Ankommen und dazugehören - Diakonie Hamburg€¦ · oder nur schlecht, ist auf Hilfe anderer...
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2016/2017
Magazin
Ankommen und dazugehörenWie Integration gelingen kann
3 „Was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch“
Ankommen und dazugehören
4 Heimathafen Hamburg
6 Zukunftssucher
12 Evangelische Kita Lutherhöhe
14 „Gastarbeiter“, Aussiedler, Flüchtlinge
16 Integration von Flüchtlingen
18 „Städte ohne Zuwanderung werden dramatisch schrumpfen“
20 Wie Integration die Stadt verändert – und die Diakonie
22 Stadtteilmutter zu Besuch
32 Fahrradwerkstatt für Flüchtlinge der Kirchengemeinde Niendorf
24 Pflege und Teilhabe – Was die neuen Gesetze für Hamburg bedeuten
25 Meldungen
26 Diakonie Hamburg – Wer wir sind, was wir tun
28 Gewinn- und Verlustrechnung 2015 | Risikobericht
29 So helfen Ihre Spenden
30 So ist das Diakonische Werk Hamburg aufgebaut | Kontakt
31
Titelfoto: Lehrgang für Flüchtlinge – Biniam Mokonen (l.) mit seinem Ausbilder in der Werkstatt der Steep GmbH (mehr in der Reportage ab Seite 6).
Editorial
Schwerpunkt Integration
Intro
Reportage
Orte der Integration
Rückblick
Kurz erklärt
Interview
Standpunkte
Orte der Integration
Panorama
Zahlen & Fakten
Impressum
Inhalt
Editorial 3
Liebe Leserin, lieber Leser,
wir haben in den letzten anderthalb Jahren erlebt, wie der starke
Zustrom von Flüchtlingen unser Land verändert hat: Einerseits
gab und gibt es eine beeindruckende Hilfsbereitschaft in großen
Teilen der Bevölkerung. Andererseits wurden die Stimmen der
Skeptiker und Ängstlichen immer lauter. Die Politik tut sich nicht
leicht in dieser schwierigen Gemengelage.
Wir im Diakonischen Werk Hamburg sehen unsere Aufgabe
darin, in der teilweise erhitzt geführten Diskussion eine christlich
begründete, fachkundige Stimme der Vernunft zu sein, das Frei-
willigen-Engagement zu unterstützen und unseren Mitgliedern
bei der Bewältigung ihrer jeweiligen Herausforderungen zu
helfen.
Wir gehen davon aus, dass nicht nur die Zugewanderten, son-
dern unser ganzes Land ein elementares Interesse daran haben
muss, dass Integration gelingt. Drei grundlegende Einsichten
leiten uns:
1. Gelingende Integration braucht eine tragfähige Willkom-
menskultur. Zuwanderer sollen sich in unsere Gesellschaft ein-
bringen – dafür müssen sie das Gefühl haben, erwünscht und
willkommen zu sein. Sie brauchen einen Vorschuss an Vertrauen
und besondere Unterstützung, die sie befähigt, mittelfristig ihr
Leben selbstverantwortlich gestalten zu können. Die meisten
Flüchtlinge, die nach ihren Hoffnungen und Erwartungen befragt
werden, antworten, dass sie sich ein ganz normales friedliches
Leben wünschen. Dieses Bedürfnis ist uns nicht fremd und des-
halb kann uns die goldene Regel Jesu, „Alles was ihr wollt, dass
euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch“ (Mt 7,12), eine
gute Richtschnur für gelingende Integration sein. Der Mensch
„Was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch“
braucht eine Wohnung, Arbeit, Familie bzw. soziale Kontakte
und Sicherheit.
2. Diskussionen über die Integrationsfähigkeit von Menschen
mit bestimmten religiösen oder kulturellen Hintergründen sind
wenig hilfreich. Sie beruhen meist auf Vorurteilen und übersehen
die gemeinsamen elementaren Grundbedürfnisse. Dass alle
Menschen die gleichen Werte und Haltungen vertreten müssen,
ist in unserem freiheitlichen Rechtsstaat nicht vorgesehen. Ver-
bindlich ist für alle Menschen in diesem Land die Einhaltung
geltenden Rechtes.
3. Viele Menschen, die in den vergangenen Monaten neu in
unser Land gekommen sind, werden noch eine ganze Zeit
Unterstützung benötigen. In einer Stadt, die ohnehin herausge-
fordert ist durch einen Mangel an günstigem Wohnraum, wach-
sende Obdachlosigkeit, Kinderarmut und sichtbare soziale
Brennpunkte, führt das zu einer Art Stresstest. Neben den Stär-
ken unserer Stadt zeigen sich auch die Versäumnisse der letzten
Jahre. Es wird deutlich: Gelingende Integration braucht nicht nur
eine tragfähige Willkommenskultur, sondern auch Gerechtigkeit
und ein leistungsfähiges und faires Sozialsystem für die ganze
Gesellschaft.
Wir wünschen Ihnen Freude und gute Anregungen bei der
Lektüre des diesjährigen Diakonie-Magazins.
Ihr
Landespastor Dirk Ahrens
Intro 54 Schwerpunkt Integration Intro
Heimathafen HamburgWie läuft’s mit der Integration?
Wie gut haben wir aus den vergangenen Jahrzehnten gelernt,
ein Einwanderungsland zu sein und eine Stadt, in der Menschen
ganz unterschiedlicher Prägung zusammenleben? Wir haben
uns für das Schwerpunkt-Thema mit Menschen getroffen, denen
Mitgliedseinrichtungen des Diakonischen Werkes Hamburg
wichtige Hilfen gaben beim Ankommen in Hamburg. Diese Men-
schen haben uns beeindruckt mit ihrem Willen, neu anzufangen.
Leicht ist ihr Weg nicht. Lesen Sie dazu die Reportage ab S. 6.
Kirche und Diakonie unterstützen Zuwanderinnen und Zuwan-
derer auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Die Foto-Serie „Orte
der Integration“ zeigt an drei Beispielen, wo diese Hilfe stattfin-
det (S. 12, S. 22 und Heftrückseite).
Für Hamburg ist Integration keine neue Aufgabe. Und auch die
Ankunft von Zehntausenden Flüchtlingen hat die Hansestadt
bereits erlebt und bewältigt. Ein Blick auf die Geschichte der
Zuwanderung kann zu mehr Gelassenheit verhelfen (S. 15).
„Städte brauchen Migranten, und Migranten brauchen Städte“,
sagt der Wissenschaftler Dr. Norbert Gestring. Warum Integrati-
on ein zweiseitiger Prozess ist, wie sie sich messen lässt und
welche Bedeutung sie für die zukünftige Stadtentwicklung hat,
lesen Sie im Interview auf S. 18/19.
Integration verändert Hamburg – und auch die diakonische
Arbeit. Was die Diakonie aus der neuen Situation gelernt hat,
wie sie sich gemeinsam mit den Mitgliedseinrichtungen den
neuen Herausforderungen stellt und was es für nachhaltige Inte-
gration braucht, haben Gabi Brasch und Dr. Dirk Hauer zusam-
mengefasst (S. 20/21).
Unsere Stadtgesellschaft ist so bunt wie noch nie. Viele, die
schon vor längerer Zeit hergekommen sind, fühlen sich inzwi-
schen an der Elbe zu Hause. Die kulturelle Vielfalt ist längst in
Reihenhaussiedlungen, Sportvereinen und in den politischen
Parteien angekommen. Und natürlich auch bei den „Integra-
tionshelfern“: Als Ehrenamtliche oder Profis geben sie Sprach-
unterricht, beraten, begleiten, leisten soziale Arbeit für frisch
Zugewanderte. Das sind ermutigende Signale für die Aufgaben,
die vor uns liegen.
Beratung zu Hause: Stadtteilmutter zu Besuch
(Orte der Integration, S. 22)
Begleitung zum Amt: Beratung für Zuwanderer
aus Südosteuropa (Reportage ab S. 8)
Ganz ohne Vorbehalte: Kinder spielen in der Kita
(Orte der Integration, S. 12)
Gemeinsam anpacken: Fahrradwerkstatt für Flüchtlinge
(Orte der Integration, Heftrückseite)
Reportage 76 Schwerpunkt Integration Reportage
„Schau“, Biniam Mokonen zieht sein Smartphone aus der Hosentasche und tippt auf das Display, „das habe ich heute gemacht.“ Das Display zeigt einen Schaltkreis mit Taster und Glühbirne, der auf einer Holzwand befestigt ist. Exakt nach deutschsprachiger Anweisung montiert. Der 23-Jäh-rige übt außerdem, Metall zu sägen, zu bohren und Gewinde zu schneiden, millimetergenau. „Ich möchte einen techni-schen Beruf lernen.“So leise und ernst, wie er das von sich gibt, traut man es ihm zu.
Da sitzt dieser junge Mann aus Eritrea im Lehrerbüro der passage,
einer Einrichtung der Diakonie. Er ist erst zwei Jahre in Ham-
burg. Wir unterhalten uns ohne Mühe auf Deutsch, er erzählt
vom Hafen und dass er am Wochenende gern mit der HADAG-
Fähre auf der Elbe unterwegs ist.
Auf seiner Flucht hätte er fast sein Leben verloren, in der Wüste
ging das Trinkwasser aus. Dann sein erstes Jahr in Hamburg. Er
hatte das Gefühl, dauernd vor verschlossenen Türen zu stehen
und nicht lernen zu dürfen, war oft verzweifelt. Inzwischen büf-
felt er unregelmäßige Verben und Technik-Deutsch und ist dank-
bar dafür, dass sich so langsam eine Zukunft für ihn abzeichnet.
„Hast du schon die Zusage für dein Praktikum?“, fragt Trainerin
Aysel Adigüzel ihren ehemaligen Schüler. Der Eritreer schüttelt
den Kopf. Er wartet noch, aber er ist zuversichtlich.
Deutsch lernen: Voraussetzung für Integration
Aysel Adigüzel kam selbst als Kind aus der Türkei nach Deutsch-
land und unterrichtet schon seit über 20 Jahren mit viel Engage-
ment Deutsch als Zweitsprache. „Wer die Sprache nicht spricht
oder nur schlecht, ist auf Hilfe anderer angewiesen. Man fühlt
sich unwohl.” Aus diesem Zustand will sie ihren Schülern mög-
lichst schnell heraushelfen und sie besonders auf die Kommuni-
kation am Arbeitsplatz vorbereiten. „Biniam hat abends den
Lernstoff wiederholt und am nächsten Tag das Gelernte gleich
angewendet“, lobt sie. Von ihr hat Biniam Mokonen neben der
Sprache etwas über Land, Leute und Kultur erfahren. Erste In-
formationen über die Arbeitswelt gab es auch. Genauso wertvoll
waren die individuelle Beratung und die Hilfe bei Bewerbungen.
Biniam Mokonen kam im Sommer 2014 in Hamburg an. Fieber-
haft suchte er schon in den ersten Wochen nach einem Sprach-
kurs. Der Asylbewerber wurde abgewiesen, suchte weiter. Nach
Monaten fand er bei der passage einen Platz im Kommuni-
kationstraining „Beruflich Einsteigen“, Flüchtlinge konnten hier
Geschichten vom Ankommen in Hamburg
Zukunftssucher
schon während des Asylverfahrens (s. „Kurz erklärt“, S. 16/17)
gefördert werden. Während des Trainings erhielt er die Aufent-
haltserlaubnis, weitere Qualifizierungen folgten. In den nächsten
Tagen wird er die Deutsch-Prüfung im Sprachniveau B1 ablegen.
