Angewandte Umweltpsychologie: Drei Interviews mit ... · Benutzbarkeit Abstract Applied...

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Dieses Dokument ist lizenziert für wiso-net, uH54497A. Alle Rechte vorbehalten. © Umweltpsychologie. Download vom 18.06.2016 19:34 von www.wiso-net.de. Zusammenfassung Der Anwendungsbereich „Mensch-Maschi- ne-Schnittstelle“ (MMS) wird durch Inter- views mit zwei Psychologinnen und einem Psychologen vorgestellt. Sie berichten über ihren beruflichen Werdegang, ihre aktuel- len Projekte, die eingesetzten Methoden und über die Herausforderungen, die tech- nischen Umwelten so zu gestalten, dass Menschen möglichst einfach, angenehm und effektiv mit ihnen interagieren können. Es werden unter anderem die Gestaltung von Internetportalen, Mobilität und Fahras- sistenzsysteme und die Möglichkeiten der Energieeinsparungen bei U-Bahnen bespro- chen. Fragen nach der beruflichen Identität sowie nach Möglichkeiten und Grenzen des kollegialen Austauschs runden die Gesprä- che ab. Schlüsselwörter: Mensch-Maschine-Schnittstel- len, Menschlicher Faktor, Nutzerfreundlichkeit, Benutzbarkeit Abstract Applied Environmental Psychology: Three Interviews with Psychologists working in the Field of Human Machine Interface The field of „Human Machine Interface“ (HMI) is presented through interviews with three psychologists. They talk about their career, their current projects, the methods used and about the challenges to design technical environments as simple, pleasant and effective that one can interact with them effectively. Among other questions the design of internet sites, mobility and driver assistance systems and energy savings in public transport like underground rail- Angewandte Umweltpsychologie: Drei Interviews mit Psychologen aus dem Arbeitsbereich Mensch-Maschine- Schnittstelle Nicola Moczek Nicola Moczek Diplom-Psychologin, seit 1997 Geschäftsführe- rin von PSY:PLAN, Institut für Architektur- und Umweltpsychologie, Berlin. Seit 2001 Mither- ausgeberin der Zeitschrift Umweltpsychologie. Von 2009 bis 2011 Ge- schäftsführerin des Bundesverbandes Geothermie, davor (2004 bis 2008) Bundesgeschäftsführerin der Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUNDjugend). Umweltpsychologie, 19. Jg., Heft 2, 2015, 92-105 92 Schwerpunktthema

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Zusammenfassung

Der Anwendungsbereich „Mensch-Maschi-ne-Schnittstelle“ (MMS) wird durch Inter-views mit zwei Psychologinnen und einemPsychologen vorgestellt. Sie berichten überihren beruflichen Werdegang, ihre aktuel-len Projekte, die eingesetzten Methodenund über die Herausforderungen, die tech-nischen Umwelten so zu gestalten, dassMenschen möglichst einfach, angenehmund effektiv mit ihnen interagieren können.Es werden unter anderem die Gestaltungvon Internetportalen, Mobilität und Fahras-

sistenzsysteme und die Möglichkeiten derEnergieeinsparungen bei U-Bahnen bespro-chen. Fragen nach der beruflichen Identitätsowie nach Möglichkeiten und Grenzen deskollegialen Austauschs runden die Gesprä-che ab.

Schlüsselwörter: Mensch-Maschine-Schnittstel-len, Menschlicher Faktor, Nutzerfreundlichkeit,Benutzbarkeit

AbstractApplied Environmental Psychology: ThreeInterviews with Psychologists working in theField of Human Machine InterfaceThe field of „Human Machine Interface“(HMI) is presented through interviews withthree psychologists. They talk about theircareer, their current projects, the methodsused and about the challenges to designtechnical environments as simple, pleasantand effective that one can interact withthem effectively. Among other questionsthe design of internet sites, mobility anddriver assistance systems and energy savingsin public transport like underground rail-

Angewandte Umweltpsychologie: Drei Interviews mit Psychologen aus demArbeitsbereich Mensch-Maschine-Schnittstelle

Nicola Moczek

Nicola Moczek Diplom-Psychologin, seit 1997 Geschäftsführe-

rin von PSY:PLAN, Institut für Architektur- und

Umweltpsychologie, Berlin. Seit 2001 Mither-

ausgeberin der Zeitschrift Umweltpsychologie. Von 2009 bis 2011 Ge-

schäftsführerin des Bundesverbandes Geothermie, davor (2004 bis 2008)

Bundesgeschäftsführerin der Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz

Deutschland e.V. (BUNDjugend).

Umweltpsychologie, 19. Jg., Heft 2, 2015, 92-10592

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ways are discussed. Questions on profes-sional identity as well as possibilities andlimits of exchange with other practitionersare also raised.

Key Words: Human Machine Interface, HumanFactor, User Experience, Usability

1 Planung und Durchführung derPraxisinterviews

Wie schon bei anderen für die ZeitschriftUmweltpsychologie geführten Interviewswar auch bei diesem Beitrag das Ziel, durchInterviews mit KollegInnen deren jeweiligeTätigkeiten einer interessierten Öffentlich-keit vorzustellen. Studium, Qualifikationenund berufliche Stationen sowie aktuelleProjekte mit ihren Herausforderungen andie interdisziplinäre Zusammenarbeit, Pro-blemlösefähigkeit und Methoden werdenexemplarisch mit zwei psychologischenKolleginnen und einem Kollegen bespro-chen.

Im Vorfeld der Interviews waren etlicheweitere Psychologinnen und Psychologenidentifiziert worden, die in dem vielseitigenBereich Mensch-Maschine-Schnittstelle(MMS) arbeiten. Es handelt sich um einbreites Feld, in dem die Zusammenarbeitzwischen PsychologInnen und weiteren So-zialwissenschaftlerInnen mit Disziplinenwie Ergonomie, Informatik, Medizin, Fahr-zeugbau, Technik zum gelebten Alltag ge-hört. Einen Eindruck von der thematischenBreite dieses Bereichs und der Schnittstellenzu anderen Disziplinen geben die Einfüh-rung zum Schwerpunkt und die einzelnenSchwerpunktartikel in diesem Heft.

