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Prof. Dr. Gundula Bars Alkohol Modelle Alkoholismus: Modelle u. deren Probleme Literaturempfehlungen zum Thema Kruse, G., Körkel, J., Schmalz, U.: Alkoholabhängigkeit erkennen und behandeln – mit literarischen Beispielen. Psychiatrie-Verlag, 2000 Feuerlein, W.: Alkoholismus – Missbrauch und Abhängigkeit, Entstehung – Folgen – Therapie (4. Überarbeitete Auflage). Stuttgart 1989

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AlkoholModelle

Alkoholismus: Modelle u. deren Probleme

Literaturempfehlungen zum Thema

Kruse, G., Körkel, J., Schmalz, U.: Alkoholabhängigkeit erkennen und behandeln –mit literarischen Beispielen. Psychiatrie-Verlag, 2000

Feuerlein, W.: Alkoholismus – Missbrauch und Abhängigkeit, Entstehung – Folgen – Therapie (4. Überarbeitete Auflage). Stuttgart 1989

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Diagnose „Abhängigkeit“: Ein StigmaBefragung von Studierenden – viertes Semester - 2003

Haben Sie selbst Erfahrungen mit einem Alkoholiker?O Nein 25 %

O Ja, in der Familie 21 %

O Ja, im Freundeskreis 33 %

O Ja, bei Verwandten 33 %

O Ja, bei Arbeitskollegen 25 %

Wie verbreitet sind Erfahrungen mit Alkoholikern?Wie gesichert is

t

dieses Urteil

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Subjektive SuchtbegriffeWissen alle, was „Sucht“ ist?

Es besteht in der Bevölkerung ein Konsens, welche Verhaltensweisen dem Begriff zugeordnet werdenAbhängig von dominanten Wertvorstellungen in Gesellschaft Allgemeiner Suchtkonsens = Orientierungspunkt für Urteil über eigenes u. fremdes Verhalten, Wahrnehmen bestimmter Risiken/Gefährdungen u. Umsetzen von Korrekturen

Bestimmte Perspektiven, die physische, psychische u. soziale Prozesse als zu einem Phänomen zugehörig betrachten:

Medizin = Krankheitsfolgen

Drogenhilfe = abweichendes Verhalten

Psychologie = persönliche Autonomie u. rational gefasste Selbstentfaltung

klaffen oft

weit aus-

einander

Haben Expertensysteme eigene Suchtbegriffe?

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Der „Alkoholismus"-Begriff

Wie wurde problematisches Trinken in der Nachkriegszeit beschrieben?

Systematisierung der "Alkoholkrankheit"

durch Jellinek zwischen 1952 und 1960

Einteilung des Alkoholismus in:Trinkformen (Missbrauch, Abhängigkeit)

Phasen (linear-progressive Entwicklung)

Alkoholismustypen (Gamma-, Delta-, Epsilon-Alkoholismus)

1968 sozialrechtliche Anerkennung des Alkoholismus als Krankheit

Alkoholismus:

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Wie werden Alkoholmissbrauchsformen definiert?

Das Alkoholismusmodell von Jellinek

Alpha-AlkoholismusPeriodisches Konflikt- u. Erleichterungstrinken mit beabsichtigtem BetrinkenErreichen einer psychischen AbhängigkeitToleranzentwicklungkein KontrollverlustVorstufe zum krankhaften Gamma-Alkoholismus

Beta-AlkoholismusKontinuierliches Gelegenheitstrinken (bestimmte Trinksitten, Freizeitgestaltung, Genuss u.a.) Keine psychische u. physische AbhängigkeitOrganschäden möglichVorstufe zum krankhaften Delta-Alkoholismus

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Das Alkoholismusmodell von Jellinek

Wie sehen Alkoholkrankheitsformen aus?Gamma-Alkoholismus

Periodisches exzessives Trinken mit beabsichtigtem Betrinken; Erreichen einer psychischen u. physischen AbhängigkeitAusgeprägte Toleranzentwicklung bei progredientem Verlauf bis zu deren ZusammenbruchAbstinenzfähig (!)Kontrollverlust (!)

Delta-AlkoholismusGewohnheitsmäßiges tägliches Trinken über längere ZeitSpiegeltrinker Kein obligater Kontrollverlust (!)psychische u. physische AbhängigkeitOrganschäden möglichAbstinenzverlust (!)

Epsilon-Alkoholismus/Dipsomanie

Episodisches Trinken mit Kontrollverlust, meist periodisch, ausgelöst durch persönliche Krisen

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Jellinek´s Alkoholismusmodells in der Kritik

Warum gerät diese Einteilung in Trinkformen in die Kritik?

