Apel Seel et All_Intentionalität und Verstehen_Forum für Philosophi Bad Homburg_1990.pdf

156
Herausgegeben vom Forum für Philosophie Bad Homburg Siegfried Blasche, Wolfgang R. Köhler, Wolfgang Kuhlmann und Peter Rohs Intentionalität gilt nicht wenigen zeitgenössischen Philosophen als das grundlegende geistige Phänomen, weshalb sie sich von seiner Analyse sogar eine »Lösung« großer metaphysischer Probleme erhoffen, wie zum Beispiel des Leib-Seele-Problems oder des ursemantischen Problems, wo- her Laute und Zeichen eine Bedeutung erlangen. Es könnte scheinen, als hätte eine Theorie der Intentionalität gegenwärtig nur wegen der Künstli- che-Intelligenz-Forschung Konjunktur. Eher stellt sie indes eine philoso- phische Herausforderung für die kommunikationstheoretischen und tran- szendentalpragmatischen Ansätze in der Semantik dar. Denn diese sehen in Intentionalität ein Sekundärphänomen, weil ihnen zufolge alles dafür spricht, daß intersubjektiv identische Bedeutung, Vorverständnis und Verstehen die Primärphänomene darstellen. Intentionalität und Verstehen Herausgegeben vom Forum für Philosophie Bad Homburg Suhrkamp

Transcript of Apel Seel et All_Intentionalität und Verstehen_Forum für Philosophi Bad Homburg_1990.pdf

  • Herausgegeben vom Forum fr Philosophie

    Bad Homburg

    Siegfried Blasche, Wolfgang R. Khler, Wolfgang Kuhlmann und Peter Rohs

    Intentionalitt gilt nicht wenigen zeitgenssischen Philosophen als das grundlegende geistige Phnomen, weshalb sie sich von seiner Analyse sogar eine Lsung groer metaphysischer Probleme erhoffen, wie zum Beispiel des Leib-Seele-Problems oder des ursemantischen Problems, wo-her Laute und Zeichen eine Bedeutung erlangen. Es knnte scheinen, als htte eine Theorie der Intentionalitt gegenwrtig nur wegen der Knstli-che-Intelligenz-Forschung Konjunktur. Eher stellt sie indes eine philoso-phische Herausforderung fr die kommunikationstheoretischen und tran-szendentalpragmatischen Anstze in der Semantik dar. Denn diese sehen in Intentionalitt ein Sekundrphnomen, weil ihnen zufolge alles dafr spricht, da intersubjektiv identische Bedeutung, Vorverstndnis und Verstehen die Primrphnomene darstellen.

    Intentionalitt und Verstehen Herausgegeben v o m

    F o r u m f r Phi losophie

    B a d H o m b u r g

    Suhrkamp

  • CC ^$00 F

    H u r ' ' " ,

    CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Intentionalitt und Verstehen /

    hrsg. vom Forum fr Philosophie Bad Homburg, -i. Aufl. - Frankfurt am Main :

    Suhrkamp, 1990 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft ; 856)

    ISBN 3-518-28456-8 N E : Forum fr Philosophie CHomburg, Hhe>; G T

    suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 856 Erste Auflage 1990

    Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1990 Suhrkamp Taschenbuch Verlag

    Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des ffentlichen Vortrags, der bertragung

    durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Ubersetzung, auch einzelner Teile

    Satz und Druck: Wagner GmbH, Nrdlingen Printed in Germany

    Umschlag nach Entwrfen von , Willy Fleckhaus und Rolf Staudt

    1 2 3 4 5 6 - 95 94 93 91 9 ' 9

    Inhalt

    Wolfgang R. Khler Einleitung 7

    INTENTIONALITT UND B E D E U T U N G

    Karl-Otto Apel Ist Intentionalitt fundamentaler als sprachliche Bedeutung? Transzendentalpragmatische Argumente gegen die Rckkehr zum semantischen Intentionalismus der Bewutseinsphilosophie 13

    Carleton B. Christensen Gegen den Bedeutungsnominalismus 5$

    Georg Meggle

    Intention, Kommunikation und Bedeutung. Eine Skizze . 88

    Georg Meggle Intentionalistische Semantik. Ein paar grundstzliche Miverstndnisse und Klrungen 109 Peter Rohs Gedanken und Bedeutungen. Zu Georg Meggies Theorie der Kommunikation 127

    B E D E U T U N G E N UND B E R Z E U G U N G E N

    Andreas Kemmerling Genau dieselbe Uberzeugung 153

    Ansgar Beckermann Semantische Maschinen 196

  • B E R Z E U G U N G E N UND PERSONEN

    Wolfgang Knne Prinzipien der wohlwollenden Interpretation 212

    Martin Seel Am Beispiel der Metapher. Zum Verhltnis von buchstblicher und figrlicher Rede 2 3 7

    Wolfgang R. Khler Intentionalitt und Personenverstehen 2 7 3

    Hinweise zu den Autoren 3 1 0

    Wolfgang R. Khler Einleitung

    Intentionalitt und Verstehen sind offensichtlich aufeinander be-zogene Phnomene. Denn eine Person kann einer anderen Person etwas zu verstehen geben, wobei das, was sie zu verstehen gibt, ihre intentionalen Zustnde sind, das heit das, was sie glaubt, will, beabsichtigt, erwartet, befrchtet usw. Das Zuverstehenge-ben kann mit Hilfe von natrlichen oder symbolischen, das heit sprachlichen Zeichen vollzogen werden. Die Bedeutung dieser Zeichen ist dementsprechend nichtkonventionell oder konventio-nell. Wenn Intentionalitt in die verschiedenen intentionalen Zu-stnde - wie zum Beispiel Uberzeugungen, Wnsche, Absichten -zerlegt wird, erkennt man, da Intentionalitt auch auf Seiten der verstehenden Person ntig ist. Denn um y zu verstehen, mu x etwa glauben und im Erfolgsfall sogar wissen, da y etwas glaubt, will usw. Intentionalitt und Verstehen sind also komplementre Be-griffe, die auf den internen Zusammenhang zwischen einem, wenn man so sagen darf, Gemeinten und einem Erkennen des Gemeinten hinweisen. Bei sprachlichen Zeichen hat die verste-hende Person auer dem mit ihnen Gemeinten (intendierte Be-deutung) noch das mit diesen Zeichen Gesagte (wrtliche Bedeu-tung) sowie die Art der Zeichenverwendung in der uerung zu bercksichtigen (uerungsbedeutung). Ob allerdings das Mei-nen im Prinzip eines es Vermittelnden, insbesondere des Me-diums einer Sprache, bedarf oder nicht, ist umstritten. Intentionalitt gilt nicht wenigen zeitgenssischen Philosophen als ein Grundbegriff, weil sie in der Intentionalitt das grundlegende geistige Phnomen gefunden zu haben glauben, das andere geist-verwandte Phnomene, insbesondere sprachliche Bedeutung und Kommunikation, zu explizieren hilft (Grice, Bennett, Schiffer, Searle, Meggle). Diese Philosophen nennt man am besten Inten-tionalisten. Im Gegensatz dazu stellt sich fr die Intersubjektivi-sten (Apel, Habermas) die Beziehung zwischen Intentionalitt und sprachlicher Bedeutung, Kommunikation oder Verstndigung ge-nau anders herum dar: die Sprache(n) und nicht die intentionalen Zustnde von Personen bzw. Sprechern sind primr.

    7

  • Theoretisch geht der Streit also darum, ob man Intentionalitt die (genetische oder logische) Prioritt gegenber Kommunikation und Verstehen einrumen mu oder nicht. Es wird von den In-tentionalisten vermutet oder behauptet, da Personen kommuni-zieren und verstehen, weil sie intentionale Zustnde haben, wh-rend von den Intersubjektivisten gemutmat wird, da Personen nur deswegen intentionale Zustnde haben, weil es je schon Kommunikation und Verstehen gibt, also so etwas wie eine inter-subjektiv identische Bedeutsamkeit, einen logos semantikos, der die notwendige Bedingung fr Intentionalitt darstellt. In diesem Band werden drei Themenkomplexe behandelt, die untereinander und in sich in Beziehung stehen, nmlich: (i) In-tentionalitt und Bedeutung, (2) Bedeutungen und Uberzeugun-gen, (3) Uberzeugungen und Personen. Der vorliegende Band geht auf eine gleichnamige Tagung des Forums fr Philosophie Bad Homburg im Dezember 1987 zurck. Bei dem ersten Themenkomplex geht es um das Problem einer intentionalistischen Semantik, also letztlich um die Frage, ob in-tentionale Zustnde wie Absichten oder Uberzeugungen von Handelnden (sie sind ja nach dieser Semantik noch keine Spre-cher) fundamentaler (Apel) sind als die Bedeutungen von Wr-tern, Stzen, uerungen. Die Frage zielt auf die Mglichkeit einer Definition von sprachlicher Bedeutung durch intentionale Zustnde von sich uernden Handelnden bzw. Sprechern. Es wird dementsprechend eine philosophische Auseinandersetzung um die richtige Art der Bedeutungstheorie gefhrt. Darf man sich mit einer intentionalistischen Semantik zufriedengeben, darf oder mu man sie intersubjektivistisch erweitern? Fr die Intersubjek-tivisten mu man wegen des Handlungsaspekts der sprachlichen uerungen die Bedeutungstheorie als Ganzes zu einer kommu-nikationstheoretischen Pragmatik bzw. zu einer transzendental-pragmatischen Hermeneutik erweitern, whrend der auch von den Intentionalisten zugegebene, ja hervorgehobene, Handlungs-aspekt gerade keinen Grund fr eine solche Erweiterung dar-stellt.

    In seinem Aufsatz beantwortet Apel seine Titelfrage anhand der neuen intentionalistischen Philosophie des Geistes von John Searle dahingehend, da Intentionalitt nicht fundamentaler ist als sprachliche Bedeutung. Apel verteidigt dabei Searle I, das heit den Autor von Sprechakte, gegen Searle II, das heit den 8

    Autor von Intentionalitt, indem er transzendentalpragmatische Argumente gegen Searles jngste Fundierung der Sprechakttheo-rie durch die Intentionalittstheorie vorbringt. Apel geht es na-trlich darum, die Errungenschaften der sprachanalytischen ge-genber bewutseinsphilosophischen Bedeutungstheorien (von Kant bis Husserl) zu bewahren. Er pldiert dafr, die schon von Austin und Searle I nahegelegte Erweiterung des linguistic turn durch den pragmatic turn zu ergnzen und auszubauen. Er weist im Detail auf, da die intentionalistische Semantik von Searle II fr die Explikation der illokutionren Kraft von Sprechakten in-adquat ist, und schlgt statt dessen eine sprachpragmatische L-sung vor. Auch Christensen bestreitet, da die intentionalistische -Semantik den Begriff sprachlicher Bedeutung durch Bezugnahme auf Sprecherintentionen erklren kann. Er wirft Grice einen dop-pelten Reduktionismus vor. Da auch Meggle das Gricesche Grundmodell fr inadquat hlt, mag berraschen, weil er doch selber eine intentionalistische Se-mantik vertritt. Aber er mchte dieses Modell nicht verabschie-den, sondern verbessern, indem er es in seinen handlungs- bzw. kommunikationstheoretischen und bedeutungstheoretischen An-satz integriert. Wenn ich Meggle recht verstehe, besteht die sach-liche Reihenfolge dabei in dem Weg von der Intentionalitt ber die Kommunikation der Intentionalitt zur (Erzeugung von) Be-deutung sprachlicher Zeichen. Das heit: Sprachliche Bedeutung soll auf eine zirkelfreie Weise durch Rekurs auf Nichtsprachli-ches, nmlich intentionale Zustnde und kommunikative Hand-lungen, erklrt werden. Meggle betrachtet seinen Erklrungsver-such auerdem als eine Absage an die traditionelle realistische Semantik, weil er in ihr den Zeichengebrauch und die Kommuni-kationspraxis nicht angemessen bercksichtigt sieht. Daher weist seine Semantik eigentlich in die Richtung einer in seinem Sinne richtig verstandenen Pragmatik, und das ist eine auf der Basis einer Pragmatik entwickelte Semantik. Nach Meggle grndet die Bedeutungstheorie auf der Handlungstheorie. Der auf Meggle wohlwollend kritisch eingehende Beitrag von Rohs dient nicht nur der Klrung eines von Rohs fr wichtig gehaltenen Unterschieds (zwischen Bedeutungen und Gedan-ken), sondern auch der Hervorhebung einiger schwieriger Pro-bleme einer intentionalistischen Semantik Megglescher Art, auch wenn Rohs selber intentionale Zustnde, wie zum Beispiel Ge-

