Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009-2010 Stand 2010-05-10

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 1 VRiLAG Tilman Anuschek, Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, [email protected] Die Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg- Vorpommern in den Jahren 2009 und 2010 vorgestellt auf dem 9. Arbeitsrechtstag des Instituts für Arbeitsrecht der Universität Rostock am 6. Mai 2010 in Rostock 1 Inhalt A. EINLEITUNG ........................................................................................................... 5 B. ARBEITSVERTRAGSRECHT - ALLGEMEINES ..................................................... 6 I. Die Anbahnung des Arbeitsverhältnisses ............................................................................. 6 1. Benachteiligung eines schwerbehinderten Bewerbers im Bewerbungsverfahren ................ 6 II. Das Arbeitsverhältnis ............................................................................................................. 6 1. Abgrenzung zur Zusammenarbeit auf familienrechtlicher Grundlage ................................. 6 III. Vertragliche Veränderungen des Arbeitsverhältnisses....................................................... 7 1. Ausscheiden gegen Abfindung Anknüpfen an rentenrechtliche Differenzierungen (mittelbare Diskriminierung) ........................................................................................................ 7 2. Lehrerpersonalkonzept Teilnehmer Teilzeitquote ......................................................... 7 3. Vertragsänderung durch Lohnabrechnung? ......................................................................... 8 1 Die Datei wurde in Anschluss an die Veranstaltung noch geringfügig bearbeitet und erweitert. Der Inhalt weicht daher im Detail von der dort verteilten Druckfassung ab. Außerdem wurde die Schriftgröße verändert, damit der Text leichter zu lesen ist; dadurch haben sich die Seitenzahlen grundlegend verändert.

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Die Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2009 und 2010 (Stand: Mai 2010).Autor: VRiLAG Tilman Anuschek, [email protected]

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VRiLAG Tilman Anuschek, Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern,

[email protected]

Die Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2009 und

2010

vorgestellt auf dem 9. Arbeitsrechtstag des Instituts für Arbeitsrecht der

Universität Rostock am 6. Mai 2010 in Rostock1

Inhalt

A. EINLEITUNG ........................................................................................................... 5

B. ARBEITSVERTRAGSRECHT - ALLGEMEINES ..................................................... 6

I. Die Anbahnung des Arbeitsverhältnisses ............................................................................. 6

1. Benachteiligung eines schwerbehinderten Bewerbers im Bewerbungsverfahren ................ 6

II. Das Arbeitsverhältnis ............................................................................................................. 6

1. Abgrenzung zur Zusammenarbeit auf familienrechtlicher Grundlage ................................. 6

III. Vertragliche Veränderungen des Arbeitsverhältnisses ....................................................... 7

1. Ausscheiden gegen Abfindung – Anknüpfen an rentenrechtliche Differenzierungen

(mittelbare Diskriminierung) ........................................................................................................ 7

2. Lehrerpersonalkonzept – Teilnehmer – Teilzeitquote ......................................................... 7

3. Vertragsänderung durch Lohnabrechnung? ......................................................................... 8

1 Die Datei wurde in Anschluss an die Veranstaltung noch geringfügig bearbeitet und erweitert. Der Inhalt

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4. Rückkehrgarantie für die Geschäftsführerin ........................................................................ 9

IV. Einseitige Statusänderungen im Arbeitsverhältnis ....................................................... 10

C. PFLICHTEN AUS DEM ARBEITSVERHÄLTNIS ................................................... 12

I. Entgeltfragen ........................................................................................................................ 12

1. Rückständiger Lohn - Erfüllung durch Dritte - Darlegungslast des Schuldners ................ 12

2. Treuwidriges Berufen auf das Eingreifen von Ausschlussfristen durch den Arbeitgeber . 12

3. Sittenwidrig niedriger Lohn ............................................................................................... 12

4. Unangemessen niedrige Ausbildungsvergütung ................................................................ 13

5. Beiträge zu einer Direktversicherung ................................................................................. 14

6. Berechnung Annahmeverzugslohn .................................................................................... 15

7. Verwirkung Annahmeverzugslohn .................................................................................... 15

II. Arbeitszeitfragen .................................................................................................................. 16

1. Anordnung von Nachtarbeit im Wege des Direktionsrechts .............................................. 16

III. Urlaubsfragen ....................................................................................................................... 17

1. Verfall des Urlaubsanspruchs ............................................................................................ 17

2. Urlaubsabgeltung bei Arbeitsunfähigkeit .......................................................................... 17

IV. Anspruch auf Aufwendungsersatz.................................................................................. 18

1. Anspruch auf Aufwendungsersatz (Öffentlicher Dienst) ................................................... 18

V. Haftung des Arbeitgebers .................................................................................................... 19

1. Schadensersatz und Entschädigung wegen Mobbing......................................................... 19

2. Falsche Versprechungen bei Auflösung der betrieblichen Altersversorgung .................... 20

3. Aufklärungspflichten bei Abschluss Altersteilzeitvertrag? ................................................ 21

4. Aufklärungspflicht des Arbeitgebers beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages ........... 21

5. Aufklärungspflicht bei drohendem Steuerschaden? ........................................................... 22

6. Anfechtung Aufhebungsvertrag durch Arbeitnehmer ........................................................ 23

7. Schadensersatz für unwirksame Kündigung? .................................................................... 23

VI. Nebenpflichtverletzungen des Arbeitnehmers............................................................... 24

1. Unwirksame Vertragsabrede über die Pflicht zur Verschwiegenheit über das eigene

Einkommen ................................................................................................................................. 24

2. Obhutspflichten für anvertrautes Bargeld – Darlegungslast bei Verlust des Geldes ......... 25

D. BEENDIGUNG VON ARBEITSVERHÄLTNISSEN ................................................ 26

I. Befristungsrecht .................................................................................................................... 26

1. Befristetes Arbeitsverhältnis – Sachgrund der Vertretung ................................................. 26

2. Unwirksame Befristungsabrede ......................................................................................... 26

3. Befristungsabrede mit Verstoß gegen Dienstvereinbarung zum Umgang mit Sucht ......... 27

4. Tätigkeitsaufnahme und Schriftform der Befristungsabrede ............................................. 27

II. Fragen zur Kündigungsfrist ................................................................................................ 28

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1. Verlängerte Arbeitnehmerkündigungsfrist ......................................................................... 28

2. Europarechtswidrigkeit von § 622 Absatz 2 Satz 2 BGB .................................................. 28

3. Tarifliche Kündigungsfrist ................................................................................................. 29

III. Krankheitsbedingte Kündigung .......................................................................................... 30

1. Ausfallzeiten und Grobprognose........................................................................................ 30

2. Altenpflegerin mit Rückenproblemen ................................................................................ 30

IV. Kündigungen wegen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ..................................... 31

1. Abmahnung ........................................................................................................................ 31

2. Verdachtskündigung – Kündigungserklärungsfrist ............................................................ 32

3. Vermögensstraftaten zu Lasten des Arbeitgebers oder zu Lasten von Kollegen ............... 34

4. Kündigung wegen Beleidigungen ...................................................................................... 34

5. Beharrliche Arbeitsverweigerung ...................................................................................... 35

V. Betriebsbedingte Kündigungen ........................................................................................... 36

VI. Sonstige Fragen des Kündigungsrechts ......................................................................... 39

1. Verwirkung des Rechts auf Kündigungsschutz ................................................................. 39

2. Prozessrechtsarbeitsverhältnis............................................................................................ 39

3. Schriftform der Kündigung (§ 623 BGB) .......................................................................... 40

4. § 18 KSchG ........................................................................................................................ 40

5. Vollmachtszurückweisung (§ 174 BGB) ........................................................................... 41

VII. Änderungskündigungen .................................................................................................. 41

1. Betriebsbedingte Änderungskündigung ............................................................................. 41

2. Änderungskündigung mit erzieherischen Zielen................................................................ 43

3. Änderungskündigung mit Ortsveränderung ....................................................................... 43

VIII. Arbeitsrecht in der Insolvenz .......................................................................................... 44

E. KOLLEKTIVES ARBEITSRECHT .......................................................................... 45

I. Tarifrecht .............................................................................................................................. 45

1. Differenzierungsklausel – Gleichbehandlung der Außenseiter? ........................................ 45

2. Tarifverträge: Öffentlicher Dienst – Eingruppierungsfragen ............................................. 45

3. Tarifverträge: Öffentlicher Dienst – Sonstige Fragen ........................................................ 46

4. Tarifverträge: Groß- und Außenhandel .............................................................................. 48

5. Tarifverträge: Einzelhandel ................................................................................................ 48

6. Tarifverträge: TV Ärzte ..................................................................................................... 49

7. Tarifverträge: TV Helios Kliniken - Zusatzurlaub für Nachtarbeit ................................... 49

8. Tarifverträge: Bau .............................................................................................................. 50

II. Betriebsverfassungsrecht ..................................................................................................... 51

1. Schulungsanspruch des Betriebsrats zum Thema Mobbing ............................................... 51

2. Betriebsversammlung ......................................................................................................... 51

3. Durchführungspflicht für Betriebsvereinbarungen auf Basis eines Einigungsstellenspruchs

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4. Soziale Angelegenheiten (§ 87 BetrVG) ............................................................................ 53

5. Zustimmungsverweigerungsgründe nach § 99 Absatz 2 BetrVG ...................................... 55

6. Begriff der Versetzung im Sinne von §§ 95 Absatz 3, 99 BetrVG .................................... 55

7. Einstweilige Verfügung zur vorläufigen Regelung eines Zustandes nach verweigerter

Zustimmung zur Versetzung ....................................................................................................... 55

8. Betriebsratsbeteiligung bei Kündigungen .......................................................................... 57

9. Sozialplanprivileg für Jungunternehmen bei Schließung von Altbetrieben ....................... 57

10. Nachteilsausgleich trotz Rücknahme der Kündigung? .................................................. 58

III. Personalvertretungsrecht..................................................................................................... 58

1. Unterrichtung des Personalrats bei Kündigungen .............................................................. 58

F. PROZESSRECHT .................................................................................................. 60

I. Rechtskraftfragen ................................................................................................................. 60

II. Umgang mit streitigen Vergleichen .................................................................................... 60

III. Unsubstantiierter Parteivortrag .......................................................................................... 61

IV. Hinweispflichten des Arbeitsgerichts nach § 6 KSchG ................................................. 61

V. Einstweilige Verfügung ........................................................................................................ 62

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A. Einleitung

Die Übersicht umfasst die gesamte Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts in

Berufungs- und Beschwerdeverfahren nach dem Betriebsverfassungsgesetz, soweit die

Entscheidungen nach dem 1. Januar 2009 ergangen sind und soweit sie nicht bereits

Gegenstand der letztjährigen Rechtsprechungsübersicht waren. Die Übersicht

dokumentiert 85 Entscheidungen des Gerichts.

Nicht erfasst worden sind Parallelverfahren. Dies gilt auch dann, wenn die führenden

Verfahren bereits aus dem letzten Berichtszeitraum stammen.

Auffällig sind abermals der Rückgang der Rechtsstreitigkeiten aus betriebsbedingten

Kündigungen und die Vielzahl der Rechtsstreitigkeiten wegen verhaltensbedingten und

außerordentlichen Kündigungen.

Auffällig sind auch die steigende Anzahl der betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten

und die steigende Anzahl der Streitigkeiten mit Auslegungsfragen aus Tarifverträgen.

Zum Thema des öffentlichen Zugangs zu den Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts

gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht.

Positiv ist hervorzuheben, dass die Landesregierung inzwischen dazu übergegangen ist,

die hier im Land ergangene Rechtsprechung im Internet kostenfrei öffentlich zur

Verfügung zu stellen (Adresse: http://www.landesrecht-mv.de). Das Angebot wird

technisch von Juris unterstützt, weshalb man grob sagen kann, dass alle in den letzten

Jahren in Juris veröffentlichten Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts auch auf der

neuen Internetseite zur Verfügung stehen. Zum Startzeitpunkt stehen rund 300

Entscheidungen des LAG aus den letzten Jahren zur Verfügung.

Unser Bundesland hat damit mit anderen Bundesländern gleichgezogen, die teilweise

bereits seit mehreren Jahren entsprechende Angebote vorhalten. Einen guten Überblick

über die Angebote aller Bundesländer kann man über die Seite

http://www.justiz.de/onlinedienste/bundesundlandesrecht/index.php gewinnen. Die Seite

gehört zum Justizportal des Bundes und der Länder.

Die schlechte Nachricht: Aufgrund eines Fehlers in der bei Gericht verwendeten

Geschäftsstellensoftware ist derzeit die weitere Eingabe von Entscheidungen in die

Datenbank Juris seit Januar 2010 gestoppt; das betrifft wegen des zeitlichen Vorlaufs so

gut wie alle Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts seit Beginn des 4. Quartals 2009.

Dieser Fehler wirkt sich auch auf den vorliegenden Bericht aus, da über weite Strecken

die ergangenen Entscheidungen nur anhand der Titelsammlung im Gericht

zusammengestellt werden konnte; es konnten daher oft keine Juris-Randnummern zitiert

werden und es kann kein vollständiger Überblick darüber gegeben werden, gegen welche

Entscheidungen des Gerichts Rechtsmittel eingelegt wurden.

Wer interessiert ist, kann auf Mailanfrage auch eine Dateifassung der

Rechtsprechungsübersicht per Mail erhalten. Anfragen bitte an [email protected]

richten.

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B. Arbeitsvertragsrecht - Allgemeines

I. Die Anbahnung des Arbeitsverhältnisses

1. Benachteiligung eines schwerbehinderten Bewerbers im Bewerbungsverfahren

LAG MV 08.09.2009 - 5 Sa 125/09 – Vermutung der Benachteiligung und ihre

Widerlegung

Leitsatz: 1. Das Gericht lässt offen, ob die fehlende Begründung der Bevorzugung eines

anderen Bewerbers im Rahmen des Stellenbesetzungsverfahrens gegenüber dem nicht

berücksichtigten schwerbehinderten Bewerber (Verstoß gegen § 81 Absatz 1 SGB IX) für

sich allein bereits ein ausreichendes Indiz für eine Benachteiligung ist und damit zur

Beweislastumkehr nach § 22 AGG führt.

2. Jedenfalls hat der Arbeitgeber dann den schwerbehinderten Bewerber nicht

benachteiligt, wenn der schwerbehinderte Bewerber mehrere nach der

Stellenausschreibung geforderter Kernkompetenzen nicht aufweist, während die

bevorzugte Bewerberin all diese Kriterien erfüllt. Allein aus der Einladung zum

Bewerbungsgespräch kann nicht gefolgert werden, der Arbeitgeber sei selbst davon

ausgegangen, der schwerbehinderte Bewerber sei für die Übertragung des

Dienstpostens an sich geeignet, denn der öffentliche Arbeitgeber darf schwerbehinderten

Bewerbern nur dann ein Bewerbungsgespräch vorenthalten, wenn die fachliche Eignung

offensichtlich fehlt (§ 82 SGB IX).

Verfahrensgang: Nachgehend BAG, 10. Februar 2010 – 8 AZN 1051/09 – Beschluss:

Verwerfung der Beschwerde

II. Das Arbeitsverhältnis

1. Abgrenzung zur Zusammenarbeit auf familienrechtlicher Grundlage

LAG MV 20.01.2010 – 2 Sa 250/09 – Übergang von einem befristeten Arbeitsverhältnis

zur Zusammenarbeit auf familienrechtlicher Grundlage

Textauszug: „Soweit der Kläger sich … auf § 15 Abs. 5 Teilzeitbefristungsgesetz beruft,

weil das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Befristung mit Wissen des Arbeitgebers

fortgesetzt worden sei, ist dies nicht richtig. Das Arbeitsgericht hat hierzu zutreffend

ausgeführt, dass die Tätigkeit des Klägers ab dem 01.04.2007 auf familienrechtlicher

Grundlage erfolgt sei. Auf Grund der zwischen den Parteien bestehenden Ehe hatten

diese nämlich ein Wahlrecht, ob sie die Mitarbeit des Klägers in dem von der Beklagten

geführten Betrieb auf arbeitsrechtliche oder auf familienrechtliche Grundlage stellen

wollten. Von diesem Wahlrecht haben die Parteien sowohl hinsichtlich der gewählten

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Befristung als auch für die Zeit danach eindeutig Gebrauch gemacht. Während des

befristeten Arbeitsverhältnisses sollte ein Arbeitsverhältnis bestehen, für die Zeit danach

sollte die Arbeit auf familienrechtlicher Grundlage erfolgen. Ein besonderes

Schutzbedürfnis, das zu einer Einschränkung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit in

dem vorliegenden Fall führen sollte, ist nicht erkennbar. ... Es ist auch kein Grund

ersichtlich, warum man in einer Ehe das Wahlrecht, Arbeiten auf Grund

familienrechtlicher oder arbeitsrechtlicher Grundlage zu leisten, abschaffen sollte.

Denkbare Gründe könnten allenfalls dann gegeben sein, wenn dem mitarbeitenden

Ehegatten kein angemessener Ausgleich für seine Arbeitsleistung zufließt. Hiervon kann

im vorliegenden Fall jedoch schon auf Grund der gemeinsamen Zugriffsmöglichkeit auf

das Bankkonto nicht ausgegangen werden.“

III. Vertragliche Veränderungen des Arbeitsverhältnisses

1. Ausscheiden gegen Abfindung – Anknüpfen an rentenrechtliche Differenzierungen (mittelbare Diskriminierung)

LAG MV 21.07.2009 - 5 Sa 9/09 - Mittelbare Diskriminierung einer Schwerbehinderten

bei einem übertariflichen Personalabbauprogramm

Leitsatz: 1. Legt der Arbeitgeber ein Personalabbauprogramm auf, durch das

Arbeitnehmer der rentennahen Jahrgänge durch übertarifliche Leistungen zum Abschluss

von Aufhebungsverträgen angeregt werden sollen, ist er bei der Ausgestaltung des

Programms an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und an die

Diskriminierungsverbote aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

gebunden.

2. Sieht das Programm vor, dass alle darauf eingehenden Arbeitnehmer durch eine

Sonderzahlung an die Rentenkasse nach § 187a SGB VI so gestellt werden sollen, dass

sie trotz vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente eine ungekürzte Rente erhalten, und

sieht das Programm weitere erhebliche Zahlungen in Form von Abfindungen und

Einmalzahlungen vor, ist es verboten, schwerbehinderte Arbeitnehmer der in Betracht

kommenden Jahrgänge von dem Programm gänzlich ausschließen, nur weil sie auch

ohne Zuzahlungen nach § 187a SGB VI zum Beispiel nach § 236a Absatz 4 SGB VI

einen Anspruch auf ungekürzte Rente haben.

2. Lehrerpersonalkonzept – Teilnehmer – Teilzeitquote

LAG MV 06.10.2009 - 2 Sa 166/09 – Lehrerpersonalkonzept – Teilnehmer –

Teilzeitquote (Fachlichkeit Weltkunde)

Textauszug: „[22] Der Kläger begehrt zunächst, das beklagte Land dürfe sich auf das

Lehrerpersonalkonzept nicht mehr berufen, da dieses bei der Einführung als

vorübergehende Maßnahme gedacht gewesen sei. Eine Rechtsgrundlage für eine

derartige Auffassung ist nicht ersichtlich. Die Vereinbarung zum Lehrerpersonalkonzept

sowohl zwischen dem beklagten Land und den Gewerkschaften als auch zwischen dem

Kläger und dem beklagten Land enthalte keine zeitliche Einschränkung. Dass aufgrund

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der gesunkenen Schülerzahlen eine Vollbeschäftigung der bei dem beklagten Land

angestellten Lehrkräfte zurzeit nicht möglich ist, ist zwischen den Parteien unstreitig.

[23] Das beklagte Land hat auch das Recht, ein neues Fach wie hier das Fach

Weltkunde, einzuführen und ferner Regelungen für den Erwerb einer Lehrberechtigung

für dieses Fach eigenverantwortlich festzusetzen. So hat das beklagte Land gerade

festgelegt, dass es sich bei dem Fach Weltkunde nicht um eine Kombination aus den

Fächern Geografie und Geschichte handelt, so dass es eigenständige Anforderungen an

den Erwerb einer Lehrberechtigung gestellt hat. Gründe, dass es dabei aus sachwidrigen

Motiven vorgegangen ist, sind nicht ersichtlich. Dem Kläger hätte es ohne weiteres

freigestanden, aufgrund seiner Vorbildung an der Weiterbildungsmaßnahme

teilzunehmen und die Lehrberechtigung für dieses Fach zu erwerben.“

Verfahrensgang: Nachgehend BAG 17. Februar 2010 – 9 AZN 1026/09 – Verwerfung

der Beschwerde

3. Vertragsänderung durch Lohnabrechnung?

LAG MV 01.04.2009 – 2 Sa 289/08 – Vertragsänderung durch Lohnabrechnung?

Sachverhalt: Der Kläger ist bei der Beklagten, einer industriellen Großbäckerei seit April

2001 als Bäcker beschäftigt. Er ist durchgängig mit 2.500,00 DM (1.278,70 EUR)

monatlich vergütet worden, wobei in den Lohnabrechnungen von Mai 2001 bis Juli 2003

eine monatliche Arbeitszeit von 173,5 Stunden zu Grunde gelegt worden ist. Nachdem

das Erscheinungsbild der Lohnabrechnungen ab Januar 2004 umgestellt wurde, ist der

Lohnabrechnung – bei gleichbleibender Vergütung – ab diesem Zeitpunkt bis zum Mai

2005 eine Regelarbeitszeit von 138,75 Stunden zu Grunde gelegt worden. Lediglich im

Oktober 2004 ist eine Regelarbeitszeit von 173,5 Stunden maßgeblich gewesen. Ab Juni

2005 sind dann fortlaufend wieder 173,5 Stunden der Verdienstabrechnung zu Grunde

gelegt worden. – Der Kläger meint nun, durch die jahrelange Lohnabrechnung auf Basis

einer Teilzeitarbeit sei es zu einer entsprechenden Abänderung des Arbeitsvertrages

gekommen. Da er tatsächlich zu mehr als 138,75 Stunden herangezogen werde, habe er

Anspruch auf weitere Vergütung. – Die Klage war in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Textauszug: „[25] Angesichts der Handhabung der Entlohnung des Klägers in der Zeit

von Mai 2001 bis Dezember 2003 konnte der Kläger trotz gewisser Schwankungen

davon ausgehen, dass er zu einem Lohn von 1.278,70 EUR bzw. 2.500,00 DM für 173,5

Stunden beschäftigt wird. Die Verdienstabrechnungen ab Januar 2004, die plötzlich

regelmäßig eine Regelarbeitszeit von [nur noch] 138,75 Stunden aufführten, konnte der

Kläger angesichts der Umstände des Einzelfalles nicht als Angebot einer

Vertragsänderung ansehen. Ein derartiges Angebot wäre zu der damaligen Zeit

angesichts der wirtschaftlichen Situation sehr ungewöhnlich. Eine drastische

Stundenreduzierung bei gleichbleibendem Lohn verträgt sich nicht mit der

Wettbewerbssituation im Backgewerbe. Wenn die Beklagte sich schon zu einem derartig

außergewöhnlichen Schritt entschlossen hätte, hätte darüber mit Sicherheit eine

Kommunikation im Betrieb stattgefunden. Hierzu trägt der Kläger nichts vor.

[26] Die Beklagte hat vielmehr vorgetragen, dass die Bäcker fortlaufend monatlich mit

173,5 Stunden beschäftigt würden ... Dieser Vortrag hat eine viel größere Plausibilität

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und wird vom Kläger nicht substantiiert bestritten. Wenn der Kläger tatsächlich behaupten

will, er habe in den Monaten ab Januar 2004 tatsächlich nur regelmäßig 138,75 Stunden

gearbeitet, müsste ihm für diesen ungewöhnlichen Sachverhalt zumindest ein

ansatzweiser Beweisantritt möglich gewesen sein. Auf eine betriebliche Übung kann der

Kläger sich schon deshalb nicht stützen, weil diese durch eine gegenläufige betriebliche

Übung einvernehmlich wieder abgeändert worden wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass der

Kläger der Handhabung ab Juni 2005 widersprochen hat.“

Verfahrensgang: Das BAG hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen (29.

Mai 2009 - 5 AZN 402/09)

Hinweis: In einem Vorprozess hatten die Parteien um eine fristlose Kündigung wegen

Arbeitszeitbetrugs gestritten (LAG MV 16.10.2007 – 5 Sa 66/07)

4. Rückkehrgarantie für die Geschäftsführerin

LAG MV 02.07.2009 – 1 Sa 358/08 – Vertraglich zugesicherte Rückkehrgarantie an

einen bestimmten Arbeitsplatz – Betriebsbedingte Kündigung bei Wegfall dieses

Arbeitsplatzes

Sachverhalt: Die 2003 als Arbeitnehmerin angestellte Klägerin ist 2005 zur

Mitgeschäftsführerin der Beklagten ernannt worden. Der Geschäftsführervertrag war

befristet bis zum 31.05.2008 und vorher nicht ordentlich kündbar. Für die Zeit danach

heißt es in dem Vertrag: „Sofern der Geschäftsführervertrag beendet wird, lebt das

Arbeitsverhältnis wieder auf. Die Gesellschaft sichert [der Klägerin] ein Rückkehrrecht auf

ihre bisherige Stelle als ‚Abteilungsleiterin Kaufmännische Dienste‘ zu."

