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116 Foto: Jan Philip Welchering für manager magazin DIE GETUNTE ELITE manager magazin JANUAR 2019 LEBEN GESELLSCHAFT Aus Kindern sollen Digitalhelden werden. Die Schulen versagen, Eltern nehmen die Sache zunehmend selbst in die Hand.

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ELITEmanager magazin JA N U A R 2019

LEBEN

GESELLSCHAFT Aus Kindern sollen Digitalhelden werden. Die Schulen versagen, Eltern nehmen

die Sache zunehmend selbst in die Hand.

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FAMILIEN -BANDE

RatePay-Gründerin Miriam Wohlfahrth

wollte, dass ihre Tochter Hannah malsieht, was Coden ist,

und hat die HackerSchool ins Haus geholt

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oder auf einem Indoor-Spiel-platz. Aber die Mutter arbeitetfür eine Stiftung, der Vater ist in der Finanzbranche und viel im Ausland, und beide finden es wichtig, dass Kinder früh pro-grammieren. Vor allem Mädchen.

Hacken statt Holzklötzchen,Programmieren statt Ponyhof,Laptop statt Lagerfeuer – die digi-tale Revolution erreicht die Kinder.Computerkurse (wer zeigen will,dass er sich auskennt, spricht vonCoden) sind die neueste Umdre-hung in der Maschinerie, mit der dieWirtschaftselite ihren Nachwuchs fitmachen will für die Zukunft. Die rich-tige Privatschule, das richtige Inter-nat in der Schweiz oder England, dasrichtige College in den USA, privateEnglisch- und am besten auch Chine-sischkurse, kreatives Schreiben bei derKinderbuchautorin, Klavier, Hockey,Fechten – alles gut und schön. Aber dasheißeste Thema für die zukunftsbesorg-ten deutschen Eltern lautet: Coden.

Miriam Wohlfarth (48), Gründerindes hochgelobten Fintech-Start-ups RatePay, einer Plattform für Raten -zahlungen im Onlinehandel, hat jüngstauf eigene Faust die Hacker School aus

Hamburg für ein Wochenende gebucht, be-freundete Eltern samt Kindern zusammen-getrommelt und ein paar Räume ihrer Firmenzentrale in Berlin-Charlottenburgfreigeräumt. Tochter Hannah (14), eigent-lich eher für Tennis und De battierklub zuhaben, brauchte ein paar Stunden Überzeu-gungsarbeit, dann brachte sie ihre ganzeClique mit.

Stephan Grabmeier (47), Innovations -chef bei der Personal- und Management-beratung Kienbaum, fährt seit drei Jahrenimmer wieder mit Sohn Benedikt (13) amWochenende zu Coding-Workshops, wo sie etwa mit Scratch (einer einfachen Programmiersprache für Kinder) kleine Programme schreiben oder mit Virtual-Reality-Brillen experimentieren. Inzwi-schen organisiert Grabmeier mit der NextEntrepreneur Initiative Start-up-Program-me für Schüler, um Kindern „die Werk -zeuge für den Erfolg in der digitalen Weltmitzugeben“.

Fränzi Kühne (35), Mitgründerin derBerliner DigitalunternehmensberatungTLGG und Aufsichtsrätin beim Telekom -unternehmen Freenet, verkündet fröhlich,sie könne es „kaum erwarten, mit meinerTochter zu coden“. Und gibt dazu gleichein ganzes Interview im Magazin „CodingKids“, das seit 2017 online ist, demnächstwomöglich auch am Kiosk, mit Beiträgenwie „Jedes Kind ein Mini-Start-up“.

Wer, so der Glaubenssatzder Gemeinde, in Zu-kunft mitspielen will, zumal global, braucht

Coden als Kernkompetenz. Nicht nur überdas Smartphone wischen, Whatsapps tip-pen, daddeln, sondern: selbst program -mieren können. Macher, nicht bloß User.Die Angst: Das Kind könnte im weltweitenTalentwettbewerb den Anschluss verpas-sen, an das Silicon Valley und digital Asia.Die digitale Form der Fomo macht sichbreit, die „Fear of Missing out“, wie man sie sonst vor allem aus der Kunstbran-che kennt.

