Ansprüche – Chancen – Problembereiche · Konzept und empirische Befunde zu Steuergruppen 3....

Lehrstuhl für SchulpädagogikAkad. Direktor Dr. Nikolaus Schröck

Wer steuert wie die gute Schule? 13. November 2009

Steuergruppen in Schulentwicklungsprozessen

Ansprüche – Chancen – Problembereiche



Steuergruppen„… führen zu einem völlig neuen Verständnis von Schule: Eine Schule mit Steuergruppe ist nicht mehr hierarchische Bürokratie und nicht mehr nachgeordnete Dienststelle, sondern auf dem Weg zur selbstständigen Schule.“… werden … zum kollektiven Gedächtnis, sogar – indem sie Normen und Regeln etablieren – zur »moralischen Instanz« “

(Rolff 2006)

Zielvereinbarung auf der Grundlage der externen Evaluation„Installierung einer Steuergruppe, die ein Leitbild erstellt und auf die Umsetzung durch alle an der Schule beteiligten Personengruppen achtet “



Sind Steuergruppen für Schulen immer eine kluge Maßnahme?



Überblick1. Schulentwicklung2. Konzept und empirische Befunde zu

Steuergruppen3. Qualitativ-rekonstruktive Studie zur

Handlungspraxis von Steuergruppen4. Anregungen für die Praxis



• Steigende gesellschaftliche Anforderungen an Schulen durch

sozialen Wandel (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 1994, Stanat 2006)

gravierende Mängel des Schulsystems (vgl. Baumert et al. 2003, Klieme 2004)

• Paradigmenwechsel von der Input- zur Outputsteuerung

von den Inhalten zu den Kompetenzenvom Lehren zum Lernen (Rolff 2007)

Schulentwicklung



• Paradigmenwechsel in der Steuerung von Reformprozessen (vgl. Altrichter 2006)

• Schule als lernende Organisation sollsich aktiv selbst verändernauf Herausforderungen gestaltend eingehen

• Einzelschule als Akteur der SchulentwicklungPädagogische Handlungseinheit (Fend1986)

Institutioneller/Korporativer Akteur (Fend 2008)

Motor der Entwicklung (Rolff 2007)

Schulentwicklung

Komplexitätssteigerung für Schulen



„Schulentwicklung nennt man systematische,längere Zeit andauernde Maßnahmen zu Ver-änderung der Lernbedingungen und andererdarauf bezogener Faktoren in einer oder mehrerenSchulen zu dem Zweck, die Ziele der Schuleeffektiver zu realisieren.“ (Velzen/Miles/Ekholm et al. 1985)

Schulentwicklung

Steuergruppen



• Zusammensetzung als Mikrokosmos der Schule• Change Agents in Schulentwicklungsprozessen• Bindeglied zwischen Schulleitung und Kollegium• Initiierung, Koordination und Management von

Qualitätsentwicklungsprojekten• Leitung von Evaluationen• Übernahme von Verantwortung

„Vorwegnahme eines mittleren Managements“(Altrichter et al. 2006)

Steuergruppen

Konzeption und Aufgaben



Steuergruppen:

Empirische Befunde

• Aufgaben von Steuergruppen weisen engen Bezug zur Schulleitung auf (Holtappels 2007)

• Steuergruppen stellen einen neuen kollektiven Akteur in Schulen dar (Berkemeyer/Holtappels 2006)

• Steuergruppen irritieren (Altrichter/Messner/Posch 2004)



Steuergruppen

Qualitativ-rekonstruktive Studie (Schröck 2009):

• Welche Orientierungen bestimmen die Handlungspraxis von Steuergruppen?

• Wie verorten sich Steuergruppen in schulischen Strukturen?

Fragestellung



Methodisches Vorgehen:

Datenerhebung/Datenauswertung• Gruppendiskussionen mit

Steuergruppen, Schulleiter(inne)n, Trainer(inne)n für Unterrichtsentwicklung

• Auswertung mit der dokumentarischen MethodeRekonstruktion der handlungsleitenden Orientierungen



Methodisches Vorgehen: Methodologische Grundannahmen (Mannheim 1964)

1. Kommunikatives Wissen - Konjunktives Wissen

2. Handlungsleitendes, habitualisiertes Wissen basiert auf kollektiv geteilten, konjunktiven Erfahrungen

• theoretisches, generalisierendes Wissen

• bewertende, normative Aussagen über die Handlungspraxis oder das Selbstbild

• kann von den Probanden und Probandinnen expliziert werden

• erfahrungsbasiertes, atheoretisches, habitualisiertes Wissen

• bestimmt das Welt- und Selbstbild und die Handlungspraxis

• implizites Wissen, das den Probanden und Probandinnen nicht reflexiv zugänglich ist



Ergebnisse:Welche Orientierungen bestimmen die Handlungspraxis von Steuergruppen?

