Anmerkungen zum Beitrag von Biervert, Monse, Rock und Siedt über Selbstorganisation von...

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367 Klaus Schmidbauer und Klaus Wieken Anmerkungen zum Beitrag von Biervert, Monse, Rock und Siedt tiber Selbstorganisation von Verbrauchern in ZVP, 5, I98I/I+2 Untersuchungen iiber gemeinsames und organisiertes Handeln von Verbrauchern weisen nicht selten einen doppelten Mangel auf; es wird leider h~iufig ein sehr enger theoretischer Untersuchungsansatz zugrundegelegt, welcher der Komplexit~it des Bereiches nicht gerecht werden kann, zum anderen erweist sich bei empirischen Untersuchungen - sofern sie iiberhaupt durchgefiihrt werden - die Datenbasis als ~uflerst schmal: Es ist daher sehr zu begrtif~en, daft Biervert et al. in ihre Untersuchung auch Ansiitze z. B. der Neuen Politischen (Skonomie und der Partizipationsforschung einbezogen haben. Die geringe Datenbasis ist weniger den Autoren als den tatsiichli- chen Verh~ltnissen auf dem Gebiet des Untersuchungsgegenstandes zuzuschreiben. Auch wenn wir die Gesamtanlage der vorliegenden Untersuchung ausdrticklich begriiflen, well sie fiir eine weitere Diskussion eine Reihe von fruchtbaren Anregun- gen gibt, so sind wir in einigen Punkten doch anderer Auffassung. Gerade im Zusammenhang mit Fragen der Aktionsforschung ist fiir empirische Untersuchungen bei der Planung des Untersuchungsdesigns und der Operationalisie- rung der Hypothesen gr6flte Sorgfalt notwendig. Bei der dem Beitrag yon Biervert et al. zugrunde liegenden Untersuchung mii£te besonders deutlich unterschieden wer- den zwischen der im Rahmen einer Befragung verbalisierten Bereitschaft, sich als Vereinsmitglied in seinem Verein aktiv zu beteiligen, und dem in praxi zu beobachten- den tatsiichlichen Verhalten. Eigene Untersuchungen haben gezeigt, dab bei Personen, die auf eine hypothetisch projektive Frage ihr verbales Interesse an der Mitarbeit in einem Verbraucherverein bekunden (5o%), diese vermeintliche Aktivitiitsbereitschaft deutlich absinkt, je konkreter die Frage iiber Einzelheiten dieses bekundeten Engage- ments werden. F~ihrt man zur Kontrolle zusiitzlich z. B. die Zeitvariable ein (also wieviel Stunden pro Woche, Monat ... man fiir eine solche Mitarbeit aufbringen k6nne), so zeigt sich, daft etwa jeder ftinfte der urspriinglich Aktivierbaren nun ausdriicklich zugibt, doch kein Interesse an der Mitarbeit in einem Verbraucherverein zu haben (IfaV, I978, Teil 4)- .Khnliche Mechanismen sind bei der Befragung von Vereinsmitgliedern fiber ihr >~faktischesAktivit~tsspektrum,, (Biervert et al., Tab. 2) zu erwarten; es wtirde sogar nicht iiberraschen, wenn aufgrund von Phiinomenen der social desirability dieser Bias bei Vereinsmitgliedern noch h6her als bei Nicht-Ver- einsmitgliedern w~ire. DaB die zwingende Trennung zwischen den Variablen (geleistete faktische) Aktivi- t~it und der Einstellungsvariablen Aktivierbarkeit den Autoren nicht ganz klar ist, folgt auch aus der im empirischen Teil des Artikels angewandten Terminologie. Obwohl man dem Artikel entnehmen kann, daft die abhiingige Variable durch die Anzahl an~ef/~hrter Aktivitiiten in verschiedenen Klassen gemessen wird, wird ganz

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Klaus Schmidbauer und Klaus Wieken Anmerkungen zum Beitrag von Biervert, Monse, Rock und Siedt tiber Selbstorganisation von Verbrauchern in ZVP, 5, I98I/I+2

Untersuchungen iiber gemeinsames und organisiertes Handeln von Verbrauchern weisen nicht selten einen doppelten Mangel auf; es wird leider h~iufig ein sehr enger theoretischer Untersuchungsansatz zugrundegelegt, welcher der Komplexit~it des Bereiches nicht gerecht werden kann, zum anderen erweist sich bei empirischen Untersuchungen - sofern sie iiberhaupt durchgefiihrt werden - die Datenbasis als ~uflerst schmal: Es ist daher sehr zu begrtif~en, daft Biervert et al. in ihre Untersuchung auch Ansiitze z. B. der Neuen Politischen (Skonomie und der Partizipationsforschung einbezogen haben. Die geringe Datenbasis ist weniger den Autoren als den tatsiichli- chen Verh~ltnissen auf dem Gebiet des Untersuchungsgegenstandes zuzuschreiben.

