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Anthroposophie wird Kunst Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart Eine Dokumentation der Veranstaltungen der Anthroposophischen Gesellschaft in München nach hundert Jahren Mit Beiträgen von: Werner Barfod Joachim Daniel Rudolf F. Gädeke Michaela Glöckler Roland Halfen Wilfried Hammacher Gerhard Herz Friedwart Husemann Armin Husemann Wolf-Ulrich Klünker Karl Lierl Serge Maintier Aiga Matthes Mechtild Oltmann Markus Osterrieder Sergej Prokofieff Lorenzo Ravagli Florian Roder Günter Röschert Robert Schmidt Marcus Schneider Hartwig Schiller Georg Schumann Virginia Sease Peter Selg Hans Supenkämper Andreas Weymann Kazuhiko Yoshida Ursula Zimmermann Herausgeber: Karl Lierl Florian Roder

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Anthroposophiewird Kunst

Der Münchner Kongress 1907und die Gegenwart

Eine Dokumentation der Veranstaltungen der Anthroposophischen Gesellschaft in München nach hundert Jahren

Mit Beiträgen von:Werner BarfodJoachim DanielRudolf F. GädekeMichaela GlöcklerRoland HalfenWilfried HammacherGerhard HerzFriedwart HusemannArmin HusemannWolf-Ulrich KlünkerKarl LierlSerge MaintierAiga MatthesMechtild OltmannMarkus OsterriederSergej ProkofieffLorenzo RavagliFlorian RoderGünter RöschertRobert SchmidtMarcus SchneiderHartwig SchillerGeorg SchumannVirginia SeasePeter SelgHans SupenkämperAndreas WeymannKazuhiko YoshidaUrsula Zimmermann

Herausgeber:Karl Lierl Florian Roder

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Dieser Band ist Sophie Stinde (1853–1915) und Pauline von Kalckreuth (1856– 1929) gewidmet. Durch ihre Treue zur Anthroposophie und zu Rudolf Steiner ermöglichten sie den Münchner Kongress.

Darüber hinaus dem Andenken an Frank Teichmann (1937–2006), dem langjährigen Freund und geistigen Befruchter der Münchner Arbeit.

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Anthroposophie wird KunstDer Münchner Kongress 1907und die Gegenwart

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Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

„Dies sollte unser Ideal sein: Formen zu schaffen als Ausdruck desinneren Lebens. Denn in einer Zeit, die keine Formen schauen undschauend schaffen kann, muss notwendigerweise der Geist zum wesenlosen Abstraktum sich verflüchtigen und die Wirklichkeitmuss sich diesem bloß abstrakten Geist als geistlose Stoffaggrega-tion gegenüberstellen. – Sind die Menschen imstande wirklich Formen zu verstehen, z.B. die Geburt des Seelischen aus dem Wolkenäther der Sixtinischen Madonna, dann gibt es bald für siekeine geistlose Materie mehr.

Rudolf Steiner

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J Im reinen Gedanken findest duDas Selbst, das sich halten kann.

Wandelst zum Bilde du den Gedanken,Erlebst du die schaffende Weisheit.

B Verdichtest du das Gefühl zum Licht,Offenbarst du die formende Kraft.

Verdinglichst du den Willen zum Wesen,So schaffest du im Weltensein.

Rudolf Steiner

Und was man glaubt, es sei geschehn, Kann man von weitem erst kommen sehn.

Novalis

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Ein solches Werk der Öffentlichkeit zuübergeben, stellt ein gewisses Wagnisdar. Das betrifft die spirituelle Seite,

aber auch die finanziell-wirtschaftliche.Wenn wir uns im Arbeitszentrum Münchendennoch nach längeren Überlegungen dazuentschlossen haben, hat das mehrere Gründe.Das Jahr 2007 markiert einen neuen Schrittin der Entwicklung des Arbeitszentrums. VonAnfang an war daran gedacht, eine klei-nere, selbst produzierte Dokumentation he-rauszubringen – als Fest- und Erinnerungs-schrift der Ereignisse und Veranstaltungendieses vielfältigen Jahres. Beim Durchgehender Beiträge wurde uns klar, dass wir das Geleistete gerne einem größeren Kreis vonLesern zur Verfügung stellen möchten. Essind zu viele interessante und weiterfüh-rende Beiträge zustande gekommen, als dasswir uns auf den engeren Münchner Umkreisbeschränken wollten. Durch die Zusammen-arbeit mit der Kooperative Dürnau, die denVertrieb des Buches übernommen hat, istuns das möglich geworden.

Der vorliegende Band ist nichts wenigerals die erste umfassende Veröffentlichungzum Münchner Kongress seit hundert Jah-ren. Eine gewisse Ausnahme macht das Buchvon Peter Selg: „Ich bleibe bei Ihnen“: RudolfSteiner und Ita Wegman. München, Pfings-ten 1907 (Stuttgart 2007). Doch auch diesesWerk hängt unmittelbar mit den Feierlich-keiten des Jahres 2007 zusammen. Es ist auseinem Beitrag von Peter Selg auf der Pfingst-tagung 2007 in München hervorgegangen.Autor und Verlag haben uns freundlicher-weise erlaubt, ein zentrales Kapitel aus demBuch in die Dokumentation aufzunehmen.

Zur Vertiefung des Themas sei ausdrücklichauf Peter Selgs Arbeit verwiesen. WeitereAutoren aus dem anthroposophischen Be-reich konnten gewonnen werden. Es sind,alle zusammen gerechnet, dreiunddreißigPersönlichkeiten: Von Friedwart Husemannbis Sergej Prokofieff; von Rudolf F. Gädekeund Markus Osterrieder bis Lorenzo Ravagliund Günter Röschert; von Andreas Weymannund Michaela Glöckler bis zu Virginia Seaseund Armin Husemann; von Marcus Schnei-der und Roland Halfen bis zu Mechtild Olt-mann und Wolf-Ulrich Klünker – um nurdie bekanntesten zu nennen.

Die Wiedergabe ist auf verschiedenen We-gen erfolgt, teils durch Autoreferate, teilsdurch Ausschreiben der mit geschnittenenVorträge, teils durch zusammenfassendeWiedergabe eines Teilnehmers. Um was essich jeweils handelt, ist im Vorspann ange-merkt. Die Wiedergabe folgt im Ganzen demAblauf des Jahres 2007. Die dabei vorwal-tenden Gesichtspunkte sind in der Einfüh-rung dargestellt. Eine gewisse Ausnahmemacht der Beitrag von Hartwig Schiller. Ergeht auf einen Vortrag zurück, den diesererst Anfang 2008 in München gehalten hat.Es schien uns dennoch sinnvoll, ihn einzu-beziehen. Es ist bestimmt kein Zufall, dassder Keim der späteren Waldorfpädagogik –die kleine Schrift „Die Erziehung des Kindesvom Gesichtspunkte der Geisteswissen-schaft“ — genau zur gleichen Zeit an die Öffentlichkeit gebracht worden ist wie derMünchner Pfingstkongress. In der Pädago-gik wird Anthroposophie auf ganz beson-dere Art „Kunst“. So steht Hartwig SchillersBeitrag an der Stelle, an der die (nicht do-

Vorwort

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kumentierte) Veranstaltung von Anna Seydel im Oktober 2008 stattfand.

Einen unverzichtbaren Akzent in diesemJahr mussten natürlich die künstlerischenVeranstaltungen setzen. Es waren insgesamtvier, die mit großem personellen Aufwandund Einsatzkraft durchgeführt wurden: „DasGeheimnis der Planetensiegel“ im März un-ter Leitung von Ursula Zimmermann, die„Zwölf Stimmungen“ von Rudolf Steiner imGasteig unter Verantwortung von Aiga Mat-thes, das Mysteriendrama „Die Pforte derEinweihung“ unter Leitung von RobertSchmidt im Juli und die Planetensiegel-Be-trachtung durch Emi und Kazuhiko Yoshidaund Karl Lierl am Jahresende. Diese Veran-staltungen sind leider nur unvollkommen zudokumentieren. Wir haben uns geholfendurch Fotos, Teilnehmerberichte und zu-sammenfassende Referate. Überhaupt sindwir außerordentlich froh über die zahlrei-chen, teils farbigen Abbildungen. Sie er-möglichen auch dem, der nicht dabei gewe-sen ist, ein seelisches „Hineinschmecken“und lassen die menschliche Seite sichtbaranklingen. Besonders gilt das überdies fürBeiträge, in denen Kunstwerke wiedergege-ben sind, wie im Aufsatz von Andreas Wey-mann (mit Bezug zu den Malern des „BlauenReiters“) oder im Schlussbeitrag von SergejProkofieff (mit Bezug auf Fenster und Kup-pelausmalung des Ersten Goetheanums).

Die Dokumentation zum Kongress unddem Jubiläumsprogramm im engeren Sinnefinden Sie im ersten Teil des Bandes. Nebenmanchem andernorts schon Veröffentlich-ten, das in den Gesamtzusammenhang ge-hört, stoßen Sie auch auf gänzlich Neues. So

die orientierende Karte von München-Schwabing, aus der die enge örtliche undzeitliche Verflechtung des Kongresses mitder Münchner Künstlerszene um 1900 her-vorgeht. Eine Erstveröffentlichung ist dieNamensliste der am Kongress angemeldetenTeilnehmer, die zu weiteren biografischenForschungen anregen kann. Die Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung in Dornachstellte uns die Liste dankenswerterweise zurVerfügung.

Hier ist auch der Ort, etwas über Wieder-holungen zu sagen. Im dokumentarischenTeil finden Sie naturgemäß gelegentlichWiederholungen. Aber auch im inhaltlichenTeil wird das der Fall sein, z.B. in Bezug aufdas Leitmotiv der Säulensprüche oder ge-wisser biografischer Schlüsselmomente beiRudolf Steiner. Wir haben uns, trotz einergewissen Vereinheitlichung in der Darstel-lung, entschlossen, die Wiederholungen ste-hen zu lassen. Das Vorliegende ist keinstreng wissenschaftlicher Tagungsband mitdem Anspruch auf volle Durchsichtigkeit. Esist ein Band von unterschiedlich ausge-formten Beiträgen, deren jeweilige indivi-duelle Geste wir erhalten wollten.

Der Haupttitel des Bandes wird in derEinleitung erläutert. Beim Untertitel könntenEinwände auftreten: „Der Münchner Kon-gress 1907 und die Gegenwart“. Ist dieserAnspruch erfüllt? Ist nicht ein Überhanggeschichtlicher Beiträge festzustellen, dieinteressante Gesichtspunkte des Kongressesund seines Umfeldes herausarbeiten, mit„Gegenwart“ jedoch wenig zu tun haben?

Eine einfache Antwort ist hier nicht mög-lich. Bewusst haben wir zunächst versucht,

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8 Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

Ansätze des Kunstwerdens der An-throposophie mit einzubeziehen, diebis in die unmittelbare Gegenwartfruchtbar wirksam im Sozialen sind –so in der Landwirtschaft (Arnold Su-penkämper), Medizin (Friedwart Hu-semann), Unternehmensführung (Ger-hard Herz) und Pädagogik (HartwigSchiller). Über solchen Gegenwarts-bezug im Sinne der zeitnahen Aktua-lität hinaus kann man die Frage derVergegenwärtigung noch in einer tie-feren, gleichsam philosophischen Be-deutung stellen. Sie hängt davon ab,

ob dem Autor beim Schreiben ein ech-tes Lebendigwerden gelungen ist. Undsie hängt, nicht weniger stark, davonab, ob der jeweilige Leser individuelletwas in seiner Seele lebendig werdenlässt – ob an einer bestimmten Stelleein Funke einschlägt, der Begeisterungweckt, vielleicht eine lebenslange Be-schäftigung mit dem Thema auslö-send.

Vergegenwärtigung heißt hier: DasErgreifen des jetzigen Momentes, ineinem Bewusstsein geistiger Gegen-wart, das nicht ohne Vorarbeit, aberimmer durch Gnade in die gewöhnli-che Seelenverfassung einschlägt. Jederkennt diese seltenen, wertvollsten Au-genblicke, in deren reiner GegenwartZukunft und Vergangenheit blitzartigmit anwesend sind.

Nehmen wir an, beim lesendenNachvollziehen der Begegnung ItaWegmans mit Rudolf Steiner; beimSich-Vertiefen in die Frage, wie RudolfSteiner als Künstler geschaffen hatoder wie er den Grundbegriff des Äs-thetischen neu und revolutionär fasst;beim Erarbeiten der Säulensprüche,die viele Menschen kennen, aber we-nige für sich durchdrungen und auf-geschlossen haben, entstehen derar-tige geistige Blitzereignisse, die viel-leicht sogar zu längerem meditativenUmgang führen – so wäre die höchsteForm der Vergegenwärtigung erreicht.Dann erledigt sich die Frage nach demGegenwartsbezug, weil jeder Einzelneauf dem Feld der inneren Erfahrung zugeistigen Beobachtungen und Berüh-rungen gelangt. Ob das jeweils ge-lingt, darauf kann es nur individuelleAntworten geben. Wir hoffen aber,dass der Band gerade auch in der Viel-zahl der Zugänge einige Anreize fürSie enthält.

Das Jahrespro-gramm 2007 und die eigens für dasJubiläumsjahr ge-stalteten Eintritts-karten (Vorder- und Rückseite).

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9Vorwort

DanksagungGroße Ereignisse werfen ihre Schatten vo-

raus – oder sollen wir sagen, ihre Lichter?Jedenfalls war die hundertjährige Wieder-kehr des Münchner Kongresses unzweifel-haft für die hiesige Arbeit ein großes Ereig-nis. Schon etliche Jahre zuvor gab es ein-zelne Beiträge und Darstellungen, so vonRudolf F. Gädeke einen Vortrag im Jahr2003, ebenso von Friedwart Husemann so-wie von Karl Lierl einen Beitrag auf demMitgliedertag 2004. Im Sommer 2006 be-gannen dann die konkreten Vorbereitungendurch die drei Genannten. Ihnen gebührtmithin der allergrößte Dank – für die Idee,das Ganze in so gewaltigem Umfang durch-zuführen, für Begeisterung und Durchhalte-kraft! Wenn ich unter den dreien nochmalsKarl Lierl hervorhebe, so deshalb, weil ernicht nur die Idee hatte, alle Veranstaltun-gen in ein Gesamt-Jahresprogramm zu fas-sen und dann daraus eine Dokumentationzu erarbeiten, sondern weil er auch die zeit-raubende Riesenarbeit auf sich genommenhat, mit grafischer Kompetenz und Findig-keit diese Dokumentation zu erstellen. Es istklar, dass wir ohne seine in vollem Umfanggeschenkte Hilfe gar nicht zu dem vorlie-genden Ergebnis gekommen wären.

Claus Rasmus gebührt besonderer Dankfür die redaktionelle Betreuung des Gan-zen, die er mit hoher Zuverlässigkeit undProfessionalität durchgeführt hat. Elke Far-sen möchten wir danken für hingebungs-volles Korrekturlesen. Dagmar von Wisting-hausen für den Einsatz bei der archivari-schen Arbeit, was uns zum ersten Mal eineÜbersicht über den vorhandenen Bestandin München ermöglicht. Lorenzo Ravagli hatden Band nochmals inhaltlich und formaldurchgearbeitet, was zu sinnvollen Straf-fungen und zur Überarbeitung einzelnerBeiträge führte. Gabriele Aurbach gebührtDank als Schatzmeisterin für das Mittragender finanziell nicht unerheblichen Aufwen-dungen. Schließlich haben sich eingesetztbeim Werden des Buches Gudrun Heinrich,

dazu auch Irene May. Sie haben mit endlo-ser Geduld die kryptischen Äußerungen derauf Tonband eingefangenen Rednerstimmenin einen lesbaren Ersttext verwandelt undauch sonst redaktionell geholfen.

Der Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltungin Dornach möchten wir Dank abstatten fürdie Überlassung bisher unveröffentlichterDokumente. Namentlich mit Roland Halfen,der mit einem überarbeiteten Vortrag undmit Bildmaterial auch inhaltlich an demEntstehen des Bandes mitgewirkt hat, wardie Zusammenarbeit sehr erfreulich.Schließlich sei allen, die inhaltlich beige-tragen haben zu dem Buch, ein großes„Dankeschön“ zugerufen! Ohne den enor-men Zeit- und geistig-seelischen Kraftauf-wand, den sie erbracht haben, hätte derBand weder Substanz noch Vielfalt gewin-nen können.

Das Buch ist drei Persönlichkeiten gewid-met: Sophie Stinde (1853–1915) und Pau-line von Kalckreuth (1856–1929), die amUrsprung des anthroposophischen Lebensin München stehen und ohne die es buch-stäblich keinen Kongress gegeben hätte. Au-ßerdem Frank Teichmann (1937–2006), derüber Jahrzehnte regelmäßig Gastredner inMünchen war und mit seiner lebendigenArt maßgeblich das Interesse an bewusst-seins- und kulturgeschichtlichen Fragestel-lungen geweckt hat. Auch das Feierjahr2007 mit dem Rückblick auf den Um-schwung 100 Jahre zuvor hatte bei ihm Begeisterung geweckt. Eine Veranstaltung,die für Oktober 2007 schon vereinbart war,konnte wegen seines Schwellenübertritts imDezember 2006 nicht mehr stattfinden. Wirhaben aber das Gefühl, dass er die Münch-ner Arbeit weiterhin mit freundlichem Geis-tesblick begleitet.

