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    Arbeit gilt sowohl in den Sozialwissenschaften als auch in linkenBewegungszusammenhngen als ein Schlsselbegriff zum Verstnd-nis gesellschaftlicher Verhltnisse. Allerdings wird nicht immer das-selbe gemeint. Arbeit ist je nach Kontext Beitrag zur persnlichen

    Freude, Fundament des Reichtums der Nationen, Waffe zur Befrei-ung der Unterdrckten, Ausdruck religiser Spiritualitt, Garant vonAutonomie und Freiheit, patriotische Tugend, konomische Not-wendigkeit, Spa und vieles mehr. Der konomische, soziale undkulturelle Kontext entscheidet oft ber die spezifische Bedeutungdes Arbeitsbegriffes. Bedeutungsinhalte sind in vielen Fllen geradekeine Selbstverstndlichkeiten. Im Folgenden wird der Hintergrundverschiedener Konnotationen des Arbeitsbegriffes beleuchtet. DerVerweis auf Unterschiede in Europa und entlang der Zeitachse ver-deutlicht die Vielfalt des Arbeitsbegriffes und schrft den Blick frdie feinen Unterschiede und die latent kommunizierten Selbstver-stndlichkeiten, wenn Menschen ber Arbeit sprechen. Dabei erhebtder Text keinerlei Anspruch auf Vollstndigkeit im Gegenteil: DieAuswahl der untersuchten Aspekte und regionalen Besonderheitenkann deutlich erweitert werden.

    Der Arbeitsbegriff in Deutschland steht dabei im Mittelpunkt derDarstellung, aber der Methode des permanenten Vergleichs folgendwird in jedem Abschnitt mit dem Verweis auf Alternativen innerhalbEuropas (und hier besonders Englands und Spaniens) die Nicht-Selbst-verstndlichkeit der eigenen Diskursgeschichte herausgearbeitet.

    In einem ersten Schritt werden der Katholizismus und zwei Arten des

    Protestantismus mit ihren Auswirkungen auf die Vorstellung von Ar-beit dargestellt. Im zweiten werden politische Aspekte allen voran dieRolle des Brgertums und sein Einfluss auf die Konnotation von Arbeit beschrieben. Im dritten und letzten Teil geht es dann um die kono-mischen Aspekte des Arbeitsbegriffes also um die Frage, wie unter-schiedliche konomische Gestaltungen des Kapitalismus die Wahrneh-mung der Arbeit beeinflussen. Dabei sind sowohl Verbindungslinienvon einem Aspekt zum anderen als auch historische Kontinuitten zuerkennen. Dennoch wird mit der Vielzahl mglicher Arbeitsbegriffegerade die Kontingenz des jeweils Verwendeten behauptet.

    Arbeit und geistliches Wohl Einheit oder getrennte Sphren?Die Welt des Glaubens mit ihren Regeln und moralischen Imperati-ven wirkt stets auch auf den Arbeitsalltag der Glubigen ein. Reli-gion stellt dabei einerseits Anforderungen an das Verhalten des Ein-

    Benno Herzog Jg. 1977;Magistersoziologe, war von

    2001 bis 2004 Studien-stipendiat der Rosa-Luxem-burg-Stiftung; arbeitet undpromoviert an der Universi-dad de Valencia (Spanien)zu populren Stereotypenund Vorurteilen gegenberEinwanderern; Verffent-lichungen zum ThemaEinwanderung, Integrationund Drogenkonsum; E-Mail:[email protected];

    Internet: www.traducat.net

    144 UTOPIE kreativ, H. 208 (Februar 2008), S. 144-156

    BENNO HERZOG

    Arbeit, work, trabajo Kulturelle, politische und konomische Aspekte

    des Arbeitsbegriffes in Europa

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    zelnen und hilft andererseits, die soziale Wirklichkeit zu interpretie-ren. Doch auch die religisen Schriften selbst rufen stets unter-schiedliche Interpretation hervor. Bei der christlichen Religion kannin Bezug auf Arbeitsvorstellung auch fr die Zeit vor der Aufspal-tung in verschiedene Konfessionen nicht von einer kohrenten Bot-schaft gesprochen werden.

    Bereits im Alten Testament finden sich zwei verschiedene Aspektedes Arbeitsbegriffes wieder. Einerseits wurde mit der Vertreibungaus dem Paradies den Menschen Arbeit als Strafe auferlegt. Mhsalund Last prgen diesen Aspekt der harten krperlichen Arbeit. An-dererseits das Gegenbild: Arbeit als gotthnliches, schpferischesBepflanzen, Bebauen und Bewahren fand entgegen der Vorstellungvom Paradies als arbeitsfreier Existenz bereits vor der Vertreibungaus dem Paradies statt (Gen. 2.15).

    Da das Werk und Leben Jesu eher auf das Jenseits gerichtet war,finden sich im Neuen Testament keine Aussagen Jesu, die sich direkt

    mit dem Problem der Arbeit beschftigen. Als Schlsselszene kannjedoch die Vertreibung der Hndler aus dem Tempel gelesen werden.Handel, also profane Ttigkeit, wurde als Entweihung der HeiligenSttte verstanden und musste von dieser getrennt geschehen. Mit derGeburt des Christentums werden somit Aspekte des Arbeitslebensvon der Religion getrennt. Das alltgliche Arbeiten war fr das See-lenheil bestenfalls wertneutral, Handel und hier besonders derGeld- und Zwischenhandel galten aber als bedenklich, waren siedoch stets von der Gefahr des Wuchervorwurfs begleitet. Auchwurde die Gefahr gesehen, dass Arbeit zu Habgier und Verschwen-dung verleitet. Seelenheil, so die allgemein verbreitete Rezeption,konnte nicht ber Arbeit, sondern nur ber die Hinwendung zumHeiligen und zu guten Werken erlangt werden. Dennoch bot Arbeitneben der Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt zu schaffen, aucheine Chance fr das Seelenheil: Wenn Arbeit nicht auf Besitz, son-dern auf Geld fr die Caritas zielte, hatte sie durchaus auch ihreFunktion fr das Jenseitsstreben. Auerdem galt Arbeit als Begier-lichkeiten zgelnd und als Heilmittel gegen Miggang.1

    Bis zum Vorabend der Neuzeit bedeutete Arbeit fr die bergroeMehrzahl der Bevlkerung krperliche Anstrengung, Mhe undPlage. Auch wenn es durchaus Anstze gab, Arbeit als gotthnliche

    Schpfung, Schaffung von Mglichkeiten zum Almosengeben etc.positiv zu konnotieren, so war die alltgliche, schwere Arbeit dochnicht nur wegen der damit verbundenen Anstrengungen negativ be-setzt. Auch die soziale Situation der Arbeitenden war in der Regeldie der Abhngigkeit und sozialen Minderberechtigung. Die morali-sche Entwicklung des Menschen und die Erlangung des Seelenheilswaren eher mit kontemplativen Ttigkeiten verbunden, und wem esder Stand erlaubte, der zog diese selbstverstndlich der Arbeit mit-hin krperlichen Ttigkeit vor.