Er will weiterlernen und das B2-Niveau erreichen, das Arbeitgeber
für anspruchsvolle technische Berufe bei Azubis voraussetzen.
Erfolgsrezept: Beratung und Coaching
Der 23-Jährige hat keine Berufsausbildung. In Eritrea ging er elf
Jahre zur Schule. Als mit der Abschlussprüfung seine Einberu-
fung bevorstand, floh er über Äthiopien, Südsudan, Sudan und
Libyen nach Europa, um dem autoritären Regime in Eritrea zu
entkommen, das seine jungen Männer wie Leibeigene behan-
delt. Das Leben in Deutschland, der Alltag, die Berufe, alles war
für ihn neu. Zum Glück traf er Menschen, die seine vielen Fragen
beantworteten und ihm Rat gaben. Zum Beispiel den Tipp für
die berufsqualifizierende Maßnahme. Er erhielt ihn von einem
Freiwilligen in seiner Unterkunft in Jenfeld.
Praktikum und Ausbildung: Qualifizieren für die Arbeitswelt
Im Aus- und Weiterbildungszentrum der Steep GmbH in Eidel-
stedt läuft der erste Durchgang eines fünfmonatigen Lehrgangs
speziell für Flüchtlinge. Er bereitet sie auf Berufe der Metallver-
arbeitung und Elektrotechnik vor. Was Biniam Mokonen in der
Werkstatt anfertigt, wird genau kontrolliert: „Die Ausbilder sind
streng, wenn du einen Fehler gemacht hast, musst du wieder
von vorn anfangen.“ Drei Tage arbeitet er in der Werkstatt und
zwei Tage pro Woche besucht er eine Vorbereitungsklasse an
einer Berufsschule. Anschließend gehen die Teilnehmer als
Praktikanten in Hamburger Unternehmen. Bewähren sie sich
dort, haben sie gute Chancen auf Ausbildungsverträge.
Über ein mehrmonatiges Praktikum gelang auch einer Frau
aus Äthiopien der Einstieg ins Arbeitsleben: Nabila A. arbeitet
seit Anfang August im UKE als Versorgungsassistentin: „Wir
bringen den Patienten Frühstück und Mittagessen, Kaffee und
Abendbrot.“
Die 34-Jährige hatte zuvor beim Verein verikom – Verbund für
interkulturelle Kommunikation und Bildung, einem Diakonie-
Mitglied, einen Deutschkurs mit Schwerpunkt Arbeit und Beruf
absolviert. Darüber fand sie einen Praktikumsplatz bei einem
Krankenhaus-Caterer. Die ersten Wochen waren anstrengend:
„Wenn die Patienten schnell sprachen, hatte ich Probleme! Aber
Maß nehmen: In einem Lehrgang für Flüchtlinge bereitet sich Biniam Mokonen auf eine Ausbildung in Metallverarbeitung und Elektrotechnik vor.
Reportage 9
»Integration braucht individuelle Beratung«
Maren Gag, passage: „Un-sere Erfahrung aus vielen Jahren Netzwerkarbeit zur beruflichen Integration von Geflüchteten: Damit ein Zuwanderer gut und schnell in Hamburg beruflich und persönlich zurechtkommt, braucht er Rat und Hilfe durch Menschen, die über Erfahrung und Fachkompe-tenz verfügen. Sie können ihm Wege in den Beruf auf-zeigen. Am besten ist es, individuell zu schauen, wie der Eintritt in den Arbeits-markt gelingen kann. Die Geflüchteten kommen mit sehr unterschiedlicher Vor-bildung, mit und ohne Be-rufserfahrung. Weil wir die individuelle Beratung so wichtig finden, ist sie fester Bestandteil der Kurse.“
Die passage, eine gemein-nützige GmbH, ist Mitglied im Diakonischen Werk Hamburg und leitet die Netzwerke „FLUCHTort Hamburg 5.0“ und „Chan-cen am FLUCHTort Ham-burg“, bei denen mehrere Träger zusammenarbeiten.
jetzt verstehe ich alles.“ Nach dem Praktikum wurde ihr ein Arbeitsvertrag angeboten. „Ich bin
froh, Arbeit ist immer gut!“, sagt die Äthiopierin.
Wartezone: Altanträge liegen länger
Dass Nabila A. überhaupt in Deutschland bleiben konnte, verdankt sie der Rechtsberatung durch
Fluchtpunkt, der kirchlichen Hilfsstelle für Flüchtlinge – und einem mehrwöchigen Kirchenasyl. Die
Ausländerbehörde wollte sie 2014 auf Grundlage des Dublin-Abkommens nach Portugal über-
stellen. „Eine Anwältin bei Fluchtpunkt hat mir geholfen und ein Pastorenehepaar hat mich bei sich
aufgenommen. Sie waren so freundlich zu mir. Ich bin ihnen sehr dankbar!“ So konnte sie bleiben,
bis das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entschied, dass ihr Asylantrag in
Deutschland geprüft werden muss.
Nabila A. ist geschieden, ihre Tochter lebt bei ihren Eltern. Nach der Scheidung arbeitete sie als
Hausangestellte in Saudi-Arabien und schickte Geld nach Hause. Sie wurde schlecht behandelt
von der Familie, für die sie arbeitete. Sie fürchtete um ihre Gesundheit und ihr Leben. Als Auslän-
derin war sie in Saudi-Arabien rechtlos. Jemand besorgte ihr ein Visum für Portugal, sie betrat
jedoch nie portugiesischen Boden – ihr Flugzeug landete in Hamburg.
Nun liegt ihr Asylantrag zusammen mit vielen weiteren Altfällen beim BAMF. Nabila A. wartet seit
mehr als zwei Jahren auf den Termin für ihre Anhörung. Bis zur Entscheidung über ihren Asylan-
trag erhält sie nur Aufenthaltsgestattungen für je einige Monate. Ihre Tochter kann sie dennoch
erst nachholen, wenn sie als Flüchtling anerkannt ist. Niemand weiß, ob das gelingt und wie lange
es dauert. Nabila A. leidet unter dieser Ungewissheit: „Meine Tochter fragt, ‚Mama, wann sehen
wir uns wieder?‘ Und ich weiß das selber nicht. Das ist sehr sehr schwer für mich.“
Ämtermarathon: Jede Menge Behördentermine
Natürlich muss, wer neu nach Deutschland kommt, sich anmelden und einige Dinge regeln. Aller-
dings berichteten uns alle, mit denen wir sprachen, von zahlreichen und komplizierten Behörden-
gängen. Zakia Niazi aus Afghanistan erlebt das so: „In Hamburg fühle ich mich wohl, die Menschen
sind meist freundlich und hilfsbereit. Nur wenn ich mit der Verwaltung zu tun habe, fühle ich mich
manchmal unfair behandelt. Es wird zum Beispiel von mir erwartet, dass ich ab dem ersten Tag
mein Anliegen auf Deutsch vortragen kann.“ Die Afghanin, die an der amerikanischen Universität
in Kabul studierte und in einer großen Nichtregierungsorganisation arbeitete, spricht fließend
Englisch und inzwischen schon gut Deutsch. „So musste ich für einen Sprachkurs-Meldebogen
dreimal das Jobcenter aufsuchen, bis ich ihn schließlich erhielt! Das verstehe ich nicht.“
Was geschieht, wenn Menschen weniger Mut und Beharrungsvermögen haben als eine Frauen-
rechtlerin aus Afghanistan? Verzichten sie dann auf den Sprachkurs oder auf Sozialleistungen?
Oder verirren sie sich im komplizierten Gefüge der Verwaltung? Gibt es ausreichend Ämterlotsen,
Dolmetscher und Freiwillige, um sie zu unterstützen? Gebraucht werden sie nicht nur, um
Sprachbarrieren aus dem Weg zu räumen. Sondern weil Zuwanderer auf sich allein gestellt in
der Verwaltung ihre Ansprüche oft nicht durchsetzen können. Delia Filip, eine Mitarbeiterin der
Diakonie Hamburg, die regelmäßig mit Menschen in sehr prekären Lebenslagen Behördentermine
wahrnimmt, beobachtet: „Wenn ich meine Klienten begleite, ändert das alles. Vom Ton, in dem mit
ihnen gesprochen wird, bis zu den Entscheidungen, die für ihre Anliegen getroffen werden.“
Rumänen und Bulgaren: Kaum Hilfe für EU-Mitbürger
Delia Filip arbeitet für eine Gruppe von Zuwanderern, von denen Hunderte in Hamburg auf der
Straße leben. Rumänen und Bulgaren dürfen zwar seit dem EU-Beitritt ihrer Länder vor knapp
8 Schwerpunkt Integration Reportage
zehn Jahren frei einreisen, haben aber erst einmal kein Anrecht
auf Sozialleistungen. Ohne Deutschkenntnisse ist es schwer,
Arbeit zu finden, erst recht eine, von der sie auch eine Woh-
nungsmiete bezahlen können. Und ohne sozialversicherungs-
pflichtige Beschäftigung erwerben sie auch keine Ansprüche auf
staatliche Leistungen. Mit Ion Ionescu (Name geändert) geht die
Sozialpädagogin heute zum Jobcenter St. Pauli. Der Rumäne
lebt seit acht Jahren in Hamburg. Er hatte hier nie eine eigene
Wohnung, schläft bei Freunden, im Park oder in Abrisshäusern.
Er arbeitete mehrere Monate für eine Baufirma, dann wurde ihm
gekündigt. Bald wird es Winter, und ein regulärer Platz in einer
Notunterkunft wird ihm verweigert, obwohl die Stadt verpflichtet
ist, obdachlose Menschen unterzubringen.
Auch wenn sie die Formulare schon komplett ausgefüllt
hatten, mussten die beiden noch einmal drei Wochen auf einen
neuen Termin warten – nur um den Antrag abgeben zu können.
Heute ist es nun soweit. Unter seinem Arm hält Ion Ionescu eine
prall gefüllte Aktenmappe. Auf Rumänisch sagt er: „Ohne Delias
Hilfe hätte ich das nicht geschafft.“ Wenn sein Antrag angenom-
men wird, erhält er für höchstens sechs Monate Hartz IV und
hofft, noch vor der Winterkälte einen Platz in einer Notunterkunft
zu bekommen.
Hunderte Obdachlose aus Südosteuropa leben in Hamburg.
Delia hat sie oft gefragt, warum sie nicht in die Heimat zurück-
kehren. Sie bekam immer ähnliche Antworten: „Ihr Leben in
Rumänien ist noch viel schlimmer als Flaschensammeln und
Draußenschlafen in Hamburg.“ Mädchen, die zur Prostitution
oder zum Betteln gezwungen werden, verzweifelte Familienvä-
ter, die Geld nach Hause schicken müssen: Vom Leben gebeu-
telte Menschen suchen Rat bei Delia Filip. Sie sagt dazu: „Das
ist mein Traumjob!“ Und meint das ernst. Als sie nach Hamburg
kam und die vielen Landsleute entdeckte, die abends in der City
auf dem Boden schlafen, wusste sie: „Für sie will ich mich ein-
setzen. Das darf ich jetzt tun.“
Wohnungssuche: Für Neuhamburger mit kleinem Budget schwer
Eine Wohnung zu finden, ist für diese Menschen fast aussichts-
los, sagt Delia Filip: „Einige schaffen es trotzdem. Neulich eine
Gruppe Männer, die wollten nur Adressen und Ansprechpartner
von mir und haben sich um alles gekümmert. Die haben jetzt
Arbeit und zusammen eine Wohnung angemietet.“
Bei der Wohnungssuche brauchen auch Flüchtlinge viel
Geduld, selbst wenn sie schon einen positiven Asylbescheid
erhalten haben. Biniam Mokonen und Nabila A. suchen noch.