München, 15. Juli 2008

Florian Roder

München, 15. Juli 2008

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Einleitung

Florian Roder, München um 1900 – wo Geister wandern . . . . . . . . . . . . . . . Seite 13

Rudolf Steiner und München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 19

Wer wohnte wo in München? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20

Veranstaltungsprogramm 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 22

Planetensiegel und Säulenkapitelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 28

Die apokalyptischen Siegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 36

Teilnehmerliste Münchner Kongress 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 44

Florian Roder, Sophie Stinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 50

Karl Lierl, Pauline von Kalckreuth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 53

Karl Pollmann, Die Münchner Jugend zu Beginn des 20. Jahrhunderts . . . . . . Seite 58

Vorträge und Veranstaltungen 2007

Friedwart Husemann, GräfelfingTempelbau und Opferflamme – die Erneuerung der Mysterien durch die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 69

Rudolf F. Gädeke, MünchenDer Theosophische Kongress Pfingsten 1907 – Geburtsstunde der selbstständigen Anthroposophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 72

Markus Osterrieder, Krailling Der Münchner Pfingstkongress 1907 vor dem Hintergrund der zeitgenössischen okkulten Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 85

Lorenzo Ravagli, MünchenTheosophie und Anthroposophie – zur Geschichte einer spannungsreichen Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 119

Joachim Daniel, Dornach/SchweizKann man Wissenschaft wie Kunst betreiben? Goethes Wissenschaft und die Idee der Metamorphose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 131

Werner Barfod, Dornach/SchweizDie eurythmischen Tierkreisgesten – zwölf Formen der Seele in ihrem Verhältnis zur Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 139

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Inhaltsverzeichnis

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Florian Roder, MünchenBiographische Motive im Umkreis des Münchner Kongresses: Sophie Stinde, Pauline von Kalckreuth, Felix Peipers . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 143

Serge Maintier, Freiburg/StraßburgFichte, Schelling, Hegel: Ihre Büsten schauten die theosophische Welt von damals an – warum diese Provokation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 153

Georg Schumann, Ursula ZimmermannDas Geheimnis der Planetensiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 171

Der Kosmos der sieben Planeten und Musik von Johann Sebastian BachEurythmieaufführung. Mitwirkende: Eurythmisten aus dem Umkreis des Goetheanums. Leitung: Ursula Zimmermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 178

Günter Röschert, MünchenBeständigkeit und Stärke – die Säulen Jachin und Boas . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 181

tritonus ensemble münchenEurythmieaufführung: Rudolf Steiner „Zwölf Stimmungen“ . . . . . . . . . . . . . Seite 191

Schauspiel von Wilfried Hammacher, Musik Raimund SchwedelerRaphael und der Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 195

Andreas Weymann, BerlinSchwellensituationen im Werk von Franz Marc, Wassily Kandinsky und Alexej Jawlensky . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 198

Der Bau wird MenschPfingsttagung zur 100. Wiederkehr des Münchner Kongresses

Michaela Glöckler, Dornach/SchweizDie apokalyptischen Siegel und das Geheimnis der menschlichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 205

Peter Selg, Ita-Wegman-Archiv, Arlesheim/SchweizIta Wegman und München 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 222

Virginia Sease, Dornach/Schweiz Das esoterische Rosenkreuzertum als kulturbildende Kraft . . . . . . . . . . . Seite 241

Armin Husemann, StuttgartRudolf Steiner als Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 254

Die Pforte der Einweihung (Initiation)Ein Rosenkreuzermysterium durch Rudolf SteinerStudien-Aufführung des Spieler-Kreises MünchenInszenierung und Regie: Robert Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 263

Hans-Arnold Supenkämper, Höhenberg, Velden/VilsHeilung der Erde. Was braucht die Erde – heute? Was will uns die Natur in ihrer Not zeigen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 271

Veranstaltungen 2007 in München · Inhaltsverzeichnis 11

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Marcus Schneider, Basel/SchweizDurch die Schuld geht der Weg zur Freiheit –Wirkungen von Kain und Abel bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 280

Mechthild Oltmann, Berlin; Wolf-Ulrich Klünker, RondeshagenDie Gegenwart der Apokalypse – und die Zukunft des Ich . . . . . . . . . . . . . . . Seite 287

Gerhard Herz, GröbenzellUnternehmensgestaltung aus den Tierkreiskräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 295

Hartwig Schiller, StuttgartEin epochaler pädagogischer Vortrag und seine Folgen − die „Erziehung des Kindes“ als Grundlage pädagogischer Kunst . . . . . . . . . Seite 301

Florian Roder, MünchenJachin und Boas auf dem Münchner Kongress und die Säulensprüche Rudolf Steiners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 317

Emi und Kazuhiko Yoshida, Karl Lierl, MünchenSchauendes Hören – hörendes SchauenPlanetensiegelbetrachtung, Musik, Eurythmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 339

Roland Halfen, StuttgartDas Sichtbare und das Unsichtbare – vom Münchner Kongress zum Dornacher Bau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 356

Friedwart Husemann, Andrea Stückert, Erika Leiste, Laura Montserrat-Gleissberg, MünchenMenschenwissenschaft durch Kunst –seelische Übungen zur Gesundheitsstärkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 383

Sergej Prokofieff, Dornach/SchweizDas Erste Goetheanum und das Fünfte Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 393

Kurzbiografien der Vortragenden und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 425

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 430

Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft (Deutsche Sektion) wohnhaft oder gemeldet in München zwischen 1902 und 1912 . . . . . . . . . . . Seite 431

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Der Historiker ist ein rückwärts gekehrter Prophet. F R I E D R I C H S C H L E G E L

M ünchen war um 1900 be-kanntlich ein Anziehungs-und Sammelpunkt junger

Künstler – von Schriftstellern, Malern,Bildhauern und Intellektuellen.

Sie verkehrten in unterschiedlichenKreisen, die sich teilweise überschnit-ten, teilweise nebeneinander herlebten.Wenn wir von München reden, ist daseigentlich zu ungenau. Genauer müs-sen wir von Schwabing sprechen.Schwabing, nicht lange eingemeindetvon der jungen, aber mächtiger wer-denden Großstadt und gerade dabei,vom Netz der elektrischen Straßen-bahn erfasst zu werden, trug damalsnoch stärker einen eigenen Charakter.Hier hausten die jungen Künstler, hiertrafen sie sich in Kneipen und Wirts-häusern, hier bildeten sich literarischeKreise und lösten sich wieder auf.

Man braucht nur einige Straßenna-men zu nennen, um zu sehen, auf wieengem Raum all das passierte. Künstler,damals noch weitgehend unbekannt,später zu Weltruhm gelangend, wohn-ten gewissermaßen Straße an Straße.Paul Klee (1879–1940) zog 1898 nachMünchen, wo er seine Studienzeit ander Kunstakademie verbrachte. NachWanderjahren und seiner Heirat mitLily Stumpf kehrt er 1906 zurück nachMünchen, in ein Gartenhaus in derAinmillerstraße 32 – „leider nicht in

bester Lage, sondern in Schwabing“,wie er nach Hause schreibt (1). Im Jahr1908 hat Klee dort seinen Durchbruchals Zeichner, nach einer langen, gedul-dig durchgestandenen Vorbereitungs-zeit. Bei einem alltäglichen Motiv –„Belebte Straße mit dem Balkon“ –kann er sich erstmals bis zu einem ge-wissen Grad von der rein gegenständ-lichen Wiedergabe lösen. „Gesehenhatte ich das Bild schon einige Tagevorher, natürlich vom Küchenbalkonaus, welches mein einziger Ausgangwar. Dann vermochte ich mich von al-lem Zufälligen dieses Stückes ‚Natur‘loszulösen, sowohl in der Zeichnungals in der Tonalität und gab nur das‚Typische‘ in durchgedachter formalerGenesis wieder. Ob ich nun aus dem Dickicht wirklich he-raus bin? Dieser Kü-chenbalkon, das unbe-baute Feld, die Hohen-zollernstraße. Der Aus-blick eines Gefangenenin mehrfacher Rich-tung.“ Klee, der als ein-dringlicher Selbstbeobachter sich desBedeutsamen seines Schrittes sogleichbewusst ist, nennt es „ein Hauptdoku-ment für die Befreiung aus der Enge“(2). Der reife Maler und Zeichner, dermit seiner musikalischen Linienkunstdie Menschen verzaubern wird, kündigtsich an. Im Dezember 1908 mietet sichKlee ein kleines Dachatelier in der Feilitzschstraße 3/IV. Eine Gedenktafelerinnert dort an ihn.

Florian Roder

München um 1900 — wo Geister wandern

Paul Klee in seinem Atelier in München.

Vorwort und Einlei-tung zum gedrucktenJahresprogramm für2007, das im Herbst2006 erschien.

13München um 1900 – Wo Geister wandern

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Ein anderer Künstler, vierJahre älter als Klee, kommtetwas früher ins aufstrebendeMünchen. Es ist Rainer Ma-ria Rilke (1875–1926).Auch er wohnt da zu Studi-enzwecken. Er mietet sichzwei Zimmer in der Brien-nerstraße 48 und schreibtsich an der Universität einfür italienische Kunstge-

schichte der Renaissance und Ästhetik.Im Mai 1897 begegnet Rilke, gerade 21geworden, der vierzehn Jahre älterenLou Andreas-Salomé, die mit einerFreundin in der Schellingstraße wohnt.Ein Liebesverhältnis entsteht, das fürden jungen Dichter menschlich undpoetisch zu einem Wendepunkt seinerEntwicklung werden sollte. Mit Louunternimmt Rilke auch seine beidenwichtigen Russlandreisen. Erst in denJahren des Ersten Weltkrieges wird derDichter nach München zurückkehren.Eine entscheidende Wende liegt zwi-schen den Aufenthalten, wiederum mitdem hier interessierenden Jahr korres-pondierend. Es ist in Frankreich, dassRilke durch die Begegnung mit Rodinund Cézanne zu einem neuen Stilan-satz durchstößt. Der Künstler möchtenichtmehr seineEmpfindungswelt überdie Erscheinungen ergießen; er will

diese aus sich sel-ber sprechen las-sen. Im Jahr 1907wird die ersteFrucht seiner Be-mühung veröf-fentlicht. Es sinddie „Neuen Ge-dichte“. Die Ge-burt des „Ding-Gedichtes“ – man

denke nur an den berühmten „Panther“– kann hier beobachtet und mitvollzo-gen werden (3).

Besonders eng mit München ver-bunden ist Stefan George (1869–1933) und sein Kreis. Wie schon beiRilke und Klee, verbringt der jungeGeorge seine Studienzeit in der baye-rischen Kulturstadt. Dort lernt er sei-nen engsten Mitstreiter, Karl Wolfs-kehl kennen, außerdem Ludwig Klagesu. a. Ab 1900 logiert George bei denWolfskehls in der Leopoldstraße 51,ab 1909 in der Römerstraße 16. Dortwird ihm von Wolfskehl eine Dach-wohnung im vierten Stock eingerich-tet und ständig freigehalten. Auch fürGeorge bezeichnet das Jahr 1907 einenUmschlag. Es erscheint der Gedicht-band „Der siebente Ring“. Im gleichenJahr kommt es zu einem engerenZusammenschluss des Kreises. Dieserversteht sich zunehmend als Elite, dieihren Anspruch einer ästhetischenDurchdringung der Wirklichkeit zurallgemeinen Kulturpolitik erweiternwill, natürlich mit dem auserwähltengeistigen Führer George an der Spitze.

Es lohnt sich, einen Blick auf einigeCharakteristiken der Zeit zu lenken,die versuchen, das Typische desSchwabinger Lebensgefühls herauszu-heben. Franziska von Reventlow be-nennt Schwabing in einem Schlüssel-roman von 1913 mit dem poetischenAusdruck „Wahnmoching“: „Wahn-moching im bildlichen Sinne geht weitüber den Rahmen eines Stadtteils hin-aus. Wahnmoching ist eine geistigeBewegung, eine Richtung, ein Protest,ein neuer Kult oder vielmehr der Ver-such, aus uralten Kulten wieder neuereligiöse Möglichkeiten zu gewinnen –Wahnmoching ist noch vieles, vielesandere, und das werden Sie erst all-mählich begreifen lernen.“ (aus:„Herrn Dames Aufzeichnungen“) Eineandere Charakteristik von dem Fran-zosen René Prévost lautet: Schwabing„war lange die ästhetische Experi-

Rainer Maria Rilke

Stefan George

14 Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

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mentierstation der KulturhauptstadtMünchen.“ Schließlich sei eine Zeileaus dem erwähnten GedichtbandGeorges gebracht: „München. Mauernwo Geister noch zu wandern wagen.“(5) – Soviel zur Symptomatik vonMünchen um die Jahrhundertwende(und zum Jahr 1907 im besonderen).

Geisteinschlag vor hundert JahrenDas individuelle Eingangstor für den

Münchner Kongress bildeten zwei Per-sönlichkeiten, die im Mittelpunkt destheosophisch-anthroposophischen Le-bens standen: Sophie Stinde (1853-1915) und Pauline von Kalckreuth(1856-1929). Eng miteinander be-freundet, lebten beide zusammen imrosaroten Kalckreuth'schen Haus inder Adalbertstraße 55, an der Grenzezwischen Schwabing und Maxvor-stadt. Beide Damen sind künstlerischhoch begabt; beide haben eine Aus-bildung zur Malerei durchlaufen. Dochbeide haben sich unverbrüchlich demDienst an der entstehenden Geistes-wissenschaft verschrieben. Ohne ih-ren unermüdlichen Einsatz, ihr Ver-antwortlichsein bis ins letzte Detailwäre das Unternehmen buchstäblichnicht durchführbar gewesen.

Von der hiesigen Öffentlichkeitweitgehend unbemerkt – der VierteKongress der Föderation EuropäischerSektionen der Theosophischen Gesell-schaft war ein internes Treffen euro-päischer Theosophen –, machte er dochtiefen Eindruck bei den etwa 600 teil-nehmenden Mitgliedern – im Positivenwie im Negativen. Er wurde als neuer,mutiger Schritt begrüßt oder als Ab-kehr von traditionellen Veranstaltun-gen abgelehnt.

Worum ging es Rudolf Steiner beidem Vorhaben? Es ging ihm um nichtsweniger als um ein Anknüpfen an diealten Mysterien, aber in erneuerter

Form. Es ging ihm darum, zuzeigen, wie die werdende, vonder theosophischen Mutterhüllenoch halb verdeckte Anthro-posophie in der Lage ist, nichtnur die Gemüter innerlich zuergreifen und mit neuen Denk-bildern über Menschheit undWelt zu versorgen, sondernauch, das innerlich Erfassteschöpferisch nach außen tre-ten lassend, den umgebenden Raumverändernd zu ergreifen. Nur folge-richtig, dass dem künstlerischen Ele-ment eine tragende Rolle zufallenmusste: „Dies sollte unser Ideal sein“,schreibt Steiner schon 1905 in einemBrief an Marie von Sivers, „Formen zuschaffen als Ausdruck des inneren Le-bens. Denn einer Zeit, die keine For-men schauen und schauend schaffenkann, muss notwendigerweise derGeist zum wesenlosen Abstraktum sichverflüchtigen und die Wirklichkeitmuss sich diesem bloß abstrakten Geistals geistlose Stoffaggregation gegen-überstellen. – Sind die Menschen im-stande, wirklich Formen zu verstehenz. B. die Geburt des Seelischen aus demWolkenäther der sixtinischen Ma-donna: dann gibt es bald für sie keinegeistlose Materie mehr“ (6). Und imbegleitenden Kongressprogramm heißtes diesbezüglich erläuternd: „Das Maß-gebende bei allen diesen Veranstaltun-gen wird sein, zum Ausdruck zu brin-gen, dass die Theosophie nicht nur eineSumme von theoretischen Anschau-ungen bleiben muss, sondern die Um-wandlung in das Sinnlich-Anschauli-che und stimmunggemäß Wahrnehm-bare erfahren kann. Auf diesem Wegemuss sie ja befruchtend auf die übrigeKultur wirken“ (7).

Die Kunststadt München bot dafürden einzig geeigneten Mutterboden. Esging, mit einem Wort, um ein Verwan-

Franziska von Reventlow

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deln des gesamten Lebens. Die dreileuchtenden Ideale der Menschheit –Kunst, Wissenschaft und Religion –sollten in einheitlicher, selbstloserWeise zusammenwirken. Richard Wag-ner hatte dies, knapp 60 Jahre zuvor,mit seiner Idee des Gesamtkunstwerkeserträumt und erstmals anfänglich verwirklicht. Jetzt, mit Steiners neuemAnlauf, sollte ein weiterer Schritt indiese Richtung vollzogen werden –nicht von dem genialen, aber mensch-lich zwiespältigen Künstler ins Werkgesetzt, vielmehr von einem besonnenwirkenden Denker und Eingeweihten,der auch als rein menschliches Vorbilddienen konnte. Dabei blieb Rudolf Stei-ner sich voll bewusst, dass es ein aller-erster Versuch war, mit unvollkomme-

nen künstlerischen und technischenMitteln. Und doch ist es der Beginn desanthroposophischen Kunststrebens.

Bemerkungen zum TitelLange haben wir in der Vorberei-

tungsgruppe und im Kollegium um denangemessenen Titel gerungen. Schließ-lich einigten wir uns auf „Anthropo-sophie wird Kunst.“ Damit sollte – ineinem Satz, der selber ein Geschehenausdrückt – eben jener angedeuteteÜbergang von einer denkerisch-inner-lich erfassten Geisteswissenschaft zueinem kunstartigen Ergreifen der Wirk-lichkeit bezeichnet werden. Das reli-giöse Element ist darin natürlich mit-gedacht. Es liegt einerseits in dem Ge-meinschaftlichen des Tuns, das nur ausselbstlosem Zusammenwirken erwach-sen kann. Von der inhaltlichen Seiteher wird es mit dem Mysterienspiel„Das heilige Drama von Eleusis“ ange-schlagen, das, durch Edouard Schuréverfasst, von Marie von Sivers über-tragen und von Rudolf Steiner neu ein-gerichtet und mit Laien inszeniert, dergesamten Veranstaltung einen kulti-schen Charakter verlieh. Der Untertitelsoll betonen, dass wir keine histori-sche Aufarbeitung im üblichen Sinndurchführen wollen; ebenso wenig einenostalgische Rückbesinnung. Alles Ge-schichtliche soll als Keim für die Ge-genwart und Zukunft betrachtet wer-den, ganz im Sinn des Mottos vonFriedrich Schlegel. Wie weit das imEinzelnen gelingt, hängt natürlich vonder Geistesgegenwart der Redner undKünstler und den lebendigen Anstren-gungen der Zuhörer und Zuschauer ab.

Es ist das Verdienst der ursprüngli-chen Vorbereitungsgruppe, dass derMünchner Kongress von 1907 nun inso umfangreicher und weit gefächerterWeise nach 100 Jahren gewürdigt wird.Rudolf F. Gädeke als intimer Kenner

Rudolf Steiner inKristiania (Oslo) beiFamilie Reitan,1908.