    Mit Luther ndert sich die Bewertung der alltglichen Arbeit inden von ihm erreichten Regionen Europas so grundlegend, dass hiervon der Entstehung einer neuen Arbeitsethik gesprochen werden kann.Neu bei Luther ist vor allem die Begrndung der Arbeitspflicht, daer Arbeit als eine Pflicht des einzelnen Menschen direkt gegenberGott versteht. Luther stellte somit eine unmittelbare Verbindung des

    1 Vgl. Andreas Pawlas:Die lutherische Berufs- undWirtschaftsethik. Eine Ein-fhrung, Neukirchen-Vluyn2000, S. 41.

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    einzelnen Arbeitenden zu Gott her, wobei Arbeit selbst zu einemMedium dieser Verbindung wird. Diese neuartige Begrndung schlgtsich auch in Luthers Begriff vomBerufnieder, dem er durch seineBibelbersetzung zu weiter Verbreitung verhalf. Die Mnche, die bisdahin den Berufsbegriff fr sich okkupiert hatten, da sie meinten, alseinzige einer Berufung zu folgen, haben laut Luther gerade keinenBeruf. Dem Ruf Christi msse in der Weltgeantwortet, Tugend ebendort gebt werden.2 Nach Luthers Vorstellung hat Gott jedem Ein-zelnen ein Stck Arbeit zugewiesen, durch dessen Erfllung derMensch als Handlanger Gottes zugleich seine Pflicht gegenber denMitmenschen erfllt.3 Profane Ttigkeiten bekamen nun die Wrdeeines Gottesdienstes, und da Arbeit Gottesdienst war, konnte sieauch nie mit Verdruss getan werden, sondern war frhlicher Dienstan Gott und dem Nchsten. Hier entwickelte sich zum ersten Mal derGedanke derArbeitsfreude, also die Vorstellung, dass nicht nur dasErgebnis, das Werk, der geistige Lohn, die Bezahlung oder der ge-

    sellschaftliche Nutzen der Arbeit nachtrglich Sinn und dadurchvermittelt Freude bereitet, sondern dass die Arbeitsttigkeit selbstFreude bereit hlt.

    Doch einfach nur ttig zu sein reichte nicht aus, um sich seinesGnadenstandes zu versichern. Entscheidend war die Art und Weise,wie die Arbeit ausgefhrt wurde. Diese solle in Demut, Gehorsamund vor allem im Glauben verrichtet werden. Christen sollen nachLuther nur auf die Arbeit selbst sehen und nicht auf deren Ertrag,denn die Frucht der Arbeit, also sowohl der sichtbare Ertrag als auchbesonders die Gewhrung der Gnade Gottes, hngt allein vom Glau-ben ab. Gott will demnach, dass der Mensch arbeite, er will abernicht, dass der Mensch glaube, die Arbeit sei es, die ihn erhalte.

    Im Calvinismus hingegen und hier kann der Blick auf die Ent-wicklung in England als beispielhaft gelten war der Gedanke derTreue zur Arbeit von weit geringerer Bedeutung. Im Gegenteil: EinBerufswechsel war (auch mehrmals im Leben) durchaus angesehen,wenn damit die Chance auf einen greren konomischen Erfolgverbunden war. Dies lsst sich auf die calvinistische Prdestina-tionslehre zurckfhren, welche besagt, dass das Schicksal der Seeledes Einzelnen im Jenseits vorherbestimmt und nicht wie im Katho-lizismus durch eine tugendhafte Lebensfhrung bzw. Bue und Ab-

    lsse positiv beeinflussbar ist. Weltlicher (konomischer) Erfolg galtals Beweis der Gnadenwahl, war also lediglich Mittel zur Beant-wortung der drngenden Frage nach dem eigenen Status vor Gott.Durch Leistung, Berufsarbeit, verbunden mit asketischer Selbstkon-trolle, sollte die Gnadenwahl als weltlicher Erfolg sichtbar gemachtwerden. Whrend man also bei Luther die Vershnung mit Gott imDiesseitsfhlen wollte, so konnte man im Calvinismus seine jensei-tige Seligkeit wissen, da der sichtbare Erfolg als Beweis des Gna-denstandes galt.4

    Diese unterschiedlichen Auffassungen innerhalb des Protestantis-mus blieben nicht ohne Folgen. Das Luthertum regte dazu an, sichpermanent selbst darin zu berprfen, wie man seine Ttigkeitenausfhrte, und da es auf dieArt und Weise ankam, konnten deutscheAutoren die deutsche Arbeit von dem asketischen, alles durchdrin-genden Arbeitsethos der Englnder abgrenzen. Diesem fehlten die

    2 Vgl. Max Weber: DieProtestantische Ethik I Eine Aufsatzsammlung,Gtersloh 2000, S. 344.

    3 Vgl. Pawlas a. a. O.,S. 59.

    4 Vgl. Weber a. a. O.,S. 151.

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    typisch deutsche Gemtlichkeit und Natrlichkeit. Deutsche Ar-beit wurde als tiefer, urwchsiger, authentischer empfunden und vonder Arbeit, die um des bloen Gelderwerbs willen und ohne inne-ren Wert geleistet wurde, positiv unterschieden. Im calvinistischenEngland hingegen fhrte die Rationalisierung der Lebensfhrung zueinem starken konomischen Aufschwung. Die Bedeutung der Ar-beit stieg, allerdings nicht als Wert an sich, sondern lediglich als Mit-tel zum Zweck.

