Antazida – effizient und preiswert: Einfache anorganische Verbindungen mit großer Wirkung

5
Einfache anorganische Verbindungen mit großer Wirkung Antazida – effizient und preiswert MATTHIAS WAGNER S törungen des oberen Gastrointestinaltraktes, die von ei- ner übermäßigen Produktion an Magensäure begleitet werden, beginnen oft mit lästigen Beschwerden wie Sod- brennen und saurem Aufstoßen und können bei lebensbe- drohlichen Krankheiten wie Magendurchbrüchen und Ma- genkrebs enden. Obwohl der Magensäure bei der Verdau- ung der Nahrung große Bedeutung zukommt, ist es daher wichtig, gegebenenfalls eine maßvolle Reduktion der in- tragastralen Azidität durch Gabe geeigneter Wirkstoffe (Ant- azida) herbeiführen zu können. Funktion des Magens und der Magensäure Der Magen erfüllt mehrere wichtige Funktionen im Rah- men des Verdauungsvorganges. Zunächst dient er der Spei- cherung des Nahrungsbreis, den er sukzessive in kleinen Portionen an den Darmtrakt weitergibt. Erst hierdurch wird es möglich, den kontinuierlichen Nährstoffbedarf des Kör- pers durch wenige größere Mahlzeiten zu decken. Darüber hinaus leistet der Magensaft, von dem ein gesunder Er- wachsener täglich 1 bis 3 Liter produziert, einen wesentli- chen Beitrag zur Desinfektion und zum Aufschluss der Nah- rung [1]. Von seinen zahlreichen Komponenten seien an dieser Stelle zwei hervorgehoben: Salzsäure (HCl) und pro- teinspaltende Enzyme (vor allem Pepsin). Die von den Be- legzellen (Exocrinocyti parietales) der Magenwand abge- sonderte Salzsäure verleiht dem Magensaft einen pH-Wert von 1,0 bis 1,5. Neben ihrer bakteriziden Wirkung dient Antazida, einfache anorganische Basen, ge- hören zu den ältesten Medikamenten der Menschheit. Auch heute noch spielen sie eine Rolle bei der Therapie von Volkskrankheiten wie Sodbrennen, Gastritis und Magenge- schwüren. Ihr Wirkmechanismus ist nicht allein auf die Pufferung der Magensäure be- schränkt, so dass sie ihren Platz im Arzneimit- telarsenal auch neben modernen Pharmaka wie Protonenpumpenhemmern und Histamin- H 2 -Blockern zumindest teilweise behaupten. die Salzsäure der Denaturierung von Proteinen, der hydro- lytischen Spaltung der glykosidischen Bindung höherer Koh- lenhydrate und der autoproteolytischen Aktivierung der As- partatprotease Pepsin aus der katalytisch unwirksamen Vor- stufe Pepsinogen [2]. Die von den Hauptzellen sezernierten Pepsinogene werden deshalb erst in der Magenlichtung ak- tiviert, damit sich die Drüsen nicht selbst verdauen (pH- Optimum für die Pepsinaktivität: 1,5-2,5). Die Magenwand ihrerseits ist durch einen Schleimüberzug vor Säure und Verdauungsenzymen geschützt, der beim gesunden Magen laufend regeneriert wird [1]. Mechanismus der Magensäurebildung Die Säurefreisetzung im Magen unterliegt tageszeitlichen Schwankungen und erreicht jeweils eine Stunde nach dem Essen und generell abends ihre Höhepunkte [3]. Nach ent- sprechender Stimulierung läuft die Bildung der Salzsäure (ca. 160 mM) in den Belegzellen des Magens über einen mehrstufigen und energieintensiven Prozess ab [4]. Ein Schlüsselschritt besteht in der Hydratation von Kohlendio- xid nach folgender Gleichgewichtsreaktion: CO 2 + H 2 O HCO 3 + H + . Katalysiert durch das Zink-haltige Enzym Car- boanhydratase werden hierbei die Säureäquivalente bereit- gestellt. Kurz vor Beginn der HCl-Sekretion werden Proto- ABB. 1 Kristall- struktur von Mg(OH) 2 (Aus- schnitt; Mg: grau, O: rot). Blick auf eine [Mg(OH) 2 ] - Schicht; Schichten senkrecht zur Papierebene ge- stapelt. © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 1/2007 (35) | Pharm. Unserer Zeit | 33 DOI:10.1002/pauz.200600202

