeder kranke Mensch scheint einen erstmaligen Ansto ntig zu haben, damit er auf den Weg der Gesundheit gebracht wird. Die Frage ist keineswegs absurd, ob das, was uns zu schaf-

    28

  • fen macht, nicht nur eine Krankheit des Geistes ist, sondern des Organismus, besonders der Funktion des Nervensystems und des Gehirns. Gibt es kurz gesagt, ein Medikament, das uns kurzfristig das Hochgefhl bieten kann, integriert und vllig eins zu sein mit uns selbst und der Natur, so, wie uns der Biologe theoretisch sieht? Wre das so, knnte das Erlebnis Anhaltspunkte dafr geben, was sonst noch getan werden mte, um eine vllige und kontinuierliche Integration zu erreichen. Es knnte wenigstens das Ende des Ariadnefadens sein, tim uns aus der Verwirrung herauszufhren, in der wir alle seit unserer Kindheit ver- verloren sind.Relativ neue Forschungen deuten daraufhin, da es mindestens drei solche Medikamente gibt, obgleich keins ein unfehlbares Spezifikum ist.Viel hngt dabei vom sozialen und psychischen Kontext ab, in dem sie verabreicht werden. Gelegentlich knnen ihre Wirkungen nachteilig sein, aber solche Einschrnkungen halten uns auch nicht vom Gebrauch des Penicillin ab oft eine weit gefhrlichere Chemikalie als eine dieser drei. Ich spreche natrlich von Mescalin (der aktive Wirkstoff des Peyotl-Kaktus), Lysergsuredithylamid (ein modifiziertes Mutterkornalkaloid) und Psilocybin (ein Derivat des Pilzes Psilocybe mexicana).Der Peyotl-Kaktus wird seit langem von den Indianern im Sdwesten der USA und in Mexico als Mittel der Eins-Wer- dung mit der gttlichen Welt benutzt. Heutzutage ist der Verzehr der getrockneten Kpfe der Pflanze das Hauptsakrament einer Indianerkirche, die als die Native Ameri-

    29

  • can Church der Vereinigten Staaten bekannt ist nach allen Berichten eine sehr angesehene christliche Gemeinschaft. Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurden seine Wirkungen zuerst von Weir Mitchell und Havelock Ellis beschrieben. Einige Jahre spter wurde sein aktiver Bestandteil als Meskalin identifiziert, eine Chemikalie der Amino-Gruppe, die leicht synthetisch herstellbar ist.Lysergsuredithylamid wurde zuerst 1958 von dem Schweizer Pharmakologen A. Hofmann im Verlauf von Studien ber die Eigenschaften des Mutterkornpilzes entdeckt. Rein zufllig hatte er eine kleine Menge dieser Sure eingenommen, whrend er einige nderungen in der Molekularstruktur vornahm, stellte er ihre merkwrdigen psychologischen Effekte fest. Weitere Forschungen ergaben, da er auf die strkste bewutseinsverndernde Droge, die jetzt bekannt ist, gestoen war, denn LSD 25 (wie es abgekrzt genannt wird) bringt seine charakteristischen Wirkungen mit der so geringen Dosierung von 20 Mikrogramm hervor, das ist 1/700000000 des durchschnittlichen menschlichen Gewichts.Psilocybin wird aus einer anderen heiligen Pflanze der mexikanischen Indianer hergestellt einer Pilzart, die ihnen unter dem Namen teonanacatl, der Leib Gottes bekannt ist. Eine Reihe von Mykologen, wie Pilzspezialisten genannt werden, folgten der Entdeckung Robert Weitlaners von 1956, da der Kult des heiligen Pilzes in Oaxaca noch immer vorherrschte. Sie unternahmen Studien ber die Pilze dieser Region. Drei gebruchliche Ab

    30

  • arten wurden entdeckt. Zu dem Psilocybe mexicana kamen der Psilocybe aztecorum Heim und der Psilocybe Wassonii hinzu. Sie sind nach den Pilzforschern Roger Heim und Gordon und Valentina Wasson benannt, die an den Zeremonien des Kults teilnahmen.Trotz einer sehr beachtlichen Anzahl von Untersuchungen und Spekulationen ist nur sehr wenig ber die genauen physiologischen Wirkungen dieser Chemikalien auf das Nervensystem bekannt. Die subjektiven Wirkungen aller drei tendieren dahin, ziemlich hnlich zu sein, obgleich LSD 25 vielleicht wegen der erforderlichen minimalen Dosierung selten die Symptome der belkeit, die so oft mit den beiden anderen verbunden sind, hervorruft. Alle wissenschaftlichen Schriften, die ich gelesen habe, lassen sich zu dem etwas vagen Eindruck subsummieren, da diese Drogen in gewisser Weise bestimmte selektive oder hemmende Vorgnge im Nervensystem aufheben, um so unseren Sinnesapparat offenbar fr Eindrcke mehr als gewhnlich zu erweitern. Unsere Unkenntnis ber die genaue Wirkungsweise dieser Drogen hngt natrlich mit unserem noch ziemlich ungengenden Kenntnisstand ber das Gehirn zusammen. Solche Unwissenheit erfordert naheliegenderweise groe Vorsicht bei ihrer Anwendung, aber bislang gibt es keinen Beleg dafr, da bei normaler Dosierung die Wahrscheinlichkeit fr physiologische Schden besteht.1

    1 Die normale Dosis fr Mescalin ist 500 Milligramm, fr LSD 25 100 Mikrogramm und fr Psilocybin 20 Milligramm. Dem an detaillierteren Berichten ber bewutseins-erweiternde Drogen und

    31

  • In einem sehr weiten Sinn des Wortes ist jede dieser Substanzen eine Droge, aber man mu den ernsten semantischen Irrtum vermeiden, sie in einen Topf zu werfen mit Drogen, die krperliche Sucht nach wiederholtem Gebrauch verursachen oder die die Sinne abstumpfen wie Alkohol oder Sedativa. Sie werden offiziell als Halluzinogene eingestuft eine erstaunlich ungenaue Bezeichnung. Sie bewirken weder Stimmen noch Visionen, die mit physischer Wirklichkeit verwechselt werden knnen. Wenn sie auch tatschlich hchst komplexe und sehr augenscheinliche halluzinatorische Gebilde vor geschlossenen Augen produzieren, so ist ihr genereller Effekt doch, die Sinne fr einen bernormalen Bewutseinsgrad zu schrfen. Die Standarddosis jeder Substanz lt ihre Wirkung fr fnf bis acht Stunden andauern. Die Erfahrung ist oft so stark enthllend und bewegend, da man zgert, sich ihr wieder zuzuwenden, bevor sie vllig verdaut ist, und das kann eine Angelegenheit von Monaten sein.Auf die Idee, irgendeinen tiefen psychologischen oder philosophischen Einblick durch eine Droge zu gewinnen reagieren sehr gebildete Leute oft mit dem Einwand, dies sei viel zu einfach, zu knstlich und sogar zu banal, um ernstlich in Betracht gezogen zu werden. Eine Weisheit, die wie ein Lampenschalter eingeschaltet werden kann, scheint die menschliche Wrde zu beleidigen und uns zu chemischen Automaten zu degradieren. Man erinnert sich an Bilder

    32

    dem gegenwrtigen Forschungsstand interessierten Leser sei das Buch von Robert de Ropp, Drug and the Mind (Grove Press, New York, 1960) empfohlen.