Noch 2005 wurde die Klägerin schwanger, bekam dann ihr Kind und nahm hinterher

Elternzeit in Anspruch. Als Geschäftsführerin wurde sie daher schon im April 2006

abberufen; der Geschäftsführervertrag wurde aber im Übrigen noch bis Ende Mai 2008

durchgeführt. Mit dem ersten Tag der Rückkehr an ihren Arbeitsplatz als Arbeitnehmerin

bekam die Klägerin im Juni 2008 ihre Kündigung mit dem Argument überreicht, die Stelle

„Abteilungsleiterin kaufmännische Dienste“ gebe es nicht mehr. – Die

Kündigungsschutzklage war in beiden Instanzen erfolgreich. Der von der Beklagten

gestellte Auflösungsantrag wurde zurückgewiesen.

Eigener Orientierungssatz: 1. Die streitige Vertragsklausel ist auszulegen als ein

vertraglicher Anspruch auf Beschäftigung auf der Stelle als Leiterin der kaufmännischen

Dienste. Für welche Dauer der Anspruch bestehen sollte, brauche nicht entschieden zu

werden, da der Anspruch jedenfalls einer sofortigen Kündigung nach Rückkehr auf den

alten Arbeitsplatz entgegenstehe.

2. Auch der vom Arbeitgeber gestellte Auflösungsantrag ist nicht begründet. Denn nach

der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber eine

Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG nämlich nur dann

verlangen, wenn der geltend gemachte Kündigungssachverhalt allein wegen

Sozialwidrigkeit zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Die Lösungsmöglichkeit ist dem

Arbeitgeber dagegen dann verwehrt, wenn die Kündigung (auch) aus anderen Gründen

unwirksam ist (vgl. BAG, Beschluss vom 21.09.2000, 2 AZN 576/00; Urteil vom

10.10.2002, 2 AZR 240/01).

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Anmerkung: Normalerweise wird man Ruhens- und Wiederauflebensklauseln bezüglich

eines vorangegangenen Arbeitsverhältnisses in Geschäftsführerverträgen nur als eine

Regelung verstehen dürfen, einen Arbeitnehmerstatus für die Zeit nach Beendigung der

Geschäftsführertätigkeit zu erhalten. Eine solche Klausel würde also nicht gegen eine

betriebsbedingte Kündigung schützen, die alsbald nach Wiederbelebung des

Arbeitsverhältnisses ausgesprochen wird. Vorliegend haben die Gerichte die

Besonderheit darin gesehen, dass der Klägerin ein bestimmter Arbeitsplatz für den Fall

des Wiederauflebens zugesichert worden ist. Da es vernünftig schon fast nicht mehr

nachvollziehbar ist, wieso sich ein Arbeitgeber ohne Not so weit binden sollte, liegt es

nahe zu überlegen, ob die Parteien bei Vertragsschluss tatsächlich auch den Fall

bedacht haben, dass der zugesicherte Arbeitsplatz im Laufe der Zeit der

Geschäftsführertätigkeit wegfallen könnte. Wenn sich herausstellen sollte, dass dies nicht

der Fall war, könnte man möglicherweise im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung

eine für beide Seiten interessengerechte Regelung leichter finden.

IV. Einseitige Statusänderungen im Arbeitsverhältnis

LAG MV 14.07.2009 - 5 Sa 41/09 - Vorübergehende Übertragung einer höherwertigen

Tätigkeit – Ermessensgrenzen

Leitsatz: 2. Wendet sich der Arbeitnehmer - wie vorliegend - nicht gegen die

Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit an sich, sondern nur gegen die zeitliche

Begrenzung der Übertragung ("vorübergehende Übertragung"), so sind das Interesse des

Arbeitnehmers, die höherwertige Tätigkeit auf Dauer zu erhalten, und das Interesse des

Arbeitgebers, die Tätigkeit nicht auf Dauer zu übertragen, gegeneinander abzuwägen. Je

nach Lage des Einzelfalls kann es noch angemessen sein, eine Aufgabe nur

vorübergehend zu übertragen, obwohl die zukünftige Entwicklung des Arbeitsanfalls nur

ungewiss ist und nicht bereits feststeht, dass die Arbeit zukünftig nicht mehr anfallen

wird.

Orientierungssatz: 1. Zur Eingruppierung einer Sachbearbeiterin des Landkreises, die

(vorübergehend) der ARGE zugewiesen ist.

2. Die nur vorübergehende Übertragung der Aufgabe bei der ARGE an die

Arbeitnehmerin genügt vorliegend im Ergebnis trotz berechtigter Bedenken der

Arbeitnehmerin noch billigem Ermessen im Sinne von § 315 BGB, da sachliche Gründe,

die gegen eine dauerhafte Übertragung der Tätigkeit sprechen, das Interesse der

Arbeitnehmerin an einer dauerhaften Übertragung überwiegen.

Sachverhalt: Die Arbeitnehmer sind Angestellte eines Landkreises und sind eingruppiert

in die Vergütungsgruppen VII oder VIb der Vergütungsordnung zum BAT-O. Mit

Gründung der ARGE (§ 44b SGB II) zur Erledigung der Aufgaben nach dem SGB II

wurden die Angestellten „vorübergehend“ der ARGE zugewiesen. Für die Tätigkeit bei

der ARGE werden die Angestellten so behandelt, wie wenn die von ihnen bekleideten

Dienstposten eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe Vb der Vergütungsordnung

zum BAT-O rechtfertigen würde; eine Dienstpostenbewertung hat nicht stattgefunden. –

Zu BAT-Zeiten haben sich vergütungsrechtlich keine Unterschiede ergeben, da nach §

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24 BAT-O der volle Unterschiedsbetrag zwischen den Vergütungsgruppen als Zulage zu

zahlen war. § 14 TVöD sieht jedoch bei der vorübergehenden Übertragung einer

höherwertigen Tätigkeit nur noch die Zahlung einer geringeren Zulage vor. Bei den hier

betroffenen Angestellten hat dies durchweg zu Einkommenseinbußen in Höhe von

mehreren Hundert Euro geführt. – Die Angestellten argumentieren, sie seien aus der

Vergütungsgruppe Vb zum BAT-O zu vergüten, denn die Aufgaben bei der ARGE seien

ihnen tatsächlich auf Dauer übertragen; jedenfalls habe der Arbeitgeber bei seiner

Entscheidung, diese Aufgaben nur vorübergehend zu übertragen, sein Ermessen

missbraucht. – Die Klagen waren ohne Erfolg.

Hinweis: Weitgehend parallel zu den Urteilen des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom

12. Mai 2009 - 5 Sa 199/08 - und vom 13. Januar 2009 - 5 Sa 200/08 (vgl. auch das

Urteil der 1. Kammer vom 26. Februar 2009 - 1 Sa 201/08 - nicht veröffentlicht und Urteil

der 2. Kammer vom 15.07.2009 – 2 Sa 12/09 – unveröffentlicht)).

Verfahrensgang: Nachgehend BAG 27. Januar 2010 – 4 AZN 967/09 – Zurückweisung

der Beschwerde

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C. Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis

I. Entgeltfragen

1. Rückständiger Lohn - Erfüllung durch Dritte - Darlegungslast des Schuldners

LAG MV 21.07.2009 - 5 Sa 336/07 - Rückständiger Lohn - Erfüllung durch Dritte -

Darlegungslast des Schuldners

Leitsatz: 1. Der Schuldner hat darzulegen und zu beweisen, dass eine Zahlung, die der

Gläubiger von einem Dritten erhalten hat, zur Erfüllung der Schuld des Schuldners

gezahlt wurde.

2. Zahlt der Auftraggeber bzw. Hauptunternehmer an eine irische Gewerkschaft

("Operative Pflasterers and allied Trades Society of Ireland - Dublin and Branches" -

OPTASI) auf einer Baustelle in Irland nach einem Baustellenbesuch der Gewerkschaft

einen größeren Betrag, den diese sodann an die Arbeitnehmer der auf der Baustelle

tätigen Nachunternehmer auszahlt, kann man nicht ohne weiteren Sachvortrag

annehmen, dass der Hauptunternehmer mit seiner Zahlung rückständige

Lohnforderungen des Nachunternehmers gegenüber seinen Arbeitnehmern begleichen

wollte.

2. Treuwidriges Berufen auf das Eingreifen von Ausschlussfristen durch den Arbeitgeber

LAG MV 14.07.2009 - 5 Sa 295/08 - Treuwidrigkeit der Berufung des Arbeitgebers auf

die Ausschlussfrist nach § 70 BAT-O (hier verneint)

Leitsatz: „Wird eine Angestellte des Polizeidienstes zur polizeilichen Absicherung des

G8-Gipfels in Heiligendamm in die polizeiliche Sondergruppe KAVALA abgeordnet und

kontrolliert die Stammdienststelle der Arbeitnehmerin nicht, ob die Arbeitnehmerin in der

KAVALA auch (nur) entsprechend ihrer Eingruppierung eingesetzt wird, mag darin eine

Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers liegen. Es ist aber trotzdem nicht

treuwidrig im Sinne von § 242 BGB, wenn sich der Arbeitgeber gegen ein Begehren auf

Zahlung einer Zulage nach § 24 BAT, das die Polizeiangestellte nach Auflösung der

KAVALA erstmals geltend gemacht hat, mit dem Verweis auf das Eintreten der

Verfallsfrist aus § 70 BAT bzw. § 37 TV-L wehrt.“

3. Sittenwidrig niedriger Lohn

LAG MV 09.09.2009 - 2 Sa 150/09 - Sittenwidriger Lohn (Bauarbeiter im Hotelbetrieb)

Sachverhalt: Die Beklagte betreibt ein Hotel, das während des Betriebes umfänglich

saniert wird. Der Kläger war bei der Beklagten daher als Fliesenleger mit

Hausmeistertätigkeiten zuletzt zu einem monatlichen Bruttogehalt von 1.000,00 EUR in

den Monaten November bis April und 1.300,00 EUR in den Monaten Mai bis Oktober

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sowie einer Beschäftigungszeit von 178 Stunden monatlich beschäftigt. Der Kläger

verlangt Tariflohn als verkehrsübliche Vergütung, hilfsweise Baumindestlohn.

Textauszug: - Zur direkten Anwendung des Tarifvertrages - „[25] Den Begriff der

"selbständigen Betriebsabteilung" [im Sinne von § 1 Abschnitt VI BRTV] hat das

Arbeitsgericht Schwerin zutreffend unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des

Bundesarbeitsgerichts ausgelegt. Das Bundesarbeitsgericht hat ausgeführt, eine

Betriebsabteilung sei eine räumlich, personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb

abgetrennter Betriebsteil, der mit eigenen technischen Betriebsmitteln einen eigenen

Betriebszweck verfolge, welcher auch ein Hilfszweck sein könne. Das zusätzliche

tarifliche Merkmal der Selbständigkeit erfordere eine auch für den Außenstehenden

wahrnehmbare räumliche und organisatorische Abgrenzung sowie einen besonders

ausgeprägten spezifisch arbeitstechnischen Zweck. Eine bloße Spezialisierung derart,

dass getrennte Arbeitsgruppen jeweils bestimmte Aufgaben versehen, genüge nicht. Eine

für Außenstehende wahrnehmbare Trennung könne z. B. eine eigene fachliche Leitung

und eine organisatorische und kaufmännische Trennung sein (BAG - 10 AZR 305/07 -

vom 02.07.2008).“

- Zur Sittenwidrigkeit der Vergütung – „[27] Der Kläger kann sich auch nicht darauf

stützen, dass die gezahlte Vergütung sittenwidrig niedrig sei. Die Sittenwidrigkeit einer

Entgeltvereinbarung nach § 138 Abs. 1 BGB ist zunächst nach der Entgelthöhe zu

beurteilen. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung liegt vor,

wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal 2/3 eines in der betreffenden Branche- und

Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohnes erreicht.

[28] Auf den Tariflohn des Baugewerbes kann der Kläger sich nach den obigen

Ausführungen nicht stützen (vgl. BAG vom 22.04.2009 - 5 AZR 436/08). … [29]

Zutreffend ist das Arbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass die Ortsüblichkeit der

Vergütung sich nach den Verhältnissen im Hotel- und Gaststättengewerbe richten muss.

Maßgebend ist der jeweilige Wirtschaftskreis (vgl. BAG vom 26.04.2006 - 5 AZR 549/05).

Der Umstand, dass es für Bauarbeiter keine Tariflöhne im Hotel- und Gaststättengewerbe

geben wird, rechtfertigt nicht, die Tariflöhne aus einem anderen Wirtschaftskreis

heranzuziehen. Es wäre Aufgabe des Klägers gewesen, die Sittenwidrigkeit der

Lohnvereinbarung mit vergleichbaren Tätigkeiten im Hotel- und Gaststättengewerbe (z.

B. qualifizierte Hausmeistertätigkeiten) darzulegen. Eines entsprechenden Hinweises

durch das Gericht bedurfte es nicht, da der Kläger hierauf bereits in der erstinstanzlichen

Entscheidung hingewiesen worden ist.“

Verfahrensgang: Nachgehend BAG 5. Januar 2010 – 5 AZN 968/09 – Verwerfung der

Beschwerde

4. Unangemessen niedrige Ausbildungsvergütung

LAG MV 29.04.2009 - 2 Sa 301/08 – Unangemessen niedrige Ausbildungsvergütung

Leitsatz: Der Träger der Ausbildung hat Schülern nach § 12 Abs. 1 KrPflG

(Krankenpflegegesetz) eine angemessene Ausbildungsvergütung zu gewähren. Wird der

einschlägige Tarifvertrag um mehr als 20 Prozent unterschritten, ist die

Ausbildungsvergütung nicht mehr angemessen und der Tariflohn zu zahlen (wie BAG

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vom 19.02.2008 - 9 AZR 1091/06).

Eigener weiterer Leitsatz: Eine Unterschreitung des Tarifniveaus um mehr als 20 %

kann gerechtfertigt sein, wenn der Ausbildende den Zweck verfolgt, die

Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und auch Jugendlichen eine qualifizierte

Ausbildung zu vermitteln, die sie ohne Förderung nicht erlangen könnten (BAG vom

19.02.2008 - 9 AZR 1091/06). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, denn alle

Auszubildende sind in den Klinikbetrieb voll integriert und werden dort benötigt.

Sachverhalt: Die Klägerinnen sind Schwesternschülerinnen in einem Krankenhaus. Das

Krankenhaus war ehemals städtisch und ist inzwischen auf einen privaten Träger

übergegangen. Beim Übergang haben die Beschäftigten ihre Arbeitsverträge mit der

Bezugnahme auf die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes behalten. – Die

Auszubildenden wurden nach vertraglichen Regeln vergütet und erzielten damit rund 400

Euro monatlich (gestaffelt nach Ausbildungsjahren). Nach dem inzwischen geltenden

TVöD hätte bei Tarifbindung eine Ausbildungsvergütung in rund doppelter Höhe gezahlt

werden müssen. – Die Arbeitgeberin hat bestritten, dass die Ausbildungsvergütungen

aus dem TVöD verkehrsüblich seien und hat sich im Übrigen darauf berufen, dass sie

Ausbildung über Bedarf betreibe und daher zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit

beitrage.

Anmerkung: § 12 Krankenpflegegesetz normiert wie § 17 BBiG den Anspruch auf

angemessene Vergütung. Eine Vergütung ist nach ständiger Rechtsprechung dann

unangemessen niedrig, wenn sie nur 80 Prozent oder weniger der ortsüblichen

Vergütung erreicht. Über das Merkmal der ortsüblichen Vergütung kommt man in

ähnliche Erkenntnisprobleme wie bei der Prüfung, ob ein Lohn sittenwidrig niedrig ist.

Allerdings reicht hier das Missverhältnis aus, zusätzliche subjektive Elemente werden

nicht gefordert.

Im vorliegenden Fall hatten die Klägerinnen sozusagen Glück, dass die Klinik bis vor

wenigen Jahren noch als kommunales Krankenhaus geführt wurde, denn das hat es

ermöglicht, die Bestimmung der ortsüblichen Vergütung anhand der Tarifverträge für den

öffentlichen Dienst vorzunehmen, nach denen nach wie vor der größte Teil der

Arbeitnehmer im Krankennhaus vergütet wurde.

Hinweis: Zu diesem Rechtsstreit gibt es eine ganze Reihe von Parallelentscheidungen.

5. Beiträge zu einer Direktversicherung

LAGMV 05.05.2009 - 5 Sa 324/08 - Vertragsauslegung – Pflicht des Arbeitgebers zur

Zahlung von Beiträgen in eine Direktversicherung auch über das Ende des

Arbeitsverhältnisses hinaus

Leitsatz: Werden wie hier in einem Arbeitsvertrag durch den Arbeitgeber Zahlungen auf

eine Direktversicherung auch über das geplante Ende des Arbeitsvertrages hinaus

zugesichert und handelt es sich bei der Beitragszahlung ersichtlich nicht um eine direkte

Gegenleistung zur Arbeitsleistung, so können die Beiträge auch nach einer vorzeitigen

Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers noch

weiter zu zahlen sein.

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6. Berechnung Annahmeverzugslohn

LAG MV 18.03.2010 – 5 Sa 241/09 – Annahmeverzugslohn und Anspruchsübergang

wegen Leistungen nach dem SGB II

Leitsatz: Einzelfallentscheidung zur Abrechnung eines inzwischen beendeten

Arbeitsverhältnisses nach einer Kündigung, die das Arbeitsverhältnis nicht beendet hatte.

– Obwohl der Arbeitnehmer im Annahmeverzugszeitraum zeitweise Leistungen nach

dem SGB II bezogen hatte, hat das Gericht den damit möglicherweise verbundenen

Anspruchsübergang nach § 33 SGB II bzw. § 115 SGB X nicht berücksichtigt, da dazu

vom Arbeitgeber weder eine Rüge erhoben wurde, noch verwertbarer Sachvortrag

gegeben war.

7. Verwirkung Annahmeverzugslohn

LAG MV 21.04.2009 - 5 Sa 251/07 - Vollzeitarbeitsverhältnis, das als

Teilzeitarbeitsverhältnis durchgeführt wird – Verwirkung

Leitsatz: Entsteht im Rahmen einer Befristungskontrollklage durch übereinstimmende

Willenserklärung der Parteien ein neues Arbeitsverhältnis für die Zeit des Rechtsstreits

(Prozessarbeitsverhältnis), gelten im Zweifel die bisherigen Arbeitsbedingungen als

vereinbart. War die Arbeitnehmerin im Rahmen des befristeten Arbeitsvertrages voll

beschäftigt, kommt daher - wenn keine andere Regelung getroffen wird - ein

Prozessarbeitsverhältnis auf Basis einer Vollzeitbeschäftigung zu Stande.

Textauszug (zur Verwirkung): „[52] Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers können

grundsätzlich bereits vor Ablauf der Verjährungsfrist verwirken. Nach der ständigen

Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur BAG 25. April 2001 - 5 AZR 497/99

- AP Nr. 46 zu § 242 BGB Verwirkung = NJW 2001, 2907 = DB 2001, 1833) ist ein Recht

verwirkt, wenn der Gläubiger - hier die Klägerin - es längere Zeit nicht ausgeübt hat

(Zeitmoment), der Schuldner - hier das beklagte Land - darauf vertraut hat, es werde

nicht mehr in Anspruch genommen werden, und diesem die Erfüllung unter

Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben auch nicht mehr zuzumuten ist

(Umstandsmoment).

[53] Gemessen hieran ist der Anspruch der Klägerin auf die Differenzvergütung zur

Vollbeschäftigung aus der Zeit der Teilzeitbeschäftigung von August 2004 bis Anfang

Januar 2005 verwirkt. [54] Die Klägerin hat erstmals mit der außergerichtlichen

Geltendmachung des hier rechtshängigen Anspruchs im Januar 2006 die fragliche

Differenzvergütung geltend gemacht. Das war selbst gemessen an dem jüngsten Teil der

Differenzlohnansprüche etwa ein Jahr nach deren Fälligkeit. Damit ist das Zeitmoment

der Verwirkung erfüllt.

[55] Auch das Umstandsmoment der Verwirkung ist erfüllt, da die Klägerin durch die

Prozesserklärung … vor dem Arbeitsgericht Stralsund am 25. März 2004 … beim

beklagten Land berechtigt das Vertrauen erweckt hat, sie werde die wechselnden

Beschäftigungsquoten im Arbeitsverhältnis, die sich aus den Regeln des LPK ergeben,

hinnehmen. … Dennoch ist der zu Protokoll genommenen Erklärung zu entnehmen, dass

das beklagte Land darauf hingewiesen hat, dass der Umfang der Zusammenarbeit mit

dem nächsten Schuljahr (2004/2005) zurückgehen könne. Ob der zu Protokoll

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genommenen Erklärung auch der weitere Sinn entnommen werden kann, dass die

Klägerin mit den schwankenden Teilzeitquoten einverstanden ist, kann - obwohl dieser

Sinn nahe liegt - dahinstehen. Denn jedenfalls wurde sie auf die schwankenden

Teilzeitquoten hingewiesen und sie hat dann im August 2004, als die zurückgehende

Teilzeitquote in ihrem Arbeitsverhältnis spürbar wurde, nicht dagegen protestiert. Dies

kann aus der Sicht eines unbefangenen Dritten nur dahin gedeutet werden, dass die

Klägerin - auch wenn sie rechtlich einen Anspruch auf Vollbeschäftigung hat - auf die

Durchsetzung ihres Rechts auf volle Beschäftigung und Vergütung verzichten wolle.

Diese Deutung wird auch durch die Bewerbungen der Klägerin für zusätzliche Stunden

aus jener Zeit bestätigt (Kopie Blatt 149 f d. A.). Denn sie macht hier nicht ein Recht auf

weitere Stunden geltend, sondern sie reiht sich ein in die Reihe der übrigen Teilnehmer

am LPK und bewirbt sich lediglich um die Zuteilung ausgeschriebener zusätzlicher

Stunden.

[58] Dem beklagten Land wäre es auch unzumutbar, nunmehr - Jahre später - die

klägerische Forderung noch zu erfüllen, denn wenn es seinerzeit gewusst hätte, dass die

Klägerin später noch Vergütung nach Vollbeschäftigung verlangt, hätte man die Klägerin

wie eine Nichtteilnehmerin am Lehrerpersonalkonzept behandeln müssen und ihr eine

Änderungskündigung auf die Teilzeitquote der Teilnehmer aussprechen müssen. Es ist

unredlich, wenn die Klägerin zunächst den Eindruck erweckt, als ob sie die

schwankenden Teilzeitquoten akzeptiere, dann aber hinterher - wenn das beklagte Land

gar keine Möglichkeit mehr hat, die Vertragsprobleme durch eine Änderungskündigung

zu beheben - eine Korrektur der nur auf Teilzeitbasis gewährten Vergütung zu fordern.“

Verfahrensgang: Nachgehend BAG 22. Juni 2009 – 5 AZN 462/09 – Die Beschwerde

wurde ohne Entscheidung des BAG zurückgenommen.

II. Arbeitszeitfragen

1. Anordnung von Nachtarbeit im Wege des Direktionsrechts

LAG MV 09.12.2009 – 3 Sa 239/09 – Anordnung von Nachtschichtarbeit im Wege des

Direktionsrechts

Leitsatz: Soll das Weisungsrecht des Arbeitgebers für die Arbeitszeitverteilung durch

eine konstitutive Regelung der Arbeitsvertragsparteien eingeschränkt werden, muss dies

durch besondere Anhaltspunkte belegbar sein.

Sachverhalt: Feststellungsklage einer gewerblichen Arbeitnehmerin in einem

industriellen Backbetrieb. Arbeitgeber ordnet (wieder) Nachtschichten an, nach dem dies

mehrere Monate oder gar Jahre nicht der Fall war. Die Arbeitnehmerin will nicht nachts

arbeiten. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nicht. Die Klage war in beiden Instanzen

ohne Erfolg.

Textauszug: „Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der

Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese

Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer

Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 17

festgelegt sind … Nach dem eindeutigen Wortlaut setzt die nähere Festlegung der

Arbeitszeit durch den Arbeitgeber nach § 106 Satz 1 GewO gerade nicht voraus, dass

eine solche Möglichkeit in einem Arbeitsvertrag festgeschrieben wird. Vielmehr kommt im

Gegenteil … eine Einschränkung des Direktionsrechts lediglich dann in Betracht, wenn

dieser Umstand u. a. in einem Arbeitsvertrag vereinbart wird (BAG vom 15.09.2009, a. a.

O.; BAG vom 23.09.2004 - 6 AZR 567/03; NZA 2005, Seite 359).“

III. Urlaubsfragen

1. Verfall des Urlaubsanspruchs

LAG MV 01.04.2009 - 2 Sa 238/08 - Verfall des Urlaubsanspruchs – ZInsO 2009, 1127

Leitsatz: Sofern kein Übertragungsgrund nach § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz gegeben

ist und der am Jahresende noch nicht genommene und nicht gewährte Urlaub deshalb

auf das erste Quartal des Folgejahres nicht übergeht, erlischt der am Ende des

Urlaubsjahres nicht genommene Urlaub. Für das Vorliegen der Voraussetzungen für die

Übertragung ist der Arbeitnehmer darlegungs- und gegebenenfalls beweispflichtig.