Transcript of Antazida – effizient und preiswert: Einfache anorganische Verbindungen mit großer Wirkung

Page 1: Antazida – effizient und preiswert: Einfache anorganische Verbindungen mit großer Wirkung

Einfache anorganische Verbindungen mit großer Wirkung

Antazida – effizient und preiswertMAT THIAS WAGNER

Störungen des oberen Gastrointestinaltraktes, die von ei-ner übermäßigen Produktion an Magensäure begleitet

werden, beginnen oft mit lästigen Beschwerden wie Sod-brennen und saurem Aufstoßen und können bei lebensbe-drohlichen Krankheiten wie Magendurchbrüchen und Ma-genkrebs enden. Obwohl der Magensäure bei der Verdau-ung der Nahrung große Bedeutung zukommt, ist es daherwichtig, gegebenenfalls eine maßvolle Reduktion der in-tragastralen Azidität durch Gabe geeigneter Wirkstoffe (Ant-azida) herbeiführen zu können.

Funktion des Magens und der MagensäureDer Magen erfüllt mehrere wichtige Funktionen im Rah-men des Verdauungsvorganges. Zunächst dient er der Spei-cherung des Nahrungsbreis, den er sukzessive in kleinenPortionen an den Darmtrakt weitergibt. Erst hierdurch wirdes möglich, den kontinuierlichen Nährstoffbedarf des Kör-pers durch wenige größere Mahlzeiten zu decken. Darüberhinaus leistet der Magensaft, von dem ein gesunder Er-wachsener täglich 1 bis 3 Liter produziert, einen wesentli-chen Beitrag zur Desinfektion und zum Aufschluss der Nah-rung [1]. Von seinen zahlreichen Komponenten seien andieser Stelle zwei hervorgehoben: Salzsäure (HCl) und pro-teinspaltende Enzyme (vor allem Pepsin). Die von den Be-legzellen (Exocrinocyti parietales) der Magenwand abge-sonderte Salzsäure verleiht dem Magensaft einen pH-Wertvon 1,0 bis 1,5. Neben ihrer bakteriziden Wirkung dient

Antazida, einfache anorganische Basen, ge-hören zu den ältesten Medikamenten derMenschheit. Auch heute noch spielen sie eineRolle bei der Therapie von Volkskrankheitenwie Sodbrennen, Gastritis und Magenge-schwüren. Ihr Wirkmechanismus ist nicht allein auf die Pufferung der Magensäure be-schränkt, so dass sie ihren Platz im Arzneimit-telarsenal auch neben modernen Pharmakawie Protonenpumpenhemmern und Histamin-H2-Blockern zumindest teilweise behaupten.

die Salzsäure der Denaturierung von Proteinen, der hydro-lytischen Spaltung der glykosidischen Bindung höherer Koh-lenhydrate und der autoproteolytischen Aktivierung der As-partatprotease Pepsin aus der katalytisch unwirksamen Vor-stufe Pepsinogen [2]. Die von den Hauptzellen sezerniertenPepsinogene werden deshalb erst in der Magenlichtung ak-tiviert, damit sich die Drüsen nicht selbst verdauen (pH-Optimum für die Pepsinaktivität: 1,5-2,5). Die Magenwandihrerseits ist durch einen Schleimüberzug vor Säure undVerdauungsenzymen geschützt, der beim gesunden Magenlaufend regeneriert wird [1].