  • einer schnen neuen Welt, in der es eine Klasse von synthetischen Buddhas gibt und von Leuten, die festgelegt sind wie die Lobotomisierten, Sterilisierten oder die Hypnotisierten, nur in einer anderen Richtung Leute, die irgendwie ihre Menschlichkeit verloren haben und mit denen man, wie mit Betrunkenen, nicht richtig kommunizieren kann. Das ist jedoch eine etwas makabre Phantasie ohne Beziehung zu den Tatsachen oder der Erfahrung selbst. Sie gehrt zu aberglubischer Furcht, die man fr das Ungewhnliche empfindet, wenn man es mit dem Unnatrlichen verwechselt die Art, in der manche Leute ber Juden denken, weil sie beschnitten sind, oder auch ber Neger wegen ihrer fremden Gesichtszge und Farbe.Trotz des weitverbreiteten und unkritischen Vorurteils gegen Drogen als solche und trotz des Anspruchs gewisser religiser Disziplinen, die einzigen Mittel zur wahren mystischen Erkenntnis zu liefern, kann ich keinen wesentlichen Unterschied finden zwischen den durch diese Chemikalien unter gnstigen Umstnden ausgelsten Erfahrungen und den kosmischen Bewutseinsstadien, ber die R. M. Bucke, William James, Evelyn Underhill, Raynor Johnson und andere Mystizismusforscher berichten. Gnstige Bedingungen bedeutet einen Hintergrund, der sozial und physisch kongenial ist; ideal wre ein ruhiger Zufluchtsort (kein Krankenhaus oder Sanatorium), der von religis bewanderten Psychiatern oder Psychologen berwacht wird. Die Atmosphre soll eher heimisch als klinisch sein, und es ist von uerster Wichtigkeit, da die Haltung des berwachers untersttzend und sympathisch ist. Unter im-

    33

  • sicheren, launenhaften und unfreundlichen Umstnden kann das Erlebnis zu einem hchst unangenehmen psychischen Fehlschlag werden. Zwei Tage sollten angesetzt werden, einer fr das Erlebnis selber, das 68 Stunden dauert und einer fr die Auswertung in dem ruhigen und entspannten geistigen Klima, das normalerweise folgt.Der Gebrauch so starker Medikamente darf nicht leicht genommen werden, so wie man eine Zigarette raucht oder einen Cocktail trinkt. Man sollte sich ihnen nhern wie einem Sakrament, allerdings nicht mit der merkwrdigen Ausschaltung von Frohsinn und Stimmung, die in unseren religisen Ritualen blich geworden ist. Es ist eine gesunde allgemeine Regel, da immer eine qualifizierte Person zur berwachung anwesend sein sollte, um den Bezug zur Realitt herzustellen, wie sie sozial definiert ist. Im Idealfall sollte der qualifizierte berwacher ein Psychiater oder klinischer Psychologe sein, obgleich ich beobachtet habe, da viele, die technisch qualifiziert wren, eine scheue Zurckhaltung vor einem Bewutseinszustand zeigen, der geeignet ist, mit sich selbst zu kommunizieren, eine Scheu vor den Nachteilen des Erlebnisses fr die ihrer Obhut Anvertrauten. Die wichtigste Eigenschaft fr den berwacher ist daher Vertrauen in die Situation, ein Vertrauen, das sich im Stadium hchster Sensibilitt mitteilt, welches die Drogen verursachen.Die fraglichen Drogen sind keine Aphrodisiaka und wenn sie gemeinsam von einer kleinen Gruppe genommen werden, erinnert die Atmosphre nicht im geringsten an den Lrm Betrunkener oder an die allgemeine Schlaffheit einer

    34

  • Opiumhhle. Die Gruppenmitglieder werden gewhnlich offen fr einander mit einem hohen Grad freundlicher Zuneigung sein, da in der mystischen Phase des Erlebnisses, die zugrundeliegende Einheit oder Zugehrigkeit der Mitglieder in aller Klarheit krperlich empfunden werden kann. Tatschlich kann die soziale Situation so werden, wie es religise Vereinigungen zwar erstreben, aber in ihren praktizierenden Riten nur allzu selten erreichen eine Beziehung von hchst lebendigem Verstehen, Vershnlichkeit und Liebe. Natrlich wird dies nicht automatisch ein andauerndes Gefhl, aber das bei rein religisen Versammlungen manchmal entstehende Gemeinsamkeitsgefhl wird es auch nicht. Das Erlebnis korrespondiert fast genau mit dem theologischen Konzept eines Sakraments oder Gnadenmitteln, eine unverdiente Gabe spiritueller Kraft, deren dauernde Wirkungen von ihrem Gebrauch in der nachfolgenden Handlungsweise abhngt. Die katholische Theologie erkennt auch die sogenannten auerordentlichen gttlichen Gnaden an. Sie sind von oft mystischer Einsicht, und kommen pltzlich von auerhalb der gewhnlichen und regulren Mittel, die die Kirche durch Sakramente und Gebetsbungen bereitstellt. Es scheint mir, da man nur mit ganz besonderer Frsprache die Vorstellung aufrecht erhalten kann, da die Gnade, die man durch Pilze, Kaktuspflanzen und Chemikalien gewhrt bekommt, knstlich und unecht sei im Vergleich zu der Gnade, die durch religise Ttigkeit erreicht werden kann. Ansprche auf die einmalige Qualitt der eigenen Richtung ist leider bei den organisierten Religionen genau

    35

  • so blich wie im Wirtschaftsleben, nur da bei den Religionen der puritanische Schuldkomplex hinzukommt, der keine Freude zult, fr die nicht gelitten wurde.Fast alle Grnde fr irgendeine mgliche Unterdrckung dieser Medikamente sind aberglubisch. Es gibt kein Anzeichen dafr, da sie so schdlich wie Alkohol oder Tabak sind, tatschlich auch nicht dafr, da sie in irgendeiner Weise nachteilig sind, es sei denn sie werden unter ungeeigneten Umstnden angewendet oder vielleicht von Psy- choteken genommen. Alles, selbst ein Glas Bier oder ein Spaziergang kann fr jemanden mit schwacher Gesundheit gefhrlich werden. Selbstverstndlich gehen solche Flle ber den von uns gesetzten Rahmen hinaus. Sie sind betrchtlich weniger gefhrlich als vieles, was in der Hausapotheke oder im Vorratsschranke der Kche steht. Als Macht- und Forschungsmittel kommen sie nicht einmal in die Nhe der Gefhrlichkeit von Rntgenstrahlen, als Bedrohung fr unsere geistige Gesundheit knnen sie kaum mit dem tglichen Unsinn verglichen werden, der auf uns durch Radio, Fernsehen und Zeitungen einstrmt. Jeder ffentliche Alarm ber die Ausweitung des Drogengebrauchs scheint auf der einen Seite ihrer Assoziation mit der Beatgeneration und Hippiewelt zu entspringen andererseits der Verwirrung ber die Tatsache, da irgendetwas ursprnglich Geistiges aus einer Flasche kommen kann. Letzteres gehrt zu dem Aberglauben, die menschliche Natur werde durch das Eingestndnis erniedrigt, die Menschen seien schlielich krperliche Organismen und das, was sie sind, hnge zu einem guten Teil damit zusammen, was sie essen. Auerdem ist,

    36

  • streng genommen, mystische Einsicht nicht mehr in einer Chemikalie vorhanden, als biologisches Wissen im Mikroskop.Im Prinzip gibt es keinen Unterschied zwischen verschrfter Wahrnehmung durch ein ueres Instrument wie ein Mikroskop und der Schrfung mit einem inneren Instrument wie eine der drei Drogen. Wren sie eine Beleidigung fr die Wrde des Geistes, so ist das Mikroskop eine Beleidigung fr das Auge und das Telefon fr die Wrde des Ohres. Um es deutlich zu sagen: diese Drogen vermitteln keine Weisheit, wie auch das Mikroskop allein noch kein Wissen gibt. Sie liefern Rohmaterial fr Weisheit und sie sind ntzlich bis zu dem Grade, wie der einzelne integrieren kann, was sie innerhalb seines ganzen Verhaltensmusters und Wissenssystems enthllen. Als Zerstreuungsmittel, als isolierte oder losgelste Ekstase knnen sie den gleichen Wert haben wie eine Erholungskur oder gute Unterhaltung. Aber das ist das gleiche wie Tick- Tack-Toe mit einem riesigen Computer zu spielen. Die Stunden erhhter Wahrnehmung werden verschwendet, wenn sie nicht mit anhaltender Reflektion oder Meditation, was auch immer fr Themen anstehen, gefllt werden. Was nach meinem Wissen in der Literatur dem reflektierten Gebrauch einer dieser Drogen am nchsten kommt, ist das sogenannte Perlenspiel in Hermann Hesses Das Glasperlenspiel. Hesse schreibt von einer entfernten Zukunft, in der ein Orden von Mystikern eine ideographische Sprache entdeckt hat, die alle Zweige von Wissenschaft und Kunst, Philosophie und Religion einbezieht. Das Spiel be-