Sachverhalt: Die Parteien streiten um einen Anspruch des Klägers auf

Urlaubsabgeltung. Der Kläger war vom 09.10.2006 bis 31.12.2007 bei der Beklagten

beschäftigt. Zum Zeitpunkt seines Ausscheidens hatte er noch einen nicht erfüllten

Resturlaubsanspruch im Umfang von 18 Arbeitstagen, den er nunmehr mit Klage aus

Ende Januar 2008 gerichtlich geltend macht. – Das Arbeitsgericht hat der Klage

stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Anmerkung: Nach § 7 Absatz 3 Satz 1 BUrlG geht der noch nicht erfüllte

Urlaubsanspruch mit dem Ende des Kalenderjahres unter. Dies gilt nach den weiteren

Regelungen an dieser Gesetzesstelle ausnahmsweise nicht, wenn ein

Übertragungstatbestand vorliegt. Nach den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und

Beweislast muss der Arbeitnehmer den Übertragungstatbestand darlegen, da es sich um

eine Ausnahmeregelung handelt. – Vor diesem Hintergrund ist man als Arbeitnehmer gut

beraten, routinemäßig spätestens im Herbst die Gewährung des Resturlaubs zu fordern,

um bei Ablehnung das Vorliegen eines betrieblichen Grundes nachweisen zu können.

Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, wie sie von der Rechtsprechung

vorgenommen wird, ist nicht über jeden Zweifel erhaben. Denn wenn die Gewährung von

Urlaub eine Schuld des Arbeitgebers ist, muss der diese Schuld auch im Urlaubsjahr

vollständig erfüllen. Steht zum Jahresende noch unerfüllter Urlaub zu Buche, befindet

sich der Arbeitgeber in Verzug. Das würde es rechtfertigen, eine Art Vermutung

aufzustellen, dass die Schuld aus betrieblichen oder persönlichen Gründen nicht erfüllt

werden konnte. Der Arbeitgeber hätte dann die Möglichkeit, durch Tatsachenvortrag

diese Vermutung zu entkräften.

2. Urlaubsabgeltung bei Arbeitsunfähigkeit

LAG MV 17.03.2009 – 5 Sa 254/08 – Urlaubsabgeltung bei Arbeitsunfähigkeit des

Arbeitnehmers

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Textauszug: „In Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Januar

2009 (C-350/06 und C-520/06) hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 24. März

2009 (9 AZR 983/07) entschieden, dass Ansprüche auf Abgeltung des gesetzlichen Teil-

oder Vollurlaubes nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des

Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraumes erkrankt und deshalb

arbeitsunfähig ist. Vielmehr sei § 7 Abs. 3 und 4 Bundesurlaubsgesetz auch im Verhältnis

zu privaten Arbeitgebern nach den Vorgaben des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie

gemeinschaftskonform fortzubilden.

Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall übertragbar. Zwar handelt es sich

vorliegend bei dem letzten streitigen Tag um den 29. Urlaubstag für das Kalenderjahr

2007 und damit um einen Urlaubstag, der arbeitsvertraglich zusätzlich zum gesetzlichen

Mindesturlaub gewährt wurde. Der Arbeitsvertrag enthält aber keinerlei Regelungen, wie

mit nicht erfülltem Urlaubsanspruch am Ende des Arbeitsverhältnisses umzugehen ist.

Diese Lücke in dem Arbeitsvertrag der Parteien schließt das Gericht durch Heranziehung

der gesetzlichen Regelungen zur Urlaubsabgeltung. Daher ist auch im vorliegenden Fall

die gesetzliche Regelung zur Urlaubsabgeltung in der Auslegung, wie sie nunmehr das

Bundesarbeitsgericht vorgenommen hat, maßgebend.“

IV. Anspruch auf Aufwendungsersatz

1. Anspruch auf Aufwendungsersatz (Öffentlicher Dienst)

LAG MV 24.11.2009 – 5 Sa 136/09 – Verzicht auf Reisekostenerstattung für mehrtätige

Schulklassenfahrten

Leitsätze: 1. Der Anspruch der an einer öffentlichen Schule angestellten Lehrkraft auf

Erstattung ihr erwachsener Reisekosten in Zusammenhang mit einer mehrtätigen

Klassenfahrt beruht auf § 23 Absatz 4 TVL in Verbindung mit §§ 3 ff LRKG

(Landesreisekostengesetz MV).

2. Die Lehrkraft kann nach § 3 Absatz 1 Satz 2 LRKG – auch bereits vor Antritt der

Dienstreise – auf die Erstattung der Reisekosten ganz oder teilweise verzichten. Ein

solcher Verzicht darf aber vom Dienstherrn nur dann als Einrede gegen den

Erstattungsanspruch geltend gemacht werden, wenn der Verzicht freiwillig erfolgt ist

(Ziffer 3.1.2.1. der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum LRKG vom 13. April 2005,

Amtsblatt M-V S. 612).

3. Für die Feststellung der Freiwilligkeit des Verzichts kommt es nicht entscheidend

darauf an, dass die Lehrkraft die Verzichtserklärung unterzeichnet hat. Maßgebend sind

in erster Linie die objektiven Verhältnisse. Es muss sichergestellt sein, dass der

Bedienstete bei seiner Entscheidung für den Verzicht nicht in einer Drucksituation steht,

die eine tatsächliche Wahlfreiheit verhindert. – Der Verzicht der Lehrkraft auf

Reisekostenerstattung kann daher nur dann als freiwillig erteilt angesehen werden, wenn

die Lehrkraft eine realistische Möglichkeit hat, die von ihr erwarteten Schulwanderungen

und Schulfahrten so zu organisieren, dass die dafür vorhandenen Haushaltsmittel eine

vollständige Erstattung der ihr erwachsenden erforderlichen Reisekosten ermöglichen.

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Sachverhalt: Die Lehrerin war an einer Schule in Rostock tätig und sie hat mit der

Klasse einer Kollegin als weitere Aufsichtsperson eine 4tätige Klassenfahrt nach

Stralsund begleitet. In diesem Rahmen sind ihr Aufwendungen für die Fahrten, die

Übernachtung in der Jugendherberge, für die Verpflegung und für ein

Veranstaltungspaket in Höhe von insgesamt etwas weniger als 110 Euro entstanden.

Das beklagte Land hat davon nur etwa 50 Euro erstattet und hat sich im Übrigen darauf

berufen, dass die Klägerin vor Antritt der Reise schriftlich auf die Erstattung weiterer

Reisekosten verzichtet habe. Die Klägerin hat ihre Verzichterklärung für unwirksam

erachtet. Die Klage war in beiden Instanzen erfolgreich.

V. Haftung des Arbeitgebers

1. Schadensersatz und Entschädigung wegen Mobbing

LAG MV 13.01.2009 – 5 Sa 86/08 – Schadensersatz und Entschädigung wegen Mobbing

durch Vorgesetzte

Orientierungssatz: Einzelfall einer Klage einer Lehrerin auf Schadensersatz und

Entschädigung (Schmerzensgeld) wegen Mobbing durch Vorgesetzte. Das Gericht hat

offen gelassen, ob die feststellbaren Handlungen der Vorgesetzten die Klägerin in ihrem

Persönlichkeitsrecht verletzt haben, denn es ließ sich weder die Kausalität des

Verhaltens für den Eintritt der Gesundheitsschädigung feststellen, noch konnte die

besondere Intensität der Verletzung als Voraussetzung des Schmerzensgeldanspruchs

festgestellt werden.

Verfahrensgang: Die Nichtzulassungsbeschwerde ist verworfen worden (BAG 26. Mai

2009 – 8 AZN 151/09)

LAG MV 13.01.2009 – 5 Sa 112/08 – Schadensersatz und Schädigung wegen Mobbing

durch Vorgesetzte

Eigene Leitsätze: 1. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist gegeben, wenn der

Arbeitnehmer gezielt herabgesetzt, gekränkt oder gedemütigt wird. Die dafür

erforderliche feindliche Einstellung gegenüber dem Opfer der Attacke kann offen zu Tage

treten. Sie kann sich aber auch lediglich indirekt aus der Zusammenschau mehrerer für

sich genommen möglicherweise sogar unauffälliger Maßnahmen ergeben. In Anlehnung

an § 3 Absatz 3 AGG ist dann entscheidend, ob festgestellt werden kann, dass durch den

oder die Handelnden ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen,

Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wurde.

2. Im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen, die sich durchaus auch über einen

längeren Zeitraum erstrecken können, haben keine Bedeutung für die Feststellung einer

rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Die kritischen Verhaltensweisen

sind aufgrund einer objektiven Betrachtungsweise und ohne Rücksicht auf das subjektive

Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers zu bewerten. Dies gilt auch für das Verhältnis

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von Vorgesetzten zu Untergebenen. Da die Kunst der Personalführung leider von den

meisten Personalvorgesetzten nicht fehlerfrei beherrscht wird, kann von Fehlern in der

Führung des untergebenen Personals nicht ohne Weiteres auf eine feindliche Einstellung

gegenüber dem untergebenen Arbeitnehmer geschlossen werden.

3. Schadensersatz wegen Mobbing verlangt die Kausalität zwischen dem schädigenden

Verhalten und dem eingetretenen Erfolg (hier verneint).

4. Die unmittelbare Verletzung des Persönlichkeitsrechts auch ohne einhergehende

Gesundheitsschädigung kann einen Anspruch auf Schmerzensgeld auslösen, obwohl die

Verletzung des Persönlichkeitsrechts in dem zur Mitte des Jahres 2002 neu formulierten

§ 253 BGB als Anlass für eine Entschädigung gerade nicht erwähnt ist. Aus den

Gesetzesmaterialien ergibt sich jedoch, dass der Gesetzgeber die bisher dazu

ergangene Rechtsprechung nicht korrigieren wollte. Vielmehr hat er nur die Auffassung

vertreten, dass diese Rechtsprechung noch so im Fluss sei, dass sich eine gesetzliche

Regelung derzeit verbiete (Bundestagsdrucksache 14/7752, S. 55; vgl. auch Vieweg in:

jurisPK-BGB § 253 BGB RN 41). Damit kann trotz der gesetzlichen Neuregelung des §

253 BGB auch heute noch auf die bisherige Rechtsprechung zur Zuerkennung von

Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen ohne begleitende

Gesundheitsschädigungen zurückgegriffen werden.

5. Es ist daran festzuhalten, dass ein Schmerzensgeld nur zugesprochen werden könnte,

wenn es sich um eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts gehandelt hat, zu

deren Ausgleich die Zahlung einer Entschädigung erforderlich ist.

Verfahrensgang: Die Nichtzulassungsbeschwerde war erfolgreich (Beschluss vom

23.07.2009 – 8 AZN 144/09); derzeit als Revisionsverfahren mit dem Aktenzeichen 8

AZR 546/09 beim BAG anhängig.

2. Falsche Versprechungen bei Auflösung der betrieblichen Altersversorgung

LAG MV 03.03.2009 – 5 Sa 233/08 – Schadensersatz wegen betrügerischer Täuschung

über die Kapitalauskehr bei Zustimmung zur Kündigung der betrieblichen

Direktversicherung

Leitsatz: 1. Verspricht der Geschäftsführer einer später in die Insolvenz gefallenen

GmbH dem bei der GmbH beschäftigten Arbeitnehmer, die GmbH werde den Wert einer

zum Zwecke der betrieblichen Altersversorgung abgeschlossenen Direktversicherung an

den Arbeitnehmer auskehren, wenn dieser nur sein Einverständnis mit der Kündigung der

Direktversicherung erkläre, ist dieses Versprechen nur dann betrügerisch, wenn der

Geschäftsführer bereits bei Abgabe des Versprechens wusste, dass er das Versprechen

nicht einhalten kann oder nicht einhalten will.

2. Zum Nachweis der betrügerischen Absicht reicht es nicht aus, wenn der

Geschäftsführer nach Inanspruchnahme durch den Arbeitnehmer der GmbH erklärt, er

hätte zu keinem Zeitpunkt vorgehabt, den Kapitalwert an den Arbeitnehmer auszuzahlen,

wenn er diesen Standpunkt damit begründet, er habe zu keinem Zeitpunkt versprochen,

den Kapitalwert auszuzahlen, und diese Auslegung der Vereinbarung zur Kündigung der

Direktversicherung vertretbar ist.

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Verfahrensgang: Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zurückgewiesen worden (BAG 24.

Juli 2009 – 8 AZN 442/09).

Hinweis: Dazu gibt es noch ein Parallelverfahren zum Aktenzeichen 5 Sa 175/08, das

gleich entschieden wurde.

3. Aufklärungspflichten bei Abschluss Altersteilzeitvertrag?

LAG MV 08.09.2009 – 5 Sa 124/09 – Der vom Arbeitnehmer nicht mehr gewünschte

Altersteilzeitvertrag

Leitsatz: 1. Jeder Arbeitnehmer ist zunächst selbst dafür verantwortlich zu ermitteln und

zu bewerten, ob es in seinem Interesse ist, einen Altersteilzeitvertrag abzuschließen.

Allein aus dem Umstand, dass im Bereich des Arbeitgebers aufgrund einer auch von den

zuständigen Gewerkschaften getragenen Rahmenvereinbarung mehrere Modelle des

Übergangs zur Rente (Vorruhestand und Altersteilzeit) zur Auswahl stehen, folgt noch

keine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer auf denkbare Alternativen zur

Altersteilzeit hinzuweisen. Dies gilt jedenfalls für den hier vorliegenden Fall einer

Lehrkraft an einer öffentlichen Schule des Landes, da das Lehrerpersonalkonzept mit

seinen verschiedenen Maßnahmen allen Lehrkräften mehrfach bekannt gegeben und

erläutert wurde.

2. Geht der Abschluss des Altersteilzeitvertrages statt des für die Klägerin wirtschaftlich

attraktiveren Vorruhestandsmodels auf die Beratung durch ein Mitglied des

Bezirkspersonalrats der Lehrer zurück, lassen sich dabei unterlaufene Beratungsfehler

nicht dem Arbeitgeber zurechnen, wenn nicht eindeutig festgestellt werden, kann, dass

das Mitglied der Personalvertretung im Auftrag des Arbeitgebers bei den Beschäftigten

für den Abschluss von Altersteilzeitverträgen werben sollte.

Sachverhalt: Die Klägerin ist Lehrerin. Auf einer Informationsveranstaltung des

Bezirkspersonalrats wurde für den Abschluss von Altersteilzeitverträgen geworben und

darauf hingewiesen, dass das Altersteilzeitgesetz auslaufe. Daraufhin hat die Klägerin

einen Altersteilzeitvertrag beantragt und erhalten. Einige Monate später erfährt sie davon,

dass es im Bereich der Arbeitgeberin im Lehrerpersonalkonzept neben der Altersteilzeit

noch eine weitere Maßnahme zum finanziell attraktiven vorzeitigen Ausscheiden aus dem

Erwerbsleben gibt (Vorruhestandsgeld). Diese Maßnahme ist aus der Sicht der Klägerin

für sie die bessere Maßnahme. Daher beantragt sie den Altersteilzeitvertrag aufzuheben

und einen Vorruhestandsvertrag abzuschließen. Das beklagte Land verweigert sich.

Daher wird dann der Altersteilzeitvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten. Die

Klägerin sagt, das Land wäre verpflichtet gewesen, sie vor Abschluss des

Altersteilzeitvertrages auf die Alternative hinzuweisen. – Die Klage war in beiden

Instanzen erfolglos.

4. Aufklärungspflicht des Arbeitgebers beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages

LAG MV 15.07.2009 - 2 Sa 44/09 - Keine Aufklärungspflicht über nachteilige Folgen

eines Aufhebungsvertrages für den Bezug von Arbeitslosengeld (Ruhenszeit)

Page 22: Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009-2010 Stand 2010-05-10

Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 22

Textauszug: „[20] Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben können sich Hinweis- und

Aufklärungspflichten ergeben. Die vertraglichen Schutz- und Fürsorgepflichten dürfen

aber nicht überspannt werden. Jeder Vertragspartner hat grundsätzlich selbst für die

Wahrnehmung seiner Interessen zu sorgen. Hinweis- und Aufklärungspflichten beruhen

auf den besonderen Umständen des Einzelfalles und sind das Ergebnis einer

umfassenden Interessenabwägung (ständige Rechtsprechung des

Bundesarbeitsgerichts, so BAG vom 11.12.2001 - 3 AZR 339/00).

[21] Diese Grundsätze hat das Arbeitsgericht richtig angewendet. Es hat berücksichtigt,

dass die Klägerin, deren Arbeitsverhältnis von einem Betriebsübergang betroffen sein

sollte, von selbst auf die Beklagte zugegangen ist und um Abschluss eines

Aufhebungsvertrages gebeten hat. Ferner hat es berücksichtigt, dass die Beklagte die

Klägerin auf die Information über sozialversicherungsrechtliche Nachteile bei der

Bundesagentur für Arbeit hingewiesen hat. Schließlich hat es auch zutreffend

berücksichtigt, dass für die Klägerin kein Zeitdruck bestanden hat. Sie hat von der

Beklagten ein unterschriebenes Exemplar eines Aufhebungsvertrages ausgehändigt

bekommen und hatte ausreichend Zeit, sich die Unterzeichnung zu überlegen und vorher

entsprechende Informationen einzuholen. Bei dieser besonderen Sachlage war ein

gesonderter Hinweis auf § 143 a SGB III auch nicht erforderlich.“

Sachverhalt: Der Aufhebungsvertrag hat zu einer Ruhenszeit beim Bezug von

Arbeitslosengeld geführt. Die Klage war in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben.

5. Aufklärungspflicht bei drohendem Steuerschaden?

LAG MV 17.09.2009 – 1 Sa 108/09 – Steuerschaden wegen Wegfall des Freibetrages

nach § 3 Ziff. 9 EStG

Sachverhalt: Die Klägerin hat das „Vorruhestandsgeld II“, eine Maßnahme nach dem

Lehrerpersonalkonzept MV in Anspruch genommen. Der entsprechende Vertrag ist Ende

Januar 2006 beiderseits unterzeichnet worden. Wäre der Vertrag noch vor dem

31.12.2005 unterzeichnet worden, hätte die Klägerin die in dem Vorruhestandsgeld

steckende Abfindung in Höhe von 11.000 EUR steuerfrei beziehen können. Das ergibt

sich aus der Übergangsregelung zur Abschaffung von § 3 Ziff. 9 EStG, einer

Gesetzesänderung, die am 22.12.2005 erfolgt ist (BGBl. I S. 3682). Die Klägerin

errechnet sich daraus einen Steuerschaden in Höhe von rund 3.400 EUR, den sie vom

beklagten Land ersetzt verlangt. Sie macht geltend, man hätte sie über die veränderte

steuerliche Bewertung der Abfindung bei Vertragsunterzeichnung aufklären müssen.

Außerdem sei das beklagte Land verpflichtet gewesen, ihren bereits im September 2005

gestellten Antrag noch vor Jahresende durch Abschluss des Vertrages nachzukommen.

– Die Klage war in beiden Instanzen erfolglos.

Textauszug: „Weiter ist nicht ersichtlich, dass das beklagte Land dadurch eine

Nebenpflicht verletzt hätte, dass es den Aufhebungsvertrag mit der Klägerin nicht vor

dem 31.12.2005 abgeschlossen hat. Zum Zeitpunkt der Änderung des

Einkommenssteuergesetzes am 22.12.2005 waren bereits Weihnachtsferien. Des

Weiteren ist nicht erkennbar, dass das beklagte Land aufgrund konkreter Kenntnis der

Gesetzesänderung im Rahmen einer etwaigen Fürsorgepflicht verpflichtet war, dafür

Sorge zu tragen, dass der Aufhebungsvertrag vor dem 31.12.2005 abgeschlossen wurde.

Page 23: Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009-2010 Stand 2010-05-10

Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 23

Allein der Umstand, dass wahrscheinlich nur im Finanzministerium Mecklenburg-

Vorpommern Kenntnis von der Gesetzesänderung bestand, genügt nicht, den klägerseits

geltend gemachten Schadensersatzanspruch zu begründen.“

Anmerkung: Die Gerichte haben auch das Bestehen einer Aufklärungspflicht über die

Änderung der Gesetzeslage bei Vertragsunterzeichnung verneint. Die Klage dürfte aber

insoweit sowieso unschlüssig gewesen sein, da gar nicht vorgetragen war, dass die

Klägerin den Abschluss des Aufhebungsvertrages im Januar 2006 abgelehnt hätte, wenn

sie gewusst hätte, dass sich die steuerlichen Rahmenbedingungen verschlechtert haben.

6. Anfechtung Aufhebungsvertrag durch Arbeitnehmer

LAG MV 30.01.2009 – 1 Sa 219/08 – Anfechtung Aufhebungsvertrag wegen eines

unterlassenen Hinweises des Arbeitgebers

Sachverhalt: Die bereits langfristig beschäftigte Arbeitnehmerin sortiert für die Beklagte

Müll. Sie zuletzt war an einen Konkurrenten verliehen, um dort Müll zu sortieren. Der

Konkurrent erhoffte sich den Zuschlag für einen Sortierauftrag im Gebiet der Beklagten

und hat daher die Klägerin beim Beklagten abgeworben. Das Arbeitsverhältnis der

Parteien endete durch einen Aufhebungsvertrag. Die Klägerin behauptet, die Beklagte

habe bereits bei Abschluss des Aufhebungsvertrages gewusst, dass der Konkurrent und

neue Arbeitgeber der Klägerin den Zuschlag für den Auftrag nicht erhalten habe und

daher die Klägerin eigentlich gar nicht benötige. Nachdem der Klägerin bei dem neuen

Arbeitgeber tatsächlich noch während der Probezeit gekündigt wurde, hat sie den

Aufhebungsvertag angefochten. Die Klage ist in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben.

Textauszug: „Vorliegend wirft die Klägerin der Beklagten vor, dass der Geschäftsführer

der Beklagten der Klägerin bei Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht mitgeteilt habe,

dass der neue Arbeitgeber der Klägerin kurzfristig wegen Auftragsmangels wieder

kündigen werde.

Das … Verschweigen dieser Tatsache … stellt jedoch nur dann eine Täuschung dar,

wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsachen eine Aufklärungspflicht besteht.

Entscheidend ist, ob der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der

Verkehrsanschauung rechtliche Aufklärung erwarten durfte. Dabei ist jedoch zu

berücksichtigen, dass jeder Vertragspartner grundsätzlich selbst für die Wahrung seiner

Interessen Sorge zu tragen hat (ErfK/ Müller-Glöge, 9. Auflage, § 620 BGB Rn. 12 m. w.

N.). Eine Verpflichtung, alle denkbaren Umstände zu offenbaren, die für die

Entschließung des anderen Vertragsteils von Bedeutung sein könnten, besteht nicht.

Insbesondere gehört nicht zu den Pflichten eines Arbeitgebers, einen zum

Arbeitsplatzwechsel entschlossenen Arbeitnehmer über die Risiken des

Arbeitsplatzwechsels (Probezeit-Kündigung) und die wirtschaftliche Situation des neuen

Arbeitgebers zu informieren.“

7. Schadensersatz für unwirksame Kündigung?

LAG MV 08.12.2009 – 5 Sa 156/09 – Im Regelfall kein Schadensersatz bei unwirksamer

Kündigung

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 24

Hinweis: Weitere Teile des Rechtsstreits sind unter dem Punkt Prozessrecht vorgestellt.

Leitsatz: 1. … 2. Kündigt der Arbeitgeber ohne Vorliegen der gesetzlichen

Voraussetzungen einer wirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis, so folgt allein aus

diesem Umstand noch nicht, dass er zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der dem

Arbeitnehmer in Folge der nicht wirksamen Kündigung entstanden ist. Der Arbeitgeber

kann wegen einer ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ausgesprochenen

Kündigung allenfalls dann zum Schadensersatz herangezogen werden, wenn sich bereits

bei Ausspruch der Kündigung dem Arbeitgeber die Einsicht aufdrängen musste, dass die

Kündigung im Falle ihrer gerichtlichen Überprüfung keinen Bestand haben könne. Denn

nur in einem solchen Falle liegt im Ausspruch der unwirksamen Kündigung gleichzeitig

eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer.

VI. Nebenpflichtverletzungen des Arbeitnehmers

1. Unwirksame Vertragsabrede über die Pflicht zur Verschwiegenheit über das eigene Einkommen

LAG MV 21.10.2009 – 2 Sa 237/09 – Unwirksame Vertragsabrede über die Pflicht zur

Verschwiegenheit über das eigene Einkommen

Sachverhalt: Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Abmahnung wegen Verstoß

gegen eine Verschwiegenheitsverpflichtung. In § 4 Nr. 4 des Arbeitsvertrages heißt es,

dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die Höhe der Bezüge vertraulich zu behandeln, im

Interesse des Betriebsfriedens auch gegenüber anderen Firmenangehörigen. Der Kläger

hat sich – in Zusammenhang mit einer Entgeltkürzung, die er für nicht gerechtfertigt

gehalten hat – mit einem Kollegen über die Kürzung und damit auch über sein Gehalt

unterhalten. Daraufhin hat er die Abmahnung erhalten.