Zakia Niazi war ein gutes Dutzend Mal bei der SAGA, ihr Sohn
suchte täglich im Internet nach Wohnungsangeboten. Im August
zog sie mit vier Kindern aus der Unterkunft in eine Wandsbeker
Genossenschaftswohnung.
Zurück in den Beruf: Anerkennung für ausländische Abschlüsse Die Sozialpädagogin Delia Filip hatte zunächst einige Jahre in
einem Hort gearbeitet – eingestuft als sozialpädagogische Assis-
tentin. Als sie von der Zentralen Anlaufstelle Anerkennung (ZAA)
der Diakonie hörte, brachte sie ihre rumänischen Studienzeug-
nisse hin. Für die Anerkennung musste sie noch drei Semester
studieren, vor allem deutsches Sozialrecht, und absolvierte
ein Praktikum in der Fachstelle Zuwanderung Osteuropa des
Diakonischen Werkes Hamburg. So erfuhr sie von der neuen
Zakia Niazi (2. v.l.), mit ihren Kindern aus Afghanistan
geflohen, packte in der Erstaufnahme gleich
in der Kleiderkammer mit an und lernte dort
Marianne und Ulrich Meister kennen.
Mittlerweile haben die Niazis eine eigene
Wohnung – und aus den Helfern sind
Freunde geworden.
Anne Harms, Fluchtpunkt: „Die Gesetzesänderungen der vergange-nen 18 Monate haben vielen Menschen Verbesserungen gebracht, für einige aber auch Verschärfungen. So entsteht eine klare Abstufung unter den Flüchtlingen. Der Zugang zu Arbeit und Ausbildung wurde erleichtert und ein Bleiberecht nach Jahren der Duldung ermöglicht, aber wir schließen Menschen aus bestimmten Herkunftsländern kategorisch davon aus: Ob bei Mazedoniern, Serben, Bosniern und Kosovaren individuelle Asylgründe vorliegen, wird nicht wirklich geprüft. Ihre Länder gelten als sichere Herkunftsstaaten und sie erhal-ten standardisierte Ablehnungen: Auch wenn sie nicht abgeschoben werden können, bleiben ihnen dauerhaft Integrationskurse, Arbeit und Ausbildung vorenthalten.
Seit 2008 konnten Afghanen in Hamburg nach 18 Monaten Duldung eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, weil ihnen eine Rückkehr nicht zumutbar ist. Die allermeisten haben sich damit hervorragend inte-griert. Im Februar wurde die Regelung abgeschafft, viele Afghanen fallen zurück in die Duldung. Keiner weiß, welchen Sinn das haben soll!
Wer nur geduldet ist, lebt in ständiger Angst, nachts abgeholt zu werden und kann sich kein neues Leben aufbauen. Diese Zwei- Klassen-Flüchtlingspolitik verschärft sich zunehmend. Das spüren wir bei Fluchtpunkt. Unsere Klientenzahlen haben sich 2015 mehr als verdoppelt. Nun plant das Bundesinnenministerium sogar, einen Status unterhalb der Duldung einzuführen. Damit würden die jüngsten Verbes-serungen, wie die Bleiberechtsreglung, faktisch zurückgenommen.“
Fluchtpunkt, Kirchliche Hilfsstelle für Flüchtlinge, ist Mitglied im Diakonischen Werk Hamburg.
10 Schwerpunkt Integration Reportage
Beratungsstelle „Perspektiven in Europa schaffen“ für EU-Zugewanderte, die dringend eine Fach-
kraft aus Rumänien suchte – ihr heutiger Arbeitsplatz.
Die ZAA eröffnet Menschen, die ohne formale Anerkennung nicht in ihren Berufen arbeiten
können, neue Perspektiven. Ein Lehrer für Physik und Chemie aus Ägypten arbeitete mehrere
Jahre im Hamburger Hafen bei der Containerentladung, lernte nebenbei Deutsch. Mithilfe der ZAA
reichte er seine ägyptischen Zeugnisse und das Diplom bei der Schulbehörde ein. Mittlerweile
wurde sein Abschluss als dem ersten Staatsexamen gleichwertig anerkannt. Nach Referendariat
und zweitem Staatsexamen unterrichtet er seit September an einer Hamburger Schule.
Integration: Eine Herausforderung für uns alle!
Bisher sind die Chancen für Zuwanderer ungleich verteilt. Da erfährt ein Neuankömmling mehr
Förderung als ein anderer. Und sogar manche, die bereits in zweiter oder dritter Generation in
Hamburg leben, könnten noch gut solche Förderung brauchen. Ausgerechnet EU-Bürger, die
tatsächlich oder vermeintlich keine Sozialrechtsansprüche haben, erhalten kaum Hilfen. Und in
vielen Fällen verhindert ein restriktives Ausländerrecht Integration.
Wir als aufnehmende Gesellschaft lernen Integration – immer noch. Vorbildliche Modelle sind
schon anzutreffen, jetzt braucht es schnell mehr davon. Für schon länger hier Lebende und für die
rund 30.000 Menschen, die seit dem letzten Jahr als Flüchtlinge nach Hamburg kamen. Darüber
macht sich auch Biniam Mokonen Gedanken: „Die vielen Menschen, die nach mir ankamen,
brauchen jetzt ja auch Sprachkurse, Praktikumsplätze, Arbeit und Wohnungen.“
Reportage 11
»Wir erhalten deutlich mehr Anfragen«
Michael Gwodsz, Zentrale Anlaufstelle Anerkennung (ZAA): „Obwohl es inzwi-schen ein bundesweites und auch ein Hamburger Gesetz zur Anerkennung ausländischer Berufsausbil-dungen und Hochschulab-schlüsse gibt, brauchen die Menschen weiterhin unsere Beratung. Nur Insider kön-nen herausfinden, wo man welche Anerkennung bean-tragt und welche Unterlagen man benötigt. Für Men-schen, die sich nicht ständig damit beschäftigen, ist das kaum zu überblicken. Seit 2015 kommen die meisten Anfragen von Syrern, an zweiter Stelle von Iranern, davor waren es vor allem Menschen aus Polen und Russland. Wir sind 2010 als Diakonie-Projekt mit EU-Förderung gestartet. Die Anfragen nehmen laufend zu. Im September 2016 konnten wir die Zahl unserer Mitarbeitenden von drei auf sechs verdoppeln.“
Die Zentrale Anlaufstelle Anerkennung (ZAA) wird vom Diakonischen Werk getragen und durch das Bundesprogramm „Inte-gration durch Qualifizie-rung“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales), den Europäischen Sozial-fonds sowie die Stadt Hamburg finanziert.
»Wir haben eine Zwei-Klassen-Flücht-lingspolitik«
Diakonie-Sozialarbeiterin Delia Filip mit dem Rumänen Ion Ionescu
auf dem Weg zum Jobcenter.
13
„Die weißen Tauben“ hieß die
kleine Gruppe, die vor einem
Jahr in der Evangelischen Kita Lutherhöhe für sechs
Kinder aus der naheliegenden
Flüchtlingsunterkunft Holsten-
kamp entstand. Sie sollten
sich dort langsam an den
Kita-Alltag und an die deut-
sche Sprache gewöhnen.
„Kinder und Eltern sind so
gut hier angekommen, dass
wir diese Gruppe mittlerweile
aufgelöst haben und die
Kinder gut in den zwei Ele-
mentargruppen integriert
sind“, erklärt Sozialpädagogin
Karolin Neubert. „Kinder
kennen keine kulturellen
Grenzen, deshalb ist die
Herkunft für sie beim gemein-
samen Spiel nicht wichtig.“
Mehr über das Projekt unter:
www.diakoniehh.de/dm16-orte
Orte der Integration
12 Schwerpunkt Integration Orte der Integration 13
Sie beraten seit 24 Jahren Menschen, die aus anderen Län-dern nach Hamburg gekommen sind und sich hier zurecht-finden müssen. Waren die Jahre 2015/2016 extrem?
Irene von Pander: Wir beraten erwachsene Migrantinnen und
Migranten mit ganz unterschiedlichem Status, vom Arbeitneh-
mer aus der EU bis zum Geflüchteten. Die Grundfragen sind
immer gleich, ob wir 1995 betrachten oder 2015: Wie können
sich die Menschen hier ein neues Leben aufbauen, die Sprache
lernen, Arbeit finden?
Was aber neu ist: Viele Flüchtlinge etwa aus Syrien, Afgha-
nistan oder Eritrea sind erheblich belastet. Sie haben elemen-
tare Not und extreme Situationen erlebt, vielleicht schon über
Jahre in ihrem Heimatland und gewiss während der Flucht. Das
müssen sie loswerden, das wollen sie erzählen! Dadurch wird
die Beratungsarbeit intensiver und fordernder. Neben der lang-
fristigen Begleitung müssen wir derzeit oft mit Kriseninterventi-
on einspringen, weil die Menschen sonst niemanden haben, an
den sie sich wenden können.
Die Migrationsberatung der Diakonie Hamburg begann in den 1970er-Jahren und spiegelt seitdem die Zuwanderung nach Deutschland wider. Welche Phasen gab es?
Es begann mit der Sozialberatung für ausländische Arbeit-
nehmer, die sogenannten Gastarbeiter. Hier engagierte sich die
Diakonie zum Beispiel mit jahrzehntelanger Sozial- und Kultur-
arbeit vor allem für die Griechen in Hamburg. Dahinter stand
eine bundesweite Absprache zwischen den Wohlfahrtsverbän-
den: Die Caritas wandte sich den überwiegend katholischen
„Gastarbeitern“ aus Italien, Spanien und Portugal zu, die Dia-
konie den orthodoxen Griechen, die Arbeiterwohlfahrt den
muslimischen Türken.
Parallel unterstützte die Diakonie Aussiedler, also Deutsch-
stämmige aus Osteuropa, die nach Hamburg kamen, um hier
auf Dauer zu bleiben. Diese Aussiedlerberatung war auch
meine erste Aufgabe, als ich 1992 bei der Diakonie anfing. Seit
2005 sind die unterschiedlichen Angebote zusammengeführt:
in der Migrationserstberatung für Erwachsene aller Nationali-
täten.
Welche Engpässe gab und gibt es bei der Integration in Hamburg?
Schon seit Jahren finden Migrantinnen und Migranten nur sehr
schwer Wohnungen. Ein weiterer Engpass ist das Erlernen der
deutschen Sprache. EU-Bürger etwa müssen einen Sprach-
kurs selbst finanzieren, das ist für manche eine zu hohe Hürde.
Und für Flüchtlinge, die belastet, sogar traumatisiert sind, fehlt
es an psychiatrischer Versorgung. Es gibt zu wenig niederge-
lassene Fachärzte, und die wenigen psychiatrischen Ambu-
lanzen gleichen den Mangel nicht aus. Da müsste noch viel
aufgebaut werden.