    37

  • steht darin, mit den Beziehungen diesen verschiedenen Bereichen genauso zu spielen wie Musiker mit den Beziehungen von Harmonie und Kontrapunkt. Von Elementen wie der Zeichnung eines chinesischen Hauses, einer Scarlatti-Sonate, einer topologischen Formel und eines Verses aus dem Uphanishaden arbeiten die Spieler ein gemeinsames Thema heraus und entwickeln seine Anwendung in verschiedenen Richtungen. Zwei Spiele sind nie gleich. Nicht nur die Elemente sind verschieden, es fehlt auch jeder Gedanke eines Versuchs, der Welt eine statische und gleichfrmige Ordnung aufzuzwingen. Die universelle

    Sprache ermglicht die Wahrnehmung von Beziehungen, fixiert sie aber nicht, und ist auf einer musikalischen Konzeption der Welt aufgebaut, in der die Ordnung so dynamisch und wechselnd wie das Klangmuster einer Fuge ist.hnlich beginne ich gewhnlich, wenn ich LSD oder Psilocybin nehme, mit einem Thema wie Polaritt, Transformation (von Nahrung in Organismus), berlebenskampf, der Beziehung zwischen dem Abstrakten und dem Konkreten oder von Logos und Eros. Dann erlaube ich meiner erhhten Wahrnehmung, Themen in Form mancher Kunstwerke oder Musik, natrlicher Gegenstnde wie Farnkraut, einer Blume oder einer Seemuschel, eines religisen oder mythologischen Archetyps (es kann die Masse sein) und sogar von persnlichen Beziehungen zu denen, mit denen ich zu der Zeit gerade zusammen bin, zu behandeln. Oder ich kann mich auf einen der Sinne konzentrieren und versuchen, wie es wre, ihn auf sich

    38

  • selbst zurckzufhren, um so den Vorgang des Sehens zu sehen und davon aus weiterzugehen zum Versuch, das Wissen zu wissen und so mich dem Problem meiner eigenen Identitt zu nhern.Aus diesen Reflektionen erwachsen intuitive Einsichten von erstaunlicher Klarheit. Weil es nur geringe Mhe macht, sie nach Aufhren der Drogenwirkung (besonders, wenn sie zu der Zeit auf Tonband oder schriftlich auf gezeichnet sind) zu erinnern, knnen die folgenden Tage oder Wochen benutzt werden, sie mit dem normalen Mastab logischer, sthetischer, philosophischer oder wissenschaftlicher Kritik zu berprfen. Einige knnten sich als gltig, andere als ungltig erweisen. Es ist das gleiche mit den pltzlichen Ahnungen, die den Knstler oder Erfinder auf gewhnliche Weise berkommen. Sie sind nicht immer so wahr oder anwendbar, wie sie im Augenblick der Erleuchtung erscheinen. Die Drogen scheinen der schpferischen Eingebung einen enormen Ansto zu geben. Dadurch sind sie von grerem Wert fr konstruktive Erfindung und Forschung als fr die Psychotherapie im gewhnlichen Sinne einer Anpassung einer gestrten Persnlichkeit. Ihr bester Anwendungsbereich ist nicht die Nervenklinik, sondern das Studio und Laboratorium oder das Institut fr fortgeschrittene Studien.Die folgenden Seiten sollen kein wissenschaftlicher Bericht ber die Wirkungen dieser Chemikalien sein mit den blichen Einzelheiten von Dosierung, Ort und Zeit, krperliche Symptome und hnliches. Solche Dokumente gibt es zu tausenden. Angesichts unserer bruchstckhaften Kennt

    39

  • nis vom Gehirn haben sie nur ziemlich begrenzten Wert. Genausogut kann man versuchen, ein Buch zu verstehen, indem man es in einer Flssigkeit auflst oder in eine Zentrifuge wirft. Ich will eher einen Eindruck der neuen Bewutseinswelt vermitteln, die diese Stoffe erffnen. Ich glaube weder, da diese Welt eine Halluzination ist, noch eine unanfechtbare Offenbarung der Wahrheit. Das ist wahrscheinlich die Art wie die Dinge erscheinen, wenn gewisse hinderliche Vorgnge des Gehirns und der Sinne aufgehoben sind, aber das ist eine in mancher Weise so ungewohnte Welt, da sie Fehlinterpretationen ausgesetzt ist. Unsere ersten Eindrcke knnen so daneben gehen, wie die eines Reisenden in unvertrauter Gegend oder die von Astronomen, wenn sie zum ersten Mal einen Blick auf Galaxien werfen, die jenseits der unserigen liegen.Ich habe diesen Bericht geschrieben, als ob das Erlebnis an einem Tag und an einem Ort stattgefunden htte. Es ist aber tatschlich eine Zusammenfassung verschiedener Gelegenheiten. Nur wenn ich Visionen hinter geschlossenen Augen beschreibe, und das wird immer genau angegeben, sind keine dieser Erlebnisse Halluzinationen. Sie sind einfach vernderte Arten des Sehens, der Interpretation und des Reagierens auf wirkliche Personen und Ereignisse in der Welt der normalen Wirklichkeit. Fr die Zwecke dieser Beschreibung besteht sie aus einem Landhaus an der Westkste mit Garten, Obstplantage, Scheunen und umgebenden Bergen alles wie beschrieben einschlielich des ratternden Mllwagens. Bewutseinsverndernde Drogen werden gemeinhin mit dem Hervorrufen bizarrer und fan

    40

  • tastischer Bilder assoziiert, nach meinem eigenen Erlebnis passiert das jedoch nur bei geschlossenen Augen. Im brigen ist es einfach so, da die natrliche Welt sich in einem Reichtum an Anmut, Farbe, Bedeutung und manchmal Stimmung gibt, fr die unsere normalen Adjektive nicht ausreichen. Die Schnelligkeit der Gedanken und Assoziationen wchst so erstaunlich, da Worte mit der Flut der Ideen, die einem in den Sinn kommen, nicht mehr Schritt halten knnen. Passagen, die dem Leser wie gewhnliche philosophische Gedanken Vorkommen, sind Berichte dessen, was zu der Zeit als handgreifliche Gewiheit erscheint. Auch Bilder, die hinter geschlossenen Augen erscheinen, sind nicht nur Eingaben der Phantasie, sondern so autonome und intensive Motive und Szenerien, da sie geradezu von krperlicher Prsenz erscheinen. Das letztere erwies sich jedoch fr mich von geringerem Interesse als der vernderte Eindruck der Natur und der erhhten Geschwindigkeit assoziativen Denkens. Und deswegen beschftigt sich der folgende Bericht hauptschlich damit.

    41

  • Die Kosmologie der Freude

    Zunchst einmal hat diese Welt eine andere Zeit. Es ist die Zeit des biologischen Rhythmus, nicht die der Uhr und allem was damit zusammenhngt. Es gibt keine Eile. Unser Zeitsinn ist bekanntlich subjektiv und daher abhngig von der Beschaffenheit unserer Aufmerksamkeit ob aus Interesse oder Langeweile und von der Anpassung unseres Verhaltens an Gewohnheiten, Ziele und Termine. Hier gengt die Gegenwart sich selbst, aber es ist keine statische Gegenwart. Es ist eine tanzende Gegenwart die Entfaltung eines Musters, das kein bestimmtes Ziel in der Zukunft, sondern einfach seinen eigenen Sinn hat. Sie verschwindet und kommt gleichzeitig an; der Same ist ebenso ein Ziel wie die Blume. Man hat daher Zeit, jede Einzelheit der Bewegung mit unendlich grerer Deutlichkeit

