Anfangsverdacht Präeklampsie Relevante ... · 22 Mit einer Themenreihe begleitet „Diagnostik in...

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22 Mit einer Themenreihe begleitet „Diagnostik in Dialog“ seit dem Jahr 2012 die „Emanzi- pation“ der angiogenen Marker sFlt-1 und PlGF* für die Diagnostik der Präeklampsie (s. Kasten). Noch immer steht keine ursäch- liche Therapie für diese ernsthafte Schwan- gerschaftserkrankung mit endothelialer und plazentarer Dysfunktion zur Verfügung. Die spezifischen Biomarker jedoch sind zwischen- zeitlich im klinischen Alltag angekommen. Der Quotient sFlt-1/PlGF erhöht die Richtig- keit kurzfristiger ärztlicher Behandlungsent- scheidungen bei Schwangeren mit Verdacht auf Präeklampsie – so lautet die Kernaussage der jüngst erschienenen Publikation „Influ- ence of the sFlt-1/PlGF Ratio on Clinical Decision-Making in Women with Suspected Preeklampsia”, 1 die hier vorgestellt wird. Wenn klinische Entscheidungen zur weite- ren Behandlung von Frauen mit Verdacht auf Präeklampsie (PE) wesentlich auf dem Ergebnis des sFlt-1/PlGF-Quotienten basie- ren, müssen ausführlich evaluierte Cut-off- Werte vorliegen. Daher betonen die Autoren der aktuellen Studie, dass ihre Ableitungen ausschließlich für die entsprechenden CE- IVD markierten Elecsys-Tests gelten. Deren Cut-off-Werte für die sFlt-1/PlGF-Ratio lauten: O ≥ 85: Diagnose einer PE (im Kontext mit anderen klinischen und diagnostischen Informationen) O < 33: Ausschluss einer PE für die folgen- den sieben Tage O 33–85: kontinuierlich weitere Beobach- tung notwendig. Fragestellungen und Studienaufbau Wie beeinflusst die Kenntnis des sFlt-1/ PlGF-Quotienten die ärztliche Beurteilung von Schwangeren mit Zeichen und Symp- tomen einer PE und sind die laborbasierten Entscheidungen im Hinblick auf das mater- nale und fetale Outcome adäquat? Diese für die Klinikroutine ausschlaggeben- den Fragen wurden in einer multizentrischen, prospektiven, offenen, nicht interventionellen Studie untersucht (PREOS**). Teilgenommen haben fünf Zentren in Deutschland und Öster- reich, deren Kliniker mit der Interpretation des sFlt-1/PlGF-Quotienten vertraut waren. Eingeschlossen waren werdende Mütter ab 18 Jahren und einem Gestationsalter ≥ 24 Wochen mit Verdacht auf PE. Die klinische Verdachtsdiagnose basierte auf diversen Zei- chen und Symptomen und rechtfertigte auch eine Blutabnahme zur Ermittlung der sFlt-1/ PlGF-Ratio. Frauen mit bestätigter PE (kom- binierter Nachweis von Hypertonie und Pro- teinurie) waren ausgeschlossen. 118 Schwangere erfüllten alle Bedingungen des Studienprotokolls. Der Erstbesuch lag im Mittel bei 32+4 Schwangerschaftswochen. Die behandelnden Ärzte dokumentierten in Echtzeit unwiderruflich auf einem iPAD, welches weitere Vorgehen sie im jeweiligen Fall entscheiden würden: stationäre Auf- nahme der Schwangeren (primärer End- punkt) bzw. Induktion zur Lungenreifung, Änderung der Überwachungsintensität, Beginn oder Modifikation einer Pharmako- therapie (sekundäre Endpunkte). Entschei- dung und Dokumentation erfolgte einmal vor und noch einmal nach Kenntnis des sFlt-1/PlGF-Quotienten (Abb. 1). Die getroffenen Entscheidungen wurden über die iPADs online mit Datum und Zeitangabe verschickt. Zwei zufällig ausgewählte Exper- ten eines unabhängigen Komitees prüften retrospektiv auf Basis des weiteren Schwan- gerschaftsverlaufs jeden Wechsel der initia- len Entscheidung auf seine Angemessenheit. Beurteilungskriterien waren das maternale Outcome (PE, Eklampsie, HELLP, Notfallein- weisung, Frühgeburt) bzw. das fetale Outcome (intrauterine Wachstumsretardierung, Atem- notsyndrom). Bei Meinungsdivergenz der Experten wurde ein dritter Kollege konsultiert. Die Ergebnisse O In 16,9 % der Fälle (n = 20) wurde die initiale Entscheidung für bzw. gegen fotolia/sepy Medizin | Anfangsverdacht "Präeklampsie" | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 51 • 12/2016 Für Sie gelesen Anfangsverdacht "Präeklampsie" Relevante Entscheidungswechsel dank sFlt-1/PlGF-Quotient Abb. 1: Entscheidungsverlauf zur Hospitalisierung bei 118 Schwangeren mit Verdacht auf PE Entscheidung über Hospitalisierung vor Kenntnis des Testergebnisses Entscheidung über Hospitalisierung nach Kenntnis des Testergebnisses Hospitalisierung n=40 Hospitalisierung n=27 Keine Hospitalisierung n=13 Keine Hospitalisierung n=78 Hospitalisierung n=7 Keine Hospitalisierung n=71