    In den folgenden Jahrhunderten blieb die Tatsache, dass Arbeit imProtestantismus eine sozial hoch akzeptierte Ttigkeit war, nicht ohneFolgen. Arbeit wurde als Heilmittel gegen Krankheit, Armut undKriminalitt gesehen. Krankheiten wurden nun weniger als Schick-sal oder Strafe Gottes gesehen, sondern eher als Folge von Faulheit.5

    Folglich konnte das Handauflegen eines Knigs oder Kerzenaufstel-len und Beten fr einen Heiligen (wie in katholischen Gegendennoch heute gngige Praxis) nicht mehr helfen. Bettler wurden von

    ntzlichen (weil dem Seelenheil des Spenders zutrglichen) Almo-senempfngern in zu erziehende Faulpelze umcodiert. Durch die Ar-beitspflicht sollte ihnen tugendhaftes Verhalten beigebracht werden.

    Als Folge speziell des Luthertums kann die Verbreitung des Berufs-gedankens gesehen werden. Noch heute verweist Beruf anders alsbeispielsweise Job auf einen engen Zusammenhang von Arbeitund Persnlichkeit. Das Berufsmotiv lste sich dabei in den Jahr-hunderten nach Luther langsam von dem Gedanken, von Gott zu et-was berufen zu sein. Da aber Arbeit eine stark gefhlsmige, sinn-volle Ttigkeit war, durch die sich das eigene Sein ausdrcken lie,verlagerte sich der Ursprung der Berufung von Gott mehr und mehrin das (gedanklich neu entstehende) Individuum und wirkte auch daweiter, wo Menschen nicht mehr an den evangelischen Ansatz ge-bunden waren. Durch den Berufungsgedanken entwickelte sichArbeit in lutherisch geprgten Regionen von einem Zwang zumberleben zu einer moralischen Pflicht und zu einem Sinngebungs-moment. Diese starke Betonung des Sinns einer Arbeitsttigkeit(nicht zu verwechseln mit dem eher im Calvinismus verbreitetenMotiv des Arbeitsergebnisses) und der daraus resultierenden Ar-beitsfreude sind weder im Calvinismus noch im Katholizismus zubeobachten.

    Der Katholizismus in Europa verfolgte die ursprngliche christli-che Linie trotz der Reformationsbewegungen weitgehend weiter.Katholische konomische Lehren wie diejenigen der bedeutenden

    Escuela de Salamanca in Spanien, die in etwa zeitgleich zu der Re-formationsbewegung entstand und deren Ideen noch heute einenGrundpfeiler der katholischen Lehre bilden,6 versuchten zwar, Ant-worten auf moralische und konomische Fragen zu geben, sprachendabei aber der Arbeit weder einen moralischen Wert noch einen Wertfr die konomie zu. Preise, Lhne oder Wert der Produkte wurdenin ihren Vorstellungen niemals auf Arbeit zurckgefhrt.

    Auch in den darauf folgenden Jahrhunderten reagierte die katholi-sche Kirche oft nur halbherzig auf die protestantischen Bewegungenmit ihrer Hherbewertung der Arbeit. Noch heute existiert fr denlutherischen Berufsbegriff in den romanischen Sprachen oft keineadquate bersetzung. Arbeit oder Beruf bekamen keinen morali-

    5 Vgl. Holger Schatz,Andrea Woeldike: Freiheitund Wahn deutscher Arbeit,Mnster 2001, S. 19.

    6 Vgl. hierzu AlejandroChafuen: Economia y tica

    Raices cristianas de laeconomia de libre mercado,Madrid 1991; und FabinEstap Rodriguez: Revalo-rizacin de la escolstica

    en la formacin del pensa-miento econmico, in: Ana-les de la Real Academia deCiencias Morales y Politi-cas, Nr. 73, Madrid 1996.

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    schen Stellenwert. ber den moralischen Wert der einzelnen Hand-lung entschied oftmals die Intention. Es bestand zudem noch dieMglichkeit, sich durch das Sakrament der Beichte und nachfolgen-der Bue seiner Snden zu entledigen. Die katholische Kirche be-trachtete die Entwicklung in vielen protestantischen Lndern mitgroer Skepsis, widersprach doch die Verwandlung der Arbeit voneiner Last zur Lust und zum Garanten des persnlichen Wohl-standes oder gar zur Selbstbesttigung der katholischen Vorstellungvon der Mhsal, in die Gott die sndigen Menschen gestellt habe. 7

    Auch verneinte die katholische Kirche Arbeit als Grundlage persn-lichen Reichtums und sozialen Aufstiegs. Lange Zeit hing sie daherden Vorstellungen eines mittelalterlichen Stndestaates nach, worinsie wiederum der Ansicht Luthers deutlich nher stand als derjeni-gen Calvins.

    Unter der Voraussetzung der im Gegensatz zum Protestantismusstarken Trennung von Geist und Materie, von Transzendenz, wirkli-

    chem Sein und Nhe zu Gott auf der einen Seite und weltlichem Be-sitz, Haben, aber auch Arbeit auf der anderen Seite bleibt die Rolleder Arbeit im Katholizismus fast ausschlielich auf den weltlichenBereich beschrnkt. Arbeit als weltliche Notwendigkeit, um den Le-bensunterhalt zu sichern; Arbeit als instrumentelles Handeln, dessenSinn und Ziel der Mensch (nicht Gott) ist. Durch dieses Verschlieender Arbeit gegenber transzendentalen Vorstellungen wird es schwie-riger, den Arbeitsbegriff mit anderen abstrakten Vorstellungen wieNation, Selbstverwirklichung, Menschwerdung etc. zu fllen. Arbeitbleibt ganz selbstverstndlich eine Notwendigkeit. Eine ffnung frgeistig-moralische Ansprche der Arbeit selbst, wie es Luther ge-lang, bleibt beim Katholizismus ausgeschlossen. Arbeit als Instru-ment oder Mittel hingegen ist im Katholizismus durchaus mit mora-lischen Ansprchen verknpft. So kann auf der einen Seite dieZielbestimmung der Arbeit moralisch begrndet werden, auf der an-deren Seite wird diesem Ziel als bloem weltlichem Bedrfnis einTeil der Dringlichkeit genommen.