Suggeriert ein einheitliches Krankheitsbild, das in der Praxis so nicht zu finden ist.Empirisch relativ gut unterscheidbar nur der Gamma- u. Delta-Alkoholismus = eignet sich nur für die Grobdiagnose von Trinkmustern, aber nicht von Krankheitsbildern.Ansonsten finden sich viele Übergänge u. Mischformen = keine so klaren Abgrenzungen möglich, wie das Modell vorgibt.Kaum Anhaltspunkte für die Therapie.

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Das traditionelle Alkoholismusmodell und seine Phasen

Wie beschreibt Jellinek die Dynamik des Alkoholismus ?

Voralkoholische Phase

Prodromalphase

Kritische Phase

Chronische Phase

AbstinenzbehandlungTod Aufhellungsphase

Labilitätsphase

Wiederanpassungsphase

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Das Phasenmodell des Alkoholismus: die voralkoholische Phase

Wie wird die voralkoholische Phase beschrieben?Unbestimmte DauerAusbildung einer rein psychischen Abhängigkeit,Weitgehende Einbindung des Trinkens in übliche TrinksittenÜbergang vom Genussmittel zur Droge

Suche nach Geselligkeit als Möglichkeit zum Trinken.Das gelegentliches Erleichterungstrinken zum Abbau von Anspannung geht über in Regelmäßigkeit.Das gesellige Trinken wird zugunsten eines Wirkungstrinkens aufgegeben.

Hinweiszeichen u. a.:

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Das Phasenmodell des Alkoholismus: Prodromalphase

Was kommt dann? Die Prodromalphase?½ Jahr bis 5 JahreZunehmende aber rein psychische Abhängigkeit,Zunehmende Anpassung des Organismus an die Alkoholwirkung Erhöhung der Alkoholtoleranz

Hinweiszeichen u. a.:

Häufig wiederkehrendes Verlangen u. peinigende Gedanken nach AlkoholGelegentliche Gedächtnisausfälle bei geringen TrunkenheitsgradenHeimliches TrinkenHastiges, gieriges TrinkenSchuldgefühle wegen des TrinkensAblehnung von Gesprächen über das Trinken

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Das Phasenmodell des Alkoholismus: Kritische Phase

Wie wird die kritische Phase beschrieben?10 bis 15 JahreEntwicklung des Verlustes der Selbstkontrolle über das TrinkenZunehmende physische u. psychische Bindung an den AlkoholAusbildung von Entzugserscheinungen mit zunehmender SchwereEntwicklung eines alkoholbedingten Psychosyndroms

Abnahme der Fähigkeit, das Trinken mit anderen zu beendenSuche nach Rechtfertigungsgründen für das TrinkenBeginnende soziale AuffälligkeitenAnhaltende SelbstvorwürfeNichteinhalten von Versprechen u. Vorsätzen (Abstinenzversuche, Änderung des Trinksystems)Beeinträchtigungen im Sexualverhalten (Libido u. Potenz)Heftige Stimmungsschwankungen (Selbstmitleid, Aggression, Depression)

Hinweiszeichen u. a.:

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Das Phasenmodell des Alkoholismus: Chronische Phase

Die chronische Phase als Endpunkt?Unbestimmte DauerAlkohol wird zum zentralen LebensinhaltZwanghaftes Trinken und verlängerte RäuscheAuftreten schwerer Entzugserscheinungen Voll ausgebildete Bindung an den Alkohol

Hinweiszeichen u. a.:Verschlechterung des KörperzustandesDeutlicher PersönlichkeitsabbauBeeinträchtigung der DenkvorgängeUnfähigkeit, bestimmte Tätigkeiten zu beginnenUndefinierbare ÄngsteZusammenbruch aller Erklärungsversuche für das TrinkenTagelange RäuscheZuflucht zu technischen Produkten (Haarwasser, Brennspiritus, Rheumamittel)

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Jellinek´s Alkoholismusmodells in der Kritik

Warum gerät die Einteilung in Krankheitsphasen in die Kritik?