Insgesamt sechs KollegInnen wurden zurTeilnahme an einem Interview eingeladen.Mit dreien konnte im Laufe des Juli 2015

ein etwa einstündiges Telefonat geführtwerden, welche jeweils die Grundlage fürdie im Folgenden dargestellten Interviewslieferte. Die anderen drei Gespräche kamenaufgrund von Zeitmangel auf der Seite derangesprochenen Personen nicht zustande.

Wie schon bei den vergleichbaren Artikelnzu den beruflichen Aktivitäten von Kolle-gInnen aus dem Bereich Energie und Kli-maschutz (Moczek, 2013) und Architektur-psychologie (Moczek & Raum-Heinrich,2015), sind die vorgestellten Personen nichtan einer Universität oder Forschungsein-richtung tätig, sondern arbeiten selbständigoder angestellt. Gemeinsam ist allen Inter-viewten, dass sie ein Psychologiestudium er-folgreich abgeschlossen haben und seitmehr als zehn Jahren im Bereich MMSpraktisch tätig sind.

Bei der Vorbereitung, Durchführung undAuswertung der Gespräche standen die fol-genden Fragen im Vordergrund:

In welchen Bereichen und unter wel-–chen Rahmenbedingungen arbeitenPsychologInnen im Bereich Mensch-Maschine-Schnittstelle? Pflegen sie einen kollegialen Austausch,–sind sie in Netzwerken aktiv? Welchen Austausch in Bezug auf Wis-–sen, Können und Erfahrung haben siemit KollegInnen aus der Wissenschaftund Forschung, gibt es hier erfolgreicheWechselbeziehungen? Wie steht es um ihre „umweltpsycholo-–gische Identität“? Gibt es sie überhaupt?Können sie ihr spezifisches psychologi-sches Wissen und Erfahrung im beruf-lichen Alltag einbringen?

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2 Fahrfunktionen undAssistenzsysteme

Kontakt:Dr. Julia WernekeVolkswagen Aktiengesellschaft KonzernforschungHMI: Fahrfunktionen und AssistenzBrieffach 177738436 Wolfsburgwww.volkswagenag.de

Nicola Moczek: Liebe Frau Dr. Werneke, bittestellen Sie kurz Ihren beruflichen Werdegangvor.Dr. Julia Werneke: Studiert habe ich Wirt-schaftspsychologie an der Fachhochschulein Lüneburg. Ich konnte meine ersten prak-tischen Erfahrungen in der Verkehrspsycho-logie und der Welt der Fahrerassistenzsyste-me mit meiner Diplomarbeit und meineranschließenden Tätigkeit als wissenschaftli-che Mitarbeiterin am Deutschen Zentrumfür Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braun-schweig sammeln. Ab Frühling 2008 warich Doktorandin an der Technischen Uni-versität Braunschweig, Institut für Psycholo-gie, in der Abteilung für Ingenieur- undVerkehrspsychologie bei Herrn Prof. Dr.Mark Vollrath. Mein Promotionsthema um-fasste die Aufmerksamkeitsteilung und dasFahrverhalten von FahrerInnen in kriti-schen Kreuzungssituationen – sowohl ausder Perspektive der Unfallanalyse als auchder Unfallprävention durch die Evaluation

von verschiedenartigen Fahrerassistenzsys-temen. Im Anschluss an die Promotion gingich im Frühling 2012 für zwei Jahre als Post-Doc nach Göteborg (Schweden) an dieChalmers University of Technology. Dortwar ich in der „Accident Prevention Group”der „Division of Vehicle Safety“ tätig. Hierbeschäftigte ich mich intensiv mit natür-lichen Fahrdaten, den sogenannten „Natu-ralistic Driving and Cycling Data“. MeineForschungsinteressen konnte ich im Bereichder Unfallanalysen von Auto- und Radfahr-Unfällen bzw. Beinahe-Unfällen weiter aus-bauen.

Moczek: Seit 2014 sind Sie bei der VolkswagenAG, bitte beschreiben Sie Ihren Arbeitsbe-reich. Werneke: Ich bin derzeit in der Konzernfor-schung der Volkswagen AG in einem Be-reich tätig, den wir „Fahrerarbeitsplatz“nennen. Dort gibt es eine HMI-Abteilungzu Fahrfunktionen und Assistenz, wo wiruns unter anderem mit der Entwicklungvon innovativen und durchgängigen Anzei-ge- und Bedienkonzepten für neuartige As-sistenzfunktionen im Fahrzeug beschäfti-gen. HMI steht für Human-Machine-Inter-face, ist also der internationale Begriff fürMensch-Maschine-Schnittstelle.

Moczek: Im Rahmen unserer Interviewreihesuchen wir besonders nach Beschreibungenvon Arbeitsaufgaben, in denen Nachhaltigkeiteine Rolle spielt. Sie sind in das Verbundpro-jekt UR:BAN eingebunden, können Sie uns dasProjekt vorstellen? Werneke: Der Name des Projektes ist Pro-gramm. Die Abkürzung steht für URbanerRaum: Benutzergerechte Assistenzsystemeund Netzmanagement1. Das Projekt läuftbereits seit Beginn des Jahres 2012 und wirdim März 2016 abgeschlossen sein. Geför-dert wird das Projekt durch das BMWi,dem Bundesministerium für Wirtschaft

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und Energie. Im Mittelpunkt des Projektessteht die Motivation, die hohen Anforde-rungen an nachhaltige Mobilität auch aufdie Ballungsräume und besonders auf städ-tische Umwelten zu übertragen. Viele Er-fahrungen zu den Assistenzsystemen ausvorangegangenen Forschungsaktivitätenkonzentrierten sich verstärkt auf die auto-mobile Mobilität im außerstädtischen Be-reich, wie Autobahnen und Landstraßen.Die Ziele von UR:BAN sind fast aus-schließlich die Sicherheit sowie das wirt-schaftliche und energieeffiziente Fahren inder Stadt zu fördern.

