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  • Unverkufliche Leseprobe aus:

    Selasi, TaiyeDiese Dinge geschehen nicht einfach so

    Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern,auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlagsurheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere fr die Ver-vielfltigung, bersetzung oder die Verwendung in elektronischenSystemen. S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

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    Eins

    Kweku stirbt barfu, an einem Sonntag vor Sonnenaufgang, seineHausschuhe kauern an der Tr zum Schlafzimmer, wie Hunde.Jetzt steht er auf der Schwelle zwischen Glasveranda und Gartenund berlegt, ob er zurck soll, um die Pantoffeln zu holen. Erholt sie nicht. Seine zweite Frau, Ama, schlft dort im Schlafzim-mer, die Lippen leicht geffnet, mit gerunzelter Stirn, ihre hei-en Wangen auf der Suche nach einer khlen Stelle auf demKopfkissen, Kweku will sie nicht wecken.

    Er htte es auch gar nicht geschafft, selbst wenn ers versuchthtte.

    Sie schlft wie eine Cocoyam. Ein Ding ohne Sinnesorgane.Sie schlft wie seine Mutter, abgeschnitten von der Welt. DasHaus knnte von Nigerianern in Flipflops leergerumt werden sie knnten in verrosteten russischen Armeepanzern direkt bisvor die Tr rollen, ohne Rcksicht auf Verluste, so wie sie dasjetzt auf Victoria Island in Lagos machen ( jedenfalls hrt er dasvon seinen Freunden, Rohl-Knige und Cowboys, die nachGreater Lagos vertrieben wurden, diese seltsame Sorte Afrika-ner: furchtlos und reich). Ama wrde sanft und selig weiterschnarchen, die musikalische Untermalung eines Traums vomTanz der Zuckerfee und von Tschaikowski.

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    Sie schlft wie ein Kind.Er denkt den Gedanken trotzdem, nimmt ihn mit vom Schlaf-

    zimmer zur Glasveranda; ein demonstrativer Akt der Vorsicht.Eine Show fr ihn selbst. Das macht er schon lange, eigentlichseit er von seinem Dorf weg ist, kleine Freilichtspiele fr einEin-Mann-Publikum. Oder fr zwei Personen. Fr ihn und sei-nen Kameramann, den stummen-unsichtbaren Kameramann,der damals, vor vielen Jahrzehnten, gemeinsam mit ihm abge-hauen ist, heimlich, in der Dunkelheit, noch vor Anbruch derDmmerung, der Ozean ganz in der Nhe. Dieser Kameramann,der ihm seither immer und berallhin folgt. Und schweigendsein Leben filmt. Oder: Das Leben des Mannes, der er seinmchte und der er nicht mehr werden wird.

    Diese Szene nun, eine Schlafzimmerszene: der einfhlsameEhemann.

    Der keinen Mucks von sich gibt, als er aus dem Bett schlpft,der geruschlos die Decke zur Seite schlgt, einen Fu nach demanderen auf den Fuboden setzt und sich die grte Mhe gibt,seine nicht-weckbare Ehefrau ja nicht zu wecken. Ja nicht zuschnell aufstehen, weil sich sonst die Matratze bewegt. Ganzleise durchs Zimmer schleichen, lautlos die Tr schlieen. Danngenauso lautlos den Flur entlang, durch die Tr zum Innenhof,wo sie ihn garantiert nicht mehr hren kann. Trotzdem immernoch auf Zehenspitzen. Den kurzen, geheizten Verbindungsgangvom Schlaftrakt zum Wohntrakt, wo er einen Moment stehenbleibt, um sein Haus zu bewundern.