Scheinbar keine eigene Biographie, sondern nur noch „Krankheitsstadien“ = steht einer differenzierten Betrachtung des Einzelfalls entgegenKarrieremodell lässt individuelle Entwicklungen u. Besonderheiten übersehen = hinderliche GeneralisierungenJeweils gegebene Möglichkeiten, Freiheitsgrade u. damit auch Verantwortlichkeiten werden übersehen = behindert ressourcenorientiertes ArbeitenSuggeriert einen naturgegebenen Verlauf, dem der einzelne ausgeliefert ist = Sichtweise auf Betroffene als Objekte einer EntwicklungGefahr der Abgabe von Verantwortung für das eigene Tun u. der Entwicklung von Heilserwartungen an Professionelle durch die Betroffenen

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Individuelles u. Soziales bei der Entwicklung von Abhängigkeit

Ist man selbst schuld, dass man Alkoholiker wird? Soziales Umfeld Trinkender Aufforderung o. Ablehnung des Trinkens abhängig von der Situation des Konsums, seiner Stabilität über die Zeit u. der Motivation zum Konsum

Durch offene Missbilligung /Vorhaltungen durch Personen aus sozialem Nahfeld Beginn von Selbststigmatisierung

Zunehmende Problembelastung

Selbstproblematisierung

etwa 1/2-1 Jahr vor anderen

Bedrohliche soziale Konsequenzen treten auf

Hilfe durch Experten gesucht vs. Experten suchen den Betroffenen auf:Urteil der Bevölkerung entscheidet über Behandlungsbedürftigkeit

Experte beginnt u. setzt Zuschreibungsprozess fort mit diagnostischem Inventar, das strenger als das Urteil der Bevölkerung ist = Abwehr/Abbruch

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Das Entwicklungskonzept insbesondere für illegalisierte Drogen

•• Initialphase = Ausprobieren u. Initialphase = Ausprobieren u. Experimentieren mit Hauptmotiv NeugierExperimentieren mit Hauptmotiv Neugier

•• Verlagerung der BezugsgruppeVerlagerung der Bezugsgruppe

•• Einübung im Sinne des Erlernens der Regeln eines Konsummilieus Einübung im Sinne des Erlernens der Regeln eines Konsummilieus

•• Externes Externes LabelingLabeling = Zuschreibung von = Zuschreibung von Eigenschaften der Person durch AußenstehendeEigenschaften der Person durch Außenstehende

•• Veränderung der KonsummotivationVeränderung der Konsummotivation

•• Milieutypisches Selbstmanagement = Übernahme Milieutypisches Selbstmanagement = Übernahme eines drogenbezogenen Lebensstiles mit eines drogenbezogenen Lebensstiles mit entsprechenden Werten, Normen und Verhaltensstilenentsprechenden Werten, Normen und Verhaltensstilen

•• SubsumptionSubsumption der eigenen Identität unter die der eigenen Identität unter die Kategorie des Abhängigen = Übernahme im Kategorie des Abhängigen = Übernahme im Selbstbild u. als Orientierung für Verhalten Selbstbild u. als Orientierung für Verhalten

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Neue Konzepte zum Modell „Drogenkarriere“

Interaktion zwischen Faktoren der Person und des Umfeldes wird Interaktion zwischen Faktoren der Person und des Umfeldes wird betont betont = Abkehr von mechanistischen, individualisierenden u. = Abkehr von mechanistischen, individualisierenden u. pathologisierendenpathologisierenden Denkstilen in bezug auf DrogenkarrierenDenkstilen in bezug auf Drogenkarrieren

Sieht Entwicklung als unsteten Prozess, der die prinzipielle Sieht Entwicklung als unsteten Prozess, der die prinzipielle Möglichkeit eines Abbruchs bzw. eines Stagnierens beinhaltet Möglichkeit eines Abbruchs bzw. eines Stagnierens beinhaltet ==Absage an AutomatismenAbsage an Automatismen

Unterstreicht die Bedeutung der Entscheidung des Individuums, Unterstreicht die Bedeutung der Entscheidung des Individuums, wenn auch die Freiheitsgrade im Voranschreiten der Karriere wenn auch die Freiheitsgrade im Voranschreiten der Karriere abnehmen abnehmen = subjektorientierte Sichtweise= subjektorientierte Sichtweise

Neue Sichtweisen zur Überwindung des „Karrieremodells“

Legt nahe, nach Risiko-, Schutz- bzw. Resilienzfaktoren zu suchen u. diese zu stärken = ressourcenorientierte u. salutogenetische Herangehensweise

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Der Anteil des Sozialen an der Entwicklung von „Abhängigkeit“

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Sozialarbeit?

In der Arbeit mit den Betroffenen den Anteil des Sozialen u. des Individuellen am Zustandekommen von Entwicklungen aufzeigen = Aufdecken

Fähigkeiten vermitteln, soziale Zusammenhänge zu erkennen u. Techniken lehren, sich gegen soziale Zwänge zu wehren = Befähigen

Betroffenen sind in jeder Situation Freiheitsgrade und Entscheidungsspielräume für eigenes Handeln aufzuzeigen = auf Ressourcen orientieren

Durch eigene Haltung gegenüber dem BetroffenenLabelingprozesse u. deren Übernahme im eigenen Selbstbild verhindern = Emanzipieren

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Die Krankheitskritik: Behandlung versus Bewältigung

Was ist das Besondere an einer Alkoholtherapie?