VERSETZUNG GEFÄHRDET MEHR GELD

Quelle: PWC, November 2018, repräsentative Umfrageunter 2000 Bundesbürgern Grafik: manager magazin

Die Deutschen geben den Schulenschlechte Noten in digitaler Bildung

Wie bereiten die Schulen auf die Digitalisierung vor?

Das fordern die Bundesbürger von der Bildungspolitik (Antworten in Prozent)

8

51

1223

6

Sehr gut Eher gut Weniger gut

Überhaupt nicht Weiß nicht

Eher jaVoll und ganz

%

Digitales ist Allgemeinbildung

60 32

Schnelles Internet für Schulen

60 31

Informatik als Pflichtfach ab Klasse 5

40 42

Mehr IT-Investitionen in Schulen

49 41

Bessere Digitalbildung für Lehrer

46 44

Wirtschaft soll Digitalbildung mitfinanzieren

29 44

Was es jetzt braucht, ist Geduld. „Ich kapier’ das nicht.“

„Doch, du willst nur nicht.“ „Ich mach nicht mit.“ Sieben kleine Mädchen, den Nachmit-

tag über haben sie schon Roboterautos zusammengebaut und mit Federn beklebt,Erdbeerkuchen gegessen und Apfelsaft ge-trunken, aber jetzt, viertel nach vier, wirdes kompliziert. Auf MacBooks sollen sieTasten programmieren, um ihre Autosfernzusteuern. Vorwärts, rückwärts, rechts,links, Tempo machen, abbremsen.

Die beiden Trainerinnen (das Wort Leh-rer benutzt in der Szene niemand mehr, esheißt nur noch Coach, Mentor oder gar In-spirer) lassen nicht locker. Und tatsächlich:Allmählich bekommen die Mädchen es hin.Eine Taste nach der anderen wird belegt,und am Ende steuern sie ihre Autos per Com-puter durch ein Labyrinth. Alle glücklich.

Samstagnachmittag, 15 Uhr. Kinderge-burtstag in der Haba Digitalwerkstatt. Jettiwird acht. Ein flacher Vorbau, Mittelweg155 in Hamburg-Rotherbaum, ein großesSchaufenster, dahinter ein einziger Raum,ein roter USM-Spind voll mit Computern,ein 3-D-Drucker, viel Hightechspielzeug.

Jetti hätte auch auf einem Pferdehof feiern können, in einer Theaterwerkstatt

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Diese Fomo ist gut belegt: 90 Pro-zent aller Berufe werden in Zukunftdigitale Kompetenzen erfordern(EU-Studie). Ab 2020 werden digitalqualifizierte Fachkräfte hohe Ge -hälter erzielen. Alle anderen: sin -kende Gehälter, unsichere Jobs (Un-ternehmensberatung Bain). Diedeutschen Schüler der achten Klassesind selbst beim Umgang mitSmartphone und Tablet weltweitnur Mittelmaß (BildungsstudieICILS, 2014). Nur ein gutes Viertelder Schüler ab 14 beherrscht dieGrundlagen einer Programmierspra-che wie Java, Scratch oder Logo; vonden Lehrern sogar nur 21 Prozent.(Studie „Schule Digital“ der Initia -tive D21, 2016).

Daran wird auch der Fünf-Mil -liarden-Euro-Digitalpakt der Bun-desregierung – so er denn jemalskommt – wenig ändern. Er zielt nurauf die technische Ausstattung derSchulen, von einem echten Schul-fach Coden für alle Klassen ist nichtdie Rede. Gerade mal 21 SmartSchools listet der IT-Verband Bit-kom im Jahr 2018 als Vorreiter in digitaler Bildung auf.

Die politische Mehrheitsmeinungist bestimmt von der traditionellenGerman Angst vor neuer Technik. Esgibt immer noch viele Eltern, die fin-den, die Kinder „daddelten“ sowiesoschon zu viel. Die sie nach wie vorlieber in Theater-AGs oder Musik-schulen schicken und die ihrer zehn-jährigen Tochter nach Cyber-Mob-bing („Du Hure“) das iPhone amliebsten wegnehmen würden.