Mechanismus der Magensäurebildung Die Säurefreisetzung im Magen unterliegt tageszeitlichenSchwankungen und erreicht jeweils eine Stunde nach demEssen und generell abends ihre Höhepunkte [3]. Nach ent-sprechender Stimulierung läuft die Bildung der Salzsäure(ca. 160 mM) in den Belegzellen des Magens über einenmehrstufigen und energieintensiven Prozess ab [4]. EinSchlüsselschritt besteht in der Hydratation von Kohlendio-xid nach folgender Gleichgewichtsreaktion: CO2 + H2O →HCO3

– + H+. Katalysiert durch das Zink-haltige Enzym Car-boanhydratase werden hierbei die Säureäquivalente bereit-gestellt. Kurz vor Beginn der HCl-Sekretion werden Proto-

A B B . 1 Kristall-struktur vonMg(OH)2 (Aus-schnitt; Mg: grau,O: rot). Blick aufeine [Mg(OH)2]∞∞-Schicht; Schichtensenkrecht zur Papierebene ge-stapelt.

© 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 1/2007 (35) | Pharm. Unserer Zeit | 33

DOI:10.1002/pauz.200600202

Page 2: Antazida – effizient und preiswert: Einfache anorganische Verbindungen mit großer Wirkung

nenpumpen sowie K+- bzw. Cl–-spezifische Ionenkanälevom Zytoplasma zur Plasmamembran der Belegzellen trans-portiert und in diese eingebaut. Die Protonenpumpen,Mg2+-abhängige H+/K+-ATPasen, befördern unter Energie-verbrauch H+-Ionen aus der Zelle hinaus in das Lumen undakkumulieren im Gegenzug K+-Ionen aus dem Lumen inder Zelle. Parallel dazu erfolgt mittels anderer Membran-proteine ein Austausch der gebildeten Hydrogencarbonat-ionen gegen Chloridionen aus dem Blutplasma. Die Schluss-sequenz besteht in der Abgabe von Chlorid an das Magen-lumen und der Rezirkulation der K+-Ionen.

Funktionsstörungen des MagensEine Störung der Säureproduktion des Magens erhöht dasRisiko von Infektionen des Darms, der Gallenwege, der Le-ber und der Bauchspeicheldrüse [1]. Zum Volksleiden ent-wickelt haben sich Sodbrennen und saures Aufstoßen, diedurch den Rückfluss sauren Speisebreis aus dem Magen indie Speiseröhre hervorgerufen werden (Reflux). Ist an ei-ner Stelle der Magenwand entweder die Schleimschicht zudünn oder die Säurekonzentration zu hoch, so besteht dieGefahr, dass die Magenwand vom Magensaft angegriffenwird und eine Entzündung (Gastritis) oder gar ein Magen-geschwür (Ulcus ventriculi) entsteht. Der nekrotische Vor-gang beginnt mit einem kleinen Loch in der Magen-schleimhaut und kann bis zum lebensbedrohlichen Durch-bruch des Bauchfells voranschreiten [1]. Die Produktionvon Magenschleim und Magensäure wird sowohl hormo-nell (Gastrin, Histamin) als auch vom vegetativen Nerven-system gesteuert. Ungünstige Einflüsse auf das vegetativeNervensystem, wie z.B. Rauchen oder Stress, sowie die Auf-nahme von Noxen, welche die Magenwand direkt schädi-gen (u.a. Alkohol, Acetylsalicylsäure), begünstigen daherdie Entstehung eines Magengeschwürs. Gemeinsam damittreten häufig auch entzündliche Prozesse und Läsionen imoberen Teil des Zwölffingerdarms auf (Ulcus duodeni), deram stärksten der Magensäure ausgesetzt ist [1]. Als einer derbedeutsamsten Faktoren für die Entstehung von Ulcera sindim Jahre 1982 Infektionen mit dem Bakterium Helicobac-ter pylori identifiziert worden, das in der Lage ist, im ex-trem lebensfeindlichen Milieu des Magens zu gedeihen (No-belpreis für Medizin 2005 für die Entdecker von H. pylori,Marshall und Warren).