• Hierarchie als zentrale OrientierungSteuergruppen zwischen Schulleitung und KollegiumSteuergruppen zwischen Macht und Akzeptanz



Zentrale Ergebnisse:TypenbildungUmgang mit Hierarchie• Typ1:

Agieren im Modus der Abarbeitung• Typ 2:

Agieren im Modus der schulentwicklerischenDeutungshoheit

• Typ 3:Agieren im Modus der Nebenregierung

• Typ 4:Agieren im Modus aufgabenorientierter Professionalität



Typ 1: Agieren im Modus der Abarbeitung• Reagieren auf Impulse von

höheren Hierarchiestufen• Einordnung in Hierarchie• Berücksichtigung der

Autonomie der Lehrkräfte• Vermeidung von Konflikten

durch geringe eigene Aktivität

Dm (2) Also ne interessante Frage is@(natürlich welche Rolle spielt der Schulleiter)@ und inwiefern hat er dieses Projekt vorangetrieben und teilweise auch geschultert und inwiefern hat das Kollegium mitgezogen und auch mitgeschultert. war ja für uns immer auch die Kernfrage und eh ich denk der Schulleiter hatte ne starke Position und aus der starken Position heraus war er auch Motor.

Xm Genau, die treibende Kraft

Steuergruppe als unscheinbarer Mitläufer extern initiierter Prozesse



Typ 2: Agieren im Modus der schulentwicklerischen Deutungshoheit

• Anspruch auf Deutungshoheit im Bereich der Schulent-wicklung

• Suche nach Autonomie innerhalb der Hierarchiestruktur

• Standpunkt außerhalb des Kollegiums

• Konflikte durch Konkurrenz mit der Schulleitung und durch Bevormundung des Kollegium

Dw Aber ich versteh scho uns weiterhin als so ein Gremium des des da irgendwie des Ohr am Puls hat und und dann eben sagt was is angesagt als nächstes. damit‘s eben des was an positiven Strömungen da is netwieder versandet

Steuergruppe als verkanntes Expertengremium für Schulentwicklung



Typ 3: Agieren im Modus der Nebenregierung• Positionierung neben oder über

der Schulleitung• Abstimmung ihres Handelns

auf machtstrategische Implikationen

• Wenig inhaltliche Auseinander-setzung mit dem Schul-entwicklungsprozess

• Instrumentalisierung durch Schulleitung

Cm … sondern äh es is auch bei uns hier in der Steuergruppe so dass die Anstöße net vom Schulleiter kommen. sondern die die kommen vorwiegend aus der Gruppe heraus. von den Lehrernund dann äh äh wird ja so was erst a mal diskutiert und dann weiter gedacht. und dann die Lösung die hier gefunden wird auch dann von der Schulleitung gleich oder im Lehrerzimmer umgesetzt.

Die Steuergruppe möchte Spieler sein, wird aber eher zum Spielball



Typ 3: Agieren im Modus der Nebenregierung• Positionierung neben oder über

der Schulleitung• Abstimmung ihres Handelns

auf machtstrategische Implikationen

• Wenig inhaltliche Auseinander-setzung mit dem Schul-entwicklungsprozess

• Instrumentalisierung durch Schulleitung

Cm … sondern äh es is auch bei uns hier in der Steuergruppe so dass die Anstöße net vom Schulleiter kommen. sondern die die kommen vorwiegend aus der Gruppe heraus. von den Lehrernund dann äh äh wird ja so was erst a mal diskutiert und dann weiter gedacht. und dann die Lösung die hier gefunden wird auch dann von der Schulleitung gleich oder im Lehrerzimmer umgesetzt.

Die Steuergruppe möchte Spieler sein, wird aber eher zum Spielball

Bm … (.) und sie hat, um auf die Rolle von vorhin wieder zurück zukommen auch ne wichtige Funktion in dem Sinne dass die Steuergruppe von sich aus bestimmte Dinge vorantreiben kann die ich nicht direkt

Dw ⎣ JaBm vorantreiben kann; also sozusagen als

(.) indirekter Motor von mir; dass man da was reinbringt (.) macht ihr doch mal (.) oder wie seht ihr des, ob ihr des könnt? so dass die Steuergruppe an manchen Dingen sehr viel effektiv weiter kommt als ich des direkt machen könnte.