Leitsatz: Eine Klausel, wonach der Arbeitnehmer verpflichtet ist, über seine

Arbeitsvergütung auch gegenüber Arbeitskollegen Verschwiegenheit zu bewahren, ist

unwirksam, da sie den Arbeitnehmer daran hindert, Verstöße gegen den

Gleichbehandlungsgrundsatz im Rahmen der Lohngestaltung gegenüber dem

Arbeitgeber erfolgreich geltend zu machen. Darüber hinaus verstößt sie gegen Art. 9

Abs. 3 GG.

Textauszug: „ .… [18] Die Abmahnung vom 11.03.2009 ist aus der Personalakte zu

entfernen, da sie nicht gerechtfertigt ist. Eine Pflichtverletzung des Klägers liegt nicht vor.

Die Klausel in § 4 Nr. 4 des Anstellungsvertrages, wonach der Arbeitnehmer verpflichtet

ist, die Höhe der Bezüge vertraulich zu behandeln und auch gegenüber anderen

Firmenangehörigen Stillschweigen darüber zu bewahren, ist unwirksam. Sie stellt eine

unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers entgegen den Geboten von Treu

und Glauben im Sinne von § 307 BGB dar.

[19] Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt: Urteil vom

15.07.2009, 5 AZR 486/08) ist der Arbeitgeber auch bei der Lohngestaltung dem

Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet. Die einzige Möglichkeit für den Arbeitnehmer

festzustellen, ob er Ansprüche aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz hinsichtlich seiner

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 25

Lohnhöhe hat, ist das Gespräch mit Arbeitskollegen. Ein solches Gespräch ist nur

erfolgreich, wenn der Arbeitnehmer selbst auch bereit ist, über seine eigene

Lohngestaltung Auskunft zu geben. Könnte man ihm derartige Gespräche wirksam

verbieten, hätte der Arbeitnehmer kein erfolgversprechendes Mittel, Ansprüche wegen

Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen der Lohngestaltung

gerichtlich geltend zu machen.

[20] Darüber hinaus wird das Verbot auch gegen die Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs.

3 GG verstoßen, da sie auch Mitteilungen über die Lohnhöhe gegenüber einer

Gewerkschaft verbietet, deren Mitglied der betroffene Arbeitnehmer sein könnte.

Sinnvolle Arbeitskämpfe gegen ein Unternehmen wären so nicht möglich, da die

Gewerkschaft die Lohnstruktur nicht in Erfahrung bringen kann.“

Hinweis: Das LAG hat die Revision zugelassen. Es wurde keine Revision eingelegt. Vgl.

dazu auch die Parallelsache LAG MV 21.10.2009 – 2 Sa 183/09 – und Vorinstanz ArbG

Schwerin 12. Mai 2009 – 3 Ca 549/09 (auch Zurückweisung der Berufung bei

Revisionszulassung).

2. Obhutspflichten für anvertrautes Bargeld – Darlegungslast bei Verlust des Geldes

LAG MV 17.11.2009 – 5 Sa 155/09 – Schadensersatz – Verdacht der Unterschlagung

von anvertrautem Bargeld

Leitsatz: Für die schlüssige Darlegung eines Schadensersatzanspruchs des

Arbeitgebers gegen seine Arbeitnehmerin reicht es im Regelfall aus, wenn er darlegt,

dass der Arbeitnehmerin Bargeld anvertraut wurde und das Bargeld dann, bevor es

bestimmungsgemäß auf das Bankkonto eingezahlt wurde, im Machtbereich der

Arbeitnehmerin abhanden gekommen ist. Ist allerdings unstreitig, dass es notwendig und

üblich gewesen war, das Bargeld im Betrieb zwischenzulagern, bis sich ein Gang zur

Bank lohnt, ist die Arbeitnehmerin nur dann in der Darlegungslast zum Verbleib des

Geldes, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass der Arbeitnehmerin ein Ort zur

sicheren Verwahrung des Geldes zur Verfügung stand, zu dem nur sie Zugriff hatte.

Page 26: Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009-2010 Stand 2010-05-10

Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 26

D. Beendigung von Arbeitsverhältnissen

I. Befristungsrecht

1. Befristetes Arbeitsverhältnis – Sachgrund der Vertretung

LAG MV 05.08.2009 - 2 Sa 100/09 - Befristetes Arbeitsverhältnis – Sachgrund der

Vertretung

Leitsatz: Für den Sachgrund der Vertretung reicht es aus, wenn dem befristet

beschäftigten Arbeitnehmer Tätigkeiten übertragen werden, die dem vorübergehend

abwesenden Arbeitnehmer im Falle seiner Weiterarbeit im Wege des Direktionsrechts

übertragen werden könnten (entsprechend BAG vom 24.05.2006 - 7 AZR 640/05 - ).

2. Unwirksame Befristungsabrede

LAG MV 15.09.2009 – 5 Sa 104/09 – Unwirksame Befristung eines Arbeitsvertrages auf

ein Datum, zu dem die betriebliche Einheit auf einen Dritten übergehen sollte

Leitsatz: 1. Die Planung des Arbeitgebers, eine betriebliche Einheit mit zugeordneten

Arbeitnehmern, einer eigenen Führungskraft und zugeordneten Räumen und Geräten

(die Physiotherapie einer großen Klinik) zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt zum

weiteren Betreiben auf einen privaten Träger im Sinne von § 613a BGB zu übertragen,

stellt keinen sachlichen Grund im Sinne von § 14 TzBfG dar, ein Arbeitsverhältnis auf

diesen Termin zu befristen. Denn in einem solchen Falle fällt nicht die Arbeit weg,

sondern lediglich die unternehmerische Verantwortung des Arbeitgebers für die

betriebliche Einheit.

2. Die Befristung auf diesen Zeitpunkt entbehrt auch dann eines sachlichen Grundes,

wenn die Planungen der Klinikleitung noch so vage sind, dass noch gar nicht feststeht,

ob die betriebliche Einheit als Ganzes auf einen anderen Träger übertragen werden soll

oder nur die von der betrieblichen Einheit erfüllte Funktion zukünftig extern eingekauft

werden soll, denn in diesem Falle steht mangels abschließender Planung noch nicht

einmal fest, dass der Arbeitsplatz zu dem Zeitpunkt wegfällt.

Sachverhalt: Die Klinik plant umfangreiche Veränderungen, um Kosten zu sparen und

effektiver zu arbeiten. Im Rahmen der Zielplanung steht fest, dass die Physiotherapie, die

bisher als eigene Abteilung innerhalb der Klinik geführt wird, so nicht weiter geführt

werden soll. Auch steht das Datum fest, bis zu dem die Veränderung umgesetzt werden

soll. Eine verbindliche Umsetzungsplanung gibt es aber noch nicht, vielmehr werden das

Outsourcing mit der Konsequenz der Anwendung von § 613a BGB einerseits und der

bedarfsgerechte Einkauf der Leistung bei Dritten andererseits diskutiert. In dieser

Situation wird das Arbeitsverhältnis einer befristet eingestellten Physiotherapeutin über 2

Jahre hinaus bis zu dem Datum verlängert, zu dem sich etwas geändert haben muss. –

Die Klage war in beiden Instanzen erfolgreich.

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 27

3. Befristungsabrede mit Verstoß gegen Dienstvereinbarung zum Umgang mit Sucht

LAG MV 16.04.2009 - 2 Sa 326/08 - Befristungsabrede mit Verstoß gegen eine

Dienstvereinbarung (DV Sucht)

Orientierungssatz: Aus der Formulierung in einer Dienstvereinbarung (hier:

Dienstvereinbarung über den Umgang mit Suchtgefährdeten und Suchtkranken und über

Maßnahmen gegen den Missbrauch von Suchtmitteln), dass eine Kündigung nicht

wirksam wird, wenn der betroffene Arbeitnehmer die erfolgreiche Beendigung einer

Therapie nachweist und einen Endbericht mit einer positiven Prognose vorlegt, folgt,

dass das Arbeitsverhältnis bei Eintritt dieser Bedingung unbefristet fortzuführen ist. Wenn

die Dienstparteien eine befristete Fortführung gewollt hätten, hätten sie das zum

Ausdruck bringen können und müssen.

Sachverhalt: Es handelt sich um eine Befristungskontrollklage. Der Kläger hatte

Alkoholprobleme. Ihm wurde deshalb ordentlich gekündigt. Diese Kündigung hat er nicht

gerichtlich angegriffen. Noch während des Laufs der Kündigungsrist hat er erfolgreich an

einer Entwöhnungstherapie teilgenommen und konnte eine medizinisch bescheinigte

positive Prognose vorlegen. Er ist daher von der Beklagten auf Basis eines auf 1 Jahr

befristeten Vertrages in Anschluss an den Ablauf der Kündigungsfrist neu eingestellt

worden. Die Befristung erfolgte zum Zwecke der Erfolgskontrolle hinsichtlich des

Abhängigkeitsproblems. Als der Kläger nach wenigen Monaten wieder einen

alkoholbedingten Ausfall hatte, wurde ihm mitgeteilt, dass das Arbeitsverhältnis nicht

verlängert werde. – Im Bereich des Arbeitgebers gilt eine Dienstvereinbarung zum

Umgang mit Sucht in der es auszugsweise heißt: „(6) Kann der Betroffene während der

Kündigungsfrist die erfolgreiche Beendigung einer Therapie nachweisen und einen

Endbericht mit einer positiven Prognose vorlegen, wird die Kündigung nicht wirksam. - (7)

Kann der Betroffene bis spätestens 6 Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

die erfolgreiche Beendigung einer Therapie nachweisen und einen Endbericht mit

positiver Prognose vorlegen, wird er zum nächstmöglichen Termin vorerst befristet wieder

eingestellt. – Der Kläger hat Befristungskontrollklage nach § 17 TzBfG erhoben und in

beiden Instanzen gewonnen.

4. Tätigkeitsaufnahme und Schriftform der Befristungsabrede

LAG MV 21.04.2009 - 5 Sa 268/08 - Tätigkeitsaufnahme und Schriftlichkeit der

Befristungsabrede

Leitsatz: 1. Tritt der befristet eingestellte Arbeitnehmer die Arbeit an, und liegt ihm zu

diesem Zeitpunkt bereits der einseitig vom Arbeitgeber unterzeichnete schriftliche

Arbeitsvertrag vor, kommt durch den bloßen Arbeitsantritt nicht stillschweigend ein vom

Vertragstext abweichendes unbefristetes Arbeitsverhältnis zu Stande. Denn der

Arbeitgeber macht durch die Übergabe der Vertragsurkunde deutlich, dass er auf einem

schriftlichen Arbeitsvertrag besteht. Darauf lässt sich der Arbeitnehmer durch den Antritt

der Arbeit ein. Nach § 154 Absatz 2 BGB kommt daher vor Abschluss der Beurkundung

kein Vertrag zu Stande (wie BAG vom 16. April 2008 - 7 AZR 1048/06 - NJW 2008,

3453).

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 28

Hinweis: Weitere Aspekte der Entscheidung werden unten im Verfahrensrechtlichen Teil

behandelt.

Sachverhalt: Der Lehrer wird befristet eingestellt. Noch vor seinem ersten Arbeitstag

bekommt er den vom Arbeitgeber schon unterzeichneten schriftlichen Arbeitsvertrag mit

der Bitte übersandt, ihn unterschrieben zurückzusenden. Unterschrift und Rücksendung

erfolgen aber erst nach dem ersten Arbeitstag des Lehrers.

II. Fragen zur Kündigungsfrist

1. Verlängerte Arbeitnehmerkündigungsfrist

LAG MV 17.12.2009 – 1 Sa 329/08 – Verlängerte Arbeitnehmerkündigungsfrist muss

eindeutig vertraglich geregelt sein.

Sachverhalt: Der Beklagte hat sein Handelsvertreterverhältnis fristlos im November und

Dezember 2006 gekündigt, um seine Tätigkeit danach bei einem

Konkurrenzunternehmen fortsetzen zu können. Der Geschäftsherr hat auf der Einhaltung

der Kündigungsfrist bestanden. Er klagt hier auf Einhaltung der Kündigungsfrist und

Feststellung der Schadensersatzpflicht des Handelsvertreters dem Grunde nach. In

allgemeinen Anstellungsbedingungen ist für die Beschäftigten der Klägerin in der letzten

Stellung des beklagten Handelsvertreters („Agenturleiter“) eine Kündigungsfrist von

sechs Monaten zum 31.03. oder 30.09. vorgesehen. Das Arbeitsgericht hat die

außerordentliche Kündigung als unwirksam angesehen, die Kündigung in eine

ordentliche Kündigung umgedeutet und hat unter Anwendung der gesetzlichen

Kündigungsfrist aus § 89 HGB festgestellt, dass das Handelsvertreterverhältnis bis zum

31.03.2007 angedauert hat. Der Geschäftsherr geht in die Berufung und verlangt die

weitergehende Feststellung, dass der Handelsvertretervertrag erst zum 30.09.2007

gelöst werden konnte. Die Berufung hat das LAG zurückgewiesen.

Eigener Orientierungssatz: Die Auslegung der allgemeinen Anstellungsbedingungen

ergibt vorliegend, dass die verlängerte Kündigungsfrist nicht auf alle Agenturleiter

anzuwenden ist. Die Klägerin unterscheidet bei ihren Agenturleitern die, die diese

Tätigkeit nur auf Probe übertragen bekommen haben und die, die die Stellung auf Dauer

innehaben. Da kein Interesse erkennbar ist, die „Agenturleiter-Probe“ mit einer so langen

Frist zu binden, müsse man davon ausgehen, dass die Allgemeinen

Anstellungsbedingungen die Kündigungsfrist nur für die „Agenturleiter-Dauer“ verlängern

sollten. Selbst wenn man annehme, dass diese Auslegung falsch sei, verbleibe

zumindest eine unklare Regelung, die gerade wegen ihrer fehlenden Klarheit nicht zur

Anwendung kommen könne. Denn vom Gesetz abweichende Kündigungsfristen müssten

klar und eindeutig geregelt sein.

2. Europarechtswidrigkeit von § 622 Absatz 2 Satz 2 BGB

LAG MV 19.08.2009 - 2 Sa 132/09 – NZA-RR 2010, 18 – Europarechtswidrige

Kündigungsfrist

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 29

Leitsatz: § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ist wegen Europarechtswidrigkeit nicht anzuwenden

(siehe LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 26.8.2008 - 7 Sa 252/08 -). - Ein nach Ablauf

der zutreffenden Kündigungsfrist erhobener Anspruch des Arbeitnehmers auf

Annahmeverzug ist grundsätzlich auch nicht verwirkt.

Verfahrensgang: Derzeit BAG - 5 AZR 700/09

Anmerkung: Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hatte in einem ähnlich gelagerten Falle

im April 2008 eine Vorlage beim Bundesverfassungsgericht gemacht, weil es

angenommen hat, § 622 Absatz 2 Satz 2 BGB verstoße gegen Art. 3 GG (Beschluss vom

9. April 2008 – 1 Ca 1008/07). – Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorlage als

unzulässig verworfen, da der Anwendungsvorrang des europäischen Rechts eine

verfassungskonforme Lösung des Falles ermögliche (BVerfG 18.11.2008 – 1 BvL 4/08).

3. Tarifliche Kündigungsfrist

LAG MV 09.07.2009 – 1 Sa 94/09 – Statische oder dynamische Verweisung auf den

Tarifvertrag?

Textauszug: „Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass der Arbeitsvertrag

keine statische Verweisung auf den früheren Tarifvertrag enthält. Dieses entspricht der

ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, wonach regelmäßig davon

auszugehen ist, dass ein in Bezug genommener Tarifvertrag in der jeweiligen Fassung

gelten soll, wenn in der Bezugnahme keine bestimmte Fassung angegeben ist (vgl. nur

BAG, Urteil vom 17.01.2006 - 9 AZR 41/05). Eine bestimmte Fassung des Tarifvertrages

ist im Arbeitsvertrag nicht in Bezug genommen, eine statische Verweisung liegt daher

nicht vor.

… Da nach der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts, auf die Bezug genommen

wird, die Regelung im Arbeitsvertrag klar, verständlich und nachvollziehbar ist, scheidet

ein Rückgriff auf die Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB, nach der Zweifel bei der

Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen, aus.“

LAG MV 01.10.2009 – 1 Sa 95/09 – Streit um die richtige Kündigungsfrist

Sachverhalt: Der im Bau angestellte Arbeitnehmer kündigt das Arbeitsverhältnis mit der

tariflichen Kündigungsfrist von 12 Werktagen. Der Arbeitgeber sagt, nein, du musst 4

Wochen Kündigungsfrist einhalten. Darauf wird der Arbeitnehmer krank und verlangt

Lohnfortzahlung für die Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Basis der

Rechtsauffassung des Arbeitgebers. – Die Klage war in beiden Instanzen erfolglos.

Textauszug: „Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass die klägerseitige

Kündigung als empfangsbedürftige Willenserklärung ihre rechtliche Gestaltungswirkung

und damit hier das Ende des Arbeitsverhältnisses zum 18.06.2008 herbeigeführt hat.

Zur über diesen Beendigungszeitpunkt hinausgehenden Fortsetzung des

Arbeitsverhältnisses hätte es einer vertraglichen Abrede bedurft (vgl. ErfK/Müller-Glöge, §

620 BGB Rn. 73). Eine entsprechende vertragliche Abrede liegt nicht vor. Insbesondere

lässt sich diese nicht aus dem Schreiben des Beklagten vom 08.06.2008 begründen. Mit

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 30

diesem Schreiben hat der Beklagte lediglich seine Rechtsauffassung bezüglich der

einzuhaltenden Kündigungsfrist dargetan.

Selbst wenn man das Schreiben des Beklagten als Angebot zum Abschluss eines

Vertrages dahingehend, dass die Kündigungsfrist bis zum 05.07.2008 verlängert werden

sollte, ansehen wollte, wäre dieses Angebot nicht rechtzeitig im Sinne der §§ 145 ff. BGB

durch den Kläger angenommen worden. Nach § 147 Abs. 2 BGB kann der einem

Abwesenden gemachte Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in

welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen

erwarten darf. – Dieses ist vorliegend nicht erfüllt. Der Kläger hat auf das Schreiben des

Beklagten vom 08.06.2008 erstmals mit Schreiben vom 24.06.2008 und damit länger als

zwei Wochen nach Zugang des erstgenannten Schreibens reagiert. Dieses ist nicht

rechtzeitig im Sinne des § 147 Abs. 2 BGB erfolgt, so dass der hier unterstellte "Antrag"

des Beklagten gemäß § 146 BGB erloschen war, da dieser nicht rechtzeitig

angenommen wurde.“

III. Krankheitsbedingte Kündigung

1. Ausfallzeiten und Grobprognose

LAG MV 14.07.2009 - 5 Sa 66/08 - Kündigung wegen lang anhaltender Krankheit –

Grobprognose und Einwendungen des Arbeitnehmers

Leitsatz: 1. Erhebliche Ausfallzeiten des Arbeitnehmers (hier: rund 800 Kalendertage

Ausfallzeit in den letzten rund 900 Kalendertagen vor der Kündigung) können, wenn der

Arbeitnehmer sich zu den Ursachen der Ausfallzeiten nicht substantiiert einlässt, eine

krankheitsbedingte Kündigung wegen lang anhaltender Krankheit sozial rechtfertigen im

Sinne von § 1 Absatz 2 KSchG.

2. Die klägerische Einlassung, man hoffe, demnächst wieder arbeitsfähig zu werden,

reicht zur Widerlegung der auf den vergangenen Ausfallzeiten beruhenden

Grobprognose nicht aus. Der Arbeitnehmer muss mindestens laienhaft schildern, an

welchem Leiden er erkrankt ist, welche therapeutischen Maßnahmen ärztlicherseits

geplant sind und welche Erfolge die Ärzte sich von den Maßnahmen versprechen.

Ergänzend müssen die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden

werden, damit dem Arbeitgeber ein substantiierter Sachvortrag zum Kündigungsgrund

ermöglicht wird.

2. Altenpflegerin mit Rückenproblemen

LAG MV 13.05.2009 - 2 Sa 15/09 – RDG 2009, 264 = PflR 2010, 8 (mit zustimmender

Anm. Roßbruch) Krankheitsbedingte Kündigung einer Altenpflegerin mit

Rückenproblemen

Leitsatz: Eine personenbedingte Kündigung gegenüber einer Altenpflegerin ist

grundsätzlich gerechtfertigt, wenn diese aufgrund eines medizinischen Gutachtens zu

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 31

schweren körperlichen Arbeiten krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist.

Sachverhalt: Die Klägerin ist langjährig in der Altenpflege beschäftigt und hat mit

körperlichen Verschleißerscheinungen zu kämpfen. Im medizinischen Gutachten heißt

es: „Die Belastbarkeit von Frau K. ist durch verschiedene Erkrankungen am Stütz- und

Bewegungssystem deutlich limitiert. An der Halswirbelsäule wurde ein OP wegen

Bandscheibenvorfalls mit erforderlicher Spondylodese HWK5 - HWK7 erforderlich. Im

November 2005 erfolgte die Implantation einer Gelenksendoprothese, linkes Hüftgelenk.

Daneben bestehen Beschwerden an der Lendenwirbelsäule bei beginnenden

degenerativen Veränderungen.“ Deshalb ist der Klägerin ärztlich attestiert worden, nur

noch für leichte körperliche Arbeiten einsetzbar zu sein („5-Kilo-Schein“). – Das

Arbeitsgericht hatte der Kündigungsschutzklage statt gegeben, da ausweislich der

umfänglichen Arbeitsplatzbeschreibung zum Dienstposten der Klägerin nur einige

Arbeitsvorgänge schwere körperliche Arbeit erfordern würden; es sei daher dem

Arbeitgeber zumutbar gewesen, durch Entzug und Neuverteilung der Vorgänge mit

schwerer körperlicher Arbeit den Dienstposten der Klägerin zu einem leidensgereichten

Arbeitsplatz umzubauen.

Textauszug: „[41] Mit der Berufungsbegründung geht das Gericht davon aus, dass die

Haupttätigkeit einer Altenpflegerin untrennbar mit der Erbringung schwerer körperlicher

Arbeit (z. B. Heben und Wenden der Bewohner) verbunden ist, und dass diese schwere

körperliche Arbeit vielfach auch nicht planbar ist, sondern sich überraschend während

einer leichteren Tätigkeit ergeben kann. Eine Altenpflegerin kann ihren Beruf daher nur

ausüben, wenn sie jederzeit in der Lage ist, auch körperlich schwere Tätigkeiten

vorzunehmen.

[42] Es ist der Beklagten entgegen der Auffassung der ersten Instanz nicht zumutbar, der

Klägerin lediglich Arbeitsaufgaben zuzuweisen, die keine schweren körperlichen Arbeiten

erfordern. Dies wäre mit der Schaffung eines völlig neuen Tätigkeitsbildes verbunden.

Hierzu kann die Beklagte aufgrund ihrer unternehmerischen Freiheit nicht gezwungen

werden. Die Beklagte hat sich vielmehr entschieden, eine bestimmte Reihe von

Tätigkeiten von Altenpflegern durchführen zu lassen und die Klägerin ist zur Erbringung

eines wesentlichen Teils dieser Leistungen nicht mehr in der Lage. Mit anderen Worten

ist es der Beklagten organisatorisch nicht zuzumuten, dass die Klägerin jedes Mal, wenn

sie in der Altenpflege an eine Situation gerät, wo schwere körperliche Arbeit erforderlich

ist, einen Kollegen ruft bzw. wenn sie die Arbeit am Patienten mit einem Kollegen

zusammen macht, dass dieser Kollege die schwere körperliche Arbeit mit

entsprechenden gesundheitlichen Risiken für sich selbst allein verbringen muss. Wenn

die Arbeiten gemeinschaftlich durchgeführt werden, dann ist dies gerade darauf

zurückzuführen, dass die körperliche Belastung so schwer ist, dass sie zwischen zwei

Kollegen aufgeteilt werden muss.“

IV. Kündigungen wegen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers

1. Abmahnung

LAG MV 21.10.2009 - 2 Sa 165/09 - Abmahnung wegen verspätet vorgelegtem

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 32

ärztlichen Attest (§ 5 EntgeltFZG)

Leitsätze (Juris): 1. Ist der Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet, eine

Arbeitsunfähigkeit am ersten Krankheitstag anzuzeigen und spätestens am dritten

Krankheitstag ein ärztliches Attest vorzulegen, kann der Arbeitgeber die Nichtbeachtung

dieser Pflichten gegebenenfalls mit einer Abmahnung sanktionieren.

2. Die hierfür erforderliche schuldhafte Pflichtverletzung liegt jedoch nicht vor, wenn der

Arbeitnehmer, der bei einem Arztbesuch an einem Freitagnachmittag für die folgende

Woche krankgeschrieben worden ist, am Sonnabend die

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in einen Briefkasten wirft und dem Arbeitgeber am

Montagmorgen fernmündlich die Arbeitsunfähigkeit mitteilt.