„Gastarbeiter“, Aussiedler, FlüchtlingeDiakonische Beratung und die Phasen der Zuwanderung
Von Auswanderung bis ZuwanderungMigration historisch
Rückblick 1514 Schwerpunkt Integration Rückblick
Historisch sind Wanderungsbewegungen normal. „Der deutschsprachige Raum war selten Aus- oder Einwande-rungsland allein, sondern zumeist beides zugleich“, schrei-ben die Migrationsforscher Klaus J. Bade und Jochen Oltmer.Glaubensflüchtlinge, die aus Frankreich nach Deutschland
kamen; deutsche Siedler, die sich in Ost- und Südosteuropa
niederließen; die massenhafte Auswanderung aus Deutsch-
land in die USA – das sind Beispiele für Migration in vergange-
nen Jahrhunderten. Um 1900 war Deutschland nach den USA
das zweitwichtigste Zuwanderungsland weltweit. Denn das
Deutsche Reich brauchte infolge der Industrialisierung Arbeits-
kräfte, man beklagte die „Leutenot“.
Der Zweite Weltkrieg führte zu gewaltiger und gewaltsamer
Migration: Flucht, Vertreibung, Zwangsarbeit, Deportation. Die
Volkszählung 1950 ergab für Bundesrepublik und DDR knapp
12,5 Mio. Flüchtlinge und Vertriebene – die meisten aus den
vormals deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße und
aus der Tschechoslowakei. Dass sie bleiben konnten und dann
„dazugehörten“, war eine der größten Integrationsleistungen,
die Deutschland je vollbracht hat. Zudem nahm die Bundes-
republik bis zum Mauerbau 1961 mindestens 2,7 Millionen
Zuwanderer aus der DDR auf.
Für das westdeutsche „Wirtschaftswunder“ reichte das
nicht. Weitere Arbeitskräfte mussten her: „Gastarbeiter“. Die Beratung in acht Sprachen
Die Migrationsberatung hat ihren Sitz in Altona im Dorothee-
Sölle-Haus. Ein weiterer Standort ist in Barmbek im Integra-
tionszentrum Hamburg-Nord.
Das fünfköpfige Team berät Zugewanderte über 27 Jahre,
vor allem, wenn sie neu in Hamburg sind. Derzeit sind mehr
als die Hälfte der Ratsuchenden EU-Bürger, zum Beispiel
aus Polen oder Spanien. Seit 2015 können sich auch Flücht-
linge mit Fragen zur Integration an die Beratungsstelle wen-
den. Entscheidend sind hier die Vorgaben des Bundes, der
die Arbeit finanziert.
Die Mitarbeitenden beraten in fünf europäischen und drei
afrikanischen Sprachen und unterstützten 2015 mehr als
1.000 Ratsuchende.
www.diakoniehh.de/migrationsberatung
Irene von Pander
meisten kamen tatsächlich für begrenzte Zeit, andere blieben
und holten ihre Familien nach. Schon 1955 wurde eine Anwer-
bevereinbarung mit Italien geschlossen, 1960 folgten Spanien
und Griechenland, 1961 die Türkei. Der Höhepunkt der Auslän-
derbeschäftigung war 1973 erreicht, mit der Wirtschaftskrise
ging ein Anwerbestopp einher.
Unterdessen trafen auch Aussiedler ein: Menschen etwa aus
Polen oder der Sowjetunion, die als Nachfahren von Deutschen
die deutsche Staatsangehörigkeit beanspruchen konnten.
Rund 4,5 Millionen Menschen waren es zwischen 1950 und
2006. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks war die Zahl
am höchsten: mit knapp 400.000 Aussiedlern allein 1990.
Parallel erreichte die Zahl der Asylbewerber einen Höhe-
punkt: mehr als 400.000 Anträge waren es 1992, vor allem aus
den zerfallenden und umkämpften Staaten Südosteuropas.
1993 schränkte die Bundesrepublik das Asylrecht ein.
2005 trat das Zuwanderungsgesetz in Kraft. Seither versteht
sich Deutschland, immer noch vorsichtig, als Einwanderungs-
land. Ein Schritt, meinen die Migrationsforscher Bade und
Oltmer, der schon seit den 1980er-Jahren überfällig war.
Literatur: Klaus J. Bade u. a. (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn 2008.
Derzeit stehen Flüchtlinge im Fokus. Doch dass Menschen aus anderen Ländern in Hamburg ankommen und hier leben wollen, ist wahrlich kein neues Phänomen. Wir haben Irene von Pander, die Sprecherin der Migrationsberatung der Diakonie Hamburg gefragt, was gleich geblieben ist und was sich verändert hat in der Arbeit.
Auswanderer warten in Hamburg 1907 auf die Passage nach Amerika.
Flucht aus Schlesien 1945. Die Diakonie kümmerte sich um griechische „Gastarbeiter“. Hier: muttersprachlicher Unter-richt für Kinder (1985).
16 Schwerpunkt Integration Kurz erklärt Kurz erklärt 17
Kurz erklärtIntegration von Flüchtlingen
Aus vielen Gründen und auf vielen Wegen kommen Men-schen nach Deutschland: zum Beispiel mit einem langfris tigen Visum, um hier zu arbeiten oder zu studieren. Oder aufgrund der Freizügigkeit, die allen Bürgerinnen und Bür-gern der EU zusteht. Derzeit im Fokus stehen aber die Menschen, die in ihren Heimatländern bedroht sind und in Deutschland Schutz suchen – auch in Hamburg.
Die wichtigsten Fakten und Begriffe zu Flüchtlingen haben wir hier zusammengestellt.
Die Hamburger Diakonie ist in der Flüchtlingshilfe stark engagiert. Sie hilft aber auch EU-Bürgern, die hier unter prekären Bedingungen leben und arbeiten. Mehr dazu in der Reportage ab Seite 6.
Ankommen
Wer ist Flüchtling?Im alltäglichen Sprachgebrauch: Derzeit alle Menschen,
die geflohen sind und in Deutschland Schutz suchen.
Im juristischen Sinn: Diejenigen, die über ein Asylverfahren
„Flüchtlingsschutz“ beantragen (Flüchtlinge im Verfahren)
oder erhalten haben (anerkannte Flüchtlinge).
Dublin-VerfahrenFür einen Flüchtling ist eigentlich das EU-Land zuständig, in
dem er ankam und registriert wurde. So hat es die EU-Kom-
mission in verschiedenen „Dublin-Verordnungen“ beschlossen.
Tatsächlich war diese Regel aber 2015 zeitweise außer Kraft.
Kirche und Diakonie kritisieren das Dublin-Verfahren vor allem
deswegen, weil in manchen europäischen Ländern die Asylver-
fahren und die soziale Versorgung von Flüchtlingen nicht men-
schenrechtlichen Standards entsprechen.
Bleiben
Asylverfahren und „Schutzformen“Zuständig für den Asylantrag ist das Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge (BAMF). Es kann dem Antragsteller
eine von vier „Schutzformen“ zuerkennen:
Wird kein Schutz gewährt, fordert das BAMF den Flüchtling zur
Ausreise auf (wogegen dieser klagen kann).
Auch wer letztlich zur Ausreise verpflichtet ist, kann unter Um-
ständen zunächst bleiben, wenn „tatsächliche Abschiebungs-
hindernisse“ vorliegen: Etwa wenn kein Staat bereit ist, den
Flüchtling als Staatsangehörigen anzuerkennen; oder wenn die
Reiseunfähigkeit ärztlich attestiert ist. Diese Personen erhalten
eine (befristete) Duldung, die jederzeit widerrufen werden kann.
Die größten Integrationshindernisse: Manche Asylverfahren dauern unzumutbar lang. Das BAMF
entscheidet inzwischen zwar deutlich schneller, schiebt aber
immer noch zehntausende von unbearbeiteten Anträgen vor
sich her.
Es fehlt in Hamburg an vernünftigen Unterkünften sowie
bezahlbarem Wohnraum. Folge: Flüchtlinge sitzen zu lange
in den Erstaufnahmeeinrichtungen und in den Folgeunter-
künften fest. Auf dem Wohnungsmarkt konkurrieren sie mit
Suchenden aus Hamburg, die schon bisher Mühe hatten,
etwas zu finden.
Immer noch gibt es zu wenig Sprachkurse, die für alle
Flüchtlinge offen sind (und sich z. B. nicht nur an „arbeits-
marktnahe“ Flüchtlinge richten).
Die Vermittlung in Arbeit ist zäh. Für Zugewanderte „mit
guter Bleibeperspektive“ sind inzwischen Verbesserungen
eingeführt worden, die von Bewerbern aber hohe Belastbar-
keit und Leistungsfähigkeit verlangen. Vielfach sind auch die
schlechten Lebensbedingungen in den Unterkünften der
Grund, dass Menschen, die gerade angekommen sind,
die betriebliche Realität nicht durchstehen.
Grundsätzlich gibt es – wie beim Wohnungsmarkt – ein
strukturelles Problem: Schon bisher fehlten (einfache) Jobs, die den Lebensunterhalt sichern.
Dazugehören
Während des Asylverfahrens: Flüchtlinge erhalten eine Aufenthaltsgestattung und
bekommen die allernötigsten Dinge zum Leben (laut
Asylbewerberleistungsgesetz), einschließlich Unterkunft
und medizinische Grundversorgung. Sie müssen zunächst
an einem zugewiesenen Ort bleiben (Residenzpflicht).
Unter bestimmten Bedingungen können sie nach drei
Monaten eine Arbeitserlaubnis bekommen.
Nach dem Asylverfahren: Wer Asyl, Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz
(siehe oben) erhält, bekommt eine – befristete – Aufenthaltserlaubnis und darf arbeiten.
Bei Abschiebeschutz/Duldung darf man arbeiten,
wenn die Ausländerbehörde zustimmt. Geduldete
dürfen auch eine Ausbildung beginnen. Für die Zeit
des Ausbildungsvertrages plus zwei Jahre anschlie-
ßender Beschäftigung dürfen sie nicht abgeschoben
werden (3+2-Regelung).
Erste UnterbringungSchutzsuchende Menschen, die Deutschland erreichen,
werden registriert und erhalten einen Ankunfts-nachweis („Flüchtlingsausweis“).
Sie kommen in eine Erstaufnahme-Einrich-tung (eigentlich für längstens 6 Monate).
Von dort werden sie aber eventuell in
ein anderes Bundesland verwiesen,
denn die Länder teilen die Flüchtlinge
nach einem bestimmten Schlüssel auf.
Im ersten Halbjahr 2016 meldeten
sich in Hamburg 10.985 Flüchtlinge,
6.879 von ihnen wurden Hamburg
auch zugewiesen. Die Haupt-
herkunftsländer waren zuletzt
Afghanistan, Syrien und Russland.
Asylberechtigung Für Menschen, die in ihrem Heimatland Opfer staatlicher
Verfolgung sind.
Rechtsgrundlage: Grundgesetz, Art. 16a.
Flüchtlingsschutz Für Menschen, die vor Verfolgung – nicht nur durch staatli-
che Akteure – geflohen sind.
Rechtsgrundlage: Genfer Flüchtlingskonvention.
Subsidiärer Schutz Für Menschen, deren Leben in ihrem Heimatland gefährdet
ist, etwa durch Krieg, Folter, Todesstrafe.
Abschiebeverbot Für Menschen, die in ihr Heimatland ausreisen müssten, aber
dort zum Beispiel nicht medizinisch versorgt werden können.
