Argumentationspapier für den Erhalt, die Erhöhung und Dynamisie … · 2015-02-10 · Quelle:...
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Argumentationspapier Regionalisierungsmittel Seite 1
Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV), 06. Februar 2015
Argumentationspapier für den Erhalt, die Erhöhung und Dynamisie-rung der Regionalisierungsmittel
Übersicht
(1) Ausgangslage
(2) Finanzbedarf für ÖPNV unstrittig und gutachterlich belegt.
(3) Wachsende Nachfrage nach Mobilität. Verlagerung auf öffentlichen Verkehr dient Deutschlands klimapolitischen Zielen.
(4) Investitionen sind unverzichtbar, um das Angebotsniveau im ÖPNV halten und ausbauen zu können. Hierzu müssen die Länder finanziell in der Lage sein.
(5) Steigende Personalkosten im ÖPNV.
(6) Steigende Kosten für die Verkehrsinfrastruktur.
(7) Der öffentliche Verkehr ist für weite Teile der Bevölkerung unverzichtbarer Be-standteil der alltäglichen Mobilität geworden. Attraktivität erhalten und ausbauen.
(8) Der öffentliche Verkehr ist wichtiger Standortfaktor. Täglich werden Busse und Bahnen millionenfach für den Weg zur Arbeitsstelle oder zum Kunden genutzt. Ein verlässlicher ÖPNV trägt somit in besonderem Maße zu Produktivität und Wert-schöpfung der heimischen Wirtschaft bei.
(9) Vor allem in Ballungszentren geht der Trend weg vom eigenen Auto. Hier gewinnen der Umweltverbund und Sharing-Lösungen zunehmend Gewicht in der alltäglichen Mobilität. Eine Förderung des öffentlichen Verkehrs hilft, die Lebensqualität in den Städten zu steigern.
(10) Im ländlichen Raum ist der öffentliche Verkehr für große Teile der Bevölkerung unverzichtbar, gerade für viele ältere Bürgerinnen und Bürger sowie Schüler. Das Fortbestehen eines lebendigen ländlichen Raumes in Deutschland hängt daher auch davon ab, dass es gelingt, intelligente öffentliche Verkehrsangebote zu schaf-fen.
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(1) Ausgangslage
Die Regionalisierung des SPNV hat den Nahverkehr unbestreitbar zum Positiven verändert.
Länder und Aufgabenträger haben die Regionalisierungsmittel für attraktive Mobilitätsange-
bote genutzt und dabei erhebliche Effizienzsteigerungen realisiert. Dieser Erfolg wird schon
mittelfristig gefährdet, wenn die Regionalisierungsmittel nicht auf den nachgewiesenen
(Mehr-)Bedarf hin angepasst werden.
(2) Finanzbedarf für ÖPNV unstrittig und gutachterlich belegt
Dass die Länder mehr Regionalisierungsmittel zur Ausübung ihrer Aufgaben benötigen, ist
belegt. Das von den Ländern in Auftrag gegebene Gutachten kommt zu einem Finanzie-
rungsbedarf von 8,5 Milliarden Euro.1 Auch die vom Bund beauftragte Studie weist mit 7,6
Milliarden Euro einen höheren Wert als aktuell aus.2 Die gutachterlich ermittelten Dynamisie-
rungsraten liegen je nach Szenario der Infrastrukturkostenentwicklung zwischen 2,0%, 2,5%
und 4,4% (Ländergutachten) bzw. 2,67% (Bundesgutachten).