Moczek: Wer sind die Akteure bei UR:BAN? Werneke: Im Verbundprojekt UR:BAN ha-ben sich insgesamt 31 PartnerInnen ausAutomobil- und Zulieferindustrie, Elektro-nik-, Kommunikations- und Softwarefir-men, Universitäten sowie Forschungsinsti-tute und Städte zusammengeschlossen. Ge-meinsam geht es darum Fahrerassistenz-

und Verkehrsmanagementsysteme für dieStadt zu entwickeln. Im Zentrum der Be-trachtungen steht dabei der Mensch in sei-nen vielfältigen Rollen im Verkehrssystem –das ist so in dieser Form neu.

Moczek: Sie sprechen dabei die eine der dreiProjektsäulen „Mensch im Verkehr“ an. Wasgenau ist daran neu oder anders? Werneke: Durch die Initiative von Prof. Dr.Klaus Bengler steht im Projekt der Menschim Mittelpunkt – nicht oder nicht nur dieTechnik. Herr Bengler istPsychologe und leitet alsProfessor den Lehrstuhlfür Ergonomie an derTechnischen UniversitätMünchen (TUM). BeiUR:BAN ist er verant-wortlich für den Projekt-bereich „Mensch im Ver-kehr“. Innerhalb dieser Projektsäule gibt esdas Teilprojekt „Stadtgerechte Mensch-Ma-

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Der Mensch als aktiverNutzer jetziger undzukünftiger Assistenz-und Informationssyste-me erhält im ProjektUR:BAN besondereAufmerksamkeit

Abbildung 1: Eine typische Situation im innerstädtischen Straßenverkehr aus der Perspektiveeiner Autofahrerin (© UR:BAN)

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schine-Interaktion(MMI)“ – welches

ich leite. Der Mensch als aktiver Nutzer jet-ziger und zukünftiger Assistenz- und Infor-mationssysteme erhält also besondere Auf-merksamkeit. In vorangegangenen Projek-ten standen hauptsächlich die technischenFunktionen sowie die Infrastruktur imVordergrund, während der Human FactorsBereich lediglich eine begleitende Funktionhatte.

Moczek: Welche Herausforderungen sucht sichdas Teilprojekt „Stadtgerechte Mensch-Ma-schine-Interaktion“? Werneke: Mobilität im urbanen Raum ist einhochkomplexer Ablauf, der an die Verkehrs-teilnehmerInnen sehr große Anforderungenstellt. Innerhalb von UR:BAN konzentrie-ren wir uns bei Volkswagen auf Anzeige-,Warn- und Informationskonzepte in Fahr-zeugen. Ziel ist es, die Fahrenden in ihrenEntscheidungen zu unterstützen - es geht al-so nicht darum, das Fahren zu automatisie-ren. Psychologisch gesehen beschäftigen wiruns in UR:BAN mit MMI-Konzepten ausden Spannungsfeldern der begrenzten kog-nitiven Aufmerksamkeits- und Verarbei-tungsressourcen des Menschen und der ver-fügbaren Informationsfülle innerhalb derStadt. Die Frage ist also immer die wahrge-nommene Komplexität der Fahrsituationenzu reduzieren: Wie viele und vor allem wel-che Informationen sind sinnvoll und nötig,damit ein Mensch die Fahrsituation im urba-nen Raum sicher bewältigen sowie komfor-tabel und effizient erleben kann?

Moczek: Um die aktuellen Herausforderungenan die AutofahrerInnen noch besser zu verste-hen: Können Sie uns sagen, was sich in denletzten Jahren aus Ihrer Sicht im Verkehr ver-ändert hat? Werneke: Wir erleben auf den Straßen derStädte eine enorme Zunahme von ganz

unterschiedlicher, individueller Mobilität.Neben der zunehmenden Anzahl der Fahr-zeuge in Städten hat sich zum Beispiel auchder Anteil von Radfahrten erhöht, auchdurch die Zunahme der Leihfahrräder.Gleichzeitig sind Räder nicht mehr gleichRäder: Deren Geschwindigkeit hängt unteranderem davon ab, ob die FahrerInnenelektronisch unterstützt oder nur mit Mus-kelkraft unterwegs sind. Zukünftig werdensich vermutlich noch weitere Fortbewe-gungsmittel durchsetzen, beispielsweiseHuman Transporter wie Segway-Roller.Auch die FußgängerInnen sind unterschied-lich schnell unterwegs. Joggen in der Stadtwird immer populärer, in London laufenviele den Weg zur Arbeit, im Gepäck denAnzug oder das Kostüm für den Bürojob.Auf der anderen Seite nimmt der Anteil anälteren Menschen im Verkehr zu. Das Ver-kehrssystem ist durch diese neuen Fortbe-wegungsmittel und die Geschwindigkeitennoch komplexer geworden.

Moczek: Was genau passiert jetzt im Fahr-zeug, also auch im Cockpit? Werneke: On-board Kameras, unterschiedli-che Sensoren und die Car-to-X Communi-cation versorgen die Fahrerassistenzsystememit relevanten Umgebungsinformationen,und zwar Informationen von anderen Ver-kehrsteilnehmerInnen, anderen Fahrzeugenund der Infrastruktur wie z.B. Ampeln oderHindernisse. Die Systeme können mit Hilfeverschiedener Filtersysteme die Kritikalitäteiner Situation „einschätzen“ und entspre-chend abgestuft informieren und warnen.