18 Schwerpunkt Integration Interview
„Städte brauchen Migranten, und Migranten brauchen Städte“, sagen Sie. Warum?
Dr. Norbert Gestring: Migranten brauchen Städte wegen der
Arbeits- und Wohnungsmärkte, der sozialen Netzwerke und
der Vielfalt von Lebensweisen. Städte brauchen Migranten
allein schon aus demografischen Gründen: Deutsche Städte
ohne Zuwanderung werden dramatisch schrumpfen und mög-
licherweise Schwierigkeiten bekommen, ihre Infrastruktur auf-
rechtzuerhalten. Beispiele kann man schon jetzt studieren:
Städte im Ruhrgebiet oder an der Nordseeküste schrumpfen,
bis vor Kurzem auch Großstädte in Ostdeutschland.
An der Integration von Migranten entscheidet sich also die Zukunft einer Stadt?
In Hamburg haben ein Drittel der Bevölkerung einen Migrati-
onshintergrund. Das heißt: Sie sind selbst zugewandert oder
mindestens ein Elternteil ist zugewandert. Im bundesweiten
Vergleich ist das übrigens nicht besonders hoch, Frankfurt,
Stuttgart oder München liegen noch darüber. Bei den Unter-
18-Jährigen hat sogar jeder Zweite einen Migrationshinter-
grund. Die Integration dieser jungen Generation ist von zen-
traler Bedeutung für die zukünftige Stadtentwicklung!
Wie definieren Sie Integration? Und: Lässt sie sich messen?
Aus soziologischer Sicht bedeutet Integration die Eingliede-
rung von Menschen in die Kernbereiche der Gesellschaft, also
Wohnen, Gesundheit, Arbeit und Bildung. Wir sprechen hier
von Migrantinnen und Migranten, aber die Definition gilt für alle
Gruppen, man ist ja auch als Deutscher nicht automatisch in-
tegriert. Die zentrale Frage lautet also: Haben Menschen
Zugang zu diesen Kernbereichen und wie kann das gelingen?
Daraus können wir Indikatoren ableiten, um Integration zu
messen. Zum Beispiel der Kita-Besuch: Gibt es bei Familien
mit Migrationshintergrund im Schnitt weniger Kita-Kinder? Ist
die Arbeitslosigkeit unter Zuwanderern höher als in der übrigen
Bevölkerung? Ist die Wohnfläche pro Kopf bei Migranten gerin-
ger? Nicht mit einem Indikator allein, aber mit mehreren zu-
sammen kann man Integration durchaus messen.
Welche Faktoren tragen zu erfolgreicher Integration bei?
Integration ist ein zweiseitiger Prozess. Zum einen: Welche
Qualifikationen und Ambitionen haben die Zuwanderer? Zum
anderen: Wie aufnahmefähig sind die Arbeits- und Wohnungs-
märkte hier und wie aufnahmewillig sind die zentralen Akteure
in diesen Märkten? Sind also die Entscheider bereit, sich mit
Zuwanderung zu befassen und die Aufgaben anzugehen?
Die wichtigsten Voraussetzungen für Integration sind Sprache
Interview 19
„Städte ohne Zuwanderung werden dramatisch schrumpfen“Stadtforscher Dr. Norbert Gestring über Integration, Viertel mit vielen Migranten und die Aufgaben der Stadt
Der Soziologe Dr. Norbert Gestring forscht und lehrt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
und Bildung. Andererseits ist es wichtig zu fragen, ob es Dis-
kriminierung gibt – oder aber eine Selbstverständlichkeit ur-
banen Zusammenlebens, die Multikulturalität akzeptiert und
Migranten als gleichberechtigte Bürger ansieht.
Was steckt dahinter, wenn einzelne Stadtteile einen hohen Migrantenanteil haben?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Wenn es in einer Stadt nur
wenige Viertel mit preiswertem Wohnraum gibt, konzentrieren
sich dort einkommensschwache Bevölkerungsgruppen. In
diesen Gruppen ist aber der Migrantenanteil besonders hoch,
weil sie im Schnitt schlechter bezahlte Jobs haben. Also haben
viele Migranten keine andere Wahl, als sich in diesen wenigen
Stadtteilen niederzulassen.
Entscheidend ist dann aber die soziale Lage, nicht die Her-kunft der Menschen?
Genau. Es kann in Stadtteilen Probleme geben wegen der
Konzentration von Armut. Deshalb wäre es auch sinnlos, eine
Obergrenze für den Migrantenanteil in Stadtvierteln oder
Wohnanlagen festlegen zu wollen. Es kann mit einem hohen
Migrantenanteil gut laufen und mit einem geringen Migranten-
anteil schlecht. Das hängt vor allem von den sozialen Bezie-
hungen im Viertel ab. Mit statistischen Größen zu arbeiten –
zum Beispiel: bei mehr als 50 Prozent Migrantenanteil be-
kommt ein Stadtteil Probleme –, dafür gibt es keine wissen-
schaftliche Basis.
Der kanadische Autor Doug Saunders hat auf die Funktion sogenannter „Ankunftsstädte“ hingewiesen: Quartiere, in denen sich Migranten einer Nationalität niederlassen und von den Netzwerken derer profitieren, die schon länger da sind. So wie vor über 100 Jahren „Little Italy“ und „Little Germany“ in New York. Wäre heute ein „Little Iraq“ auch für Hamburg denkbar?
Die „Ankunftsviertel“ waren Enklaven, die sich über Jahrzehnte
bildeten und auf der Solidarität von Migranten gleicher Her-
kunft beruhten. Das kann man für irakische oder syrische
Flüchtlinge in Hamburg jetzt sicher nicht erwarten. Selbst wenn
sich eine Gruppe in einem Stadtviertel konzentrieren sollte:
Es kommt nicht auf die hohe Zahl an, sondern auf die Ver-
knüpfungen, die Netzwerke, die Weitergabe sozialen Kapitals.
Das müsste man derzeit durch sozialstaatliche Interventionen
unterstützen.
Was kann und muss die Stadt für Quartiere mit hohem Migrantenanteil tun?
Sie muss vor allem Verantwortung übernehmen. Dabei kann
sie bisherige Erfahrungen nutzen, etwa aus dem Städtebauför-
derungsprogramm „Soziale Stadt“. Eines muss klar sein: Diese
Quartiere brauchen Interventionen für lange Zeit, nicht nur für
zwei oder drei Jahre. Sinnvoll ist alles, was die Kommunikation
unter den Bewohnern im Stadtteil fördert, etwa die Einrichtung
nicht-kommerzieller Treffpunkte; dazu natürlich Sozialberatung
und Jobvermittlung. Hier sind auch Wohlfahrtsverbände und
Freiwillige gefragt, die Migranten etwa bei Behördengängen
begleiten.
Wie erfolgreich ist Deutschland bei der Integration?
Internationale Vergleiche sind extrem schwierig. Die USA und
Kanada haben zum Beispiel viele hoch qualifizierte Zuwande-
rer, daraus ergeben sich völlig andere Integrationsaufgaben als
derzeit in Deutschland, wo viele Flüchtlinge ankommen.
Zumindest kann man sagen: Deutschland steht nicht
schlecht da. Es gab bisher eine hohe Identifikation von Zuwan-
derern mit den Städten, in denen sie leben. Und wir haben
keine kollektive Gewalt von jugendlichen Migranten, keine
brennenden Vorstädte, wie in Frankreich. Bei Bildungsbeteili-
gung und Beschäftigung liegen junge Zuwanderer auch in
Deutschland zurück, selbst in der zweiten Generation. Aber die
Arbeitslosigkeit erreicht nicht ein solches Ausmaß wie in Frank-
reich oder Spanien.
25.000 Euro helfen jungen Flüchtlingen
Diakonie-Stiftung MitMenschlichkeit vergibt Förderpreise an drei Hamburger Projekte
Landespastor Dirk Ahrens hat im November 2016 drei Projekte ausgezeichnet, die sich in herausragender Weise für geflüchtete Kinder und Jugendliche einsetzen. Sie erhalten die jährlichen Förderpreise der Diakonie-Stiftung MitMenschlichkeit – insgesamt 25.000 Euro.
15.000 Euro gehen an die Arche Jenfeld mit dem Mentoring-Projekt
„Mutmacher“. Es richtet sich an junge Flüchtlinge, die in ihrer Familie
viele Aufgaben übernehmen müssen. Die eigenen Bedürfnisse
kommen da schnell zu kurz. Doch im Jugendhaus „Oasis“, direkt
neben der Arche Jenfeld, können sie Gleichaltrige treffen und selbst
Unterstützung erhalten, zum Beispiel beim Schulabschluss oder bei
der Suche nach Ausbildung und Arbeit.
Weitere Preisträger sind die Kirchengemeinde Schiffbek und Öjen-
dorf mit ihrem Kindertreff im Gemeindehaus (7.500 Euro) und die Di-
akonie Alten Eichen mit einer Jugendwohnung, in der jugendliche
Flüchtlinge mit Gleichaltrigen aus Hamburg leben (2.500 Euro, siehe
auch Statement auf S. 21).
www.mitmenschlichkeit.de Das Mentoring-Projekt „Mutmacher“ unterstützt junge Flüchtlinge.
Standpunkte 2120 Schwerpunkt Integration Standpunkte
Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, der auch
die Mehrheitsgesellschaft und ihre Institutionen verändert. Inte-
gration zu gestalten ist daher nicht nur eine staatliche Aufgabe.
Gerade das Jahr 2015 hat gezeigt, dass ohne zivilgesellschaft-
liches Engagement die öffentliche Verwaltung bei der Aufnahme
der geflüchteten Menschen überfordert gewesen wäre. Es war
und ist das ehrenamtliche Engagement vieler tausend Hambur-
gerinnen und Hamburger in den vielen hundert Initiativen, die das Wort Willkommenskultur mit echtem Leben gefüllt haben. Das Diakonische Werk Hamburg hat gemeinsam mit den
beiden Hamburger Kirchenkreisen viel investiert, um dieses eh-
renamtliche Engagement zu unterstützen, zu begleiten, zu ver-
netzen und durch Fortbildungen zu qualifizieren.
Zum zivilgesellschaftlichen Engagement gehört ebenso die
Arbeit all der Hauptamtlichen in den Verbänden, Trägern und
Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege. Ihre Professionalität
und Fachlichkeit sind das Rückgrat der Integrationsarbeit in dieser Stadt, und das seit vielen Jahren, lange bevor irgendje-
mand von „Willkommenskultur“ gesprochen hat. In einer städ-
tischen Einwanderungsgesellschaft sind Integrationszentren,
die Migrationsfachdienste für junge Menschen (JMD) und Er-
wachsene (MBE) oder die Zentrale Anlaufstelle für die Anerken-
nung ausländischer Abschlüsse keineswegs vorübergehende
Wie Integration die Stadt verändert– und die Diakonie
Spezialangebote, sondern notwendige Regeldienste. Wenn In-
tegration nachhaltig gelingen soll, brauchen Politik und Verwal-
tung in Hamburg die Freie Wohlfahrtspflege und ihre Kompetenz.
Die Diakonie steht dafür jetzt und in Zukunft mit der ganzen
Vielfalt ihrer Mitgliedseinrichtungen als Partner zur Verfügung.