    Es ist eine geniale Komposition, diese einstckige Anlage, nichtbesonders originell, sondern funktional und vor allem elegantdurchgeplant. Ein schlichter Hof in der Mitte, mit einer Tr aufjeder Seite, zum Wohntrakt, zum Esstrakt, zum groen Schlaf-zimmer, zu den Gstezimmern. Er hat den Entwurf in einer

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    Krankenhauscafeteria auf eine Serviette gekritzelt, im drittenJahr seiner Facharztausbildung, mit einunddreiig. Mit achtund-vierzig kaufte er das Grundstck von einem Patienten aus Nea-pel, einem reichen Immobilienmakler mit Verbindungen zurMafia und mit Diabetes Typ II, der nach Accra gezogen war, weildie Stadt ihn an Neapel in den fnfziger Jahren erinnert, wie erbehauptet (der Reichtum so nah beim Elend, die frische Seeluftso nah beim Abwasser, am Strand stinkreiche Leute neben stink-armen.) Mit neunundvierzig fand er einen Zimmermann, der be-reit war, den Auftrag anzunehmen der einzige Ghanaer, dersich nicht weigerte, ein Haus mit einem Loch in der Mitte zubauen. Dieser Zimmermann war siebzig, mit grnem Star undSixpack. Er arbeitete einwandfrei und immer allein, und nachzwei Jahren war er fertig.

    Mit einundfnfzig brachte Kweku seine Sachen her, fand esaber zu ruhig.

    Mit dreiundfnfzig heiratete er zum zweiten Mal.Elegant geplant.Nun bleibt er an einer Seite des Quadrats stehen, zwischen

    den Tren. Hier ist die Struktur deutlich zu erkennen, er kannden Entwurf sehen, und er betrachtet ihn, so wie der Maler einGemlde betrachtet oder die Mutter das Neugeborene. VollerVerwirrung und Ehrfurcht, dass dieses Ding, das irgendwo imKopf oder im Krper konzipiert wurde, es nach drauen in dieWelt geschafft hat, und jetzt ein Eigenleben hat. Etwas perplex.Wie ist es hierhergekommen, von in ihm zu vor ihm? (Klar, erwei, durch die richtige Verwendung des entsprechenden Werk-zeugs; das gilt fr den Maler, die Mutter, den Amateur-Architek-ten aber trotzdem ist es ein Wunder, wenn man es so vor sichsieht.)

    Sein Haus.Sein schnes, funktionales, elegantes Haus, das ihm als Ganzes

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    erschienen ist, als Gesamtkonzept, in einem einzigen Augen-blick, wie eine befruchtete Eizelle, die unerklrlich aus der Dun-kelheit herausgeschleudert wird und einen vollstndigen geneti-schen Code enthlt. Ein logisches System. Die vier Quadranten:eine Verbeugung vor der Symmetrie, vor seiner Ausbildung, vorMillimeterpapier, vor dem Kompass, ewige Reise, ewige Rck-kehr und so weiter, ein grauer Innenhof, nicht grn, glnzenderStein, Schieferplatten, Beton, sozusagen eine Widerlegung derTropen, der Heimat. Das heit, die Heimat neu gedacht, alleLinien klar und gerade, nichts ppig, weich oder grn. In einemeinzigen Augenblick. Alles da. Hier und jetzt. Jahrzehnte spterin einer Strae in Old Adabraka, einer verfallenden Vorstadt ausKolonialvillen, weier Stuck, streunende Hunde. Das Haus istdas Schnste, was er je geschaffen hat

    auer Taiwo, denkt er pltzlich. Der Gedanke ein Schock. Wor-aufhin Taiwo selbst vor ihm erscheint die Wimpern ein schwar-zes Dickicht, die Wangenknochen gemeielter Fels und Edel-steine als Augen, ihre rosaroten Lippen, die gleiche Farbe wiedas Innere eines Muschelhorns, unmglich schn, ein unmg-liches Mdchen und seine Einfhlsamer Ehemann-Szenestrt. Dann lst sie sich in Rauch auf. Das Haus ist das Schnste,was er je allein geschaffen hat, korrigiert er sich.

    Dann geht er den Verbindungsgang zum Wohntrakt weiter,durch die Tr ins Wohnzimmer, durch das Esszimmer, zur Glas-veranda und zur Schwelle.

    Wo er stehen bleibt.