    101

  • danken, fr der Sache nach fundamentaler hlt als sprachliche Bedeutungen. Fr Rohs ist eine realistische Semantik nicht als solche schon defekt. Bei dem zweiten Thema kommt es nicht auf eine Bedeutungstheo-rie bzw. Semantik an, sondern auf die Frage nach der Abhngigkeit oder Unabhngigkeit intentionaler Zustnde von (schon vorhan-denen) sprachlichen Bedeutungen. Kemmerling etwa will die Frage beantworten, ob eine begrifflich kontinuierliche Fortsetzung der Alltagspsychologie mit wissenschaftlichen Mitteln mglich (ist), wenn in der wissenschaftlichen Psychologie der auch dort vor-kommende Uberzeugungsbegriff seine umgangssprachliche Be-deutung nicht ganz verlieren soll. Kemmerling meint, da der um-gangssprachliche Begriff der Uberzeugung keine scharfe Kontur hat, so da es keine klare Identittsbedingung fr genau dieselbe berzeugung (zweier Personen oder einer Person zu verschiede-nen Zeiten) gibt, die von einer wissenschaftlichen Psychologie miachtet oder beachtet werden knnte. Die alltagssprachliche Bedeutung von glauben, da p liefere uns zwar Kriterien fr die Zuschreibung von glaubt, da p zu Person A, aber nicht fr die strikte Individuierung A glaubt genau dasselbe wie B. Auch Beckermann beschftigt sich mit einem Problem der kogni-tiven Psychologie, allerdings unter dem Aspekt der Knstliche-intelligenz-Forschung. Auf diesem Gebiet habe sich nach Daniel Dennett die unlsbare Aufgabe gestellt, zu erklren, wie rein syntaktische Maschinen semantische Leistungen erbringen kn-nen, wie sie das Gehirn des Menschen aufgrund seiner Fhigkeit erbringen kann, Bedeutungen von Reizen zu erfassen und zu unterscheiden. Beckermann stellt die These auf und versucht sie auch en detail zu begrnden, da sich semantische Maschinen konstruieren lassen. Dabei geht es um den Nachweis, da ber-zeugungen und andere intentionale Zustnde auch auerhalb je-der Menschensprache verstanden bzw. auerhalb jedes menschli-chen Gehirns realisiert werden knnen, so da die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks auch von einer rein syntaktischen Maschine erfat werden kann - die dadurch sich als eine semanti-sche Maschine erwiese. Wenn nun eine Maschine (bzw. ein Sy-stem) die Wahrheitsbedingungen von Stzen kennte, sie (bzw. es) also wte, unter welchen Bedingungen Stze wahr wren, dann wre der semantische Begriff der Bedeutung und des Verstehens von Stzen entmystifiziert.

    10

    Im dritten Teil dieses Bandes wird ein anderer Aspekt des Ver-hltnisses zwischen Intentionalitt und Verstehen beleuchtet, nmlich der zwischen berzeugungen und Personen. Zwar wer-den in diesem Teil auch bedeutungstheoretische berlegungen angestellt, aber doch nicht in der Weise, da das Pro und Contra der intentionalistischen Semantik bzw. der intersubjektivistischen Pragmatik im Vordergrund steht. Knne beschftigt sich mit den Prinzipien der wohlwollenden Interpretation anhand von drei Autoren (Gadamer, Davidson und Meier), deren unterschiedli-che, aber auch gemeinsame Auffassungen dieses urhermeneuti-schen Prinzips wohl selten miteinander verglichen worden sind. Dabei zeigt sich, da dieses Prinzip in gewisser Weise das Para-digma fr die interne Beziehung zwischen Intentionalitt und Verstehen ist. Denn es liegt auf der Hand, da ein wohlwollendes Verstehen einer Sprechhandlung oder einer Rede genau das auf-spren mu, was der Sprecher oder Autor gemeint hat bzw. ge-meint haben knnte, wenn ihm zu seinem Thema berzeugun-gen zuschreibbar sein sollen. Hier ergeben sich, keineswegs ber-raschend, Parallelen zum nachfolgenden Aufsatz Seels ber meta-phorische Rede und zu meinem eigenen Aufsatz ber Personen-verstehen. Knne zeigt insbesondere anhand von Davidsons Theorie der radikalen Interpretation bzw. des Urverstehens, welche Karitas ein Interpret walten lassen mu, wenn er hofft, mit Hilfe eines (Davidsonschen) Wahrheitsbedingungenkalkls einen Bedeutungskalkl fr eine natrliche Sprache zu erzeugen, der ihm hilft, deren Stze zu verstehen sowie herauszufinden, wovon deren Sprecher berzeugt sind.

    Seel schlielich geht es um das Verhltnis von buchstblicher und figrlicher Rede. Er mchte zeigen, da die figrliche Rede bzw. uneigentliche Sprachverwendungen erstens ein unverzicht-barer Teil der menschlichen Sprache sind und zweitens von den bekannten neueren Sprachtheorien nicht angemessen berck-sichtigt werden, weil sie die konstitutive Rolle von Ironie, Meta-phern usw. nicht anerkennen. Seel kritisiert sowohl die Frank-furter Pragmatik als auch die intentionalistische Semantik, weil jene verkennt, da die uneigentliche Rede selbst ein paradigma-tischer Fall der >originalen< sprachlichen Verstndigung ist, und weil diese erstens den nicht-kommunikativen Gebrauch, zweitens die Sprachabhngigkeit und drittens die Ausdrucksintentionalitt figrlicher Rede verfehlt.

    i i

  • In meinem eigenen Aufsatz geht es hauptschlich darum, zu zei-gen, da das Verstehen von Personen (im Sinne des Selbstverste-hens wie des Fremdverstehens) etwas Eigentmliches darstellt, weil es zwar bei dem Verstehen des Handelns und Redens an-setzt, aber ber es hinausgeht und nicht auf es reduziert werden kann. Auerdem steht hier das Verstehen in einem asymmetri-schen Verhltnis zu seinem Gegensatz, weil dieser nicht als Mi-, sondern nur als Nichtverstehen begriffen werden kann. Insbeson-dere ist Personenverstehen vom Verstehen von Handlungen und Texten zu unterscheiden, weil nur in jenem, nicht aber in diesen eine Erste-Person-Perspektive, nmlich das Selbstverstehen, zum Tragen kommt. Dieses ist mit dem Fremdverstehen vielfltig ver-schrnkt. Obwohl Personenverstehen kognitiv ist, weil es auf der Erkenntnis von intentional-mentalen Zustnden beruht, die sprachpragmatisch gegeben sind, so ist es dennoch poetisch. Und wenn berhaupt ein Verstehen sich als fragmentarisch er-weist, dann das Personenverstehen.

    Karl-Otto Apel Ist Intentionalitt fundamentaler

    als sprachliche Bedeutung? Transzendentalpragmatische Argumente

    gegen die Rckkehr

    zum semantischen Intentionalismus

    der Bewutseinsphilosophie*

    i . Problemstellung

    Ich mchte im folgenden eine sehr allgemeine und sehr funda-mentale Streitfrage der Philosophie unseres Jahrhunderts behan-deln: die Frage nach der methodologischen Prioritt entweder des intentionalen Bewutseins oder der Sprache fr die Bestimmung von Bedeutung. Die Frage lt sich auch so stellen: Was ist fun-damentaler (more basic) fr die Begrndung einer Bedeutungs-theorie: die im Sinne sprachlicher Konventionen fixierte Bedeu-tung von Zeichen oder die Bedeutung, die wir aufgrund unserer vorsprachlichen Bewutseinsintentionalitt den Zeichen verlei-hen, indem wir sie physischen Zeichenvehikeln auferlegen? Stellt man die Frage in dieser Form, dann ergibt sich als histori-sche Ausgangssituation im 20. Jahrhundert etwa folgendes Bild: Zunchst hat die Phnomenologie Husserls eine prlinguistisch orientierte, im angedeuteten Sinn intentionalistische Bedeutungs-theorie entwickelt. In ihr sollten die intentionalen Leistungen des Ich-Bewutseins, die im Prinzip als solche eines solipsi-stisch-autarken und insofern transzendentalen Bewutseins ver-standen werden knnten, fr die ursprngliche Konstitution allen sprachlich ausdrckbaren Sinns verantwortlich sein. Diese im transzendentalphnomenologischen Sinn intentionalistische Be-deutungstheorie wurde jedoch, im Gefolge der analytischen Phi-losophie, durch eine sprachlich orientierte Bedeutungstheorie ab-

    * Die vorliegende Arbeit erscheint auf englisch als Beitrag zur Festschrift zum 60. Geburtstag von John R. Searle.

    J 3

  • gelst. Dabei kann man - wie bekannt - zwischen zwei Phasen unterscheiden, die gewhnlich als Philosophie der idealen Sprache und als Philosophie der Alltagssprache (ordinary language philosophy) bezeichnet werden. Ich mchte im gegenwrtigen Zusammenhang eher darauf abheben, da die erste Phase als die einer formalen Semantik propositionaler Stze von der sogenann-ten pragmatischen Dimension des Sprachgebrauchs durch Spre-cher/Hrer mehr oder weniger konsequent abstrahierte, whrend die zweite Phase diese pragmatische Dimension als integrative Funktion der natrlichen Sprache erneut einfhrte - so die Sprachspieltheorie des spten Wittgenstein und die Theorie der Sprechakte. Insbesondere der Ausgang von Sprechakten macht es nun verstndlich, da in der zweiten Phase neben der primr an Sprachkonventionen orientierten Theorie Austins auch wiederum Bedeutungstheorien auftraten, welche die sprachliche Bedeutung auf vorsprachliche, mentale Intentionen (im weitesten Sinne) zu reduzieren versuchten. Unter diesen - im weiteren Sinn intentio-nalistischen - Bedeutungstheorien lassen sich, soweit ich sehe, zwei sehr verschieden akzentuierte Anstze unterscheiden: Zunchst der Ansatz von Paul Grice, der bis in die jngste Zeit hinein Nachfolger fand.1 Dieser Ansatz zeigt - abgesehen vom mentalistischen Reduktionismus berhaupt - wenig hnlichkeit mit der Husserlschen Bedeutungstheorie, da er als Reduktionsba-sis nicht das Gesamtspektrum der Bewutseinsintentionalitt, sondern lediglich die im engeren Sinn so genannten Handlungsin-tentionen auszeichnet und insofern den Begriff der Sinnintention auf den der zweckrationalen Erzeugung von Sprechhandlungsef-fekten im Bewutsein des Hrers reduziert. Fat man die inten-dierten Effekte mit Austin als perlokutionre Effekte auf, dann lt sich dieser Ansatz am besten mit Max Webers Auffassung der sozialen Handlungen als reziproke, zweckrationale Handlungen vergleichen; was besagt, da sprachliche Kommunikation hier letztlich auf strategische Interaktion, wie sie etwa in der kono-mischen Spieltheorie analysiert wird, sollte reduziert werden knnen. Ich habe mich mit dieser Version der intentionalistischen Bedeutungstheorie an anderer Stelle kritisch auseinandergesetzt.2

    Sehr verschieden davon, und allem Anschein nach eher verwandt mit der Husserlschen Bedeutungstheorie, ist dagegen die inten-tionalistische Bedeutungstheorie, die zuletzt John Searle in sei-nem Buch Intentionalitt entwickelt hat.3 Hier wird, so scheint

    5 101

    es, die ursprngliche Sinnkonstitutionsleistung der Bewutseins-intentionalitt - hnlich wie bei Husserl - von jeder kommunika-tiven, auf Erzeugung von Effekten im Bewutsein der Hrer gerichteten Zweckrationalitt eher abgekoppelt, und zwar nicht nur von der auf perlokutionre Effekte gerichteten Zweckin-tentionalitt, sondern erstaunlicherweise sogar von der auf illo-kutionre Effekte (und das heit: auf Kommunikation von Sinn berhaupt) gerichteten Intentionalitt. Searle selber formuliert diesen Punkt folgendermaen:

    Kommunikation ist eine Sache des Hervorrufens von Wirkungen in H-rern, doch kann man die Absicht haben, etwas zu reprsentieren, ohne sich berhaupt darum zu scheren, welche Wirkungen man etwa bei seinen Hrern hervorruft. Man kann eine Feststellung machan, ohne die Absicht zu haben, seine Hrer zu berzeugen, und auch ohne die Absicht zu haben, seine Hrer zu der Uberzeugung zu bringen, da man selbst glaubt, was man sagt; ja sogar ohne die Absicht zu haben, da die Fest-stellung berhaupt verstanden wird. Es gibt folglich zwei Aspekte der Bedeutungsabsicht: die Absicht zu reprsentieren und die Absicht zu kommunizieren. Die traditionelle Errterung dieser Probleme (und da schliee ich meine eigene Arbeit ein) krankt daran, da nicht zwischen den beiden unterschieden wird, und an der Annahme, Bedeutung und Meinen lieen sich ganz und gar durch Kommunikationsabsichten erkl-ren. Gem der hier vorgelegten Theorie besitzt Reprsentation Prioritt gegenber der Kommunikation, und Reprsentationsabsichten besitzen Prioritt gegenber Kommunikationsabsichten. Ein Teil dessen, was man kommuniziert, ist der Gehalt der eigenen Reprsentationen, aber man kann die Absicht haben, etwas zu reprsentieren, ohne eine Kommunika-tionsabsicht zu haben (ebd., S. 209).