Gesetzlich bestimmter Zweck der Regionalisierungsmittel ist die „Sicherstellung einer ausrei-
chenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennah-
verkehr“ (§ 1 Abs. 1 RegG), wobei „insbesondere der Schienenpersonennahverkehr zu fi-
nanzieren“ ist (§ 6 Abs. 1 RegG). Die besondere Finanzierung des SPNV drückt sich darin
aus, dass die Länder im Jahr 2013 80,7% der Zuweisungen für Bestellentgelte im SPNV
verwendeten. Zur Sicherstellung eines attraktiven und stabilen ÖV-Systems müssen die
Länder aber auch weitere Ausgaben tätigen, z.B. für Investitionen, Managementaufgaben
oder zur Bestellung von regionalen Busverkehren. Ein dynamisch wachsender Anteil der
Ausgaben der Länder für die Bestellentgelte (2015: 82,6%3) zwingt die Länder dazu, andere
Ausgaben immer weiter zurück zu fahren (vgl. Argument Nr. (4)) – oder alternativ Erlös- oder
Effizienzpotenziale zu realisieren.
Bislang wurden die Regionalisierungsmittel jedes Jahr um 1,5% angepasst. Jedoch zeigen
die in den Gutachten der Länder und des Bundes ermittelten Dynamisierungsfaktoren, dass
diese für die Zukunft nicht ausreichen werden. Insbesondere dann nicht, wenn, wie in den
Jahren 2004 und 2006 geschehen, z.T. absolute Kürzungen der Zuweisungen durch die
Haushaltsbegleitgesetze exekutiert werden. Die Ausgaben des Bundes haben sich insge-
samt im Zeitraum seit 2002 deutlich dynamischer entwickelt als die RegG-Mittel. 1 KCW, ETC, Rödl+Partner (2014): „Revision der Regionalisierungsmittel“ [Ländergutachten RegG]. 2 Iges, IVE (2014): „Revision des Regionalisierungsgesetzes“ [Bundesgutachten RegG] 3 Ländergutachten RegG (2014), Seite 82.
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Entwicklung RegG-Mittel und Gesamtausgaben Bundeshaushalt
Datenquellen: BMF, Bundestag
Seit 2006 geht die Entwicklung deutlich auseinander. Während die RegG-Mittel real bis 2008
gekürzt wurden, wuchsen die Ausgaben des Bundes bis 2012 im Vergleich zu 2002 um fast
ein Viertel an – erst in den letzten beiden Jahren sind Ausgabenkürzungen realisiert worden.
Die Branche war also im Vergleich zu anderen öffentlichen Aufgaben zu überproportionalen
Einsparungen gezwungen.
Die besondere Herausforderung der Länder und Aufgabenträger lag in den vergangenen
Jahren vor allem darin, die Entwicklung der Infrastrukturentgelte im SPNV aufzufangen (vgl.
Argument (6)). In den vergangenen Jahren wurden vor allem mit wettbewerblichen Verfahren
bei der Netzvergabe erhebliche Effizienzpotenziale realisiert. Jedoch scheinen diese weitge-
hend erschöpft. Denn viele Netze wurden bereits wettbewerblich vergeben, d.h. die Wettbe-
werbseffekte wurden hier schon gehoben. Um weitere Potenziale zu erschließen, müssen
Aufgabenträger weitere Anstrengungen unternehmen, um z.B. durch Fahrzeugfinanzierungs-
instrumente oder neutrale Vertriebslösungen weitere wirtschaftliche Verbesserungen zur Si-
cherung des Verkehrsbestands erzielen. Für Länder wie Baden-Württemberg, Brandenburg
und Rheinland-Pfalz wird dies eine besondere Herausforderung, da dort der Anteil der Aus-
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gaben für Bestellentgelte bereits über 90% liegt.4 Soll der SPNV in Deutschland bedarfsge-
recht ausgebaut werden, werden Einsparungen alleine nicht reichen.
(3) Wachsende Nachfrage nach Mobilität. Verlagerung auf öffentlichen Verkehr dient Deutschlands klimapolitischen Zielen.
Die Nachfrageentwicklung im SPNV ist äußerst dynamisch. Zwischen 2004 und 2013 ist die
Beförderungsleistung um fast 31% auf 52,6 Mrd. Personenkilometer angestiegen. Dies ent-
spricht der Beförderung von 2,47 Mrd. Fahrgästen im Jahr oder im Durchschnitt 6,8 Mio.