Therapiemöglichkeiten bei übersteigerterintragastraler Azidität

Sodbrennen lässt sich im Regelfall durch die Einnahme vonMedikamenten behandeln. Das Gleiche gilt für den größtenTeil der Magenschleimhautentzündungen und Magenge-schwüre. Zur Therapie der Magenübersäuerung haben sichu.a. Histamin-H2-Antagonisten (z.B. Cimetidin, Ranitidin)oder Protonenpumpenhemmer (z.B. Omeprazol, Pantopra-zol) bewährt. Erstere setzen die Stimulation der Magen-säureproduktion herab, während letztere den Ausfluss vonH+-Ionen in das Magenlumen über die oben beschriebenenH+/K+-ATPasen blockieren. Ein weiteres Therapiekonzeptberuht auf der Neutralisation der überschüssigen Magen-säure mit Hilfe geeigneter Basen, so genannter Antazida.Hierdurch lassen sich vielfach die negativen Folgen einerMagenübersäuerung lindern, obwohl die Säurebildungselbst natürlich nicht gehemmt wird.

Antazida im ÜberblickBereits die alten Römer sollen gastrointestinale Beschwer-den mit pulverisierten Korallen oder Muschelschalen therapiert haben (wirksames Agens: CaCO3). Heute sindmehrere unterschiedliche Arten von Antazida rezeptfrei ver-käuflich. Chemisch gesehen handelt es sich um anorgani-sche Salze oder salzartige Verbindungen der Kationen Na+,Mg2+, Ca2+ und Al3+ mit den Anionen OH–, HCO3

–/CO32–

und Si3O84–/Si3O10

8– (Tab. 1). Calciumcarbonat ist hinsicht-lich seiner Kapazität zur Säureneutralisation pro Gewichts-einheit das stärkste Antazidum. Gefolgt wird es vonNatriumhydrogencarbonat (NaHCO3), das unter dem Na-men Bullrich-Salz lange Zeit weitläufig eingesetzt wordenist. Natriumhydrogencarbonat ist ein besonders rasch wirk-sames Präparat und neutralisiert überschüssige Magensäu-re nach folgender Gleichung: NaHCO3 + HCl → NaCl + CO2

+ H2O. Heute wird Natriumhydrogencarbonat als Antazi-dum aus mehreren Gründen nicht mehr empfohlen: Zumeinen führt die schnelle Entwicklung großer Mengen anKohlendioxid-Gas zu Blähungen und Flatulenz, zum ande-ren erhöht sich bei regelmäßiger Einnahme größerer Men-gen des Antazidums der Na+-Spiegel im Körper, was vor al-lem auf Patienten, die zu Bluthochdruck neigen, ungünsti-ge Auswirkungen haben kann. Ein weiterer Nachteil bestehtdarin, dass Natriumhydrogencarbonat den pH-Wert des Ma-

gens sehr rasch anhebt, dieser Effektjedoch nicht nachhaltig ist und vonden Belegzellen häufig mit einer ver-stärkten Sezernierung von Salzsäurebeantwortet wird (Rebound-Effekt).Die genannten Probleme lassen sichdurch Verwendung von Magnesium-trisilikaten (Mg2Si3O8 [5], Mg4Si3O10

[6]) als Säurepuffer vermeiden. Ma-gnesiumtrisilikate lösen sich im Magenallerdings nur sehr langsam auf undsind daher wenig effizient. Darüberhinaus besteht die Gefahr, dass sie bei

34 | Pharm. Unserer Zeit | 1/2007 (36) www.pharmuz.de © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

TA B . 1 Ü B E R S I C H T Ü B E R AU S G E W Ä H LT E A N TA Z I DA *

Indikation Sodbrennen, Sodbrennen, Sodbrennen, Sodbrennen,Magendruck, Magenschmerzen, Magenschmerzen, Magenschmerzen,Völlegefühl Ulcera Ulcera Ulcera

Kinetik schnell, kurz langsam, lange schnell langsam, langeNachteile Blähungen, Durchfall, Durchfall, Verstopfung,

Hyperazidität, Nierensteine, neuromuskuläre Hypercalcämie,Na+-Spiegel-Erhöhung neuromuskuläre Störungen Al3+-Resorption,

Störungen Phosphatausfällung*wichtige Inhaltsstoffe, Anwendungsspektrum und mögliche Nebenwirkungen

Wirkstoff NaHCO3 Mg-Trisilicat Mg(OH)2 Al(OH)3

Page 3: Antazida – effizient und preiswert: Einfache anorganische Verbindungen mit großer Wirkung

A N T A Z I D A – E F F I Z I E N T U N D P R E I S W E R T | C H E M I E

© 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.pharmuz.de 1/2007 (36) | Pharm. Unserer Zeit | 35

lang andauernder Einnahme zur Bildung SiO2-haltigerKonkremente führen („Silikatniere“).