    42

  • wahrzunehmen. Gewhnlich sehen wir die Dinge nicht so sehr an, wie wir sie bersehen. Die Augen sehen bestimmte Arten und Klassifizierungen Blume, Blatt, Stein, Vogel, Feuer gedankliche Bilder der Dinge eher als die Dinge selbst, grobe Umrisse gefllt mit matter Farbe, immer ein wenig unklar und trbe.Aber hier setzt die Tiefe des Lichts und der Struktur einer aufbrechenden Knospe sich unendlich fort. Man hat Zeit, sie zu sehen, Zeit, die ganze Verzweigung der Adern und Kapillaren im Bewutsein zu entwickeln, Zeit, tiefer und tiefer in das Gebilde aus Grn zu blicken, das gar nicht grn ist, sondern ein ganzes Spektrum, das sich als grn verallgemeinert purpur, gold, das sonnenbeleuchtete Trkis des Ozeans, das intensive Leuchten des Smaragds. Ich kann nicht entscheiden, wo Gestalt endet und Farbe beginnt. Die Knospe hat sich geffnet, und die frischen Bltter entfalten und biegen sich mit einer deutlich kommunikativen Geste zurck, die aber nichts auer So! sagt. Und irgendwie gengt das, es ist sogar berraschend klar. Die Bedeutung ist in gleicher Weise durchsichtig wie es die Farbe und das Gefge sind, mit einem Licht, das nicht von oben auf die Oberflchen zu fallen, sondern direkt in der Struktur und Farbe zu sein scheint. Wo es natrlich auch ist, denn Licht ist eine untrennbare Dreiheit aus Sonne, Gegenstand und Auge, und die Chemie des Blattes ist seine Farbe, sein Licht.Gleichzeitig aber sind Farbe und Licht auch die Gabe des Auges an Blatt und Sonne. Transparenz ist die Eigenschaft des Augapfels, als erhellter Raum nach auen projeziert,

    44

  • Energiequanten interpretierend im Sinne der gallertartigen Fasern im Kopf. Ich spre langsam, da die Welt gleichzeitig innerhalb und auerhalb meines Kopfes ist, und die beiden, das Innen und das Auen, beginnen sich gegenseitig zu umschlieen oder kappen wie eine unendliche Reihe konzentrischer Sphren. Mir ist auergewhnlich bewut, da alles, was meine Sinne erfassen auch mein Krper ist da Licht, Farbe, Form, Klang imd Struktur Bedingungen und Eigenschaften des Gehirns sind, die der Auenwelt verliehen werden. Ich sehe die Welt nicht an, bin ihr nicht gegenbergestellt; ich erfahre sie dadurch, da ich sie stndig in mich selbst umwandle, so da alles tun mich herum, der ganze Globus des Raumes, nicht mehr abseits von mir empfunden wird, sondern in der Mitte.Dies ist anfangs verwirrend. Ich bin nicht ganz sicher, aus welcher Richtung die Klnge kommen. Der visuelle Raum scheint mit ihnen zu vibrieren, als sei er eine Trommel. Die umliegenden Hgel drhnen mit dem Gerusch eines Lastwagens, und das Drhnen und die Farben-Form der Hgel werden zu ein und derselben Geste. Ich gebrauche das Wort absichtlich und werde es wieder gebrauchen. Die Hgel ziehen in ihre Stille. Sie bedeuten etwas, denn sie werden in mein Gehirn hineintransformiert, und mein Gehirn ist ein Organ der Bedeutung. Der Wald aus Rotholzbumen auf ihnen sieht aus wie grnes Feuer, und das Kupfergold des sonnengetrockneten Grases hebt sich gewaltig in den Himmel. Die Zeit ist so langsam, da sie eine Art Ewigkeit zu sein scheint, und der Geschmack der Ewigkeit bertrgt sich auf die Hgel glattpolierte Berge, an

    45

  • die ich mich aus einer unermelich fernen Vergangenheit zu erinnern scheine, gleichzeitig so fremd, da sie mir exotisch erscheinen, und so bekannt wie meine eigene Hand. So umgewandelt ins Bewutsein, in das elektrische, innere Leuchten der Nerven, erscheint die Welt etwas unstofflich entwickelt auf einem Farbfilm, widerklingend auf der Haut einer Trommel, drckend, nicht mit Gewicht, sondern mit Schwingungen interpretiert als Gewicht. Die Festigkeit der Krper ist eine neurologische Erfindung, und ich frage mich: knnen die Nerven sich selbst als fest empfinden? Wo fangen wir an? Schafft die Ordnung des Gehirns die Ordnung der Welt, oder die Ordnung der Welt das Gehirn? Die beiden erscheinen wie Ei und Henne oder wie hinten und vorne.Die stoffliche Welt besteht aus Schwingung, Summe, aber Schwingungen aus was? Dem Auge ist sie Form und Farbe; dem Ohr Klang; der Nase Geruch; den Fingern Gefhl. Aber dies sind alles verschiedene Sprachen fr eine Sache, verschiedene Arten des Empfindens, verschiedene Dimensionen des Bewutseins. Die Frage: Wovon sind sie verschiedene Formen? scheint keine Bedeutung zu haben. Was fr das Auge Licht ist, ist fr das Ohr Klang. Ich habe die Vorstellung, die Sinne seien Begriffe, Formen oder Dimensionen nicht eines Dinges, das allen gemein ist, sondern voneinander, geschlossen in einem Kreis der Gegenseitigkeit. Bei genauer Betrachtung wird Gestalt Farbe, diese wird Schwingung, diese wird Klang, dieser wird Geruch, dieser wird Geschmack, dann Berhrung und wieder Gestalt. (Man kann z. B. sehen, da die Gestalt eines Blattes

    46

  • seine Farbe ist. Es gibt keine Kontur um das Blatt herum; der Umri ist die Grenze, wo eine Farbflche in eine andere bergeht.) Ich sehe alle diese Sinnesdimensionen als runden Tanz, Gestikulation eines Musters, das in die Gestikulationen eines anderen Musters verwandelt wird. Und diese Gestikulationen flieen durch einen Raum, der wiederum andere Dimension hat, die ich als Tne emotionaler Frbung beschreiben mchte, als Licht oder Klang mit Freude oder Angst erfllt, goldglcklich oder bleibedrckt. Auch diese bilden einen Kreis des gegenseitigen Wechsels, ein rundes Spektrum, das so polarisiert ist, da wir jeden nur mit den Begriffen der anderen beschreiben knnen.Manchmal ist die Vorstellung der stofflichen Welt nicht so sehr ein Tanz aus Gesten, als eine gewebte Struktur. Licht, Klang, Gefhl, Geschmack und Geruch werden zu einer durchgehenden Kette mit dem Gefhl, da die ganze Dimension der sinnlichen Wahrnehmung ein einziges Kontinuum oder Feld ist. Kreuzweise zur Kette liegt der Schu, der die Dimension der Bedeutung reprsentiert moralische und sthetische Werte, persnliche oder individuelle Einmaligkeit, logische Bedeutung und Ausdrucksform und die beiden Dimensionen durchdringen sich gegenseitig, so da die wahrnehmbaren Formen wie ein Kruseln des Wassers der Sinne erscheinen. Kette und Schu strmen zusammen, denn das Weben ist weder flach noch statisch, sondern ein in viele Richtungen gehender Kreuzflu aus Impulsen, die das ganze Volumen des Raumes fllen. Ich fhle, da die Welt auf etwas ist, ungefhr so wie

    47

  • eine Farbfotografie auf einem Film, der die Unterlage bildet und die Farbflecke verbindet. Allerdings ist der Film hier ein dichter Energieregen. Ich sehe, da das, worauf er ist, mein Gehirn ist der zauberhafte Webstuhl, wie Sherrington1 es nannte. Gehirn und Welt, Kette der Sinne und Schu der Bedeutung scheinen sich untrennbar zu durchdringen. Sie halten ihre Begrenzungen derartig gemeinsam, da sie sich gegenseitig definieren und da das eine ohne das andere nicht mglich wre.Ich hre mir Orgelmusik an. Wie die Bltter zu gestikulieren schienen, scheint die Orgel buchstblich zu sprechen. Das Vox-humana-Register wird nicht benutzt, doch scheint jeder Ton aus einer riesigen speichelfeuchten menschlichen Kehle zu kommen. Whrend der Orgelspieler mit den Bapedalen langsam die Tonleiter hinabluft, scheinen die Tne in groen klebrigen Gebilden hervorzukommen. Wenn ich genauer zuhre, bekommen die Gebilde eine Struktur ausdehnende Schwingungskreise, gleichmig und fein gezahnt wie Kmme, nicht mehr feucht-flssig wie die lebende Kehle, sondern mechanisch unterbrochen. Der Klang zerfllt in die unzhligen einzelnen Drrrits aus Schwingung. Ich hre weiter, und die Intervalle schlieen sich, oder vielleicht wird jedes einzelne Drrrit der Reihe nach zu einem Gebilde. Das Flssige und das Feste, das Kontinuierliche und das Unterbrochene, das Klebrige und

    1 Sir Charles Scott Sherrington, 1857-1952, englischer Physiologe, Autoritt auf dem Gebiet des Nervensystems; teilte 1932 den Nobelpreis fr Physiologie und Medizin mit Edgar Douglas Adrian fr die Erforschung des Neurons. - Anm. d. Ubers.