16 Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

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* Leider konnte Dr. Zimmermannwegen Krankheit seinen Vortrag nichthalten. An seinerStelle sprach dan-kenswerterweiseGeorg Schumann,München, über die Planetensiegel.

17München um 1900 – Wo Geister wandern

der einschlägigen Zusammenhängesetzte sich begeistert ein für das „Ju-beljahr“ 2007. Von ihm stammt u. a. dieIdee der inhaltlichen Gliederung desJahres. Mit gleicher Begeisterung stiegDr. Friedwart Husemann in die Sacheein. Ihm ist vor allem die Konzeptiondes Pfingstkongresses 2007 zu verdan-ken. Von Karl Lierl, dem Dritten imBunde, der dankenswerterweise wie-der die grafische Gestaltung übernom-men hat, stammt schließlich der Ein-fall, die Veranstaltungen über dasganze Jahr auszudehnen und ein ent-sprechendes Übersichtsprogramm be-reits im Herbst 2006 erscheinen zu las-sen. – Florian Roder, etwas später dazustoßend, hat dann vor allem die Koor-dination und inhaltliche Ausgestaltungübernommen.

Überblick zum ProgrammDas Programm erstreckt sich über

drei Trimester. Entsprechend habenwir versucht, drei Hauptschritte an-zulegen. Das erste Trimester hat eineneinführenden Zug, indem geistige Vo-raussetzungen und geschichtliche Hin-tergründe des Münchner Kongressesbeleuchtet werden. Die Veranstaltun-gen tragen einen wissenschaftlichenCharakter. Im Sommertrimester weichtdies einer insgesamt künstlerischenDurchdringung. Der Herbst steht dannvor allem im Zeichen der gesellschaft-lichen und künstlerischen Auswirkun-gen des Keimes in der heutigen Kultur.Hier ist also der Zukunfts aspekt amstärksten betont. Das sind Hauptzüge,die nirgends engherzig durchgehaltenwurden, aber einen Grundton für diejeweilige Periode aufklingen lassen.

Das Jubiläumsjahr wird eingeläutetnoch in der Weihnachtszeit 2006 durcheinen Vortrag von Rudolf F. Gädekeüber den Münchner Kongress als „Ge-burtsstunde der selbstständigen An-

throposophie.“ Davor, um 18 Uhr, fin-det für Mitglieder der Hochschule fürGeisteswissenschaft eine Klassenstundemit unmittelbarem Bezug auf die Frageder Mysterienerneuerung statt, als freieKlassenstunde gehalten von Dr. Fried-wart Husemann.

Überschauen wir das gesamte Jahr,können wir drei Schwerpunkte fin-den, die durch Tagungen bezeichnetsind. Die erste findet Mitte März statt,verantwortet durch Dr. Heinz Zim-mermann* und Ursula Zimmer-mann. Sie ist dem „Geheimnis derPlanetensiegel“ gewidmet, mit einerBetonung auf dem Übungselementund einer abschließenden eurythmi-schen Aufführung zu den Planeten-siegeln im Theater Leo 17.

In der Pfingstzeit 2007 findet die ei-gentlicheGedenktagungdesMünchnerKongresses statt, unter dem Titel „DerBau wird Mensch“. In einer Reihe vonVorträgenwerdenDr.MichaelaGlöck-ler, Dr. Peter Selg und Dr. VirginiaSease sprechen. Der Abschluss amSonntag wird dem Ansatz einer plas-tisch-musikalisch-sprachlichen Men-schenkundeund dem Wesen der siebenSäulen gewidmet sein. ChristianHitsch, Dr. Armin Husemann und Dr.Serge Maintier sind die Referenten.

Der Herbst steht dann im Zeichen ei-ner kleinen Wochenendtagung, die aufdie Zukunft des Menschseins schaut.Der leitende Gedanke ist hier, einenAusblick anhand der Apokalypse desJohannes anzuregen und zugleich Ru-dolf Steiners Nürnberger Ausführun-gen über die Apokalypse im Folgejahr1908 als historischen Keim einzubezie-hen. Mechthild Oltmann, deren Le-bensthema die Apokalypse ist und Dr.Wolf-Ulrich Klünker haben sich bereitgefunden, über die „Gegenwart derApokalypse“ in Darstellung und ge-meinsames Gespräch einzutreten.

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Nochmals ein Blick auf München um 1900

Wir erinnern uns an die eingangs be-schriebenen Wege der drei Künstler Klee,Rilke und George wie an die aufschlussrei-chen Charakteristiken des Schwabinger undMünchner Lebensgefühls.

Franziska von Reventlow sprach von„Wahnmoching“ als einer geistigen Bewe-gung, dem Streben nach einem neuen Kult,der aus uralten Kulten hervorgehen sollte.Der Franzose Prévost steuerte die Bezeich-nung von der ästhetischen Experimentier-station bei. Wurde beides nicht durch denEinschlag der Geisteswissenschaft erfüllt?Handelt es sich nicht wirklich um einenneuen Kult, der in keinem bloß sammelndenZusammenmischen besteht; der vielmehr zueiner neuen, real-geistigen Grundlage führt,die dem gegenwärtigen Bewusstsein gerechtwird? Und ist es nicht zutreffend, von einerechten Experimentierstation zu sprechen,die auf künstlerischem Feld schöpferischwird, ohne in Willkür und Phantasie zu ver-fallen?

Auch Georges Aussage vom Wandern derGeister könnte man erneut anführen. Es istnicht restlos klar, worauf der Dichter damitdeuten wollte. Wohl auf die freie Entfal-tungsmöglichkeit des Münchner Bodens.Doch auch hier dürfen wir eine Ebene höhertasten. Wir können das Wandern der Geis-ter auch als übersinnliches Handeln verste-hen, das freilich in der Sinneswelt seine Fol-gen, seinen Ausdruck findet.

Der Maler Klee und der Dichter Rilke,beide eng mit München verbunden, erlebten1907/08 entscheidende Schritte auf ihremkünstlerischen Weg – der eine mit seinemDurchbruch als Zeichner, der andere mit derEntwicklung des Ding-Gedichtes. George,der Dichter mit dem absoluten Anspruchauf geistige Führung, formiert ab 1907 sei-nen esoterischen Kreis mit strengem Regi-ment. Sieht man genauer in die menschli-chen Verhältnisse hinein, steigen hier Mys-terienmotive aus karmischen Schächten he-

rauf, freilich verzerrt und unter Missach-tung des Wesentlichsten im modernen Be-wusstsein – der individuellen Freiheit.

Es mag kein Zufall sein, dass der Ein-schlag des Münchner Kongresses und dieEntwicklungen bei den genannten Persön-lichkeiten in den gleichen Zeitpunkt fallen.Wo immer man unter die Oberfläche schaut,kann man den Eindruck gewinnen: Es äu-ßern sich tiefste Bestrebungen, aus den mit-gebrachten Sehnsuchten der betreffendenPersönlichkeiten mehr oder weniger klar he-raufsteigend – Sehnsuchten, die erst durchdie Geisteswissenschaft ihr volles Licht er-halten. In diesem Sinne kann ein produkti-ver Rückblick, wie wir ihn versuchen wollen,auch ein Beitrag sein, der für die betreffen-den Schicksale und für die Stadt, in der siesich abspielen, und deren tiefere Wesenheitnicht ohne Bedeutung bleibt.

Ich schließe mit dem Wortlaut aus einemVortrag von 1907, in dem das Motiv derkünstlerischen Verwandlung der Wirklich-keit nochmals machtvoll aufklingt: „DieTheosophie kann man auch bauen: mankann sie bauen in der Architektonik, in derErziehung und in der sozialen Frage. DasPrinzip des Rosenkreuzertums ist, den Geistin die Welt einzuführen, fruchtbare Arbeitfür die Seele zu leisten“ (10).

Anmerkungen/Literatur1 Heißerer, D. Wo die Geister wandern. Eine Topographieder Schwabinger Bohème um 1900, München 1993, S. 239.Daraus auch die folgenden Zitate. Jedem, der sich genauermit diesem interessanten kulturgeschichtlichen Thema be-fassen möchte, sei das ausgezeichnete Buch von Heißererempfohlen.2 Ebd. S. 2423 Zu Rilke s. ebd. S. 257 ff.4 Zu George s. ebd. S. 143 ff.5 Ebd. S. 153, 11, 1496 Rudolf Steiner, Marie Steiner, Briefwechsel und Dokumente, GA 262, Dornach 2002, S. 1257 Steiner, R. Bilder okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongress Pfingsten 1907, GA 284, S. 258 GA 284, S. 41 und 65; vgl. auch GA 40, S. 749 Einschlägige Ausführungen finden sich in GA 93; eine Zusammenfassung des Inhaltes der Legende ist in GA 93, S. 363ff gegeben.10 GA 284, S. 72

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Rudolf Steiner und München

... In Berlin und München waren gewisser-maßen die zwei entgegengesetzten Pole deranthroposophischen Wirksamkeit zu entfal-ten … In Berlin konnte ein Zweig der Ge-sellschaft und eine Zuhörerschaft für dieöffentlichen Vorträge nur aus den Kreisenderjenigen Persönlichkeiten entstehen, dieauch alles ablehnten, was an Weltanschau-ungen im Gegensatze zu den traditionellenBekenntnissen sich gebildet hatte. Denn dieAnhänger solcher auf Rationalismus, Intel-lektualismus usw. begründeten Weltan-schauungen fanden in dem, was Anthropo-sophie zu geben hatte, Phantastik, Aber-glaube, usw. Eine Zuhörer- und Mitglieder-schaft erstand, welche die Anthroposophieaufnahm, ohne mit Gefühl oder Ideen nachanderem als nach dieser gerichtet zu sein.Was man ihr von anderer Seite gegebenhatte, das befriedigte sie nicht. Dieser See-lenstimmung musste Rechnung getragenwerden. Und indem das geschah, vergrö-ßerte sich immer mehr die Mitglieder- wieauch die Zuhörerzahl bei öffentlichen Vor-trägen. Es entstand ein anthroposophischesLeben, das gewissermaßen in sich geschlos-sen war und wenig nach dem blickte, wassonst an Versuchen sich bildete, in die geis-tige Welt Blicke zu tun …

Anders war das in München. Da wirkte indie anthroposophische Arbeit von vornhe-rein das künstlerische Element. Und in die-ses ließ sich eine Weltanschauung wie dieAnthroposophie in ganz anderer Art auf-nehmen als in den Rationalismus und Intel-lektualismus. Das künstlerische Bild ist spi-ritueller als der rationalistische Begriff. Es istauch lebendig und tötet das Geistige in derSeele nicht, wie es der Intellektualismus tut.

Die tonangebenden Persönlichkeiten für dieBildung einer Mitglieder- und Zuhörerschaftwaren in München solche, bei denen daskünstlerische Empfinden in der angedeute-ten Art wirkte.

Das brachte nun auch mit sich, dass inBerlin ein einheitlicher Zweig der Gesell-schaft von vornherein sich gestaltete. DieInteressen derjenigen, die Anthroposophiesuchten, waren gleichartig. In München ge-stalteten die künstlerischen Empfindungenin einzelnen Kreisen individuelle Bedürf-nisse, und ich trug in solchen Kreisen vor.Zu einer Art Mittelpunkt dieser Kreise bil-dete sich derjenige allmählich aus, der sichum die Gräfin Pauline v. Kalckreuth undFrl. Sophie Stinde, die während des KriegesVerstorbene, gruppierte. Dieser Kreis veran-staltete auch meine öffentlichen Vorträgein München. Das immer tiefer gehende Ver-ständnis dieses Kreises erzeugte in ihm einschönstes Entgegenkommen für dasjenige,was ich zu sagen hatte. Und so entfaltetesich die Anthroposophie innerhalb diesesKreises in einer Art, die aus der Sache herausals eine sehr erfreuliche bezeichnet werdenkonnte …

Ich will mit den Charakteristiken, die ichvon Berlin und München als den entgegen-gesetzten Polen des anthroposophischenWirkens gebe, nichts über den Wert des ei-nen oder andern Poles sagen; es traten daeben Verschiedenheiten bei Menschen auf,die man im Arbeiten zu berücksichtigenhatte, die in ihrer Art gleichwertig sind –wenigstens hat es keine Bedeutung, sie vomGesichtspunkte des Wertes aus zu beurteilen.

Die Art des Münchner Wirkens führtedazu, dass der Theosophische Kongress, der1907 von der deutschen Sektion der Theo-sophischen Gesellschaft veranstaltet wer-den sollte, in München stattfand …

Hier bricht die Lebensbeschreibung jäh ab. Am 30. März 1925 verschied Rudolf Steiner.Aus: „Mein Lebensgang“ von Rudolf Steiner, GA 28

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Adressen prominenter Persönlichkeiten 21

Wer wohnte wo in München von 1900 bis 19131 Wohnung von Kalckreuth und Stinde in der Adalbertstraße 55.

Zugleich Arbeitsgruppe München I. Dort wohnte Rudolf Steiner,während er in München weilte und dort sind auch die Mysterien-dramen entstanden. Es gab in München noch eine Gruppe II (1a),Leitung Baronin von Gumppenberg, Römerstraße 35 und eine Goethe-Arbeitsgruppe, Leitung Joseph Elkan, Marsstraße 22, naheHauptbahnhof (nicht im Plan).

2 Kaimsäle oder Tonhalle, Türken-, Ecke Prinz-Ludwig-Straße3 Das Café Luitpold. In den Prinzensälen hielt Rudolf Steiner seine

ersten Vorträge in München.4 Der heutige (2008) Sitz der Anthroposophischen Gesellschaft in

München, Leopoldstraße 46a. Vor dem Krieg war dort der Goethesaal im Sophie-Stinde-Haus der Anthroposophischen Gesellschaft.

5 Alexander von Bernus, Ainmillerstraße 316 Alexeji Jawlensky, Giselastraße 237 Wassily Kandinsky, Ainmillerstraße 36 mit Gabriele Münter8 Paul Klee, Feilitzschstraße 3, später Ainmillerstraße 329 Franz Marc, Friedrichstraße 410 Gabriele Münter, Hohenzollernstraße 2111 Franziska von Reventlow, Kaulbachstraße 6312 Rainer Maria Rilke, Briennerstraße 4813 Café Größenwahn (Café Stephanie) Amalien-/Ecke Theresienstr.14 Frank Wedekind, Franz-Joseph-Straße 4215 Karl Wolfskehl, Leopoldstraße 87, Römerstraße 1616 Stefan George, Römerstraße 1617 Alfred Kubin, Mandlstraße 2618 Ludwig Klages, Leopoldstraße 11919 Thomas Mann, Franz-Joseph-Straße 220 Ricarda Huch, Kaulbachstraße 3521 Max Obrist, Karl-Theodor-Str. 4822 Max Reger, Victor-Scheffel-Straße 1023 Joachim Ringelnatz, Hohenzollernstraße 31a24 Phalanx-Schule, Hohenzollernstraße 7a25 An dieser Stelle hätte der Johannesbau stehen sollen.

Am 12.1.1913 wurde er endgültig vom Staatsministerium des Innern in München abgelehnt. Schon ab dem 26.3.1913 gab es Plänefür das Erste Goetheanum in Dornach. Das 4. Mysteriendrama wirdam 22.8.1913 in München uraufgeführt. Am 20.9.1913 war dieGrundsteinlegung des Ersten Goetheanums in Dornach. – Der ErsteWeltkrieg begann ein Jahr später, 1914.

26 1908 bis 1920 lebte Albert Steffen in München unter diesenAdressen: Franz-Joseph-Str. 39, Ainmillerstr. 50, Tengstr. 8,Hohenzollernstr. 109, Viktor Scheffel-Str. 5, Kaiserstr. 27,Kaulbachstr. 52, Friedrichstr. 20

27 Lenin lebte von 1901 bis 1905 in der Kaiserstraße 53, später in der Siegfriedstraße 14

28 Adolf Hitler lebte ab 25.5.1913 bis zum Kriegsbeginn 1914 in derSchleißheimer Str. 34, Ecke Gabelsbergerstr. (nicht mehr im Plan).

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Münchner Kongress 1907 – Programm 23

Das Programm zumMünchner Kongress1907 in Original-größe. Auf dennächsten Seiten sinddie Innenseiten abgebildet.

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Münchner Kongress 1907 – Programm 27

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Planetensiegel, SaturnzustandGemaltes Säulenkapitell, Saturnsäule

In dem Programmbuche findet man fünfZeichnungen. Es sind die in Vignetten-form umgesetzten Motive der ersten fünf

der … erwähnten sieben Säulenkapitäle.Auch in diesen fünf Zeichnungen ist etwasvon dem gegeben, was man ‚okkulteSchrift‘ nennt. Wer sich mit ganzer Seele indie Linienformen und Figuren einlebt, demwird etwas von dem innerlich aufleuchten,was man als die für die Erkenntnis dermenschlichen Entwickelung wichtigen Zu-stände (Saturn-, Sonnen-, Mond-, Mars-und Merkurzustand) bezeichnet.“ Rudolf Steiner, aus GA 284, S. 42. Abb. der gemalten Säulenkapitelle ausGA 284. Zeichnungen der Planetensiegel von Karl Lierl, 2006.