Andere Teile der Welt haben sichanders entschieden. In Großbritan-nien, Luxemburg und Digitalisie-rungsmusterland Estland ist Com-puting ab der ersten Klasse Pflicht.In Australien hat fast jedes Kind einen Computer, und Coden stehtschon in den Grundschulen auf dem Lehrplan. Im Silicon Valley istCoden selbst in manchen Vorschu-len Standard, mit acht hocken dieKinder Bildschirm an Bildschirm,lernen Python oder Java und werdenoft noch für 200 bis 400 Dollar imMonat zum privaten Nachmittags-unterricht in Coding-Schools ge-schickt. Bis 2020 soll das auch imRest der Staaten so aussehen. In Chi-na ist man schon beim Schulfachkünstliche Intelligenz angelangt.

Juvigo für Kinder- und Jugendreisenboomt die Nachfrage nach Ferienla-gern mit Computern und Robotern.Wer es sich leisten kann, schickt seinKind gleich in den Sommerferienzum Coding-Kurs ans MIT oder ins Silicon Valley (siehe Kasten „I,Robot“ Seite 121).

Anastassia Lauterbach (46), frü-her Telekom-Bereichsvorständinund mittlerweile in zahlreichen Auf-sichtsräten, unter anderem beimDax-Aufsteiger Wirecard, nimmt ihre Tochter Catherine (9) seit dreiJahren mit ins Silicon Valley. Wäh-rend Mama arbeitet, besucht dieTochter Programmier- und Robotik-kurse an die University of Californiain San Diego. Das einzige Mädchenzwischen lauter chinesischen undindischen Jungs.

Die Stanford University in derValley-Zentrale Palo Alto etwa offe-riert speziell für Mädchen Unter-richt in künstlicher Intelligenz.Preis: 6000 Dollar für drei Wochen.Mal kurz über den Sommer – beiechten Professoren – die Grundlagenim Programmieren lernen: 14.426 bis17.054 Dollar. Stanford statt Sylt.

In der deutschen Nerdhaupt-stadt geht es dagegen nochdeutlich handgestrickter zu.Für „Minecraft“, das Spiel,

mit dem viele Kinder ins Coden ein-steigen, gibt es in Berlin mittlerweileeinen Stammtisch, immer dienstagsum halb fünf im Café „The DigitalEatery“, Unter den Linden 17.

Wer wissen will, wie es dagegenin Sachen Digitalisierung an Deutsch-lands Schulen aussieht, kann mit Cara reden. 16 Jahre alt, Schülerinaus einem Dorf tief im Rheinland,die ihren Informatiklehrer (immer-hin) beständig gefragt hat: „Könnenwir nicht mal was anderes ma-

Das Motto in Deutschland dage-gen: dann eben ohne Schule. In denvergangenen zwei, drei Jahren ist eine regelrechte Lernindustrie ent-standen. Jede Menge Initiativen,meist gegründet von Start-up-Un-ternehmern, Stiftungen, Jugendar-beitern oder Wissenschaftlern, vielegesponsert von Konzernen und mitgeringen Teilnahmegebühren, damitCoden kein Elitethema wird. Selbstder Chaos Computer Club machtmit: „Chaos macht Schule“.

Code your Life, Open Roberta,Junge Tüftler, Hacker School, Ju-gend hackt, Code + Design, um nurmal die Großen zu nennen – querdurch die Republik werden zuneh-mend Nachmittagsunterricht, Wo-chenendworkshops oder Ferien-camps veranstaltet. Allein Hamburghat derzeit mehr als 20 Initiativen.

Es gibt Coding-Schulen in Düs-seldorf, München, Berlin, Hamburgoder Dortmund. Im Internetportal

CODE-FANS

AUFMISCHER IN

Für FränziKühne,

Digitalberaterin,ist es völlig

klar, dass ihreTochter bald coden wird.

ALLE IN UNTER JUNGS

Catherine (2. v. l.), Tochter

von Wirecard- Aufsichtsrätin

Anastassia Lauterbach, ist

bei Robotikkursenin San Diego

oft das einzigeMädchen.

ALTE SCHULE

Der Berliner Unternehmer undLobbyist Martin

Leidig glaubt, dass Sohn Nicolas

Programmierenkünftig genauso

braucht wie humanistische

Bildung.

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chen?“ Immer nur Java. Irgendwanndachte sie: „Sieh zu, wie du es selbsthinbekommst.“ Seit der siebtenKlasse bringt sie sich eine Program-miersprache nach der anderen bei,ist auch nach Schulschluss ewig imComputerraum.