Moczek: Können Sie das noch genauer erklä-ren? Werneke: Stellen wir uns eine enge, inner-städtische Straße vor. Ein Fahrerassistenzsys-tem kann den Fahrer oder die Fahrerin da-bei unterstützen, möglichst komfortabelund „zügig“ durch eine enge Straße zu fah-

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ren, ohne rechts oder links an Hindernissewie parkende Autos anzustoßen. „Zügig“bedeutet nicht unbedingt „am schnellsten“.Ein anderes Fahrerassistenzsystem empfängtbeispielsweise die Signale der nächsten„smarten Kreuzung“ mit ihren Ampeln und„weiß“ daher, welche Ampeln auf Rot ste-hen, ob sie kurz vor der Grün-Phase sind,wie die Rückstaulänge und wie lange dieaktuellen Wartezeiten sind und ob es dahergünstiger sein kann, etwas langsamer an dieKreuzung zu rollen – wir nennen das „ver-zögerte Durchfahrt“. Bremsen und neuesAnfahren kosten viel Energie und die sollgespart werden. Zudem führt ein gleichmä-ßiges Fahren zu einem insgesamt optimier-ten Verkehrsfluss und damit auch zu gerin-geren Emissionen. In solchen Straßen sindauch oft viele Menschen und andere Ver-kehrsteilnehmerInnen unterwegs, auchwelche, die die Straße queren möchten.Auch diese Informationen erhält das Fah-rerassistenzsystem und regelt eine optimaleGeschwindigkeit und Fahrspur, um das Ri-siko einer Kollision zu verringern oder ambesten zu vermeiden. Eine Interaktion desSystems mit dem Navigationsgerät könnteauch zu einer Veränderung der Route füh-ren. Verkürzt spreche ich hier aber über ver-schiedene Fahrerassistenzsysteme, wie Eng-stellen-Assistent, Fahrtrichtungs-Assistent,Grüne-Welle-Assistent, Einfahr- und Start-assistent, usw. Die werden oft zunächst ein-zeln entwickelt, zukünftig sollten sie aberalle miteinander vernetzt arbeiten – daranarbeiten wir in UR:BAN.

Moczek: Wie und wodurch werden diese Infor-mationen an die Fahrer kommuniziert? Werneke: Das ist genau die Frage in unseremTeilprojekt Stadtgerechte Mensch-Maschi-ne-Interaktion (MMI), hier kommt die Ex-pertise der PsychologInnen ins Spiel. WieMensch und Maschine interagieren und wiedas Verhalten der FahrerInnen sowie der an-

deren VerkehrsteilnehmerInnen vorherge-sagt werden kann, untersuchen Forschungs-einrichtungen und Industrieunternehmenim Projekt gemeinsam. Auf der Grundlageexperimenteller, psychologisch fundierterStudien entwickeln und bewerten wir neu-artige Anzeige- und Bedienkonzepte zuunterschiedlichen warnenden, regelndenund eingreifenden Assis-tenzsystemen. Dazu schau-en wir uns zunächst die be-stehenden Kombidisplaysin Fahrzeugen an, da gibtes eine Fülle von Anzei-gen, Schaltern, Lampen –bei einigen müssen dieFahrerInnen schon heuteerst mal ins Handbuchschauen, um zu verstehen,was sie bedeuten. Wir wol-len also durch die steigende Anzahl der As-sistenzsysteme im Fahrzeug nicht einfachnur mehr Anzeigen unterbringen, das würdedie FahrerInnen nur überfordern. Es gehtvielmehr darum, ein neues einheitliches An-zeigekonzept umzusetzen, das die Informa-tionen und Warnungen bündelt und inunterschiedlicher Dringlichkeit zum Han-deln auffordert. Denn darum geht es: DieFahrerassistenzsysteme sollen eine angemes-sene Handlung des Fahrenden auslösen, z.B.Ausweichen oder Bremsen, das macht dasAssistenzsystem nicht automatisch, sondernunterstützt ihn oder sie dabei.

Moczek: Beispiele dazu wurden im eigenenUR:BAN-Kanal auf youtube veröffentlicht, einBlick in die kurzen Videos trägt viel zum Ver-ständnis bei2. Daher können wir uns im Ge-spräch der eigentlichen psychologischen For-schung zuwenden: Wie viel Empirie stecktdenn im Projekt? Werneke: Wir gehen diese Anzeige- und Be-dienkonzepte der unterschiedlichen Fah-rerassistenzsysteme streng wissenschaftlich

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Auf der Grundlage expe-rimenteller, psycholo-gisch fundierter Studienentwickeln und bewertenwir neuartige Anzeige-und Bedienkonzepte zuunterschiedlichen war-nenden, regelnden undeingreifenden Assistenz-systemen

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an. Erste Konzeptent-würfe werden oft

durch Fokusgruppen und Expertengruppenerarbeitet. Anschließend können diese Sys-teme in Fahrsimulatoren getestet werden.Da fahren unsere ProbandInnen in einerrein virtuellen Welt. Bewähren sich dort dieKonzepte, werden sie als Prototypen entwi-ckelt und in echte Fahrzeuge eingebaut. Ak-tuell bauen wir Versuchsträger mit denunterschiedlichen Assistenzsystemen auf,welche dann im Laufe des Jahres für Real-fahrtstudien genutzt werden. Auch hier füh-ren wir klassische psychologische Evalua-tionsstudien durch, um die Wirkung undEffektivität sowie die Akzeptanz der Fah-rerassistenzsysteme beim Fahrer zu untersu-chen.

Moczek: Welchen Austausch haben Sie mit denKollegInnen der Projektpartner, und wie vielePsychologInnen sind dabei? Werneke: An unserem Teilprojekt sind achtPartner aus der Industrie und Universitätenbeteiligt. Der Großteil der KollegInnen sindPsychologInnen. Wir treffen uns regelmä-ßig. Gemeinsam arbeiten wir an den Szena-rien und MMI-Strategien, um die Fahrerinoder den Fahrer optimal in den unter-schiedlichen urbanen Verkehrssituationenzu unterstützen. Ein Ergebnis wird sein,psychologische Gestaltungsrichtlinien fürsolche Warnsysteme aufzustellen, damit dieKollegInnen aus der Technik diese bei derEntwicklung berücksichtigen können. Ins-gesamt ist die Szene der PsychologInnen imAutomobilbereich überschaubar, die meis-ten kennen sich gut untereinander. Die Ar-beit im Projekt macht uns sehr viel Spaß,der Austausch und Zusammenhalt ist sehrgut.

Moczek: Und wie gestaltet sich die Zu-sammenarbeit mit den anderen Disziplinen,zum Beispiel den TechnikerInnen?