    Arbeit adelt: Das Brgertum und der ArbeitsbegriffDie Emanzipation des Brgertums in Europa fhrte dazu, dass aufvielen Gebieten eigene Vorstellungen entwickelt wurden, welche sich

    teilweise direkt gegen die alten Machthaber aus Adel und Klerusrichteten. Ein eigenstndiger brgerlicher Arbeitsbegriff begann sichzuerst von England her zu formieren. Francis Bacon (1561-1626)gilt als einer der ersten brgerlichen konomen. Da konomie(ganz im calvinistischen Sinne) von Moral nicht zu trennen war,legte er eine Moral der Ntzlichkeit, basierend auf rational-techni-schem Wissen, Arbeit und der damit verbundenen Produktivitt, vor.Hier entsteht erstmals der uns heute so selbstverstndliche Begriffder Arbeit als abstrakte, verschiedene Ttigkeiten zusammenfassendeBezeichnung. Erst mit ihrer begrifflichen Entstehung wird abstrakteArbeit formbar. Sie wird gleichsam geffnet, und es wird Raum ge-schaffen fr viele verschiedene Deutungen und Fllungen des Ar-beitsbegriffes, die berhaupt nicht mglich wren, wenn weiterhinselbstverstndlich davon ausgegangen wrde, dass Arbeiten so un-terschiedlich sind, dass man von Arbeit nicht abstrakt sprechen kann.

    7 Vgl. Schatz, Woeldikea. a. O., S. 53.

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    In diesem historisch ersten Fall ist es also die Ntzlichkeit, die alleArbeiten miteinander verbindet und die Voraussetzung schafft, all-gemein von Arbeit zu reden.

    1690 verffentlichte John Locke seine Two Treatise on Govern-ment, worin er den Zusammenhang von Macht, Reichtum, Eigentumund Arbeit herstellte. Gehrten vorher Arbeit und Armut ganz selbst-verstndlich zusammen, galt nun Arbeit erstens konomisch als Grundfr Reichtum und zweitens rechtsphilosophisch als Grund fr Eigen-tum.8 Jetzt ist es die Arbeit, die der Natur die Dinge abringt, die Rechtund Eigentum schafft und damit zum Quell des Besitzes wird.

    Mit der Hherbewertung von Arbeit und der Vorstellung eines Zu-sammenhanges von Arbeit und Ntzlichkeit, Arbeit und Reichtum,Arbeit und gesellschaftlichem Fortschritt, aber besonders auch Machtund Arbeit, konnte das Brgertum seine Ansprche an staatlicheFhrungspositionen gegenber dem nicht arbeitenden Adel mora-lisch und konomisch begrnden. Dieser schien nun nicht mehr

    zur Fhrung bestimmt und moralisch hher stehend, sondern als dasgenaue Gegenteil der Arbeit: unntz, Reichtum und gesellschaftlichenFortschritt hemmend und zunehmend machtloser. Die Betonung desLeistungswillens des Brgertums gegen das Geburtsprivileg desAdels, die Bejahung von Arbeit als Wert, die berzeugung, dass sichAnstrengung auch im Diesseits lohnt, sowie der Glaube an Fort-schritt und sozialen Aufstieg nehmen im englischen Brgertum ihrenAnfang.

    Der Einfluss brgerlicher Arbeitsvorstellungen breitete sich durchdie Teilhabe an der politischen Macht oder deren gnzliche ber-nahme durch das Brgertum von England her ber Frankreich bisnach Deutschland aus, traf dort aber mit dem spezifisch deutschenIdealismus zusammen, der dem Arbeitsbegriff eine andere Schattie-rung verlieh.

    In Deutschland sah Johann Gottlieb Fichte Arbeit anthropologischals dem Menschen zugehrige Mglichkeit, der Freiheit Ausdruckzu verleihen. Die Natur hat die Menschen (...) zur Freiheit bestimmt,d. i. zur Ttigkeit.9 Dieser Satz reflektiert alle drei Grundkategoriendes idealistischen Arbeitsbegriffes: Arbeit als berindividuelle, natr-liche Kategorie, welche die Bestimmung des Menschen ausmacht;Arbeit als Entwicklung zur menschlichen Freiheit; und Arbeit als

    Ttigkeitallgemeiner Art. Wirkliches menschliches Leben drcktesich demnach nur noch in Ttigkeit aus, die Arbeit wird von einerLast zur Lust am Menschsein. In Schillers Gedicht von der Glockebeschreibt dieser eindrucksvoll diese Gemeinschaft der frhlichSchaffenden, die an anschaulicher Arbeit teilhaben: Arbeit ist desBrgers Zierde / Segen seiner Mhe Preis.

    Dieser Arbeitsbegriff hat sich nicht nur weiter von dem Gedankender Arbeit als Schande entfernt wie bereits bei Luther , sondernauch die Vorstellung von Demut bei der Arbeit ist verschwunden.Als Zierde wird Arbeit im weltlichen Leben verstanden. Der Ide-alismus bezeugte nicht nur das Verblassen der Kraft des Erlsungs-versprechens bei gut getaner Arbeit, er wandte sich auch gleichzei-tig gegen den englischen Materialismus. Nicht das Materielle istder Lohn der Arbeit, sondern die Freude an der Menschwerdungdurch das konkrete Ergebnis und den Arbeitsprozess selbst.

    8 Vgl. Johannes Schnar-rer: Arbeit und Wertewandelim postmodernen Deutsch-land. Eine historische,ethisch-systematischeStudie zum Berufs- undArbeitsethos, Hamburg1996, S. 87 f.

    9 Johann Gottlieb Fichte,zit. nach: Werner Conze:Arbeit, in: Otto Brunneru. a.: Geschichtliche Grund-begriffe Historisches

    Lexikon zur politisch-sozia-len Sprache in Deutschland,Bd. 1, Stuttgart 1973,S. 184.

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    Arbeit als geistige (Hegel) und allgemein menschliche Entwicklung,bei der es auf das Wie der Ttigkeit und die dahinter stehende Ideeankommt, war ein wichtiger Faktor menschlicher Sinngebung. Derlutherische Gedanke der Arbeitsamkeit war hier gleichsam aufgeho-ben. Von seiner religisen Vorstellung als Mittel zum Seelenheil ent-kleidet, wurde er weitergefhrt zur Arbeitsamkeit als persnlicheLust und weltlicher Zweck, aber auch Mittel zur menschlichen Ent-wicklung.