Aus Spaß hat sie mal ein bisschenim Netzwerk der Schule rumgeguckt(nicht gesichert) und die Zeugnissegefunden. Angemeldet mit dem Na-men einer Schülerin, die längst nichtmehr auf der Schule war, deren Ac-count man aber nicht gelöscht hatte(vergessen). Irgendwann hatte sie so viele Tabs offen, dass der Serverüberlastet war und die Schule tot,Licht, Türen, nichts ging mehr. Sieist einfach aufgestanden und gegan-gen (Computerraumverbot).

Cara erzählt das allesfreimütig im Code +Design Camp in Köln.Kurze Haare, eckige

knallgrüne Brille, ein zupackendes,gut gelauntes Mädchen. Sie spieltGeige im Schulorchester, reitet. Keinblasses Nerdkind. Morgens hat siesich per YouTube-Crashkurs HTMLbeigebracht, jetzt baut sie eine Web-site für Katzen; „’ne ideale Werbe-plattform für Tierfutter“. Sie willLandärztin werden. In dem Beruf istauch noch viel Digitalisierungsluftnach oben.

Es ist ihr siebtes Camp, sie istschon durchs ganze Land getourt,am Handgelenk hat sie von jedemnoch das Bändchen, wie man essonst von Musikfestivals kennt. Zeichen der Zugehörigkeit zu einerAvantgarde-Clique.

Zu den Feriencamps kommenAnfänger und Fortgeschrittene, RichKids treffen Techkids. Manche den-ken sich zusammen ein Projekt aus,andere arbeiten weiter an ihren ei-

genen Sachen und kommen, um sichHilfe zu holen. Es wird gefachsim-pelt, nach Lösungen gesucht („Dasist alles Sauerei. Da kommst du aufkeinen grünen Zweig“). Manche wa-ren früher Teil nehmer und sind heu-te Coaches. Eine Techcommunitymitten in Deutschland.

Der Plan von Thomas Bachem(33) scheint aufzugehen. Er ist eineIkone der deutschen Start-up-Szeneund für viele das große Vorbild. Bachem, ein ruhiger Typ, der eherstill am Rand steht und bedächtigspricht, ist selbst einer, der sich mitzwölf das Programmieren beige-bracht hat, der schon neben Schuleund Studium Firmen hochgezogenund verkauft hat (das VideoportalSevenload, das Avatarspiel „Fliplife“und Lebenslauf.com).

Mit seinen Kumpels, die sich zumTeil aus Studienzeiten kennen, hater vor zwei Jahren die Feriencampsfür Schüler gegründet und parallel

die Code University in Berlin, dieerste private Programmierer-Unider Republik. Wer in den Camps ist,will später meist auf „die Code“.

Praxis ist Programm, alles aufMarktfähigkeit: Guten Entwickler-nachwuchs gebe es genug in Deutsch-land, findet Bachem, aber ein „fal-sches Mindset“. Es gehe zu sehr umWissen und zu wenig darum, Wissenzu nutzen.

Lektion eins bei den Camps istdenn auch: „Es gibt keine Person, die alles weiß. Das Wissen, das ichbrauche, muss ich mir holen.“ Und:„selbst Ziele setzen“. Kein Frontal-unterricht, allenfalls mal kurz hin-setzen und Java oder Unity durch -gehen. Wenn die Coaches nichtweiterwissen, wird das Problem aufweltweite Onlinehilfsplattformenvon Entwicklern gestellt. Einer wirdschon antworten.

1200 Schüler hat man mit denCamps bisher erreicht, schätzt Bachem, die Nachfrage steigt undsteigt. Anfangs gab es nur ein paarsolcher Treffen im Jahr, jetzt sind esschon 18, nächstes Jahr noch mehr.Immer öfter buchen auch große Fir-men die Camps, wie jüngst Porschefür die Kinder seiner Stuttgarter Be-schäftigten und wer aus der Nach-barschaft sonst noch Lust hatte.