    49

  • das Stachlige scheinen gegenseitige Umformungen oder verschiedene Ebenen der Vergrerung von ein und derselben Sache zu sein.Dieses Thema kehrt in hundert verschiedenen Variationen wieder die untrennbare Polaritt der Gegenstze oder die Gemeinsamkeit und Gegenseitigkeit von all den mglichen Inhalten des Bewutseins. Es ist theoretisch leicht einzusehen, da alle Wahrnehmung aus Kontrasten besteht Figur und Hintergrund, Licht und Schatten, deutlich und verschwommen, fest und schwach. Aber die normale Aufmerksamkeit scheint Schwierigkeiten zu haben, beides gleichzeitig aufzunehmen. Sinnlich sowie begriffsmig bewegen wir uns anscheinend der Reihe nach von dem einem zum anderen; wir sind scheinbar nicht fhig, die Figur ohne ein relatives Unbewutsein des Hintergrundes wahrzunehmen. Aber in dieser neuen Welt ist die gegenseitige Gemeinsamkeit der Dinge auf jeder Ebene ersichtlich. Das menschliche Gesicht z. B. wird in allen seinen Aspekten deutlich die gesamte Form zusammen mit jedem einzelnen Haar und jeder Falte. Gesichter haben alle Altersstufen gleichzeitig, denn die Merkmale, die auf das Alter deuten, deuten ebenso durch ihre Implikation auf die Jugend; die knochige Struktur, die den Totenschdel andeutet, erinnert sofort an das neugeborene Kind. Die Assoziationskupplungen scheinen gleichzeitig zu feuern, anstatt eine nach der anderen, und projezieren eine Ansicht des Lebens, die erschreckend sein kann in ihrer Zweideutigkeit oder aber freudig in ihrer Integritt.Die Entscheidung kann vllig gelhmt werden durch die

    50

  • pltzliche Erkenntnis, da es keine Mglichkeit gibt, das Gute ohne das Bse zu haben, oder da es unmglich ist, nach einer anerkannten Autoritt zu handeln ohne sich dafr aus eigener Unerfahrenheit heraus zu entschlieen. Wenn geistige Gesundheit durch Wahnsinn bedingt ist und Glaube durch Zweifel, bin ich dann grundstzlich ein Wahnsinniger, der vorgibt, normal zu sein, ein verngstigter Vollidiot, der es vorbergehend schafft, einen Akt der Selbstbeherrschung darzustellen? Ich beginne, mein ganzes Leben als ein Meisterwerk der Duplizitt anzusehen der konfuse, hilflose, hungrige und schrecklich empfindliche kleine Embryo an der Wurzel von mir, der Schritt fr Schritt gelernt hat, sich anzupassen, zu beschwichtigen, unterdrcken, bohren, schmeicheln, bluffen und betrgen, um fr eine Person der Kompetenz und Verllichkeit gehalten zu werden. Denn wenn es wirklich darauf ankommt, was wei irgendeiner von uns?Ich hre zu, wie ein Priester die Messe singt und ein Nonnenchor ihm antwortet. Seine reife, kultivierte Stimme klingt mit der gelassenen Autoritt der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche, mit dem Glauben, der ein fr allemal den Heiligen gegeben wurde, und die Nonnen antworten, scheinbar naiv, mit kindlicher, vllig unschuldiger Hingabe. Aber beim weiteren Zuhren entdecke ich, da der Priester mit seiner Stimme nur so tut, hre den aufgeblasenen, pompsen Ballon, die einstudierten salbungsvollen Tne eines Meisters der Tuschung, der die armen kleinen Nonnen, kniend in ihren Betsthlen, vllig eingeschchtert hat. Ich hre weiter. Die Nonnen

    53

  • sind gar nicht eingeschchtert. Sie tun nur so. Mit nur ein wenig Versteifung wird die weiche Geste des Beugens zur Geste der schlieenden Kralle. Da es nicht genug Mnner fr alle gibt, wissen sie, was sie zu tun haben: wie man sich beugt und berlebt.Aber diese zutiefst zynische Ansicht der Dinge ist nur ein vorbergehendes Stadium. Ich fange an, dem Priester fr sein ausgezeichnetes Spiel zu gratulieren, fr seinen schieren Mut, solch eine Vorstellung von Autoritt zu geben, obwohl er gar nichts wei. Vielleicht gibt es kein anderes Wissen als lediglich die Kompetenz zur Handlung. Wenn es im Kern des Wesens kein wahres Selbst gibt, dem man treu sein sollte, dann ist Ehrlichkeit einfach Nerv; er liegt in der unverschmten Frechheit der Prtention.Aber Prtention ist nur dann Prtention, wenn man annimmt, da die Handlung dem Handelnden in Wahrheit nicht entspricht. Finde also den Handelnden. In der Stimme des Priester hre ich unten an der Wurzel den Urschrei der Kreatur im Dschungel, aber er wurde abgewandelt, kompliziert, verfeinert und strukturiert mit Jahrhunderten von Kultur. Jeder neue Dreh, jede weitere Verfeinerung war ein frischer Schachzug im Spiel um die Wirksamkeit des Urschreis. Am Anfang grob und unversteckt, der Schrei nach Nahrung oder Paarung, oder einfach Geschrei aus Spa, das von den Gesteinen widerhallte. Dann Rhythmus, um zu verzaubern, dann Wechsel der Tne um zu bitten oder drohen. Dann Worte, um die Bedrfnisse zu spezifizieren, tun zu versprechen und zu verhandeln. Und dann, viel spter, die indirekten Schachzge. Die weibliche List

    54

  • des Beugens, um zu siegen, der Anspruch auf hheren Wert durch Absage an die Weit fr den Geist, die Schlauheit der Schwche, die sich strker als Muskelkraft erweist und da die Sanftmtigen das Erdreich besitzen werden.Whrend ich also zuhre, erkenne ich in dieser einen Stimme die gleichzeitige Anwesenheit aller Ebenen der Menschheitsgeschichte sowie aller Stadien vormenschlichen Lebens. Jeder Schritt in dem Spiel wird so deutlich wie die Ringe eines abgesgten Baumstamms. Aber dies ist eine aufsteigende Hierarchie der Manver, der Listen, die wiederum listen beinhalten, alle symbolisiert in den Schichten der Verfeinerung, unter denen der Urschrei noch zu hren ist. Manchmal verschiebt sich der Schrei vom Paarungsruf des erwachsenen Tieres zum hilflosen Schrei des Babies, und ich empfinde die ganze Musik des Menschen ihren Pomp und ihre Umstndlichkeit, ihre Frhlichkeit, ihre Ehrfurcht, ihre zuversichtliche Feierlichkeit als bloe Komplikation und Verschleierung des Schreies eines Babies nach seiner Mutter. Und ich mchte weinen aus Mitleid, ich wei, ich bemitleide mich selbst. Ich, als Erwachsener, bin auch allein dahinten im Dunkeln, so wie der Urschrei immer noch gegenwrtig ist unter den verfeinerten Modulationen des Kirchengesangs.Du armes Kind! Und trotzdem du egoistischer kleiner Bastard! Whrend ich versuche, den Handelnden hinter der Handlung zu finden, die motivierende Kraft im Grunde dieser ganzen Sache, sehe ich scheinbar nur eine unendliche Zweideutigkeit. Hinter der Maske der Liebe finde ich meinen angeborenen Egoismus. In welch heikler Lage befn