    Die Pointe dieser Abkopplung der Bedeutungsintention von der Kommunikationsintention liegt meines Erachtens in der folgen-den Unterstellung: Es soll mglich sein, die Struktur der Feststel-lung (statement) als Sprechakt - und das besagt zugleich: die Struktur eines Satzes, der nicht nur einen propositionalen Inhalt hat, der einen Sachverhalt reprsentiert, sondern auch einen per-formativen Bestandteil, der die illokutionre Kraft der Feststel-lung anzeigt - zu verstehen, ohne die Kommunikationsintention im Prinzip vorauszusetzen, das heit, ohne vorauszusetzen, da auch eine Feststellung, die actualiter nicht mitgeteilt werden soll, doch im Prinzip - auer der Reprsentationsfunktion des propo-sitionalen Satzinhalts - auch die Struktur des potentiellen Kom-munikationsaktes stets implizieren mu.

  • Mit dieser Abkopplung der Bedeutungsintention von der Kom-munikationsintention scheint mir in Searles Buch Intentionalitt der Rckgang hinter den linguistic turn berhaupt zusammen-zuhngen. Ganz hnlich wie Husserl geht Searle hier auf die I n -tentionalitt des Bewutseins (Intentionality of the mind) im weitesten Sinne - das heit intentionale Zustnde wie berzeu-gungen, Wnsche und unter anderem auch Handlungsintentio-nen - zurck, um von dieser Basis aus die verschiedenen Bedeu-tungen von Sprechakten, insbesondere auch die Mglichkeit der verschiedenen Klassen von Sprechakten, zu erklren. Die hier magebenden programmatischen Formulierungen Searles lauten: Eine natrliche Konsequenz des in diesem Buch vertretenen biologi-schen Ansatzes ist es, Bedeutung und Meinen - in dem Sinne, in dem Sprecher etwas mit ihren uerungen meinen - als eine besondere Ent-wicklung primitiverer Intentionalittsformen zu betrachten. So verstan-den sollte das Meinen sich vollstndig durch primitivere Intentionalitts-formen definieren lassen (ebd., S. 203).

    Ausgehend von den hier gemeinten Intentionalittsformen, die sich letztlich mit psychologischen Begriffen wie berzeugung, Wunsch und Absicht analysieren lassen (ebd., S. 204), sollen sich auch die mglichen Formen der Bedeutung - und insofern auch die mglichen Klassen von Sprechakten - erklren lassen: Die Intentionalitt des Geistes schafft nicht blo die Mglichkeit des Meinens und der Bedeutung, sondern sie beschrnkt auch deren Formen. . . . Ein weiteres Ziel der Analyse des Meinens und der Bedeutung ist es demnach, zu zeigen, in welcher Weise die Mglichkeiten und Beschrn-kungen des Meinens und der Bedeutung von der Intentionalitt des Gei-stes herrhren (ebd., S. 211).

    Daraus ergibt sich fr Searle - ganz hnlich wiederum wie bei Husserl (und der gesamten Philosophie vor dem linguistic turn) -fr die Erklrung der Mglichkeit sprachlicher Bedeutung die folgende Grundfrage: Das Problem des Meinens und der Bedeutung ist: Wie verleiht der Geist Entitten Intentionalitt, die nicht an sich intentional sind? Wie ist es mglich, da bloe Dinge reprsentieren knnen? (ebd., S.21 iff.).

    Es ist sehr charakteristisch, da Searle diese Grundfrage am Bei-spiel einer Signalgeste erlutert, deren Bedeutung eigens verabre-det wird: Angenommen, Sie und ich haben im voraus abgemacht, da, wenn ich meinen Arm hebe, dies als Signal dafr gilt, da das-und-das der Fall ist.

    17 101

    Angenommen, es handelt sich um einen militrischen Kontext, ich stehe auf einem Hgel und signalisiere Ihnen herber, da der Feind sich zu-rckgezogen hat - und zwar tue ich das gem vorheriger Abmachung dadurch, da ich den Arm hebe (ebd., S. 211).

    Wird hier nicht die eigentliche Grundfrage nach der Konstitution der sprachlichen Bedeutung durch die Bewutseinsintentionalitt nur verschoben - da ja die Verabredung der Signal-Bedeutung schon das Bestehen sprachlicher Bedeutungskonventionen vor-aussetzt? Eben dieser Einwand drngt sich auch auf, wenn Searle das Problem der Bedeutungskonstitution folgendermaen expli-ziert:

    Das Problem der Bedeutung und des Meinens wrde sich auch Men-schen stellen, die sich ohne Verwendung einer gemeinsamen Sprache mit-einander verstndigten. Im Ausland komme ich beispielsweise gelegent-lich in die Lage, mich mit Menschen verstndigen zu wollen, die keine Sprache sprechen, die ich beherrsche. In solch einer Situation stellt sich das Problem des Meinens in einer zugespitzten Form, und meine Frage ist: Was an meinen Absichten macht sie gerade zu Absichten des Meinens, zu Bedeutungsabsichten? In solch einer Situation meine ich etwas mit meinen Gesten, whrend ich in einer andern Situation mit denselben Ge-sten nichts meine (ebd., S. 205).

    Auch diese Situation scheint kaum geeignet, das Problem der Bedeutungskonstitution zu illustrieren; denn es ist doch anzuneh-men, da die Bedeutung der Gesten, die hier bei der nichtsprach-lichen Kommunikation gebraucht werden, ihrerseits schon von einer Sprache abhngig sind - und dies sowohl im Falle Searles, der seinen Gesten Bedeutung auferlegt, als auch im Falle der Adressaten, welche die Bedeutung der Gesten schon im Lichte ihrer Sprache verstehen. Insofern ist das Beispiel jedenfalls weit davon entfernt, eine Vorstellung solcher Bedeutungsintentionen zu vermitteln, die man bei Menschen unterstellen knnte, die -ganz ohne die Voraussetzung einer mit anderen geteilten Spra-c h e - mit irgend jemandem kommunizieren knnten. (Sogar Tiere wie Bienen oder Delphine scheinen ja bei der Kommunika-tion einen sprachlichen Code - sei dieser auch eher durch Instinkt als durch Konventionen bedingt - vorauszusetzen.) Nur an folgender Stelle scheint Searle die Frage der Bedeutungs-konstitution tatschlich in radikaler Form zu stellen:

    Angenommen, es gbe Lebewesen, die zwar intentionale Zustnde wie berzeugungen, Wnsche und Absichten haben knnten, die aber keine

  • Sprache htten; was brauchten lit noch, um sprachliche Handlungen voll-ziehen zu knnen? (ebd., S . 1 1 } ) .

    Doch in diesem Falle knnte man geneigt sein zu antworten: Es ist schwer vorstellbar, da es irgendwelche Wesen geben knnte, denen man differenzierte intentionale Zustnde - wie diejenigen, die wir berzeugung, Wunsch oder Absicht nennen - zu-schreiben knnte, ohne bei ihnen zugleich eine Art Sprache, sei es einen konventionellen oder sei es einen instinktgebundenen Zei-chen-Code, voraussetzen zu mssen. Allenfalls - allerdings -kann man unterstellen, da im Falle der menschlichen Evolution die Differenzierung der intentionalen Zustnde und der mgli-chen Bedeutungsintentionen einerseits und die Differenzierung der konventionellen Bedeutungen der Sprache sich wechselseitig bedingt haben. Eine solche Unterstellung wrde aber eine einsei-tige Reduktion der mglichen sprachlichen Bedeutungen auf nichtsprachliche Bewutseinsintentionalitt gerade nicht recht-fertigen. Die vorstehenden Bemerkungen ber die Eigenart der Searle-schen Bedeutungstheorie mgen vorerst gengen, um verstnd-lich zu machen, warum ich in bezug auf diesen Ansatz die im Titel meines Beitrags exponierte Frage erneut aufwerfen mchte. Wie im Titel ebenfalls angedeutet, mchte ich aus der Sicht des linguistic turn der Gegenwartsphilosophie sowohl die Unabhn-gigkeit der menschlichen Bedeutungsintentionen von der Kom-munikationsintention als auch ihre Unabhngigkeit von der Spra-che in Frage stellen. Dabei bin ich besonders durch den folgenden Umstand motiviert: In seinem heute bereits klassischen Buch Sprechakte von 19694 konnte Searle durchaus als Vertreter des linguistic turn erschei-nen. Als solcher ist er zumindest von Jrgen Habermas und von mir verstanden worden; genauer gesagt, im Sinne einer Sprach-pragmatik, in welcher die Semantik der sprachlichen Stze im Sinne Austins mit der Pragmatik der. Sprechakte, die normaler-weise durch die uerung der Stze erzeugt werden, integriert wird und so die sprachliche Bedeutung erstmals von der perfor-mativ-propositionalen Doppelstruktur aller expliziten sprachli-chen Stze her verstanden werden kann.5 Durch diesen Ansatz schien mir die propositionale Reprsentationsfunktion der Bedeu-tung sowohl von der performativ indizierten Kommunikations-1 8

    funktion unterschieden als auch von ihr abhngig gemacht zu sein. In der Abhngigkeit auch der aktuell einsamen Reprsenta-tionsleistung von der potentiellen Kommunikationsleistung - zum Beispiel der Reprsentationsleistung einer Feststellung von der normalerweise zugehrigen Informationsleistung der Feststel-lung - schien mir aber auch dies impliziert zu sein: Sowohl die Reprsentationsfunktion der Bedeutung als auch die performativ indizierte Kommunikationsfunktion sind prinzipiell immer schon durch eine in der Kommunikation gebrauchte und entwik-kelte (differenzierte) Sprache mitbestimmt. Vor dem Hintergrund dieser Rezeption, die vielleicht auf einem Miverstndnis beruhte, erschien mir das Buch Intentionalitt von 1983, in dem die philosophy of language auf eine philos-ophy of mind zurckgefhrt werden soll, als Dokument einer erstaunlichen Wende - erstaunlich sowohl hinsichtlich der Ent-wicklung der sprachanalytischen Philosophie als auch hinsicht-lich der Entwicklung der Searleschen Philosophie, deren Konsi-stenz und Kohrenz in Frage gestellt schien. Im folgenden mchte ich diesen Eindruck einer erstaunlichen Wende und das zugrundeliegende Verstndnis der Entwicklung der sprachanalytischen Philosophie sowie insbesondere der Searleschen Philosophie genauer zu explizieren versuchen. Dabei mchte ich auf jeden Fall mein ursprngliches Verstndnis der Sprechakttheorie von Searle 1 - beruhe dies nun auf einem Mi-verstndnis oder nicht - als Basis einer Verteidigung des linguistic turn im Sinne seiner mglichen Integration mit dem pragmatic t u m und insofern auch einer Theorie selbstreflexiver Sinninten-tionen verteidigen.

    11. Z u r Vorgeschichte der intentionalen Semantik in der sprachanalytischen Philosophie.

    Die Ergnzung des linguistic turn durch den pragmatic turn und die Frage nach ihrer Vereinbarkeit

    In diesem Zusammenhang erhebt sich zunchst einmal die fol-gende Frage: Was haben wir eigentlich unter dem linguistic turn in der Philosophie dieses Jahrhunderts zu verstehen, und

    19

  • inwiefern ist durch ihn die Sprachphilosophie hinsichtlich der methodologischen Prioritt zum Rivalen der Bewutseinsphi-losophie erhoben worden?