Natürlich gibt es renom-mierte Pädagogen, diedas alles für Teufels-zeug halten: „Eine idio-

tische Idee übereifriger Eltern. Dernächste Irrsinnshype nach Chine-sisch im Kindergarten“, sagt einer,will sich damit aber nicht zitierenlassen. An dere Koryphäen der Zunftschauen temperierter auf das Phä-nomen, wie Klaus Hurrelmann (74),Bildungsforscher an der HertieSchool of Governance in Berlin undAutor zahlreicher Jugendstudien:Digitalisierung sei für unser Lebenso relevant, dass es längst ein Schul-fach verdient habe. Dass sich die öffentlichen Schulen dem verwei-gern, sei äußerst riskant. Das liegeganz profan daran, dass fast die Hälfte der Lehrer über 50 sei und„eine große Distanz gegenüber demDigitalen“ habe. Man kaschiere seineigenes Unwissen.

Viele Eltern begreifen das digitaleUpgrade für ihre Kinder deswegen

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NEUELEHRER

CHEFHACKER

Die Marketing -experten Benja-min Heberling,

Andreas Ollmannund David

Cummins (v. l.) von der

Hacker School. Seit sie JuliaFreudenberg

(2. v. l.) an Bord ge-holt haben, startensie richtig durch.

ANTRE IBER

Früher hat Thomas BachemFirmen gegründet,

heute betreibt er eine Uni und

Camps zur Ausbildung des

IT-Nachwuchses.

HE ISSSPORN

Designprofessorinund Ex-Digital -botschafterin

Gesche Joost wareine der ersten, die das Thema

erkannten, und hatden Mikrorechner

Calliope ent -wickelte. Dann verhedderte sie

sich im politischenGestrüpp.

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als Selbsthilfe. Coden werde „eineGrundfähigkeit wie Lesen undSchreiben“, es sei „das Beste, wasich meinen Kindern mitgebenkann“. Fabian Braun (46), langePartner bei der Unternehmensbe-ratung Simon-Kucher & Partners,heute Inhaber einer Vermögens -beratung, schickt die Älteste seinerdrei Töchter zum Girls Club derCodingschule in Düsseldorf: „Siesoll die Technik nicht nur nutzen,sondern selbst gestalten können.“Inzwischen, sagt er, hilft ihm Fan-ny (11), wenn er über einem Code-problem brütet: „Mensch, Papa,mach’s doch mal so.“

Martin Leidig (47), in dritterGeneration Reifenhändler in Ber-lin, Lobbyist des BranchenverbandsEFR und Vater von zwei Söhnen,Leo (14) und Nicolas (11), hält ei-gentlich wenig von Smart phones,dafür umso mehr von einer bilin-gualen Grundschule („Englisch istGrundausstattung“), einem huma-nistischen Gymna sium („damit sieverstehen, wo unsere Kultur her-kommt“) und ein paarmal in derWoche Hockey und Basketball.Leidig kommt viel rum. Jüngst warer in Moskau und beeindruckt, wodie Russen schon überall auf digitalmachen. Jetzt hat er ein positiveresBild von „Minecraft“: Damit brin-gen sich seine Jungs das Program-mieren bei! Der Ältere nimmt nunneuerdings alle zwei Monate fürein Wochenende an einem Robo-tikprogrammierworkshop teil, ge-fördert vom Berliner Senat.

Manche Unternehmer nutzendas Spielfeld, um ihren Nachwuchsgleich auf die richtige Schiene zusetzen: Fynn Bludau (13) und seinBruder Luis (11) haben bei einemWorkshop von Next Entrepreneureine Plattform für Hausaufgaben-hilfe entwickelt. Der Prototyp warso erfolgreich, dass sie jetzt einStart-up gründen wollen – und miteinem der Mentoren der Wochen-endveranstaltung weiter Codenpauken: „Ich muss doch als Unter-nehmer etwas von meinem Pro-dukt verstehen“, sagt Fynn. ÜberSkype bastelt er mit dem Trainerjetzt an der technischen Umset-zung seiner Geschäftsidee.