Nur das, was der einzelne an Nur das, was der einzelne an sich selbst als nicht gesund und sich selbst als nicht gesund und änderungsbedürftig begreift, ist änderungsbedürftig begreift, ist einer Therapie zugänglich.einer Therapie zugänglich.

Richtigerweise muss deshalb Richtigerweise muss deshalb von Bewältigung, nicht von von Bewältigung, nicht von Behandlung oder Heilung Behandlung oder Heilung gesprochen werden.gesprochen werden.

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Das Modell: Alkoholismus als chronisch rezidive ErkrankungAlkoholismus als „Chronisch rezidive Erkrankung":

Bei 70-90 % der Personen, die ernsthaft versuchen, ihre Abhängigkeit zu überwinden, kommen Rückfälle vor.

Rückfälle sind hochwahrscheinliche, frühzeitig nach Behandlungsende eintretende u. in ihrem Verlauf äußerst vielgestaltige Phänomene.

Einordnung:Gehört zum Krankheitsbild dazu = ist die Regel u. nicht die Ausnahme.

Nicht gewünschter, aber normaler Teil des Prozesses des Herauswachsens aus der Abhängigkeit.

Birgt eine Vielzahl von Risiken in sich: Not- u. Todesfälle, Infektionen, Suizide

Kann für das soziale Nahfeld (Freunde, Angehörige) mit vielen Problemen u. Leid verbunden sein (z.B. Anstieg der vom Rückfälligen ausgehenden Gewalt).

Ausrutscher (erstmaliger Wiederkonsum) u. Rückfälle in der Arbeit weder bagatellisieren noch dramatisieren!

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Der Mythos „Wiederkonsum= sofortiger Absturz“

Stürzt man als trockener Alkoholiker nach der kleinsten Menge Alkohol (z.B. Weinbrandpraline) sofort wieder ab?

Ausrutscher (erstmaliger Wiederkonsum) gehen nicht abrupt in Form eines biologisch-chemischen Naturgesetzes in einen dauerhaften Rückfall über = kein Reflex einer defizitären Biochemie (bis heute weit verbreiteter Mythos!)

Entscheidend wird, wie ein Ausrutscher innerlich verarbeitet wird = Frage nach kognitiven u. emotionalen Rückfallanheizern u. wie diese bearbeitet werden können

Handlungsmöglichkeiten für Soziale Arbeit

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Neue Konzepte im Umgang mit Rückfällen

Welche Faktoren nehmen Einfluss auf Rückfälle?

Betroffener

Rückfall

Hilfesystem sozialer Kontext

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Rückfallgefährdung: Einflussfaktoren der Persönlichkeit

Wann steigt die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Rückfall/Absturz?

Wenn der Betroffene: Sich selbst für unfähig hält, den Konsum nach einem Ausrutscher wieder einstellen zu können: "Ich bin süchtig und kann nichts dafür!"

Sich selbst als willensschwach beurteilt: "Mir fehlt einfach dieWillenskraft!"

Sich innerlich aufgibt: "Das schaffe ich nie!"

Eine gedankliche Selbstabschreibung vornimmt: "Da kann ich mich gleich ´plattmachen`!"

Sich mit Selbstvorwürfe belastet: "Das kann ich nicht wieder gut machen!"

Unüberwindbare Schamgefühle entwickelt: "Ich könnte vor Scham im Erdboden versinken!"

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Rückfallgefährdung: Einflussfaktoren des Umfeldes

Wie kann der soziale Kontext Rückfälle fördern?

Risikofaktoren sind:Zwischenmenschliche Konflikte u. Spannungen

Einsamkeit, Isolation o. schlechte soziale Integration

Fehlen eines sozialen Netzwerkes

Trinkfreudige Arbeitsumgebung

Zusammensein mit anderen Konsumenten u. Aufforderung zum Konsum

Anstreben des Dazugehörigkeitsgefühls beim Zusammensein mit anderen

Desolate soziale Situation (Wohnungs- u. Arbeitslosigkeit, Schulden)

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Rückfallgefährdung: Einflussfaktoren des Hilfesystems

Was hat das soziale Hilfesystem für Anteile an Rückfällen?