    Ii. i Der linguistic turn in der analytischen Philosophie. Erste Phase

    Eine kurze und sehr klare Antwort auf die gestellte Frage hat meines Erachtens Wittgenstein, der eigentliche Inaugurator des linguistic turn, gegeben, und zwar in einem Diktum, das retro-spektiv die Pointe des Tractatus logico-philosophicus zusammen-fat. Es lautet:

    Die Grenze der Sprache zeigt sich in der Unmglichkeit, die Tatsache zu beschreiben, die einem Satz entspricht (...), ohne eben den Satz zu wie-derholen. (Wir haben es hier mit der Kantischen Lsung des Problems der Philosophie zu tun.)6

    Hier wird die transzendentalphilosophische Pointe des linguistic turn deutlich, und zwar dadurch, da Kants oberster Grundsatz der synthetischen Urteile - Die Bedingungen der Mglichkeit der Erfahrung sind zugleich die Bedingungen der Mglichkeit der Gegenstnde der Erfahrung - sprachphilosophisch uminterpre-tiert wird. Er lautet dann etwa so: Die Bedingungen der Mglich-keit der Beschreibung der erfahrbaren Tatsachen - nmlich die propositionalen Stze als Reprsentationen von Tatsachen - sind zugleich die Bedingungen der Mglichkeit der beschreibbaren Tatsachen. Die Pointe dieser transzendentalphilosophischen Interpretation des Tractatus (die von Erik Stenius vollstndig entfaltet wurde7) zeigt sich auch in Tarskis berhmtem Definitionsschema fr die semantische - und das heit a priori auf eine (formalisierte) Spra-che bezogene - Explikation des Wahrheitsbegriffs, welches lau-tet: Der Satz >p< ist wahr dann und nur dann, wenn p. Am Beispiel: Der Satz >die Katze ist auf der Matte< ist wahr dann und nur dann, wenn die Katze auf der Matte ist.8

    Man knnte hier versucht sein, weiter zu fragen: Wann ist es denn der Fall, da die Katze auf der Matte ist? Das heit: Unter welchen nachweisbaren Bedingungen knnen wir sagen, da dies der Fall ist? Doch Wittgenstein und Tarski mten antworten:

    20

    Dies knnen wir eben nicht beschreiben, ohne den propositiona-len Satz zu wiederholen, in dem die Tatsache als solche beschrie-ben ist. Die Weltreprsentation durch Sprache - hier genauer: durch die Struktur des propositionalen Satzes - ist eben nicht hintergehbar. Darin zeigt sich der methodologische Primat des Sprach aprioris? Ein Phnomenologe, der mit Husserl den Primat des Bewutseins der gegebenen Phnomene vertritt, knnte hier folgendes ein-wenden: Aber ich kann mich doch durch Wahrnehmung davon berzeugen, da meine bloe Meinung, da die Katze auf der Matte (und nicht etwa auf der Fensterbank) ist, einer phnomenal gegebenen Tatsache entspricht. Man kann diesen Wahrneh-mungstatbestand sogar photographieren; dann knnen sich alle Betrachter des Photos davon berzeugen, da meiner Meinung eine Tatsache entspricht bzw. entsprach. Dem phnomenal gege-benen Wahrnehmungstatbestand kommt also insofern der Status eines objektiven Wahrheitskriteriums zu, das die blo verbale Beschreibung der Tatsache in einem propositionalen Satz tran-szendiert. Ist durch diesen Einwand die These von der methodologischen Nichthintergehbarkeit der sprachlichen Weltreprsentation wi-derlegt? Ja und nein, je nachdem, in welcher Hinsicht von Nicht-hintergehbarkeit die Rede ist. Tatschlich wird durch das phnomenologische Argument ge-zeigt, da die deskriptive Reprsentation der Tatsache durch ei-nen propositionalen Satz in einer bestimmten Hinsicht ber-schritten werden kann: nmlich im Hinblick auf die perzeptive Identifikation des gegebenen Phnomens, das meinem Bewut-sein die Evidenz fr die Korrespondenz zwischen der blo behaupteten Tatsache und der phnomenal gegebenen Tatsache liefert. Auf diese Weise lt sich tatschlich nachweisen, da BewutseinsewWeraz nicht auf ein blo psychologisch relevantes Evidenzgefhl reduziert werden kann, wie es die Vertreter des linguistic turn zeitweilig behauptet haben. Die Mglichkeit des Photographierens bezeugt ja zum Beispiel die Unterscheidung zwischen einem objektiven Evidenzkriterium der Wahrheit und einem blo subjektiven Evidenzgefhl. Und insofern ist Bewut-seinsevidenz ein zumindest notwendiges, das heit unentbehrli-ches Kriterium der Besttigung und der Falsifikation von wissen-schaftlichen Hypothesen durch Wahrnehmungsurteile; es ist

  • nicht, wie Popper meint, eine blo psychologisch relevante Ursa-che der subjektiven Akzeptierung von Basisstzen der Wissen-schaft, sondern ein epistemologisch relevanter Grund ihrer inter-subjektiven Akzeptierung.10

    Sofern die Bewutseinsevidenz zugleich fr die Selbstreflexion eine Korrespondenz zwischen der intentional gemeinten und der phnomenal gegebenen Tatsache bezeugt, erffnet sich hier auch ein phnomenologischer Ausweg aus dem bekannten circulus vi-tiosus der metaphysischen und der rein logisch-semantischen Korrespondenztheorie der Wahrheit. Dieser Zirkel liegt ja darin, da man die Korrespondenz zwischen einer wahren Proposition und einer abstrakten Tatsache nur so explizieren kann: Eine wahre Proposition ist das, was einer Tatsache entspricht, und eine Tatsache ist das, was einer wahren Proposition entspricht. Dieser schlechte Zirkel - der auch die kriteriologische Irrelevanz der Tarskischen Wahrheitsdefinition bedingt - wird nun offenbar durch das Kriterium der Evidenz fr Korrespondenz zwischen Gemeintem und phnomenal Gegebenem durchbrochen. Kurz: in der Hinsicht der perzeptiven Identifikation von phnomenaler Evidenz lt sich die propositionale Reprsentation der Erfah-rungswelt tatschlich transzendieren; und in dieser Hinsicht ist nicht die Sprache das nichthintergehbare Erfahrungsapriori, son-dern das Bewutsein der perzeptiven Evidenz. Dennoch wird die Pointe der Wittgensteinschen Explikation des linguistic turn durch die phnomenologische Evidenztheone der Wahrheit in der Hinsicht nicht widerlegt, in der sie eigentlich gemeint war: als Hinweis auf das Sprachapriori der Beschreibbar-keit von erfahrbaren Tatsachen. Davon kann man sich anhand des folgenden Beispiels leicht berzeugen: Angenommen, ein Ent-deckungsreisender prsentiert uns ein Photo, auf dem etwas zu sehen ist, von dem niemand sagen kann, was es ist-, gleichwohl mag das Abgebildete durch bestimmte Frb- und Formqualitten charakterisiert sein. In diesem Fall ist zwar die perzeptive Kon-frontation mit einem qualitativ gegebenen Phnomen bezeugt; aber es fehlt jede interpretative Bestimmung des gegebenen Ph-nomens als etwas, weil die entsprechende Mglichkeit einer sprachlich-propositionalen Beschreibung fehlt. Hier zeigt sich, da die perzeptive Bewutseinsevidenz eines gegebenen Phno-mens sehr wohl mit der Abhngigkeit der Erkenntnis von etwas als etwas vom Sprachapriori kompatibel ist. Das lt sich durch 22

    eine semiotische Erkenntnistheorie auch genauer verstndlich machen: Der Begrnder der pragmatischen Semiotik und Phnomenologie (bzw. Phaneroscopy), Charles S. Peirce, spricht in diesem Fall zwar bereinstimmend mit der Phnomenologie Husserls von phnomenaler Evidenz - und zwar im Sinne der Kategorien Erst-heit (= qualitatives Sosein) und Zweitheit (= Begegnung zwi-schen dem Ich und dem Nicht-Ich), und er erklrt die Objektivie-rung und intentionale Erinnerbarkeit der Phnomenevidenz durch die ikonische Zeichenfunktion des Photos; doch, im Unter-schied zu Husserl, spricht er in diesem Fall nicht schon von Wahrheit im Sinne von Erkenntnis. Dazu bedarf es nach Peirce einer intersubjektiv gltigen Interpretation der Bedeutung des gegebenen Phnomens im Sinne der Kategorie Drittheit, das heit der Vermittlung der unmittelbaren Gegebenheit des Phnomens durch das Begriffsallgemeine sprachlicher Symbole,n Damit ist die Pointe der Wittgensteinschen Entdeckung des propositionalen Sprachaprioris zunchst einmal in angemessener Weise zur ph-nomenologischen Einsicht in die Mglichkeit und epistemologi-sche Unentbehrlichkeit von perzeptiver Evidenz im Sinne des Bewutseinsaprioris ins Verhltnis gesetzt. Soviel zur ersten (se-miotischen) Vermittlung zwischen Sprachapriori und Bewut-seinsapriori der Erkenntnis. Doch mit der Bercksichtigung der perzeptiven Identifikation des Gegenstands oder der Gegenstnde von propositionalen St-zen ist nicht nur eine epistemologisch relevante Vermittlung zwi-schen Phnomenologie und Sprachphilosophie angebahnt; es ist damit auch schon die Abstraktheit der Sprachphilosophie des fr-hen Wittgenstein und der von ihm abhngigen logischen Semantik Carnaps und Tarskis in Frage gestellt. Inwiefern?

    ix.2 Die Ergnzung des linguistic turn durch den pragmatic turn und die Frage

    nach ihrer Vereinbarkeit

    Die sprachanalytische Philosophie war in ihrer frhen, logisch-semantischen Phase an propositionalen Stzen und nicht etwa an Sprechakten orientiert, und das heit: sie abstrahierte von der von Charles W. Morris spter so genannten pragmatischen Dimension

    23

  • des intentionalen und interpretativen Gebrauchs von Stzen im Situationskontext durch Sprecher oder Hrer. Sie wollte aber gleichwohl in der semantischen Dimension der Bedeutung von Stzen nicht nur deren intensionalen Sinn, sondern auch deren extensionale Referenz auf reale Sachverhalte, und das heit vor allem: die Referenz der jeweiligen Satz-Subjekte auf reale Gegen-stnde, bercksichtigen, also zum Beispiel die Referenz von Katze und Matte in dem Satz Die Katze ist auf der Matte. Der Satz sagt ja aus, da in bezug auf die Katze und die Matte als die logischen und ontologischen Subjekte die Relation oder der Sachverhalt besteht, da die Katze auf der Matte ist. An dieser Stelle zeigt sich aber nun schon ein pragmatisches Defi-zit der abstrakten Theorie der logischen Semantik-, denn um die reale Referenz der Satzsubjekte sicherzustellen, gengt die Ana-lyse der sprachimmanenten semantischen Referenz von Satzsub-jekten nicht. Sonst mten ja auch das Subjekt des Satzes Der jetzige Knig von Frankreich ist kahlkpfig oder die Subjekte des Satzes Hexen reiten auf Besenstielen eine reale Referenz besitzen. Aber diese Subjekte haben bestenfalls eine fiktive Refe-renz; denn ihre reale Referenz kann nicht durch eine entspre-chende Identifikation von raumzeitlich existierenden Gegenstn-den ausgewiesen werden. Es kommt also bei der Sicherstellung der Realreferenz von Satz-subjekten auf die Identifikation der gemeinten Gegenstnde an. Um diese aber auch nur fr mglich zu halten, mu vorausgesetzt werden, da ein propositionaler Satz von einem Sprecher oder Hrer als Wahrnehmungsurteil intendiert bzw. interpretiert und dementsprechend durch Identifikation des gemeinten Gegenstan-des verifiziert werden kann. Man kann dies auch so ausdrcken: Die zweistellige Basis der an abstrakten Propositionen orientier-ten logischen Semantik mu im Sinne der dreistelligen Basis der pragmatisch integrierten Semiotik von Peirce erweitert werden. Denn die Identifikation eines sprachlich gemeinten Gegenstandes in der realen Welt ist eine Sache des intentionalen und interpreta-tiven Sprachgebrauchs durch einen Sprecher oder Hrer. An dieser Stelle erhebt sich nun erneut die Frage, ob die pragma-tische Erweiterung der Analyse der Zeichenfunktion in dem ange-deuteten Sinn mit dem von Wittgenstein eingeleiteten linguistic tum der Philosophie zu vereinbaren ist. Fhrt sie nicht eher zu einer Wiederherstellung des methodologischen Primats der Be-

    M

    wutseinsphilosophie - da doch ganz zweifellos die reflexiv selbst-gewisse Intention des Sprechers die mgliche referentielle Er-fllung der Bedeutung eines propositionalen Satzes festlegt? Insofern scheint doch die Festlegung der Bedeutung eine Sache des jeweiligen intentionalen Bewutseins zu sein? Tatschlich fhrt diese berlegung unmittelbar zu einer zentra-, len These des 1983 erschienenen Buches Intentionalitt von John R. Searle.

    in . Die intentionalistische Bedeutungstheorie von John Searle als bewutseinsphilosophische Interpretation

    des pragmatic turn Searle begrndet die Prioritt der Bewutseinsphilosophie bzw. der intentionalistischen Bedeutungstheorie im wesentlichen mit dem folgenden Argument: Die intentionalen Zustnde des Be-wutseins - wie etwa berzeugungen, Wnsche, Befrchtungen, Hoffnungen und (Handlungs-)Intentionen im engeren Sinn -sind es, die letztlich die Erfllungsbedingungen (conditions of satisfaction) bestimmen, mit deren Hilfe die Bedeutung von Sprechakten verstanden werden kann (a.a.O., S. 28). Die Bestimmung der Befriedigungsbedingungen von Sprech-akten durch die intentionalen Zustnde des Bewutseins geschieht nach Searle folgendermaen: Die intentionalen Zustnde knnen sich in physikalischen Entitten - Geruschen oder Schrift-Marken - ausdrcken und den so entstehenden uerungen die Befriedigungsbedingungen von speziellen Sprechakten auf-erlegen: so zum Beispiel einer Feststellung (Statement) die Bedingung der bereinstimmung mit einem Sachverhalt, von dessen Bestehen der Sprecher berzeugt ist; oder einem Befehl die Bedingung der Herbeifhrung eines vom Sprecher gewnsch-ten Zustandes durch den Adressaten des Befehls; oder einem Ver-sprechen die Bedingung der Herbeifhrung eines fr den Hrer wnschenswerten Zustandes durch den Sprecher, der dies inten-diert. Im Falle der Feststellung ist nach Searle durch die zugrun-deliegende berzeugung des Sprechers die Parichtung (direc-tion of fit) der Befriedigungsbedingung festgelegt, und zwar im Sinne der bereinstimmung der uerung mit der Welt (word to world direction of fit). Im Falle des Befehls und des Verspre-

    25

  • chens dagegen ist die Parichtung der Befriedigungsbedingung im Sinne einer noch aktiv herbeizufhrenden Anpassung der Welt an die uerung (world to word direction of fit) festgelegt. Searle fat die semantische Pointe seines Arguments so zusammen, da der Schlssel zum Problem der Bedeutung und des Meinens in der Einsicht liegt, da der Geist beim Vollzug des Sprechakts absichtlich dem materiellen Ausdruck des zum Ausdruck gebrachten Geisteszustands die-selben Erfllungsbedingungen verleiht, die der Geisteszustand selbst hat (ebd., S. 208).