Das Unternehmergen liegt inder Familie: Vater Oliver Bludau

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HABA D IG ITALWERKSTATT DieLernläden des Spielzeugher-stellers für Kinder zwischen 6 und 12 gibt es in Berlin,Hamburg, Frankfurt, Lipp-stadt und München. Das An-gebot: Unterricht für Schul-klassen, regelmäßige Kurse,Workshops (auch mit Eltern),Kindergeburtstage (350 Eurofür 10 Personen) und Ferien-camps (eine Woche, 350 Europro Person): Roboter bauen,Animationsfilme drehen,Spiele entwickeln. Die Kinderfangen an mit der visuellenProgrammiersprache Scratch.www.digitalwerkstatt.de

CODE YOUR LIFE In einer Online-akademie können sich 8- bis14-Jährige Anregungen für dasSteuern von Computern mitdem Turtle-Coder holen undjede Menge Tools und Apps

runterladen. Es gibt Schulun-gen für Lehrer und Eltern.Klassen können an dem Wett-bewerb Coding Cup teilneh-men, was viele Lehrer alsLernanreiz sehen. Kostenfrei.Hinter der Initiative steht vorallem Microsoft.www.code-your-life.org

HACKER SCHOOL Für Kinder von11 bis 18. An einem Wochen-ende mit Profis (es gibt mitt-lerweile ein Netzwerk von gut150 solcher „Inspirer“) Spielewie Tetris umprogrammieren,Drohnen fernsteuern, Mini-programme schreiben, Appsentwickeln. Ziel: Jedes Kindsoll eine Vorstellung bekom-men, wie Computer und Soft-ware funktionieren. Alle zweiWochen, in unterschiedlichenStädten. 30 Euro. www.hacker-school.de

CODING-SCHULEN Eigentlich fürErwachsene gedacht, werdenetwa in Düsseldorf mittler-weile auch Kurse für Kinderund Jugendliche für Program-miersprachen von Scratch bisPython angeboten. Zwölf Europro Stunde, vieles kostenfrei. www.codingschule-junior.de

CODE + DESIGN CAMP Für Anfän-ger und Fortgeschrittene ab 15Jahren, in den Ferien in allengrößeren Städten. Ein paarCoachs helfen, es gibt Einfüh-rungen, etwa in HTML, Java,ansonsten ist Eigenständig-keit und Teamwork gefragt.50 Euro.https://code.design

USA Kurse im Mutterland derdigitalen Revolution sind in, aber teuer, etwa an der Columbia University in NewYork (drei Wochen, 10.980Dollar) oder der GeorgetownUniversity (sieben Tage, 2895Dollar), an der Westküste et-wa an der Stanford University(Sommer-Kurs, ab 14.426 Dol-lar). Oder online: Bei PioneerAcademics fünf Wochen mitPro fessoren bekannter Unisund sieben Wochen betreutesBasteln an eigenen Coding-Projekten (6355 Dollar). Die50 besten Programme:www.bestcollegereviews.org

Die Lernindustrie bietet zunehmend Kurse für Kinder und Jugendliche an.

Eine Auswahl für Einsteiger.

COOLE

COMMUN ITY

Bei den Code +Design Camps

entsteht einimmer größeresJugendnetzwerk

von Codern

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I, ROBOT

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LESEH I L F E

Die Grund-schule WeGrow

in New Yorkwurde von

StararchitektBjarke Ingels

entworfen

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(47) hat schon rund 20 Firmen ge-gründet oder geleitet. Sein Meis-terstück: Aus dem Familienbetrieb,dem Maschinenbauer Berghoff ausDrolshagen im Sauerland, 1984 alsEinmann-Drehteile-Bude gegrün-det, hat Bludau ein Hightechunter-nehmen (50 Millionen Euro Um-satz, 220 Mitarbeiter) gezimmert,das Komponenten für die Chipma-schinen von ASLM oder Flugzeugevon Airbus liefert.

Den großen Techkon-zernen kommt dieAnschluss-verpassen-Angst der Eltern ge -

rade recht. Sie haben ihre eigene Fomo und sind auf den Zug aufge-sprungen: Entwickler für die Zu-kunft heranziehen – und vielleichtauch Kunden. Apple hat seit eini-gen Jahren eine App für Kinder absechs, mit der sie die Apple-Spra-che Swift lernen sollen. Um dieauch gleich ins Curriculum zu pu -shen, kooperiert der Konzern eu-ropaweit mit 267 Lehrinstituten.In den Stores gibt es Kids-Hours,kostenlose Programmiersessionswie die Sphero-Labyrinth-Challen-ge; 2017 nahmen daran europaweitrund 50.000 Kinder teil.