Viele der heute vorwiegend gebräuchlichen Antazidabasieren auf Magnesiumhydroxid, Mg(OH)2, und Alumi-niumhydroxid, Al(OH)3. Da sich Magnesiumhydroxid imMagen wesentlich schneller auflöst als Aluminiumhydroxid,erzielt man das beste Wirkungsspektrum mit einerKombination beider Komponenten (Maaloxan®) oder beiVerwendung von Mischkristallen, die sowohl Mg2+- als auchAl3+-Kationen im Kristallgitter enthalten (Mg6Al2(CO3)-(OH)16 · 4 H2O; Talcid®). Im Vergleich zu vielen anderen An-tazida, wie z.B. NaHCO3, besitzt Aluminiumhydroxid dengroßen Vorteil, dass es keine reaktive Hyperazidität her-vorruft.

Anwendungsspektrum und NebenwirkungenAl/Mg-basierter Antazida

Refluxbeschwerden können ebenso wie Geschwüre desMagens und des Dünndarms mit Magnesiumhydroxid- undAluminiumhydroxid-haltigen Antazida wirksam behandeltwerden. Ihre therapeutische Wirkung lässt sich allerdingsnicht allein durch die Reduktion der intragastralen Aziditäterklären, da sie bereits in sehr niedrigen Dosen, die die Ma-gensäurekonzentration kaum beeinflussen, Ulcera zur Ab-heilung bringen können. Aus diesem Grund werden zu-sätzliche Wirkprinzipien diskutiert, wie die Adsorption vonPepsin und toxischen Gallensäuren, die Stimulation der Mu-kus-, Hydrogencarbonat- und Prostaglandinsekretion, dieOptimierung von Wachstumsfaktor-Effekten und eine ge-steigerte Bildung neuer Mikrogefäße (Angiogenese) [7]. ImFalle von H.-pylori-induzierten Ulcera haben zahlreiche Stu-dien ergeben, dass Antazida allein einen H.-pylori-Infektnicht beseitigen können. Allerdings gibt es Hinweise darauf,dass die Gabe von Antazida in Kombination mit geeignetenAntibiotika bei der Bekämpfung von H. pylori hilfreich seinkann.

Bei langfristigem Gebrauch Aluminium-haltiger Antazi-da ist eine regelmäßige Kontrolle des Aluminiumspiegelsdes Patienten erforderlich (akzeptierter Grenzwert: 40 μg/L).Vor diesem Hintergrund ist darauf zu achten, dass der Ge-nuss von Citrusfrüchten oder säurehaltigen Getränken beigleichzeitiger Einnahme Aluminiumhydroxid-haltiger Ant-azida zu einer unerwünschten Steigerung der Aluminium-aufnahme aus dem Darm führt. Die Frage, in welchem MaßeAluminium eine toxische Wirkung auf den menschlichenOrganismus besitzt, wurde in den letzten Jahrzehnten kon-trovers diskutiert. Obwohl nach heutiger Lehrmeinung dasMetall kein hohes gesundheitliches Gefahrenpotenzial birgt,sind neurologische Schäden nicht völlig auszuschließen [5].Hohe Aluminiumgaben können bei dialysepflichtigen Pati-enten zu Enzephalopathien führen [8]. Die Pathogenese desMorbus Alzheimer wurde zeitweise mit Aluminium in Ver-bindung gebracht [9]. Mittlerweile gilt es als weitgehend gesichert, dass die Alzheimer’sche Krankheit genetischenUrsprungs ist [10], was jedoch nicht ausschließt, dass exo-gene Noxen wie Al3+-Ionen die Symptomatik der Alzhei-