    Aufgrund dieses Arguments ber die Festlegung der Befriedi-gungsbedingungen der Sprechakte durch die zugrundeliegenden intentionalen Zustnde des Bewutseins gelangt Searle zu den folgenden Thesen hinsichtlich des Verhltnisses von Intentionali-tt und linguistischer Bedeutung: So verstanden sollte das Meinen sich vollstndig durch primitivere In-tentionalittsformen definieren lassen. Und solch eine Definition ist im folgenden Sinne nicht-trivial: wir definieren das Meinen (und mithin sprachliche Bedeutung) durch Intentionalittsformen, die nicht an sich sprachlich sind. Wenn wir beispielsweise Meinen mit Rckgriff auf Ab-sichten definieren knnen, dann werden wir einen Begriff aus dem Be-reich des Sprachlichen mit einem Begriff aus dem Bereich des Nicht-Sprachlichen definiert haben, auch wenn viele oder gar die meisten menschlichen Absichten de facto sprachlich realisiert sind. Diesem Ansatz zufolge ist die Sprachphilosophie ein Zweig der Philoso-phie des Geistes. Denkbar allgemein gefat ist dies die Auffassung, da gewisse grundlegende semantische Begriffe wie Bedeutung und Meinen sich mit noch grundlegenderen psychologischen Begriffen wie berzeu-gung, Wunsch und Absicht analysieren lassen (ebd., S. 203 f.).

    Damit ist die Herausforderung des jngsten Ansatzes einer inten-tionalistischen Bedeutungstheorie hinreichend deutlich formu-liert. Und es fragt sich, was ein Verteidiger des linguistic tum und damit der methodologischen Prioritt des Sprachaprioris dagegen vorbringen kann.

    16

    iv. Kritik der intentionalistischen Bedeutungstheorie von Searle 11 unter Rekurs auf die von Austin und Searle 1

    nahegelegte pragmatische Erweiterung des linguistic turn

    iv. 1 Die Integration des linguistic turn und des pragmatic tum der Gegenwartsphilosophie

    bei Austin und Searle 1

    Zunchst mchte ich an das Ergebnis unserer frheren Konfron-tation der Wittgensteinschen Pointe des propositionalen Sprach-aprioris mit der phnomenologischen Verteidigung des Bewut-seinsaprioris erinnern. Wir stellten folgendes fest: Hinsichtlich der perzeptiven Evidenz der phnomenalen Gegebenheit des Sachverhalts, der in einer Proposition behauptet wird, besteht in der Tat eine Prioritt des Bewutseinsaprioris; denn in dieser Hinsicht ist es an mir, dem Bewutseinssubjekt, festzustellen, ob die Intentionalitt meiner Uberzeugung vom Bestehen eines Sachverhalts durch das gegebene Phnomen erfllt wird. Diese Feststellung liegt offenbar ganz auf der Linie der Searleschen These, da der intentionale Bewutseinszustand - hier: die ber-zeugung vom Bestehen eines Sachverhalts - letztlich die Erfl-lungsbedingungen fr den Sprechakt der Behauptung des Sach-verhalts festlegt. Wir stellten aber auch schon fest, da durch die Abhngigkeit der perzeptiven Erfllungsevidenz von der Bewutseinsintentionali-tt die Wittgensteinsche Pointe hinsichtlich des propositionalen Sprachaprioris der Beschreibbarkeit der Erfahrungstatsachen nicht widerlegt wird. Im Hinblick auf Searles These knnen wir das jetzt so formulieren: Hinsichtlich der reinen Phnomenevi-denz erlegt zwar der intentionale Bewutseinszustand dem Sprechakt der Behauptung die Erfllungsbedingung auf; das heit, meine Uberzeugung entscheidet darber, welches Phno-men ich als Erfllungsbedingung meiner Behauptung anerkennen kann; doch hinsichtlich der intersubjektiv gltigen Interpretier-barkeit der Phnomenevidenz ist die Auferlegung der Erfllungs-bedingung - und zuvor schon der intentionale Bewutseinsinhalt der berzeugung von einem bestehenden Sachverhalt - von dem propositionalen Satz der Sprache abhngig, mit dem der gemeinte Sachverhalt beschrieben werden kann. Das besagt: die sprachlich

    27

  • festgelegte Bedeutung entscheidet darber, als was ich einen Sachverhalt, von dessen Existenz ich berzeugt bin, meinen und -im Falle der Existenz - aufweisen kann. Wollte man von dieser Vermittlung der Festlegung der Erfl-lungsbedingung, und zuvor schon des intentionalen Bewut-seinsinhalts, durch das Sprachapriori abstrahieren, dann bliebe nur noch eine direkte interpretationsfreie Beziehung zwischen der Bewutseinsintentionalitt und dem gegebenen Phnomen brig: Ich knnte zum Beispiel meinen, da hinter mir genau so etwas sich befinde wie das, was auf dem vorerst nicht interpretierbaren Photo des Entdeckungsreisenden abgebildet war. Durch diese quasi-sprachunabhngige Intentionalitt wre in der Tat auch noch eine Erfllungsbedingung festgelegt. Ihre Erfllung knnte ich dadurch besttigen, da ich mich umdrehe und feststelle: Ja: genau das meinte ich. Aber was htte ich denn in diesem Fall als bestehenden Sachverhalt gemeint? Nun, das knnte ich in diesem Fall nicht in einer ffentlich oder intersubjektiv verstndlichen Form angeben. Meine sprachunabhngige Festlegung und Uber-prfung der Befriedigungsbedingung meiner Sachverhaltsinten-tion wre gewissermaen im Sinne des methodischen Solipsismus der prlinguistisch orientierten Evidenzphnomenologie von Ed-mund Husserl vorgenommen worden. Und ein solcher Fall wre zwar, wie ich gegen Husserl zu zeigen versuchte, noch kein Fall von Erkenntnis bzw. Verifikation; aber er wre gewissermaen als defizienter Modus einer Verifikation denkbar. Zum Beispiel knnten alle Teilnehmer einer Expedition, denen ein Photo ge-zeigt wird, besttigen, da sie so etwas gesehen haben, ohne sagen zu knnen, um was es sich handelt. Das intentionale Meinen und die durch es festgelegten Befriedigungsbedingungen der ber-zeugung von der Existenz eines Sachverhalts wren in diesem Fall - um mit Peirce zu reden - nur im Sinne von Erstheit (Sosein der Anschauungsqualitten) und Zweitheit (Begegnung des Ich mit dem Nicht-Ich) explizierbar, nicht aber im Sinne von Dritt-heit (Interpretierbarkeit als etwas). Einen solchen Fall hat Searle mit seinem Argument ber die Festlegung der Erfllungsbedin-gungen einer Behauptung durch eine berzeugung gewi nicht gemeint. Dennoch mchte ich behaupten: Nur der beschriebene Fall erfllt im genauen Sinn die von Searle angegebene Bedingung seiner Bedeutungstheorie: die einer einseitigen Abhngigkeit der sprachlichen Bedeutung von der angeblich fundamentaleren Be-

    28

    wutseinsintentionalitt. Im Sinne unserer bisherigen Analyse mchte ich demgegenber fr den Normalfall von Behauptungen und zugrundeliegenden berzeugungen die These einer wechsel-seitigen Abhngigkeit von Bewutseinsapriori und Sprachapriori aufstellen: 1. Hinsichtlich der Festlegung der interpretationsfreien Erfl-lungsevidenz fr mich besteht in der Tat eine methodologische Abhngigkeit der propositionalen Bedeutung meiner Behauptung vom intentionalen Bewutseinsinhalt meiner berzeugung. (Und diese Abhngigkeit entspricht in der Tat einer empirisch-geneti-schen Prioritt der Bewutseinsintentionalitt gegenber dem Sprachapriori. Ich mu ja zuerst eine berzeugung haben, bevor ich - berechtigterweise - etwas behaupten kann.) 2. Aber hinsichtlich der mglichen intersubjektiv gltigen Bedeu-tung des intentionalen Gehalts meiner berzeugung und demzu-folge hinsichtlich der mglichen Interpretierbarkeit der durch sie festgelegten Erfllungsevidenz besteht umgekehrt eine Abhn-gigkeit der Bewutseinsintentionalitt vom Sprachapriori. Doch in der bisherigen Auseinandersetzung mit der intentionalen Semantik Searles haben wir lediglich von der schon auf Wittgen-stein 1 zurckgehenden Version des linguistic turn Gebrauch ge-macht. Das heit: Wir haben zwar schon den Begriff des Sprech-akts - zum Beispiel der Behauptung - eingefhrt, aber im Sinne des Sprachaprioris der intersubjektiv gltigen Bedeutung haben wir lediglich den propositionalen Inhalt des Sprechaktes zur Gel-tung gebracht. Er ist in der Tat als Beschreibungs- und Interpreta-tionsapriori relevant, wenn es um die mgliche ffentliche Bedeu-tung einer berzeugung als Reprsentation eines bestehenden Sachverhalts geht. Darber hinaus hat nun aber die Sprechakt-theorie - in ihrer Begrndung durch John L. Austin und insbe-sondere in ihrer Ausarbeitung durch Searle in seinem frheren Buch Sprechakte - folgendes gezeigt: Nicht nur hinsichtlich der Sachverhaltsreprsentation des propo-sitionalen Inhalts von Sprechakten ist alle ffentlich gltige Be-deutung unserer Bedeutungsintentionen durch sprachliche Kon-ventionen prdeterminiert, sondern darber hinaus auch hin-sichtlich der sogenannten illokutionren Kraft unserer Sprech-akte. Auch diese pragmatisch-kommunikative Bedeutung der Sprechakte kann nmlich durch entsprechende Stze bzw. Teil-stze im Sinne der Semantik einer bestimmten Sprache (langue)

    101

  • vorgeprgt werden. Genau dies hat Austin durch seine Entdek-kung der sprachlichen Performativa gezeigt.12. Die Pointe dieser Entdeckung zeigt sich nicht so sehr in den gesellschaftlich institu-tionalisierten Performativ-Formeln wie Ich taufe dich hier-mit . . . oder Ich ernenne dich hiermit... oder Ich erklre hiermit meinen Rcktritt... und dergleichen als vielmehr in dem spteren Nachweis, da alle sprachlichen Stze im Sinne der durch sie auszudrckenden illokutionren Akte explizit gemacht werden knnen. So kann ich eine Behauptung durch den Satz ausdrcken: Ich behaupte hiermit, da p, einen Befehl durch den Satz Ich befehle Ihnen, p herbeizufhren, ein Versprechen durch den Satz Ich verspreche dir hiermit,/? herbeizufhren. Es zeigt sich hier, da sozusagen die mgliche ffentliche Bedeutung von kommunikativen Intentionen im Sinne der illokutionren Kraft von Sprechakten schon vor der speziellen gesellschaftlichen Institutionalisierung performativer Formeln auf der Ebene der Sprache konventionell institutionalisiert ist. Genau diese Pointe schien mir Searle in seinem Buch Sprechakte von 1969 durch das Prinzip der Ausdrckbarkeit (ebd., S. 34 ff.) und die zugehrigen Erluterungen zum Ausdruck zu bringen. So zum Beispiel durch die folgende Textstelle:

    Es gibt daher nicht zwei prinzipiell verschiedene semantische Untersu-chungen, nmlich eine Untersuchung der Bedeutung von Stzen und eine des Vollzugs von Sprechakten. Es gehrt genauso zu unserer Vorstellung der Bedeutung eines Satzes, da eine aufrichtige uerung dieses Satzes mit dieser Bedeutung in einem bestimmten Zusammenhang den Vollzug eines bestimmten Sprechaktes bedeutet, wie es zu unserer Vorstellung eines Sprechaktes gehrt, da es einen mglichen Satz (oder mgliche Stze) gibt, dessen (deren) uerung in einem bestimmten Zusammen-hang auf Grund seiner (ihrer) Bedeutung einen Vollzug dieses Sprech-aktes bildet (ebd., S. 32).