    Doch mit derArbeitsamkeitbrachte der deutsche Idealismus nochzwei verwandte Schlsselkategorien zum Verstndnis deutscher Ar-beitsvorstellungen zum Ausdruck:Arbeitsfreude undArbeitskraft.

    Arbeitsfreude ist ein Aspekt der Arbeit, der nirgends so betontwird und wurde wie in Deutschland.10 Dies lag vor allem daran, dassin der langen Tradition der Aufmerksamkeit auf das Wie des Arbeits-prozesses die Ttigkeit und nicht nur das Ergebnis zum lustvollenSinngebungsmoment wurde. Allerdings bestand ein offensichtlicher

    Zwiespalt zwischen der kreativen und intellektuell stimulierendenArbeit als Ausdruck von Freiheit, die als sozial wertvoll und persn-lich erfllend dargestellt wurde, wie es die idealistischen Poeten ta-ten, und des Arbeitsalltags gerade in der Frhzeit der Industriearbeit,die als mechanisch und unpersnlich empfunden wurde und gera-dezu eine Zerstrung hherer Werte darstellte. Statt aber in der Phi-losophie der Realitt soweit Rechnung zu tragen, der (Industrie-)Arbeit fr die persnliche Entwicklung eher negative Attribute zubescheinigen, wurde in einer einmaligen Kraftanstrengung versucht,mit dem Konzept der Arbeitsfreude die Realitt der Idee anzupassen.Der Kampf gegen Entfremdung kann in dieser philosophischen Tra-dition verstanden werden als der Anspruch, das Versprechen aufFreude und Erfllung im Arbeitsprozess aufrechtzuerhalten.

    Die Vorstellung von Arbeitskraftist ebenfalls ein spezifisch deut-sches Phnomen. Auch wenn der Begriff selbst erst zu Beginn des19. Jahrhunderts auftaucht, war die Vorstellung davon bereits vorherAllgemeingut. Deutschland war 1776 das erste Land, in dem AdamSmiths Wealth of Nations als bersetzung erschien, also jenesBuch, in welchem Arbeit als abstrakter Begriff benutzt und alsQuelle allen Reichtums gefeiert wird. Doch in Deutschland wurdedieses Buch nicht verstanden.11 Deutsche bersetzer hatten groe

    Probleme, die in dem Werk vorkommenden abstrakten Kategorienwie demand for labour, welche Arbeit als Ware ansehen, zu ber-setzen, weil diese in der deutschen Vorstellung gar nicht existierten.Als Nachfrage nach Arbeitern wurden diese Ideen schlielich demdeutschen Vorstellungsrahmen angepasst, und die Ware Arbeit wurdeals sichtbare Ttigkeit oder in den Arbeitern liegende Kraft umge-deutet. In der deutschen Rezeption machte die Quelle der Kraft Ar-beit miteinander vergleichbar und nicht der Austausch.12

    Die englischen brgerlichen konomen verstanden Arbeit nie alseine rein individuelle Kategorie, bezogen sie immer auf die Gesell-schaft und den Staat und nannten sich folgerichtig Nationalkono-men. Whrend der Franzsischen Revolution wurde der dritte Stand,weil produktiv ttig, zur ganzen Nation erhoben und damit die ko-nomische Verbindung von Arbeit und Nation politisiert. Arbeitwurde also in der brgerlichen Ideologie stets mit der Nation in Ver-

    10 Vgl. Joan Campbell:Joy in Work, German Work

    The National Debate1800-1945, Princeton/New Jersey 1989.

    11 Vgl. Richard Biernacki:

    The Fabrication of Labor Germany and Britain 1640-1914, Berkeley/Los Angeles/London 1995, S. 266.

    12 Vgl. ebenda.

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    bindung gebracht, und es war ein erklrtes Ziel der europischenbrgerlichen Bewegungen, die Nation von unproduktiven und alsparasitr bezeichneten Elementen zu befreien, worunter sie auch denAdel verstanden.

    Die Beziehung von Adel und Brgertum in Deutschland weist, imGegensatz zu den meisten anderen europischen Staaten, die Beson-derheit auf, dass der deutsche Adel lange Zeit einflussreicher warund zudem strker an militrischen Werten orientiert war als an h-fischen. Durch die zentrale Lage Deutschlands mit besonders hufi-gen militrischen Konflikten wurde dem Wert des Kriegers der Vor-rang vor denen des Hflings eingerumt.13 Kriegerische Werte, dieauch fr das alltgliche Leben galten, waren zum Beispiel: Ehre,Mut, Pflicht, Gehorsam, Disziplin, Loyalitt oder Ordnung. Dasdeutsche Brgertum schaffte es dabei nie, diesen militrischen Tu-genden eigene, selbstbewusste Vorstellungen entgegenzusetzen. Diedeutsche Einheit 1871, die aufgrund eines militrischen Sieges zu-

    stande kam, strkte die Position des Militradels, dessen Vorstellun-gen groe Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsethos hatten. Dieoben beschriebenen militrischen Werte flossen in das brgerlicheArbeitsethos mit ein, wobei vor allem liberale und bildungsbrgerli-che Vorstellungen wie die Betonung von geistiger, autonomer bzw.zweckfreier Arbeit an Einfluss verloren.14 Pflicht, Gehorsam,Loyalitt und Ordnung bestimmten nun das Bild des Arbeiters, amprgnantesten formuliert von Bismarck mit seinem Ausspruch vomSoldaten der Arbeit. Auch Formulierungen wie sich hoch die-nen statt sich hoch arbeiten bezeugen die Vermischung der br-gerlichen und militrischen Auffassung, in der eine Statusverbesse-rung durchaus mglich war, diese aber nicht mit dem brgerlichenBegriff der Arbeit, sondern mit der aus dem Militrischen und Aris-tokratischen kommenden Formulierung des Dienens in Verbindunggebracht wurde.

    Whrend im 19. Jahrhundert in England und Frankreich selbstbe-wusste Arbeitsvorstellungen dem Adel entgegengesetzt wurden undin Deutschland militrische Werte Einfluss auf die Arbeitsethik ge-wannen, sah das Bild in den Randgebieten Europas mit einem eben-falls schwachen Brgertum nochmals anders aus. Als ein Beispielsoll hier die Situation in Spanien vorgestellt werden.