Werneke: Bei den Treffen zeigen sich die oftganz unterschiedlichen Herangehensweisenan die gleiche Fragestellung. Aus Funktions-sicht erscheint es oft wünschenswert, dieKomplexität und Fülle der verfügbaren In-formationen auch für die KundInnen sicht-bar zu machen. Aber nach jedem Treffenwächst das gegenseitige Verständnis dafür,was die unterschiedlichen Ansätze ausmachtund wie die Lösungen am besten funktio-nieren können. Davon profitieren alle. Ne-ben den kleineren Treffen auf Arbeitsebenegibt es im Projekt auch einen fortwähren-den Austausch auf zahlreichen nationalenund zum Teil auch internationalen Kon-gressen, Tagungen und über Fachzeitschrif-ten. Ein wichtiger Meilenstein wird dieUR:BAN-Abschlusspräsentation im Okto-ber 2015 in Düsseldorf sein.

Moczek: Können Sie abschließend etwas zuden möglichen Effekten des Projektes sagen?Gibt es Schätzungen, wie viel Energie oderEmissionen damit gespart werden können? Werneke: Durch die gezielte Gestaltung derFahrer-Fahrzeug-Interaktion für unter-schiedliche Fahrertypen soll eine entspann-te, effiziente und sichere Fahrt im städti-schen Verkehr erreicht werden. Es hat sichim Projekt gezeigt, dass positive Effekteauch dann auftreten, wenn nicht alle Fahr-zeuge mit solchen Systemen ausgestattetsind – die anderen FahrerInnen reagierenauch untereinander auf das Verhalten. Lei-der können wir aber derzeit noch keinekonkreteren Schätzungen zur Energieein-sparung abgeben.

Moczek: Herzlichen Dank für den spannendenEinblick in Ihre Arbeit und weiterhin viel Er-folg!

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3 Energieeinsparungen beimBetrieb schienengebundenerNahverkehrssysteme

Kontakt: HFC Human-Factors-Consult GmbH Dr. Astrid OehmeKöpenicker Straße 325 / Haus 40 12555 Berlin [email protected]://www.human-factors-consult.de

Nicola Moczek: Liebe Frau Dr. Oehme, bittestellen Sie uns Ihr Unternehmen kurz vor. Dr. Astrid Oehme: HFC ist seit 2002 speziali-siert auf die Gestaltung und Auslegungtechnischer Systeme und Softwareschnitt-stellen unter dem Blickwinkel der optima-len Anpassung an den Menschen. Wir be-schäftigen uns mit Fragen der Benutzbar-keit, des Produkterlebens, der Akzeptanzund der Sicherheit. Dazu gehören beispiels-weise die Evaluierung von Assistenzsyste-men im Fahrzeug und die Erforschung derMessbarkeit von Müdigkeit.

Moczek: Seit Januar 2015 leiten Sie HFC alsGeschäftsführerin. Wie ist Ihr Team zu-sammengesetzt?Oehme: Bei HFC arbeiten derzeit 23 Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter. Das sind je-weils zu etwa einem Drittel Psychologinnenund Psychologen mit dem SchwerpunktHuman Factors, ein Drittel Ingenieurwis-senschaftler und Ingenieurwissenschaftle-rinnen zum Beispiel aus der Fahrzeugtech-nik, der Luft- und Raumfahrtechnik und

ein weiteres Drittel sind Mathematiker undInformatiker. Zusammen bearbeiten sieAufgaben, die sich immer mit der Anpas-sung von Hard- und Software an diemenschlichen Nutzer beschäftigen.

Moczek: Und wie sind Sie zu HFC gekommen?Oehme: Nach dem Studium der Psychologiewar ich für kurze Zeit wissenschaftlicheMitarbeiterin an der Technischen Univer-sität Chemnitz, in der Fakultät für Human-und Sozialwissenschaften, am Lehrstuhl All-gemeine Psychologie und Arbeitspsycholo-gie bei Prof. Dr. Josef F. Krems. Im Herbst2003 wechselte ich als Mitarbeiterin zuHFC, später wurde ich dort Senior Consul-tant. Während meiner Tätigkeit promovier-te ich bei Prof. Dr. Reinhold Kliegl an derUniversität Potsdam.

Moczek: Aus welchen Bereichen kommen IhreKundInnen und wie positionieren Sie sich inAbgrenzung zu Universitäten? Oehme: Unsere KundInnen kommen ausder Automobil-, Bahn- und Luftfahrtindus-trie sowie aus den Bereichen Straßenver-kehr, Sicherheitstechnik und Medizintech-nik. Gegründet wurde HFC übrigens als ei-ne Art Spin-Off aus der TU Berlin und dortaus dem Zentrum Mensch-Maschine-Syste-me heraus. Daher haben wir auch heutenoch einen guten Kontakt zu den KollegIn-nen aus den Universitäten, insbesondere zurTU Berlin und zur TU Dresden. Wir sindoft als Partnerunternehmen in ganz unter-schiedlichen Verbundprojekten und Koope-rationen dabei.

Moczek: Im Anwendungsbereich der Umwelt-psychologie habe ich auch nach zwanzig Jah-ren oft den Eindruck, dass ich neuen KundIn-nen unseren Arbeitsbereich und die positivenMöglichkeiten erst erklären muss, die sichaus einer Kooperation mit z.B. Naturschutz-organisationen oder in der Stadtplanung er-

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geben könnten. ImBereich Mensch-Ma-

schine scheint mir die Stellung der Psycholo-gie viel klarer. Stimmt dieser Eindruck? Oehme: In den letzten zwanzig Jahren sindauch in Deutschland einige Studiengängeentstanden, die explizit Human Factors zumThema haben. Die Entwicklung ist hier also

umgekehrt zum ThemaUmweltpsychologie, woleider viele Studiengängeabgebaut wurden. Es gibtalso auf der einen Seite gutausgebildete psychologi-sche Fachkräfte – im Übri-gen welche, die schon imStudium gelernt haben,eng mit anderen Diszipli-nen wie den Ingenieurs-wissenschaften und der In-formatik zusammenzuar-beiten. Auf der anderen

Seite hat sich auch bei der Industrie der Stel-lenwert von Human Factors und dessenWertschätzung etabliert. Es ist dort ange-kommen, dass nur dann gute und funktio-nierende Produkte entwickelt werden kön-nen, wenn der Faktor Mensch angemessenberücksichtigt wird.