    In dieser Stelle schien mir das Programm einer Integration der Satzsemantik mit der Pragmatik der situationsbezogenen Sprech-akte und insofern auch mit der Theorie der Intentionalitt formu-liert zu sein. Diese Interpretation scheint mir auch besttigt zu werden durch die folgende Stelle in Foundations of Illocutionary Logicli, wo die illokutionre Kraft ausdrcklich als Kompo-nente der Bedeutung von Stzen expliziert wird:

    3

    Part of the meaning of an elementary sentence is that its literal utterance in a given context constitutes the performance or attempted performance of an illocutionary act of a particular illocutionary force. Thus, for ex-ample, it is part of the meaning of the English sentence, (22) >Is it rain-ing?

  • progressiven Realisierung dessen, was Peirce den ultimate logi-cal interpretant sprachlicher Zeichen nannte). Zumindest diese zweite Lesart steht nun, wie mir scheint, im Widerspruch zu der erstaunlichen Wende von Searle n, der in Intentionalitt eine einseitige Abhngigkeit der sprachlich aus-gedrckten Bedeutung von der fundamentaleren Bewutseins-intentionalitt behauptet. Denn hinsichtlich der intersubjektiven Verstndlichkeit und Gltigkeit besteht doch, wie im vorausge-henden gezeigt, eine Prioritt der sprachlichen Bedeutungskon-vention gegenber der Bedeutungsintention, sofern diese auf die sprachliche Ausdrcklichkeit angewiesen ist. Dies gilt nach Austin und Searle i sogar in dem Sinne, da nicht nur die Bedeutung der propositionalen Satzinhalte, sondern darber hinaus auch die illo-kutionre Kraft der Sprechakte durch Sprachkonventionen pr-determiniert sein kann. Im Sinne der impliziten Lehre der Sprech-akttheorie von Austin und Searle i konnte man also meines Erachtens zu der folgenden Schlufolgerung gelangen: Nicht nur hinsichtlich der Sachverhaltsreprsentation der sprachlichen Pro-positionen, sondern auch hinsichtlich der in performativen Teil-stzen ausdrckbaren illokutionren Kraft von Sprechakten sind unsere Bedeutungsintentionen von sprachlichen Konventionen als Bedingungen der Mglichkeit intersubjektiver Sinngeltung ab-hngig. Kurz: Man konnte zu dem Schlu gelangen, da der Begriff intersubjektiv gltiger Bedeutung im Sinne der von Ha-bermas so genannten perforrnativ-propositionalen Doppelstruk-tur der sprachlich ausdrckbaren Bedeutung zu definieren sei.14

    Macht man nun Ernst mit dieser pragmatisch erweiterten Expli-kation eines am linguistic turn orientierten Begriffs der Bedeu-tung, dann gelangt man zu Konsequenzen, die von der intentio-nalistisch orientierten Bedeutungstheorie von Searle n in gravie-render Form abweichen. Versuchen wir dies durch eine kritische Rekonstruktion der Searleschen Explikation von Bedeutung im Lichte von Erfl-lungsbedingungen (conditions of satisfaction) zu verdeutli-chen.

    33

    iv.2 Die Inadquatheit der Explikation illokutionrer Bedeutung in Begriffen

    der Bedingungen der Erfllung intentionaler Zustnde

    Zunchst scheint klar, da dieses Theorem Searles eine extrapola-tive Verallgemeinerung der auf Frege und Wittgenstein zurckge-henden Explikation von Satzbedeutung im Lichte von Wahrheits-bedingungen darstellt.15 Die Pointe der Searleschen Extrapolation und Verallgemeinerung des Verifikationismus im Sinne von Er-fllungsbedingungen ergibt sich offenbar aus dem Umstand, da es ihm nicht blo um die Bedeutung von Aussagen (statements) geht, sondern darber hinaus um die Bedeutung von Stzen, durch die mgliche Sprechakte aller Art ausgedrckt werden kn-nen, so zum Beispiel auer Behauptungen auch Befehle, Bitten, Versprechungen usw. Die extrapolative Verallgemeinerung der verifikationistischen Be-deutungsexplikation sieht dann so aus: Bei Wittgenstein hie es im Tractatus: Einen Satz verstehen heit wissen, was der Fall ist, wenn.er wahr ist (Satz 4.024). Bei Searle 11 lautet die Entsprechung etwa so: Die Bedeutung eines sprachlich explizit ausgedrckten Sprechaktes verstehen heit wissen, welche Erfllungsbedingungen fr ihn durch den zugrundeliegenden intentionalen Bewutseinsinhalt festgelegt sind. Im Falle einer Behauptung besagt dies: welche Ubereinstim-mung mit einem Sachverhalt gem der word to world direction of fit; im Falle eines Befehls dagegen: welche aktive Vernde-rung der Welt (oder auch: welche Unterlassung einer Weltvern-derung) gem der world to word direction of fit. Auch im Falle eines Versprechens beruht nach Searle das Verstehen der Bedeutung darauf, da man die zu erwartende Befriedigung bzw. Erfllung im Sinne der world to word direction of fit kennt. Auf diese Weise lt sich, wie es scheint, eine elegante und plausi-ble Erweiterung der weithin akzeptierten Explikation von Bedeu-tung in Begriffen von Wahrheitsbedingungen gewinnen; und diese Erweiterung des Verifikationismus stellt auerdem, nach Searles Meinung, ein Argument fr die Mglichkeit einer inten-tionalistischen Reduktion des Begriffs der Bedeutung dar; denn die Befriedigungsbedingungen werden ja letztlich von den inten-tionalen Bewutseinszustnden bestimmt. Doch gegen diese

    101

  • Grundkonzeption Searles lassen sich nun in zweifacher Hinsicht Einwnde vorbringen: i. Erstens gilt fr die Erfllungsbedingungen von Sprechakten aller Art dasselbe, was wir schon in bezug auf die Wahrheitsbe-dingungen von Aussagen gezeigt haben: Die propositionalen Inhalte der Sprechakte sind nur insofern von intentionalen Be-wutseinszustnden abhngig, als diese letzteren zur gleichen Zeit in ihrer intersubjektiv verstndlichen Bedeutung auch bereits von sprachlichen Bedeutungskonventionen abhngig sind. (Eine einseitige, sprachunabhngige Bestimmung der Erfllungsbedin-gungen von Uberzeugungen durch die entsprechenden intentio-nalen Bewutseinszustnde ist ja - wie wir gezeigt haben - nur bei nichtinterpretierbaren, aber gleichwohl wahrnehmbaren und erinnerbaren puren Soseins-Phnomenen - im Sinne der Peirce-schen Kategorie Erstheit - denkbar.) z. Darber hinaus lt sich nun aber zweitens folgendes zeigen: Die scheinbar so elegante Extrapolation und Verallgemeinerung der verifikationistischen Explikation von Bedeutung in Begriffen der Befriedigungs- oder Erfllungsbedingungen kann der sprach-lichen Differenzierung der illokutionren Bedeutung von Sprech-akten prinzipiell nicht gerecht werden: So verweisen etwa die Erfllungsbedingungen im Falle von Befehlen, Bitten, Forderun-gen und sogar von Ntigungen - wie Hnde hoch! - in gleicher Weise auf die Wnsche (genauer: nicht auf die faktischen Wn-sche, sondern auf die im Sinne der Sprechakte zu unterstellenden Willensintentionen) des Sprechers als die determinierenden inten-tionalen Bewutseinszustnde; aber damit ist offenbar nicht die sprachliche Differenzierung der verschiedenen illokutionren Be-deutungen der angefhrten Sprechakte expliziert. Expliziert ist lediglich die besondere propositionale Bedeutung, die in den ver-schiedenen illokutionren Akten dieselbe sein kann - zum Bei-spiel die, da die Tre geffnet wird - , und darber hinaus der Umstand, da der Hrer den prepositional reprsentierten Sach-verhalt herbeifhren soll. Aber damit ist etwa folgendes nicht expliziert: - Im Falle eines Befehls impliziert die auf dem Verstndnis der

    illokutionren Bedeutung beruhende Befolgung, da die Tr deshalb geffnet wird, weil der Befehl als vorschriftsgemer und von einer autorisierten Person erteilter respektiert wird;

    - im Falle einer Bitte impliziert die auf dem Verstndnis der 34

    illokutionren Bedeutung beruhende Befolgung, da die Tr deshalb geffnet wird, weil der Adressat die Bitte fr erfllens-wert hlt;

    - im Falle einer Forderung impliziert die auf dem Verstndnis der illokutionren Bedeutung beruhende Befolgung, da die Tr deshalb geffnet wird, weil der Adressat die Forderung fr berechtigt hlt;

    - im Falle einer Ntigung, weil der Adressat fr den Fall der Nichtbefolgung negative Folgen fr sich befrchtet.

    Es zeigt sich hier, da in allen vier Fllen direktiver Sprechakte nicht nur die Signalisierung der Befriedigungsbedingungen eines Wunsches, sondern darber hinaus auch die der Grnde fr die Befolgung mit zur illokutionren Kraft, das heit zur explizierba-ren Bedeutung des Sprechakts, gehrt. Normalerweise - also im Falle eines ernsthaften und aufrichtigen direktiven Sprechaktes - wird nun zwar die Kommunikation der Grnde fr die Befolgung auch zur Intentionalitt des zum Sprechakt zugehrigen Wunsches des Sprechers gehren, doch diese Komponente der illokutionren Bedeutung lt sich gerade nicht allein von der Intentionalitt des prkommunikativen Wun-sches her verstndlich machen; sie setzt vielmehr die sprachliche Differenzierung der illokutionren Bedeutung prinzipiell ebenso voraus wie der propositionale Inhalt des Wunsches den entspre-chenden Inhalt eines sprachlichen Satzes. Das einzige Moment der illokutionren Kraft, das tatschlich bei jedem Sprechakt al-lein von dem intentionalen Bewutseinszustand des Sprechers abhngt, ist die Aufrichtigkeit bzw. das Ernstgemeintsein. Doch dieses Moment wird im Normalfall als selbstverstndlich unter-stellt und kann insofern zur Konstitution der illokutionren Be-deutung gerade nichts beitragen. (Es verhlt sich damit genauso wie mit der uninterpretierten Wahrnehmungsevidenz, von der wir gezeigt haben, da sie - selbstverstndlich - allein durch die berzeugung als intentionalen Zustand determiniert wird.) Die Irrelevanz des nicht von der illokutionren Kraft des Sprech-aktes abhngigen intentionalen Bewutseinszustandes - zum Bei-spiel eines geheimen Wunsches - lt sich an dem folgenden Fall verdeutlichen, der - auch nach Searle - gerade nicht als Normal-fall des Verstehens und Befolgens von Befehlen gelten kann: In Richard Wagners Ring des Nibelungen befiehlt der Gott Wotan der Walkre Brnhilde, Hunding zum Sieg ber Sieg-

    101

  • mund zu verhelfen. Die Walkre aber hilft Siegmund, weil sie den eigentlichen Wunsch Wotans kennt und erfllen mchte. Sie hat nun aber mit dieser Realisierung der Erfllungsbedingungen des intentionalen Bewutseinszustandes des Gottes dessen Befehl ge-rade nicht befolgt und wird dementsprechend bestraft. (Sie hat natrlich auch nicht die im Sinne des Befehls unterstellbaren Wil-lensintentionen des Gottes erfllt; aber diese Intentionen sind ja eben in ihrer Bedeutung a priori von der sprachlichen Festlegung der Bedeutung abhngig!) Tatschlich hat Searle selbst in Foundations of Illocutionary Logic - in einem Buch, das sozusagen auf die Theorie der Sprechakte von Searle i rekurriert - auer den fnf illocutionary points or purposes, welche die vier mglichen directions of fit bestim-men (ebd., S. 51 ff.), noch sechs weitere Komponenten der illo-cutionary force unterschieden, die zumindest teilweise mit den intentionalen Zustnden, welche die Befriedigungsbedingungen der Sprechakte bestimmen, nichts zu tun haben: so etwa - als dritte Komponente - den mode of achievement: A special way or special set of conditions under which their illocutionary point has to be achieved in the performance of the speech act (ebd., S. 15). Diese Komponente scheint am ehesten fr die Explikation der illokutionren Kraft in den von mir angefhrten Beispielen direktiver Sprechakte in Betracht zu kommen; denn Searle erlu-tert die Funktion des mode of achievement wie folgt:

    For example, a speaker who issues a command from a position of authority does more than someone who makes a request. Both utterances have the same illocutionary point, but the command achieves that illocu-tionary point by way of invoking the position of authority of the speaker (ebd., S. 15; Hervorhebung von K.-O. A.).