    Im 18. Jahrhundert machte der spanische Adel aufgrund der hohenAnzahlHidalgos (Junker, Edelmnner), die die unterste Stufe in derAdelshierarchie bildeten, im Durchschnitt zehn Prozent der Gesamt-bevlkerung aus.15 Viele arme Hidalgos immigrierten vom Nordenin den Sden und heirateten dort oft Partner aus dem reichen Br-gertum. Dies fhrte zu einer starken Veradelung im Habitus der aufdiese Weise Geadelten. Das ohnehin schwache spanische Brgertumwurde in den Folgejahren weiter geschwcht, da ein Teil durch diekonomischen Krisen proletarisiert wurde, whrend ein anderer Teilin den Adelsstand aufrckte. Aus Angst, ebenfalls abzurutschen, orien-tiert sich das verbleibende Brgertum am Adel. Auch die konomi-schen Theorien dieser Zeit lieen keinen Widerspruch gegen denAdel erkennen; sie kamen nicht aus dem Brgertum, sondern warenwesentlich von derEscuela de Salamanca beeinflusst und sahen denAdel als ntzlichen Teil der Gesellschaft, da er durch Regierung,

    13 Vgl. Norbert Elias:Studien ber die Deutschen.Machtkmpfe und Habitus-entwicklung im 19. und20. Jahrhundert, Frankfurta. M. 1990, S. 85.

    14 Vgl. Conze a. a. O.,S. 191.

    15 Zur genaueren Zusam-mensetzung der spanischenGesellschaft dieser Zeit vgl.Antonio Dominguez Ortiz:Historia Universal EdadModerna, Barcelona 1983,S. 207.

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    Rechtsprechung und Verteidigung des Landes sinnvolle Aufgabenauch fr die konomische Entwicklung liefere.

    Das Agrarbrgertum, welches Land gekauft hatte, aber dennochnicht den Sprung in den Adelsstand schaffte, erschwerte das Auf-kommen eines echten Brgertums. Die Anpassung dieser Teile desreichen Brgertums an den Adel fhrte bald zu einer neuen Aristo-kratie, die den Luxus des Adels nachahmte und versuchte, von Ren-ten zu leben.16 Es entstand der brgerliche Caballero, eine Art Gent-leman oder Kavalier, der sich elegant verhlt und sich damit brstet,nicht zu arbeiten. Doch nicht nur das Brgertum veradelte, sondernauch der Adel verbrgerlichte zunehmend und sah sich aus kono-mischen Grnden gezwungen, wirtschaftlich strker ttig zu werden.Auf diese Weise entstand in sozio-konomischer Hinsicht eine rechthomogene Gemeinschaft von Brgertum und Aristokratie, die sichu. a. durch eine Geringschtzung der Arbeit auszeichnete. Dies alsozu einer Zeit, in der besonders in Frankreich und England Arbeit als

    Kampfbegriff des Brgertums gegen den Adel verwendet wurde.Im 19. Jahrhundert schlielich gewann das Brgertum an Machtund Einfluss, sprte aber andererseits, dass die politisch erwachen-den unteren Klassen sich mit dem Erreichten nicht zufrieden gaben.So schwankte das spanische Brgertum zwischen Republik undMonarchie und wurde nicht zur treibenden Kraft wie in vielen ande-ren Staaten, sondern in weiten Teilen noch konservativer, um derGefahr eines sozialistischen oder anarchistischen Umsturzes entge-genzuwirken.

    Ware Arbeit: Mythenbildung in Kapitalismen

    Mit dem aufkommenden Kapitalismus verndert sich nicht nur dieArbeit, sondern auch die soziale Deutung derselben. Nun berechne-ten Manufaktur- und Fabrikherren durch die Produktion fr denMarkt nicht erst nachtrglich im Rahmen des Tausches den Wert desProduktes, sondern sie kalkulierten direkt mit der Arbeit als Wert bil-dendem Faktor. Der Wert von Waren und Arbeit ist dabei aber ge-sellschaftliche Gre, welche von den jeweiligen historischen ge-sellschaftlichen Krfteverhltnissen abhngt. Der Wert der Arbeitund der Produkte drckt sich also nur scheinbar objektiv in Lohnund Preis aus.17 Das fr den Produzenten Undurchschaubare und da-

    mit Geheimnisvolle der Ware besteht also darin, dass sie den Men-schen ihre Arbeit, die durch gesellschaftliche Verhltnisse geprgtist, zurckspiegeln als eine Natrlichkeit der Ware selbst, als stoff-lich konkretes Ding mit einem als natrlich empfundenen Preis. Ar-beit ist daher nicht nur gemeinschaftliche Stoffumformung, sondernsie ist gesellschaftlich in einem zustzlichen Sinn, indem sie alsquasi objektives Mittel gesellschaftliche Beziehungen und gesell-schaftlichen Reichtum vermittelt.

    Ebenfalls mystifizierend kann die abstrahierende Kraft des Mark-tes wirken, welcher von der stofflichen Beschaffenheit eines Pro-dukts absieht, d. h., es bleibt fr den Gewinn der Fabrikherren ohneInteresse, welche Produkte produziert werden, solange sie sich aufdem Markt veruern lassen. Somit verschwindet auch die beson-dere Form der Arbeit fr den Wert bildenden Prozess. brig bleibteine gespenstische Gegenstndlichkeit, eine bloe Gallerte unter-

    16 Vgl. Mikel Aizpuru,Antonio Rivera: Manuel dehistoria social del trabajo,Madrid 1994, S. 137.

    17 Vgl. u.a: Marx/Engels

    Werke, Bd. 23, S. 53 ff.

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    schiedsloser menschlicher Arbeit (Marx). Der Abstraktion des Wer-tes der Arbeit von dem konkreten Endprodukt scheint aber die Wareals Vergegenstndlichung des Gebrauchswerts in ihrer konkretenNtzlichkeit und der Natrlichkeit des Materials entgegenzustehen.