Planetensiegel und Säulenkapitelle

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Planetensiegel und Säulenkapitelle 29

Planetensiegel, SonnenzustandGemaltes Säulenkapitell, Sonnensäule

Planetensiegel, MondenzustandGemaltes Säulenkapitell, Mondensäule

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Planetensiegel, MarszustandGemaltes Säulenkapitell, Marssäule

Planetensiegel, MerkurzustandGemaltes Säulenkapitell, Merkursäule

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Planetensiegel und Säulenkapitelle 31

Planetensiegel, VenuszustandGemaltes Säulenkapitell, Venussäule

Planetensiegel, JupiterzustandGemaltes Säulenkapitell, Jupitersäule

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Annie Besant Marie von Sivers / Rudolf Steiner Sophie Stinde

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ie Stinde Freiin Harriet von Vacano Mathilde Scholl (3. Reihe, halb verdeckt)

33Der Münchner Kongress 1907

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Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart34

Pauline von Kalckreuth / Sophie Stinde / Rudolf Steiner / Marie von Sivers

Georg Wilhelm Friedrich Hegel27.8.1770 – 14.11.1831

Johann Gottlieb Fichte19.5.1762 – 29.1.1814

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Der Münchner Kongress 1907 35

Friedrich Wilhelm Joseph Ritter von Schelling27.1.1775 – 20.8.1854

Mathilde Scholl (3. Reihe)Anordnung der Büsten (Bilder oben) vom Zuschauerraum aus gesehen,v.l.n.r: Fichte, Hegel, Schelling

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Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart36

Die sieben Siegel geben die astrali-schen Urbilder der Menschheitsent-wickelung auf der Erde im Sinne der

Geisteswissenschaft. Wenn der Seher aufdem Astralplan diese Entwickelung in dieZeiten ferner Vergangenheit und in fernerZukunft verfolgt, so stellt sich ihm diese inden gegebenen sieben Siegelbildern dar. Erhat nichts zu erfinden, sondern lediglich dievon ihm geistig wahrgenommenen Tatsa-chen zu verstehen.“ Rudolf Steiner, GA 284.

Die Siegel hingen an den Wänden des ganzmit roten Tüchern ausgeschlagenen Saales.Auch die Decke war mit roten Tüchern ver-hüllt. Auf den Bildern der vohergehendenSeiten kann man sie erkennen. Sie warengegen den Uhrzeigersinn angeordnet. Linksdas 1. und 2. Siegel, in der Mitte das 3., 4. und5. Siegel und rechts das 6. und 7. Das 7. Sie-gel wurde von Rudolf Steiner zum erstenMal in der Kulturgeschichte ins Bild ge-bracht. Bis dato gab es dieses Siegel nur alshebräisches Schriftzeichen. Die Siegel wur-den malerisch von Frau Clara Rettich nachSkizzen von Rudolf Steiner ausgeführt.

Die Unvollkommenheit der künstlerischenGestaltung der apokalyptischen Siegel durchdie Malerin Clara Rettich stieß von Anfangan auf viel Kritik, jedoch war sich RudolfSteiner dessen selbst voll bewusst. Warum er trotzdem diese Siegelbilder nach demMünchner Kongress veröffentlichte, wirddeutlich aus seiner folgenden Äußerung ge-genüber einem Kritiker:

„Jenes Gespräch im Münchner Kongress-saale, wo Sie die Siegel unkünstlerischnannten und ich erwiderte ‚aber richtig‘,haben Sie nämlich missverstanden. Ich war

mit Ihnen ganz einverstanden, und hättesehr, sehr gerne diese Dinge künstlerischgehabt. Doch muss der Okkultist realistisch,nicht chimärisch denken und so muss erdasjenige nehmen, was zu haben ist. ‚Aberrichtig‘ sagt daher auch alles. Das ist esnämlich, worauf es ankommt, dass gegen-wärtig kein Künstler das dem wirklichen Le-ben nachschaffende Vermögen hat. Und sohat man nur die Wahl: Entweder die formell-abstrakte Andeutung inneren Lebens undGehaltes bei äußerlich unkünstlerischerFormgebung, oder die in sich toten Formenund Schemen, die heute vielfach künstle-risch genannt werden, und die auf den Ken-ner wirklichen Lebens ungefähr wirken wieLeichname, die Leben vortäuschen sollen.“(Briefentwurf Rudolf Steiners an Unbekanntvom 12. April 1909, aus GA 284).

Die Abbildungen auf den nächsten Seitensind eine Erstpublikation der von Clara Ret-tich gemalten Siegel von 1911. (Siehe ne-benstehenden Text.) Abbildungen mitfreundlicher Genehmigung der Rudolf-Stei-ner-Nachlassverwaltung.

Die apokalyptischen Siegel

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Apokalyptische Siegel 37

Zur Geschichte der Siegelmalerei und -reproduktion während Rudolf SteinersLebenszeit

Die Originale und die erste ReproduktionDie sieben Tondi der apokalyptischen Sie-

gel, die Clara Rettich 1907 für die Ausstat-tung des Münchner Kongresssaales gemalthat, wurden zunächst für die noch im selbenJahr produzierte erste Auflage von „OkkulteSiegel und Säulen“ fotografiert und dort imLichtdruck-Verfahren schwarzweiß repro-duziert. Die originalen Bilder haben sichnicht erhalten. Diese Version wurde inner-halb der Rudolf Steiner Gesamtausgabe imAnhang zum Band „Die Apokalypse des Jo-hannes“ (GA 104) wieder abgedruckt.

Rettichs kleinformatige Repliken ab 1907Nachdem die Siegel im Druck erschienen

waren, begann Clara Rettich ab 1907 damit,auf der Grundlage dieser Reproduktionenkleinformatige Repliken ihrer Siegelmale-reien herzustellen, indem sie auf die Repro-duktionen farbig aufmalte. Von diesenkleinformatigen Repliken haben sich zweiSerien erhalten, die sich heute im Besitz desRudolf-Steiner-Archivs in Dornach befin-den. Für die Neuauflage von „Okkulte Siegelund Säulen“ im Jahre 1957 wurde statt derSchwarzweißabbildungen der Erstauflageeine dieser beiden Serien zur Reproduktionausgewählt (GA 284, Taf. VII bis XIV). Dieandere Serie wurde anlässlich des 2007 zuAusstellungszwecken gefertigten Modellsdes Münchner Kongressaales von der Kunst-sammlung am Goetheanum in größeremFormat (Maßstab 1:2) reproduziert. Sie un-terscheidet sich von der Serie, die für die

Neuauflage von „Okkulte Siegel und Säulen“verwendet wurde, durch einen stellenweisegrößeren Detailreichtum, während die in GA284 publizierte Version eine freiere Pinsel-führung aufweist. Diese zweite, bislang un-publizierte Version wird in dem vorliegen-den Band mit freundlicher Genehmigungder Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung ab-gebildet.

Neue Siegel für den Stuttgarter BauFür die Ausstattung des Stuttgarter

Zweighauses in der Landhausstr. 70 stellteClara Rettich 1911 zwei weitere Serien imFormat von etwa 70 cm Durchmesser her.Diese zwei mal sieben Tondi sind erhaltenund befinden sich ebenfalls im Besitz desRudolf-Steiner-Archivs. Von diesen Arbeitenwählte man für die Neuauflage von „OkkulteSiegel und Säulen“ sieben Stücke zur Re-produktion aus (GA 284, Taf. VIIa bis XIVa).

Arild Rosenkrantz’ Version von 1924Auf Anfrage von Harry Collison schuf

Arild Rosenkrantz, der im Goetheanumbauvon Rudolf Steiner mit der Ausführung desMittelmotivs der Ostkuppel betraut wordenwar und seit 1922 wieder in Arlesheimwohnte, für die 1924 in London erschie-nene englische Ausgabe von „Okkulte Siegelund Säulen“ („Occult Seals and Columns“),eine für den Schwarzweißdruck gestalteteSerie. Bei dieser Arbeit besuchte ihn RudolfSteiner des öfteren in seinem Atelier und be-sprach mit ihm die Ausführung.

Roland HalfenRudolf-Steiner-Archiv, Dornach

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Das erste Siegel:„Ganz abgesehen davon, dass Sie bei der Be-rührung des astralischen Leibes mit dem ätheri-schen Leibe hellseherische Kraft entwickeln kön-nen, würde noch etwas anderes auftreten. DerMensch wird sich bewusst der seelischen Eigenhei-ten, der seelisch-menschlichen Eigenschaften derastralischen Welt und der devachanischen Welt,aus der er eigentlich herausgeboren ist seiner Seelenach. Und es tritt zu diesem Bilde ein noch höhe-res Symbolum, das die ganze Welt zu erfüllenscheint. Zu diesem Symbolum der alten Einwei-hung tritt für den, der durch die Johannes-Einweihungsstufen geht, etwas hinzu, was am bestendurch das erste Siegel dargestellt wird. Als einehellseherische Erscheinung sieht er den Priester-könig mit goldenem Gürtel, mit Füßen, die ausMetallguss zu bestehen scheinen, das Haupt be-deckt mit Haaren wie von weißer Wolle, aus demMunde ein feuriges Schwert flammend und in derHand die sieben Weltensterne: Saturn, Sonne,Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus“ (GA104, S.63f).

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Apokalyptische Siegel 39

Das zweite Siegel:„Der Mensch war noch nicht dicht physisch da,als das Tier schon im Fleisch vorhanden war. Er war eine feine Luftwesenheit, selbst in den lemurischen Zeiten noch. Und er hat sich so herausgegliedert, dass sich das hellseherische Bild darstellt mit den vier Gruppenseelen: Auf der einen Seite wie ein Löwenbild, auf der ande-ren wie das Bild eines Stieres, oben wie das einesAdlers, und in der Mitte unten etwas, was schonmenschenähnlich ist. So kommt aus dem Dunkeldes Geisterlandes heraus der Mensch. Und das,was ihn an Kraft ausgebildet hat, das erscheint in einer Art Regenbogenbildung. Die mehr physi-schen Kräfte umgeben die ganze Bildung diesesMenschen wie ein Regenbogen. Und das, wovon er umgeben ist, das symbolisierte man in altenZeiten mit dem Tierkreis, in den 12 Zeichen des Tierkreises (GA 104, S. 59).

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Das dritte Siegel:„Dieses Siegel stellt die Geheimnisse der so-genannten Sphärenharmonie dar.“ (GA 284, S. 93) „Der Mensch erlebt diese Geheimnisse inder Zwischenzeit zwischen dem Tod und einerneuen Geburt. Doch ist die Darstellung nicht sogegeben, wie sie im Devachan selbst erlebt wird,sondern so, wie die Vorgänge dieses Gebiets sich in die astrale Welt gleichsam hereinspiegeln. Esmuss überhaupt festgehalten werden, dass diesämtlichen siebeb Siegel Erfahrungen der astrali-schen Welt sind. Die posaunenblasenden Engel des Bildes stellen die geistigen Urwesen der Welt-erscheinungen dar; das Buch mit den sieben Sie-geln deutet darauf hin, dass sich in den Erlebnis-sen, die in diesem Bilde veranschaulicht sind, dieRätsel des Daseins «entsiegeln». Die vier apokalyp-tischen Reiter stellen die menschlichen Entwicke-lungsstufen durch lange Erdenzyklen hindurchdar“ (GA 34, S. 598).

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Apokalyptische Siegel 41

Das vierte Siegel:„Weisheit und Stärke ist es, was die Erde als Erbschaft von früheren Entwickelungsstufen, vomalten Mond und der alten Sonne übernommen hat.Das kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass wirdie erste Hälfte der Erdentwickelung nach demVertreter der Sonnenkraft, dem Mars, benennen.Wir sehen im Mars den Bringer von Stärke. Undindem, was die zweite Hälfte der Erdentwickelungbeherrscht, haben wir den Stellvertreter der altenMondenentwickelung, den Merkur, welcher derErde die alte Erbschaft des Mondes, die Weisheiteinverleibt. So setzt sich uns die Erdentwickelung-zusammen aus Mars- und Merkurentwickelung.Die Erde selber, soll hinzubringen die Liebe durchihre Mission. Diese Liebe soll sich herrlich offen-baren. In der ältesten atlantischen Zeit war derMensch noch für das Wasser gebaut. In der Mitteder Atlantis erst ist er so weit, dass er sich demWasser entreisst und den festen Boden betritt. Biszu der Zeit, wo die Erde in der Mitte ihrer Entwi-

ckelung war, müssen wir das Wasser ebenso alsden Träger der menschlichen Entwickelung auffas-sen wie später die feste Erde … Das gliedert sichso recht zusammen in die Vorstellung, dass derMensch gestützt wird in seiner ganzen Erdenmis-sion durch zwei Säulen. Und über ihnen symboli-siert sich dasjenige, was durch die Erde selber er-reicht werden soll: Die Liebe, die sich darlebt,herrlich sich offenbarend, die gestützt wird durchdiese Erbschaften“ (GA 104, S. 169f).

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Das fünfte Siegel:„Der Mensch wird in der vergeistigten Erde drin-nen leben und zu gleicher Zeit verbunden sein mitder Kraft der Sonne, und er wird der Überwinderdes Mondes sein. Das wird, indem es geschautwird, dargestellt durch diese symbolische Figur:Das Weib, das die Sonne in sich trägt und denMond zu ihren Füßen hat“ (GA 104, S. 186).„Aber dasjenige, was im Fleische geblieben ist,wird auf der Nebenerde dargestellt durch das Tiermit den sieben Köpfen. Es erscheinen wiederumdie Tierköpfe, die einstmals da waren. Alles dasje-nige, was im Menschen veranlagt wird durch denätherischen Leib, das nennt man in der Mysterien-sprache einen Kopf. Dasjenige aber, was physischim Menschen bewirkt wird durch irgend ein Glieddes Ätherleibes, das nennt man ein Horn“ (GA 104, S. 188).

„Wir werden sehen, dass diejenigen Wesenheiten,welche sich diese sieben Köpfe bewahrt haben,weil sie stehen geblieben sind in der Entwickelung,dass die in der Tat im Abgrund einen physischenLeib angenommen haben, der aus zehn verhärtetenphysischen Leibesgliedern besteht“ (GA 104, S. 190).

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Apokalyptische Siegel 43

Das sechste Siegel:„Das wird dargestellt durch das dem Seher er-scheinende Bild von Michael, der den Schlüsselzum Abgrund und die Kette in seiner Hand hat,der bei Gott steht und die entgegengesetzten Kräftegefesselt hält.“ (GA 104, S. 232f) „Es könnte dieFrage auftauchen: Hätte es sich nicht für eineweise Vorsehung besser geziemt, von vornhereindieses furchtbare Schicksal (des Abgrundes) abzu-wenden? Wäre es unmöglich, dass der Mensch indie Abgründe des Bösen hineinsegelt, dann wäreauch das für den Menschen nicht erreichbar, waswir auf der einen Seite Liebe und auf der anderenSeite Freiheit nennen, denn für den Okkultisten istdie Freiheit untrennbar verknüpft mit dem Begriffder Liebe. Ein Mensch, der nicht die Möglichkeithätte aus eigenem freien Entschluss das Gute oderauch das Böse zu wählen, der wäre ein Wesen, dasnur am Gängelband zu einem notwendig zu errei-

chenden Guten geführt würde“ (GA 104, S. 234f).„Eine fast unabänderliche Anlage für den Abgrundhat nur derjenige, der heute schon irgendwie ver-strickt wird in die Fangarme des zweihörnigen Tie-res, des großen Verführers zu den Künsten derschwarzen Magie. Und selbst für solche Menschen,die heute auf die Künste der schwarzen Magie he-reinfallen, gibt es in der Zukunft noch einmal eineMöglichkeit, umzukehren“ (GA 104, S. 236).

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Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart44

Das siebte apokalyptische Siegel:„Auf dem letzten Siegel sieht man, wie dem Apokalyptiker hellseherisch die Regelmäßigkeit desNeuen Jerusalem sich ausdrückt“ (GA 104, S. 251).„Dieses Siegel ist das von dem Mysterium desGral, wie es in der vom 14. Jahrhundert beginnen-den esoterischen Strömung heimisch war. Es findetsich auf dem Bild ein Würfel, die Raumeswelt dar-stellend, daraus von allen Seiten des Würfels ent-springend die Weltenschlange, insofern sie die imniederen sich auslebenden höheren Kräfte darstellt;aus dem Munde der Schlange die Weltenlinie alsSpirale – das Sinnbild der gereinigten Kräfte; und daraus entspringend, der „heilige Gral“, dem die„Taube“ gegenübersteht: Dies alles hinweisend –und zwar ganz sachgemäß – auf das Geheimnisder Weltzeugung, von der die irdische ein niedererAbglanz ist“ (GA 34, S. 599).