Fehlplazierungen (Kurz- vs. Langzeittherapie, Therapiemethoden)

Fehlende Vorbereitung auf einen Rückfall

Rückfallmythen (z.B. "Der erste Schluck führt zum totalen Absturz")

Hohe Zugangsschwellen für Wiederbehandlungen

Durch generelle disziplinarische Entlassung nach stationärem Rückfall wird ein noch schwerer Rückfallverlauf begünstigt

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Neue Ansätze für den Umgang mit einem RückfallWas kann Soziale Arbeit tun, um Rückfälle zu verhindern?

Kontraproduktiver Mythos „Nach Wiederkonsum folgt automatisch Absturz" wirkt als sich selbst erfüllende Prophezeiung = auflösen!

Mythen ersetzen durch den konkrete Hilfen für den Umgang mit Ausrutschern.

Aktivwerden des Betroffenen erleichtern durch niedrigschwelligeZugänge zum Hilfesystem (z.B. erneute Hilfe ermöglichen, ambulant vor stationär).

Patientengerechte schriftliche Information über Rückfall u. Rückfallvorbeugung.

Förderung soziale Bindungen (Aufbau Freundeskreis, Anschluß an Freizeitgruppen).

Entwicklung einer Sensibilität der Sozialpartnern in bezug auf den eigenen Drogenkonsum (z.B. offene u. verdeckte Trinkzwänge).

Stabilisierung von Partnerschaft u. Familie.

Unterstützung bei der Regulierung der sozialen Integration durchklassische soziale Arbeit.

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Das Abstinenz-Verletzungs-Syndrom u. Rückfallgefährdung

Welche Folgen hat das Konzept "lebenslange Abhängigkeit„?Es werden mehr soziale Situationen als Risiko (Nahrungsmittel, Medikamente) u. damit als bedrückend wahrgenommen = keine differenzierte Auseinandersetzung mit Risikosituationen.

Verminderte kognitive Wachsamkeit (Umstiegsprozesse).

Steigert das subjektiv erlebte, lebenslange Nicht-Kontrollieren-Können.

Erlernen/Erproben alternativer Verhaltensweisen vernachlässigt = für bestimmte Situationen wenig effiziente Bewältigungsstrategien.

Negatives Denken u. Vermeidung vs. positives Denken u. alternative Aktivitäten = Erleben von mehr belastenden Emotionen.

Wirkt als Zwang auch für das soziale Umfeld.

Äußere Ursachen für das Trinken als Gründe abgewertet.

Zuschreibung alleiniger Verantwortung fördert "moralische" Verarbeitung eines Rückfalls als "moralischen" Zusammenbruch.

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Verhinderung von Rückfällen

Wie den Rückfall durch Stärken der Selbststeuerungsfähigkeiten verhindern?

Erarbeiten von Kontrollmöglichkeiten nach Eintritt eines Rückfalls durch:Analyse zurückliegender Rückfallverläufe

Einsatz von Checklisten zur Identifikation persönlicher Rückfallrisiken

Vermittlung verschiedenartiger Möglichkeiten, einen Ausrutscher zu beenden (z.B. "Ausrutscher-Vertrag")

Spezielle Hilfsangebote zur Rückfallprävention (z.B. Training, Akupunktur, medikamentöse Behandlung)

Konfrontation mit Rückfallauslösern u. Vermittlung der Erfahrung, Versuchssituationen widerstehen zu können

Einbeziehen des Rückfallthemas in Paar- u. Familienarbeit sowie Erarbeiten eines Notfallplans für das soziale Bezugssystem

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Das Umdenken in bezug auf Rückfälle

Umbewerten von Rückfällen:Rückfälle stellen z.T. notwendige Entwicklungsschritte

durch eigene Lehren/Erfahrungen dar:Konfrontation mit den Grenzen eigener Kontrollfähigkeit.

Sich die Tragweite eigener Abhängigkeit eingestehen.

Aufmerksamkeit wird auf notwendige weitere Veränderungen im persönlichen Leben über die Abstinenz hinaus gelenkt.

Für einige Menschen ist Rückfall eine Lebensform, um Abstand zu einem trostlosen Leben bekommen = Alternative zum Suizid!

Trotz Rückfall können Verbesserungen im Allgemeinbefinden eintreten!

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Das Umdenken in bezug auf Rückfälle

Umbewertung von Rückfällen:

Nicht persönliches Versagen mit der Auflage, von vorn zu beginnen, sondern vorübergehendes Unterbrechen der Abstinenz mit o. ohne negative Konsequenzen

= Entängstigung der Klienten durch Reduktion des Abstinenzverletzungseffektes = Entkrampfung des Behandlungsklimas u. Erleichterung der Bearbeitung des Rückfalls

Dem Rückfall den Makel des Scheiterns nehmen.

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Der Mythos „Wiederkonsum= sofortiger Absturz“