    Der Charakter von Macht und Gewalt der Waren produzierendenGesellschaft schlgt dem Arbeiter erst entgegen, wenn er mit seinemscheinbar objektiv bemessenen Lohn als Konsument auf die schein-bar objektiv bemessenen Preise trifft und feststellt, dass zwischendurch verausgabte Arbeitskraft begrndetem Konsumanspruch undden Konsummglichkeiten in der kapitalistischen Gesellschaft eineLcke klafft. Ausbeutung erscheint somit nicht in der Produktions-,sondern erst in der Zirkulationssphre, was zu einer einseitigen Ab-lehnung der Zirkulationssphre fhren kann.18 In dem Moment, indem lediglich die Erscheinungsform des Kapitalismus erblickt wird,wird das ihm zu Grunde liegende gesellschaftliche Verhltnis notwen-dig mystifiziert.

    Die Gegenberstellung von konkret und abstrakt also von stoff-lich erfahrbarem Produkt und sinnvoller Ttigkeit einerseits und aus-tauschbarer Arbeit und abstrakter Herrschaft andererseits lsstauch den Arbeitsbegriff nicht unberhrt. Whrend die Produktion alskonkret wahrgenommen wird, erscheint die Zirkulationssphre alsTeil der abstrakten Herrschaft. Eine ablehnende Haltung gegenberallem Abstrakten und der Zirkulationssphre, also gegenber demHandel, insbesondere dem Handel mit Geld, kann die Folge sein. ImGegenzug wird auf der anderen Seite Arbeit als konkret, natrlich,ntzlich, Wert bildend und produktiv aufgewertet.

    Doch nicht nur die innere Logik des Kapitalismus prgt die Sicht-weise auf die Arbeit, auch die jeweilige Organisationsform wirkt aufdie Deutungsschemata ein und sorgt durch einen teils schleichendenSozialisationsprozess fr die sensitiv-motorische Loslsung der Ar-beiter von den vorkapitalistischen Arbeitsbedingungen.

    Neben einer beruflich-fachlichen Qualifikation sollten Arbeiter vorallem normative Qualifikationen mitbringen. Als innere Kontrollenoder Arbeitstugenden handelt es sich hier um regulative Normen wieFlei, Pnktlichkeit oder auch Sparsamkeit; zweitens um Kontroll-normen, also die Akzeptanz von Status- und Einkommensungleich-heit, von Hierarchie und Konkurrenz und eine Motivation zu Leis-

    tung; drittens knnen hier gesellschaftliche Normen genannt werdenwie die grundstzliche Legitimation betrieblicher Macht, also die so-ziale Deutung des Arbeitsprozesses in einem fr den Fabrikherrenakzeptablen Rahmen.19 Diese normativen Voraussetzungen solltenaus der Sicht des Fabrikherren mitgebracht werden, aber gerade zuBeginn der Industrialisierung erfolgte diese Art der Sozialisation ofterst spter im Betrieb und mit viel uerem Zwang, bis ein allmh-licher Internalisierungsprozess diese offensichtliche Gewalt ber-flssig machte.

    Max Weber zeigte auf, dass Kapitalismus keineswegs Entfesse-lung von blindem Erwerbstrieb bedeutet, sondern dass, ganz imGegenteil, Kapitalismus oft gerade dessen Bndigung und rationaleTemperierung darstellt. Der Arbeiter muss sich der Arbeit verpflich-tet fhlen, er muss rational rechnen und sich in Selbstbeherrschungbzw. Sparsamkeit ben. An dieser Stelle soll nur interessieren, dass

    18 Vgl. Schatz, Woeldikea. a. O., S. 35 ff.

    19 Vgl. Otto Neuloh:Arbeits- und Berufssozio-logie, Berlin/West 1973,S. 256 f.

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    am Ende dieses Rationalisierungsschubes die innere Natur des Ar-beiters, dessen Einstellung zur Arbeit und damit auch seine Vorstel-lung von der Arbeit sich grundlegend verndert hat. Es stellt sich einPflichtgefhl gegenber der Arbeit ein, Stolz auf die eigene Arbeits-leistung, die sich mit emotionaler Selbstbeherrschung und berech-nender Rationalitt verbindet. Auch wenn eine komplette Anpassungan den Arbeitsprozess im Sinne der Arbeitgeber nie stattfand und esimmer wieder zu Unmutsuerungen, Streiks oder gar Revolutions-versuchen kam, wandten sich die Arbeiter stets eher gegen die Ar-beits- oder Besitzverhltnisse als gegen regulative Normen wieFlei, Pnktlichkeit oder Sparsamkeit. Nicht-Arbeit erscheint nichtmehr als erstrebenswerte gesellschaftliche Alternative, ja geradezuals un-natrlich.

    Doch von einem Kapitalismus zu sprechen, heit, die Augen voreiner Vielzahl von kleinen, aber bedeutenden Unterschieden in Or-ganisation und Interpretation der Arbeit in den Kapitalismen Euro-

    pas zu verschlieen. In feinen Unterschieden der Arbeitsorganisationlsst sich ein unterschiedliches Verstndnis von Arbeit ablesen, wel-ches wiederum als Sozialisierungsbedingung zu verschiedenen Auf-fassungen von Arbeit fhrt.

    Obwohl beispielsweise in England und Deutschland Weber glei-chermaen nach Stckzahl bezahlt wurden, weist Biernacki auf ei-nen entscheidenden Unterschied in der Operationalisierung und derBegrndung der Bezahlung hin.20 Qualitativ hherwertige Warewurde in beiden Lndern besser bezahlt, wobei es aber in Englandeinzig auf die Dichte des Stoffes also die Menge des verarbeitetenMaterials pro Flche ankam, whrend in Deutschland (eher) nachSchssen bezahlt wurde. Ein Schuss war diejenige Aktivitt, beider das Faden tragende Webschiffchen einmal hin und wieder zurckgefhrt wurde. Das fertige Produkt wurde in Deutschland nicht wiein England als Objekt der Bezahlung wahrgenommen, sondern le-diglich als dessen Zeichen. Bezahlt wurde die Aktivitt, dieArbeits-ttigkeit. Damit verbunden war auch eine unterschiedliche Sicht-weise des employers bzw. Arbeitgebers. In Deutschland wurde dieganze Person an den Unternehmer vermietet. Dieser war als Auto-ritt notwendig, um aus der Arbeitskraft, jener mysterisen Quelle,fr welche es keine angemessene englische bersetzung gibt, einen

    Mehrwert heraus zu holen. Dazu musste er den Produktionsprozesskontrollieren und als Organisator ttig werden, wohingegen ihm inEngland die Rolle als Zwischenhndler und Investor zufiel. Dahersahen sich englische Arbeiter eher als in das Marktgeschehen han-delnd eingebundene Subjekte, whren sich ihre deutschen Kollegenals schaffend begriffen und der Distributionssphre misstrauischgegenber standen. Wichtig ist hier festzuhalten, dass keinerlei ma-terielle Grnde fr die unterschiedlichen Bezahlungsarten exis-tierten, dieArtder Bezahlung aber in beiden Regionen sowohl vonUnternehmern als auch von den Arbeitern als vollkommen selbst-verstndlich angesehen wurde.