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Der Münchner Kongress 1907 – Teilnehmer 45

Münchner Kongress1907, Teilnehmer

BerlinDr. Steiner / Frl. Marie von SiversMia Holm Baronin Cl. von

Lichtenberg Camilla Wandrey Baronin Nelly von

LichtenbergSchauspieler [Walter]

Vegelahn Clara Motzkus Charlotten-

burgJohanna Mücke Elisabeth von Wartenberg Gustav Kull J.E.L. Peelen [Jan Hendrik /Joh. Elis. Charl.?]Franziska Johannesohn E[mma]. Blieffert zzt. BerlinHenni Geck Günther Wagner Pension

Sulzer, Berlin Frl L[ouise]. Boese Frau Prof [Martha]

Erdmann Baronin E[lsbeth]. Uexküll Frl Adelgunde Dunkhase Frl. K[atharina]. Schallert Clara Lüddeke Anna Werner Paul Werner Frau [Anna] Angelkovich Helene Lehmann Clara [Walther-]Selling Herr W[ilhelm]. Korth Frau [Paula] Korth[-Obst?] Wilhelm Selling Adelheid Voigt Friedrich Kiem Herr [Hermann] Rabe Herr [Wilhelm] Tessmar Frau [Eugenie] von Bredow Gräfin [Marie] Schwerin Herr [Johannes GottfriedWilliam] Schröder Gräfin Olga Schack Frau Hofmann [Odenkofen][Franz] Seiler Mrs [Elisabeth] Douglas

Shields Käthe [Hafliger-?] Kappes Paula Werner [?]Dr. [Carl oder Friedrich]

Schwendt MünchenCarola Mayne geb. Gräfin

Morawitzky, Pasing

Ludwig Deinhard Herr [Ing. Heinrich]

Hiernickel [Frau] Hofrath T.[herese]

WalterFrau von Rumpler Otto HuschkeHilde HuschkeErnst KramerGraf Friedrich von BothmerBaron Ferdinand [von]

PaungartenHerr RieperFrau RieperSophie BührerFrau Professor [Babette]

HofmannFreifrau von PlatenHerr [Heinrich] NeherHerr [Oskar] HöhlLydia Seesemann Clara Michels Herr [Fritz] Hass Baronin [Emmy] von

Gumppenberg Baroness Marika von

Gumppenberg Herr Baurat [Julius] HaaseKarl Stahl Frl. B. Wachsmann Karl HossfeldFrau Ehemann Frau von Vacano Baronin Antoinette von

Gayling Heinrich Steinitzer Frau [Magdalene] Koch

Loge II Frau Apotheker [Juliane]

Winkler Frau Gräfin Sophie

Bothmer Herr [Karl] Stubenrauch Frl. [Rosa] von Hofstetten Herr [Josef] Elkan Frau [Elise] Elkan Herr [Carl] Kuhn Frau [Anna] Kuhn Baronin [Gabriele]

Schrenck-Notzing Herr [Philipp] Gundel Dr. Ernst Wagner Elsbeth [Wagner-]Lehmann Herr [Josef] Rheude Herr [Hans] Schellbach Herr [Friedrich] Lengen-

felder Frl. Lita Schmidt Frau [Gertrude] von

Tschirsky [Tschierschky] Baronin von Gemmingen

[Stuttgart?]Frau [Maria] Knopf Herr [Hermann] Linde Frau [Marie] Linde Gräfin Amelie Fugger Frau [Magdalena] von Spaun Graf [Otto] Lerchenfeld Frl. Zanziger H. Marc Kricheldorf Baronin [Elisabeth] von

Scheve [von Scheve?]Herr [Albert] Hammel Herr [Julius] Bittmann Frau [Elise] Bittmann Frl. [Martha] Steinbart Herr [Hans] von Alten

[Freiburg]Frl. [Sophie] StindeGräfin [Pauline] KalckreuthStuttgartKieser Stuttgart KerningLoge für:Fräulein Paula KieserFräulein Martha KieserFrau [Maria] AldingerHerr Barth [?]Herr [Hermann] BeckHerr [Adolf] AldingerFräulein [Toni] VölkerHerr [Gustav] OttoHerr [Wilhelm] Bolz Prof. Dr. [Carl oder

Friedrich] Schwend Architekt [Paul] Zeller Frau zur Hellen Frl. [Marie] Weissmann Herrn E. Kieser [?]Frau [Karoline / Lina]

Eschmann Herr [Jakob] Eschmann Frl. [Luise] Duttenhöfer Alice Kinkel Herr [Wilhelm] Kinkel 75 x Zweig I Arenson Cann-stadt Ludwigstr. 17:Hans Weisshaar Victorine Hallisch [?]Carl UngerEugen BenkendörferJose del MonteEugen SchmidFanny SchneiderFrau Alice von SonklarWilhelm SchrackElise SchrackWilhelm JäckAdolf ArensonFrl. Gustel [Unger-]

ArensonFrl. Clarita [Benkendörfer-]

Arenson

Clara RettichHeinrich Mayer Wilhelm Werntgen HamburgVictoria Paulsen für:Lilly KoernerAmalie WagnerAdolf KolbeJohanna KolbeJohn BreyJenny [sic] BreyIda MüttelJenny MeyerBertha Lohnbach [?]Kurt WaltherG. F. Scharlan Otto Westphal A.W.Sellin Julius [Rudolf] Krause

Hittfeld, HarburgJulius Lange Herr Hubo Frau M. Bachmann NürnbergBaron Klenk 14 x für Albrecht Dürer Zweig:Michael BauerTheodor BinderAugust HulbeGeorg KlenkAndreas KörnerWilhelm Krieger

[erschoss am 4.1.1924 Carl Unger]

Paul ReissFrieda BauriedelAnna Krieger [Frau von

Wilhelm Krieger]Eduard Bachmann

für DürerzweigArthur HanesSophie IfftnerMarie KlenkG. KlenkKäthchen SpiessMinna RissmannIda KörnerPaul BauriedelKölnGertrud Noss Jenny Hippenmayer Frl. [Amalie] Schulte-

HiltropRichard Jürgas Mathilde Scholl Johanna Lüdemann Amelie [Künstler-]

Biesenbaum Eugen Künstler Maud Künstler J. Peelen Oberlahnstein /

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Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart46

Agnes Friedländer Frl. Eckert Frau [Käthe] Mitscher KarlsruheAlf[red] Reebstein Adolf Schmitt Herr H.[ugo] Harder Karl Stockmeyer jr. Johanna Stockmeyer,

Malsch Hilde Stockmeyer, MalschFritz Spies Frankfurt5x theosoph. LogeFranz Nab [?]Jakob Schwinn Anna Deutschinger Bertha Nab Frau Gerlinger Herr Gerlinger Oscar Hintze [Frau Margaret Hintze-

Blackmore]KasselAnna Limberger [?]Frau [Ida] Baurat Knoch Anna Schuster Herr Dr. [Ludwig] NollFräulein F[rida]. Noll Ludwig Kleeberg C.[arl] Schultz CasselHannoverFrau Gräfin Ella Moltke Paula Stryczek Döhren bei

Hannover [1908 adoptiert v. Hübbe-Schleiden]

[Adriana] M[argarethe]. Kool [-Piersen]

Herr W. Eggers [sen.] Martha Witte

LeipzigDr. Hugo Vollrath Clara [Vollrath-] Ortlepp Carl Geissler WeimarElisabeth WinklerMiss Conder Weimar [?]Horst von Henning EmdenG.[eorg] O.[lsen] MustertTelegraphen Sekretär

EmdenD.[r. David] A.[braham]

Kool EmdenFrl. Kool Emden [?]BremenGustav Wöbcken BremenClara WöbckenSchwester [Luise] Hessel-

mann BremenDüsseldorfFranz Tabuschat Cecile Peipers Felix Peipers ElberfeldC.[arl] Müller Felix von Damnitz Frau[Luise] von Damnitz

Johanna Damnitz [?]Sonstige Deutsche mit HerkunftsangabeFrau [Magda] Hamann geb.

Diecken, NorderneyElla Büsche, SchwelmAntonie Link Ehrenbreit-

stein, BonnAnna Bauer, BonnClara Smits, Oberkassel

F[riedrich]. Schwab, Heidelberg

Karl Liedvogel, HeidelbergAlbert Sippel, LorchKarl Hamm, EsslingenKarl Kälber, EsslingenHerr OberamtssekretärK.[onrad / Karl / Carl]

Eppler, TrossingenHerr [Jacob] Feldner,

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Der Münchner Kongress 1907 – Teilnehmer 47

RegensburgFrau [Antonie] Feldner,

RegensburgIda Biltz, DresdenSchweiz/BaselHerr Fischer [?]Herr [Rudolf] Geering Frau [Elisabeth] GeeringE. Grosheintz für

Frau [Nelly] GrosheintzOscar GrosheintzRudolf Hahn Frau [Marie] Hahn Herr G[ottlieb]. Hiltbold lHerr S[iegfried]. Hofstetter Frl. [Pauline] Hutter

[St. Gallen?]Dr. J.[an] Lagutt [-von

Ostheim] Frau [Anna] Lagutt Herr [Hugo] Schuster

Herr Ed.[uard] Suter Herr [Carl] Zürcher Sonstige SchweizErnst Heim, BernFrau A.[nna] Haefliger, BernMargarethe [Boltz-]

Haefliger, BernFrau [Suzanna Marie]

Hirter BernIta Wegman, ZürichMartha Müller, Zürich [?][Prof.] Dr. A. Gysi, ZürichFrau Consul Franken Herr Consul Franken Prof Boltz (?) Otto Rietmann Fotograf,

Sankt GallenLina RietmannFrl M.[ary] FalconerE.[lizabeth] FalconerJ.[osef] Epper-Furrer

Joh.[ann] SondereggerWilly Conrad, NeuchatelEnglandMiss [Alice Mary], Bristow Mrs. [Caroline Mary]

Harding, zzt. MünchenMrs PiccerdaleMrs Sharpe, England [?]Max Gysi [?]Clifford Bose Mr Wedgewood, England [?]Miss Spink, England [?]Mr [Ernst?] LeoMrs [Luitgard?] LeoMr Wiltrims, England [?]Mrs Wiltrims, England [?]Mrs Severo [Severs?],

England [?]Mr Wallace, England [?]Mr Bottwell [Rottwell?],

England [?]Mrs Bottwell [Rottwell?],

England [?]Mrs Dextis, England [?]Mr Dextis, England [?]Mrs Arundale, England [?]Mr Wyndham Harding, GB [?Miss Mallet, England [?]Mr(s) Mallet, England [?]Mrs Frye, England [?]Mrs Lauder [Lander?],

England [?]Miss Arundale, England

(2x) [?]Esther Bright Escher, GB [?]

Mrs Bright [?]Mrs Besant [?]Herr Bedner, London [?]FrankreichMms Montagu, ParisCharles Bloch, Paris 3x [?]Carl Petz Professeur de musique, ParisMme Kochmansky, Paris [?]Mme Machean Gambien,

Frankreich [?]Mlle Bayer, Nizza [?]Mlle Bayer, Nizza [?]Mlle Boll, Monaco [?]Mad Triponel, Paris [?]M. Jo Palmare, Monaco [?]Mme Mallet, Paris [?]Madame Mansbendel,

MühlhausenAuguste Frey, Mülhausen [?]Mme Porohofehikof,

Marseille Mme M.[arguerite] Payen,

GuebwillerFrau von Lüdtwitz,

Strassburg [?]ItalienFrau A[lida?]. von Ulrich,

Turin für:Emil Maggiore [?]Frau G. Baggiani, Lago Maggiore Gräfin Brockdorff für

Gräfin Hedda Brockdorff in Meran

Links: Großer Festsaalder Tonhalle/KaimsaalDarunter: Grundriss des1. Stocks der Tonhalle.Rechts: Kaimsaal oderTonhalle in der Türken-Ecke Prinz-Ludwig-Straße in München. DasHaus wurde im Kriegvöllig zerstört und nichtwieder aufgebaut.Darunter: Der WeißeSaal, im Plan mit„Foyer“ bezeichnet.

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Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart48

Karl Klugkist, Rom(Mrs Cooper Oakley), Italien Mr. Kirby, Genua Mrs. Kirby, GenuaHerr Prof. [Oscar] Bolz,

Lugano (durchgestrichen) Fuchs, Lugano [?]Prof Penzig, Genua [?]Signor Pilla, Italien [?]Ungarn5 weitere Namen in Bleistift,bezog. auf 5 x Nagy?Herr Nagy Geologe,

Budapest [?]Agoston Gyula [?]Nerey Ödon [?]Joseph Pinkert [?]Hermann Windisch [?]Gaston Polak Kolosvar,

Ungarn [?]Österreich, Polen, BulgarienHerr Sauerwein, Wien [?][Ottilie] Hanauskova, Prag[Jan] Bedrnicek [-Chlumsky] M. Nikoff, Sofia [?]SkandinavienMrs Fels, Neu Sealand,

Finnland [?]Fr. Ebba Tillquist,

-Stockholm [?]Evelyn Neckelmann,

KopenhagenArvid Knös, Schweden [?]C.J. Lind, Kopenhagen [?]Frau Ellen Östberg,

Schweden [?]Frank Heyman, Schweden[?]RusslandFrl. [Nina von] GernetAdriadne Weltz, Russland [?]Elis Radjewitsch, Russ-

land[?]Mme Pschenetzky,

Russland, Paris [?]Frau [Olga von] Forsch [Frau] Exzellenz [Natalie]von Minsloff [Mintzloff],

MoskauFrl. [Anna] von Mintzloff Frl. [Maria] Sperling Olga von Sivers Frau [Helene? Natalie? ]

Pisarieff AmerikaRenda, Amerika [?]Russach (?), Amerika [?]Miss Asspel, Amerika [?]Mrs Helen HeckerHerr Dr. von Hooth

[Hook?], Chicago [?]Frau von Brandis

Holland„8 Namen nicht notiert (Holländer und Holländer)“ 50 Interimskarten nach Amsterdam [an Mr. A. J.

Cnoop Koopmann]Cnoop Koopman Herr Hop, Holland [?]19 holländische Mitglieder-karten gezahlt durch HerrnKnoops KoopmansOhne WohnortangabeAlbertine von MartensHerr [Johann] Rüppel Frau [Catharina] RüppelPastor emeritus Heinrich

Wendt [Weimar]W[illy]. Vollrath HeingartenMargarete VollrathDr. van Scharpenberg [?],

Schlör [?]Herr Kämpf [?][Frl. Nasta?] FritschHerr Kumpf (durchgestr.)[Karl] Jantsch (durchgestr.)[Anton] Nussbaum [sen.]Dr. Ernst BoldtFrau F[lorence?]. E. FrankeEugen EndlerFrl Else WagnerFrau [Elise] WolframHerr Kunstmaler [Hans]

Volkert Frl. [Alice] Sprengel

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Der Münchner Kongress 1907 – Teilnehmer 49

Rudolf Steiner Marie von SiversAnnie Besant

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Sophie Stinde ermöglichte die„Mysteriendramen“ Rudolf Stei-ners. Sie schuf die Grundlagen

für den Johannes-Bau in Münchenund dessen Fortführung mit dem Ers-ten Goetheanum in Dornach. Sie wardie Repräsentantin der anthroposo-phischen Arbeit in München – die„Seele unseres ganzen Wirkens“ (GA261, S. 151).

Sophie Stinde wuchs in einer vonherzlicher Atmosphäre geprägten Pas-torenfamilie im Ostholsteinischen auf.Ihr Halbbruder aus erster Ehe des Va-ters, der bekannte satirische Schrift-steller Julius Stinde (1841–1905), fi-

nanzierte ihr eine Ausbildung zur Ma-lerin, zunächst ab 1889 in Karlsruhe,dann in München bei P. P. Müller. Rei-sen durch Deutschland, Frankreich undEngland vervollständigten den Bil-dungsweg. Während der 90er- Jahredes 19. Jahrhunderts war sie mit Land-schaftsthemen in der Kunstöffentlich-keit präsent, was sich etwa in dem Ge-winn der Goldmedaille bei einer Aus-stellung in Brisbane niederschlug.

Wie sie zu geistigen Fragestellun-gen kam, ist unbekannt. Jedenfalls warsie schon 1902 zusammen mit PaulineKalckreuth Leiterin des MünchnerHauptzweiges der Theosophischen Ge-sellschaft. Als solche begegnete sie Rudolf Steiner 1904 in München. Siewurde dessen esoterische Schülerinund Leiterin der esoterischen Arbeit in München (Esoterische Schule [ES]und freimaurerischer Erkenntniskul -tus [FM]). 1904 –13 war sie im Vor-stand der Deutschen Sektion tätig.1906 richtete sie ein öffentliches Lese-zimmer ein; 1907 gründete sie einenKunst- und Musiksaal für Arbeiter. Imselben Jahr bereitete sie, zusammenmit ihrer engsten Weg- und Lebensge-nossin, Pauline von Kalckreuth, denMünchner Kongress vor. MaßgeblichenAnteil hatte sie am Zustandekommender Münchner Festspiele 1907–13 unddamit an den Uraufführungen der vierMysteriendramen Rudolf Steiners(1910–13). Aus dieser Arbeit erwuchsder Wunsch nach einem künstlerisch

Sophie Stinde,Malerin, geb. am21.9.1853 in Lehn-sahn/Holstein, gest. am 17.11.1915in München.

Florian Roder

Sophie Stinde

50 Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

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51Sophie Stinde

angemessenen Bau, wobei sie als Schöpferindes Baugedankens betrachtet werden kann.In der Folge wurde Sophie Stinde erste Vor-sitzende des Johannes-Bauvereins (1911–15).Als das Vorhaben in München scheiterte,zog sie mit Gräfin Kalckreuth nach Dornachum. An der Grundsteinlegung des Goethea-nums am 20. September 1913 – einen Tagvor ihrem 60. Geburtstag – nahm sie teil. Siegehörte zu den 13 Persönlichkeiten, welchedie Grundsteinurkunde unterzeichneten. Dieübergroße Anstrengung, der sie sich im Zu-sammenhang mit der Bautätigkeit unterzog,führte zur Schwächung ihrer Gesundheit.An einer Lungenentzündung erkrankt, ver-starb sie am 17. November 1915. RudolfSteiner hielt die Ansprache zu ihrer Krema-tion in Ulm.

Das Leben von Sophie Stinde gliedert sichdeutlich in zwei Teile – die Zeit vor der Be-gegnung mit Rudolf Steiner und die Zeit da-nach. Ungewöhnlich ist, dass die Vorberei-tungszeit über 50 Jahre dauerte, währendfür die wesentlichen Aufgaben der zweitenPeriode gerade elf Jahre zur Verfügung stan-den. Dennoch lässt sich die Anlage des Spä-teren in der ersten Zeit deutlich erkennen: Esist die malerisch-künstlerische Durchbildung.Dieses persönliche Können wird umge-schmolzen zu einem allgemein-künstleri-schen Impuls, der sich mit vorbehaltlosemWillen in den Dienst der Anthroposophiestellt. Sophie Stinde wird damit zur Verkör-perung jener besonderen Note, die durch dieeigentümliche Atmosphäre Münchens mög-lich erscheint. Während Berlin das wissen-schaftliche Interesse im Vordergrund stand,war hier ein künstlerisches Element von An-fang an maßgeblich: „Und in dieses ließ sicheine Weltanschauung wie die Anthroposo-phie in ganz anderer Art aufnehmen als inden Rationalismus und Intellektualismus.Das künstlerische Bild ist spiritueller als derrationalistische Begriff“ (GA 28, S. 461).

Ihr Lebensmotiv ergriff Sophie Stindezweifellos mit den Mysteriendramen unddem Baugedanken. Oder genauer: In der

Zusammenführung des Poetisch-Innerlichender Dramen mit dem architektonisch-plas-tisch-malerischen Außengebilde des Baueszu dem Gesamtkunstwerk „Goetheanum“.Dabei stellte sie sich ganz auf die Seite desorganisatorischen Unterbaues und dermenschlich-sozialen Belange. Sie war es,die an Rudolf Steiner die entscheidendeFrage richtete. Und sie gab – sachlich undunspektakulär – für diese Aufgabe ihre ei-gene Lebenssubstanz hin.