Statt Spezialangebote für bestimmte Zielgruppen zu schaffen,
müssen vielmehr Schulen, Kitas und die sozialen und gesund-
heitlichen Regelsysteme so weiterentwickelt werden, dass sie
auch tatsächlich von allen genutzt werden können. Integration bedeutet also Barrierefreiheit in einem ganz umfassenden Sinn. Mit dieser Stoßrichtung beteiligt sich das Diakonische
Werk Hamburg zusammen mit den anderen Verbänden der
Freien Wohlfahrtspflege intensiv an der aktuellen Weiterentwick-
lung des Hamburger Handlungskonzeptes Integration. Und na-
türlich ist gelingende Integration auch eine Ressourcenfrage.
Zurzeit fließt viel Geld in unterschiedlichste Flüchtlingsprojekte.
Nachhaltiger wäre es aber, wenn auch die Strukturen und Regel-
angebote der sozialen Hilfesysteme gestärkt werden würden,
etwa durch Sprachmittlerinnen und Sprachmittler, ergänzende
Fachkräfte, fachliche Schulungen. Hamburg wächst sehr viel
schneller und vielfältiger, als noch vor einem Jahr gedacht. Und
darauf sind die Systeme bei weitem nicht adäquat vorbereitet.
Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Querschnitts-
„Seit Oktober sind wir weitgehend für die medizinische Versorgung in der Flüchtlingseinrichtung Schmiedekoppel verantwortlich. An zwei Tagen in der Woche betreiben wir dort eine kleine Arztpraxis mit zwei Mitarbeitenden. Für uns als Krankenhaus ist eine solche ambulante Einrichtung Neuland und schon deshalb sehr spannend. Aber am meisten beeindrucken uns die Menschen, die so viel Leid erfahren mussten; viele von ihnen sind auch gesundheitlich beein-trächtigt und brauchen unsere Hilfe. Oft können wir helfen, und dann macht unsere Arbeit einfach ganz viel Freude.“
Matthias Buschen, Projektleiter Agaplesion Diakonie- klinikum Hamburg
„Das Rauhe Haus hat in diesem Jahr in Kooperation mit der Sozial-behörde das Projekt ‚Gastfamilien für junge unbegleitete Flüchtlinge gesucht‘ gestartet. Die Resonanz von Familien aus fast allen Stadt-teilen war überaus beeindruckend. Das Besondere an diesem Pro-jekt ist die Bereitschaft von ‚normalen‘ Familien, sich auf junge Menschen mit einer fremden Kultur und traumatischen Erlebnissen einzulassen – dies begleitet von Fachkräften des Rauhen Hauses. Bisher konnten sieben Jugendliche untergebracht werden, weitere Anbahnungen laufen.“
Dr. Peter Marquard, Leiter Stiftungsbereich Kinder- und Jugendhilfe, Das Rauhe Haus
aufgabe geworden. Das zeigt sich auch daran, dass die Fort-
bildungen, die das Diakonische Werk Hamburg in diesem Feld
anbietet, inzwischen von Kolleginnen und Kollegen aus allen
diakonischen Arbeitsfeldern besucht werden. Neben den „klas-
sischen“ Angeboten der Migrations- und Flüchtlingsberatung
stellen sich verstärkt auch Träger und Einrichtungen der Kinder-
und Jugendhilfe, der Eingliederungshilfe oder etwa der Beschäf-
tigungsförderung den neuen Zielgruppen. Und in immer stär-
kerem Maße werden auch die Potenziale der Zugewanderten
entdeckt, nicht zuletzt als mögliche neue Mitarbeitende. So hat
das Diakonische Werk mit Mitteln der Stiftung Deutsches Hilfs-
werk das Projekt Job-Partner gestartet, um Flüchtlinge als qua-
lifizierte Fachkräfte für die Pflege, Kitas und andere soziale
Berufe zu gewinnen.
Vor diesem Hintergrund bleibt es notwendig, die Mitgliedsein-
richtungen bei der interkulturellen Qualifizierung zu unterstützen.
Der Landesverband bietet hierfür Fort- und Weiterbildungen für
Haupt- und Ehrenamtliche an. Zudem unterstützt das EU-geför-
derte Projekt „Türen öffnen – Vielfalt leben vor Ort“ Ansätze der
interkulturellen Gemeinwesenarbeit. Wir haben in den letzten
Monaten gelernt, dass wir in Kirche und Diakonie zwar auf einen
reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen können. Dennoch sind
die aktuelle Situation und die Notwendigkeit, eine Vielzahl von
geflüchteten Menschen in neue Wohnquartiere und bestehende
Nachbarschaften zu integrieren, auch für uns herausfordernd. In den Stadtteilen werden neue konzeptionelle Ideen, Koopera-tionen und kreative Lösungen für eine interkulturelle Quar-
tiersentwicklung gebraucht. Wir arbeiten daran, die vielfältige
Expertise unserer Mitglieder von der Gemeinwesendiakonie bis
hin zur psychosozialen Beratung auch auf bezirklicher Ebene
verfügbar zu machen. Zukünftig wird eine stärkere zielgruppen-
und arbeitsfeldübergreifende Zusammenarbeit auch über die
Grenzen der einzelnen Verbände hinweg nötig sein. Hier werden
wir uns in den nächsten Monaten daran beteiligen, exemplarisch
neue Kooperationsformen zu entwickeln.
Die derzeitige Entspannung bei der Erstaufnahme neuer
Flüchtlinge hat ein wenig mehr Besonnenheit in die Gesamtde-
batte gebracht, auch wenn die Ursachen für Flucht und Migrati-
on aus entwicklungspolitischer Sicht beileibe nicht beseitigt sind.
Die eigentlichen Aufgaben im Integrationsprozess liegen aber
noch vor uns. Wesentliche Voraussetzungen sind die Weiterent-
wicklung der Regelsysteme, eine ausreichende Finanzierung der
Integrationsarbeit sowie eine kreative interkulturelle Quartiers-
entwicklung in Kooperation von Stadt und Freier Wohlfahrtspfle-
ge. Mit der Erfahrung und Vielfalt unserer Mitgliedseinrichtungen
können und wollen wir dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
„Bei uns leben zwölf junge, unbegleitete Flüchtlinge gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern im Wohnheim unserer Fachschulen für Sozialpädagogik und werden dabei von pädagogischen und psychologischen Fachkräften betreut. Solch eine Einrichtung hatten wir zuvor nicht. Grund ist, den Geflüchteten das alltägliche Leben in Deutschland und unsere Kultur näher zu bringen und Perspektiven zu bieten. Wer möchte, kann in unseren Altenhilfe-Einrichtungen Praktika und bei entsprechender Eignung Ausbildungen im Pflege-bereich absolvieren. Es freut uns, dass das Angebot bereits einige in Anspruch genommen haben.“
Helga Kasemann, Diplom-Pädagogin und Projektleitung, Ambulante Jugendwohnung Alten Eichen für unbegleitete, junge Flüchtlinge
„Nachdem der Schwerpunkt mit dem Betrieb von drei Erstaufnah-meunterkünften zunächst auf der akuten Nothilfe lag, steht jetzt Unterstützung in Form von Sprachkursen und Patenschaftspro-grammen im Vordergrund. Die Begegnung zwischen Geflüchteten und Einheimischen ist meist die Initialzündung, mit der der Integra-tionsprozess Fahrt aufnimmt. Mit den Paten bekommt die zuvor fremde Gesellschaft ein Gesicht. Es ist eine Riesenchance, wenn sich Menschen direkt begegnen – und ein ungeheurer Motivations-schub fürs Deutschlernen. Spracherwerb und der Kontakt zwischen Alt- und Neu-Hamburgern sind DIE Schlüssel zur Integration.“
Andrea Abramowski, Integrationsmanagerin bei den Hamburger Johannitern
Gabi Brasch Vorstand Landesverband Diakonisches Werk Hamburg
Dr. Dirk Hauer Fachbereichsleiter Migration und Existenzsicherung Diakonisches Werk Hamburg
Die Ankunft tausender Flüchtlinge seit dem Sommer 2015 ist eine Herausforderung. Gabi Brasch und Dr. Dirk Hauer be-schreiben, was das aus Sicht der Diakonie Hamburg bedeutet und was es für nachhaltige Integrationsarbeit braucht. Zudem haben wir Mitgliedseinrichtungen gefragt, wie sie sich – auch mit neuen Projekten – auf die Situation eingestellt haben.
22 Schwerpunkt Integration Orte der Integration 23
Angekommen in den eigenen vier Wänden: Die Freiwillige
Meltem Demirel (r.) vom Diakonie-
Projekt Stadtteilmütter besucht
Bingül Michelova und ihre Fami-
lie zu Hause: Es gibt Tee, die
Frauen unterhalten sich auf
Türkisch (Michelova stammt aus
Bulgarien, gehört zur türkischen
Minderheit). Wie geht es dem
Dreijährigen in der Kita, wie
entwickelt sich der Kleine (links
mit seiner Tante)? Vor einem
halben Jahr wäre das noch
undenkbar gewesen. Michelova
war ihrem Mann gefolgt, der in
Hamburg jobbt. Nach Proble-
men mit einem Untermietvertrag
stand sie hochschwanger auf
der Straße. Mit Hilfe der Stadt-
teilmutter fanden sie zunächst
eine Pension, nach der Geburt
des Babys im Sommer sogar
eine Wohnung. Demirel begleitet
die Familie weiter. Nächstes Ziel:
ein Deutschkurs für Michelova
und ihren Mann.
Ein Interview mit der Stadtteil-
mutter sehen Sie hier:
www.diakoniehh.de/dm16-orte
Orte der Integration
Panorama 2524 Panorama
2017 treten gesetzliche Neuregelungen in Kraft, die viele tau-
send Hamburgerinnen und Hamburger betreffen: Für rund
51.000 pflegebedürftige Menschen gilt das neue System der
„Pflegegrade“. Für bis zu 200.000 Menschen mit Behinde-
rungen ändern sich viele Verfahren durch das Bundesteilhabe-
gesetz. Betroffen sind natürlich auch die Angehörigen und die
zahlreichen Einrichtungen und Dienste in Pflege und Behinder-
tenhilfe. Zwei Fachleute des Diakonischen Werkes Hamburg er-
läutern die Neuerungen.
Zur neuen Einstufung für Pflegebedürftige Katrin Kell,
Fachbereichsleitung Pflege und Senioren: „Ab 2017 gilt ein
neuer Begriff von Pflegebedürftigkeit, die bisherigen Pflegestu-
fen werden in Pflegegrade überführt. Im Mittelpunkt der Begut-
achtung stehen künftig nicht mehr Defizite und Verrichtungen,
sondern Ressourcen und Fähigkeiten, die differenzierter als
bisher betrachtet werden. Erstmals werden auch Menschen mit
eingeschränkter Alltagskompetenz entsprechend berücksich-
tigt. Für dieses neue Verständnis von Pflegebedürftigkeit hat
sich die Diakonie schon lange vehement eingesetzt.
Zur Umstellung auf das neue System haben wir unsere Mit-
gliedseinrichtungen umfassend informiert und beraten. Wir
haben ihnen auch Material an die Hand gegeben, mit dem sie
die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen informieren können.