Fahrgästen pro Tag.5 Gerade in den Ballungsräumen sind enorme Nutzungssteigerungen zu
verzeichnen. Die wachsende Attraktivität des öffentlichen Verkehrs schlägt sich auch im
Verhältnis der Verkehrsträger nieder. Hier konnte der SPNV im Zeitraum von 2002 bis 2012
im Vergleich mit 25% am deutlichsten zulegen.6 Dadurch konnte der öffentliche Verkehr den
Modal split – wenn auch nur leicht – zu seinen Gunsten verändern.
Veränderung der Verkehrsleistung nach Verkehrsträgern 2002 und 2012.
Quelle: Marktreport SPNV (2013), Seite 6.
Der Umweltvorteil der Schiene verdeutlicht sich an den mittleren Emissionen im Verhältnis
zur Verkehrsleistung. Im Hinblick auf Emissionen von CO2, NOX und Feinstaub verfügt der
SPNV über deutlich bessere Werte als der Pkw. Um die nationalen Klimaschutzziele zu er-
4 Ländergutachten RegG (2014), Seiten 78-79. 5 Destatis (2014): Fachserie 8, Reihe 1.1. 6 Marktreport SPNV (2013), Seite 6.
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reichen, ist daher u.a. eine Verkehrsverlagerung auf die Schiene notwendig.7 Die Weiterent-
wicklung des SPNV durch die Länder und Aufgabenträger ist somit ein wichtiger Baustein
zur Erreichung der selbst gesteckten Klimaziele der Bundesrepublik.
Emissionen der Verkehrsträger im Personenverkehr 2010 im Vergleich.
Quelle: UBA: Daten zum Verkehr (2012), Seite 33.
(4) Investitionen sind unverzichtbar, um das Angebotsniveau im ÖPNV halten und ausbauen zu können. Hierzu müssen die Länder finanziell in der Lage sein.
Das Ländergutachten offenbart, dass die Investitionen im Zeitverlauf stark rückläufig sind.
Konnten die Länder 2002 noch über 20% der Zuweisungen zum Kauf von modernen Fahr-
zeugen oder zur Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen verwenden, liegt der Anteil 10
Jahre später nur noch bei unter 7%.
7 Öko-Institut, Frauenhofer ISI (2014): Klimaschutzszenario 2050.
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Historische Investitionsquote der RegG-Mittel im Zeitraum 2002-2012.
Quelle: Ländergutachten RegG (2014), Seite 100.
Die Ländergutachter führen dies darauf zurück, dass die realen RegG-Mittelkürzungen mut-
maßlich vor allem bei investiven Ausgaben ihren Niederschlag finden, da diese vergleichs-
weise einfacher verschoben, oder gar unterlassen werden können, ohne die Fahrgäste un-
mittelbare Einschränkungen spüren zu lassen.8
Investitionen sind Anlagen in langfristige Wirtschaftsgüter und notwendige Voraussetzung für
attraktive Verkehrsangebote. Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger sind dabei jedoch
auf öffentliche Zuweisungen angewiesen, da öffentliche Verkehre nicht kommerziell betrie-
ben werden können.
Weil der Fahrgastzuwachs dynamischer verlief als der Zuwachs der Betriebsleistung, ist im
SPNV auch die Auslastung der Züge gestiegen: zwischen 2002 und 2012 bundesweit um
über 20%. Gerade in Ballungsräumen liegt jedoch die Auslastung der Züge (v.a. in Lastspit-
zen) jenseits von 100%.
8 Ländergutachten RegG (2014), Seite 100.
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Auslastung des SPNV in Personen / Zug im Zeitraum 2002-2012.
Quelle: Marktreport SPNV (2014), Seite 7.
Der SPNV weist damit einen anderen Trend auf als der MIV: Dort sinken die Besetzungszah-
len seit Jahren: Im Jahr 2012 war ein Pkw nur noch mit durchschnittlich 1,4 Personen be-
setzt.9
Um auch in Zukunft eine wachsende Anzahl Fahrgäste befördern zu können, ist offensicht-
lich, dass die Betriebsleistung und die Kapazität der Züge zu verbessern sind und Länder,
Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen in mehr und komfortablere Fahrzeuge investieren
müssen.