Die Persönlichkeit von Sophie Stindebleibt in vielem ein Rätsel. Intimere Auf-zeichnungen oder Zeugnisse fehlen. Überihre innere Entwicklung ist so gut wie nichtsbekannt. Wie hinter einem Schleier scheintsie ihr Seelenleben verborgen gehalten zuhaben. Dennoch kann man ihres Wesens wenigstens umrisshaft ansichtig werden – inder Wirkung auf seine Umgebung. Da sindvor allem die Ansprachen Rudolf Steinersnach ihrem Tod zu nennen, durch die bloßeAnzahl aufhorchen lassend. Dann die Erin-nerungen Ludwig Kleebergs, den sie persön-lich und finanziell unterstützte und der mitihr im Briefwechsel stand. Schließlich diefeinen Beobachtungen Andrej Belyjs und diehohe Wertschätzung, die Marie Steiner ihremEinsatz im erinnernden Rückblick zollt.

Sophie Stinde war, anders als die hochra-gende Kalckreuth, von mittelgroßer Statur.Sie besaß eine klare Stimme mit deutlicherAussprache, gewohnt, Anweisungen zu er-teilen. Die unbedingte Strenge, die sie in derDurchführung der Pflichten an den Tag legte,wurde gemildert durch herzliche Güte und ei-nen kräftigen Humor. Belyj spricht gar vondem „samtenen, taubengleichen Blick“ ihrerAugen (Belyj, 1977, S. 410). Überhaupt wirdder Gegensatz zwischen Herbheit und Mildein ihrem Wesen häufig hervorgehoben: „Einemännliche Natur“, „mit Seelenzartheit ver-bunden“, hat Margarita Woloschin, selbstMalerin, an ihr beobachtet (Woloschin, S.75). Ähnliches empfand Marie Steiner, aufeine starke „moralische Kraft“ weisend, dievon ihr ausgegangen sei (M. Steiner, 1945, S.

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Der Goethe-Saal imSophie-Stinde-Haus.(Zeitungsausschnitt).1931 verlegte derbekannte Volks-schauspieler KarlValentin für kurzeZeit seine Auffüh-rungen dorthin. Das Haus wurde imKrieg am 12.7.1944durch einen Flieger-angriff völlig zer-stört.

52 Anthroposophie wird Kunst – Der Münchner Kongress 1907 und die Gegenwart

193). Ein „sonnenhaft Kraftvolles“ er-schien Rudolf Steiner als Grundzug ih-res Wesens vor dem geistigen Blick.Drei Hauptlinien nahm er wahr, die vondiesem sonnenhaften Mittelpunkt aus-strahlten: unbestechlichen Wahrheits-sinn im Gedanklichen – sehendes Ver-trauen im Gefühlsleben, wurzelnd inder Treue zum Geist – selbstloses Wil-lensfeuer, sich auslebend bis in die Klei-nigkeiten alltäglicher Pflichterfüllung(s. GA 261, S. 152, 154, 158, 174f). Be-lyi verglich sein Verhältnis zu ihr mitdem zu einem östlichen Starez. Sie seider „Typ der heiligen christlichen Die-nerin Gottes“ (Belyj, 1992, S. 305). Viel-leicht am intimsten erspürt man denchristlichen Sonnengrund ihres Wesensaus einer brieflichen Äußerung an Lud-wig Kleeberg von 1905: „Sehen Sie, lie-ber Freund, wem so von allen SeitenLiebe zuströmt wie Ihnen jetzt, von demwird später auch einmal geistige Hilfeerwartet, und gerade dieses Zuströmenist mir ein guter Grund anzunehmen,dass Sie anderen in ähnlicher Weisehelfen werden und schon helfen. Wiralle müssen unser Leben über vor allenDingen aber lernen, Liebe auszuströ-men. Lassen Sie niemanden an Ihnen

vorübergehen, dem Sie nicht einen Lie-besstrom nachsendeten. Dadurch wirdIhre Liebefähigkeit und Ihre Vertiefungin die Mitmenschen groß werden, dassSie Wunder dadurch erzielen werden.“(Kleeberg, 1955, S. 450).

Werke: 1 Aufsatz in Mitteilungen aus der anthro-posophischen Arbeit. Literatur: Das geistigeDeutschland am Ende des XIX. Jahrhunderts, Bd. 1,Leipzig 1898; Steiner, M. In memoriam SophieStinde, in: Was in der Anthropos. Ges. vorgeht 1943,Nr. 47; dies. Zum dreißigsten Todestage von SophieStinde; Strakosch, A. Zum 30. Todestag von SophieStinde, in Was in der Anthro. Ges. vorgeht 1945, Nr. 46; Steiner, R. Treue–Wahrheitssinn–Richtungs-festigkeit. Zum 30. Todestag von Sophie Stinde,Dornach 1945; Kleeberg, L. Sophie Stinde. Zur 40.Wiederkehr ihres Todestages, in: Blätter für Anthro-posophie 1955, Nr. 11, 12; Pollmann K. Rudolf Stei-ner in München, München 1961; Treichler, R. d. Ä.Wege und Umwege zu Rudolf Steiner, Stuttgart1974; Belyi, A. Verwandeln des Lebens, Basel 1977;Woloschin, M. Aus Tagebuchaufzeichnungen, in:Beltle, E., Vierl, K. (Hg) Erinnerungen an Rudolf Stei-ner, Stuttgart 1979; GA 261, 1984; GA 265, 1987;Kleeberg, L. Wege und Worte. Erinnerungen an Rudolf Steiner aus Tagebüchern und aus Briefen,Stuttgart 1990; Reitmeier, L.J. Dachau – der be-rühmte Malerort. Kunst und Zeugnis aus 1200 Jah-ren Geschichte, Dachau 1990; Goerdten, U. Famili-enbriefe aus Ostholstein, Aus dem Nachlass von Julius Stinde, Bargfeld 1991; Belyi, A. Geheime Auf-zeichnungen, Dornach 1992; GA 284, 1993; Stra-kosch, A. Lebenswege mit Rudolf Steiner, Dornach1994; GA 28, Edition Rudolf Steiner, Dornach 1995;GA 268, 1999, Goerdten, U. Bibliographie JuliusStinde, Bielefeld 2001.

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Pauline von Kalckreuth war eineder wichtigsten Stützen der An-throposophischen Bewegung

und Gesellschaft. Wie wichtig sie fürdie junge Gesellschaft war, erschließtsich nur durch die Mitteilungen vonMarie Steiner und Andrej Belyj in sei-nem Buch „Verwandeln des Lebens“.Gäbe es diese beiden Beschreibungenüber die Gräfin nicht, man wüssteheute kaum etwas über Pauline vonKalckreuth, außer ihren Namen. Wassie in Wirklichkeit für die Anthropo-sophische Gesellschaft war und wassie geleistet hat, das beschreibt MarieSteiner: „Pauline von Kalckreuth kannals einer der Tragepfeiler in dem Auf-bau unserer werdenden Gesellschaftbetrachtet werden; die Kraft der Hin-gabe, die sie in sie hineingegossen hat,bleibt bestehen … denn sie ist in dasMark der Gesellschaft eingedrungen.Hätten wir viele Leute mit dieser Fä-higkeit des geduldigen Tragens undder Aufopferung, wir wären einemächtige Gesellschaft … Ihre Liebe-kräfte konnte sie zu Erkenntniskräftenumwandeln … Ihr eigenes künstleri-sches Schaffen hatten sie aufgegeben,um ungeteilt der Arbeit für die An-throposophie leben zu können.“ (Ma-rie Steiner, Nachruf in: „Was in derAnthroposophischen Gesellschaft vor-geht“, 26.5.1929) – Der Plural „hattensie“ bezieht sich auf die unzertrennli-chen Persönlichkeiten Sophie Stindeund Pauline von Kalckreuth, die beidein München gewirkt haben. Über diese

Zweiheit, Stinde-Kalckreuth, schreibtAndrej Belyj, dass beide eine „rituelleBruderschaft“ hätten. Sie „stellten eine‚zweieinige‘ Person dar: ‚Stinde‘ und‚Kalckreuth‘, ‚Denken‘ und ‚Wollen‘ –bar alles Fühlens – und ‚Fühlen‘, un-wahrscheinlich nuanciert und blühendim schönsten Sinne … die GräfinKalckreuth aber war ‚Gefühl‘ ohne eineSpur von Sentimentalität: Gefühl, dasbis zur reinen geistigen Form erhöhtund auf dem esoterischen Pfad geläu-tert worden ist.“

Stinde und Kalckreuth waren beideMalerinnen und beide haben ihrekünstlerischen und persönlichen Am-bitionen ganz der Anthroposophie ge-widmet. Sie haben so bedingslos ge-

Karl Lierl

Gräfin Pauline von Kalckreuth

Gräfin Pauline von Kalckreuth, Malerin,geb. am 19.10.1856in Düsseldorf, gest. am 8.5.1929 in München.

53Gräfin Pauline von Kalckreuth

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opfert, dass daraus eine Kraft erstand, durchdie vieles ermöglicht wurde. Denn ohnediese beiden Persönlichkeiten gäbe es wederdie Mysteriendramen, noch den Johannes-bau bzw. das spätere Erste Goetheanum, sowie man es heute kennt. Dazu heißt es imNachruf auf Pauline von Kalckreuth vonMarie Steiner: „… Das Übermaß der an ihn(Rudolf Steiner) gestellten Forderungen hätteihn anderes verrichten lassen, hätte dieseRealisierung vielleicht verhindert…“ Es wa-ren gerade die unspektakulären, oft un-dankbaren und doch so essentiellen Aufga-ben der Organisation und der Vorbereitung,die die beiden übernahmen und dabei durchihre Tatkraft, ihr Beharrungsvermögen undihre Treue zur Anthroposophie die Verwirk-lichung erst ermöglichten. Und in einemBrief von Marie Sivers an Schuré kann manlesen: „Für die Karten (zur Aufführung desDramas „Kinder des Luzifer“ von Schuré)braucht man sich nur an die Gräfin Kalck-reuth zu wenden … Die Damen sind einzigin ihrem Eifer und ihrer Hingabe. Sie ma-chen alle Arbeit, die man nicht sieht.“ Die-ser unscheinbare Hinweis auf die Arbeit, dieman nicht sieht, ist es, der die wirkliche Tä-tigkeit von Kalckreuth am besten beschreibt.Zu ihren Aufgaben gehörte denn auch derUmgang mit den „Verrückten und Kranken“,den „gescheiterten oder verirrten Existen-zen“, die den Doktor wochenlang belagerten(Lindenberg, Chronik, S. 284). Es war SophieStinde, die den Gedanken einer Errichtungeines eigenen Baus für die Mysteriendramenin München aussprach. Und Kalckreuthschloss sich diesem kühnen Plan sofort an.Dass dieser Impuls letztlich in die Tat um-gesetzt werden konnte, ist durch den per-sönlichen Verzicht auf ihre Laufbahnen alsMalerinnen begründet, wodurch sie eine hö-here künstlerische Urteilskraft gewannen,die sich in eine bedingungslose Tatkraft fürdie moderne Mysterienkunst umgewandelthat. Marie Steiner schreibt dazu: „Sie(Stinde) und Gräfin Kalckreuth schritten tap-fer der Realisierung dieses Gedankens (der

Errichtung des Johannesbaus) entgegen, deruns zunächst erschreckte, den wir fast zukühn fanden … Alle vorbereitende und or-ganisatorische Tätigkeit wurde wiederumvon beiden Freundinnen geleistet. Und alsder Bau nicht in München, sondern in derSchweiz errichtet werden musste, hielt keinBedenken sie zurück, dieselbe Liebe undKraft dem Bau … zu widmen.“

Der feinsinnige Andrej Belyj beschreibtPauline von Kalckreuth folgendermaßen:„Hochgewachsen, hager, unglaublich durch-geformt, mit einer Gesichtsfarbe, die zuwei-len einen purpurnen Lichtschein ausströmte,mit sehr großen, strengen, blauen Augenund einem Engelslächeln um den kleinen ro-safarbenen Mund, ohne ein einziges grauesHärchen, in rosafarbener oder purpurnerTunika mit einem Kreuz auf der Brust,schien sie mir in ihren besonders strahlen-den Augenblicken nicht aus dieser Welt, wieaus dem Paradies zu kommen, alterslos, einjunges Mädchen; dabei war sie, als wir unskennenlernten, bereits über fünfzig, Freun-din und Förderin des Münchner Zweiges,eine ‚Maria‘, die als ‚Zweite Martha‘ waltete:Stinde und Kalckreuth oder Kalckreuth undStinde. Etwas war merkwürdig: in den Au-genblicken des Leuchtens bekam die Kalck-reuth ein Engelsgesicht, aber ihre Augenweiteten sich und wurden streng, ich hatteden Eindruck, dass ihr Blau sich bis zumBlauschwarz vertiefte; und aus ihnen blicktemich die strenge Stinde an; während dasstrenge, nüchterne, unschöne Gesicht vonStinde verschwand, wenn man ihr in dieAugen schaute: man versank in dem tau-bensanften gütigen Blick; aus diesen Augenblickte die ‚gütige‘ Kalckreuth …; … (Steiner)manifestierte sich in Stinde-Kalckreuth alsdie soziale Tatsache einer christlichen Ge-meinschaft und machte München … hei-matlich und vertraut; und man wusste nicht,wer zu dieser ‚Alchemie‘ den auslösendenImpuls gab: Sophie Stinde den Impuls derüberlegenen, weisen Bewältigung der Ar-beitslast an Gräfin Kalckreuth oder Kalck-

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55Gräfin Pauline von Kalckreuth

reuth den Impuls der die Arbeit durchleu-tenden Liebe an Stinde. Auch Gräfin Kalck-reuth arbeitete Tag und Nacht; selbstver-ständlich wohnten beide Freundinnen zu-sammen, in dem rosaroten Haus der Kalck-reuth (Adalbertstraße 55, 3. Stock, rechts, inMünchen. Der Zweigraum war im Parterre,links).“ In der Wohnung der beiden lebteund arbeitete Rudolf Steiner während derMüchner Zeit, hielt Vorträge, und dort ent-standen auch die Mysteriendramen.

Pauline von Kalckreuth war die vierteTochter des 1894 verstorbenen Direktors derKunstschule in Weimar, des Landschafts-malers Prof. Stanislaus Graf von Kalckreuth.Sie war eine Hofdame bei der Kaiserin Fried-rich (1840 –1901), einer Tochter von Victo-ria von England und Mutter von Kaiser Wil-helm II. Die Kaiserin war sehr liberal, kunst-sinnig und selbst eine begabte Malerin. Ge-genüber Bismarck nahm sie eine konträrePosition ein und beinflusste ihren GemahlKaiser Friedrich dementsprechend. Aufgrundihrer Ausbildung als Hofdame war Paulinevon Kalckreuth hochgebildet und sprach si-cherlich fließend Französich und Englisch.Belyj schreibt: „Sie war eben eine ‚Ehema-lige‘: Zu meiner Zeit unterhielt sie keineBeziehungen mehr zum Hof; und es warvöllig unmöglich, sie sich außerhalb desMünchner Zweiges vorzustellen, ohne Ein-trittskarten, die sie zu verteilen, ohne Adres-sen, die sie zu schreiben hatte, ohne hel-fende Sorge um die anderen; sie war immerin Geldnot, denn sie opferte der Sache undihren Freunden alles, was sie besaß.“

Pauline von Kalckreuth war schon, bevorsie Rudolf Steiner traf, Mitglied der Theoso-phischen Gesellschaft und von Anbeginnder Anthroposophischen Gesellschaft Mit-glied. Sie war eine persönliche, esoterischeSchülerin Steiners und bei der Grundstein-legung des ersten Goetheanums 1913 einerder sieben Persönlichkeiten, die Rudolf Stei-ner den Spaten reichte. Sophie Stinde warebenfalls als „Mithandelnde“ anwesend.Später schnitzte von Kalckreuth an den Ar-

chitraven des Ersten Goetheanums. Als Be-lyj einmal einen Wutanfall bei der hartenArbeit bekam, sagte sie, nachdem er sichwieder beruhigt hatte: „Das macht nichts.Das Barometer ist gefallen.“ Und Belyj be-richtet: „Ich brauchte mich vor ihr nicht zugenieren, da ich persönlich gesehen und ge-hört hatte, wie die vornehme, ausgeglichenealte Dame den Hammer gegen ihre Formfeuerte, mit der sie nicht fertig werdenkonnte, und zu schreien anfing; sie rebel-lierte gegen den Doktor: ‚Er hätte es we-nigstens richtig erklären können!‘… ichsprang mit einem Satz vom Gerüst, lief zu‚ihrem‘ Architrav, reichte ihr ehrerbietig denArm und half ihr wortlos vom Gerüst …“

Am 31. Dezember 1923 bat Pauline vonKalckreuth um die Aufnahme in die „neu-gestaltete anthroposophische Gesellschaft“,Rudolf Steiner schrieb auf diesen Brief einkurzes und schwungvolles „Ja“. Und auf ei-nem Stempelabdruck daneben heißt es lapi-dar „erledigt“.

Als Sophie Stinde am 17.11.1915 in Mün-chen starb, wurde es einsam um Paulinevon Kalckreuth. Noch einsamer, als RudolfSteiner 1925 starb. „Sie fand sich nicht mehrzurecht in der neuen Welt; sie vermisste sovieles von dem, was ihr notwendige Le-benssubstanz schien, selbst in unserer Be-wegung.“ (Marie Steiner, im Nachruf) Am10.5.1929 steht in den „Müncher NeuestenNachrichten“: „Pauline Gräfin von Kalck-reuth tödlich verunglückt. Die jüngsteSchwester des berühmten, im Dezember vo-rigen Jahres gestorbenen Malers LeopoldGrafen von Kalckreuth, des Präsidenten desDeutschen Künstlerbundes, die Kunstmale-rin Pauline von Kalckreuth … ist am Diens-tag abend in der Adalbertstraße, Ecke Tür-kenstraße tödlich verunglückt. Die Künstle-rin wollte die Straße überqueren und wurdedabei von einer Radfahrerin angefahren …Die Verunglückte, die einen Schädelbrucherlitten hatte, wurde in das KrankenhausSchwabing gebracht, wo sie starb.“

*

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Das Haus in derAdalbertstraße 55heute. Aufnahme2005. Hier entstan-den die Mysterien-dramen. Meistnachts geschrieben,in aller Frühe vomSetzer geholt und am Nachmittag inder nahe gelegenenTurnhalle geprobt.