    55

  • de ich mich, wenn jemand fragte: Liebst du mich wirklich? Ich kann nicht ja sagen ohne nein zu sagen, denn die einzige Antwort, die wirklich befriedigend wre, ist: Ja, ich liebe Dich so sehr, da ich Dich fressen knnte! Meine Liebe zu Dir ist identisch mit meiner Liebe zu mir. Ich liebe Dich mit dem reinsten Egoismus. Keiner mchte aus einem Pflichtgefhl heraus geliebt werden.Also werde ich ganz offen sein. Ja, ich bin reine selbstschtige Begierde und ich liebe Dich, weil ich mich durch Dich wunderbar fhle jedenfalls im Moment. Aber dann fange ich an zu berlegen, ob nicht doch etwas Verschlagenheit in dieser Offenheit liegt. Es ist grozgig von mir, so ehrlich zu sein, sie zu umwerben, indem ich ihr nicht mehr vormache, als ich bin anders als die anderen Kerle, die behaupten, sie um ihrer selbst willen zu lieben. Ich sehe, es ist immer etwas Unehrliches im Ehrlichen, so wie wenn ich ganz offen sagte: Die Aussage, die ich jetzt mache, ist eine Lge. Es scheint etwas Unechtes zu sein in jedem Versuch, mich zu definieren, vllig ehrlich zu sein. Die Schwierigkeit ist die, da ich nicht die Rckseite, geschweige denn das Innere meines Kopfes sehen kann. Ich kann nicht ehrlich sein, weil ich nicht total wei, was ich bin. Das Bewutsein schaut aus einem Zentrum, das es selbst nicht sehen kann und das ist der Kern der Sache.Das Leben scheint sich zurckfhren zu lassen bis hinunter auf einen winzigen Keim oder Nippel der Empfindlichkeit. Ich nenne ihn den Ini-Wieni, den Winzigkleinen ein sich windender Nukleus, der sich selbst zu begatten versucht, es aber nie ganz schafft. Die ganze fabelhafte Komplexitt

    56

  • des pflanzlichen und tierischen Lebens sowie der menschlichen Zivilisation ist nur eine kolossale Erweiterung des Versuchs des Ini-Wieni, sich selbst zu schaffen. Ich bin in mich selbst verliebt, kann mich aber nicht suchen ohne mich zu verstecken. Wenn ich meinen Schwanz verfolge, luft er mir weg. Spaltet die Ambe sich selbst entzwei in dem Versuch, dieses Problem zu lsen?Ich versuche tiefer zu gehen, versenke Gedanke und Gefhl hinab und tiefer hinab bis zu ihren endgltigen Anfngen. Was meine ich damit: ich liebe mich selbst? In welcher Form kenne ich mich? Immer, so scheint es, in der Form von etwas Anderem, etwas Fremdem. Die Landschaft, die ich beobachte, ist auch ein Zustand von mir, von den Neuronen in meinem Kopf. Ich fhle den Stein in meiner Hand vermittels meiner eigenen Finger. Und nichts ist fremder als mein eigener Krper das Empfinden des Pulsschlags, das Auge, betrachtet durch ein Vergrerungsglas im Spiegel, der Schock der Erkenntnis, da man etwas in der ueren Welt ist. Im Grunde gibt es keine Mglichkeit, Eigenes vom Anderen zu trennen, Selbstliebe von Liebe zum Anderen. Alles Wissen vom Selbst ist Wissen vom Anderen und alles Wissen vom Anderen ist Wissen vom Selbst. Ich sehe, da das Selbst und das Andere, das Bekannte und das Fremde, das Innere und das uere, das Vorhersehbare und das Unvorhersehbare sich gegenseitig bedingen. Das eine ist das Suchen, das andere das Verstecken, und je mehr mir bewut wird, da das eine das andere bedingt, desto mehr empfinde ich, da beide eins sind. Ich werde sonderbar liebevoll und intim mit allem, was mir fremd schien.

    58

  • In den Merkmalen von allem Fremden, Drohenden, Schrecklichen, Unverstndlichen und Entfernten beginne ich mich selbst zu erkennen. Allerdings ist dies ein Selbst, an das ich mich von langer, langer Zeit her zu erinnern scheine ganz und gar nicht mein empirisches Ego von gestern, nicht meine blendende Persnlichkeit.Das Selbst, das ich beginne zu erkennen, das ich vergessen hatte, aber tatschlich besser kenne als alles andere, geht bis weit vor meine Kindheit zurck, liegt vor der Zeit, in der die Erwachsenen mich verwirrten und mir einzureden versuchten, ich sei ein anderer; und da sie grer und strker waren, konnten sie mich mit ihren eingebildeten ngsten terrorisieren, verwirren und bertrumpfen in dem Spiel, das ich noch nicht gelernt hatte. (Der Sadismus des Lehrers, der das Spiel erklrt und trotzdem seine berlegenheit darin beweisen mu.) Lange vor alldem, lange bevor ich als Embryo in der Gebrmutter lag, da trat der bekannte Fremde in Erscheinung, der alles ist, was ich nicht bin, den ich wiedererkenne, mit einer unermelichen Freude, die intensiver ist als das Treffen zweier Liebenden, die durch Jahrhunderte getrennt waren, als mein ursprngliches Selbst. Der gute alte Hurensohn, der mich in dieses ganze Spiel verwickelt hat.Gleichzeitig habe ich das Gefhl, da jeder und alles um mich herum schon immer da war, aber vergessen und dann wiederentdeckt wurde. Wir sitzen in einem Garten, umgeben in jeder Richtung von unkultivierten Hgeln, einem Garten aus Fuchsien und Kolibris, in einem Tal, wo die Mwen whrend der Strme Zuflucht suchen, und das hin-

    60

  • abfhrt zum westlichsten Ozean. Irgendwann in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, an einem Nachmittag im Sommer, sitzen wir um einen Tisch auf der Terrasse, essen dunkles, selbstgebackenes Brot und trinken Weiwein. Und doch scheinen wir immer dagewesen zu sein, denn die Leute, die bei mir sind, sind nicht mehr die alltglichen, geplagten kleinen Persnlichkeiten mit Namen, Adressen und Altersversicherungs-Nummern, die spezifisch datierten Sterblichen, die wir alle zu sein vorgeben. Sie erscheinen eher als ihre eigenen unsterblichen Archetypen, ohne jedoch ihre Menschlichkeit zu verlieren. Es ist nur als ob ihre verschiedenen Charaktere, so wie die Stimme des Priesters, die ganze Geschichte enthalten; sie sind gleichzeitig einmalig und ewig, Mnner und Frauen, aber auch Gtter und Gttinnen. Denn jetzt, da wir Zeit haben, uns gegenseitig anzusehen, werden wir zeitlos. Die menschliche Form wird unermelich kostbar und, als ob dies dadurch symbolisiert wrde, die Augen werden intelligente Juwelen, das Haar gesponnenes Gold und das Fleisch durchscheinendes Elfenbein. Zwischen denen, die diese Welt gemeinsam betreten, gibt es auch eine Liebe, die ausgesprochen eucharistisch ist, ein gegenseitiges Akzeptieren ihrer Naturen von den Hhen bis zu den Tiefen.Ella, die den Garten angelegt hat, ist eine wohlttige Circe Zauberin, Tochter des Mondes, Vertraute der Katzen und Schlangen, Herbalistin und rztin mit dem jngsten alten Gesicht, das man je gesehen hat, exquisiten Falten und silberschwarzem Haar, gewellt wie Flammen. Robert ist eine Manifestation des Pan, aber eines Pans der Stiere statt

    62

  • des Pans der Ziegen, mit kurzen fransigen Haaren zu stumpfen Hrnern gebschelt ein Mann ganz schwitzender Muskel und Krper, die Inkarnation der ausgelassenen Frhlichkeit. Beryl, seine Frau, ist eine Nymphe, die aus dem Wald hervorgetreten ist, eine Meerjungfer des Landes mit wehendem Haar und einem tanzenden Krper, der selbst bekleidet nackt erscheint. Es ist ihr Brot, das wir essen, und es schmeckt wie das Urbrot, von dem selbst Mutters eigenes Brot nur eine milungene Imitation war. Und dann ist da Mary, geliebt in der gewhnlichen, staubigen Welt, aber in dieser Welt eine Verkrperung von Licht und Gold, Sonnentochter mit Augen, die vom Abendhimmel geformt sind ein Geschpf aller Altersstufen, Baby, mit Puppe spielendes Mdchen, junge Frau, Matrone, Greisin und Leichnam, das die Liebe jedes Alters herauf beschwrt. Ich versuche Worte zu finden, die den numinosen, mythologischen Charakter dieser Leute andeuten. Doch gleichzeitig sind sie mir so vertraut, als kenne ich sie schon seit Jahrhunderten, oder vielmehr als erkenne ich sie wieder als verlorene Freunde, die ich am Anfang aller Zeiten kannte, aus einem Land, das vor den Welten geschaffen wurde. Dies hngt natrlich zusammen mit dem Wiedererkennen meiner eigenen urltesten Identitt, bei weitem lter als das blinde Sich-winden des Ini-Wieni, als ob die hchste Form, die das Bewutsein annehmen kann, irgendwie ganz am Anfang der Dinge gegenwrtig gewesen wre. Wir alle sehen uns gegenseitig wissend an, denn das Gefhl, da wir uns in der entferntesten Vergangenheit gekannt haben, verbirgt etwas anderes stillschweigend,