9 ADAC: „Verkehrsunfälle in Deutschland“
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Externe Kosten der Verkehrsträger Straße und Schiene im Vergleich.
Quelle: Ländergutachten RegG (2014) Seite 27.
(5) Steigende Personalkosten im ÖPNV.
Die SPNV-Branche beschäftigt etwa 170.000 Menschen in Deutschland für den zuverlässi-
gen und sicheren Transport der Fahrgäste.10 Hierzu zählen die Mitarbeiter in den Verkehrs-
unternehmen ebenso wie die Mitarbeiter bei der Bahnindustrie sowie den vielen Zulieferern
und Dienstleistern, die jeweils in Teilbereichen tätig sind (z.B. Reinigung, Wachschutz). Um
zum Gelingen eines erfolgreichen ÖPNV beitragen zu können, bedarf es attraktiver Arbeits-
plätze mit einem angemessenen Lohnniveau. In Zeiten des Fachkräftemangels und demo-
grafischen Wandels muss der Sektor jedoch auch mit spannenden Aufgaben um junge
Nachwuchskräfte werben können – und erfahrenen Beschäftigten eine Perspektive bieten.
Nach Jahren der Lohnzurückhaltung haben sich die Verdienste auch im SPNV seit der Fi-
nanzkrise deutlich erhöht. Obwohl im Vergleich zum Jahr 2002 der durchschnittliche Ver-
dienst bis 2013 um 22,6% stieg, müssen die Unternehmen weiterhin um Angestellte kämp-
fen. Den Ländern und Aufgabenträger, deren Budgets sich im gleichen Zeitraum nur um
6,6% erhöht haben, gelingt es zunehmend nicht mehr, mit dieser Entwicklung Schritt zu hal-
ten.
10 Quelle: www.die-besserfahrer.de (gemeinsame Kampagne von BAG-SPNV und VDB).
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Entwicklung der RegG-Mittel und der Tarifverdienste im Zeitraum 2002-2013 im Vergleich. Indexbe-trachtung (Jahr 2002 = 100).
Daten: Destatis, Fachserie 16, Reihe 4.3
Seinem Daseinsvorsorgeauftrag kann der Nahverkehr am besten mit qualifizierten und moti-
vierten Arbeitnehmer nachkommen. Länder und Aufgabenträger wollen den Verkehrsunter-
nehmen im SPNV auch weiter attraktive Löhne und gute Arbeitsbedingungen ermöglichen.
(6) Steigende Kosten für die Verkehrsinfrastruktur
Die wachsenden Kosten für die Schieneninfrastruktur müssen finanziert werden. Dies kann
mittels Nutzerfinanzierung (Infrastrukturnutzungsentgelte) oder steuerfinanzierter Zuschüsse
zur Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung geschehen. In Deutschland hat sich eine
Mischfinanzierung etabliert, wobei streng genommen zwischen Netzerhalt (maßgeblich steu-
erfinanziert) und -betrieb (nutzerfinanziert) unterschieden wird. Ein Verzicht auf zusätzliche
steuerfinanzierte Zuschüsse zur Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung setzt daher vo-
raus, dass Länder und Aufgabenträger im SPNV die Unternehmen ausreichend finanzieren
können. Der Gesetzentwurf der Länder zur Anhebung der Regionalisierungsmittel (Drucksa-
che BT 18/3563) ist nicht nur ein Instrument zur weiteren Vitalisierung der Erfolgsgeschichte
des SPNV, sondern auch ein Beitrag zur Stabilisierung des Bundeshaushalts.