SAP hat für Schüler Coding-Programme wie Meet and Codeaufgelegt, in dem allein 2018 mehrals 52.000 Kinder und Jugendlichein 22 Ländern an rund 1100 Hack-athons, Programmierspielen oderRoboterbaukursen teilnahmen. Eigens für Kinder haben SAP- Mitarbeiter gemeinsam mit Stu-denten der Berkeley University dieSprache Snap! entwickelt, erzähltBernd Welz (54), Chief KnowledgeOfficer des deutschen Software-konzerns. Ehrensache, dass seineTochter (21) auch ein Coding-Kidwar. Sie gewann sogar einen Lego-Programmierwettbewerb.

Der Erzrivale Oracle hält da -gegen und versucht, seine SpracheJava an den Schulen weiter zu etab-lieren, über Plattformen wie Aliceund Greenfoot, mit denen Schüler3-D-animierte Objekte program-mieren können. Klar gibt’s auchWorkshops für Lehrer.

Microsoft hat sich hinter eineöffent liche Initiative gestellt, diebis vor drei Jahren „Schlaumäuse“

Kurz vor neun, lang-sam trudeln dieSchüler ein. Erst mal

eine halbe Stunde Yoga. Da-nach verzieht sich jeder in sei-ne Ecke zu seinem Projekt.Taissa (13) versucht, Cos -player-Figuren zu zeichnen,Daniel (12) baut einen Ge-tränkespender aus Holz, da-nach will er einen Film dre-hen. Wann fängt denn derUnterricht an?, fragt mansich. Antwort: Das ist der Un-terricht. Irgendwann ist Mit-tagspause, um vier ist Schluss.

Die NewSchool in Berlinist derzeit wohl die Privat-schule mit dem radikalstenKonzept in Deutschland: Esgibt keine Fächer, allenfallsLerngruppen für MatheDeutsch und Englisch, um dieMittlere Reife zu schaffen.Ansonsten: Projektarbeit. Je-

des Talent (formerly knownas Schüler) denkt sich immerwieder ein Projekt aus, berei-tet eine Präsentation vor undgeht in den Pitch. Was hat ervor, was braucht er, wo kriegter Hilfe her, was kostet das,was bringt es der Communi-ty – Mittalente und Mentoren(Lehrer) entscheiden, ob dasProjekt realisiert werden darf.Jeden Morgen werden Zielefür den Tag vereinbart.

Das Ganze findet im zwei-ten Stock der Luxus-Co -working-Factory am GörlitzerPark statt. Hohe Fenster, Vitra-Arbeitsecken, dicke Kis-sen auf dem Boden, eigenesVideostudio, Musikzimmer,Hightechküche. Acht Schülergibt es derzeit, nach den Som-merferien sollen es 40 sein.

Gegründet haben dieSchule (siebte bis zehnte

Klasse) Factory-Chef UdoSchloemer und seine Frau Sabrina. Mit der Schule ihrerTochter waren sie unzufrie-den. Bis um vier, danach nochHausaufgaben – wann sollsie eigentlich die Sachen ma-chen, die sie liebt? Heute gehees darum, „mit anderen zu ko-operieren, jeder nach seinenSkills“. Der Ansatz scheint zu funktionieren; die Schülerjedenfalls interessieren sichplötzlich von selbst für Che-mie oder Mathe, wenn sie es brauchen. Die Dame vonder Schulaufsicht spricht be -geistert von der „Schule derZukunft“. Auch Länder wieFinnland schaffen derzeit dieSchulfächer ab.

Die Techies im Silicon Val-ley sind auch voll eingestie-gen. Facebook-Gründer MarkZuckerberg betreibt eineSchule in Palo Alto, Adam undRebekah Neumann, Mitgrün-der des Coworking-AnbietersWeWork, haben gerade naheihrem Headquarter in Man-hattan die Grundschule We -Grow aufgemacht. Lernziel:Unternehmertum. RebekahNeumann sieht „keinenGrund, warum Kinder imGrundschulalter nicht schoneigene Unternehmen grün-den sollten“. Allerdings: Auf-genommen werden nur Schü-ler, die überdurchschnittlichsind in Mathe oder Lesen.

LERNZIEL: UNTERNEHMER

In der Techszene hält man wenig von staatlichen Schulen. Also gründen manche

Eltern selbst private. Die derzeit radikalste deutsche Version steht in Berlin.

