Alexandre Dumas der Jüngere Die Kameliendame · Titel der französischen Originalausgabe: La dame...

6
Alexandre Dumas der Jüngere Die Kameliendame Anaconda

Transcript of Alexandre Dumas der Jüngere Die Kameliendame · Titel der französischen Originalausgabe: La dame...

Page 1: Alexandre Dumas der Jüngere Die Kameliendame · Titel der französischen Originalausgabe: La dame aux camélias (Paris 1848). Der deutsche Text folgt der Ausgabe Die Kameliendame.

Alexandre Dumas der Jüngere

DieKameliendame

Anaconda

Dumas Kameliendame_Layout 1 28.06.2017 14:11 Seite 3

Page 2: Alexandre Dumas der Jüngere Die Kameliendame · Titel der französischen Originalausgabe: La dame aux camélias (Paris 1848). Der deutsche Text folgt der Ausgabe Die Kameliendame.

Titel der französischen Originalausgabe: La dame aux camélias(Paris 1848). Der deutsche Text folgt der Ausgabe Die Kameliendame.Roman von Alexander Dumas-Sohn. Vollständige Ausgabe. Berlin:A. Weichert [1913]. Keine Angabe des Übersetzers. Orthografieund Interpunktion wurden auf neue Rechtschreibung umgestellt,deutsche Schreibweisen französischer Namen zurückverwandelt.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2017 Anaconda Verlag GmbH, KölnAlle Rechte vorbehalten.Umschlagmotiv: Ruth Addinall, »Camellia« (1998), Private Collection / Bridgeman ImagesUmschlaggestaltung: www.katjaholst.deSatz und Layout: Andreas Paqué, www.paque.dePrinted in Czech Republic 2017ISBN [email protected]

Dumas Kameliendame_Layout 1 28.06.2017 14:11 Seite 4

Page 3: Alexandre Dumas der Jüngere Die Kameliendame · Titel der französischen Originalausgabe: La dame aux camélias (Paris 1848). Der deutsche Text folgt der Ausgabe Die Kameliendame.

5

Erster Teil

I.

Ich bin der Meinung, dass man erst nach langer Beob-achtung der Menschen imstande ist, Charaktere zuschaffen, gleich wie man erst durch anhaltendes Studi-um befähigt wird, eine Sprache zu sprechen.

Ich habe noch nicht das Alter erreicht, wo man er-findet, und begnüge mich daher mit dem Erzählen vonTatsachen.

Die folgende Geschichte ist durchaus wahr, ich habenur die Namen der daran teilnehmenden Personenverändert, denn alle, mit Ausnahme der Heldin dieserErzählung, leben noch.

Überdies gibt es in Paris Personen, welche Zeugender hier gesammelten Tatsachen waren und dieselbenbestätigen könnten, wenn mein Zeugnis nicht genügte;ich allein aber wurde durch besondere Verhältnisse inden Stand gesetzt, diese Geschichte zu schreiben, dennich allein wurde mit den Einzelheiten so vertraut, umeine genaue, verständliche und vollständige Erzählunggeben zu können.

Dumas Kameliendame_Layout 1 28.06.2017 14:11 Seite 5

Page 4: Alexandre Dumas der Jüngere Die Kameliendame · Titel der französischen Originalausgabe: La dame aux camélias (Paris 1848). Der deutsche Text folgt der Ausgabe Die Kameliendame.

Diese Einzelheiten kamen auf folgende Art zu meinerKenntnis. Am 12. März 1843 las ich in der Rue Lafitte ei-nen großen gelben Anschlagzettel, welcher die Anzeigeeines Verkaufs von Möbeln und Luxusartikeln enthielt.Dieser Verkauf sollte »infolge eines Todesfalls« stattfinden.Die verstorbene Person wurde nicht genannt, aber dieVersteigerung des Nachlasses sollte am 16. in der Rued’Antin von zwölf bis fünf Uhr nachmittags stattfinden.

Am 13. und 14., hieß es auf dem Anschlagzettel, kön-ne man die Wohnung besuchen, in welcher sich dieMöbel, Gemälde und alle zu versteigernden Gegen-stände befanden.

Ich war stets ein Liebhaber von Merkwürdigkeiten,ich nahm mir also vor, diese Gelegenheit zu benützen,um dieselben zu sehen und vielleicht etwas davon zukaufen.

Am folgenden Tag begab ich mich in das bezeich-nete Haus der Rue d’Antin. Am Haustor sah ich zweinoch größere Anschlagzettel, welche über die bevor-stehende Versteigerung noch genauere Auskunft ga-ben als jener, den ich in der Rue Lafitte gesehen hat-te. Der Hausmeister sagte mir auf meine Anfrage, dassdie zu verkaufenden Gegenstände im ersten Stock zusehen wären und dass die Wohnung offen sei.