Moczek: Mit welchen Branchen gibt es einebesonders enge Zusammenarbeit? Oehme: Das gesamte Segment hat sich ausder Luftfahrt heraus entwickelt und zwarfür Systeme im Flugzeug selbst, z.B. imCockpit, in der Flugsicherung, wie auchoperationelle Konzepte und Systeme anFlughäfen. Aber auch im Bereich Automo-bile und Eisenbahn ist unser Arbeitsbereichnicht mehr wegzudenken. Schon lange istdas große Thema die Gestaltung von Assis-tenzsystemen.

Moczek: Sie haben sich unter anderem mitEnergieeinsparungen bei U-Bahnen beschäf-

tigt. Können Sie uns das Projekt kurz vorstel-len? Oehme: Im Rahmen eines vom Berliner Se-nat geförderten Verbundprojekts arbeitetenwir bis 2011 an ELS, das steht für „Energie-optimiertes Leit- und Störfallmanagement“.Es wurde ein System entwickelt, welchesEnergieeinsparungen beim Betrieb schie-nengebundener Nahverkehrssysteme er-möglicht. Dazu werden alle den Energiebe-darf des Fahrzeugs – zum Beispiel einer U-Bahn – betreffenden Informationen unterBerücksichtigung der im Fahrzeug und inder Leitzentrale vorhandenen Informatio-nen zum gesamten Verkehrsgeschehenautomatisiert gesammelt und in Echtzeit zuFahrempfehlungen verarbeitet. Beispiels-weise erhält der oder die U-BahnfahrerInüber ein Display Hinweise für alle Brems-,Beschleunigungs- und Anfahrvorgänge.Durch ein solches System kann einerseitsviel Energie eingespart werden, auf der an-deren Seite kann die Pünktlichkeit sowieder Gewährleistung von definierten An-schlussbeziehungen sichergestellt werden.Das System ist für den Normalbetrieb hilf-reich, besonders wichtig wird es aber für al-le Situationen während oder direkt nach ei-ner Störung im Betriebsablauf. Dieses Sys-tem ist allerdings bisher nur ein Forschungs-prototyp.

Moczek: Interessant finde ich, dass diese neu-en Systeme nicht in den Fahrbetrieb eingrei-fen. Weiterhin ist die Entscheidung der Fah-rerInnen relevant, ob und wie sie handeln. Inwelcher Form werden sie motiviert?Oehme: Die Signale kommen über eine mo-bile Komponente in den Fahrzeugen(EcoM), das ist ein Assistenzsystem, welcheszusätzlich im Cockpit verbaut ist. Dort wirdunter anderem der Fahrplan angezeigt. Da-mit der oder die FahrerIn den Fahrplannicht ständig mit einer weiteren Uhr ver-gleichen muss, läuft beispielsweise die Zeit

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Schwerpunktthema

Auch auf Seiten derIndustrie hat sich der

Stellenwert von HumanFactors und dessen

Wertschätzung etabliert.Es ist angekommen, dass

nur dann gute undfunktionierende Produk-

te entwickelt werdenkönnen, wenn der Faktor

Mensch angemessenberücksichtigt wird

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bis zur nächsten Abfahrt runter, also einCountdown. Das hat einen ganz anderenAufforderungscharakter, die nächste Hand-lung kann daher auch besser geplant wer-den. Weitere Anzeigen können einen opti-malen Energieverbrauch auf der Strecke mitdem tatsächlichen Verbrauch vergleichen.Eine Rückmeldung kann laufend erfolgen,dann am Ende der Fahrt und noch einmalgesamt für die gefahrene Schicht. Anders alsfrüher, wo die FahrerInnen praktisch nie ei-ne Rückmeldung über den Energiever-brauch hatten, könnte dieses Thema nunüber das so genannte Eco-Feedback kom-muniziert werden.

Moczek: Wie geht es mit diesen guten Kon-zepten weiter? Oehme: Wir sind weiter an der Thematiksehr interessiert und verfügen nun über sehrviele Erfahrungen aus den vorangegangenenForschungen. Die bringen wir ein, wo esgeht. Und ja, wir schreiben weiter an Anträ-gen, um dieses oder weiterführende Kon-zepte umzusetzen.

Moczek: Sicher ist die methodische Kompe-tenz der PsychologInnen ein wichtiger Bau-stein für Human Factors. Welche Methodenwenden Sie an? Oehme: Unser Spektrum ist sehr breit. Wirführen ganz lehrbuchmäßig klassische Stu-dien durch. Beispielsweise können wir La-borforschung in unseren firmeneigenen Si-mulatoren durchführen. Aber wir machenauch Feldforschung – immer qualitativ undquantitativ. Wichtig ist mir zu betonen, dasswir in unserer Forschung – und später inder darauffolgenden Beratung – gleichbe-rechtigt interdisziplinär arbeiten. Keine derDisziplinen kann die Aufgaben alleine lö-sen. Die Psychologie steckt in dem nutzer-zentrierten Designprozess und in der Ent-wicklung und Anwendung psychologischerMethoden zur Anforderungsanalyse, der

Gestaltung von Bedienoberflächen und derEvaluation entwickelter Systeme mit Nut-zerInnen. Die technischeEntwicklung bildet sicher-lich den Hauptaspekt derProjektarbeit, jedoch mit„psychologischer“ oderHuman-Factors-Kompo-nente kann bereits in frü-hen Entwicklungsphasensichergestellt werden, dassdie Systementwicklung ineine anwenderfreundlicheRichtung geht und damit die Technik letz-tendlich benutzbar ist, akzeptiert wird undim besten Fall auch Spaß macht.