LAG MV 23.06.2009 - 5 Sa 341/08 - Abmahnung eines Baumarktleiters

Leitsatz: 1. Soll ein Marktleiter in einem Baumarkt abgemahnt werden, weil in dem Markt

Mängel in der Präsentation der Waren festgestellt wurden, muss der Arbeitgeber

nachweisen können, dass der Marktleiter die Mängel zu vertreten hat. Dazu muss er sich

mit dem Rechtfertigungsvorbringen des Arbeitnehmers im Einzelnen auseinandersetzen.

2. Stellt der Marktleiter eine Aushilfskraft ohne vorheriges Einverständnis der

Unternehmenszentrale und damit weisungswidrig befristet ein, so rechtfertigt dies den

Ausspruch einer Abmahnung, denn eine solche Einstellung kann wegen des

Vorbeschäftigungsverbots aus § 14 Absatz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz zu einem

erheblichen Schaden führen. Dies gilt auch dann, wenn der Marktleiter rechtsirrtümlich

angenommen hatte, ein verbindliches Arbeitsverhältnis entstehe erst mit der

Aushändigung der Vertragsurkunde.

2. Verdachtskündigung – Kündigungserklärungsfrist

LAG MV 16.09.2009 - 3 Sa 368/08 - Verdachtskündigung – Kündigungserklärungsfrist

Textauszug: „[26] 1. Gemäß § 626 Abs. 2 BGB kann die Kündigung nur innerhalb von

zwei Wochen erfolgen, wobei die Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der

Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis

erlangt. Dies setzt eine möglichst vollständige und zuverlässige Kenntniserlangung

voraus (BAG vom 02.03.2006, 2 AZR 46/05; juris). Zu den maßgeblichen Tatsachen

zählen im Rahmen einer fristlosen Kündigung die sowohl für als auch gegen den

betroffenen Arbeitnehmer sprechenden Umstände. Hat der Kündigungsberechtigte

Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen

könnte, kann er im Einzelfall Ermittlungen anstellen und gegebenenfalls den Betroffenen

anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt (BAG vom

01.02.2007, 2 AZR 333/06; juris). In diesem Zusammenhang sollen die zeitlichen

Grenzen des § 626 Abs. 2 BGB den Kündigenden weder zu hektischer Eile bei der

Kündigung antreiben noch ihn veranlassen, ohne eine genügende Prüfung des

Sachverhalts oder vorhandener Beweismittel voreilig zu kündigen (BAG vom 01.02.2007,

a. a. O.; m. w. N.). Im Falle eines möglicherweise strafbaren Verhaltens eines

Arbeitnehmers kann sich der Kündigungsberechtigte am Fortgang des Strafverfahrens

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 33

orientieren. Er kann in diesem Zusammenhang jedoch nicht zu einem beliebigen und

willkürlich gewählten Zeitpunkt außerordentlich kündigen. Vielmehr bedarf es für den

gewählten Zeitpunkt eines sachlichen Grundes (BAG vom 05.06.2008, 2 AZR 234/07;

juris).

… Vielmehr kann sich die Beklagte auf einen sachlichen Grund berufen. [33] Allein schon

das Teilgeständnis des Mitangeklagten ist als Erkenntnisgewinn im vorgenannten Sinne

zu werten. Denn - unstreitig - bis zum 08.07.2008 hatten sowohl die Klägerin als auch der

Mitangeklagte eine Tatausführung abgestritten. Auf Grund des Teilgeständnisses ergab

sich im Kündigungszeitpunkt für die Beklagte eine geänderte Sachlage. Dies gilt erst

recht vor dem Hintergrund, dass das Teilgeständnis des Mitangeklagten belastende

Elemente zu Lasten der Klägerin enthält. So hat der Mitangeklagte z. B. ausgesagt, dass

es allen Beteiligten klar gewesen sei, dass der Kaufpreis nicht dem tatsächlichen Wert

des Grundstückes und des Hauses entsprochen habe und dass es dem Mitangeklagten

auch darum gegangen sei, dass generelle Wohlwollen der Klägerin zu sichern.“

Sachverhalt: Der Ehemann der Klägerin hatte von einem Bauunternehmer ein

Baugrundstück weit unter Wert erworben. Die Klägerin war im Außendienst tätig und mit

Kontrollaufgaben in Zusammenhang mit der Winterbauumlage im Bau betraut. Die

Klägerin und der Bauunternehmer werden angeklagt. Die Arbeitgeberin setzt die Klägerin

zunächst nur in den Innendienst um, wartet aber ansonsten ab, was bei der Anlage

rauskommt. In der mündlichen Verhandlung in der Strafsache ist der Bauunternehmer

geständig und belastet dabei die Klägerin schwer. Daraufhin wird die Klägerin angehört

und wegen Verdacht einer schweren Straftat gekündigt. – Die Kündigungsschutzklage ist

in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben.

Verfahrensgang: Nachgehend BAG – 2 AZN 951/09 – Das Beschwerdeverfahren

endete mit Rücknahme der Beschwerde.

LAG MV 26.08.09 - 2 Sa 31/09 - Verdachtskündigung sowie Unterrichtung des

Personalrats

Textauszug: „[38] 2. Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat auch zutreffend ausgeführt,

dass im vorliegenden Fall ein Verdacht, der eine Verdachtskündigung rechtfertigen

könnte, gegen die Klägerin nicht vorliegt. Eine Verdachtskündigung kommt nach

ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt Urteil vom 27.11.2008 - 2

AZR 98/07 m. w. N.) nur in Betracht, wenn dringende, auf objektiven Tatsachen

beruhende schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen und diese geeignet sind, dass

für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem

verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören und der Arbeitgeber alle

zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen hat.

[39] Zuerst einmal hat die Beklagte im vorliegenden Fall nicht alle zumutbaren

Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen. Sie hat nämlich davon

abgesehen, Herrn B. zu hören. Schließlich hat sich die Beklagte noch nicht einmal

bemüht, aufzuklären, inwieweit die Informationen der Klägerin gegenüber Herrn S., wenn

sie denn erfolgt sind, von dem Willen oder Bewusstsein getragen waren, dass dieser die

Presse informieren wird. Hierbei handelt es sich um eine reine Spekulation. Von einem

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 34

dringenden Verdacht dahingehend, dass die Klägerin Herrn S. mit entsprechender

Zielsetzung informiert haben soll, kann nicht ausgegangen werden.“

3. Vermögensstraftaten zu Lasten des Arbeitgebers oder zu Lasten von Kollegen

LAG MV 02.06.2009 – 5 Sa 237/08 – LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 20a – Diebstahl von

Bargeld mit Gesamtschaden unter 15 Euro

Leitsatz: Der Diebstahl von Bargeld durch den Arbeitnehmer in drei Fällen rechtfertigt an

sich den Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Dass es sich um kleine

Bargeldbeträge gehandelt hat (3 EUR, 4 EUR und 6 EUR) rechtfertigt eine andere

Bewertung nicht. Selbst wenn man diese Beträge als geringwertig ansehen würde, ist die

Kündigung hier gerechtfertigt, da der Arbeitnehmer den Diebstahl nur ausführen konnte,

weil er sich mit dem ihm anvertrauten Generalschlüssel Zugang zu dem Raum verschafft

hat, in dem das Bargeld aufbewahrt war und in dem er keine dienstlichen Verrichtungen

zu erledigen hatte. Für die Bewertung spielt es auch keine Rolle, dass nicht die

Arbeitgeberin geschädigt wurde, sondern die Pächterin der Kantine bzw. der

Tierschutzverein zu dessen Gunsten in der Kantine das Spendenkörbchen aufgestellt

war, aus dem das Bargeld entwendet wurde.

LAG MV 18.03.2009 – 3 Sa 280/08 – Kündigung wegen Arbeitszeitmanipulation

Leitsatz: 1. Hat der Kündigungsberechtigte Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, der zur

außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann er im Einzelfall Ermittlungen

anstellen und gegebenenfalls den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626

Absatz 2 BGB zu laufen beginnt (vergleiche BAG vom 01.02.2007, 2 AZR 333/06). Die

zeitlichen Grenzen des § 626 Absatz 2 BGB sollen den Kündigenden weder zu

hektischer Eile bei der Kündigung antreiben noch ihn veranlassen, ohne eine genügende

Prüfung des Sachverhalts oder vorhandener Beweismittel voreilig zu kündigen. Vor

diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Anhörung des betroffenen

Arbeitnehmers grundsätzlich innerhalb von einer Woche zu erfolgen hat, wobei eine

geringfügige Überschreitung auf der Grundlage besonderer Umstände unschädlich ist.

2. Bewusst unrichtige Angaben in Zeiterfassungskarten durch einen Arbeitnehmer

können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

3. Der Ausspruch einer vorhergehenden Abmahnung ist entbehrlich, wenn das Verhalten

des Arbeitnehmers - hier: insbesondere auch bezüglich des erheblichen Umfanges (372

Stunden 45 Minuten) und der anhaltenden Zeitdauer der unrichtigen Angaben in den

Zeiterfassungskarten zu Lasten des Arbeitgebers (01.08.2006 – 21.12.2007) - als sehr

schwerwiegende Pflichtverletzung vor allem auch vor dem Hintergrund des aus Sicht

eines verständigen Arbeitgebers gegebenen strafrechtlich relevanten Sachverhaltes

(hier: Arbeitszeitbetrug) zu qualifizieren ist.

4. Kündigung wegen Beleidigungen

LAG MV 01.10.2009 – 1 Sa 96/09 – Außerordentliche Kündigung wegen Beleidigung und

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 35

Arbeitsverweigerung

Eigene Leitsätze: 1. Eine Beleidigung des Arbeitgebers oder von Arbeitskollegen kann

eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn sie grob ist (wie BAG 21.01.1999, 2

AZR 665/98; 10.10.2002, 2 AZR 418/01 und 06.11.2003, 2 AZR 177/02). – Die an eine

Kollegin gerichtete Frage „ob sie genauso doof tue wie die anderen“ stellt keine grobe

Beleidigung dar.

2. Eine zur Kündigung berechtigende Arbeitsverweigerung liegt nicht vor, wenn der

Arbeitnehmer nach Übergabe der ordentlichen Kündigung den Arbeitsplatz räumt und die

Schlüssel dem Arbeitgebers zurückgibt, denn er hätte zusätzlich vor Ausspruch der

Kündigung zuvor mit einer Abmahnung zur weiteren Erfüllung seiner Arbeitsleistung

während des Laufs der Kündigungsfrist angehalten werden müssen.

LAG MV 23.03.2010 – 5 Sa 254/09 – Beleidigung des Poliers

Leitsatz: Die Äußerung eines Bauarbeiters zu seinem vorgesetzten Polier: „Komm her du

Arschloch, ich hau dir paar in die Fresse“ stellt eine Beleidigung dar, die an sich geeignet

ist, eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB zu rechtfertigen. Bei der

notwendigen Einzelfallbetrachtung kommt es sowohl auf den Vorlauf des Dialogs, der zu

der Äußerung führte, als auch auf das weitere Geschehen an. Ist die Beleidigung eine

Reaktion auf eine in der Sache nur schwer nachvollziehbare und im Ton missglückte

Anweisung des Vorgesetzten, kann es an der für die Kündigung notwendigen „groben“

Beleidigung (vgl. BAG 10.10.2002 – 2 AZR 418/01 –DB 2003, 1797) fehlen.

5. Beharrliche Arbeitsverweigerung

LAG MV 18.06.2009 – 1 Sa 287/08 – Vorschnelle außerordentliche Kündigung wegen

angekündigter Arbeitsverweigerung

Sachverhalt: Es geht um eine außerordentliche Kündigung, die der Arbeitgeber während

des Laufs der Kündigungsfrist wegen einer ordentlichen Kündigung in einem

Arbeitsverhältnis, bei dem das KSchG nicht zur Anwendung kommt, ausgesprochen hat.

Anlass der erneuten Kündigung war eine Auseinandersetzung im Büro, als die Klägerin

ihren Arbeitsplatz endgültig räumte. Der Arbeitgeber fragte sie, ob er das als eine

Arbeitsverweigerung auffassen solle. Die Klägerin antwortete: "Halten Sie mich für blöd.

Ich werde nicht sagen, ich komme nicht wieder. Ich muss noch eine Woche arbeiten und

wenn meine Ärztin sagt 'Stellen Sie sich nicht so an, das schaffen Sie schon', dann

komme ich die eine Woche arbeiten." – Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage

war in beiden Instanzen erfolgreich.

Eigener Orientierungssatz: 1. Kein Fall der Kündigung wegen angedrohten

Arbeitsunfähigkeit, da die Arbeitnehmerin die versteckte Ankündigung weiterer

Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht als Mittel eingesetzt hat, den Arbeitgeber zu einem

bestimmten Handeln, zum Beispiel zur Gewährung von Urlaub, zu zwingen.

2. Kein Fall einer beharrlichen Arbeitsverweigerung, weil zum Zeitpunkt des Ausspruchs

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 36

der Kündigung noch nicht feststand, wie sich die Arbeitnehmerin tatsächlich verhalten

würde, wenn sie keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mehr erhält. Damit fehlt es auch

an der erforderlichen mehrfachen Abmahnung bzw. der Ankündigung der Kündigung für

den Fall der Fortsetzung der Arbeitsverweigerung.

V. Betriebsbedingte Kündigungen

LAG MV 24.11.2009 – 5 Sa 174/09 – Änderungskündigung mit einem Angebot zukünftig

an einem anderen Ort zu arbeiten

Hinweis: Weitere Aspekte der Entscheidung werden beim Punkt Änderungskündigung

vorgestellt.

Leitsatz: 1. Erschöpft sich bei der betriebsbedingten Kündigung die unternehmerische

Entscheidung des Arbeitgebers zur Veränderung der Betriebsorganisation praktisch in

dem Entschluss, den Arbeitnehmer zu kündigen, kann das Gericht die

Kündigungsschutzklage nur abweisen, wenn aufgrund geeigneter Indizien positiv

festgestellt werden kann, dass diese Entscheidung auf Dauer angelegt ist (in Anschluss

an BAG 17. Juni 1999 – 2 AZR 522/98 – BAGE 92, 61 = AP Nr. 102 zu § 1 KSchG 1969

Betriebsbedingte Kündigung = DB 1999, 1910 und 17. Juni 1999 – 2 AZR 141/99 –

BAGE 92, 71 = AP Nr. 101 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1999,

1909).

LAG MV 15.10.2009 – 1 Sa 342/08 – Betriebsbedingte Kündigung im vermeintlichen

Gemeinschaftsbetrieb

Hinweis: Das Verfahren gehört zu einer großen Gruppe gleichgelagerter Verfahren.

Weitere Aspekte der Entscheidung sind unter § 18 KSchG vorgestellt.

Textauszug: „Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und

Arbeitnehmer bestehende Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre

Veranlassung und ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die

bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die

Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszweckes dauernd oder für eine ihrer Dauer

nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen

(BAG vom 22.01.1998, 8 AZR 358/95).

Mit der Stilllegung des gesamten Betriebes entfallen alle Beschäftigungsmöglichkeiten.

Dabei muss der Arbeitgeber endgültig entschlossen sein, den Betrieb stillzulegen.

Danach ist dann von einer Stilllegung auszugehen, wenn der Arbeitgeber seine

Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige

Mietverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er

verfügen kann, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt. Die betreffenden

betrieblichen Umstände müssen greifbare Formen angenommen haben. Diese liegen

vor, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen,

betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 37

Kündigungstermins sei mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung

erforderlichen machenden betrieblichen Grundes gegeben. …

Eine vom Arbeitgeber mit einer Stilllegungsabsicht begründete Kündigung ist nur dann

sozial gerechtfertigt, wenn sich die geplante Maßnahme objektiv als Betriebsstilllegung

und nicht als Betriebsveräußerung darstellt, weil etwa die für die Fortführung des Betriebs

wesentlichen Gegenstände einem Dritten überlassen werden sollten, der Veräußerer

diesen Vorgang aber rechtlich unzutreffend als Betriebsstilllegung wertet (BAG, Urteil

vom 27.09.2007, 8 AZR 941/06).

… Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt ein gemeinsamer

Betrieb mehrerer Unternehmen vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen

materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen

Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der

menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Die

beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen

Führung rechtlich verbunden haben.

Die einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in

personellen und sozialen Angelegenheiten erstrecken. Eine lediglich unternehmerische

Zusammenarbeit genügt nicht. Vielmehr müssen die Funktionen des Arbeitgebers

institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden (BAG

vom 09.02.2000, 7 ABR 21/98).

Für die Frage, ob der Kern der Arbeitgeberfunktion in sozialen und personellen

Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung ausgeübt wird, ist vor allem

entscheidend, ob ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert wird, der für

den normalen Betriebsablauf charakteristisch ist. Das Vorliegen eines

Gemeinschaftsbetriebs setzt daher eine gemeinsame Betriebsstätte voraus, in der die

Betriebsmittel und die Arbeitnehmer zur Erreichung eines einheitlichen

arbeitstechnischen Zwecks von den beteiligten Arbeitgebern zusammengefasst sind und

von einer einheitlichen Leitung eingesetzt werden (BAG vom 13.08.2008, 7 ABR 21/07).

Dieser Rechtsprechung schließt sich die Kammer an. Erforderlich ist daher für die

Annahme eines gemeinsamen Betriebes, dass die materiellen und immateriellen

Betriebsmittel zusammengefasst werden und die in der Organisationseinheit tätigen

Arbeitnehmer aufgrund einer zwischen den Unternehmen getroffenen

Führungsvereinbarung durch eine mit den für die betriebsverfassungsrechtliche Ebene

maßgeblichen arbeitgeberseitigen Rechten ausgestatteten institutionelle Leitung

"gesteuert" werden (LAG Sachsen-Anhalt, 19.12.2006, 11 TaBV 32/05).“

LAG MV 16.07.2009 – 1 Sa 30/09 – Lehrerpersonalkonzept – Nichtteilnehmerin –

Beendigungskündigung

Eigener Leitsatz: Eine betriebsbedingte Beendigungskündigung gegenüber Lehrkräften,

die nicht am Lehrerpersonalkonzept teilnehmen, lässt sich jedenfalls dann nicht sozial

rechtfertigen im Sinne von § 1 Absatz 2 KSchG, wenn die Anzahl der den teilnehmenden

Lehrkräften zugeteilten Unterrichtswochenstunden um rund 4 volle Lehrerstellen hinter

dem errechneten Bedarf an benötigten Unterrichtsstunden zurückbleibt. Der Umstand,

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 38

dass die Aufteilung dieser Reststellen auf die an der flexiblen Teilzeit teilnehmenden

Lehrkräfte rechnerisch nicht mehr zu einer Erhöhung der Teilzeitquote geführt hätte, und

daher unterblieben ist, reicht zur Begründung, diese Stunden nicht teilweise der Klägerin

zuzuweisen, nicht aus.

LAG MV 29.04.2009 – 2 Sa 360/08 – Kündigung eines Mitarbeiters bei Vivento

Eigene Orientierungssätze: 1. Für eine Kündigung eines Mitarbeiters bei Vivento

müssen die gesetzlichen Voraussetzungen einer wirksamen Kündigung vorliegen. Das

Vorliegen der Voraussetzungen aus dem TV Ratio reicht für sich genommen nicht aus.

2. Will die Arbeitgeberin sich auf Regelungen im TV Ratio berufen, die nur für Mitarbeiter

bei Vivento Anwendung finden, muss er im Bestreitensfalle nachvollziehbar darlegen und

beweisen, wann und durch welchen Rechtsakt der Arbeitnehmer zum Mitarbeiter bei

Vivento geworden ist. Der Hinweis des Arbeitnehmers, er gehe seit Jahren, also vor wie

nach der behaupteten Versetzung zu Vivento, derselben Arbeitsaufgabe nach, reicht als

Bestreiten aus.

Verfahrensgang: Rückläufer zu BAG 18.09.2008 – 2 AZR 414/07; vorgehend auch LAG

MV 25.04.2007 – 2 Sa 341/06.

LAG MV 27.01.2010 – 2 Sa 225/09 – Betriebsbedingte Kündigung – anderer freier

Arbeitsplatz

Textauszug: „Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin im Februar 2008 in einem

Gespräch mit Herrn R. eine Verlegung ihres Arbeitsplatzes nach Berlin abgelehnt habe.

Zutreffend hat bereits das Arbeitsgericht Schwerin darauf hingewiesen, dass der

Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem

Arbeitnehmer grundsätzlich eine Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz auch zu

geänderten Arbeitsbedingungen anbieten muss. Eine Änderungskündigung darf nur in

Extremfällen unterbleiben, wenn der Arbeitgeber bei vernünftiger Betrachtung nicht mit

einer Annahme des neuen Vertragsangebotes durch den Arbeitnehmer rechnen konnte

und ein derartiges Angebot vielmehr beleidigenden Charakter gehabt hätte.

Grundsätzlich soll der Arbeitnehmer selbst entscheiden können, ob er eine

Weiterbeschäftigung unter erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen für zumutbar

hält oder nicht (BAG vom 21.09.2006, 2 AZR 607/05).

Allein der Umstand, dass die Klägerin erklärt habe, sie sei bereit nach Hamburg, nicht

aber nach Berlin zu gehen, rechtfertigt nicht die Annahme einer "Extremsituation". Es ist

nämlich durchaus möglich, dass die Klägerin bei Erhalt einer Änderungskündigung ihren

Entschluss noch einmal überdacht hätte und das Angebot, nach Berlin zu gehen -

jedenfalls unter dem Vorbehalt der Überprüfung gemäß § 2 KSchG - angenommen

hätte.“

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 39

VI. Sonstige Fragen des Kündigungsrechts

1. Verwirkung des Rechts auf Kündigungsschutz

LAG MV 21.10.2009 – 2 Sa 204/09

Textauszug: „[25] Die Geltendmachung des Kündigungsschutzes gem. § 18 Abs. 2

BEEG ist darüber hinaus auch verwirkt. Die Kündigung ist am 30.5.2008 ausgesprochen

worden. [26] Mit Schriftsatz vom 15.04.2009, also beinahe ein Jahr nach der Kündigung,

hat der Kläger sich erstmals auf eine mögliche Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 18

BEEG berufen. Dies ist zu spät. Angesichts des Umstandes, dass der Kläger studierte

und seine Frau im fraglichen Zeitraum nicht berufstätig war, konnte der Beklagte nicht

davon ausgehen, [die] … verringerte Arbeitszeit des Klägers hinge mit der Betreuung

seines Kindes zusammen. Eine mögliche Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 18 BEEG

war damit für den Beklagten nicht erkennbar. In derartigen Fallgestaltungen wird

allgemein angenommen, dass die elternzeitberechtigte Person sich in analoger

Anwendung der Regelungsfrist des § 9 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 MuSchG von 2

Wochen oder unverzüglich darauf berufen muss. Unterlässt der Arbeitnehmer die

Mitteilung, verliert er den Kündigungsschutz (vgl. ErfK § 18 BEEG Rn. 9 m.w.N.).“

Verfahrensgang: Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zurückgenommen worden (BAG –

6 AZN 12/10)

2. Prozessrechtsarbeitsverhältnis

LAG MV 21.10.2009 – 2 Sa 152/09 –

Textauszug: „.… [30] Das beklagte Land kann sich nicht darauf berufen, die

Aufforderung zur Tätigkeit sei lediglich erfolgt, um eine drohende Zwangsvollstreckung

abzuwenden. Ob eine vertragliche Beschäftigung gewollt war, oder ob der Arbeitgeber

den Arbeitnehmer zur Tätigkeit auffordert, um eine drohende Zwangsvollstreckung

abzuwenden, ist durch Auslegung zu ermitteln.

[31] Hierbei ist im vorliegenden Fall von wesentlicher Bedeutung, dass die Klägerin nach

Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung keine Weiterbeschäftigung verlangt hat. Der

Umstand, dass in der Klageschrift ein Hinweis erfolgt war, dass der Antrag auf

Weiterbeschäftigung gestellt werde, damit dieser dann später im Wege der

Zwangsvollstreckung geltend gemacht werden könne, ist unerheblich. Alle Klageanträge

werden gestellt, damit gegebenenfalls aus ihnen die Zwangsvollstreckung betrieben

werden kann. Es gibt auch keinen Erfahrungssatz, dass ein Arbeitnehmer, der eine

Verpflichtung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung erlangt hat, hiervon auch im

Wege der Zwangsvollstreckung Gebrauch macht. .…

[33] Gegen die Annahme einer Beschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung

spricht auch das von dem beklagten Land selbst angeführte Motiv der

Schadensminderung. Gerade die Reduzierung des Annahmeverzugsrisikos ist nämlich

häufiges Motiv für das Angebot eines befristeten Arbeitsvertrages bis zur rechtskräftigen

Entscheidung durch den Arbeitgeber. Mit der Abwendung der Zwangsvollstreckung hat

dies nichts zu tun.“

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 40

Verfahrensgang: Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter dem Aktenzeichen 7 AZN

1081/09

3. Schriftform der Kündigung (§ 623 BGB)

LAG MV 13.05.2009 – 2 Sa 378/08 – Aussagegehalt eines auf einer Kündigungsurkunde

gegebenen Empfangsbekenntnisses des Erklärungsempfängers

Vorinstanz: Arbeitsgericht Rostock 13.11.2008 – 2 Ca 435/08

Sachverhalt: Die Arbeitnehmerin kündigt am 27.12.2007 das Arbeitsverhältnis zur

Arbeitgeberin zum 31.12.2008 durch Übergabe der schriftlichen Kündigung und lässt sich

den Empfang der Kündigung auf einem weiteren Exemplar des Kündigungsschreibens

von der Arbeitgeberin schriftlich bestätigen. Im November 2008, also rund 11 Monate

nach diesem Ereignis, macht die Arbeitgeberin erstmals geltend, die Kündigung sei

unwirksam, da die Kündigungserklärung von der Arbeitnehmerin bei der Übergabe im

Dezember 2007 nicht unterzeichnet gewesen sei. Die Arbeitgeberin begehrt die

gerichtliche Feststellung, dass die Kündigung vom 27.12.2007 das Arbeitsverhältnis nicht

beendet habe. – Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die (Wider-)klage

insoweit abgewiesen.