mer‘schen Krankheit verstärken können. Aufgrund derSchwerlöslichkeit von Aluminiumphosphat (AlPO4) kannes bei lang dauernder Einnahme hoher Dosen und phos-phatarmer Diät zu Phosphatmangel kommen, der das Risi-ko einer Knochenerweichung (Osteomalazie) in sich birgt.Die Grundlage des Hartmaterials des menschlichen Kno-chens bildet Hydroxylapatit, Ca5(PO4)3OH. Knochen die-nen nicht nur als feste Stützelemente, sondern auch als Reservoir für Ca2+- und PO4

3–-Ionen, aus dem diese Ionenbei Bedarf an das Blut abgegeben werden (Homöostase). Hy-pophosphatämie führt daher zu einer verstärkten Knochen-resorption; das dabei freigesetzte Calcium trägt zur Hyper-calciurie bei. Schließlich sind auch Wechselwirkungen zwischen Aluminium-basierten Antazida und anderen Medi-kamenten bekannt. So wird beispielsweise die Aufnahmeund damit die Wirksamkeit von Herzglykosiden, Beta-Blockern und bestimmten Antibiotika vermindert. Dies giltvor allem für Tetracycline, deren Bioverfügbarkeit im ungün-stigsten Fall bis zu 90 % reduziert werden kann [11], undChinolonderivate wie Ciprofloxacin, Ofloxacin und Nor-floxacin. In beiden Fällen beruht die Wechselwirkung mitdem Antazidum vermutlich auf einer Komplexierung desAl3+-Kations, wobei die organische Komponente als Che-latligand wirkt. Auch ist bei Einnahme von Antazida auf ei-ne mögliche Beeinflussung der Löslichkeit von Medika-menten zu achten, die mit dem Urin ausgeschieden werden(z.B. Salicylat, Chinidin).

Chemische Eigenschaften Al/Mg-basierterAntazida [12]

Mg(OH)2 ist in pH-neutralem Wasser nur wenig löslich undlässt sich daher leicht aus Mg2+-Salzlösungen durch Zugabevon Hydroxidionen fällen (Löslichkeitsprodukt: 1,5 · 10–12).

A B B . 2 Kristallstruktur von Al(OH)3 (Ausschnitt; Al: blau, O: rot). Blick auf eine [Al(OH)3]∞∞-Schicht; Schichten senkrechtzur Papierebene gestapelt.

Page 4: Antazida – effizient und preiswert: Einfache anorganische Verbindungen mit großer Wirkung

Als rein basisches Hydroxid ist es in Säuren gut, nicht je-doch in Laugen löslich. Das Löslichkeitsprodukt vonAl(OH)3 beträgt nur 1,9 · 10–33. Im Gegensatz zu Mg(OH)2

ist es jedoch amphoter und löst sich daher sowohl im Sau-ren als auch im Basischen (Al(OH)3 + OH– → [Al(OH)4]–),was angesichts des alkalischen Zwölffingerdarm-Milieus be-achtet werden sollte. Die Löslichkeit eines festen Stoffesund damit die Bioverfügbarkeit der konstituierenden Kom-ponenten ist maßgeblich von der zugrunde liegenden Kris-tallstruktur und deren Gitterenergie abhängig. Das Anio-nenteilgitter von kristallinem Mg(OH)2 besteht aus einerhexagonal-dichtesten Kugelpackung von OH–-Ionen. DieOktaederlücken jeder zweiten Schicht sind vollständig mitMg2+-Ionen besetzt (Schichtaufbau: ···OH–Mg2+OH–OH–