Transcript of Anfangsverdacht Präeklampsie Relevante ... · 22 Mit einer Themenreihe begleitet „Diagnostik in...

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Mit einer Themenreihe begleitet „Diagnostik in Dialog“ seit dem Jahr 2012 die „Emanzi-pation“ der angiogenen Marker sFlt-1 und PlGF* für die Diagnostik der Präeklampsie (s. Kasten). Noch immer steht keine ursäch-liche Therapie für diese ernsthafte Schwan-gerschaftserkrankung mit endothelialer und plazentarer Dysfunktion zur Verfügung. Die spezifischen Biomarker jedoch sind zwischen-zeitlich im klinischen Alltag angekommen. Der Quotient sFlt-1/PlGF erhöht die Richtig-keit kurzfristiger ärztlicher Behandlungsent-scheidungen bei Schwangeren mit Verdacht auf Präeklampsie – so lautet die Kernaussage der jüngst erschienenen Publikation „Influ-ence of the sFlt-1/PlGF Ratio on Clinical Decision-Making in Women with Suspected Preeklampsia”,1 die hier vorgestellt wird.

Wenn klinische Entscheidungen zur weite-ren Behandlung von Frauen mit Verdacht auf Präeklampsie (PE) wesentlich auf dem Ergebnis des sFlt-1/PlGF-Quotienten basie-ren, müssen ausführlich evaluierte Cut-off-Werte vorliegen. Daher betonen die Autoren der aktuellen Studie, dass ihre Ableitungen ausschließlich für die entsprechenden CE-IVD markierten Elecsys-Tests gelten. Deren Cut-off-Werte für die sFlt-1/PlGF-Ratio lauten:

O ≥ 85: Diagnose einer PE (im Kontext mit anderen klinischen und diagnostischen Informationen)

O < 33: Ausschluss einer PE für die folgen-den sieben Tage

O 33–85: kontinuierlich weitere Beobach-tung notwendig.

Fragestellungen und StudienaufbauWie beeinflusst die Kenntnis des sFlt-1/PlGF-Quotienten die ärztliche Beurteilung von Schwangeren mit Zeichen und Symp-tomen einer PE und sind die laborbasierten Entscheidungen im Hinblick auf das mater-nale und fetale Outcome adäquat?

Diese für die Klinikroutine ausschlaggeben-den Fragen wurden in einer multizentrischen, prospektiven, offenen, nicht interventionellen Studie untersucht (PREOS**). Teilgenommen haben fünf Zentren in Deutschland und Öster-reich, deren Kliniker mit der Interpretation des sFlt-1/PlGF-Quotienten vertraut waren.