    Als weitere Komponente, die fr die Explikation der illokution-ren Kraft im Falle eines Befehls in Betracht kommt, kann Searles fnfte Komponente - die der preparatory conditions - ange-fhrt werden. Hier wre die folgende exemplarische Funktions-bestimmung Searles heranzuziehen: For example, a speaker must satisfy the preparatory condition of being in a position of authority before he can non-defectively issue an utterance with the mode of achievement of a command (ebd., S. 18).

    Schon in bezug auf diese Komponenten der illokutionren Kraft wird man sagen knnen: Wenn man sie als Bedeutungs-37

    komponenten ernst nimmt, dann ist nicht ersichtlich, wie die folgende, von mir eingangs zitierte Programmthese des Buches Intentionalitt eingelst werden kann: So verstanden sollte das Meinen sich vollstndig durch primitivere In-tentionali ttsformen definieren lassen. Und solch eine Definition ist im folgenden Sinne nicht-trivial: wir definieren das Meinen (und mithin sprachliche Bedeutung) durch Intentionalittsformen, die nicht an sich sprachlich sind (ebd., S. 203).

    Doch dieser Hinweis auf die von Searle selbst als konstitutiv fr die illokutionre Bedeutung von Sprechakten angefhrten Be-dingungen scheint mir die notwendige Ergnzung der Explika-tion der illokutionren Bedeutung in Begriffen von Befriedi-gungsbedingungen noch nicht in adquater Form zum Ausdruck zu bringen. Es ist ja tatschlich interessant, da die illokutionre Kraft von direktiven Sprechakten sich genau insoweit, wie sie von der pr-illokutionren Intentionalitt des Sprechers bestimmt ist, in Erfllungsbedingungen und ihrer direction of fit explizie-ren lt. Genau insoweit hat man sie verstanden, wenn man wei, wann ihre Erfllungsbedingungen erfllt sind; und genau inso-weit lt sich die Explikation der Bedeutung von direktiven Sprechakten ebenso wie die von assertiven Sprechakten - nmlich in Begriffen von Erfllungsbedingungen des propositionalen In-halts - explizieren; und das besagt offenbar: insoweit lt sich die im weiteren Sinn verifikationistische Methode der Bedeutungsex-plikation extrapolativ verallgemeinern. Hier stellt sich meines Erachtens die folgende Frage: Woran liegt es eigentlich, da man etwa einen unvorschriftsmigen oder un-autorisierten Befehl oder eine unberechtigte Forderung oder eine Ntigung nicht hinreichend verstanden hat, wenn man lediglich ihre Erfllungsbedingungen kennt, whrend man aufgrund ihrer Kenntnis sehr wohl eine falsche Aussage hinreichend verstehen kann? Wenn man die Searleschen Erfllungsbedingungen fr Sprech-akte als Verallgemeinerung der Bedeutungsexplikation in Begrif-fen von Wahrheitsbedingungen auffat und diese Bedeutungsex-plikation als hinreichend betrachtet, dann ergibt sich offenbar eine unerwartete Asymmetrie zwischen der Bedeutungsexplika-tion von assertorischen Sprechakten einerseits und nichtassertori-schen Sprechakten andererseits. Nur im ersten Fall kann man -

    101

  • zumindest unter der Voraussetzung einer mit den anderen geteil-ten sprachlichen Weltinterpretation - davon ausgehen, da die

    " Erfllungsbedingungen mit den Wahrheitsbedingungen und inso-fern mit den Bedingungen der Akzeptierung des Sprechakts iden-tisch sind. Im Falle der nichtassertorischen Sprechakte dagegen -so bei direktiven, promissiven* und expressiven Sprechakten -wird sofort klar, da die Akzeptabilittsbedingungen nicht mit den Erfllungsbedingungen identisch sein knnen. Wie lt sich diese Asymmetrie erklren? Auf diese Frage, die sich angesichts der illokutionren Kraft der direktiven Sprechakte in einer nicht abweisbaren Form stellt, scheint mir auch der Hinweis auf die von Searle eingefhrten Komponenten 3 und 5 der illokutionren Kraft keine befriedi-gende Antwort darzustellen - obwohl diese Bedeutungskompo-nenten, wie gesagt, bereits ber das Programm einer intentionali-stischen Semantik hinausgreifen. An dieser Stelle scheint mir eine Erweiterung - oder, wenn man will, Vertiefung - der philosophischen Voraussetzungen der mglichen Bedeutungsexplikation erforderlich zu sein: eine Er-weiterung, welche die Wahrheitsbedingungen, in deren Licht der propositionale Inhalt von Sprechakten bzw. Stzen expliziert werden kann, nicht als Spezialfall der Erfllungsbedingungen von intentionalen Zustnden des Bewutseins, sondern als Spezialfall der Gltigkeitsbedingungen von illokutionren Akten versteht. Mit anderen Worten: es mu ernst gemacht werden mit der - bei Austin und Searle 1 nahegelegten - Integration von Semantik und Pragmatik im Sinne einer Erweiterung des linguistic turn. Diese mu nun auch den performativen Teil der expliziten Satzstruktur bercksichtigen, der die illokutionre Kraft der Sprechakte als sprachabhngige Bedeutung vorstrukturiert. Und, sofern diese Erweiterung des linguistic turn alle Funktionen und Weltbezge der Sprache bercksichtigen mu, mte es mglich sein, die Bedeutung von Sprechakten - ber die intendierten, propositions-bezogenen Befriedigungsbedingungen hinausgreifend - in Begrif-fen von Gltigkeitsbedingungen zu verstehen.

    38

    v. Die Explikation der illokutionren Kraft von Sprechakten in Begriffen von Gltigkeitsbedingungen.

    Sprechakttheorie im Lichte einer universalen bzw. transzendentalen Sprachpragmatik

    Die Mglichkeit, ja Notwendigkeit, die Bedeutung von Sprech-akten in Begriffen von Gltigkeitsbedingungen zu explizieren, wird deshalb bersehen, weil die Gltigkeitsbedingungen von Behauptungen - das heit die Wahrheitsbedingungen der be-haupteten Propositionen - sich normalerweise leicht auf die Er-fllungsbedingungen der behaupteten Propositionen zurckfh-ren lassen. Insofern knnen hier die Erfllungsbedingungen grosso modo mit den Wahrheitsbedingungen des Behauptungsakts gleichgesetzt werden. Und insofern die Befriedigungsbedingun-gen erfllbar sind, erscheint eine Aussage als wahr und zugleich intersubjektiv gltig. Im Falle von Befehlen, Forderungen, Rat-schlgen usw. knnen jedoch die Befriedigungs- oder Erfllungs-bedingungen ganz offensichtlich nicht mit den Gltigkeitsbedin-gungen gleichgesetzt werden. Denn das Befolgen eines Befehls, einer Forderung oder eines Ratschlags zeigt keineswegs, da der Befehl legal bzw. legitim, die Forderung berechtigt oder der Rat-schlag angemessen war, ebensowenig wie umgekehrt das Nicht-befolgen die Ungltigkeit erweist. Nun lt sich aber zeigen, da das Verstehen der illokutionren Kraft eines Befehls sehr wohl das Verstehen der zu respektieren-den Gltigkeit des Befehls impliziert, also im Normalfall der Be-fehlsbefolgung die Unterstellung seiner Gesetzmigkeit bzw. Legalitt im Sinne des positiven Rechts. Im Falle einer Forderung gehrt in diesem Sinne zum Verstndnis der illokutionren Kraft zwar nicht die Unterstellung der institutionellen Gesetzmig-keit, wohl aber das Verstehen der moralischen Berechtigung oder Nichtberechtigung. Selbst bei einer nur durch Gewaltandrohung untersttzten Forderung - einer Ntigung also wie zum Beispiel Geld raus! - schliet das Verstehen der illokutionren Bedeu-tung eben das Verstndnis der Illegalitt und der moralischen Illegitimitt ein. Im brigen aber ist in diesem Fall allenfalls das Nichtbefolgen durch die Grnde bestimmt, die sich aus der feh-lenden Gltigkeit ergeben, das Befolgen dagegen aus solchen Grnden, die nichts mit der Gltigkeit des Sprechakts zu tun

    101

  • haben, sondern sich fr den Adressaten allein aus der Machtposi-tion des Sprechers ergeben. Wre hier eine weitere mgliche Basis der illokutionren Kraft neben der Gltigkeit zu unterstellen? Ich werde darauf noch zurckkommen. Worin aber liegt nun der Grund dafr, da imFalle der direkti-ven Sprechakte - wie Befehlen, Bitten, Fordern usw. - die Erfl-lungsbedingungen fr den propositionalen Inhalt p von den Gl-tigkeitsbedingungen des Sprechakts divergieren, whrend dies bei den assertiven Sprechakten nicht der Fall ist? Aus der Formulie-rung dieser Frage folgt schon, da die Antwort nicht etwa darin liegen kann, da im Falle der assertiven Sprechakte gar ktin Un-terschied zwischen der propositionsbezogenen Wahrheit und der sprechaktbezogenen Gltigkeit bestnde. Ein solcher Unter-schied besteht vielmehr insofern, als die propositionsbezogene Wahrheit auf die Welt der Gegenstnde und Sachverhalte, die sprechaktbezogene Gltigkeit dagegen auf die intersubjektive Anerkennung von Geltungsansprchen bezogen ist. Doch im Falle der assertiven Sprechakte besteht eben keine mgliche Di-vergenz, sondern eine notwendige Konvergenz zwischen den propositionsbezogenen Erfllungsbedingungen qua Wahrheits-bedingungen und den Bedingungen intersubjektiver Gltigkeit. Warum ist dies im Falle der direktiven Sprechakte nicht der Fall? Die Antwort auf diese Frage ist meines Erachtens darin zu finden, da die Einlsung oder Legitimation der assertiven Sprechakte -das heit die Erfllung der als erfllt behaupteten Wahrheitsbe-dingungen ihres propositionalen Inhalts - von der Existenz der unabhngig vom Sprechakt in der Auenwelt bestehenden Tatsa-chen abhngig ist, whrend dies bei den nicht-assertiven etwa den direktiven - Sprechakten nicht der Fall sein kann. Bei den direktiven Sprechakten liegt der Geltungsanspruch, welcher die illokutionre Kraft mitkonstituiert, nicht darin, da fr den pro-positionalen Inhalt eine Reprsentation schon existierender Tat-sachen der Auenwelt behauptet wird, sondern erstens darin, da an die Adressaten der Anspruch gestellt wird, die Existenz eines Sachverhalts in der Auenwelt allererst zu realisieren (oder dies zu unterlassen), und zweitens darin, da schon fr die Angemes-senheit bzw. Richtigkeit dieses Anspruchs Grnde, die auch fr die Adressaten verbindlich bzw. motivationskrftig sein knnen, in Anspruch genommen werden. Anders formuliert: Der Unter-