Moczek: Im Rahmen der Interviewserie frageich oft auch nach der „beruflichen Identität“.Verstehen Sie sich auch als Umweltpsycholo-gin? Oehme: Für mich persönlich nutze ich dieBezeichnung „Environmental Psychology“nicht, auch wenn ich viele Überscheidun-gen sehe. Wenn ich mich vorstelle, dann als Psychologin mit dem SchwerpunktMensch-Maschine-Interaktion. Interessantist, dass unser Bereich zukünftig mehrÜberschneidungen bekommen könnte,nämlich dann wenn es um die Inklusiongeht. Wir arbeiten in anderen Projekten anFragen des „Universal Designs“ zur Barrie-refreiheit. Eine barrierefreie Gestaltung vonSystemen und Gebäuden bzw. Systeme, dienatürliche Barrieren der Umwelt mindern,ermöglichen beeinträchtigten Menscheneinfacheren und damit eigenständigen Zu-gang zu ihrer Umwelt. Derzeit ist die HFCstark in die Entwicklung zweier Systeme in-volviert, die ihren jeweiligen Zielgruppendabei helfen sollen, sich einfacher und selb-ständig in ihrer Umwelt zurechtzufinden.Wir betreiben unter anderem Grundlagen-forschung in diesem Bereich zu Wahrneh-mung, Orientierung und Mobilität von seh-

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Wichtig ist mir zu beto-nen, dass wir in unsererForschung – und in derdarauffolgenden Bera-tung – gleichberechtigtinterdisziplinär arbeiten.Keine der Disziplinenkann die Aufgabenalleine lösen

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beeinträchtigten undsehenden Menschen.

Moczek: Wie und mit welchen KollegInnenpflegen Sie einen Austausch? Oehme: Der Austausch passiert in Verbund-projekten mit anderen PartnerInnen, aberauch auf Fachmessen und Tagungen. Wennmöglich, veröffentlichen wir unsere For-schungsergebnisse in Tagungsbänden undFachzeitschriften. Der Schwerpunkt liegtaber klar auf dem Bereich Human Factors.

Moczek: Herzlichen Dank für das Interviewund weiterhin viel Erfolg!

4 Nutzerzentrierte Gestaltunginteraktiver Systeme

Kontakt:Dr. Sascha MahlkeUSEEDS° GmbH Friedrichstrasse 10910969 Berlinhttp://[email protected]

Nicola Moczek: Lieber Herr Mahlke, bitte stel-len Sie uns USEEDS vor. Dr. Sascha Mahlke: USEEDS° GmbH wurde2008 gegründet und hat sich auf die nutzer-zentrierte Gestaltung interaktiver Systemespezialisiert. USEEDS° unterstützt seineKundInnen dabei, die Bedürfnisse der künf-tigen NutzerInnen schon früh im Entwick-lungsprozess zu berücksichtigen. Dazu ver-bindet USEEDS° die Usability-Beratung

mit Angeboten einer Design-Agentur. Auf-traggeberInnen sind u.a. Banken, Versiche-rungen, Verlage, Online-Marktplätze undweitere Unternehmen aus diversen anderenBranchen.

Moczek: Seit wann arbeiten Sie bei USEEDSund wie war Ihr Weg dort hin? Mahlke: Seit Ende 2008 bin ich beiUSEEDS. Ich begann dort als Teamleiter„User Experience“ (UX), seit 2010 bin ichderen Geschäftsführer. Thematisch gesehenwar mein Weg zu USEEDS relativ direkt:Nach meinem Studium der Psychologie ander Technischen Universität (TU) in Berlinin 2002 war ich zunächst wissenschaftlicherMitarbeiter am dortigen Zentrum Mensch-Maschine-Systeme (ZMMS3). Das ThemaMensch-Maschine ist an der TU Berlinschon seit 1993 Forschungsschwerpunkt.Ein Bereich der interdisziplinären For-schung ist die Fahrzeugführung, in diesemBereich war ich bis 2007 tätig. Nach einemForschungsaufenthalt am Human OrientedTechnology Lab (HOT Lab) an der Carle-ton University in Ottawa (Kanada) promo-vierte ich 2008 und startete als Nutzerfor-scher bei D-LABS, einem Design- und Be-ratungsunternehmen in Potsdam mit Fokusauf digitalen Produkten und Dienstleistun-gen.

Moczek: Was macht USEEDS besonders? Mahlke: Bei uns arbeiten heute rund 40feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,rund 20 Prozent sind Sozialwissenschaft-lerInnen. Unsere Herangehensweise ist im-mer interdisziplinär, die psychologischenMethoden finden sich aber als Grundlagein jedem Projekt. Wir sind davon über-zeugt, dass digitale Systeme die Menschennur dann in ihrem Berufs- und Alltagslebenunterstützen können, wenn bei deren Kon-zeption und Entwicklung schon frühzeitigdie Bedürfnisse und Erwartungen der zu-

Angewandte Umweltpsychologie: Drei Interviews102

Schwerpunktthema

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künftigen NutzerInnen berücksichtigt wer-den.

Moczek: Bearbeiten Sie Aufträge, in denennachhaltiges Handeln eine Rolle spielt? Kön-nen Sie ein Projekt beispielhaft vorstellen? Mahlke: Die Unterstützung von nachhalti-gem Handeln steht leider nicht so oft imMittelpunkt bei den von uns bearbeitetenProjekten. Meistens stehen andere Fragenan. Für eine große Umweltschutzorganisa-tion haben wir vor etwa drei Jahren derenInternetseite systematisch überarbeitet unddafür im Vorfeld die Bedürfnisse der Nut-zerInnen erforscht. Im weiteren Sinne ginges dabei darum, Engagements- und Spen-denbereitschaft zu fördern.