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Adalbertstraße 55 57

Fassadenzeichnungdes Anwesens in derAdalbertstraße 55 inMünchen-Schwabing,Baujahr 1895. DieWohnung von Kalckreuth undStinde lag im 3. Stock, rechts. Die Zweigräume imParterre, links.

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Was unter den jungen Mün-chener Künstlern zu Beginndes 20. Jahrhunderts an Ge-

sinnung und innerem Streben lebte,schildert uns Alexander Strakosch, dervon 1900 bis 1903 hier studierte undin dem Kreis um Kandinsky auch seinespätere Lebensgefährtin, die MalerinMaria Giesler fand, in seinem Buch„Lebenswege mit Rudolf Steiner“.

„Bald lernte ich auch junge Künst-ler kennen und verkehrte viel im CaféStephanie, das auch unter dem Na-men Café Größenwahn bekannt war.Hier saßen die Größen der Kunst unddie, welche es zu werden gedachtenoder sich schon dafür hielten. FrankWedekind war hier täglicher Gast, undauch Max Halbe, Max Reger und an-deren bedeutenden Künstlern konnteman hier begegnen.

Wenn der ,Bourgois‘ von Münchenund von Künstlern hört, dann denkt ervor allem an den Fasching. Den habendie Künstler meist unter sich gehöriggefeiert. Doch lebte damals in der Bo-heme vielfach ein echtes Suchen nacheiner vertiefteren Lebensauffassungund einer Lebensführung aus geisti-gen Impulsen. Abends, oft bis tief in dieNacht, führten wir auf den Ateliers,sehr oft bei dem Maler Jagersbacher,ernste Gespräche, nicht nur über künst-lerische Probleme. Besonders bewegteuns die Frage, ob es jenseits der Sin-neswelt eine geistige Wirklichkeit, ei-nen Gott gäbe. Manchmal glaubten wiruns durchgerungen zu haben, dann

gab es einen Gott. Das dauerte wohl ei-nige Wochen, dann ergriff uns wiederdie Unruhe und es kamen Zeiten desZweifelns und des Suchens. Manchemerkten, dass da schließlich jeder sei-nen eigenen Weg finden müsse unddass es auf den Weg ankäme, auf dieVerwirklichung des Geistes im Lebenund nicht auf eine feste Meinung, seisie auch noch so ehrlich errungen.Konfessionelle Fragen interessiertenuns nicht.

Der Künstler kann eigentlich garnicht Materialist sein, sein Streben istja der lebendige Beweis gegen die Be-hauptung, dass der Stoff die einzigeWirklichkeit sei. Um so tiefer erlebt erdafür den Widerspruch zwischen dem,was ihn erfüllt, und der Inhaltslosig-keit, der inneren Haltlosigkeit jeneranderen Lebensauffassung, die im bloßen Kampf ums Dasein den Grund-zug der Lebensführung von Tier undMensch erblicken will. Dagegen wehr-ten sich viele und stürzten sich je nachCharakter und Temperament aufNietzsche und Schopenhauer. Einigefühlten sich auch bei Kant geborgen,indem sie die Sittlichkeit, für derenBegründung der Materialismus nichtsgeben konnte, kategorisch dem Lebeneinfügen wollten. Doch der Zweifelwuchs und ergriff immer weitereKreise, denen bisher das Verharren imÜberkommenen eine Art Schutz ge-währt hatte.

Wir waren dazumal eine kleineGruppe, aber einmal wurde es uns klar

Karl Pollmann

Die Münchner Jugend zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Der Text dieses Kapitels stammt ausder Schrift „RudolfSteiner in München“,das 1961 zum 100. Geburtstag von Rudolf Steiner erschienen ist. Der gesamte Buchtextsteht im Internet: www.anthroposophie-muenchen.de

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Das Café Stefaniewar an der Wendezum 20. Jahrhundertein Künstlerlokal inMünchen an der EckeAmalien-/Theresien-straße. Es war einTreffpunkt für dieBoheme und lag inder Nähe der Kaba-retts „Simplicissi-mus“ und „Die elfScharfrichter“. Da-mals war es eines der wenigen Lokale in München, das bisdrei Uhr geöffnet sein durfte.

59Erste Jahre in München

und wir sprachen es aus, dass in etwa20 Jahren für weite Kreise der Jugendder Widerspruch zwischen inneremStreben und den Forderungen des äu-ßeren Lebens zu einer grundsätzlichenLebensfrage werden würde. Was danntatsächlich als Jugendbewegung kamund nach kurzer Zeit im ,Bürgerlichen‘versandete, das war nicht, was wir er-wartet hatten. Das ging hervor ausdem Fühlen und kam darüber kaumhinaus, während wir nach tragendenErkenntnissen gesucht hatten, um einebewusste Einheit der Lebensauffas-sung und der Lebensführung zu be-gründen. Erkenntnisse muss sich jederdurch eigene Anstrengung erwerben.Aber von denen, die nach solchen Zie-len streben, kann man sich verstandenund bestärkt fühlen.“

Maria Strakosch-Giesler bestätigt ineinem Brief vom 5.12.1960 die von Ale-

xander Strakosch geschilderte Situa-tion und spricht von der eigentümli-chen inneren Unruhe, die damals unterden jungen Studierenden in Münchenzu bemerken gewesen sei. „Es war, alsob eine mahnende Stimme ihnen sagte,die bisherigen, mit Bequemlichkeit her-gestellten sogenannten Kunstwerke etc.sind so nichtssagend, dass, was meinSeelisch-Geistiges erfüllt an Sehnsuchtnach Weisheit, Schönheit, Stärke, nachanderen Wegen und Wirkenskräftenruft, fast könnte man sagen schreit …Wenn man durch die großen Säle desGlaspalastes mit ihrer ausgezeichnetenBeleuchtung wanderte und schaute, sosah man rings um sich immer das glei-che Bemühen: Die dreidimensionaleWelt mit möglichst photographischerGenauigkeit darzustellen. Das konnteaber die Photographie fast noch besser.Das Geistig-Seelische der Farbe ist das

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Grundprinzip der Malerei, sie verlangt aberdie Fläche, ein Zweidimensionales, sonstkann sie ihre Sprache nicht erklingen lassen.“

1904-1906: Die ersten Jahre anthroposophischen Wirkens in München

Im Jahre 1902 war Rudolf Steiner aufge-fordert worden, innerhalb der Theosophi-schen Gesellschaft vorzutragen. Dieses An-gebot hatte er angenommen und war imOktober 1902 Generalsekretär der gleich-zeitig begründeten Deutschen Sektion der

Theosophischen Gesellschaft geworden. Erschreibt im 31. Kapitel von „Mein Lebens-gang“, dass sich aus den Persönlichkeiten,zu denen er außerhalb der TheosophischenGesellschaft in öffentlichen Vorträgensprach, und denen, die aus der Betätigungmit irgendeiner „theosophischen Richtung“den Weg zu seiner Art, über die Geistwelt zusprechen, fanden, im Rahmen der Theoso-phischen Gesellschaft das herausgebildethabe, was später Anthroposophische Gesell-schaft wurde. „Da entstand das Berliner, dasMünchener, das Stuttgarter Wirken usw. An-dere Orte schlossen sich an. Da verschwandallmählich das Inhaltliche der Theosophi-schen Gesellschaft, es erstand, was seineZustimmung fand durch die innere Kraft, dieim Anthroposophischen lebte“

Das 33. Kapitel des Buches „Mein Le-bensgang“ beginnt Rudolf Steiner mit dem

Hinweis, dass sich seine erste Vortragstätig-keit innerhalb der aus der theosophischenBewegung hervorgewachsenen Kreise nachden Seelenverfassungen dieser Kreise rich-ten musste und dass er erst im Laufe der Zeitmit der vorrückenden Arbeit immer mehrauch in der Ausdrucksweise die eigenenWege gehen konnte. Es ist deshalb bei denNachschriften der Vorträge aus den erstenJahren seiner anthroposophischen Wirk-samkeit zwischen Ausdrucksform und In-nerlichkeit zu unterscheiden. „Innerlich,geistig“, schreibt Rudolf Steiner, ist das, wasin diesen Nachschriften vorliegt. „ein ge-treues Abbild des Weges, den ich einschlug,um die Geisteserkenntnis stufenweise zuverbreiten, so dass aus dem Naheliegendendas Fernerliegende erfasst werden sollte. Fürmich waren die Jahre etwa von 1901 bis1907 oder 1908 eine Zeit, in der ich mit al-ler Seelenkraft unter dem Eindruck der anmich herankommenden Tatsachen und We-senheiten der Geistwelt stand.“

Rudolf Steiners erster öffentlicher Vor-trag in München fand am 21.11.1904 im so-genannten Prinzensaal des damaligen CaféLuitpold über das Thema „Die Wahrheit inder Theosophie und ihre Bedeutung für denMenschen“ statt. Ludwig Kleeberg, der 1904sein erstes Studiensemester in München ver-brachte und zusammen mit einem Freund ander Universität eine „Akademische Theoso-phische Vereinigung“ zu gründen beabsich-tigte, schildert uns in seinem Buch „Wegeund Worte, Erinnerungen an Rudolf Steiner“den ersten Eindruck, den er von dem Vor-tragenden an jenem Abend erhielt, folgen-dermaßen: „Gleich darauf trat Steiner inden Saal. Man vergißt ihn nie, diesen An-blick und diesen Blick. Ich stellte ihn mir vorwie einen Brahmanen mit großem, dunklemBart und mit langem, weitem Mantel ... Stattdessen ein Mann, der eher einem Humanis-ten wie Erasmus von Rotterdam glich. Erhatte Mittelgröße, schien aber groß zu sein.Sein Gesicht war bartlos, mit charakteristi-scher, den Denker auszeichnender Bildung,

Rudolf Steiners erster öffentlicher Vortrag in München fand am 21.11.1904im so genannten Prinzensaal des berühmten Café Luitpold statt.

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mit scharf geschnittener,etwas gebogener Nase,– im ganzen edel. Dasglänzendschwarze Haarwar lange nach hintengekämmt, eine Strähnehatte immer das Bestre-ben, auf der linkenStirnseite abzugleiten.Unter dem Kragen truger einen wallendenSchlips. So stand er jetztim Saal, überschautemit seinem Blicke dieüberaus zahlreiche Zu-hörerschaft und bestiegdie Rednerbühne. Er begann seinenVortrag. Der Blick, zuerst nach außengewendet, schien mitunter nach in-nen gekehrt. Er sprach aus einer inne-ren Anschauung heraus. Die Sätzeformten sich unter dem Sprechen. Eswar Kraft in seinen Worten ... SeineRede ging zu Herzen, weil sie aus demHerzen kam, das viel Wissen und Liebein sich trug. Eine unverkennbar öster-reichische Färbung der Sprache gabdieser etwas Ursprüngliches, Urkräfti-ges, Erdgewachsenes und sogar Lie-benswürdiges. Gegen den Schluss, wo-gegen der Anfang langsam, fast zö-gernd war, als spreche er wie aus ei-nem Traum, steigerte sich seine Redezu symphonischer Macht, bis er dieKrönung in einer siegreichen Schluss-kadenz fand.“

Am nächsten Tag, dem 22.11.1904,hielt Rudolf Steiner den zweiten öf-fentlichen Vortrag: „Steht die Theoso-phie im Widerspruch mit der Wissen-schaft?“ „Nach der Diskussion, diefolgte“, schreibt Kleeberg, „stand manim kleinen Kreis zusammen. ,DerMann weiß alles‘ das war der Ein-druck, den ich empfing. Mit wenigenWorten viel gesagt. Selbst wenn einemunwissenden und unerfahrenen Stu-

denten zu imponieren leicht gewesenwäre. Aber Steiner ,imponierte‘ einemgar nicht, weil er nicht prunkte.“ Ausdem weiteren Bericht Kleebergs überdiese Tage ist eine Stelle noch beson-ders interessant: Am 23.11.1904 „gingSteiner zum Rektor der Universität,um für unser Werk etwaigen amtli-chen Widerstand beseitigen zu helfen.Wie er nachher berichtete, stehe Pro-fessor Lindemann unseren Bestrebun-gen wohlwollend gegenüber. Dieserhabe auch Professoren der Theologiebefragt, welche nichts gegen die Theo-sophie einzuwenden gehabt.“ Bei die-ser Gelegenheit erfahren wir auch,dass die Zusammenkünfte der „Loge“(eine Bezeichnung, die keinen Zusam-menhang mit den Freimaurer-Ordenhatte) damals „in einem nicht allzugroßen Zimmer des Hauses Adalbert-straße 49“ stattfanden und der„Zweig“ erst im April 1906 in dasHaus Nr. 55, Parterre links, übersie-delte. Dieses Haus, in dem die Zweig-leiterinnen Sophie Stinde und GräfinPauline Kalckreuth wohnten (3. Stockrechts), und in dem Rudolf Steiner sooft weilte und sprach, hat den Bom-benkrieg überdauert. Eine Gedenktafelhat es noch nicht.

München, Marien-platz um 1907

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Eine Mitgliederliste von 1905 ver-zeichnet auffallend viele Adlige. DieFrauen waren weitaus in der Über-zahl, was in der Öffentlichkeit zu al-lerlei Witzeleien Anlass gab (sieheMünchner-Mitgliederliste auf S. 431).

Das Thema eines öffentlichen Vor-trags Rudolf Steiners vom 10.11.1905über „Theosophie, Kunst und Künstler“zeigt die Richtung, in der sich das an-throposophische Leben in dieser Stadtbesonders entwickeln sollte. RudolfSteiner selbst spricht im letzten Kapi-tel seiner unvollendeten Selbstbiogra-phie „Mein Lebensgang“ von den zweientgegengesetzten Polen der anthro-posophischen Bewegung in Berlin undMünchen. In München war von vorn-

herein die Anthroposophie in einkünstlerisches Element hineingestellt.„Das künstlerische Bild“, schreibt Rudolf Steiner, „ist spiritueller als derrationalistische Begriff. Es ist auch lebendig und tötet das Geistige in derSeele nicht, wie es der Intellektualis-mus tut ... In München gestalteten diekünstlerischen Empfindungen in ein-zelnen Kreisen individuelle Bedürf-nisse, und ich trug in solchen Kreisenvor.“ Als eine Art Mittelpunkt dieserKreise wird derjenige genannt, der sichum die Gräfin Kalckreuth und FräuleinStinde bildete. Mehrere andere mar-kante Persönlichkeiten werden nochnamentlich erwähnt.

Aus den „Mitteilungen für die Mit-glieder der Deutschen Sektion derTheosophischen Gesellschaft“, heraus-gegeben von Mathilde Scholl, Köln,März 1906 Nr. 2, erfahren wir, dass imJanuar 1906 in der Damenstiftstraße 6ein kleiner Laden gemietet und als„Theosophisches Lesezimmer“ herge-richtet wurde, „um solchen, die keinerLoge angeschlossen sind und keinemtheosophischen Zirkel, wie in Mün-chen noch verschiedene bestehen, z.B.der von Herrn Deinhard, der von Frauvon Schewitsch und das sogenannteKetterl, das unter dem Vorsitz der Her-ren Dr. Strebl und Dr. Wedel steht –und die sich über Theosophie infor-mieren wollen, Gelegenheit dazu zugeben“. Zweimal in der Woche fandendort Vorlesungen und Fragebeantwor-tungen statt (Besucherzahl ca. 18 Per-sonen). Samstags, am sogenanntenstillen Leseabend, wurden theosophi-sche Bücher und Zeitschriften ausge-legt (Besucherzahl 4 bis 6 Personen).Sonntags war Musik- und Leseabend(Harmoniumspiel, Gesang, Deklama-tion, Vorlesung, Auslegung vonKunstblättern und Künstlermonogra-phien u.a.).

Rudolf Steiner 1904

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Im Januar 1906 bildete, wie in den zitier-ten Mitteilungen zu lesen ist, die unter demVorsitz des Herrn Elkan stehende Theoso-phische Vereinigung eine TheosophischeLoge München II. Ihre Zusammenkünfte wa-ren in der Damenstiftstr. 6, diejenigen derLoge I, die damals 36 Mitglieder zählte, inder Adalbertstr. 55. Vom 27. Oktober bis 6.November 1906 hielt Rudolf Steiner einenZyklus von 8 Vorträgen über „Die Theoso-phie anhand des Johannes-Evangeliums“.

1907 – der Theosophische KongressVom 18. bis 21. Mai 1907 fand in Mün-

chen in der Tonhalle der Kongress der Fö-deration der europäischen Sektionen derTheosophischen Gesellschaft statt. RudolfSteiner betont an dieser Stelle seiner Selbst-biographie, dass künstlerische Umgebungund spirituelle Betätigung im Raum eineharmonische Einheit sein sollten und er da-bei den allergrößten Wert darauf gelegthabe, die abstrakte, unkünstlerische Sym-bolik zu vermeiden und die künstlerischeEmpfindung sprechen zu lassen.

Mathilde Scholl in den „Mitteilungen fürdie Mitglieder der Deutschen Sektion derTheosophischen Gesellschaft“ Nr. 5 vom August 1907 und Guenther Wachsmuth in„Rudolf Steiners Erdenleben und Wirken“schildern ausführlich den Verlauf des Kon-gresses: Die Zahl der Teilnehmer wird inden „Mitteilungen“ auf 600 geschätzt. Schondie Eröffnung der Tagung am 18.5.1907brachte eine künstlerische (musikalische)Einleitung. Nach der Begrüßung durch denGeneralsekretär, Dr. Steiner, und eine An-sprache der Präsidentin der TheosophischenGesellschaft, Annie Besant, nahmen die Teil-nehmer – so schreibt M. Scholl – „die Gele-genheit war, die eindrucksvolle Ausstattungdes großen Tonhallensaals näher zu besich-tigen, sowie auch im Vorsaale die dort ver-einte kleine, aber fesselnde Bildersammlungzu betrachten. Schon der erste Anblick desmit rotem Stoffe bekleideten großen Saaleshatte auf die Gäste einen besonderen Ein-

druck gemacht – man gestand sich je längerje mehr, dass die intensive, jedoch nichtgrelle Farbe des Raumes eine beruhigende,wenn nicht erhebende Stimmung hervor-rufe. Diese Stimmung unterstützte noch eineAnzahl von plastischen Kunstwerken, siebengemalte mächtige Säulen und sieben rundeWandbilder mit symbolischen Darstellun-gen, wie auch vor der Bühne, auf der dieVertreter der Sektionen Platz genommenhatten, die Büsten von Schelling, Hegel undFichte und zwei kräftige Rundsäulen mitkugelförmigem Abschluss, auf denen dieInschriften gelesen werden konnten:

JIm reinen Gedanken findest du Das Selbst, das sich halten kann.