    40

    schied zwischen dem Geltungsanspruch der assertiven und der direktiven Sprechakte entspricht dem Hiatus zwischen Sein und Sollen, und die Einlsung oder Legitimation des auf ein Sollen bezogenen Geltungsanspruchs kann sich nicht auf existierende Sachverhalte (Tatsachen) der Auenwelt berufen, sondern mu sich auf sozial geltende bzw. - im Falle der Infragestellung aller Konventionen - auf universal gltige Normen sttzen. Mit dieser Antwort auf die Frage nach dem Unterschied zwischen den Gltigkeitsbedingungen - und insofern auch der illokution-ren Kraft - der assertiven und der direktiven Sprechakte ist offen-bar ein Weltbezug der Sprache in Anspruch genommen, der sich nicht auf den der Sachverhaltsreprsentation der Propositionen zurckfhren lt. Man knnte ihn den Bezug auf die Welt der intersubjektiven Gltigkeit sozialer Normen nennen; und es ver-steht sich, da er auch schon im performativ-illokutionren Be-deutungsaspekt der assertiven Sprechakte in Anspruch genom-men wird, jedoch so, da die Einlsung dieses Geltungsanspruchs - das heit des Wahrheitsanspruchs als des Anspruchs seiner Be-hauptung auf intersubjektive Gltigkeit - mit der Erfllung der propositionsbezogenen Wahrheitsbedingungen nicht in Konflikt geraten kann. Im Unterschied dazu besteht zwischen der Einl-sung der propositionsbezogenen Erfllungs- oder Befriedigungs-bedingungen von direktiven Sprechakten und der Einlsung ihres Gltigkeitsanspruchs jederzeit ein mglicher Konflikt - z. B. im Falle der Akzeptierung oder Nichtakzeptierung von Befehlen oder Forderungen, deren Geltungsanspruch problematisch ist. Man knnte in Anknpfung an Searles Terminologie sagen: Beim Verstehen der illokutionren Kraft direktiver Sprechakte geht es nicht nur darum, die world to word direction of fit im Sinne der propositionsbezogenen Befriedigungsbedingungen zu verste-hen und zu erwgen, ob man diesen Bedingungen gerecht werden kann, sondern zugleich auch darum, die vom Sprecher unter-stellte (oder nicht unterstellte) relation of fit zwischen dem direktiven Anspruch seines Sprechakts und der Welt sozialer Normen zu verstehen und zu erwgen, ob man den direktiven Anspruch als richtig, das heit als bereinstimmend mit den inter-subjektiv gltigen Normen, respektieren und insofern akzeptie-ren soll. Wird nun durch diesen Unterschied zwischen den Geltungsan-sprchen der assertiven und der direktiven Sprechakte der Be-

    101

  • reich mglicher Geltungsansprche und Weltbezge von Sprech-akten erschpft? Es scheint mir im Prinzip mglich, die sogenannten pr.omissiven Sprechakte - wie etwa Versprechen - als komplementre Entspre-chung zu den direktiven Sprechakten zu betrachten: Ihre illoku-tionre Kraft setzt ebenfalls die intersubjektive Anerkennung der Gltigkeit sozialer Normen voraus - nur in der Weise, da daraus nicht der Anspruch einer Verpflichtung der Adressaten, sondern die Gltigkeit der Selbstverpflichtung der Sprecher abgeleitet wird. Dies ist zum Beispiel der Fall bei allen Vertrgen - sogar bei dem Sozialvertrag, durch den viele Philosophen die Gltigkeit von Normen berhaupt begrnden wollen. Dabei zeigt sich frei-lich, da die Norm, da Versprechen - und also auch Vertrge -zu halten sind, nicht durch faktische Versprechen bzw. Vertrge begrndet werden kann, sondern eine Bedingung der Mglichkeit der Gltigkeit von Versprechen und Vertrgen darstellt. Hier tritt in aller Schrfe der Unterschied hervor zwischen sozialer Geltung von Normen, die durch Vertrge begrndet werden kann, und universaler Gltigkeit von Normen, wie sie a priori fr das pacta sunt servanda in Anspruch genommen werden mu. Ich werde auf diesen Punkt noch zurckkommen. Die sogenannten deklarativen Sprechakte schlielich knnte man als soziale Institutionalisierung und Verselbstndigung derjenigen Funktion verstehen, die alle Sprechakte in ihrem performativen Teilaspekt ausben: der Funktion der Konstitution sozialer Tatsa-chen. Insofern hngt auch die illokutionre Kraft der deklarati-ven Sprechakte primr von der intersubjektiven Gltigkeit sozia-ler Normin ab, whrend ihre - von der normativen Geltung der Konstitution sozialer Tatsachen abhngigen - Erfllungsbedin-gungen in der wechselseitigen Entsprechung der word to world direction of fit und der world to word direction of fit liegen mssen. Doch auch wenn diese Zuordnungen gerechtfertigt sind, scheint mir die Unterscheidung zwischen dem normativ-sozial orientier-ten Geltungsanspruch und Weltbezug und dem an Auenwelttat-sachen orientierten Wahrheitsanspruch und Weltbezug den Be-reich mglicher Geltungsansprche und Weltbezge von Sprech-akten nicht auszuschpfen. Denn im Falle der expressiven Sprechakte zeigt sich nochmals ein zur illokutionren Kraft geh-riger spezifischer Geltungsanspruch mit spezifischem Weltbezug,

    43

    der als solcher weder auf den propositionsbezogenen Wahrheits-anspruch der assertiven Sprechakte noch auf den performativ-kommunikativen Geltungsanspruch der direktiven Sprechakte zurckgefhrt werden kann. Im Falle etwa von Gratulationen, Kondolationen, Entschuldigungen, vollends aber von Bekennt-nissen, Gestndnissen, Schwren und Beteuerungen ist es weder die Existenz von propositional reprsentierten Sachverhalten bzw. die Wahrheit der sie reprsentierenden Propositionen noch die intersubjektive Gltigkeit von Normen des Seinsollens in der sozialen Welt, was dem Sprechakt seine Berechtigung verschafft. Eher ist es hier der wahrhaftige - eventuell der authentische Ausdruck der psychischen Innenwelt des Sprechers. Da auch hier ein Geltungsanspruch vorliegt, zeigt sich daran, da die Wahrhaftigkeit etwa von Kondolationen, Entschuldigun-gen oder Liebeserklrungen in Frage gestellt werden und in die-sem Fall in expressiven Sprechakten anderen Typs - zum Beispiel in Beteuerungen oder Schwren - eigens zum Thema der Versi-cherung gemacht werden kann. Im letzteren Fall knnte man in Anknpfung an Searles Terminologie sagen, die Versicherung be-ziehe sich darauf, da die bezweifelte relation of fit zwischen dem sprachlich Ausgedrckten und der Innenwelt des Sprechers tatschlich besteht. (Interessant ist freilich, da dies im Falle des Wahrhaftigkeitsanspruchs nur versichert oder beteuert, nicht da-gegen - wie im Falle des Wahrheitsanspruchs und des normativen Richtigkeitsanspruchs - durch Argumente begrndet und insofern eingelst werden kann. Man kann allenfalls darauf hinweisen, da man den Wahrhaftigkeitsanspruch des expressiven Sprechakts durch die Praxis des Verhaltens einlsen werde. Dieses Kriterium zeigt auch, da es falsch ist, Bekenntnisse, Beteuerungen und Schwre als besonders intensive Formen von assertiven Sprech-akten zu betrachten. Was hier besonders intensiv ist, vermag - im Unterschied etwa zu einem Beweis - den Wahrheitsanspruch ei-ner Behauptung strenggenommen, das heit rationaliter, nicht zu verstrken; es verstrkt lediglich - allerdings - den Wahrhaftig-keitsanspruch des sprachlich Ausgedrckten im Sinne der Versi-cherung der bereinstimmung des expressiven Sprechaktes mit der psychischen Innenwelt des Sprechers, das heit mit seinen Gefhlen und auch mit seinen Willensintentionen und Uberzeu-gungen. Wenn die Gltigkeit des Fallibilismus-'Pnnzips unter-stellt wird, so kann man strenggenommen nicht schwren, da

    101

  • ein Sachverhalt besteht bzw. eine Aussage wahr ist. Man kann nur schwren, da man von der Wahrheit seiner Aussage berzeugt ist oder da man nach bestem Wissen und Gewissen zu seiner Aussage berechtigt zu sein glaubt.) Man knnte gegen die Einfhrung des Wahrhaftigkeitsanspruchs als des besonderen Geltungsanspruchs einer besonderen Klasse von Sprechakten vielleicht mit dem Hinweis darauf argumentie-ren, da die Wahrhaftigkeitsbedingung (condition of sincerity) eine Vorbedingung fr das Gelingen aller Sprechakte darstelle. Dieser Hinweis scheint mir aber keineswegs unvereinbar zu sein mit der Unterstellung des besonderen Wahrhaftigkeitsanspruchs der expressiven Sprechakte. Er scheint mir lediglich - allerdings -deutlich zu machen, da alle bis jetzt eingefhrten Geltungsan-sprche und Weltbezge in allen Sprechakten - und das heit in der Sprache (speech) berhaupt - als transzendentalpragmati-sche Bedingungen ihrer Mglichkeit vorausgesetzt werden, wh-rend sie auerdem den dominanten Geltungsanspruch jeweils ei-ner Sprechaktklasse bilden (bzw. im Falle der direktiven und der promissiven Sprechakte den dominanten Geltungsanspruch zweier komplementrer Sprechaktklassen). Da zum Beispiel die assertiven Sprechakte im Zusammenhang der Argumentation als Behauptungen der Wahrheit qua intersubjektiver Gltigkeit auch stets die intersubjektive Gltigkeit moralischer Normen einer idealen Argumentationsgemeinschaft voraussetzen, ist von ent-scheidender Wichtigkeit fr die Letztbegrndung der Ethik, wie ich hier nur andeuten kann (vgl. unten, S. 47). Ich habe insoweit eine philosophische Architektonik (Kant) der Sprechakttheorie bzw. der zugehrigen Bedeutungsexplika-tion im Sinne von drei verschiedenen Gltigkeitsansprchen und zugehrigen Vtfeltbezgen und Einlsungsdimensionen im Sinne mglicher bereinstimmungsrelationen angedeutet. Sie wurde in dieser triadischen Form zuerst von Habermas in Anknpfung an Searle 1 entwickelt16, und sie findet eine wichtige Besttigung in Karl Bhlers Sprachtheorie, das heit in seiner bekannten Theorie der drei wesentlichen Sgrachfunktionen: Darstellung, Aus-druck und Appell.17

    Allerdings bedarf die - auch von Karl R. Popper bernommene -Theorie Bhlers einer wesentlichen Korrektur: Die nicht-reprsentativen Funktionen Ausdruck und Appell sind, semiotisch betrachtet, keineswegs bloe Symptom- oder

    44

    Signal-Funktionen, die wir - im Unterschied zur Darstel-lungs-Funktion der Propositionen - mit den Tieren gemeinsam htten. Die nicht-reprsentativen Funktionen des subjektiv-" selbstreflexiven Ausdrucks von Intentionen und des kommunika-tiven Appells im Sinne des Stellens von Geltungsansprchen kn-nen vielmehr durchaus symbolisch - nmlich durch Performa- -tiva - ausgedrckt und gleichsam verantwortlich vollzogen wer-den. Eben dies hat Austins Entdeckung der Performativa und die im Anschlu an ihn und Searle 1 mgliche Erkenntnis der performativ-propositionalen Doppelstruktur aller Stze gezeigt, die explizit die illokutionre Kraft und die propositionale Bedeu-tung von Sprechakten semantisch vorstrukturieren. Da es sich hier nicht um Sprachfunktionen handelt, die wir mit den Tieren gemeinsam haben, zeigt sich insbesondere in der Dreistrahlig-keit (Bhler) nicht nur der Bedeutung von Stzen und Sprech-akten, sondern der zur illokutionren Kraft gehrigen Geltungs-ansprche. Neuere Experimente mit Schimpansen haben es nahegelegt, anzunehmen, da diese Tiere sehr wohl zur proposi-tionalen Weltreprsentation in einer nichtverbalen Zeichenspra-che fhig sind; doch den illokutionren Ausdruck von Geltungs-ansprchen in Doppelstruktur-Stzen werden wir selbst Washoe und Sarah vorerst wohl nicht zutrauen.18

    Von diesen berlegungen ber die dreidimensionale philosophi-sche Architektonik der hier vertretenen Theorie der Bedeutungs-explikation und ihrer Entsprechung zu Bhlers drei Sprach-funktionen mchte ich noch einmal auf die Frage nach der Reduzierbarkeit oder Nichtreduzierbarkeit der sprachlichen Bedeutung auf vorsprachliche Bewutseinsintentionalitt zu-rckkommen. Ich mchte nicht bestreiten, da den drei Sprach-funktionen und Geltungsansprchen auch drei verschiedene Richtungen der mglichen S'mnintentionalitt entsprechen. Wre dies nicht so, dann mte man die Ausdrucks- und die Appell-funktion in der Tat - mit Bhler - als prsymbolische Funktionen auffassen knnen. Dennoch kann man behaupten, da nur die Sprache bzw. die sprachliche Kommunikation die Dreistrahlig-keit der Bedeutung und die Dreidimensionalitt der Geltungsan-sprche und Weltbezge deutlich machen und gegen das Selbst-verstndnis der Bewutseinsintentionalitt zur Geltung bringen kann. Denn fr die Bewutseinsintentionalitt mu jede Sinnin-tention - sei sie auf Sachverhaltsreprsentation, auf Appell an die ^

    101

  • Adressaten oder auf Selbstausdruck gerichtet - letztlich die Struktur der Subjekt-Objekt-Relation annehmen. Das zeigt sich darin, da wir auch die zur Reprsentation von Sachverhalten komplementren Sprachfunktionen - Kommunikation und Aus-druck - nur als Sachverhalte thematisieren knnen. Sie werden damit fr das thematisierende Bewutsein Referenzobjekt im Sinne der Subjekt-Objekt