    Die besondere Arbeitsorganisation in Deutschland im Vergleich zuEngland ist Ausdruck unterschiedlicher Arbeitsvorstellungen undreproduziert diese als kulturellen Code wiederum durch die erstePhase der Industrieproduktion hindurch. Whrend in England der

    20 Biernacki a. a. O.

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    Warencharakter von Arbeit offensichtlich schien, konnten Arbeiterin Deutschland dieses Prinzip im Alltagsbewusstsein nicht durch-schauen. Fr sie war die sichtbare Ttigkeit der Grund der Bezah-lung und somit des konomischen Wertes.

    Die im 19. Jahrhundert erwachende europische Arbeiterklasseverwendet nun hnlich wie einst das Brgertum Arbeit alsKampfbegriff und setzt sich bewusst von jenen Lumpenproleta-riern ab, die keiner gelernten Arbeit nachgingen oder einfach alsfaul galten.

    In der deutschen Arbeiterbewegung erfolgte im 19. Jahrhundert anders als beispielsweise in England ein eindeutiger Bruch mitdem Liberalismus und dem Individualismus. Die sozialistische undkommunistische Arbeiterbewegung hatte den Anspruch, die gesamteKlasse zu vertreten. Mit ihrer starken Orientierung zum Staat, der ihrmit seiner effizienten Brokratie durchaus ein Vorbild war, erwuchseine Arbeiterbewegung, die zwar massiv auftreten konnte, deren Or-

    ganisationen und Parteien aber wenig revolutionr waren und in de-nen die deutschen Tugenden von Pflicht, autoritrem Gehorsam,straffer Organisation auch fr die Linke galten. Diese Tugenden gal-ten auch und vor allem in der Arbeitswelt.

    Arbeit wurde als prinzipiell positiv besetzter Bereich verstanden,der nur durch die gegebenen Verhltnisse den Charakter von Aus-beutung und Entfremdung besitzt. Man knnte sogar so weit gehen,das Entfremdungskonzept als Reaktion auf den Imperativ der Ar-beitsfreude als typisch deutsch zu interpretieren. Die soziale Fragewurde somit in Deutschland immer auch als Widerspruch zwischendem Anspruch an die Arbeit und der Arbeitswirklichkeit verstanden,als das nichteingelste Versprechen der lustvollen, die menschlicheEntwicklung frdernden Arbeit.

    In vielen europischen Randstaaten kam es nicht zuletzt durch dierelative Rckstndigkeit der konomien zu einer anderen Schattie-rung innerhalb der Arbeiterbewegung, die sich von liberalen Vor-stellungen genauso unterscheidet wie von autoritr kommunistischen.In Regionen, in welchen Landwirtschaft und quasi-feudale Besitz-verhltnisse herrschten, wie das in einigen romanischen Lndernund Russland der Fall ist, erfreute sich daher zunchst der Anarchis-mus wachsender Sympathien. Die Folgen, die diese Strke des An-

    archismus hatte, lagen in den unterschiedlichen Strategien und Or-ganisationsformen begrndet. Da keine Hoffnung auf staatliche,parlamentarische Reformen gesetzt wurde, war die anarchistisch be-einflusste Arbeiterklasse deutlich revolutionrer als etwa die deut-sche. Auch die fderalistische Organisationsform fhrte zu einereigenstndigeren politischen Bewegung der Basis ohne die Mg-lichkeit einer zumindest potenziell immer korrumpierbaren Fh-rungsebene, wie es in autoritren, zentralistischen Arbeiterorganisa-tionen der Fall war. Anarchismus frdert aufgrund der hherenpersnlichen moralischen Verantwortung des Einzelnen prinzipielleher liberale und individualistische Einstellungen. Fr die Einstel-lung zur Arbeit folgte aus der hheren persnlichen Verantwortungeine hhere Eigenverantwortlichkeit auch beim Arbeitsprozess. Da-bei wurden durchaus auch Figuren des Brgertums von Fortschritts-glauben und Zukunftshoffnung bernommen. Die Vorstellungen von

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    Arbeit als Grundlage des gesellschaftlichen Reichtums und von denpersnlichen Aufstiegschancen durch Leistung konnten durchaus indie eigenen Anschauungen integriert werden. Einer schwcherenPflichtvorstellung, die aus einer strkeren moralischen Ablehnungvon Autoritt resultierte, standen hohe Moralvorstellungen und ei-gene Erwartungen an die Leistungsfhigkeit entgegen.

    AusblickBei dieser kurzen Vorstellung einzelner Aspekte europischer Ar-beitsbegriffe wurden einige Linien, aber auch eher zufllige Ent-wicklungen und leichte Brche deutlich. Es wurde eine Vielfalt in-nerhalb Europas herausgestellt, der man sich stellen muss, will manin einen gemeinsamen europischen Diskurs ber Wertvorstellungeneintreten. Durch Kommunikation und kulturelle Vereinheitlichungwird es dabei nicht zwangslufig zu einer Annherung kommen, so-lange sich die Interpretation derselben Realitt unterscheidet. Ge-

    rade die Selbstverstndlichkeit, mit der man sich oft der Frage nachder Arbeit stellt, versperrt dabei den Blick darauf, dass es eu-ropisch und historisch sehr verschiedene Vorstellungen gibt, warumund wozu wir arbeiten. Wertende Adjektive wie bessere oderhhere Arbeitsmoral knnen einer Verstndigung dabei nur imWege stehen und wurden in diesem Aufsatz bewusst vermieden.Schlielich ging es darum zu zeigen, dass Aspekte, die fr den einenvon grter moralischer Bedeutung sind, von anderen ganz selbst-verstndlich anders beurteilt werden.

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