Wandelst zum Bilde du den Gedanken, Erlebst du die schaffende Weisheit.

BVerdichtest du das Gefühl zum Licht, Offenbarst du die formende Kraft.

Verdinglichst du den Willen zum Wesen, so schaffst Du im Weltensein.

Rudolf Steiner selbst erklärte in einemdamals in seiner Zeitschrift „Lucifer-Gnosis“gegebenen Bericht (abgedruckt im Nach-richtenblatt 1937, Nr. 21 und 22) ausführlichdie Ausschmückung des Saales. Von denSprüchen sagte er, man müsste viele Bücherschreiben, wollte man den ganzen Sinn die-ser Sprüche ausschöpfen, denn darinnen seinicht nur jedes Wort bedeutungsvoll, son-dern auch die Symmetrie der Worte, die Art,wie sie auf die vier Sprüche verteilt seien,die Steigerungen, die darinnen lägen, undnoch vieles andere, so dass nur langes, ge-duldiges Hingeben an die Sache das darin-nen Liegende ausschöpfen könne. (Sieheauch die Einführung Rudolf Steiners zumBildband „Bilder okkulter Siegel und Säu-len“, GA 284).

Immer wieder fanden außer den Vorträgenund Aussprachen künstlerische Darbietun-

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gen statt (Deklamation und Rezitation, Ge-sang, Streichmusik, Orgelspiel). PlastischeArbeiten, Bilder usw. von Künstlern aus derGesellschaft waren ausgestellt. Im Mittel-punkt der künstlerischen Veranstaltung aberstand die Uraufführung des „Heiligen Dra-mas von Eleusis“, eines Mysteriendramasvon Edouard Schuré, zu dem Bernhard Sta-venhagen die Musik komponiert hatte. Die

Aufführung war am 19.5.1907. Marie vonSivers hatte schon früher das Drama ausdem Französischen übersetzt, Rudolf Steinerhatte es sprachlich für eine Bühnenauffüh-rung eingerichtet. Marie von Sivers, die be-reits am Abend vorher Stellen aus Faust IIvorgetragen hatte, spielte die Demeter. Ru-dolf Steiner schreibt dazu in „Mein Lebens-gang“, dass sie in ihrer Darstellung schondeutlich auf die Nuancen hingewiesen habe,die das Dramatische in der Gesellschaft er-halten sollte. „Außerdem waren wir in einemZeitpunkt, in dem die deklamatorische undrezitatorische Kunst durch Marie von Siversin dem Herausarbeiten durch die innereKraft des Wortes an dem entscheidendenPunkte angekommen war, von dem aus aufdiesem Gebiete fruchtbar weitergegangenwerden konnte.“

Vorträge hielten außer Dr. Steiner und An-nie Besant, Michael Bauer (über „Das Ver-hältnis der Natur zum Menschen“), Dr. CarlUnger (über „Die Wege der theosophischenWeltanschauung“) und Frau Wolfram (über„Die okkulten Grundlagen der Siegfried-sage“). Rudolf Steiner selbst sprach am 19.5.über „Die Einweihung des Rosenkreuzers“.War schon die Aufstellung der Büsten von

Schelling, Fichte, und Hegel bezeichnend da-für, wie Rudolf Steiner an das abendländischeDenken, insbesondere den deutschen Idealis-mus anknüpfte, so auch, dass er seinen Vor-trag, was Kleeberg in seinen Erinnerungenbetont, mit dem Hinweis auf ein Erkenntnis-wort Hegels begann und mit einem Weis-heitspruche Goethes beschloss. Er charakte-risierte nach Erwähnung des von ihm schonbehandelten Yogapfades den christlichen Ein-weihungsweg, um als heute zeitgemäßen dendes Rosenkreuzers zu beschreiben. Am 20.5.sprach Rudolf Steiner über „Planetarischeund Menschenentwicklung“. Am 21.5. er-klärte er nach einer Aussprache über Erzie-hungsfragen die künstlerische Ausgestaltungdes Tonhallensaales.

„Durch die Ausstattung des Saales“, soschließt M. Scholl ihren Bericht in den „Mit-teilungen“, „in der auch die Zeichen desTierkreises sich wiederfanden, durch dieSäulen und Siegel, wie durch das Mysteri-umspiel und überhaupt durch die Anord-nung des ganzen Kongresses sollte, wie HerrDr. Steiner bemerkte, ein Versuch gegebensein, die Kunst in engerer Beziehung zu denwirklichen Lebensvorgängen zu zeigen.Wenn wir in der Kunst wieder einen Kultur-faktor erblicken wollen, von der Bedeutung,die dieser im Altertum hatte, dann muss siewieder Anschluss suchen an die hinter denErscheinungen liegenden Vorgänge des Le-bens, dann müssen die Künstler die Kraft ge-winnen, uns die Lebensvorgänge selber imBild und in der plastischen Form zu deuten.“„Unsere Intentionen“, sagte Rudolf Steiner,rückblickend auf den Münchner Kongress, inder Generalversammlung vom 21.10.1907(Mitteilungen Nr. 6 vom Februar 1908),„gingen dahin, einen Anfang zu machen, dieTheosophie nicht bloß eine Summe abstrak-ter Dogmen sein zu lassen, sondern diesenEinfluss zu verschaffen auf das Leben, dasuns umgibt. Niemand kann sich der Illusionhingeben, dass die Art und Weise, wie unsdie Harmonie in bezug auf die ganze Aus-gestaltung des Kongresses gelungen ist, ver-

„Es war ein denkwürdiger Anblick,Rudolf Steiner und Annie Besant beieinander stehen zu sehen. Sie vertraten schon jetzt zwei Gegensätze. In fünf Jahren kam er offen zum Ausbruch ...“

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glichen mit dem, was als theosophischerGedanke lebt, mehr war als ein schwacherAnfang. Aber alles muss einmal anfangen ...Alles, was da zu leisten war, wurde von un-seren lieben Münchener Freunden in einernicht nur hingebungsvollen, sondern gera-dezu umfassend verständnisvollen Weisegeleistet, so dass sich in dieser Arbeit amschönsten auslebte, was man theosophischeEinheit und Harmonie nennt.“

In „Mein Lebensgang“ schließt RudolfSteiner die Schilderung des TheosophischenKongresses von 1907 mit der Feststellungab, dass ein großer Teil der alten Mitgliederder Gesellschaft aus England, Frankreichund namentlich aus Holland „innerlich un-zufrieden gewesen seien“ mit den Erneue-rungen, die ihnen dieser Kongress gebrachthabe. Mit der anthroposophischen Strömungsei etwas von einer ganz anderen innerenHaltung gegeben gewesen, als sie die bishe-rige Theosophische Gesellschaft gehabthabe. „In dieser inneren Haltung lag derwahre Grund, warum die anthroposophi-sche Gesellschaft nicht als ein Teil der theosophischen weiterbestehen konnte. Diemeisten legten aber den Hauptwert auf dieAbsurditäten, die im Lauf der Zeit in derTheosophischen Gesellschaft sich herausge-bildet haben und die zu endlosen Zänkereiengeführt haben.“ Das sind die letzten Sätzeder Selbstbiographie, die Rudolf Steinernoch auf dem Krankenbette schrieb.

Kleeberg, der an dem Kongress teilge-nommen hatte, bemerkt in „Wege undWorte“ u.a.: „Es war ein denkwürdiger An-blick, Rudolf Steiner und Annie Besant bei-einander stehen zu sehen. Sie vertratenschon jetzt zwei Gegensätze. In fünf Jahrenkam er offen zum Ausbruch ...“

Dem Kongress waren am 22.4., 1., 8. und15.5. Zweigvorträge Steiners über die Apo-kalypse vorangegangen, ihm folgten am 23.und 24.5. zwei öffentliche Vorträge über„Bibel und Weisheit“ und vom 25.5. bis6.6.1907 ein Zyklus von 14 Vorträgen über„Die Theosophie des Rosenkreuzers“.

Kunst- und MusiksäleAm 1.3.1908 wurde durch die Initiative

von Sophie Stinde und ihrer getreuen Helfe-rin Gräfin Kalckreuth in München-Schwa-bing, Herzogstr. 39/0 ein „Kunst- und Mu-siksaal“ eröffnet. „Wir hatten die Notwen-digkeit erkannt“, schrieb am 19.8.1909 So-phie Stinde an Kleeberg, „dass Kunst undSchönheit in das Leben derjenigen Klasseeintreten müsse, die nur Arbeit und Un-schönes, Prosaisches kennt. Wartet man aber,bis man Geld für derlei hat, so entsteht nieGutes, Selbstloses. Man muss handeln, so-bald man die Notwendigkeit einer guten Sa-che erkannt hat. Man muss mitarbeiten ander Entwicklung der Menschheit, und das istder große Unterschied zwischen Osten undWesten, zwischen indischem Yoga und Ro-senkreuzerei.“ Scholl berichtet über die so-ziale Tat ausführlich in Nr. 7 der „Mitteilun-gen“ vom September 1908: „Als ... im Laufedes Winters in einem Vortrage die inhalts-schweren Worte fielen, dass es für einen Ok-kultisten ein furchtbarer Gedanke wäre, dasseine ganze Klasse der Menschheit ausge-schlossen sei von aller Schönheit und allerKunst, da mussten die Bedenken und Hin-dernisse fallen. Eine Stätte musste geschaf-fen werden, wo den Arbeitern Kunst undSchönheit nahegebracht werden konnte –ein Raum, hart an der Straße liegend, wo dieVorübergehenden durch Transparente, mitProgramm an den Fenstern und durch dieMusik im hell erleuchteten Saale angezogenwürden, in ihren Arbeitskleidern hereinzu-kommen, um eine Stunde lang Künstleri-sches in dem einfachen, aber doch schön-heitsvollen Raume zu genießen. Eine großeBierwirtschaft, die wegen Konkurrenz ge-schlossen war, fand sich nach einigem Su-chen als geeignetes Lokal. Ohne Zeit zu ver-lieren, wurde mit der Reinigung und Ausge-staltung begonnen, und nach 14 Tagenkonnte der Kunstsaal schon eröffnet werden.Ein Harmonium wurde von einem Logen-mitgliede zur Verfügung gestellt, ein Klavierwurde angeschafft; Ölgemälde von Künstler-

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Mitgliedern, geschenkte Reproduktio-nen, Lorbeerbäume, Blumen, Plastikenschmückten den Raum und von Freun-den, Bekannten, Verlegern wurdenKunstwerke aller Art erbettelt ... Drau-ßen, neben der Türe, wurde ein Schildangebracht mit der Inschrift: Kunst-und Musiksaal, Eintritt frei. Auf einerGlastafel, die in eins der Fenster aus-gehängt wurde, stand das Wochenpro-gramm zu lesen, auf einer zweiten imanderen Fenster das Tagesprogramm.Der Saal ist jeden Abend – außer mon-tags – geöffnet und dreimal außerdemam Tage. Einmal wöchentlich – sonn-tags – werden Lichtbilder mit Erklä-rung, Rezitationen und Musik ge-bracht. Zweimal wöchentlich ist Kon-zertabend. Drei Mitglieder haben sichverpflichtet, immer mit Harmonium,Klavier und Geige (evtl. Gesang) ein-zuspringen und immer anwesend zusein, falls nicht genügend Mitwirkendezu den Musikabenden erscheinen soll-ten. Ein festes Programm wird nichtvorher gemacht. Wer etwas gebenmöchte, erscheint kurz vor 8 Uhr. Dann

bestimmt man erst gemeinsam die Rei-henfolge, damit eine Harmonie herge-stellt werde.

Jeden Mittwoch und Sonnabendnachmittag erzählt ein jüngeres Mit-glied der Loge ein Märchen vor einergroßen Zahl von Kindern, etwa 120 ander Zahl. Es werden fast ausschließlichdie alten Märchen (z.B. Grimm) ge-wählt, die einen okkulten Hintergrundhaben. Auch diese Erzählungen wer-den mit Gesang und Musik eingeleitetund beschlossen. (Übrigens werdenauch im theosophischen Lesezimmerjeden Sonntag Nachmittag von einemMitglied den Kindern solche Märchenerzählt) ... Am Mittwoch Abend undam Sonntag Morgen zwischen 9 und12 Uhr werden die Kunstwerke ausge-legt. Abends nur für Erwachsene,sonntags auch für größere Kinder.Viele Mitglieder helfen, die Ordnunghalten und erklären; das ist ein reichesArbeitsfeld. Freitags sind einführendeVorträge über Theosophie für solche,die noch nichts oder wenig davon ge-hört haben ... Am ersten Abend kamen

In Landin 1906:v.l.n.r. stehend:Sophie Stinde, Mariev. Schwerin, SallyBredow, EugenieBredow, Rudolf Steiner, Graf v.Schwerin. Sitzend,v.l.n.r.: Excellenz v.Sivers, Selma Wilde,Mathilde Scholl,Olga v. Sivers, Gräfin Pauline vonKalkreuth, Lisa v. Moltke, Marie v. Sivers

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gleich 30 Leute, die noch nichts von Theo-sophie wussten, die es sich nur) einmal an-hören wollten. Das Gehörte hat sie dann sogefesselt, dass sie den nächsten Abend kaumerwarten konnten, wie einige sagten, undseitdem ist die Zahl der ständigen Hörer aufetwa 40 gestiegen. Auch dieser Abend wirdwie jeder Abend mit Musik eröffnet und be-schlossen ... Am Sonnabend Abend werdenSagen, Mythen und Heldengeschichten ver-lesen und dazwischen erzählt und in Poesierezitiert. Auch Dramen und Rezitationen al-ler Art sind mit auf das Programm gesetzt.Der Anfang wurde mit den Nibelungen ge-macht.

Außer den ständig hängenden Bilderngibt es noch eine kleine Wochenausstellungvon Radierungen, Kupferstichen, Zeichnun-gen, Reproduktionen nach echten Meistern,die von den verschiedenen Mitgliedern auf8 oder 14 Tage geliehen werden. Es helfenjetzt schon über 20 Logenmitglieder in demMusikraume und viele Freunde gelegent-lich oder auch ständig. Es ist nicht ausge-schlossen, dass noch in anderen Stadtteilenähnliche Kunststätten entstehen, sobald sichgenügend Mitarbeiter finden und wieder je-mand bereit ist, die Einrichtung zu beschaf-fen und die jährlichen Ausgaben von etwaMk 900 bis 1000 zu bestreiten.

Sehr viel Beifall hat auch die Idee gefun-den, Dilettanten aus allen Kreisen, diekünstlerisch studiert haben, Gelegenheit zugeben, sich hier einen Wirkungskreis zuschaffen. Immer mehr Mitwirkende findensich für die Konzertabende und so kann dasProgramm auch immer reichhaltiger wer-den. Außerdem werben alle Logenmitgliederunter ihren Freunden, so dass wohl kaum jeein Mangel an Mitwirkenden eintritt. Undvoller Dank sind die Zuhörer für alles, wasihnen geboten wird. Durch diesen Kunstsaalwird die Brücke geschlagen zwischen denTheosophen – den sogenannten Vornehmenund Reichen! und der armen arbeitendenBevölkerung, was letztere als etwas sehr Er-freuliches empfindet“.

Die Schilderung wurde so ausführlich ge-bracht, weil sie in ihrer Konkretheit und Le-bendigkeit einerseits zeigt, wie sehr sich dieVerhältnisse in 100 Jahren gewandelt haben,andererseits aber auch den Gegenwärtigenunmittelbar etwas zu sagen hat. Wieviel Ei-fer und Schwung, wieviel Kraft der Phanta-sie und Vertrauen zur Improvisation tretenuns aus diesem Bericht entgegen, und wieviele Menschen haben als Erwachsene oderKinder in München von der Anthroposophieausgehende geistige Anregung empfangen!

Am 4.11.1909 wurde in der Zieblandstraße24 als Ersatz für das theosophische Lese-zimmer in der Damenstiftstraße ein zweiter„Kunstsaal“ eröffnet. Das Lesezimmer in derDamenstiftstraße war schon lange viel zuklein, sodass die „Kunstabende“ schon imzweiten Winter ihrer Gründung fallen gelas-sen wurden („Mitteilungen“ Nr. 10 vom Ja-nuar 1910). Das Programm war ähnlich demin der Herzogstraße.

Im Dezember 1909 wurde ein vierter Zweiggegründet. Die Mitgliederzahlen der vierZweige werden in Nr. 13 der „Mitteilungen“vom März 1912 wie folgt angegeben: Mün-chen I 165, II 30, III 25, IV 26. In dem Mit-teilungsblatt vom April 1914 werden nurnoch drei Zweige der AnthroposophischenGesellschaft aufgezählt: München I, Mün-chen II und München (Goethe-Arbeits-Gruppe).

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Page 70: Anthroposophie wird Kunst · Dieser Band ist Sophie Stinde (1853–1915) und Pauline von Kalckreuth (1856– 1929) gewidmet. Durch ihre Treue zur Anthroposophie und zu Rudolf Steiner

E D N I C M P S S R

Anthroposophiewird Kunst

Der Münchner Kongress 1907und die Gegenwart

Eine Dokumentation der Veranstaltungen der Anthroposophischen Gesellschaft in München nach hundert Jahren

Mit Beiträgen von:Werner BarfodJoachim DanielRudolf F. GädekeMichaela GlöcklerRoland HalfenWilfried HammacherGerhard HerzFriedwart HusemannArmin HusemannWolf-Ulrich KlünkerKarl LierlSerge MaintierAiga MatthesMechtild OltmannMarkus OsterriederSergej ProkofieffLorenzo RavagliFlorian RoderGünter RöschertRobert SchmidtMarcus SchneiderHartwig SchillerGeorg SchumannVirginia SeasePeter SelgHans SupenkämperAndreas WeymannKazuhiko YoshidaUrsula Zimmermann

Herausgeber:Karl Lierl Florian Roder

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978

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