Auch wenn wir die Gesamtanlage der vorliegenden Untersuchung ausdrticklich begriiflen, well sie fiir eine weitere Diskussion eine Reihe von fruchtbaren Anregun- gen gibt, so sind wir in einigen Punkten doch anderer Auffassung.

Gerade im Zusammenhang mit Fragen der Aktionsforschung ist fiir empirische Untersuchungen bei der Planung des Untersuchungsdesigns und der Operationalisie- rung der Hypothesen gr6flte Sorgfalt notwendig. Bei der dem Beitrag yon Biervert et al. zugrunde liegenden Untersuchung mii£te besonders deutlich unterschieden wer- den zwischen der im Rahmen einer Befragung verbalisierten Bereitschaft, sich als Vereinsmitglied in seinem Verein aktiv zu beteiligen, und dem in praxi zu beobachten- den tatsiichlichen Verhalten. Eigene Untersuchungen haben gezeigt, dab bei Personen, die auf eine hypothetisch projektive Frage ihr verbales Interesse an der Mitarbeit in einem Verbraucherverein bekunden (5o%), diese vermeintliche Aktivitiitsbereitschaft deutlich absinkt, je konkreter die Frage iiber Einzelheiten dieses bekundeten Engage- ments werden. F~ihrt man zur Kontrolle zusiitzlich z. B. die Zeitvariable ein (also wieviel Stunden pro Woche, Monat . . . man fiir eine solche Mitarbeit aufbringen k6nne), so zeigt sich, daft etwa jeder ftinfte der urspriinglich Aktivierbaren nun ausdriicklich zugibt, doch kein Interesse an der Mitarbeit in einem Verbraucherverein zu haben (IfaV, I978, Teil 4)- .Khnliche Mechanismen sind bei der Befragung von Vereinsmitgliedern fiber ihr >~faktisches Aktivit~tsspektrum,, (Biervert et al., Tab. 2) zu erwarten; es wtirde sogar nicht iiberraschen, wenn aufgrund von Phiinomenen der social desirability dieser Bias bei Vereinsmitgliedern noch h6her als bei Nicht-Ver- einsmitgliedern w~ire.

DaB die zwingende Trennung zwischen den Variablen (geleistete faktische) Aktivi- t~it und der Einstellungsvariablen Aktivierbarkeit den Autoren nicht ganz klar ist, folgt auch aus der im empirischen Teil des Artikels angewandten Terminologie. Obwohl man dem Artikel entnehmen kann, daft die abhiingige Variable durch die Anzahl an~ef/~hrter Aktivitiiten in verschiedenen Klassen gemessen wird, wird ganz

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beliebig diese Variable mal ,,Aktivit~itsniveau,</~Aktivit~itsgrad,< (S. I i, i2, i4, I6, z. B.), mal ,>Aktivierbarkeit,< (S. 9, I2, z. B.) genannt.

Auch die yon Biervert et al. angewandte Analysemethode gibt Anlat~ zu einigen Bemerkungen. Die Autoren ~ut~ern zwar grunds~itzlich methodische Bedenken tiber die Zul~issigkeit, die vorliegenden Daten einer (multivariaten) Regressionsanalyse fiir die Erkl~irung ihres ~,Aktivit~itsmodells<~ zu unterziehen; implizit bezweifeln sie damit die Giiltigkeit ihrer Ergebnisse. Sie vers~iumen es aber offenbar, aus dieser Erkenntnis fruchtbare Konsequenzen zu ziehen, welche nich t nur di e angesprochene Skalierungs- problematik, sondern auch das explizit ausgesparte Problem der Multikollinearit~it zumindest handhabbarer machen (Kim, I975; Opp, i976; Opp & Schmidt, i976 ).