Typ 4: Agieren im Modus aufgabenorientierter Professionalität

• Verständnis als Projektgruppe• Arbeit für das Kollegium und in

dessen Auftrag• Akzeptanz der Schulleitung bei

gleichzeitiger Autonomie und Unabhängigkeit

• Vermeidung von Konflikten durch klare Aufgabendefinition und eindeutige Legitimation durch das Kollegium

Am … im Wesentlichen sind wir eine äußer- von außen bestimmten Aufgaben (.) gesetzte Gruppe; und diese Aufgaben für das Kollegium die ( ) das Gesamt-kollegium erst mal so nicht leisten können (2) und äh für die machen wir hier die Arbeit; aber das is jetz nich eine Gruppe die […]als Idee hat Schulentwicklung […] und wir wollen jetzt mal was voran bringen; natürlich wollen wir auch was voran bringen aber der Impuls is erst mal von außen; so °erst mal gesetzt°

Steuergruppe als pragmatisch Gestaltende



Wie sind Steuergruppen in schulischen Strukturen verortet?

• Steuergruppen verstoßen gegen das Autonomie-Paritäts-Muster (vgl. Lortie 1974, Altrichter/Eder 2004)

• Steuergruppen sind nicht in der formalen Hierarchiestruktur der Schule verankert(vgl. Giddens 1988, Rüegg-Stürm 2003)

• Steuergruppen tendieren zu organisationalem statt professionsorientiertem Handeln, das vom Kollegium hierarchisch gedeutet wird(vgl. Krainz-Dürr 2000)



Steuergruppen …

Annahmequote einer Innovation (rate of adoption) wird beeinflusst durch:1. Relative advantage – der von den Anwendern wahrgenommene Vorteil im

Vergleich zur vorhergehenden Praxis 2. Compatibility – Vereinbarkeit der Innovation mit in der Organisation gültigen

Werten und Normen3. Complexity – Komplexität der Innovation und damit indirekt ihre

Verständlichkeit4. Triability – Möglichkeit die Neuerung zu testen und experimentierend eigene

Erfahrungen zu machen5. Observability – Beobachtbarkeit der Auswirkungen der Innovation bei bereits

fortgeschrittenen Anwendern(Rogers 1995, S. 206)

… „sind eine der bedeutsamsten Innovationen in der jüngeren Schulgeschichte“ (Rolff 2007, S. 97)



Steuergruppen als Innovation1. Relative advantage

Steuergruppenarbeit wird dann als relativer Vorteil wahrgenommen, wenn bereits vor der Einführung von Steuergruppen Schulentwicklungsprozesse stattgefunden haben

2. CompatibilityWenn Steuergruppen nicht in Hierarchiestrukturen verortet sind, erhöht sich der Widerstand gegen ihre Arbeit

3. ComplexityDas Globalkonstrukt Schulentwicklung erschwert es die Innovation Steuergruppe zu verstehen und erzeugt so Widerstand

4. TriabilityVerfügen Schulen über keine Vorerfahrung mit Arbeitsgruppen in Schulentwicklungsprozessen ist die Implementation unwahrscheinlicher

1. ObservabilityDie Akzeptanz von Steuergruppen erhöht sich, wennn die Ergebnisse ihrer Arbeit transparent sind und ihnen zugeordnet werden können




Aspekte:1. Steuergruppen oszillieren in der formalen

Struktur der Schule2. Steuergruppen stören die vorhandene Kultur von

Schulen3. Steuergruppen erhöhen Komplexität statt sie zu

reduzieren




Aspekte:1. Steuergruppen oszillieren in der formalen

Struktur der Schule2. Steuergruppen stören die vorhandene Kultur von

Schulen3. Steuergruppen erhöhen Komplexität statt sie zu

reduzieren

„Mhm.Bloß seh ich jetzt da noch net wo da dann der Platz für die Steuergruppe ist?“



Anregungen für die Praxis

• Mit Projektgruppen beginnen• Vorhandenes mittleres Management

(Fachgruppenleiter/-innen) nutzen• Auf ein Höchstmaß von Legitimation,

Aufgabenklarheit und Transparenz achten• Gemeinsame Fort- und Weiterbildung für

Steuergruppen und Schulleitung zur Klärung der Rollen und Aufgaben



Herzlichen Dank!

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