Es war noch früh, und dennoch waren schon Besu-cher und sogar Besucherinnen da, welche, obgleich inSamt gekleidet und in Kaschmir gehüllt, den vor ihrenAugen ausgebreiteten Luxus dennoch mit Bewunde-rung betrachteten.

6

Dumas Kameliendame_Layout 1 28.06.2017 14:11 Seite 6

Page 5: Alexandre Dumas der Jüngere Die Kameliendame · Titel der französischen Originalausgabe: La dame aux camélias (Paris 1848). Der deutsche Text folgt der Ausgabe Die Kameliendame.

7

In der Folge begriff ich diese Verwunderung unddieses Erstaunen; denn bei genauer Beobachtung diesesLuxus, der nicht immer von völlig tadellosem Ge-schmack war, erriet ich bald, wer diese Gemächer be-wohnt haben müsse. Überdies erkannte ich in den dreioder vier Besucherinnen, deren elegante Coupés vordem Haus hielten, galante Damen, die in der großenWelt ziemliches Aufsehen machten; ich wusste mir da-her ihr Erstaunen und Lächeln zu erklären, sooft ihnenein Gegenstand von großem Wert vorkam.

Kurz, es unterlag keinem Zweifel, dass ich in der Woh-nung einer durch ihren Luxus bekannten femme entrete-nue* war. Wenn es etwas gibt, was galante Frauenzimmerzu sehen wünschen, so sind es die Wohnungen dieser Ri-valinnen, deren Equipagen täglich an den ihrigen vorü-berrollen, die, gleich ihnen, ihre Logen in der Oper undim italienischen Theater haben und ihre Schönheit, ihreBrillanten und Skandale ohne Erröten zur Schau tragen.

Die Bewohnerin der Prunkgemächer, in denen ichmich befand, war tot; es konnten daher die tugendhaf-testen Frauen bis in ihr Zimmer dringen. Der Tod hattediese glänzende Kloake gereinigt, und überdies konntensich diese Damen – wenn sie wirklich einer Entschuldi-gung bedurften – damit entschuldigen, dass sie zu eineröffentlichen Versteigerung kamen, ohne zu wissen, wemdie Sachen gehört hatten. Sie hatten die Anschlagzettelgelesen, sie wollten sehen, was in dem Verzeichnis aufge-

* Mätresse, Kurtisane

Dumas Kameliendame_Layout 1 28.06.2017 14:11 Seite 7

Page 6: Alexandre Dumas der Jüngere Die Kameliendame · Titel der französischen Originalausgabe: La dame aux camélias (Paris 1848). Der deutsche Text folgt der Ausgabe Die Kameliendame.

führt war; dabei aber konnten sie mitten unter allen die-sen Wunderdingen ungehindert die Spuren jenes koket-ten Lebens aufsuchen, von welchem sie ohne Zweifelgar seltsame Dinge gehört hatten.

Unglücklicherweise waren diese Geheimnisse mitder Göttin zu Grabe gegangen, und viele Damen ver-mochten mit dem besten Willen nur zu erforschen, wasnach dem Ableben der schönen Sünderin zu verkaufenwar, aber nichts von dem, was bei Lebzeiten der Letz-teren feil gewesen war.

Es gab übrigens gar viel zu kaufen. Der mit Kordu-anleder tapezierte Speisesaal hatte zwei prächtigeSchränke aus der Zeit Heinrichs des Vierten, in denensilbernes und vergoldetes Tafelzeug glänzte. Große ge-stickte Vorhänge verschleierten die Fenster, und Sesselvon dem gleichen Stoff umgaben einen kunstvoll ge-schnitzten Tisch von Eichenholz.

In dem mit großgeblümtem Stoff ausgeschlagenenSchlafzimmer stand auf einer Erhöhung ein prachtvol-les Bett, auf Karyatiden ruhend, welche Faune undBacchantinnen darstellten. Auf den platten Säulen die-ses Bettes waren Wasserkannen angebracht mit Wein-ranken verschlungen, aus denen Liebesgötter hervor-lugten. Die Bettvorhänge waren von demselben Stoffwie die Tapeten, und die Fußdecke bestand aus derschönsten Spitzenstickerei.

Nach diesem Heiligtum zu urteilen musste die Göt-tin schön gewesen sein; gewiss war, dass die Priesterden Altar geschmückt hatten.

8

Dumas Kameliendame_Layout 1 28.06.2017 14:11 Seite 8