Textauszug: „Die Beklagte [die Arbeitgeberin] hat am 27.12.2007 unstreitig auf einem

Kündigungsschreiben folgende Worte angebracht bzw. unterzeichnet: ‚Erhalt bestätigt

am 27.12.2007‘. – Mit dieser Formulierung hat sie nicht nur zum Ausdruck gebracht, dass

sie an diesem Tage ein Kündigungsschreiben erhalten hat, sondern dass dieses

Kündigungsschreiben auch handschriftlich unterzeichnet war. Mit einem

Empfangsbekenntnis bringt man nämlich nicht nur zum Ausdruck, dass man das darin

angegebene Schriftstück erhalten hat, sondern auch, dass dieses Schriftstück jedenfalls

den üblichen formalen Anforderungen entspricht. Dazu zählt im Rechtsverkehr auch die

handschriftliche Unterzeichnung, jedenfalls dann, wenn diese wie hier, von

Gesetzeswegen vorgesehen ist (§ 623 BGB). Anderenfalls könnte die Person, die das

Empfangsbekenntnis unterzeichnet hat, die Rechtswirkung ihres Empfangsbekenntnisses

durch die einfache Behauptung, das entsprechende Schreiben sei zum damaligen

Zeitpunkt aber nicht unterzeichnet worden, den Boden entziehen.

Dies ist mit dem Bedürfnis nach Sicherheit im Rechtsverkehr nicht vereinbar. Dies gilt

umso mehr, als der Nachweis der fehlenden Unterzeichnung nicht durch Vorlage des

tatsächlich erhaltenen Schriftstückes erbracht werden kann, da dieses einer

eigenhändigen Unterzeichnung nicht bedarf, wenn das Schriftstück, auf dem der

Empfang bestätigt worden ist, unterzeichnet worden ist (vgl. BAG vom 04.11.2004 - 2

AZR 17/04 -).“

4. § 18 KSchG

LAG MV 15.10.2009 – 1 Sa 342/08 – Betriebsbedingte Kündigung im vermeintlichen

Gemeinschaftsbetrieb

Hinweis: Das Verfahren gehört zu einer großen Gruppe gleichgelagerter Verfahren.

Andere Teile der Entscheidung sind hier zum Stichwort betriebsbedingte Kündigung

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 41

vorgestellt.

Textauszug: „Nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 KSchG darf eine Kündigung schon

unmittelbar nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ausgesprochen werden.

Die Fassung des Gesetzes verbietet den Ausspruch der Kündigung vor Ablauf der

Sperrfrist nicht, auch wenn unter "Entlassungen" im Sinne des § 18 Abs. 1 KSchG die

Kündigung verstanden wird. Aus dem Gesetzeswortlaut lässt sich nur entnehmen, dass

die Entlassung - auch bei ordnungsgemäßer Anzeige - grundsätzlich nicht ohne

Einhaltung einer Mindestfrist von einem Monat vollzogen wird. Geregelt wird insoweit der

Vollzug der Entlassung. Damit bezieht sich das "Wirksamwerden" im Sinne des § 18

KSchG auf den Eintritt der Rechtsfolgen der Kündigung. Diese treten mit dem Ablauf der

Kündigungsfrist ein.

Der Gesetzeswortlaut umschreibt nur einen "Mindestzeitraum", der zwischen der

Anzeigenerstattung und der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegen

muss. Dieses Ergebnis steht auch der Richtlinie 98/59/EG vom 20. Juli 1998

(Massenentlassungs-Richtlinie) nicht entgegen (BAG, 06.11.2008, 2 AZR 935/07 mit

eingehender Begründung; zuletzt: BAG, 28.05.2009, 8 AZR 273/08).“

5. Vollmachtszurückweisung (§ 174 BGB)

LAG MV 24.02.2009 – 5 Sa 256/08 – NZA-RR 2009, 528 – Zurückweisung einer

Vollmachtsurkunde (§ 174 BGB)

Leitsatz: Unverzüglich ist die Zurückweisung einer Kündigung nach § 174 BGB wegen

fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde nach der Definition in § 121 Absatz 1 BGB,

wenn sie "ohne schuldhaftes Zögern" erfolgt ist. Dabei handelt es sich um einen

unbestimmten Rechtsbegriff, der unter Berücksichtigung des Kontextes, in dem er jeweils

verwendet wird, ausgelegt werden muss (Singer in: Staudinger, § 121 BGB RN 8).

"Unverzüglich" bedeutet nicht "sofort". Vielmehr hat der Zurückweisende die Erklärung

lediglich so rechtzeitig abzugeben, wie ihm dies unter den gegebenen Umständen und

unter Berücksichtigung der Interessen des anderen Teils an alsbaldiger Aufklärung

möglich und zumutbar ist (Singer a. a. O. RN 9). Daraus folgt, dass es keine absoluten

Grenzen gemessen in Kalendertagen gibt. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob

der Zurückweisungsberechtigte die notwendigen Schritte bis zur Zurückweisung zügig

gegangen ist. Im vorliegenden Fall war die Zurückweisung aufgrund der besonderen

Umstände des Einzelfalles noch unverzüglich, obwohl zwischen dem Zugang der

Kündigung beim Arbeitnehmer und dem Zugang der Zurückweisung beim Arbeitgeber 10

Kalendertage liegen.

VII. Änderungskündigungen

1. Betriebsbedingte Änderungskündigung

LAG MV 24.06.2009 - 3 Sa 361/08 - Betriebsbedingte Änderungskündigung

(Nichtteilnehmerin am Lehrerpersonalkonzept)

Leitsatz: Die Rechtmäßigkeit einer Änderungskündigung nach § 2 KSchG setzt zum

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 42

einen dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 KSchG voraus und muss

zum anderen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen. Das heißt, die

angestrebten Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um das angestrebte

Ziel der Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung zu erreichen.

Sachverhalt: Änderungskündigung zur Verringerung der Teilzeitquote für eine Lehrkraft

an einer öffentlichen Schule, die nicht am Lehrerpersonalkonzept teilnimmt. Das

Schulamt hatte vorgetragen, es seien nicht alle geplanten Stellen und Stellenanteile auf

die Lehrkräfte verteilt worden. Es gebe kleinere Reste (hier: 4,033 Stellenanteile), deren

Verteilung sich nicht lohnen würde. – Die Klägerin hat gewonnen mit dem Argument, die

nicht verteilten Stellenanteile hätte man ihr zuteilen können.

Anmerkung: Die 3. Kammer geht damit in der rechtlichen Bewertung von

Änderungskündigungen gegenüber Nichtteilnehmern am Lehrerpersonalkonzept einen

etwas anderen Weg als die 2. und die 5. Kammer. - Die 5. Kammer hat zuletzt

angenommen, der Kündigungsgrund sei nicht der Wegfall der Arbeit, sondern der Wille

des beklagten Landes, die noch vorhandene Arbeit gerechter zu verteilen. Aus dieser

Sicht wären die hier zu Tage getretenen Stellenreste wohl nicht zwingend zu verteilen

gewesen, da es eine unternehmerische Entscheidung ist, vorhandene Stellen nicht zu

besetzen sofern die Gleichbehandlung gewahrt bleibt. – Die 2. Kammer hat gesagt, die

Änderungskündigung sei schon dann gerechtfertigt, wenn ihr Ziel sei, den

Nichtteilnehmer auf dieselbe Teilzeitquote zu kündigen wie den Teilnehmer. Demnach

wäre es auch für die 2. Kammer ohne Bedeutung gewesen, wenn es nicht vergebene

Stellenreste gibt.

Verfahrensgang: Das BAG hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen (9.

Dezember 2009 – 2 AZN 781/09)

LAG MV 07.05.2009 – 1 Sa 319/08 – Betriebsbedingte Änderungskündigung

Sachverhalt: Die Klägerin, ausgebildete Gartenbaufacharbeiterin, war bei der Beklagten

zunächst ausbildungerecht in der Produktion eingesetzt und ist dann später in ihrem

Einverständnis und mit Änderung des Arbeitsvertrages auf einen Arbeitsplatz als

Kassiererin im Gartencenter gewechselt. Nach dem Entstehen eines Personalüberhangs

in diesem Bereich, ist der Klägerin eine Änderungskündigung mit dem Ziel

ausgesprochen worden, sie zukünftig wieder in der Produktion einzusetzen. Mit dem

Änderungsangebot war die Einführung eines Jahresarbeitszeitkontos verbunden. Die

Klägerin hat in diesem Zusammenhang befürchtet, sie werde zukünftig über das nach

Arbeitszeitgesetz erlaubte Maß zur Arbeit herangezogen werden. – Die Klage ist in

beiden Instanzen erfolglos geblieben.

Textauszug: „Die Änderungskündigung ist nicht deshalb sozial ungerechtfertigt, weil die

danach auszuübende Tätigkeit in Verbindung mit der Einrichtung eines Arbeitszeitkontos

gegen die Arbeitszeitregelungen des Arbeitszeitgesetzes verstoßen würde.

Zwar hat die Klägerin nach Umsetzung der Änderungskündigung im zeitlich erheblichen

Umfang Arbeiten geleistet. Auch war sie an Sonntagen tätig. Bezüglich der

Sonntagsarbeit ist auch nach dem weiteren Vortrag der Beklagten mit dem Arbeitsgericht

davon auszugehen, dass die Beklagte zur Anordnung der Sonntagsarbeit befugt war.

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 43

Letztendlich kann dieses wie auch die Frage, ob die Klägerin im Jahr länger als

gesetzlich zulässig arbeiten musste, dahinstehen. Dieses führt nicht zur Unwirksamkeit

der Änderungskündigung. Vielmehr ist die Klägerin berechtigt und auch gehalten, für den

Fall, dass tatsächlich die gesetzliche Arbeitszeit unzulässiger Weise überschritten wird,

die Einhaltung der gesetzlich höchst zulässigen Arbeitszeit gegenüber der Beklagten

geltend zu machen. Es ist nicht erkennbar, dass die Änderungskündigung bereits mit

dem Ziel ausgesprochen wurde, die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit zu

überschreiten. Von einer Unwirksamkeit der Kündigung vor diesem Hintergrund kann

daher nicht ausgegangen werden.“

2. Änderungskündigung mit erzieherischen Zielen

LAG MV 17.06.2009 - 3 Sa 313/08 - NZA-RR 2010, 74 – Änderungskündigung mit

erzieherischen Zielen

Leitsatz: Eine Änderungskündigung durch die die Arbeitszeit und dementsprechend

anteilig auch das Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers gekürzt werden soll, um eine

Leistungssteigerung des eine Minderleistung erbringenden Arbeitnehmers

herbeizuführen, ist weder als verhaltens- noch als personenbedingte

Änderungskündigung sozial gerechtfertigt.

Sachverhalt: Eine langjährig beschäftigte Friseurin bringt trotz Anreiz durch Prämienlohn

und Umsatzbeteiligung nicht den Umsatz, den die Arbeitgeberin von ihr erwartet. Sie soll,

was streitig geblieben war, um etwa 1/3 weniger Umsatz erwirtschaften, als die übrigen

Kolleginnen. Nach vergeblichen Personalgesprächen, Fortbildungen und auch einer

Abmahnung wegen Verfehlung der geplanten Umsätze erhält die Klägerin eine

Änderungskündigung, mit der das Teilzeitarbeitsverhältnis von täglich 5 auf täglich 4

Stunden umgestellt werden soll. – Die Klage war in beiden Instanzen erfolgreich, da nicht

erkennbar ist, in welcher Weise die Änderungskündigung geeignet sein könnte, das aus

Sicht der Arbeitgeberin bestehende Problem zu lösen oder abzumildern.

3. Änderungskündigung mit Ortsveränderung

LAG MV 24.11.2009 – 5 Sa 174/09 – Änderungskündigung mit einem Angebot zukünftig

an einem anderen Ort zu arbeiten

Hinweis: Weitere Aspekte der Entscheidung sind unter dem Stichwort Betriebsbedingte

Kündigung vorgestellt.

Leitsatz: 1. … 2. Nimmt der Arbeitnehmer das mit der Änderungskündigung verbundene

Angebot, die Arbeit zukünftig in Döhlau bei Nürnberg zu verrichten, unter dem Vorbehalt

der sozialen Rechtfertigung der Änderungskündigung an, kann ihm verhaltensbedingt

oder sogar aus wichtigem Grunde gekündigt werden, wenn er trotz mehrfacher

Aufforderung und entsprechender Abmahnung die Arbeit am neuen Arbeitsort nach

Ablauf der Kündigungsfrist nicht antritt und dies dort zu betrieblichen Problemen führt. Es

gibt keine Pflicht des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer als milderes Mittel zunächst das

Ruhen des Arbeitsverhältnisses bis zur Klärung der sozialen Rechtfertigung der

vorausgegangenen betriebsbedingten Änderungskündigung anzubieten.

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 44

VIII. Arbeitsrecht in der Insolvenz

LAG MV 08.04.2009 – 3 Sa 5/09 – Freistellung und Urlaubsgewährung durch den

Insolvenzverwalter

Vorausgehend: Arbeitsgericht Schwerin 17.12.2008 – 2 Ca 388/08

Sachverhalt: Die Klägerin hat bei der in Insolvenz gefallenen Schuldnerin gearbeitet. Der

nunmehr beklagte Insolvenzverwalter hat Masseunzulänglichkeit angezeigt. Die Klägerin

hat sich geweigert, in die Beschäftigungsgesellschaft zu wechseln. In einer Zeit, als

Arbeitnehmer der Beschäftigungsgesellschaft durch kurzzeitige Wiedereinstellung oder

Ausleihe in der befristet wieder aufgenommenen Produktion beschäftigt wurden, wurde

die Klägerin unter Anrechnung auf noch bestehende Urlaubsansprüche freigestellt. Sie

verlangt Lohnzahlung für diese Monate und Feststellung, dass ihr noch der volle

Urlaubsanspruch zustehe.

Eigene Leitsätze: 1. Der Lohnzahlungsanspruch kann nicht mit dem Argument

zugesprochen werden, die Freistellung sei zu Unrecht erfolgt. Denn nach § 209 Absatz 2

Nr. 3 InsO kann nur der Lohnanspruch gegen den Verwalter durchgesetzt werden, der

dadurch entstanden ist, dass der Verwalter die Arbeitskraft entgegengenommen hat. (wie

BAG 08.12.1998 – 9 AZR 622/97 RNr. 30); Annahmeverzugsansprüche können dagegen

lediglich zur Tabelle angemeldet werden. Die Berechtigung der Freistellung kann daher

nicht im Lohnzahlungsrechtsstreit geklärt werden.

2. Mit dem LAG Düsseldorf (Urteil vom 15.04.1999, 7 Sa 1791/98) ist davon auszugehen,

dass grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken bestehen, wenn ein Arbeitgeber die

Urlaubsgewährung für den Zeitraum einer laufenden Kündigungsfrist vorsieht. Etwas

anderes kann dann in Betracht kommen, wenn dieser Umstand für den betroffenen

Arbeitnehmer eine Unzumutbarkeit darstellt. Für einen entsprechenden Tatsachenvortrag

ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig (zutreffend: LAG Düsseldorf, Urteil

vom 15.04.1999, a. a. O).

Hinweis: Zu der Entscheidung gibt es eine Reihe von Parallelentscheidungen.

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 45

E. Kollektives Arbeitsrecht

I. Tarifrecht

1. Differenzierungsklausel – Gleichbehandlung der Außenseiter?

LAG MV 20.10.2009 – 5 Sa 180/09 – Zuwendungstarifvertrag mit der „DHV – Die

Berufsgewerkschaft e.V.“ – Gleichbehandlung

Leitsatz: Zahlt der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern, die Mitglied in der Organisation

„DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V.“ sind, auf Basis eines entsprechenden Absprache

mit dieser Organisation einmalig 650 Euro brutto, haben die übrigen Arbeitnehmern, die

nicht Mitglieder dieser Organisation sind, keinen Anspruch auf eine entsprechende

Zahlung gegen den Arbeitgeber. Eine Verletzung des arbeitsrechtlichen

Gleichbehandlungsgrundsatzes ergibt sich daraus nicht. Eine sachwidrige

Ungleichbehandlung ergibt sich jedenfalls nicht durch den bloßen Vollzug eines

vermeintlich wirksamen Tarifvertrages (wie BAG 18. November 2009 – 4 AZR 491/08).

2. Tarifverträge: Öffentlicher Dienst – Eingruppierungsfragen

LAG MV 10.06.2009 - 2 Sa 328/08 - Eingruppierung eines Schulrats für den Bereich der

beruflichen Schulen

Leitsatz (Juris): Die Tätigkeit eines Schulrates, der die Schulaufsicht über Berufliche

Schulen wahrnimmt, rechtfertigt nicht die Eingruppierung in die Vergütungsgruppe I

Fallgruppe 1a bzw. Fallgruppe 1b zum BAT-O.

Weitere Leitsätze: 1. Schulräte werden eingruppiert als allgemeine

Verwaltungsangestellte (Teil I der Anlage 1 a zum BAT/BAT-O). Besondere

Eingruppierungsvorschriften bestehen nicht. Insbesondere können Schulräte nicht als

Lehrkraft angesehen und eingruppiert werden (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern vom

20.01.2004 - 5 Sa 162/03 -).

2. Eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe I, Fallgruppe 1b ist nicht möglich, da der

Klägerin nicht mindestens 8 Angestellte der Vergütungsgruppe IIa unterstellt sind. Die

beaufsichtigten Schulen mit ihren Schulleitern und Lehrkräften sind der Schulrätin nicht

unterstellt, denn eine Unterstellung im Tarifsinne erfordert eine Beschäftigung in

derselben Organisationseinheit (wie LAG MV 16.05.2007 - 2 Sa 366/06 – und BAG

22.03.2000 - 4 AZR 118/99 - AP Nr. 278 zu §§ 22, 23 BAT 1975 = NZA 2001, 282).

Textauszug: „[22] Die Klägerin erfüllt nicht die abermalige Hervorhebung, die für die

Erfüllung der Fallgruppe 1 a der von ihr begehrten Vergütungsgruppe I zum BAT

erforderlich ist. Der Tarifvertrag setzt insoweit eine Tätigkeit voraus, die deutlich höher zu

bewerten ist als die Tätigkeit nach der Vergütungsgruppe I a Fallgruppe 1 a zum BAT.

Dies setzt eine Steigerung der Anforderung in jeder Hinsicht, also insbesondere im

Hinblick auf die Fachkenntnisse, auf die Schwierigkeit der Tätigkeit, auf die Bedeutung

der Tätigkeit sowie auf die mit ihr einhergehende Verantwortung voraus. Die Komplexität

der Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht über Schulen kann zur erneuten Heraushebung

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 46

nicht verwendet werden, da dies bereits bei der Vergütungsgruppe I b Fallgruppe 1 a

berücksichtigt worden ist. Dies schließt auch die Schwierigkeiten ein, die sich durch die

Vielzahl der Abschlüsse und der zu betreuenden Schulen ergeben. Eine Vergleichbarkeit

von Berufsschulen mit Gymnasien und Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe liegt

nicht vor. An den letztgenannten Schulen ist die Erreichung eines Abschlusses mit

allgemeiner Berechtigung zum Hochschulstudium die Regel, während es im

Berufsschulbereich eher die Ausnahme darstellt.

[23] Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie, wenn sie Beamtin wäre,

in einer Besoldungsgruppe eingruppiert wäre, die der Vergütungsgruppe I entspricht. Da

Beamte und Angestellte nicht in derselben Ordnung zu ihrem Dienstherren bzw.

Arbeitgeber stehen, ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nicht

anwendbar. Dieser gebietet nicht, dass Beamte und Angestellte, die die gleiche Tätigkeit

ausüben, in gleicher Weise besoldet bzw. vergütet werden (vgl. BAG vom 28.02.1996 -

10 AZR 418/05 - und BAG - 4 AZR 90/01 - vom 20.03.2002 m. w. N.).“

Hinweis: Für eine Schulrat, der die Gymnasien beaufsichtigt, hat das LAG MV einer

Eingruppierungsklage in die Vergütungsgruppe I (Fallgruppe 1a) stattgegeben (LAG

Mecklenburg-Vorpommern vom 20.01.2004 - 5 Sa 162/03). Für eine Schulrätin in der

Schulaufsicht für Grund- und Förderschulen wurde eine darauf gerichtete

Eingruppierungsklage abgewiesen (LAG MV 16.05.2007 - 2 Sa 366/06).

Verfahrensgang: Das BAG hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen

(23.09.2009 - 4 AZN 632/09)

LAG MV 08.05.2009 - 5 Sa 266/08 - Eingruppierung der Leiterin eines

Behindertenzentrums

Leitsatz: Keine Eingruppierung einer Leiterin eines Behindertenzentrums in die

Entgeltgruppe 12 auf Basis eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe II Fallgruppe 1e

der Vergütungsordnung zum BAT/BAT-O (VkA).

Verfahrensgang: Rückläufer zu BAG 07.05.2008 - 4 AZR 303/07; vorgehend auch LAG

MV 30.01.2007 - 5 Sa 180/06

3. Tarifverträge: Öffentlicher Dienst – Sonstige Fragen

LAG MV 01.04.2009 - 2 Sa 346/08 - Besitzstandszulage nach § 11 TVÜ-Länder

Leitsatz: Die Besitzstandszulage gem. § 11 TVÜ-Länder ist auch dann unvermindert

weiterzubezahlen, wenn es zwischenzeitlich zu einer befristeten Arbeitszeiterhöhung

gekommen ist.

Tariflage: Nach dem BAT setzte sich die Vergütung aus der Grundvergütung und dem

Ortszuschlag zusammen (§ 26 BAT-O). In den Stufen des Ortszuschlages (ab Stufe 3)

waren die kinderbezogenen Entgeltbestandteile des Angestellten ausgewiesen (§ 29

BAT-O). Teilzeitbeschäftigte Angestellte hatten nur einen anteiligen Anspruch auf

Ortszuschlag und damit auch nur einen anteiligen Anspruch auf die kinderbezogenen

Anteile des Entgelts (§ 34 BAT-O). Dazu gab es aber nach § 29 Absatz 6 Satz 3 BAT-O

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 47

eine Ausnahme. Danach stand auch dem Teilzeitangestellten für die Kinder der volle

kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlags zu, wenn er mehr als halbtags beschäftigt war

und sein Ehegatte (oder gleichgestellte andere Personen) vollzeitig im öffentlichen Dienst

(oder bei gleichgestellten Stellen) beschäftigt waren, die kinderbezogenen

Entgeltbestandteile jedoch über den teilzeitbeschäftigten Partner ausgezahlt wurden (vgl.

dazu im Einzelnen Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Februar 2010 - 6 AZR 809/08).

Der TVöD und der TVL haben das Vergütungssystem des BAT aufgegeben. Nunmehr

wird ein Tabellenentgelt gezahlt ohne Rücksicht auf Familienstand und Kinder. Aber im

Sinne einer Besitzstandswahrung werden die kinderbezogenen Anteile des

Ortszuschlages als Zulage grob gesagt bis zum Erwachsenwerden der dadurch

begünstigten Kinder weiter gezahlt. Maßgebend sind die Verhältnisse im Oktober 2006 (§

11 TVÜ). Für jedes Kind wird im Tarifgebiet Ost eine Zulage in Höhe von 83,78 EUR

gewährt.

Nach § 11 Absatz 2 TVÜ ist § 24 Absatz 2 TV-L anzuwenden. Diese Vorschrift entspricht

ihrem Regelungsthema nach § 34 BAT-O. Hier ist geregelt, wie die Vergütung von

Teilzeitbeschäftigten berechnet wird. Es bleibt bei dem Maßstab der anteiligen Vergütung

entsprechend der Teilzeitquote.

Sachverhalt: Die Klägerin ist Lehrerin an einer öffentlichen Schule und sie war im

Oktober 2006 aufgrund ihrer Teilnahme am Lehrerpersonalkonzept teilzeitbeschäftigt

tätig (18/27 einer Vollzeitstelle). Dennoch stand ihr – wohl nach der vorgestellten

Ausnahmeregelung – der kinderbezogene Anteil des Ortzuschlags in vollem Umfang zu.

Daher ist ihr ab November 2006 auf Basis des neuen Vergütungssystems monatlich für

ihre drei Kinder eine Zulage in Höhe 3 x 83,78 EUR, also 251,34 EUR gezahlt worden.