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GESELLSCHAFTLEBEN

hieß. Mit ihr wollte der Berliner Förderver-ein für Jugend- und Sozialarbeit (FJS) ganzall gemein die „Zukunftsfähigkeit von Ju-gendlichen“ stärken. Dann entdeckte derLeiter Thomas Schmidt, Lehrer für Mathe,Physik und Informatik, das Thema Coden,benannte es um in „Code your life“. Seit-dem geht das Ganze durch die Decke.

Der Einfluss der Wirtschaftwird, das ist nun mal Teil desDeutschland-Codes, als heikleSache angesehen. Bestes Bei-

spiel: Calliope, ein Minicomputer mit Dis-play, Schnittstellen, Lämpchen, Sensoren,Mikrofon, Lautsprecher und zwei program-mierbaren Knöpfen. Das Ganze in Form eines Seesterns, dem man mit dem Ein-fachprogramm „Open Roberta“ Befehle er-teilen kann. Als wertvoll klassifiziert vomFraunhofer-Institut IAIS, mit dem Ziel, esan alle Schüler zu verteilen.

Aber leider: Entwickelt und vermarktetvon der Designprofessorin Gesche Joost,die ihre Interessen recht undurchsichtigorganisiert, sponsored by Google. Länderwie Baden-Württemberg lehnen die Rech-nerlein wegen des unerwünschten Einflus-ses von Unternehmen auf Schulen ganz ab,

Sachsen hat wettbewerbsrechtliche Beden-ken. Gerade mal 50.000 sind im Umlauf.

Selbst Berufspredigern der Digitalisie-rung ist angesichts der wild wucherndenCoding-Szene für Kids mitunter unwohl.Es wäre „viel schöner“, wenn Kinder das al-les in der Schule lernen würden, man wisse ja nicht, „ob die Konzerne die richtigenWerte vermitteln“, sagt Ratepay-GründerinWohlfarth.

Auf der Fahrt im Auto zu ihrem Wo-chenendseminar mit der Hacker Schoolgeht sie selbst auch lieber noch mal aufNummer sicher. Ihrer Tochter Hannah undderen Freundinnen erklärt sie, was sieSamstag und Sonntag zu erwarten hätten,„wie cool Technologie sein kann, damit esganz viel coole Kids gibt, die coole Jobs ma-chen können“.

Die Arbeitsumgebung ist adäquat – inWohlfahrts Berliner Firmenzentrale siehtes mit dicken blauen Kissen und zitronen-gelben Sesseln so teenagermäßig aus wie inden meisten Start-ups. Gut 70 Kinder, daseine oder andere mit iWatch, sind gekom-men. Bei der Frage, wer schon mal program-miert habe, gehen bestimmt 20 Hände hoch.

Sonntag, kurz vor Schluss, ist die Stim-mung, als würde gleich der Countdown bei

einer Spielshow ablaufen, alle konzentriertbei der Sache, schnell noch fertig werden,manche erstaunlich versiert. Hannah hatein bisschen Java gelernt, eine kleine Wet-terstation mit Sensoren gekoppelt, dieTemperatur, Luftfeuchtigkeit und Druckmisst und angeht, wenn man pfeift. Nichts,was sie jetzt immer machen will, sagt sie,aber gut, dass sie es mal kennt.

Was ein Kind in der digitalen Welt brau-che, sagt der altgediente Pädagoge Hurrel-mann, sei eigentlich ganz einfach: „Lesen,Schreiben, Rechnen – nur halt auf allen Kanälen.“ Und immer wichtiger werde „dieFähigkeit, die Lernneugier selbst zu dirigie-ren, sich eigene Ziele zu setzen und diedann diszipliniert zu verfolgen“.

Es geht, wie immer in der Erziehung, um Anreize und Freiräume. Mal ist das eine wichtiger, mal das andere. Unter densuperreichen Digitalmanagern des SiliconValley, deren Welt vom Coden diktiertwird, sind derzeit Waldorf-Schulen derletzte Schrei. Dort sind Computer verbo-ten. Die Schüler lernen Häkeln statt pro-grammieren. Mit Sicherheit haben die Eltern Angst, dass ihnen die Europäer sonstden Rang ablaufen. 1 Sonja Banze/Eva Müller

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