Bei der Bewertung der Selbstorganisation der Verbraueher sind die Autoren der Meinung, die Bereitschaft yon Verbrauchern, in organisierter Form aktiv ihre Interessen wahrzunehmen, weise auf einen grundlegenden Wandel des Verbraucher- bewut~tseins hin (Biervert et al., S. 4). Wir sind jedoch der Meinung, daft die bestehenden und befragten Verbrauchervereine eher als Relikte einer Zeit anzusehen sind, in der Problemen des Verbrauchs eine gr6t~ere Bedeutung beigemessen wurde und eine st~rkere Bereitschaft zur Selbstorganisation bestand,

Aktivit~iten von Verbrauchern, die etwa i972/73 in der bundesweiten Aktion ,,Gelber Punkt% einer Vielzahl von lokalen Initiativen, Schwarzbiichern und sponta- nen Protestaktionen sowie der Konsumerismusbewegung in den USA ihren Ausdruck fanden, sind seit einigen Jahren kaum noch anzutreffen. Dies ist nicht, wie ebenfalls vermutet werden k6nnte, auf fehlende Anl~isse zuriickzufiihren, sondern muff eindeutig mit nachlassender Bereitschaft der Verbraucher zur Vertretung der eigenen Interessen erkl~irt werden. Einige der 6ffentlich gewordenen Aff~iren dieses Jahres

- etwa Ostrogen-Riickst~inde im Kalbfleisch und massive Benzinpreiserh6hungen - haben einen gr6f~eren direkten und indirekten Einflufl auf die Verbraucher als s~imtliche Anl~isse, die in der Vergangenheit zu vehementen Protesten fiihrten.

Ein deutliches Indiz fiir unsere These ist auch das fast widerstandslose Hinnehmen des Abbaus wichtiger Bestimmungen des Umweltschutzes in der Bundesrepublik und besonders sichtbar im Augenblick in den Vereinigten Staaten. Falls Verbraucherpro- bleme aufgegriffen werden, so geschieht dies h6chstens im Zusammenhang mit anderen Problemen oder in Biirgerinitiativen. Das Engagement aus der amerikani- schen Konsumerismusbewegung wurde weitgehend von dem Kampf gegen den Viemam-Krieg abgel6st, w~ihrend sich in der Bundesrepublik die Aktivit~iten auf die Anti-Atomkraftbewegung und in Biirgerinitiativen verlagerten. Viele Biirger werden heute in Bereichen t~itig, die auf~erhalb des Marktes liegen und in denen hoheitliches Handeln besonders h~iufig ist. Die von Biervert et al. vorgelegten empirischen Ergebnisse stiitzen unsere Annahme, dab private Verbraucherorganisationen keine Reaktion auf das ,~Ende der scheinbar krisenfreien Entwicklung der Bundesrepublik~ (Biervert et al., S. x) sind, sondern bestenfalls erg~inzend in jenen Bereichen t~itig sind, in denen die Arbeit der staatlich finanzierten Verbraucherorganisationen nicht effektiv genug ist.

Unsere Hypothese, die yon einem gesunkenen Interesse der Biirger an Verbrau- cherproblemen ausgeht, k6nnte durch eine vergleichende Inhaltsanalyse verbraucher- relevanter Beitr~ige in den Medien iiberpriift werden. Als Vergleichszeitraum k6nnten die Jahre I973 und i98o gew~ihlt werden. Falls unsere Annahme zutreffend ist, wiirde es fiir die Selbstorganisation der Verbraucher bedeuten, dai~ Erfolge am ehesten durch

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eine Ausweitung des Modells der selektiven Anreize erreichbar sind. Den Autoren ist beizupflichten, da£ bisher erst sehr wenige der denkbaren Anreize genutzt werden. Es ist daher bedauerlich, daf~ eine Diskussion m6glicher Anreizsysteme in diesem Beitrag v611ig ausgeklammert wird, zumal solche Anreize nicht ausschlielSlich auf den materiellen Bereich beschr~inkt sein miissen.

Literatur

IfaV (1978). M~Sgliehkeiten der Verbraucher zur Beteiligung am Prozefl der Information und Beratung. Teil 2 und Teil 4. K61n: Institut fiir angewandte Verbraucherfol:schung.

Kim, J. O. (I975). Multivariate analyses of ordinal variables. American Journal of Sociology, 80, 261-298. Opp, K. D. (I976). Methodologie der Sozialwissenschaften. Reinbek: Rowohlt. Opp, K. D. & Schmidt, P. (1976). Einfiihrung in die Mehrebenenanalyse. Reinbek: Row'ohlt.

Die Autoren

Klaus Schmidbauer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter, Klaus Wieken gesch~iftsfiihrendes Vorstandsmitglied des Instituts fiir angewandte Verbraucherforsehung, Aachener Stra£e 89, D-5ooo K61n 4o.