Zur Vermeidung von Unterrichtsausfall wurde die Klägerin im Februar und März 2007 auf

Basis eines Zusatzvertrages für ungefähr 4 Wochen erweitert mit 20/27

Unterrichtswochenstunden beschäftigt. Ab April 2007 war die Klägerin dann wieder

regulär mit einem Beschäftigungsumfang von 18/27 Unterrichtswochenstunden tätig.

Die Arbeitgeberin hat nun beginnend mit April 2007 unter Anwendung von §§ 11 Absatz 2

TVÜ, 24 Absatz 2 TV-L wegen der Veränderung der Teilzeitquote mit Ende des

Zusatzvertrages und der jetzt gültigen Beschäftigung der Klägerin auf einer 2/3-Stelle die

Zulage um 1/3, also um 83,78 EUR gekürzt und dementsprechend nur noch monatlich

167,56 EUR brutto als besitzstandwahrende Zulage wegen der Kinder gezahlt. – Die

Klägerin verlangt Zahlung der vollen Zulage. Die Klage war in beiden Instanzen

erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht hat Revision zugelassen.

Verfahrensgang: Derzeit BAG 6 AZR 353/09. – Der Verhandlungstermin ist laut Hinweis

auf juris.de am 23.09.2010.

LAG MV 25.02.2009 – 2 Sa 335/08 – Ortszuschlag nach Tarifvertrag für die Musiker in

Kulturorchestern (TVK) nach Einführung des TVöD

Textauszug: „[24] Nach dem Wegfall der Geltung des BAT-Bund wirkt dieser nach,

sofern nicht eine ersetzende Abmachung vorliegt (§ 4 Abs. 5 TVG). Eine derartige

Regelung liegt nicht vor. Der TVöD ersetzt zwar den BAT-Bund, jedoch für die von dem

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 48

vorliegenden Tarifvertrag Betroffenen nicht vollständig. Die Tarifparteien haben bislang

davon abgesehen, trotz der Verhandlungspflicht des § 55 TVK eine dem TVöD

nachgebildete Umgestaltung der bisherigen auf Grundvergütung und Ortszuschlag

basierenden Vergütungsstruktur vorzunehmen. Erst wenn dies erfolgt ist, kann man

hinsichtlich der Regelung des Ortszuschlages von einer ersetzenden Abmachung reden

(vgl. ebenso LAG Düsseldorf vom 28.05.2008 - 12 Sa 185/08 -).“

4. Tarifverträge: Groß- und Außenhandel

LAG MV 29.09.2009 – 5 Sa 64/09 – Eingruppierung nach dem Tarifvertrag für den Groß-

und Außenhandel

Leitsatz: 1. Bei der Eingruppierung eines Arbeitnehmers nach dem Tarifvertrag über

Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen im Groß- und Außenhandel Mecklenburg-

Vorpommern vom 11.07.2007, abgeschlossen zwischen dem AGA

Unternehmensverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistung e. V. einerseits und der

ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft andererseits, in Kraft getreten am

01.08.2007 (Entgelt-TV), ist von den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen in den

Vergütungsgruppen auszugehen. Die bei den einzelnen Gehaltsgruppen jeweils danach

angeführten Tätigkeitsbeispiele dienen lediglich der Erläuterung (§ 2 Abschnitt 1

Eingruppierungsgrundsätze Nr. 1 Entgelt-TV).

2. Die Gehaltsgruppe 3 des Entgelt-TV setzt nicht nur eine abgeschlossene

Berufsausbildung voraus, vielmehr muss der Arbeitsposten, auf dem die Arbeitnehmerin

eingesetzt wird, auch eine entsprechende Qualifikation erfordern. Das ist nur dann der

Fall, wenn die Tätigkeit auf dem Arbeitsposten ohne die in der geforderten

Berufsausbildung vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten nicht ordnungsgemäß

ausgeübt werden kann.

5. Tarifverträge: Einzelhandel

LAG MV 01.12.2009 – 5 Sa 102/09 – Keine Kürzung der tariflichen Sonderzuwendung

wegen Ausfallzeiten wegen Erkrankung des eigenen Kindes

Leitsatz: Nach § 12 Absatz 3 des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in

Mecklenburg-Vorpommern vom 1. Oktober 2003, abgeschlossen zwischen dem

Einzelhandelsverband und der Gewerkschaft ver.di, haben die Arbeitnehmer des

Einzelhandels Anspruch auf eine jährliche Sonderzuwendung in Höhe eines halben

Monatslohns. Wenn es dort einschränkend weiter heißt, dass die Sonderzuwendung für

„Zeiten, in denen der Arbeitnehmer nicht volle Monate tätig war“, um 1/12 gekürzt werden

könne, berechtigt dies den Arbeitgeber nicht, die Zuwendung für Arbeitnehmerinnen

anteilig zu kürzen, die in den Grenzen von § 45 SGB V wegen der Erkrankung ihres

Kindes von der Pflicht zur Arbeitsleistung befreit waren und – da sie Krankengeld

bezogen haben – kein Entgelt vom Arbeitgeber erhalten haben (Fortentwicklung der

Rechtsprechung des Gerichts aus den Urteilen vom 2. Juni 2005 – 1 Sa 551/04 – und

vom 16. Mai 2008 – 3 Sa 20/08).

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 49

LAG MV 03.03.2009 – 5 Sa 128/08 – Ausgangskasse im Sinne des

Einzelhandelstarifvertrages

Leitsatz: 1. Von einer Ausgangskasse im Sinne von § 2 Ziffer 8 des Entgelttarifvertrages

für den Einzelhandel im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern (ETV MV), an der die

Kassenzulage zu zahlen ist, kann man nur sprechen, wenn durch die Kasse ein Bereich

des Ladenlokals so abgeschlossen wird, dass alle Kunden, die den Bereich betreten, ihn

nur durch diese Kassenzone wieder verlassen können.

2. In äußerlicher Hinsicht ist dafür weniger die örtliche Lage der Kasse im Verkaufsraum

kennzeichnend; entscheidend kommt es vielmehr auf die bauliche Gestaltung der

Kassenanlage an. Eine Ausgangskasse im tariflichen Sinne liegt nur vor, wenn alle

Kunden, die den Bereich betreten, ihn nur über die Ausgangskassenanlage wieder

verlassen können. Erst diese Kanalisierung des Kundenstroms im - häufig auch räumlich

verengten - Ausgangsbereich, hebt diese Kassenform von der Abteilungs- oder

Sammelkasse ab. Kennzeichnend für die Arbeit an der Ausgangskasse ist daher

einerseits die völlige Trennung des Verkaufsgesprächs mit dem Kunden von dem

Vorgang des Inkassos und andererseits die nur an der Ausgangskasse anfallende

zusätzliche Aufgabe, Kunden auch darauf zu kontrollieren, ob sie versuchen,

unberechtigt Waren aus dem Verkaufslokal zu verbringen.

Verfahrensgang: Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 10 AZR 361/09

6. Tarifverträge: TV Ärzte

LAG MV 22.07.2009 - 2 Sa 262/08 - Eingruppierung Oberarzt in den TV Ärzte –

Abgeschlossene Zusatzweiterbildung

Leitsatz: Für die Forderung einer abgeschlossenen Zusatzweiterbildung durch den

Arbeitgeber gemäß § 12 TV-Ärzte (Entgeltgruppe Ä 3) reicht es aus, wenn sich die

Forderung nach der Zusatzweiterbildung aus den Umständen ergibt. Insbesondere ist

maßgeblich, ob eine Ausübung der übertragenen Spezialfunktion ohne

Zusatzweiterbildung nach den Umständen des Einzelfalles denkbar wäre.

Orientierungssatz: 1. Eine Übertragung der medizinischen Verantwortung für einen

selbstständigen Teil- oder Funktionsbereich nach § 12 TV-Ärzte liegt nicht vor, wenn der

Bereich (hier eine Poliklinik) nicht organisatorisch abgetrennt ist und die Ärzte in dem

Bereich nach eigener Verantwortung handeln.

2. Selbstständige Tätigkeiten eines Arztes im Rahmen der Patientenbetreuung, die

aufgrund einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber direkt mit den Leistungsträgern

abgerechnet werden, sind bei der Ermittlung der für die Eingruppierung maßgeblichen

Arbeitsstunden nicht zu berücksichtigen.

Verfahrensgang: Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 4 AZR 670/09

7. Tarifverträge: TV Helios Kliniken - Zusatzurlaub für Nachtarbeit

LAG MV 19.02.2010 -- 3 Sa 227/09 – Gelten Bereitschaftszeiten bei der Berechnung des

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Zusatzurlaubs für Nachtarbeit als Arbeitszeit?

Sachverhalt: Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers auf drei Arbeitstage

Zusatzurlaub für das Jahr 2007 nach § 27 Abs. 1 des Manteltarifvertrages für

Unternehmen des Helioskonzerns vom 14.12.2006. Danach erhält ein Arzt im Falle von

mindestens 450 geleisteten Nachtarbeitsstunden in einem Kalenderjahr in dem darauf

folgenden Kalenderjahr einen Zusatzurlaub von drei Arbeitstagen. Der hat Kläger 453

Stunden in der Nacht abgeleistet, allerdings im Rahmen von Bereitschaftsdiensten.

Daher verweigert die Arbeitgeberin die Urlaubsgewährung. – Die auf Gewährung des

Urlaubs gerichtete Klage war in beiden Instanzen erfolgreich.

Textauszug: „Gesetzlich findet sich der Begriff der "Nachtarbeit" in § 6 Arbeitszeitgesetz

wieder. In diesem Zusammenhang sieht § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz die Verpflichtung

des Arbeitgebers vor, dem Nachtarbeitnehmer "für die während der Nachtzeit geleisteten

Arbeitsstunden" eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen

Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Die

Voraussetzungen von § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz sind auch erfüllt, wenn der

Arbeitnehmer nur im Rahmen von sogenannter Arbeitsbereitschaft Nachtarbeit geleistet

hat. Dieser Umstand kann lediglich für die Bemessung der vom Arbeitgeber zu

erbringenden Ausgleichsleistung Bedeutung haben, nicht aber die Tatsache der Leistung

von Nachtarbeit selbst in Frage stellen (BAG vom 11.02.2009 - 10 AZR 770/07; juris;

LAG Hessen vom 5. August 2009 - 2/11 Sa 193/09 -). Den zuletzt genannten Umstand

haben die Tarifvertragsparteien im TV-Ärzte Helios zur Überzeugung des Gerichts

übernommen. Denn in § 17 Abs. 1 Satz 3 TV-Ärzte Helios ist festgehalten, dass die

gesamte Zeit des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit zu werten ist.

Verfahrensgang: Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 9 AZR 208/10

8. Tarifverträge: Bau

LAG MV 10.09.2009 – 1 Sa 52/09 – Baumindestlohn bei Tätigkeit auf Baustellen im

Ausland – Lohn als Schadensersatz bei Verstoß gegen Nachweisgesetz

Sachverhalt: Der Beklagte hat einen Baubetrieb in Mecklenburg-Vorpommern. Der

Kläger ist gelernter Bauchfacharbeiter. Die Parteien hatten eine Monatsvergütung in

Höhe von 1.500 Euro brutto verabredet. Der Einsatz des Klägers erfolgt in Dänemark.

Nach Ablauf der Ausschussfristen aus dem Baurahmentarifvertrag und dem

Mindestlohntarifvertrag erhebt der Kläger Klage auf weitere Vergütung. Er meint, die

vereinbarte Vergütung sei sittenwidrig, ihm stehe daher der verkehrsübliche Lohn aus

Dänemark zu, den er mit 3.670 Euro beziffert, hilfsweise Baumindestlohn (West) in Höhe

von 12,50 Euro brutto pro Arbeitsstunde. Das Arbeitsgericht hat Baumindestlohn West

zugesprochen, das Landesarbeitsgericht nur Baumindestlohn Ost.

Eigene Leitsätze: 1. Befindet sich er Arbeitgeber mit der Erfüllung seiner Pflichten aus

dem Nachweisgesetzes in Verzug (fehlender Hinweis auf die geltenden Tarifverträge),

kann der verfallene Lohnanspruch als Verzugsschaden geltend gemacht werden, wenn

die übrigen Voraussetzungen eines Verzugsschadens gegeben sind (wie BAG 17. April

2002 – 5 AZR 89/01).

2. Verstößt eine Lohnvereinbarung gegen den Mindestlohntarifvertrag ist sie nicht nichtig

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im Sinne von § 134 BGB. Vielmehr gelangt sie lediglich nicht zur Anwendung, da der

Mindestlohntarifvertrag als höherrangige Rechtsquelle vorgeht.

3. Baumindestlohn West ist nur auf Arbeitsstellen zu zahlen, die im Tarifgebiet West

liegen. Dazu gehören Arbeitsstellen im Ausland nicht. Es verbleibt dann bei der Pflicht

zur Zahlung des Mindestlohns am Betriebssitz.

Verfahrensgang: Die Nichtzulassungsbeschwerde war erfolgreich (BAG 17. Februar

2010 – 5 AZN 950/09). Die Revision wird unter dem Aktenzeichen 5 AZR 171/10 beim

BAG geführt.

II. Betriebsverfassungsrecht

1. Schulungsanspruch des Betriebsrats zum Thema Mobbing

LAG MV 18.03.2009 – 2 TaBV 18/08 – Betriebsratsschulung zum Thema Mobbing

Leitsatz: 1. Auch dann, wenn es Mobbingfälle in der Vergangenheit gab und aktueller

Handlungsbedarf besteht, ist die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einem

einwöchigen Fortsetzungsseminar zum Thema "Mobbing" nicht erforderlich, wenn das

Betriebsratsmitglied bereits an einem einwöchigen Seminar zum Thema teilgenommen

hat und es sich um einen verhältnismäßig kleinen Betrieb mit etwa 50 Arbeitnehmern

handelt.

2. Aus einem fehlenden Protest des Arbeitgebers gegen die Teilnahme an einem

Seminar "Mobbing Teil 1" kann nicht geschlossen werden, dass der Betriebsrat ohne

Sachprüfung berechtigt ist, auch eine Teilnahme an dem Seminar "Mobbing Teil 2" für

erforderlich zu halten.

2. Betriebsversammlung

LAG MV 09.12.2009 – 2 TaBVGa 5/09 – Durchführung einer Betriebsversammlung über

2 Arbeitstage mit Übernachtung

Sachverhalt: Der Streit betrifft einen gerichtsbekannten Betrieb mit Betriebsstätten in

Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin. Der für den Betrieb gebildete

Betriebsrat führt wie im Gesetz vorgesehen im Jahr 4 Betriebsversammlungen durch. Da

die Arbeitnehmer zu den in Berlin durchgeführten Betriebsversammlungen zum Teil sehr

lange Anreisewege haben, werden die Betriebsversammlungen seit Jahren so geplant,

dass sie am ersten Tag mittags beginnen, dann eine Übernachtung folgt und am

nächsten Tag fortgesetzt werden. Die Arbeitgeberin hat bereits mehrfach versucht, diese

Form der Durchführung der Betriebsversammlung durch den Erlass einstweiliger

Verfügungen zu verhindern. – Im vorliegenden Fall haben Arbeitsgericht und

Landesarbeitsgericht den Erlass der Verfügung abgelehnt.

Textauszug: „Die Beteiligte zu 1[die Arbeitgeberin] führt in diesem Zusammenhang

unter anderem aus, der Beteiligte zu 2 [der Betriebsrat] verletze bei einer zweitägigen

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Betriebsversammlung sein Organisationsermessen. Näher konkretisiert wird diese

Rechtsauffassung nicht. Insbesondere setzt sich die Beteiligte zu 1 nicht mit dem Vortrag

des Arbeitsgerichts Rostock in der streitigen Verhandlung auseinander, dass bei einer

eintägigen Betriebsversammlung mit einer achtstündigen Dauer jedenfalls die Mitarbeiter

aus Schwerin und Rostock ca. 15 bis 16 Stunden dienstlich in Anspruch genommen

würden, so dass bei dieser Belastung der Beteiligte zu 2 eine zweitägige

Betriebsversammlung habe einplanen dürfen. Weshalb bei dieser von dem Arbeitsgericht

Rostock unstreitig festgestellten Konstellation der Beteiligte zu 2 sein

Organisationsermessen verletzt haben soll bzw. nicht über einen nachvollziehbaren

Grund für eine zweitägige Betriebsversammlung verfügen soll, ist nicht ersichtlich. Dies

gilt umso mehr, als nach der vorliegenden Tagungsordnung eine insgesamte Dauer der

Betriebsversammlung von 11 Stunden und 30 Minuten vorgesehen ist. Selbst wenn man

mithin zu Gunsten der Beteiligten zu 1 unterstellt, dass einzelne Tagungsabschnitte in

der Tagesordnung mit Überlänge berücksichtigt worden sind, so ist bereits nach dem

Vortrag der Beteiligten zu 1 selbst jedenfalls nicht ersichtlich, dass die in der

Tagesordnung vorgesehenen Besprechungspunkte mit weniger als ca. 8 1/2 Stunden

besprochen werden könnten.“

Hinweis: Mit Beschluss vom 15.05.2009 (2 TaBVGa 2/09) hatte die 2. Kammer bereits

einen ähnlichen Antrag der Arbeitgeberin betreffend eine andere Betriebsversammlung

zurückgewiesen, da es die Arbeitgeberin trotz Kenntnis der Planungen des Betriebsrats

verabsäumt habe, rechtzeitig im Vorfeld den Erlass der Verfügung zu beantragen. –

Dieselbe Streitfrage und denselben Betrieb betreffend hatte die 2. Kammer im Beschluss

vom 15.10.2008 - 2 TaBV 2/08 – entschieden, dass Betriebsversammlungen, die nach

der Tagesordnung keinen höheren Zeitbedarf als acht Zeitstunden haben, grundsätzlich

an einem Kalendertag abzuhalten seien, auch wenn die Betriebsstätten weiter

auseinander liegen. Das BAG hat dazu die Rechtsbeschwerde zugelassen (7 ABR

69/09); Termin zur Anhörung und Erörterung ist laut eines Hinweises auf juris.de für den

08.12.2010 angesetzt.

3. Durchführungspflicht für Betriebsvereinbarungen auf Basis eines Einigungsstellenspruchs

LAG MV 03.02.2010 – 2 TaBV 15/09 – Konkurrenz von Betriebsrat und

Gesamtbetriebsrat

Leitsatz: Die Anfechtung eines Spruches der Einigungsstelle hat keine aufschiebende

Wirkung. Daraus folgt, dass der örtliche Betriebsrat so lange nicht eine Einigungsstelle

gemäß § 98 ArbGG verlangen kann, als nicht der Spruch einer bei dem

Gesamtbetriebsrat gebildeten Einigungsstelle rechtskräftig für unwirksam erklärt worden

ist.

Sachverhalt: Der Betriebsrat verlangt die Einsetzung einer Einigungsstelle zu Fragen der

Lage und Verteilung der Arbeitszeit. Der Arbeitgeber sagt, dazu haben wir doch eine von

der Einigungsstelle auf Ebene des Gesamtbetriebsrats beschlossene

Betriebsvereinbarung auf Unternehmensebene – Das Arbeitsgericht hat die

Einigungsstelle eingesetzt. Das Beschwerdegericht hat den Antrag auf Einrichtung der

Einigungsstelle zurückgewiesen.

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Textauszug: „Es kann dahinstehen, ob der Betriebsrat zum Zeitpunkt der Antragstellung

die Einigungsstelle hätte verlangen können. Inzwischen ist jedoch eine neue Entwicklung

eingetreten. Unstreitig hat eine bei der Arbeitgeberin und dem Gesamtbetriebsrat

gebildete Einigungsstelle durch Spruch vom 20.11.2009 eine Betriebsvereinbarung über

Schichtarbeit im Personaleinsatzplan ... in Kraft gesetzt.

Es ist unerheblich, dass diese Gesamtbetriebsvereinbarung durch Spruch der

Einigungsstelle zustande gekommen ist und ferner ist es unerheblich, dass dieser Spruch

nach Auskunft des Betriebsrates von dem Gesamtbetriebsrat angefochten worden ist.

Der Spruch der Einigungsstelle ist verbindlich, da es sich um [§ 87 Absatz 1 Nr. 2

BetrVG] handelt. In Angelegenheiten der erzwingbaren Mitbestimmung ersetzt die

Einigungsstelle deshalb die fehlende Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber (§

87 Abs. 2 BetrVG).

Unerheblich ist es auch, ob der Spruch der Einigungsstelle von einer der Betriebsparteien

angefochten worden ist. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Vereinbarungen zwischen

Arbeitgeber und Betriebsrat, auch soweit sie auf einem Spruch der Einigungsstelle

beruhen, durchzuführen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Dieser Anspruch besteht auch bei

Anfechtung des Spruches (LAG Berlin vom 08.11.1990 DB 1991 S. 1288, Fitting u. a.

BetrVG 24. Auflage § 76 Rn. 76 m. w. N.).

Der Gegenansicht (vgl. GK-Kreutz § 76 BetrVG Rn. 177) ist nicht zu folgen. Eine

suspendierende Wirkung der Anfechtung des Spruches der Einigungsstelle hätte vom

Gesetzgeber geregelt werden müssen. Dies ist nicht erfolgt. Der Betriebsrat kann sich in

diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, dass jedenfalls nach dem

eingeschränkten Prüfungsmaßstab des § 98 ArbGG die Zuständigkeit des örtlichen

Betriebsrates immerhin denkbar wäre. Hierauf kommt es so lange nicht an, so lange der

Spruch der Einigungsstelle nicht durch eine rechtskräftige Entscheidung für unwirksam

erachtet worden ist. Konsequenz hiervon ist auch, dass damit Auseinandersetzungen

über mögliche unterschiedliche Sprüche von verschiedenen Einigungsstellen in der

gleichen Angelegenheit vermieden werden.“

4. Soziale Angelegenheiten (§ 87 BetrVG)

LAG MV 25.02.2009 – 3 TaBV 7/08 – Anfechtung einer von der Einigungsstelle

beschlossenen Betriebsvereinbarung zum Thema Arbeitsschutz

Leitsatz: 1. Für die Ausübung eines Mitbestimmungsrechts nach dem

Betriebsverfassungsgesetz ist grundsätzlich der von den Arbeitnehmern unmittelbar

gewählte Betriebsrat zuständig. Dem Gesamtbetriebsrat ist nach § 50 Abs. 1 Satz 1

BetrVG nur die Behandlung von Angelegenheiten zugewiesen, die das

Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen

Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Erforderlich ist, dass es

sich zum einen um eine mehrere Betriebe betreffende Angelegenheit handelt und zum

anderen objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder

betriebsübergreifende Regelung besteht. Dieses Erfordernis kann sich aus technischen

oder rechtlichen Gründen ergeben. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer

unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, Kosten- und

Koordinationsinteresse sowie reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte genügen nicht, um

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in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zuständigkeit des

Gesamtbetriebsrates zu begründen. Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des

Unternehmens und der einzelnen Betriebe. Regelungen über die Verhütung von

Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen

der gesetzlichen Vorschriften und der Unfallverhütungsvorschriften unterliegen trotz einer

zentralen Gebäudebewirtschaftung dem Mitbestimmungsrecht des jeweiligen örtlichen

Betriebsrats, wenn in jedem einzelnen Betrieb eines Konzerns auf Grund der

unterschiedlichen Arbeitsaufgaben individuelle Regelungen zur Verhütung von

Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten getroffen werden müssen.

2. Gemäß § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG ist auf entsprechenden Antrag konkret die

Überschreitung der Grenzen des Ermessens durch den Spruch einer Einigungsstelle zu

überprüfen. Diese unterliegt in diesem Zusammenhang einer uneingeschränkten

Rechtskontrolle, d. h. die Gerichte für Arbeitssachen haben nach eigenständiger Prüfung

der Rechtslage zu entscheiden, ob der streitbefangene Spruch einer Einigungsstelle

rechtswirksam ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Einigungsstelle gemäß § 76

Abs. 5 BetrVG ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des

Betriebes und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen zu fassen hat. Ob

der Spruch der Einigungsstelle die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens eingehalten

hat, beurteilt sich danach, ob sich die getroffene Regelung als solche innerhalb dieser

Grenzen hält. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die dem Spruch

zugrundeliegenden Erwägungen der Einigungsstelle folgerichtig waren und eine

erschöpfende Würdigung zum Inhalt haben.

3. Dabei ist ausgehend von den festgestellten Belangen des Betriebes und der

Arbeitnehmer sowie deren Gewichtigkeit durch die Gerichte für Arbeitssachen zu prüfen,

ob die von der Einigungsstelle getroffene Regelung noch als billiger Ausgleich dieser

Belange gelten kann. Diesbezüglich kommt es weder auf eine "grobe

Ermessensüberschreitung" noch auf eine "offenbare Unbilligkeit" des Spruches an.

4. Andererseits genügen lediglich Zweifel an der Einhaltung der Ermessensgrenzen nicht.

Erforderlich ist vielmehr die Überzeugung, dass die Grenzen überschritten sind. Ein

Verstoß in diesem Sinne ist etwa dann anzunehmen, wenn der Beschluss der

Einigungsstelle deutlich erkennbar keine sachgerechte Interessenabwägung mehr

enthält, weil z. B. die Einigungsstelle die Interessen der einen oder der anderen Seite

überhaupt nicht berücksichtigt hat oder weil die Regelung nicht nur unzweckmäßig,

sondern objektiv ungeeignet ist.