Moczek: Wie gehen Sie in einem solchen Pro-jekt vor? Mahlke: Zunächst klärten wir mit dem Auf-traggeber, welche Ziele die Organisation

verfolgen möchte. Zwei Aspekte standenbei dem Projekt klar im Vordergrund:Nachhaltiges Handeln vermitteln undUnterstützung für die eigene Arbeit gewin-nen. Im nächsten Schritterhoben wir empirisch mitHilfe einer Online-Befra-gung über deren bestehen-den Internetseite, nachwelchen Informationendie NutzerInnen suchten.Ergänzt wurde diese Um-frage durch soziodemogra-fische Fragen. Im Rahmeneiner zweiwöchigen Test-phase wendeten wir diequalitative Methode des„cultural approach“ an, inder wir 16 Freiwillige ba-ten, ihre Überlegungen und ihr Verhalten inBezug auf die Organisation und die Inter-netseite in einer Art Tagebuch aufzuzeich-

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Wir sind davon über-zeugt, dass digitaleSysteme die Menschennur dann in ihrem Be-rufs- und Alltagslebenunterstützen können,wenn bei deren Konzep-tion und Entwicklungschon frühzeitig dieBedürfnisse und Erwar-tungen der zukünftigenNutzerInnen berücksich-tigt werden

Abbildung 2: Ergebnisse der Cultural Approach-Methode (© USEEDS)

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nen. Diese qualitati-ven Daten waren äu-

ßerst reichhaltig und ergiebig und ergänztendie quantitativen Daten sehr gut. Wir konn-ten diese Daten verwenden, um typischeNutzerinnen und Nutzer und ihre Bedürf-nisse zu beschreiben.

Moczek: Die Auswertung qualitativer Daten istsehr aufwändig, wie schaffen Sie den Spagatzwischen korrekter, objektiver Auswertungund Praktikabilität?Mahlke: Im typischen Projektalltag lässt dieverfügbare Zeit natürlich oft nur einen be-grenzten Rahmen für die Auswertung qua-litativer Daten zu. Wir fragen uns aber im-mer wieder, wie wir mit den zur Verfügungstehenden Möglichkeiten das Beste heraus-holen können und optimieren unsere Me-thoden kontinuierlich. Auch dadurch, dassviele unserer MitarbeiterInnen in diesemBereich durch ihre Ausbildung einen hohenAnspruch an die Qualität von Daten haben,streben wir hier ständig nach Verbesserun-gen.

Moczek: Können Sie uns kurz beschreiben,welche Optimierungen Sie für die Organisa-tion entwickelt haben? Mahlke: Eine zentrale Frage des Auftragswar, wie die Organisation über die WebsiteSpenden akquirieren kann, damit sie durchdiese unabhängige Finanzierung weiterhinihre Projekte bearbeiten kann. Wir habendazu im Detail betrachtet, welche Informa-tionen potenzielle SpenderInnen benötigen,um sich für eine Zuwendung zu entschei-den. Auch wurde untersucht, welche Hin-dernisse es bei aktuellen Spendenprozessengibt. Basierend darauf haben wir dann einenProzess gestaltet, der den potenziellenSpenderInnen zur richtigen Zeit die rele-vanten Informationen zur Verfügung stellt,damit sie sich entscheiden können.

Moczek: Auf Ihrer Internetseite stellen Sie einPlakat vor, auf dem Sie Ihre methodische Her-angehensweise erläutern. Es ist wie eine kur-ze Einführung in die Methoden der Psycholo-gie. Wie kommt das bei Ihren Kundinnen undKunden an? Oder anders gefragt: Wie vielPsychologie darf in einem Projekt sichtbarsein?Mahlke: Für viele unserer KundInnen ist esgerade dieser Ansatz, der uns interessantmacht. Wir arbeiten auf Kundenseite vielmit TechnikerInnen, DesignerInnen undManagerInnen zusammen und unter all die-sen ExpertInnen gibt es viele, die verstan-den haben, dass sie den Menschen in denMittelpunkt ihrer Entwicklungen stellenmüssen und dafür die nötigen Methodenbrauchen. Von daher: Wir müssen die„Psychologie“ an unserer Herangehens-weise auf keinen Fall verstecken und freuenuns, sie auf einem Plakat4 vorstellen zu kön-nen.

Moczek: Welchen Austausch pflegen Sie mitpsychologischen Kolleginnen und Kollegen? Mahlke: Das wichtigste Netzwerk bietet mirder German UPA – der Berufsverband derdeutschen Usability und User Experience(UX)-Professionals5. Die meisten direktenKontakte pflege ich über deren Veranstal-tungen und Konferenzen, unter anderemauf der jährlich stattfindenden Konferenz„Mensch und Computer“. Dieses Jahr fin-det sie Anfang September in Stuttgart statt.Dort treffe ich auf ExpertInnen, die sich mitähnlichen Fragen beschäftigen – und auchunter ähnlichen Arbeitsbedingungen amMarkt bestehen. Wissensvermittlung undMeinungsbildung ist das Ziel dieser Veran-staltungen – für mich erfüllt sich dieser An-spruch. Besonders gerne gehe ich zu denSessions, in den sich die PraktikerInnen tref-fen, hier werden konkrete Fragen diskutiert,die ich oft genug direkt selbst umsetzenkann.

Angewandte Umweltpsychologie: Drei Interviews104

Schwerpunktthema

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Moczek: Wir wünschen Ihnen einen gutenAustausch auf der Konferenz und weiterhinviel Erfolg bei Ihren Projekten!

5 Ausblick Die Reihe der Interviews soll in loser Folgeweitergeführt werden.

KontaktNicola Moczek PSY:PLAN Institut für Umwelt- und Architektur-psychologieLibauer Straße 1410245 Berlin [email protected]

6 LiteraturMoczek, N. (2013). Angewandte Umweltpsychologie. Fünf

Interviews mit UmweltpsychologInnen aus dem Bereich

Energie und Klimaschutz. Umweltpsychologie, 17(1), 136-

159.

Moczek, N. und Raum-Heinrich, M. (2015). Angewandte

Umweltpsychologie. Drei Interviews mit Architektur-

psychologInnen über Projekte mit Bezug zu Aneignung,

Teilhabe und Wohlbefinden. Umweltpsychologie, 18(2),

144-166.

Endnoten

1) http://urban-online.org/de/urban.html2) https://www.youtube.com/user/URB

ANForschung3) http://www.zmms.tu-berlin.de/4) https://www.useeds.de/en/content/

methods5) http://www.germanupa.de/

Endversion eingegangen am 10. September 2015

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Helmut Brenner

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