Neu geregelt werden auch die Kosten. Als Spitzenverband
verhandelt das Diakonische Werk Hamburg über die Pflegesätze
Pflege und Teilhabe Was die neuen Gesetze für Hamburg bedeuten
Meldungen
Twitter-Rückblick www.twitter.com/DiakonieHH
Spendenparlament fördert Diakonie-Projekt Andocken mit 72.000 Euro. Vielen Dank! … @hamburgspendet #Medizin #Migranten
Das Geld reicht nicht mehr: 2016 droht weiterer Abbau der Offenen Kinder- und #Jugendarbeit in #Hamburg …
„Brot statt Böller“: An Silvester Freude teilen - @BROT_furdiewelt ruft zu Spenden auf …
Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 12. Nov 2015 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 26. Nov 2015 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 29. Dez 2015
Herzlichen Glückwunsch! #Bundesverdienstkreuz für Birgit Müller, Chefin des #Hamburger Straßen-magazins #Hinz&Kunzt …
#Prostitutionsgesetz: mehr Kontrolle als Schutz, besonders in #Hamburg …
Faktencheck von @hinz_und_kunzt zeigt: #Winter-notprogramm ganztags geht. Wir unterstützen die Forderung weiter!
Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 25. Jan 2016 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 04. Feb 2016 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 10. Feb 2016
Diakonie-Gottesdienste „mit Herzblut“
„Feiern mit Herzblut“: Unter diesem Motto steht der neue
Diakonie-Gottesdienst. Zum Auftakt im April ging es um
„Einigkeit & Flucht & Hoffnung“. Im Juli griff Diakonie-Chef
Landespastor Dirk Ahrens das Thema Wohnen auf, im Novem-
ber stand die Lebensgestaltung im Alter im Mittelpunkt. Der
Diakonie-Gottesdienst findet dreimal jährlich in Kooperation mit
der Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde statt, jeweils
sonntags um 18 Uhr in der Dreieinigkeitskirche am Hauptbahn-
hof.www.diakoniehh.de/diakoniegottesdienst
Starkes Bündnis gegen Wohnungsnot
Caritas, Diakonie, „Mieter helfen Mietern“ und der Stadtent-
wickler „Stattbau“ haben sich zum „Hamburger Bündnis für eine
neue soziale Wohnungspolitik“ zusammengeschlossen. Im Juni
2016 legte das Bündnis einen Ziel- und Maßnahmenplan vor.
Gabi Brasch, Vorstand im Diakonischen Werk Hamburg: „Die
Zahl der anerkannten, aber unversorgt bleibenden Wohnungs-
notfälle liegt bei mehr als 14.000 Haushalten.“ Die Stadt müsse
neue Prioriäten setzen.www.diakoniehh.de/wohnungsnot
DFA: Neuer Start mit bewährter Qualität
Anfang 2016 ging die Diakonische Fort- und Weiterbildungsaka-
demie (DFA) an den Start, eine gemeinsame Gründung des
Diakonischen Werkes und der Stiftung Das Rauhe Haus. Vorläu-
fer war die DFA der Diakonie, bei der das „A“ für „Anscharhöhe“
stand. Die Akademie bietet in bewährter Qualität Fort- und Wei-
terbildung für Pflege, Eingliederungshilfe und Krankenhaus. Die
neuen Räume der DFA liegen in Barmbek.www.dfa-hamburg.de
Statt Preiskampf: Tariflohn in der Altenpflege!
Kann ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag die Situation in der
Altenpflege verbessern? Darüber diskutierten im Februar 2016
Diakonie, Caritas, Paritätischer, „Pflegen und Wohnen“ sowie
die Gewerkschaft ver.di. Hintergrund: Bisher zahlt nur ein Teil
der Arbeitgeber nach Tarif, darunter die Diakonie. Andere zahlen
geringere Löhne und können deshalb ihre Leistungen billiger
anbieten. Ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag würde Min-
deststandards festlegen, an die sich alle halten müssen.
Stefan Rehm, Vorstand im Diakonischen Werk Hamburg, kriti-
siert: „Zurzeit haben wir einen teilweise ruinösen Konkurrenz-
kampf, der über die Löhne auch auf dem Rücken der Pflege-
kräfte ausgetragen wird.“ Letztlich würden darunter auch die
Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen leiden.
Im Jubiläumsjahr: Max-Brauer-Preis für den Mitternachtsbus
Der Mitternachtsbus der Diakonie mit seinem Team von 140 Eh-
renamtlichen hat den Max-Brauer-Preis 2016 erhalten. Die
Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. würdigte damit das langjährige so-
ziale Engagement: Seit 1996 fährt der Mitternachtsbus jeden
Abend durch die Innenstadt, um obdachlose Menschen mit dem
Nötigsten zu versorgen. Verliehen wurde der mit 20.000 Euro
dotierte Preis im September 2016. Im November 2016 feierte
der Mitternachtsbus, der sich allein aus Spenden finanziert, sein
20-jähriges Bestehen.www.mitternachtsbus-hamburg.de
Landespastor Dirk Ahrens predigt in der Dreieinigkeitskirche in St. Georg.
Ein Lichtblick in der kalten Stadt: Seit 20 Jahren ist der Mitternachtsbus der Diakonie Hamburg in der City unterwegs und versorgt obdachlose Menschen mit dem Nötigsten.
mit. Für den stationären Bereich verlief das sehr konstruktiv, die
Pflegeheime werden zunächst zusätzliches Personal einstellen
können. Für die ambulante Pflege waren die Verhandlungen
Ende 2016 noch im Gang.
Insgesamt begrüßen wir das Pflegestärkungsgesetz – es gilt
jedoch, die Chancen, die das Gesetz bietet, in der Praxis auch
umsetzen zu können.“
Zur Reform der Eingliederungshilfe Tanno Brysinski, Refe-
rent Soziale Teilhabe: „Das Bundesteilhabegesetz ist derzeit
noch im parlamentarischen Verfahren, soll aber Anfang 2017 in
Kraft treten. Es stellt die Ansprüche von Menschen mit Behinde-
rungen auf eine ganz neue Grundlage und reformiert die Einglie-
derungshilfe. Unter anderem soll die Teilhabe am Arbeitsleben
verbessert und die Beratung für Menschen mit Behinderung
ausgebaut werden.
Positiv ist, dass die UN-Behindertenkonvention umgesetzt
werden soll und ein modernes Teilhaberecht das bisherige Für-
sorgerecht ablöst. Aber die Diakonie hat schon früh davor
gewarnt, das System an Kostenersparnis auszurichten. Als
Problem sehen wir etwa den geplanten Begriff der ‚erheblichen
Behinderung‘, der psychisch erkrankte oder sinnesbehinderte
Menschen zu Verlierern der Reform machen könnte.
Die Diakonie Hamburg setzt sich ein für ein inklusives Teil-
haberecht für alle. An diesem Anspruch werden wir das neue
Gesetz messen.“
Zahlen und Fakten 27
z. B. Ehe-, Erziehungs- und Lebensberatung, Familienbildungsstätten, Mehrgenerationenhäuser
z. B. Pflegeheime, Diakoniestationen, betreutes Wohnen, Seniorentreffs
z. B. Krankenhäuser, Hospize, Krankenpflege-Fachschulen, Suchtkrankenhilfe
z. B. Wohngruppen, sozialpädagogische Lebensgemeinschaften, Jugendsozialarbeit
z. B. Schulen und Weiterbildung, Stadtteildiakonie, Betreuungsvereine, Rettungsdienste
„Mit Gott groß werden“ lautet das Motto in den Evangelischen Kitas
111 Angebote in der Familienhilfe 172 Evangelische Kindertagesstätten
244 Angebote in der Altenpflege und -hilfe361 Angebote in der Jugendhilfe 62 sonstige Angebote
Angebote für ganztägige Betreuung (GBS) und Ganztagsschule (GTS) z. B. Wohnungslosenhilfe, Schuldnerberatung, Beratung für Flüchtlinge, Telefonseelsorge
z. B. Wohnen, Werkstätten, Frühförderung, Beratungsstellen
33 Kooperationen mit Schulen 156 Angebote in besonderen Lebenslagen395 Angebote in der Behindertenhilfe
90 Angebote für Gesundheitsdienstleistungen
Die Diakonie ist die soziale Arbeit der evangelischen Kirchen.
Denn der Glaube an Jesus Christus und praktizierte Nächsten-
liebe gehören zusammen.
Das Diakonische Werk Hamburg ist zum einen Spitzenverband
der freien Wohlfahrtspflege, zum anderen unterhalten wir selbst
Hilfsangebote.
Als Spitzenverband vertreten wir die Interessen von 341 Trägern,
die bei uns Mitglied sind. Das Spektrum reicht von der Kita einer
Kirchengemeinde bis zu großen Trägern wie der Evangelischen
Stiftung Alsterdorf oder dem Rauhen Haus. Wir vertreten unsere
Mitglieder in Verhandlungen mit Staat und Kostenträgern,
beraten sie in rechtlichen, wirtschaftlichen und konzeptionellen
Fragen und bieten Fortbildungen an. 114 Mitarbeitende leisten
diese Verbandsarbeit.
Als Hilfswerk unterhalten wir selbst mehr als 20 Angebote für
die Menschen in der Großstadt. Dazu gehören etwa die Telefon-
Seelsorge, die Schuldnerberatung, das Diakonie-Zentrum für
Wohnungslose, die Erziehungs-, Ehe-, Partnerschafts- und
Lebensberatung oder das Frauenhaus. Im Hilfswerk arbeiten
125 Hauptamtliche.
Weil unsere Hilfe Menschen weltweit gilt, beteiligen wir uns an
der bundesweiten Aktion „Brot für die Welt“, unterstützen die
Diakonie Katastrophenhilfe und fördern Projekte in Hamburgs
Partnerstadt St. Petersburg.
In Hamburg hat das Diakonische Werk innovative Projekte initi-
iert wie etwa das Straßenmagazin Hinz&Kunzt, die passage gGmbH, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligten Menschen
eine berufliche Perspektive verschafft, oder die Zentrale Anlauf-
stelle Anerkennung.
Das Diakonische Werk Hamburg ist Mitglied der Diakonie
Deutschland – Evangelischer Bundesverband. Bundesweit gibt
es etwa 27.000 diakonische Einrichtungen und Dienste mit rund
450.000 hauptamtlich Mitarbeitenden. Die Diakonie ist Deutsch-
lands zweitgrößter Wohlfahrtsverband.
Liste aller Mitgliederwww.diakoniehh.de/mitglieder
Diakonie HamburgWer wir sind, was wir tun
26 Zahlen und Fakten
Twitter-Rückblick
Generalistische #Pflegeausbildung: Wir haben uns bei unseren Mitgliedern umgehört … #Bundestag
Freut uns sehr: Staatsministerin #Özoğuz und #Sozialsenatorin ehren Diakonie-Stadtteilmütter …
Glückwunsch! 13 Azubis der #Diakonie Hamburg gehören zu den Besten in der Pflege …
Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 18. Mär 2016 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 08. Apr 2016 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 31. Mai 2016
#Menschenkette steht! Tolles Zeichen für geregelte Zuwanderung, aktive Integration, echte europä-ische Sozialpolitik.