    64

  • ehrfuchtgebietend, fast unerwhnbar die Erkenntnis, da wir im tiefen Zentrum einer Zeit, die senkrecht zu der gewhnlichen Zeit verluft, eins sind und immer eins gewesen sind. Wir erkennen die wunderbar versteckte Verschwrung an, die Meisterillusion, wodurch wir verschieden erscheinen.Der Schock des Wiedererkennens. In der Gestalt von allem, was am meisten anders, fremd und entfernt ist die sich stndig zurckziehenden Galaxien, das Mysterium des Todes, die Schrecken der Krankheiten und des Wahnsinns, das Fremdgefhl, die Gnsehautwelt der Meeresungeheuer und Spinnen, das empfindliche Labyrinth meiner eigenen Eingeweide in all diesen Formen bin ich an mich herangeschlichen und habe Buh! gerufen. Ich erschrecke mich und, whrend ich verschreckt bin, kann mich nicht mehr genau erinnern, wie es passierte. Gewhnlich bin ich in einem Irrgarten verloren. Ich wei nicht, wie ich dorthin gekommen bin, denn ich habe den Faden verloren und das System der kompliziert gewundenen Gnge, durch die das Versteckspiel verlief, vergessen. (War es der Pfad, dem ich im Wachsen der Schaltkreise meines Gehirns folgte?) Aber jetzt ist das Prinzip des Irrgartens klar. Es ist der Dreh der Zurckfhrung von etwas auf sich selbst, so da es etwas anderes zu sein scheint, und die Drehungen waren so zahlreich und schwindelerregend komplex, da ich ziemlich verwirrt bin. Das Prinzip ist, da alle Dualitt und Gegenstze nicht zusammenhanglos sondern polar sind; sie treffen und konfrontieren sich nicht von weither kommend; sie entfalten sich aus einem gemeinsamen Zentrum. Gewhnliches

    66

  • Denken verdeckt die Polaritt und Relativitt, weil es Fachbegriffe verwendet, d. h. Termini oder Endungen, die Pole, und das Dazwischenliegende bersieht. Der Unterschied von Vorderseite und Rckseite, Sein und Nichtsein verdeckt ihre Einheit und Gegenseitigkeit.Nun ist Bewutsein, die Sinneswahrnehmung, immer eine Empfindung der Kontraste. Es ist eine Spezialisierung in Unterschieden, im Beachten, und nichts ist definierbar, klassifizierbar oder beachtbar auer durch Kontrast mit etwas anderem. Aber der Mensch lebt nicht durch sein Bewutsein allein, denn die lineare, Schritt-fr-Schritt, Kon- trast-durch-Kontrast-Prozedur der Aufmerksamkeit ist gnzlich unzulnglich fr die Organisation etwas so Komplexem, wie es ein lebender Krper ist. Der Krper selbst hat ein Allwissen, das unbewut ist, oder berbewut, denn er hat mit der Relation statt mit dem Kontrast zu tun, mit Harmonien eher als mit Disharmonien. Er denkt oder organisiert so wde eine Pflanze wchst, nicht wie der Botaniker ihr Wachstum beschreibt. Aus diesem Grunde hat Schiwa zehn Arme, denn er reprsentiert den Tanz des Lebens, die Allmacht der Fhigkeit, unzhlig viele Dinge gleichzeitig zu tun.In dieser Art von Erlebnis, das ich beschreibe, scheint es, da die berbewute Methode des Denkens bewut wird. Wir sehen die Welt wie der ganze Krper sie sieht, und gerade aus diesem Grunde gibt es die grte Schwierigkeit bei dem Versuch, diese Art und Weise der Vision in eine Sprachform zu bersetzen, die auf Gegensatz und Klassifizierung beruht. In dem Mae also, in dem der Mensch ein im Bewut-

    67

  • sein zentriertes Wesen geworden ist, ist er den Zusammensten, Konflikten und Miklngen ausgesetzt. Er ignoriert, da auerhalb seines Bewutseins, die erstaunliche Perfektion seines Organismus als Ganzes, und deshalb gibt es bei den meisten Leuten solch einen beklagenswerten Unterschied zwischen der intelligenten und wunderbaren Ordnung ihrer Krper und der trivialen Beschftigung ihres Bewutseins. Aber in dieser anderen Welt ist die Situation umgekehrt. Gewhnliche Leute sehen aus wie Gtter, weil die Werte des Organismus zuoberst sind und die Angelegenheiten des Bewutseins zurckfallen in die untergeordnete Position, die sie passenderweise einhalten sollten. Liebe, Einigkeit, Harmonie und Verwandtschaft nehmen daher den Vorrang ber Krieg und Trennung.Denn was das Bewutsein bersieht ist die Tatsache, da alle Grenzen und Trennungen gemeinsam durch ihre gegenstzlichen Seiten und Gebiete eingehalten werden, so da, wenn eine Seite sich verndert, beide Seiten sich zusammen bewegen. Es ist wie das Yang-Yin Symbol der Chinesen der schwarze und der weie Fisch, getrennt durch eine S-Kurve innerhalb eines Kreises. Der anschwellende Kopf des einen ist der sich verjngende Schwanz des anderen. Aber wieviel schwieriger ist es zu sehen, da meine Haut und ihre Bewegung sowohl zu mir als auch zu der ueren Welt gehren, oder da die Sphren des Einflusses der verschiedenen Menschen gemeinsame Wnde haben wie eine bestimmte Anzahl Zimmer in einem Haus, so- da die Bewegung meiner Wand auch die Bewegung der deinigen ist. Du kannst in deinem Zimmer tun was du

    69

  • willst, solange ich in meinem Zimmer tim kann was ich will. Aber jedes Menschen Zimmer ist er selbst in seinem vollsten Ausma, so da meine Erweiterung deine Zusammenziehung bedeutet und umgekehrt.Ich betrachte etwas, was ich normalerweise als ein Durcheinander von Struchern bezeichnen wrde ein Knuel aus Pflanzen und Unkraut mit sten und Blttern, die in jedwede Richtung gehen. Aber jetzt, da der organisierende und bezugnehmende Geist obenauf ist, sehe ich, da das, was durcheinander ist, nicht die Strucher sind, sondern meine plumpe Methode des Denkens. Jeder Zweig ist am richtigen Platz und die Verschlingung ist zu einer Arabeske geworden, feiner angeordnet als das sagenhafte Gekritzel auf den Rndern keltischer Handschriften. In gleichem Bewutseinszustand habe ich eine Waldlandschaft im Herbst gesehen, mit der ganzen Vielfalt der fast kahlen ste und Zweige als Silhouette gegen den Himmel, nicht als Durcheinander, sondern als Spitzenarbeit oder die Liniengravierung eines zauberhaften Juweliers. Ein morscher Baumstamm mit pilzartigen Gewchsen und Moosflecken wurde so kostbar wie irgendein Werk von Cellini eine innerlich leuchtende Konstruktion aus Jett, Bernstein, Jade und Elfenbein. Der ganze porse und schwammige Zerfall des Holzes schien mit unendlicher Geduld und unendlichem Knnen herausgemeielt zu sein. Ich wei nicht, ob diese Art und Weise der Vision die Welt in gleicher Weise wie den Krper organisiert oder ob die natrliche Welt einfach in dieser Weise organisiert ist.Eine Reise in diese neue Bewutseinsart gibt einem ein