Mg2+OH–···; Abb. 1). Die thermodynamisch stabilste Modi-fikation des Aluminiumhydroxids, das γ-Al(OH)3, ist eben-falls aus Schichten kantenverknüpfter [Al(OH)3]–-Oktaederaufgebaut; seine stöchiometrische Zusammensetzung ver-langt jedoch, dass nur zwei Drittel der Oktaederlücken je-der Al3+-haltigen Schicht besetzt sind (Abb. 2). Neben kristallinem Aluminiumhydroxid existieren auch amorpheHydroxide der Form Al(OH)3 · x H2O, die vor allem beischneller Fällung aus konzentrierten Lösungen gebildet wer-den. Aufgrund ihrer großen Oberfläche und einer Vielzahlinstabiler Fehlstellen im Al-O-Netzwerk ist die Löslichkeitamorpher Aluminiumhydroxide wesentlich höher als diegealterter Proben. Über Kondensationsprozesse (Olation,Oxolation) bzw. umgekehrt durch Hydrolyse stehen darü-ber hinaus in wässriger Lösung Aluminium-Isopolyoxoionenunterschiedlichster Struktur miteinander im Gleichgewicht.Entsprechenden Gleichgewichten unterliegen auch die Kie-selsäuren (vgl. Magnesiumtrisilikat). Die strukturelle Basisgemischter Al/Mg-Schichtgitterantazida wie Hydrotalcit,

36 | Pharm. Unserer Zeit | 1/2007 (36) www.pharmuz.de © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Mg6Al2(CO3)(OH)16 · 4 H2O, bildet das Magnesiumhydroxid(Abb. 1). Der Austausch von Mg2+- gegen Al3+-Ionen führtzu einer positiven Überschussladung der Al/Mg/OH-Schich-ten, welche durch Interkalation von CO3

2–-Ionen ausge-glichen wird (Abb. 3). Die elektrostatische Anziehung zwischen den Kationenschichten einerseits und den inter-kalierten Anionen andererseits stabilisiert die Festkörper-struktur des Hydrotalcits. Im Magen saugt dieses Schicht-gitter überschüssige Salzsäure wie ein Schwamm auf: je stär-ker übersäuert der Magen, umso ausgeprägter die Säure-bindung. Gleichzeitig erfolgt eine Neutralisation der Säure-moleküle durch die CO3

2–-Ionen bzw. durch hydratisierteMg2+- und Al3+-Ionen, die sich aus den Randbereichen desSchichtgitters herauslösen.

Einnahmezeiten und GalenikEin Antazidum kann nur so lange seine Wirkung entfalten,wie es im Magen verweilt. Vor diesem Hintergrund sind Aluminiumhydroxid-haltige Antazida besonders interessant,da diese die Magenentleerung verzögern. Darüber hinauslässt sich über die Wahl des richtigen Zeitpunkts für dieVerabreichung eines Antazidums dessen therapeutischer Effekt optimieren. So wurde nachgewiesen, dass die Gabeeines Al/Mg-Antazidums auf nüchternen Magen nur für ei-nen Zeitraum von ca. 60 min den pH-Wert im Magen signi-fikant anhebt, während die Wirkung der gleichen Mengedesselben Antazidums eine Stunde nach der Mahlzeit ver-abreicht für ca. 120 min anhielt [7]. Daher nimmt man Ant-azida am günstigsten zwischen den Mahlzeiten und unmit-telbar vor dem Schlafengehen, da die Magen-Entleerungszeitam Abend deutlich länger als am Morgen ist. Dieser Rhyth-mus entspricht auch den Zeiten der höchsten Magensäure-produktion. Al/Mg-basierte Antazida sind sowohl als feste(Tabletten, Pulver) als auch als flüssige Formulierungen (Sus-pensionen) erhältlich. Die gelegentlich anzutreffenden Be-hauptungen, Antazidasuspensionen verteilten sich im obe-ren Gastrointestinaltrakt gleichmäßiger, hafteten besser ander Schleimhaut und entfalteten schneller ihre Wirkung, sindnur unvollständig bewiesen. Fortschritte in der Entwicklungvon Antazidatabletten haben vielmehr dazu beigetragen, dasssich diese hinsichtlich ihrer Galenik und Wirksamkeit durch-aus mit Suspensionen messen können [8].