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Bereits heute wird das Bestandsnetz zu fast zwei Dritteln nutzerfinanziert (ca. 5 Mrd. Euro
von 7,8 Mrd. Euro Gesamterlösen aus Nutzerfinanzierung und LuFV-Mitteln des Bundes).11
Mit der LuFV 2 ist geplant, die Bundeszuschüsse bis Ende 2019 weiter zu erhöhen, wobei
Unsicherheiten über die Höhe der zuzurechnenden DB-Gewinne bestehen. Es ist aber nicht
damit zu rechnen, dass die steigenden LuFV-Zuschüsse dazu führen werden, dass die Nut-
zerentgelte sinken werden. Vielmehr dienen sie der teilweisen Deckung der von der Daehre-
Kommission identifizierten Defizite zur Erhaltung des Bestandsnetzes.
Die bundeseigenen Infrastrukturgesellschaften planen, ab 2015 die Trassenpreise jährlich
um 2,0-2,8% und die Stationspreise um 3,5% zu steigern.12 Damit verstetigt sich der Trend
der Vergangenheit: Die Infrastrukturnutzungsentgelte sind seit Jahren deutlich schneller ge-
wachsen als die Regionalisierungsmittel. Zwischen 2007 und 2013 stiegen die RegG-Mittel
um etwa 7,2%. In der gleichen Zeit nahmen die Trassenentgelte um 11-17% und die Sta-
tionsentgelte um 12% zu.13 Die wachsende Differenz konnten die Länder und Aufgabenträ-
ger durch Effizienzverbesserungen auffangen – real jedoch nahm die Kaufkraft der Regiona-
lisierungsmittel stetig ab, wie die folgende Grafik zeigt.
Kaufkraftentwicklung der Regionalisierungsmittel im Zeitraum 2002-2012.
11 Geschäftsberichte 2013 DB Netz AG und DB Station&Service AG; Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. 12 Ländergutachten RegG (2014), Seiten 139, 140 (Abbildungen 38 und 40). 13 Bundesnetzagentur: Marktuntersuchung Eisenbahnen 2013
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Quelle: Wettbewerber-Report 2013/2014, Seite 44.
Eine auskömmliche Finanzierung der Infrastruktur ist daher entscheidend, um sowohl eine
gute Infrastrukturqualität zu gewährleisten und zugleich eine hinreichende Mittelausstattung
der Länder und Aufgabenträger für SPNV-Bestellungen sicherzustellen.
(7) Der öffentliche Verkehr ist für weite Teile der Bevölkerung unverzichtbarer Be-standteil der alltäglichen Mobilität geworden. Attraktivität erhalten und ausbauen.
Der ÖPNV hat es in den letzten Jahren geschafft, über die sog. Zwangskunden hinaus at-
traktiv für viele Bürgerinnen und Bürger zu sein. Berufspendler, Ausflügler oder sonstige Rei-
sende entscheiden sich – neben Schülern und Studenten – in zunehmendem Maße für öf-
fentliche Verkehrsmittel. Viele Bürgerinnen und Bürger nutzen den ÖPNV unabhängig da-
von, ob sie einen eigenen Pkw zur Verfügung haben. Der öffentliche Verkehr ist somit
selbstverständlicher Bestandteil ihrer alltäglichen Mobilität. So haben Millionen Berufspendler
durch den ÖPNV die Chance, stressfrei und schnell zur Arbeit und wieder nach Hause zu
kommen.
Gleichwohl ist der öffentliche Verkehr für viele Nutzer die einzige Möglichkeit, mobil zu sein.
Wer aus finanziellen, gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen nur einen einge-
schränkten Mobilitätszugang besitzt, ist auf den öffentlichen Verkehr angewiesen, um Betrie-
be, Schulen oder Ärzte z.B. in der nächsten Stadt erreichen zu können. Der öffentliche Ver-
kehr ist somit für einen Teil der Bevölkerung unverzichtbar geworden. Dabei handelt es sich
vor allem um Junge, Ältere sowie Menschen mit mittleren oder niedrigen Einkommen.