Eingeschlossen waren werdende Mütter ab 18 Jahren und einem Gestationsalter ≥ 24 Wochen mit Verdacht auf PE. Die klinische Verdachtsdiagnose basierte auf diversen Zei-chen und Symptomen und rechtfertigte auch eine Blutabnahme zur Ermittlung der sFlt-1/PlGF-Ratio. Frauen mit bestätigter PE (kom-binierter Nachweis von Hypertonie und Pro-teinurie) waren ausgeschlossen.

118 Schwangere erfüllten alle Bedingungen des Studienprotokolls. Der Erstbesuch lag im Mittel bei 32+4 Schwangerschaftswochen. Die behandelnden Ärzte dokumentierten in Echtzeit unwiderruflich auf einem iPAD, welches weitere Vorgehen sie im jeweiligen Fall entscheiden würden: stationäre Auf-nahme der Schwangeren (primärer End-punkt) bzw. Induktion zur Lungenreifung, Änderung der Überwachungsintensität, Beginn oder Modifikation einer Pharmako-therapie (sekundäre Endpunkte). Entschei-dung und Dokumentation erfolgte einmal vor und noch einmal nach Kenntnis des sFlt-1/PlGF-Quotienten (Abb. 1).

Die getroffenen Entscheidungen wurden über die iPADs online mit Datum und Zeitangabe verschickt. Zwei zufällig ausgewählte Exper-ten eines unabhängigen Komitees prüften retrospektiv auf Basis des weiteren Schwan-gerschaftsverlaufs jeden Wechsel der initia-len Entscheidung auf seine Angemessenheit. Beurteilungskriterien waren das maternale Outcome (PE, Eklampsie, HELLP, Notfallein-weisung, Frühgeburt) bzw. das fetale Outcome (intrauterine Wachstumsretardierung, Atem-notsyndrom). Bei Meinungsdivergenz der Experten wurde ein dritter Kollege konsultiert.

Die ErgebnisseO In 16,9  % der Fälle (n  =  20) wurde die

initiale Entscheidung für bzw. gegen

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Medizin | Anfangsverdacht "Präeklampsie" | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 51 • 12/2016

Für Sie gelesen

Anfangsverdacht "Präeklampsie"Relevante Entscheidungswechsel dank sFlt-1/PlGF-Quotient

Abb. 1: Entscheidungsverlauf zur Hospitalisierung bei 118 Schwangeren mit Verdacht auf PE

Entscheidung über Hospitalisierung vor Kenntnis des Testergebnisses

Entscheidung über Hospitalisierung nach Kenntnis des Testergebnisses

Hospitalisierung n=40

Hospitalisierung n=27

Keine Hospitalisierung n=13

Keine Hospitalisierung n=78

Hospitalisierung n=7

Keine Hospitalisierung n=71

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Diagnostik im Dialog • Ausgabe 51 • 12/2016 | Anfangsverdacht "Präeklampsie" | Medizin

Dr. Frank Gast Leitung Medical & Scientific Affairs 0621 759-4618 frank.gast@ roche.com

die Hospitalisierung nach Kenntnis der sFlt-1/PlGF-Ratio ärztlicherseits revi-diert: 13 Mal zugunsten einer Entlas-sung nach Hause (Quotient < 33); 7 Mal erfolgte doch eine stationäre Aufnahme (Quotient ≥ 85 ) (Abb. 1).

O Alle diese Entscheidungsänderungen wur-den von den beiden Experten mit Blick auf den weiteren Schwangerschaftsverlauf übereinstimmend als angemessen beurteilt. In 4/20 Fällen war eine dritte Meinung erforderlich. Die statistische Auswertung ergab eine Signifikanz von p < 0,0001 für die Richtigkeit des Entscheidungswechsels den primären Endpunkt betreffend.