„Einigt Euch!“ Druck auf Volksinitiative u. Regie-rungsparteien #Flüchtlinge #Integration …
Gegen Hunger, für Gerechtigkeit! 1,2 Mio. € #Spenden @BROT_furdiewelt 2015 aus #HH Danke! …
Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 19. Jun 2016 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 06. Jul 2016 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 05. Aug 2016
www.twitter.com/DiakonieHH
Zahlen und Fakten 29
Gewinn- und Verlustrechnung 2015 So helfen Ihre Spenden
Schuldnerberatung, Beratung und Seelsorge150.070 €
Arztpraxis für Menschen ohne Papiere157.112 €
Sonstige (z. B. Partner-projekte in St. Petersburg)22.773 €
Angebote für Mädchen und Frauen in St. Georg und St. Pauli 64.945 €
Hilfe für Familien und Kinder 208.910 €
Besuchs- und Begleit-dienste 26.898 €
Hilfe für obdachlose Menschen723.528 €
Hilfe für Migranten und Flüchtlinge131.177 €
28 Zahlen und Fakten
Gesamtergebnis der Spenden2015 1.485.413 Euro 2014 1.240.784 Euro
Erlöse
Kirchliche Zuwendungen
Öffentliche Mittel
Spenden, Kollekten
Mitgliedsbeiträge
Erträge aus Dienstleistungen
Zinsen
Kosten
Personalkosten
Diakonischer Aufwand · Finanzhilfen
Sachkosten
Miete
Abschreibung
Landesverband und Hilfswerk
Landesverband und Hilfswerk
3.753.300 € 38,3% 2.324.500 € 23,6%
1.307.600 € 13,3% 5.026.900 € 51,1%
109.100 € 1,1% 1.405.100 € 14,3%
1.221.300 € 12,5%
2.903.600 € 29,6% 996.800 € 10,1%
510.800 € 5,2% 87.100 € 0,9%
Landesverband 234.100 € Hilfswerk 425.300 €
Jahresergebnis
5.486.000 € 57,3% 4.742.800 € 50,4%
1.453.900 € 15,2% 2.042.500 € 21,7%
1.718.500 € 18,0% 1.646.600 € 17,5%
760.000 € 7,9% 904.000 € 9,6%
153.200 € 1,6% 79.200 € 0,8%
2015 649.085 €2014 210.839 €
Bei Krisen und Naturkatastro-phen leistet die Diakonie Kata-strophenhilfe mit ihren Partnern vor Ort schnelle Nothilfe. Im Jahr 2015 stand – neben vielen „ver-gessenen Katastrophen“ – die Hilfe für die Erdbebenopfer in Nepal und in den Flüchtlings- lagern rund um Syrien und auf der Balkanroute im Fokus.
2015 1.261.191 €2014 1.193.872 €
Brot für die Welt unterstützt weltweit in mehr als 90 Ländern Projekte, die armen und ausge-grenzten Menschen helfen, ihre Lebenssituation zu verbessern. Ein großer Teil der Spenden kommt aus der traditionellen Kollekte an Heiligabend. Im Jahr 2015 kamen in Hamburg 522.800 Euro zusammen.
Spenden aus Hamburg: Spenden aus Hamburg:Risikobericht
Unser Jahresabschluss 2015 wird in Einzelabschlüssen dar-
gestellt. Der Abschluss für das Diakonische Werk Hamburg –
Landesverband weist ein Jahresergebnis von 234.100 Euro
aus. Das Diakonie-Hilfswerk Hamburg hat das Jahr 2015 mit
einem Ergebnis in Höhe von 425.300 Euro abgeschlossen.
Das Ergebnis 2015 hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Landesverband und Hilfswerk finanzieren sich zu einem
wesentlichen Teil aus kirchlichen Zuwendungen. Diese waren
im vergangenen Jahr stabil. Bei den Spenden und Nachlässen
hat das Diakonische Werk Hamburg gegenüber 2014 einen
Zuwachs zu verzeichnen. Bei den Ausgaben sind die Personal-
kosten gestiegen. Sie wurden aufgrund der tariflichen Verän-
derungen erhöht. Die Anzahl der Mitarbeitenden ist geringfügig
gestiegen.
2016 zeichnet sich eine stabile Entwicklung der kirchlichen und
öffentlichen Zuwendungen ab, sodass wir für das laufende
Jahr mit einer guten Entwicklung unserer wirtschaftlichen Lage
rechnen dürfen.
Twitter-Rückblick
Jetzt #bewerben: Wir haben noch freie #FSJ- und #BFD-Plätze für August und September! … #Hamburg #sozial #freiwillig
Wir lehnen den Gesetzentwurf des @BMFSFJ zum #SGBVIII ab – das ist Rück- statt Weiterentwick-lung … #Kita #Jugendhilfe
Landespastor Ahrens: #Integration ohne Willkom-menskultur ist nicht denkbar! Bewusstsein für die bes. Situation v. Zuwanderern wichtig #AdB16
Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 11. Aug 2016 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 26. Aug 2016 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 20. Sep 2016
Diakonie-Straßensozialarbeiter @johan_gra: #Ob-dachlosigkeit muss als gesellschaftliches Problem wahrgenommen werden, nicht als individuelles
#Diakonie #Hamburg ist jetzt auch bei #Facebook präsent! Schauen Sie doch mal vorbei: www.facebook.com/DiakonieHH/
18 Uhr, St. Petri: Start ins Jahr des #Reformations-jubiläums mit #inklusivem #Gottesdienst mit Bischöfin Fehrs und Landespastor Dirk Ahrens
Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 23. Sep 2016 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 23. Sep 2016 Diakonie Hamburg @DiakonieHH · 31. Okt 2016
www.twitter.com/DiakonieHH
30 Zahlen und Fakten
Herausgeber
Diakonisches Werk HamburgLandesverband der Inneren Mission e.V.
Königstraße 54
22767 Hamburg
Telefon 040 30 62 0-231
Fax 040 30 62 0-315
www.diakonie-hamburg.de
Konzeption und RedaktionMalte Habscheidt (verantwortlich), Anne Rütten
TexteDetlev Brockes, www.detlevbrockes.de
(Rückblick, Kurz erklärt, Interview, Panorama)
Anke Pieper, www.ankepieper.de (Reportage)
Zahlen und Fakten
Bianca Carstensen
Gestaltung
Stephanie Haase
Druck
Druckerei Zollenspieker Kollektiv GmbH, Hamburg
Papier
Gedruckt auf 100% Recyclingpapier,
zertifiziert mit dem Blauen Engel.
Auflage
11.000
Illustrationen Elisabeth Steuernagel (S. 4/5, 16/17)
Fotos Mauricio Bustamante (Umschlag, Intro, Reportage,
Orte der Integration, S. 27, 29), Annette Schrader (S. 3, 26,
27, 29), Tina Taege (S. 11), Fabian Hammerl (S.18), Arche Jenfeld (S.19), Stephan Wallocha (S. 20), M. Mensch (S. 21), Guido Kollmeier (S. 21, 29, 30), Marc Brinkmeier (S. 24),
Markus Scholz (S. 24, 26, 27), Diakonie Hamburg (S. 14,
21, 25, 29), Bundesarchiv – Bild_146-1985-021-09 (S. 15),
Diakoniearchiv (S. 15), Agaplesion Diakonieklinikum (S. 20), Alten Eichen (S. 21), Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. (S. 25),
Cordula Kropke (S. 29), Karin Desmarowitz (S. 29),
Anel Sancho – Brot für die Welt (S. 29),
Jens Grossmann – Diakonie Katastrophenhilfe (S. 29)
Stand November 2016
Impressum
TelefonSeelsorge: 0800 111 0 111 (gebührenfrei und anonym) www.telefonseelsorge-hamburg.de
Alle evangelischen Kindertagesstätten: www.eva-kita.de
Informationen über die Diakonie-Stiftung MitMenschlichkeit: www.mitmenschlichkeit.de
Die evangelischen Beratungsstellen: www.evangelische-beratung-hamburg.de
Kontakte und Links
So ist das Diakonische Werk Hamburg aufgebaut
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 2015
Landesverband 114 Mitarbeitende
Hilfswerk 125 Mitarbeitende
Mitglieder 2015
Rechtsträger 341
Diakonische Angebote 1.734
Mitarbeitende rund 20.000
Aufsichtsrat Landesverband
Mitgliederversammlung
Vorstand
Hilfswerksausschuss
Vorsitzender des Aufsichtsrates
Pastor Dr. Torsten Schweda Ev.-Luth. Diakonissenanstalt Alten Eichen
Vorsitzender des Hilfswerksausschusses
Propst Dr. Karl-Heinrich Melzer Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein
Fachbereiche FachbereicheFachbereiche
Vorstand Landesverband 1Gabi Brasch
Vorstand Landesverband 2Stefan Rehm
Vorstand Diakonie-HilfswerkPastor Dr. Tobias Woydack
Migration und Existenzsicherung Kinder- und Jugendhilfe Freiwilliges Engagement Weltweite Diakonie
Innenrevision Datenschutzbeauftragte Mitgliederbetreuung/Arbeitsrecht
Qualitätsmanagement
Eingliederungshilfe/Finanzierung Pflege und Senioren Finanz- und Rechnungswesen/IT Personal Zentrale Dienste
Familie und Senioren Existenzsicherung Beratung und Seelsorge Migrations- und Frauensozialarbeit
Stabsstellen
Evangelische Profilberatung
Information und Öffentlichkeitsarbeit
Fundraising
Stabsstellen
Stabsstelle
VorstandsvorsitzenderLandespastor Dirk AhrensDer Vorstand (v.l.): Stefan Rehm, Gabi Brasch,
Dirk Ahrens, Dr. Tobias Woydack
Diakonisches Werk Hamburg Königstraße 54 22767 Hamburg Telefon: 040 30 62 0-0 [email protected] www.diakonie-hamburg.deFacebook: www.facebook.com/DiakonieHH Twitter: www.twitter.com/DiakonieHHNewsletter: www.diakoniehh.de/newsletter
ServiceTelefon Kirche und Diakonie Hamburg 040 30 62 0-300
Ihre Chance zum Engagement: www.freiwillig-diakonie-hamburg.de
Das Pflege-Portal mit Online-Suche nach freien Heimplätzen, Pflege- oder Besuchs-diensten in der Nähe, Informationen u. a. zu Wohnformen im Alter und zu Demenz: www.pflege-und-diakonie.de
Das Service-Portal der evangelisch-luthe-rischen Kirche: Angebote, Veranstaltungen, Visitenkarten aller Kirchengemeinden: www.kirche-hamburg.de
Impressum 31
Diakonisches Werk Hamburg Königstraße 54 | 22767 Hamburg | www.diakonie-hamburg.de
Hier wird geschraubt, geölt
und gepumpt. An der Wand
sind Werkzeuge, Ersatzteile
und Reifen aufgereiht. In der
Selbsthilfe-Fahrradwerk-statt für Flüchtlinge der Kirchengemeinde Niendorf können die Bewohner der nahe
gelegenen Unterkünfte mit
Unterstützung eines Teams aus
Ehrenamtlichen ihre Räder
reparieren. Heute ist Abdul (M.)
aus Afghanistan gekommen.
Erst hat er ein Quietschen am
Lenker beseitigt. Jetzt ist das
kaputte Rücklicht dran. Die
Verständigung ist nicht immer
einfach, aber die gemeinsame
Arbeit funktioniert – ein biss-
chen Deutsch, etwas Englisch,
der Rest mit Händen und
Füßen. Die Werkstatt startete
im Herbst 2015 im Keller der
Kleiderkammer der Kirchenge-
meinde in Niendorf. Seit April
2016 hat sie ein neues Zuhau-
se in einem alten Blumenladen
am Friedhof gefunden, öffnet
donnerstagnachmittags immer
für vier Stunden.
Mehr über das Projekt unter:
www.diakoniehh.de/dm16-orte
Orte der Integration
Magazin