    70

  • wunderbar erhhtes Verstndnis der Musterung in der Natur, eine Faszination, tiefer denn je, der Struktur des Farnkrauts, der Formation der Kristalle, der Markierungen auf Meeresmuscheln, der unglaublichen Juwelierung solcher einzelligen Kreaturen des Ozeans wie der Radiolaria, der mrchenhaften Architektur der Samen und Hlsen, der Ingenieurkunst der Knochen und Skelette, der Aerodynamik der Federn und der erstaunlichen ppigkeit der Au- gen-Formen auf den Flgeln der Schmetterlinge und Vgel. Diese ganze komplizierte Feinheit der Organisation mag von einem Standpunkt aus gesehen streng funktionell sein fr die Zwecke der Fortpflanzung und des berlebens. Aber wenn man ganz darauf eingeht, dann ist das berleben dieser Geschpfe dasselbe wie ihre eigentliche Existenz und wofr ist die ?Mehr und mehr scheint es, da die Anordnung der Natur eine der Musik verwandte Kunst ist Fugen in Schale und Knorpel, Kontrapunkt in Fasern und Kapillaren, pochender Rhythmus in Wellen des Klangs, Lichts und der Nerven. Und man selbst ist ganz unentwirrbar damit verbunden ein Knoten, ein Ganglion, ein elektronisches Verweben von Pfaden, Schaltungen und Impulsen, das summt und sich durch die Gesamtheit der Zeit und des Raumes streckt. Das ganze Muster dreht sich in seiner Komplexitt wie Rauch in Sonnenstrahlen oder das kruselnde Netzwerk des Sonnenlichts in flachem Wasser. Sich selbst endlos in sich selbst umwandelnd, bleibt allein das Muster. Die Kreuzpunkte, Knoten, Netze und Schnrkel verschwinden unaufhrlich eins ins andere. Der grundlose Stoff dieser Vision. Sie ist

    72

  • ihr eigener Grund. Wenn sich der Boden unter mir auflst, schwebe ich.Bei geschlossenen Augen scheinen die Bilder in dieser Welt manchmal Offenbarungen des geheimen Wirkens des Gehirns zu sein, der assoziativen und musterbildenden Vorgnge, die ordnenden Systeme, die unser ganzes Fhlen und Denken tragen. Anders als jene Vision, die ich gerade beschrieben habe, sind diese meistens viel komplexere Variationen eines Themas Farnkraut, das Farnkraut spriet, das Farnkraut spriet in multi-dimensionalen Rumen, riesige kaleidoskopische Dome aus buntem Glas oder Mosaik, oder Muster wie die Modelle von hochkomplizierten Moleklen Systeme aus farbigen Bllen, von denen jeder einzelne wiederum aus einer Vielzahl von kleineren Bllen besteht, u.s.w. und so fort. Ist dies vielleicht ein innerer Blick auf den Organisationsproze, der, wenn die Augen geffnet sind, der Welt auch an den Stellen einen Sinn gibt, wo sie uerst verdorben erscheint?Spter am selben Nachmittag nimmt uns Robert hinber zu seiner Scheune, wo er aufgerumt und den Abfall in ein groes zerbeultes Buick-Kabriolett geladen hat, an dem die Sitzfllungen herausquellen. Die Ansicht von Abfall stellt zwei der groen Fragen des menschlichen Lebens: Wo tun wir ihn hin? und Wer wird aufrumen? Von einem Standpunkt aus gesehen sind lebende Kreaturen einfach Rhren, die an einem Ende Sachen hineinstecken und sie am anderen Ende wieder hinausschieben bis die Rhre ausgeleiert ist. Das Problem ist immer, wo man das, was am anderen Ende herauskommt, hintun soll besonders dann, wenn

    73

  • es anfngt, so hoch zu werden, da die Rhren in Gefahr geraten, durch ihren eigenen Abfall von der Erde verdrngt zu werden. Und die Fragen haben metaphysische Untertne. Wo tun wir ihn hin? fragt nach dem Fundament, auf dem die Dinge letztlich beruhen die Erste Ursache, der Gttliche Grund, die Basis der Moral, der Ursprung des Handelns. Wer wird aufrumen? fragt danach, wo die Verantwortung letztlich liegt, oder wie wir unsere sich immer weiter vermehrenden Probleme lsen sollen, ohne sie einfach an die nchste Generation weiterzugeben.Ich betrachte das Mysterium des Abfalls in seiner gegenwrtigen Manifestation: Roberts Auto hochbeladen nur der Fahrersitz unbesetzt mit zerbrochenen Trrahmen, rostigen fen, Knueln aus Maschendraht, zerdrckten Dosen, Innereien von alten Harmonien, namenlosen Enormitten aus rissigem Plastik, kopflosen Puppen, Fahrrdern ohne Rder, zerrissenen, kapokerbrechenden Kissen, Einweg-Flaschen, kaputten Schneiderpuppen, rhomboiden Bilderrahmen, zerbrochenen Vogelkfigen und unbegreifbarem Durcheinander von Schnren, Kabeln, Apfelsinenschalen, Eierschalen, Kartoffelschalen und Glhbirnen alles garniert mit einem grlich-weien chemikalischen Puder, den wir Engelsscheie nennen. Morgen werden wir dies in einem freudigen Konvoi zum rtlichen Mllabladeplatz begleiten. Und was dann? Kann irgendein vorstellbares Schmelzen und Verbrennen diese stetig wachsenden Berge des Ruins loswerden besonders wenn die Dinge, die wir herstellen und bauen, mehr und mehr wie Abfall auszusehen beginnen, bevor wir sie wegwerfen? Die einzige

    74

  • Antwort scheint die der gegenwrtigen Gruppe zu sein. Der Anblick von Roberts Wagen bewirkt bei allen einen hysterischen Lachanfall, der uns vllig hilflos macht.Die Gttliche Komdie. Alle Dinge lsen sich im Lachen auf. Und fr Robert ist dieser groe Haufen von wunderbar widerspruchsvoller Nutzlosigkeit ein wahres Kunstwerk, ein Meisterstck des Unsinns. Er drckt es zusammen und verschnrt es an das bauchige, niedrige Wrack des angeblich schicken Kabrioletts, und dann tritt er zurck, um es zu bewundern, als wre es ein Wagen fr einen Karnevalsumzug. Thema: der amerikanische Lebensstil. Aber unser Lachen ist ohne Bosheit, denn in diesem Bewutseinszustand ist alles das Tun der Gtter. Der Hhepunkt der Zivilisation in monumentalen Mllhaufen wird nicht als gedankenlose Hlichkeit gesehen, sondern als Selbstkarikatur als die Schpfung phnomenal absurder Kollagen und abstrakter Skulpturen in absichtlichem, aber freundlichem Spott auf unsere eigene Anmaung. Denn in dieser Welt ist nichts verkehrt, ist nichts einmal dumm. Das Gefhl des Verkehrtseins ist einfach Unfhigkeit zu sehen, wo etwas in ein Muster pat, verwirrt zu sein in Bezug auf die hierarchische Ebene, zu der ein Ereignis gehrt ein Spiel, das gnzlich verkehrt auf Ebene 28 zu sein scheint, mag genau richtig liegen auf der Ebene 96. Ich spreche von Ebenen oder Stadien in dem Labyrinth der Drehungen und Windungen, Schachzge und Konterschachzge in denen das Leben verwickelt ist und sich entwickelt das kosmologische Eins-zu-Null, das das Yang und das Yin, das lichte und das dunkle Prinzip ewig spielen, das Spiel, das in einem

    75

  • frhen Stadium der Entwicklung eine ernsthafte Schlacht zwischen Gut und Bse zu sein scheint. Wenn der Spieer definiert werden kann als jemand, der das Spiel ernst nimmt, mu man ihn fr die bloe Tiefe seiner Verwicklung bewundern, fr den Mut, so weit weg zu sein, da er nicht mehr wei, wo er anfing.Je mehr prosaisch, je mehr schrecklich alltglich jemand oder etwas zu sein scheint, desto mehr bewegt es mich zur Bewunderung der Genialitt, mit welcher das Gttliche sich versteckt, um sich zu finden, der Weitschweifigkeit, zu der diese kosmische joie de vivre in der Ausarbeitung ihres Tanzes fhig ist. Ich denke an eine Eck-Tankstelle an einem heien Nachmittag. Staub und Auspuffgase, der gewhnliche Standard-Tankwart, ganz Baseball und Sportwagen, die Reklameschilder halbherzig poppig, die Fadheit so beruhigend nichts hier auer uns Brgern! Ich sehe, wie die Leute nur so tun, als shen sie nicht, da sie Ava- tare des Brahma, Wischnu und Schiwa sind, da die Zellen ihrer Krper Millionen Gtter sind, da der Staub ein Schleier aus Juwelen ist. Wie feierlich sie mir ihr Unverstndnis zeigen wrden, wenn ich an sie herantrte, um zu sagen: Also, wem willst Du denn was vormache