O Auch hinsichtlich der sekundären End-punkte (Geburtseinleitung, Lungenrei-fung, Intensität des Monitorings) waren alle Entscheidungswechsel adäquat. Dabei ist zahlenmäßig die Rücknahme eines intensivierten Monitorings nach Kenntnis des sFlt-1/PlGF-Quotienten in 20,2 % der Fälle bedeutend.

O 24 Frauen (20,3 %) erhielten im Verlauf ihrer Schwangerschaft die Diagnose „Präeklampsie“. Der relative Anteil war mit 57 % am höchsten in der Subgruppe mit dem Entscheidungswechsel hin zu einer stationären Aufnahme (n = 7). Umgekehrt (Entscheidungswechsel

zugunsten Entlassung; n = 13) erfolgte die spätere PE-Diagnose nur in zwei Fäl-len (15,4 %). Damit war das PE-Risiko hier identisch zu den Frauen, die nie-mals hospitalisiert werden sollten.

Ableitungen für die PraxisPREOS ist die erste Studie, die den Ein-fluss eines Laborergebnisses (sFlt-1/PlGF-Quotient) auf klinische Entscheidungen bei Anfangsverdacht „Präeklampsie“ unter-suchte. Die Autoren ziehen aus den Ergeb-nissen folgendes Fazit:O In der klinischen Routine wird die PE

überdiagnostiziert und bei Verdachtsdia-gnose übertherapiert.

O Der Anteil an Frauen mit PE war am höchsten in dem Subkollektiv, in dem die Hospitalisierungsentscheidung von „nein“ auf „ja“ wechselte. Somit haben die behandelnden Ärzte durch Kenntnis der sFlt-1/PlGF-Ratio die „richtigen“ Schwangeren, nämlich die mit dem höchsten Risiko, hospitalisiert.

O Über den Quotienten lässt sich darüber hinaus auch ein sicheres „Step-down-Management“ realisieren, gleichbedeu-tend mit weniger stationären Aufnahmen, der Einsparung klinischer Maßnahmen und einer Reduktion des diagnostischen Aufwands (in vivo und in vitro) (Abb. 2). Dies werten die Autoren als positive öko-nomische Komponente und Chance zur effizienteren Ressourcennutzung.

O Die Reduktion unangebrachter Einwei-sungen ist nicht zuletzt mit Blick auf die Schwangere und ihr Umfeld von Bedeu-tung, da es Stress und Ängste mindert.

* sFLT-1: soluble fms-like Tyrosinkinase PlGF: placental growth factor** PREOS: Praeeklampsia Open Study

Literatur 1 Klein E, Schlembach D, Ramoni A et al: PLOS ONE (2016);

11(5): e0156013. Doi:10.1371/journal.phone.01560136

Abb. 2: Zusammenfassung aller Endpunktentscheidungen vor und nach Kenntnis des sFlt-1/PlGF-Quotienten bei 118 Schwangeren mit Verdacht auf PE. Alle Entscheidungswechsel wurden von unabhängigen Experten als angemessen beurteilt.

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Themenreihe „Präeklampsiemarker“ in Diagnostik im Dialog

O „Hoffnung für Schwangere mit Präeklampsie“, Nr. 35 (2012): 21-22O „sFLT und PLGF: Praxistest bestanden“, Nr. 38 (2012): 9-10O „Präeklampsiemarker: Steile Karriere“, Nr. 40 (2013): 9-13O „Angiogene Marker: Diagnose und Prognose“, Nr. 45 (2014): 16-18O „Die Prognosis-Studie“, Nr. 48 (2015): 4-8O „Konsens zum Nutzen des sFlt-1/PlGF-Quotienten“, Nr. 48 (2015): 8-9O „Therapieoption bei Präeklampsie?“, Nr. 48 (2015): 10-11O „sFlt-1/PlGF-Quotient: Medizinischer und ökonomischer Nutzen“, Nr. 50 (2016): 18-21