Die Abhängigkeit von öffentlichen Verkehrsangeboten ist eng mit den jeweiligen Lebensla-
gen der Menschen verknüpft. Zum einen sind Kinder und Jugendliche für den täglichen Weg
zur Schule oft auf Bus und Bahn angewiesen. Bis zur Erlangung der Führerscheinreife für
motorisierte Fortbewegungsmittel besteht gerade in ländlichen Regionen eine hohe Abhän-
gigkeit. Auch ältere Menschen und mobilitätseingeschränkte Personen können infolge von
körperlichen Einschränkungen auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sein.
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Modal Split (Verkehrsaufkommen) nach Altersgruppen
Quelle: MiD 2008, Seite 77.
Ein anderes signifikantes Merkmal bei der Verkehrsmittelwahl ist die monetäre Ausstattung.
Je geringer das Haushaltseinkommen, desto stärker sind die Haushaltsmitglieder auf die öf-
fentlichen Verkehrsangebote angewiesen. Oft handelt es sich bei den Geringverdienern auch
um Auszubildende oder Rentner.
Modal Split (Verkehrsaufkommen) nach Einkommensgruppen (Haushaltseinkommen in Euro)
Quelle: MiD 2008, Seite 67.
Dem öffentlichen Verkehr kommt somit eine erhebliche soziale Funktion zu. Viele Bürgerin-
nen und Bürger sind auf Bus und Bahn elementar angewiesen. Diesem Bereich der Da-
seinsvorsorge verlässlich nachzukommen, ist zentrale Aufgabe von Ländern und Aufgaben-
trägern. Dabei will der öffentliche Verkehr nicht nur die originären Zwangsnutzer berücksich-
tigen. Vielmehr wollen Länder und Aufgabenträger das Angebot so gestalten, dass es attrak-
tiv für alle Bürgerinnen und Bürger ist.
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(8) Der öffentliche Verkehr ist wichtiger Standortfaktor. Täglich werden Busse und Bahnen millionenfach für den Weg zur Arbeitsstelle oder zum Kunden genutzt. Ein verlässlicher ÖPNV trägt somit in besonderem Maße zu Produktivität und Wert-schöpfung der heimischen Wirtschaft bei.
Täglich nutzen Millionen Menschen den öffentlichen Verkehr auf dem Weg zu Arbeit oder
Ausbildung. So wird der Alltag der Menschen vielerorts maßgeblich von Fahrplänen von
Bussen und Bahnen mitbestimmt. Hinzu kommen dienstliche Wege, für die viele Unterneh-
men, Betriebe und Dienststellen auf den ÖPNV zu setzen, um ihre Arbeitnehmer zuverlässig
und rechtzeitig an ihre Einsatzorte – und wieder zurück – zu bringen. Schließlich ist die Nähe
zum ÖPNV für viele Unternehmen wichtig für ihre Kundenerreichbarkeit. Für Unternehmen
und Behörden ist die Anbindung an das ÖPNV-Netz somit ein wichtiger Standortfaktor.
Die Verfügbarkeit der öffentlichen Verkehrsangebote wird oft als selbstverständlich voraus-
gesetzt. Die persönlichen und wirtschaftlichen Folgen treten meist erst dann zutage, wenn
plötzlich erhebliche Einschränkungen im Verkehrsangebot geschehen.
So hat sich während der S-Bahn-Krise in Berlin 2009 die durchschnittliche Fahrzeit der be-
rufstätigen Pendler um über 25% erhöht.14 Außerdem nahm auch die Umwelt Schaden: Es
wurden durch den zwangsweisen Umstieg auf das Auto 11.000 Tonnen CO2 emittiert.15
Die öffentlichen Verkehrssysteme werden nicht von ungefähr den sogenannten kritischen
Infrastrukturen zugerechnet. Dieses sind Systeme, deren Ausfall oder Beeinträchtigung
nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit
oder andere dramatische Folgen hätten.16
Ein verlässlicher öffentlicher Verkehr ist Voraussetzung für ein stabiles Wirtschaftssystem.