  • 13

    Zwei

    Spter am Morgen, als es angefangen hat zu schneien und derMann aufgehrt hat zu sterben und ein Hund den Tod gerochenhat, wird Olu ohne groe Eile das Krankenhaus verlassen, seinBlackberry ausschalten, den Kaffee abstellen und zu weinen an-fangen. Er wird keine Ahnung haben, wie der Tag in Ghanaangefangen hat, er wird Meilen und Ozeane und Zeitzonen weitentfernt sein (und noch andere Arten von Entfernungen, dieschwerer zu berwinden sind, wie gebrochene Herzen und Wutund versteinerter Schmerz und all die Fragen, die zu lange unge-fragt oder unbeantwortet blieben, und Generationen von Vater-Sohn-Schweigen und Scham), whrend er Sojamilch in den Kaf-fee rhrt, in einer Krankenhauscafeteria, mit verschwommenemBlick, unausgeschlafen, hier und nicht da. Aber er wird es sichvorstellen sein Vater, dort, tot in einem Garten, ein Mann,gesund, siebenundfnfzig, in bemerkenswert guter Verfassung,kleiner-runder Bizeps unter der Haut seiner Oberarme, kleiner-runder Bauch unter seinem Unterhemd, einem Fruit of theLoom-Feinripp-Unterhemd, sehr wei auf dunkelbraun, dazudiese lcherlichen MC Hammer-Hosen, die er, Olu, hasst und dieKweku liebt und obwohl er es versucht (er ist Arzt, er wei Be-scheid, er kann es nicht ausstehen, wenn seine Patienten ihn fra-gen Was ist, wenn Sie sich irren?), wird er den Gedanken nichtlos.

    Dass die rzte sich irren.Dass solche Dinge nicht manchmal passieren.Dass dort etwas passiert ist.Kein Arzt mit seiner Erfahrung und erst recht kein so auer-

    gewhnlich guter Arzt und man kann sagen, was man will,aber der Mann war erstklassig in seinem Beruf, selbst seine Wi-

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    dersacher geben das zu, ein Knstler am Skalpell, ein Chirurg,der seinesgleichen sucht, ein ghanaischer Carson und so weiter kein Arzt dieses Kalibers htte smtliche Anzeichen eines sichso langsam aufbauenden Herzinfarkts bersehen knnen. Typi-sche Koronarthrombose. Null Problem. Schnell handeln. Under htte genug Zeit gehabt, eine halbe Stunde, und das scheinteher untertrieben, nach allem, was Mom erzhlt, dreiig Minu-ten, um zu handeln, um zur Ausbildung zurckzukehren, wieDr. Soto sagen wrde, Olus Lieblings-Oberarzt, sein Xicano-Hausheiliger. Symptome durchgehen, Diagnose erstellen, auf-stehen, ins Haus gehen, die Frau aufwecken, und falls die Fraunicht Auto fahren kann wovon auszugehen ist, sie kann nichtlesen selbst ans Steuer setzen und sich in Sicherheit bringen.Und Pantoffeln anziehen, Herrgott nochmal.

    Aber er tat nichts dergleichen. Ging nichts durch, erstelltenichts. Durchquerte nur eine Glasveranda, fiel ins Gras. Ohne er-sichtlichen Grund oder aus undurchschaubaren Grnden, dieOlu nicht ahnen kann und die er, zur Unwissenheit verdammt,nicht verzeihen kann blieb sein Vater liegen, Kweku Sai, dieGroe Hoffnung der Ga, der verlorene Sohn, das verlorene Wun-derkind, lag einfach da in seinen Schlafsachen und tat gar nichts,bis die erbarmungslose Sonne aufging, weniger ein Aufgang alsein Aufstand, Tod dem fahlen Grau durch das goldene Schwert,whrend drinnen die Ehefrau die Augen aufschlug und die Pan-toffeln in der Tr stehen sah. Und weil sie das seltsam fand, gingsie ihn suchen und fand ihn. Tot.

    Ein auergewhnlicher Chirurg.Und ein gewhnlicher Herzinfarkt.Durchschnittlich hat man vierzig Minuten zwischen Beginn

    der Attacke und Tod. Also selbst wenn es stimmt, dass solcheDinge manchmal pas