ZusammenfassungVor allem bei Sodbrennen und säurebedingten Magenbe-schwerden, also den häufigsten Krankheitsbildern des oberenGastrointestinaltraktes, gelten Antazida auch heute noch alsgeeignete Arzneimittel. Die in diesem Artikel beschriebenenNebenwirkungen bergen bei einer adäquaten Therapie mitAntazida kein hohes Gefahrenpotenzial, sondern sind nurdann zu befürchten, wenn außergewöhnliche Umstände imSinne einer pathologischen Resorption und/oder einer ge-störten Elimination die Pharmakokinetik der Antazida beein-flussen. Generell sind Antazida nach allgemeiner Überzeugunggut verträglich, da ihr hauptsächlicher Wirkort nicht syste-misch ist.

A B B . 3 Hydrotalcit-Schichtgitter (Al: blau, Mg: grau, O: rot, H: weiß). Blick paral-lel zu den kationischen Al/Mg/OH-Schichten, zwischen die CO3

2-Ionen (schwarze Kugeln) interkaliert sind.

Page 5: Antazida – effizient und preiswert: Einfache anorganische Verbindungen mit großer Wirkung

A N T A Z I D A – E F F I Z I E N T U N D P R E I S W E R T | C H E M I E

© 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.pharmuz.de 1/2007 (36) | Pharm. Unserer Zeit | 37

Zitierte Literatur[1] Lippert, H.: Lehrbuch Anatomie. Urban & Fischer Verlag (2000).[2] Reiche, D.: Roche Lexikon Medizin. Urban & Fischer Verlag (2003).[3] Lemmer, B.: Chronopharmakologie. Tagesrhythmen und Arzneimit-

telwirkung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart (2004).[4] Yao, X., Forte, J.G.: Cell Biology of Acid Secretion by the Parietal Cell.

Annu. Rev. Physiol. 65 (2003), 103–131.[5] Maton, P.N., Burton, M.E.: Antacids revisited. A review of their clini-

cal pharmacology and recommended therapeutic use. Drugs 57(1999), 855–870.

[6] Schwedt, G.: Supermarktprodukte im Reagenzglas – Silikate. Chemie in unserer Zeit 36 (2002), 266–267.

[7] Bosseckert, H., Bubenzer, R.H.: Antazida – Therapieprinzip mit breitem Wirkspektrum. Dtsch. Apot. Ztg. 144 (2004) 857–863.

[8] Halter, F. (Hrsg.): Therapeutische Möglichkeiten bei Erkrankungendes oberen Gastrointestinaltraktes: Antacida im Blickpunkt. Vieweg, Braunschweig, Wiesbaden (1992).

[9] Martyn, C.N., Osmond, C., Edwardson, J.A., Barker, D.J.P., Harris,E.C., Lacey, R.F.: Geographical relation between Alzheimer’s diseaseand aluminium in drinking water. Lancet 333 (1989), 61–62.

[10] Salbaum, J.M., Weidemann, A., Lemaire, H.-G., Masters, C.L., Beyreuther, K.: The promoter of Alzheimer’s disease amyloid A4precursor gene. EMBO J. 7 (1988), 2807–2813.

[11] Garty, M.,Hurwitz, A.: Effect of Cimetidine and Antacids on Gastro-intestinal Absorption of Tetracycline. Clin. Pharmacol. Ther. 28(1980), 203–207.

[12] Holleman, A.F., Wiberg, N.: Lehrbuch der Anorganischen Chemie.de Gruyter, Berlin, New York (1995).

Der Autor:Prof. Dr. Matthias Wagner (geb. 1965); 1984–1990Chemiestudium an der Ludwig-Maximilians-Univer-sität München; 1992 Promotion am Institut für An-organische Chemie der Universität München; 1992–1994 Postdoktorat am Inorganic Chemistry Labora-tory der Oxford University; 1997 Habilitation an derTechnischen Universität München; seit 1999 Ordina-rius für Anorganische Chemie der J.W. Goethe-Uni-versität Frankfurt am Main; Direktor des Instituts fürAnorganische und Analytische Chemie.

Anschrift:Prof. Dr. M. WagnerInstitut für Anorganische und Analytische ChemieJ. W. Goethe-Universität FrankfurtMax-von-Laue-Straße 7D-60438 Frankfurt (Main)[email protected]