Verfahrensgang: Derzeit BAG 1 ABR 31/09. – Termin zur Anhörung und Erörterung ist

laut eines Hinweises auf juris.de für den 05.10.2010 angesetzt.

LAG MV 10.06.2009 – 2 TaBV 17/08 – Einsetzung einer Einigungsstelle zum Thema

Betriebliches Eingliederungsmanagment (BEM)

Eigner Leitsatz: Fragen der Umsetzung der gesetzlichen Verpflichtung zur Einrichtung

und Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagments nach § 84 SGB IX

unterliegen der Beteiligung des Betriebsrats nach § 87 Absatz 1 Nummern 1 und 7

BetrVG. Auf Antrag des Betriebsrats ist daher eine Einigungsstelle zur verbindlichen

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Regelung der Einzelheiten einzusetzen.

5. Zustimmungsverweigerungsgründe nach § 99 Absatz 2 BetrVG

LAG MV 31.03.2009 - 5 TaBV 13/08 - Zustimmungsverweigerung bei Versetzung wegen

arbeitsschutzwidriger Beschaffenheit des vorgesehenen Arbeitsplatzes

Leitsatz: Der Betriebsrat kann die Zustimmungsverweigerung zu einer Versetzung eines

Arbeitnehmers auf einen Arbeitsplatz in einer anderen Betriebsstätte nach § 99 Absatz 2

Nr. 1 BetrVG nur dann mit dem arbeitsschutzrechtswidrigen Zustand des vorgesehenen

neuen Arbeitsplatzes begründen, wenn der Normverstoß unbehebbar ist oder der

Verstoß so schwer wiegt, dass die Aufnahme der Tätigkeit an diesem Arbeitsplatz selbst

für eine gedachte Übergangszeit bis zur Behebung des Mangels nicht hinnehmbar ist.

Verfahrensgang: Derzeit BAG – 7 ABR 77/09. Termin zur Anhörung und Erörterung ist

laut eines Hinweises auf juris.de für den 08.12.2010 angesetzt.

6. Begriff der Versetzung im Sinne von §§ 95 Absatz 3, 99 BetrVG

LAG MV 10.11.2009 - 2 TaBV 2/09 – Betriebsverfassungsrechtlicher Versetzungsbegriff

Textauszug: „[20] ... Eine Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG liegt nicht vor.

Der Arbeitsbereich im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG wird durch die Aufgabe und

Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in

den Arbeitsablauf des Betriebes umschrieben. Der Begriff ist demnach räumlich und

funktional zu verstehen. Er umfasst neben dem Ort der Arbeitsleistung auch die Art der

Tätigkeit und den gegebenen Platz in der betrieblichen Organisation. Die Zuweisung

eines anderen Arbeitsbereiches liegt vor, wenn sich das Gesamtbild der bisherigen

Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt

eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine "andere"

anzusehen ist. Dies kann sich aus dem Wechsel des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der

mit ihnen verbundenen Verantwortung ergeben, kann aus einer Änderung der Art der

Tätigkeit, das heißt der Art und Weise erfolgen, wie die Arbeitsaufgabe zu erledigen ist

und kann mit einer Änderung der Stellung und des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb

der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit

verbunden sein (zuletzt BAG vom 17.06.2008 - 1 ABR 38/07 - m. w. N.) ...“

7. Einstweilige Verfügung zur vorläufigen Regelung eines Zustandes nach verweigerter Zustimmung zur Versetzung

LAG MV 09.03.2010 – 5 TaBVGa 6/09 – Einstweilige Verfügung zur vorläufigen

Regelung eines Zustandes nach Zustimmungsverweigerung zu Versetzungen

Sachverhalt: Der Arbeitgeber will die Arbeitnehmer aus mehreren Betriebsstätten in

Berlin an einem Standort in Frankfurt/Oder zusammenführen. Der Betriebsrat

widerspricht den Versetzungsmaßnahmen mit Hinweis auf eine (gekündigte)

Betriebsvereinbarung Arbeitsstätten, die durch die Einigungsstelle beschlossen wurde

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und die in einem anderen Verfahren vom Arbeitgeber angefochten worden ist, und die

dort vorgesehene Mindestgröße von 15 qm für einen Callcenter-Agenten-Arbeitsplatz.

Der Arbeitgeber führt die Maßnahme dennoch durch. Der Betriebsrat verlangt nunmehr

im einstweiligen Verfügungsverfahren eine vorläufige Regelung, nach der der Arbeitgeber

die Arbeitszeit der Kollegen so einzuteilen habe, dass die Größe des Arbeitsraums in

Quadratmeter dividiert durch die Anzahl der gleichzeitig in den einzelnen Räumen

beschäftigten Arbeitnehmer nicht unter 15 qm fällt. – Das Arbeitsgericht hat den Erlass

der Verfügung abgelehnt. Das Landesarbeitsgericht hat die Verfügung für die größeren

Arbeitsräume (4 und mehr Arbeitsplätze pro Raum) erlassen.

Leitsatz: 1. Die Festsetzung von Mindestgrößen für Arbeitsräume in Abhängigkeit von

der Anzahl der dort eingerichteten Callcenter-Agenten-Arbeitsplätze, unterliegt der

erzwingbaren Mitbestimmung nach § 87 Absatz 1 Nr. 7 BetrVG, da § 6 Absatz 1

Arbeitsstättenverordnung dafür nur einen allgemeinen Maßstab vorgibt, der vor Ort der

Konkretisierung bedarf (im Ergebnis wie LAG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom

25. Februar 2009 – 3 TaBV 7/08).

2. Die Durchführungspflicht für Betriebsvereinbarungen (§ 77 Absatz 1 BetrVG) gilt auch

für Betriebsvereinbarungen, die die Einigungsstelle beschlossen hat; das gilt auch dann,

wenn noch über die Wirksamkeit der Entscheidung der Einigungsstelle vor Gericht

gestritten wird.

3. Die Durchführungspflicht besteht auch für gekündigte Betriebsvereinbarungen. Die aus

dem Tarifvertragsrecht entlehnte Vorstellung, gekündigte kollektive Regelungen würden

im Verhältnis der Normsetzer zueinander keine Rechtswirkungen mehr entfalten, lässt

sich auf das Betriebsverfassungsrecht nicht übertragen. Denn der vom Gesetz

vorgesehene innerbetriebliche Konfliktlösungsmechanismus über die Einigungsstelle

führt nur dann zu einem gerechten Ausgleich der gegenläufigen Interessen, wenn die

betrieblichen Normen auch so lange durchgeführt werden müssen, bis sie durch jüngere

kollektive Regelungen abgelöst werden.

Anmerkung: Das Gericht hatte keinen Anlass über die Grenzen der Durchführungspflicht

nach § 77 Absatz 1 BetrVG zu entscheiden, da die hier streitige Regelung der

erzwingbaren Beteiligung tatsächlich unterlag. Grenzen der Durchführungspflicht dürften

sich aus zwei Gesichtspunkten ergeben können. Zum einen kann keine

Durchführungspflicht bestehen für Regelungen in einer Betriebsvereinbarung, die gegen

das Gesetz verstoßen, etwa für Regelungen, die gegen § 77 Absatz 3 BetrVG verstoßen,

oder für Regelungen, die gegen Benachteiligungsverbot aus dem AGG verstoßen. Zum

anderen besteht wohl keine Durchführungspflicht für Regelungen, die nicht der

erzwingbaren Mitbestimmung unterliegen. Dementsprechend dürfte auch keine

Durchführungspflicht für Betriebsvereinbarungen gelten, die ein unzuständiger

Betriebsrat (z.B. Gesamtbetriebsrat statt Betriebsrat) erlassen hat. Fraglich ist dann aber,

was während der Zeit gelten soll, in der über die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates

gestritten wird. Die 2. Kammer des Gerichts hat wegen der Durchführungspflicht die

Einsetzung einer Einigungsstelle zu Fragen der Lage der Arbeitszeit (§ 87 Absatz 1 Nr. 2

BetrVG) abgelehnt, da es eine Regelung zu diesem Thema bereits auf der Ebene des

Gesamtbetriebsrats gebe (LAG MV 03.02.2010 2 TaBV 15/09 – die Entscheidung ist hier

ebenfalls vorgestellt) und diese Regelung angewendet werden müsse, solange sie nicht

durch ein Gericht aufgehoben sei.

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8. Betriebsratsbeteiligung bei Kündigungen

LAG MV 12.02.2009 – 1 Sa 234/08 – Betriebsratsanhörung bei Probezeitkündigung

Textauszug: „Die Kündigung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte die

nach § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG einzuhaltende Wochenfrist nach Anhörung des

Betriebsrates nicht gewahrt hätte. Die Beklagte konnte die Kündigung vor Ablauf der

Wochenfrist des § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG aussprechen. Danach hat der Betriebsrat dem

Arbeitgeber eventuelle Bedenken gegen eine ordentliche Kündigung unter Angabe der

Gründe spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Der Arbeitgeber kann

die Kündigung jedoch vor Fristablauf aussprechen, wenn sich der Betriebsrat bereits

geäußert hat und aus der Mitteilung zu entnehmen ist, dass der Betriebsrat keine weitere

Erörterung des Falles wünscht, seine Stellungnahme also abschließend sein soll (BAG,

Urteil vom 24.06.2004, 2 AZR 461/03).

9. Sozialplanprivileg für Jungunternehmen bei Schließung von Altbetrieben

LAG MV 09.07.2009 – 1 TaBV 4/09 – Auch dann keine Pflicht zum Sozialplan, wenn das

Jungunternehmen einen übernommenen älteren Betrieb stilllegt.

Textauszug: „Die Voraussetzung für diese Privilegierung erfüllte zum Zeitpunkt der

Betriebsstilllegung die Arbeitgeberin. Die Gründung des Unternehmens ist weniger als

vier Jahre vor der Betriebsstilllegung erfolgt. Nach ständiger und gefestigter

Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist auf das Alter des Unternehmens und nicht

auf das Alter des Betriebes abzustellen (vgl. zuletzt BAG vom 27.06.2006, 1 ABR 18/05

m. w. N.).

Dieses Verständnis von § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG steht auch nicht im Widerspruch

zur Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Zwar verlieren die Arbeitnehmer im Fall der

Übernahme eines älteren Betriebes durch ein neu gegründetes Unternehmen die Chance

auf den Abschluss eines Sozialplanes bei einer Betriebsänderung in den folgenden vier

Jahren. Die zuvor gegebene Aussicht auf einen erforderlichenfalls erzwingbaren

Sozialplan ist jedoch kein "Recht" der Arbeit-nehmer aus den bestehenden

Arbeitsverhältnissen im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Hier korrespondiert

dementsprechend keine Pflicht des Arbeitgebers, die auf den Erwerber überginge.

Die Arbeitnehmer besitzen hinsichtlich der Erzwingbarkeit eines Sozialplanes keine

rechtlich gefestigte Anwartschaft. Sie befinden sich lediglich in einer Situation, die ihnen

beim Fortbestand der tatsächlichen Stelle einen künftigen Vorteil bringen kann. Dieser

Fortbestand hängt zudem nicht nur vom Ausbleiben eines Betriebsübergangs auf ein neu

gegründetes Unternehmen, sondern ebenso davon ab, dass das bisherige

Inhaberunternehmen weiterhin mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt

und auch künftig ein Betriebsrat gewählt wird. Die bloße Chance auf den betreffenden

Vorteil stellt keine subjektive Rechtsposition dar und ist von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB

nicht geschützt (vgl. BAG, a. a. O.).“

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10. Nachteilsausgleich trotz Rücknahme der Kündigung?

LAG MV 05.08.2009 - 2 Sa 53/09 - Anspruch auf Nachteilsausgleich nach

zurückgenommener Kündigung – Auflösungsantrag

Hinweis: Parallelsache ist LAG MV 05.08.2009 - 2 Sa 54/09 – (derzeit BAG 2 AZN

872/09)

Leitsätze der Juris GmbH:1. Ein Antrag auf Feststellung, dass eine Kündigung

rechtsunwirksam ist, kann nicht mehr gestellt werden, wenn das Arbeitsverhältnis nach

Rücknahmeerklärung der Kündigung durch den Arbeitgeber monatelang einvernehmlich

fortgesetzt wird.

2. Eine Entlassung im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG liegt bei dieser Fallgestaltung

ebenfalls nicht vor (siehe auch BAG 14.12.2004 - 1 AZR 504/03).

Sachverhalt: Arbeitgeber kündigt seinen Arbeitnehmern, ohne zuvor einen

Interessenausgleich mit seinem Betriebsrat versucht zu haben. Der Kläger erhebt

Kündigungsschutzklage und verlangt Nachteilsausgleich.10 Monate später nimmt der

Arbeitgeber die Kündigung zurück, kündigt aber an, demnächst erneut kündigen zu

wollen. Arbeitnehmer stimmt der Rücknahme der Kündigung durch vorbehaltslose

Weiterbeschäftigung zu, verfolgt aber seinen Antrag auf Zahlung von Nachteilsausgleich

weiter.

Textauszug: „[22] 2. … Der Antrag auf Nachteilsausgleich ist nicht begründet. Eine

Entlassung im Sinne von § 113 Abs. 3 BetrVG liegt nur vor, wenn das Arbeitsverhältnis

im Zusammenhang mit der Betriebsänderung rechtlich beendet worden ist. Der damit

einhergehende Verlust des Arbeitsplatzes ist der wirtschaftliche Nachteil, der nach § 113

Abs. 1 und Abs. 3 BetrVG durch eine Abfindung ausgeglichen werden soll. Wird eine zum

Zwecke des Personalabbaus ausgesprochene Kündigung später "zurückgenommen" und

gehen dementsprechend die Parteien übereinstimmend davon aus, dass die Kündigung

nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat, so fehlt es an einer

Entlassung im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG (BAG vom 14.12.2004 - 1 AZR 504/03).“

Verfahrensgang: Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter dem Aktenzeichen 2 AZN

871/09.

III. Personalvertretungsrecht

1. Unterrichtung des Personalrats bei Kündigungen

LAG MV 26.08.09 - 2 Sa 31/09 - Verdachtskündigung sowie Unterrichtung des

Personalrats

Textauszug: Die Beklagte führt aus: „[35] Die Sozialdaten seien durch die

Personalratsvorsitzende den Mitgliedern des Personalrates mündlich mitgeteilt worden,

sofern sie dem Personalrat nicht ohnehin geläufig waren. – [36] Dies ist unpräzise.

Angesichts der klaren Ausführungen in dem Urteil hätte die Beklagte deutlich ausführen

müssen, welche Sozialdaten der Personalratsvorsitzenden bekannt waren, z. B. welches

Lebensalter, welche Betriebszugehörigkeit und von welchen Sozialdaten aufgrund

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welcher Umstände davon auszugehen war, dass diese dem Personalrat ohnehin geläufig

waren. Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, dass wegen der

Schwere der Kündigungsvorwürfe es auf die genauen Daten nicht ankomme. Das

Bundesarbeitsgericht hat in der zitierten Entscheidung (BAG vom 21.06.2001 - 2 AZR

30/00 -) ausgeführt, dass auf der einen Seite die subjektive Determination des

Anhörungsverfahrens nicht dazu führe, dass der Arbeitgeber auf Mitteilung persönlicher

Umstände ganz verzichten könne, unabhängig davon, ob er sie berücksichtigt habe oder

nicht. Andererseits stünde der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung die

fehlende Mitteilung der genauen Sozialdaten nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber

wegen der Schwere der Kündigungsvorwürfe auf die genauen Daten ersichtlich nicht

ankomme und die Arbeitnehmervertretung die ungefähren Daten kenne.

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Anuschek, Rechtsprechung LAG MV 2009/10, Stand Mai 2010 Seite 60

F. Prozessrecht

I. Rechtskraftfragen

LAG MV 07.05.2009 – 1 Sa 258/08 – Rechtskraft – Auslegung eines Urteils

Sachverhalt: Der Arbeitnehmer klagt rückständigen Lohn ein und zwar im Vorprozess

gegen die GbR, bei der er beschäftigt war und gegen eine dritte Person, die wohl nichts

mit dem Arbeitsverhältnis zu tun hatte. Während des Vorprozesses ist die Klage durch

eine vom Gericht zu Protokoll genommene Rubrumsänderung auch auf die

Gesellschafter der GbR erstreckt worden. Das Arbeitsgericht hat im Vorprozess der

Klage gegen die GbR entsprochen und sie „im Übrigen“ abgewiesen. Soweit sich die

Entscheidungsgründe mit der Klagabweisung beschäftigen, wird allerdings ausschließlich

zur Unschlüssigkeit der Klage gegen die dritte Person ausgeführt. Die gegen die

Gesellschafter gerichtete Klage wird im gesamten Urteil an keiner Stelle erwähnt. Das

Rubrum dieses Urteils im Vorprozess weist die GbR, die beiden Gesellschafter der GbR

und die dritte Person als Beklagte aus. Im hiesigen Rechtsstreit klagt der Arbeitnehmer

nunmehr erneut gegen die beiden Gesellschafter der GbR den Lohn ein, da die GbR zur

Erfüllung des erstrittenen Titels nicht in der Lage ist. – Arbeitsgericht und LAG haben die

Klage als unzulässig verworfen.

Eigener Leitsatz: Für die Bestimmung des Ausmaßes der Rechtskraft eines Urteils

kommt es in erster Linie auf das Rubrum und den Tenor an; die Entscheidungsgründe

können lediglich ergänzend herangezogen werden. Denn auch eine abgekürzten

Ausfertigung eines Urteils nur bestehend aus Rubrum und Entscheidungsformel muss

aus sich heraus verständlich sein und z. B. die Zwangsvollstreckung ermöglichen

(Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Auflage, § 313 Rn. 8).

Hinweis: Parallel dazu LAG MV 07.05.2009 – 1 Sa 336/08 – vorgehen Arbeitsgericht

Schwerin 08.07.2008 – 11 Ca 1281/08

II. Umgang mit streitigen Vergleichen

LAG MV 08.12.2009 – 5 Sa 156/09 – Im Regelfall kein Schadensersatz bei unwirksamer

Kündigung

Hinweis: Weitere Teile des Rechtsstreits sind unter dem Punkt Haftung des Arbeitgebers

vorgestellt.

Leitsatz: 1. Entsteht zwischen den Parteien eines Rechtsstreits Streit darüber, ob der

Rechtsstreit durch einen verfahrensbeendenden Vergleich seine Erledigung gefunden

hat, ist der ursprüngliche Rechtsstreit fortzusetzen. Hat sich der Rechtsstreit durch den

streitigen Vergleich erledigt, ist die Klage zwar zulässig, jedoch unbegründet, da die

streitigen Ansprüche durch den Vergleich von den Parteien als untergegange3n bzw.

erfüllt angesehen werden. – 2. …

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III. Unsubstantiierter Parteivortrag

LAG MV 05.05.2009 - 5 Sa 269/08 - Substantiierungslast des Arbeitgebers beim Streit

über den Tag des Zugangs der Kündigung

Leitsatz: Schildern die Parteien ein entscheidungserhebliches Gespräch (aus Anlass der

Übergabe der Kündigung) im Wesentlichen gleich und streiten sie nur über den Tag, an

dem das Gespräch und damit die Übergabe der Kündigung stattgefunden hat, gehört es

zur Substantiierungsobliegenheit der beweisbelasteten Partei, Hilfstatsachen in den

Rechtsstreit einzuführen, die erklären können, weshalb sich das Geschehen gerade an

dem behaupteten Tag ereignet haben soll.

Sachverhalt: Arbeitnehmer ist bei einem Wachdienst beschäftigt und wird an der Pforte

einer industriellen Großbäckerei eingesetzt. Der Arbeitgeber besucht den Arbeitnehmer

an seinem Arbeitsplatz und reicht ihm dabei die Kündigung aus. Die Parteien streiten, ob

das an einem Mittwoch oder einem Freitag war. Wenn nachweisbar wäre, dass die

Kündigung bereits am Mittwoch übergeben wurde, hätte der Kläger die Klagefrist nach §

4 KSchG versäumt. – Der Arbeitgeber bietet zum Beweis der Übergabe und des Tags

der Übergabe Zeugenbeweis seiner Lebensgefährtin an und erklärt dazu, der Besuch am

Arbeitsplatz mit der Übergabe der Kündigung hätte zu seinem Feierabend hin

stattgefunden. In seinem Auto, das er vor der einsehbaren Pforte geparkt habe, habe

sich daher auch seine Lebensgefährtin befunden, die als Bürokraft im Betrieb mitarbeite.

Sie könne daher den Vorgang bekunden. – Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht

haben sich geweigert, die Zeugin zu vernehmen.

Hinweis: Möglicherweise ist die Entscheidung falsch. Denn jedenfalls der BGH geht bei

der Substantiierungslast längst nicht so weit. Zum Vergleich: „[4] Nach ständiger

höchstrichterlicher Rechtsprechung genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie

Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend

gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen; genügt das

Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, so kann der Vortrag

weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden; es ist Sache des Tatrichters, bei der

Beweisaufnahme die Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach allen Einzelheiten zu

fragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich

erscheinen (vgl. Sen. Urt. v. 16. März 1998 - II ZR 323/96, ZIP 1998, 956, 957 m.w.N.).

Diesen Maßstab der Substantiierungslast hat das Berufungsgericht verkannt und dadurch

schlüssiges, unter Beweis gestelltes Vorbringen der Beklagten zu wesentlichen

Umständen übergangen (§ 286 ZPO), die jedenfalls im Rahmen einer

Gesamtbetrachtung die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen

können." (BGH 13.7.1998 - II ZR 131/97 - NJW-RR 1998, 1409)

Verfahrensgang: Das BAG hat mit Beschluss vom 19. Januar 2010 – 9 AZN 734/09 –

die Beschwerde zurückgewiesen.

IV. Hinweispflichten des Arbeitsgerichts nach § 6 KSchG

LAG MV 21.04.2009 - 5 Sa 268/08 - Tätigkeitsaufnahme und Schriftlichkeit der

Befristungsabrede

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Leitsatz: … 2. Das Arbeitsgericht ist nach § 17 TzBfG in Verbindung mit § 6 KSchG

zumindest dann verpflichtet, den klagenden Arbeitnehmer auf die Gefahr des Verlusts

des Rügerechts nach § 6 KSchG hinzuweisen, wenn dazu ein konkreter Anlass besteht

(hier wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Vorbeschäftigungsverbot aus §

14 Absatz 2 TzBfG gegeben). Stützt der Arbeitnehmer seine Entfristungsklage nur auf die

Verfehlung der Schriftform (§ 14 Absatz 4 TzBfG), wird der Arbeitgeber im Anschluss an

die Güteverhandlung aber gleichwohl beauflagt, auch zum Sachgrund der Befristung

vorzutragen (§ 14 Absatz 1 TzBfG) und kommt er dieser Auflage durch den Hinweis auf §

14 Absatz 2 TzBfG nach, bedarf es zum Verlust des Rügerechts des fehlenden

Sachgrundes nach § 6 KSchG keines gesonderten Hinweises mehr, da diese Rüge vom

Gericht durch die Auflage bereits in den Rechtsstreit eingeführt wurde.

Hinweis: Weitere Aspekte der Entscheidung werden oben im Block Beendigung von

Arbeitsverhältnissen behandelt.

V. Einstweilige Verfügung

LAG MV 12.05.2009 - 5 SaGa 4/08 - Im Regelfall keine einstweilige Verfügung gegen die

Abordnung eines Lehrers an eine andere Schule

Leitsatz: Der Arbeitnehmer kann im Wege des Erlasses einer einstweiligen Verfügung

nur dann eine zeitweilige Versetzung bzw. Abordnung (hier: an eine andere Schule)

unterbinden lassen, wenn ihm über die mögliche Vertragswidrigkeit der Maßnahme

hinaus weitere Schäden drohen, die nicht mit Geld ausgeglichen werden könnten.

Sachverhalt: Es geht um einen jüngeren Lehrer, der nach neuem Recht mit beiden

Staatsexamina ausgebildet ist und der die Lehrbefähigung für den Unterricht an

Gymnasien (Mathematik und Informatik) hat. Seine Stammdienststelle ist ein Gymnasium

mit dem derzeit typischen Personalüberhang in den mathematisch-

naturwissenschaftlichen Fächern. Der Kläger sollte daher für ein Schuljahr an eine

Regionale Schule abgeordnet werden, um dort Unterricht in seinen Fächern zu geben.

Damit war er nicht einverstanden und hat sich mit dem Verfügungsverfahren gegen die

Abordnung gewehrt. Der Antrag war in beiden Instanzen erfolglos.

Hinweis: Das Hauptsacheverfahren hat sich durch Zeitablauf erledigt. Allerdings hat der

Kläger dann seinen Antrag verallgemeinert und die Feststellung begehrt, dass das

beklagte Land nicht berechtigt sei, ihn für ein Schuljahr an eine regionale Schule

abzuordnen. Mit diesem umgestellten Antrag hat der Kläger das Hauptsacheverfahren

gewonnen (LAG MV Urteil vom 20. April 2010 – 5 Sa 214/09 – Es wurde Revision

zugelassen). In der Sache geht es um den Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung

und dessen Grenzen.