Wenn zukünftig Verkehrsleistungen nicht mehr finanziert werden können, stellt sich die Fra-
ge, ob die vermeintlich eingesparten Mittel nicht bei Bürgerinnen und Bürgern sowie Wirt-
schaft und Verwaltung ungleich größere Folgeschäden auslösen.
(9) Vor allem in Ballungszentren geht der Trend weg vom eigenen Auto. Hier gewinnen der Umweltverbund und Sharing-Lösungen zunehmend Gewicht in der alltäglichen
14 Im Ergebnis entstanden innerhalb von 3 Monaten den S-Bahn-Nutzern individuelle Kosten von fast 160 Mio.
Euro. Für die weiteren Pendler, die z.B. mit ihrem Pkw im Stau standen, wurden weitere fast 60 Mio. Euro ermittelt. Die wirtschaftlichen Verluste bei den Unternehmen, die die Pendler zu spät oder gar nicht erreich-ten, sind hierbei noch nicht eingerechnet.
15 Iges (2009): Auswirkungen der Berliner S-Bahn-Krise 16 BMI (2009): Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen
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Mobilität. Eine Förderung des öffentlichen Verkehrs hilft, die Lebensqualität in den Städten zu steigern.
Der öffentliche Verkehr ist besonders in den Städten und Ballungszentren auf dem Vor-
marsch. Die hohe Auslastung der S-Bahnen in München, Berlin, Hamburg, Frankfurt oder
dem Ruhrgebiet sind hierfür Beleg. Dabei wird öffentlicher Verkehr in vielen Städten von den
Nutzern als ein Bestandteil der Mobilität gesehen – neben der individuellen Mobilität per
Fahrrad und Fuß oder mittels Pkw. Da der ÖPNV in Städten nahezu rund um die Uhr verfüg-
bar ist, können viele Bürgerinnen und Bürger die Angebote spontan miteinander kombinie-
ren. Die zunehmenden Carsharing-Angebote sind dabei eine intelligente Ergänzung. Die
Gewissheit, dass der ÖPNV als Rückfallebene genutzt werden kann, führt dazu, dass der
eigene Pkw als Hauptverkehrsmittel zunehmend abgelöst wird.
Dies entlastet die Straßen vom Pkw-Verkehr, vermindert die Staugefahr für all jene, die aus
unterschiedlichen Gründen auf die Nutzung von Pkw angewiesen sind. Schließlich reduzie-
ren sich die Emissionen in den Städten (z.B. Feinstaub, aber auch Lärm) und der Flächen-
bedarf für die Straßeninfrastruktur (insbes. Parkräume).
Die Stärkung des Umweltverbundes gegenüber dem motorisierten Individualverkehr führt für
alle zu einer Verbesserung. Was die externen Kosten des Verkehrs angeht, schneidet der
öffentliche Verkehr wesentlich besser ab als die individuelle Pkw-Nutzung. Öffentlicher Ver-
kehr verringert die negativen Auswirkungen des Verkehrs in den Ballungszentren und erhöht
die Lebensqualität der dort Wohnenden und arbeitenden Menschen. Daher ist eine Förde-
rung des ÖPNV auch eine Förderung der Lebensqualität in unseren Städten.
(10) Im ländlichen Raum ist der öffentliche Verkehr für große Teile der Bevölkerung unverzichtbar, gerade für viele ältere Bürgerinnen und Bürger sowie Schüler. Das Fortbestehen eines lebendigen ländlichen Raumes in Deutschland hängt daher auch davon ab, dass es gelingt, intelligente öffentliche Verkehrsangebote zu schaf-fen.
Im ländlichen Raum stellt sich die Situation anders als in Ballungsräumen dar. Hier haben
Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen die Aufgabe, auf die Auswirkungen des demogra-
fischen Wandels – Bevölkerungsrückgang, Schülerschwund, Rückbau sozialer Infrastruktur –
zu reagieren. Die Antwort kann dabei keineswegs der Rückzug des ÖPNV aus der Fläche
sein, was den ländlichen Raum weiter schwächen würde.
Stattdessen sind Länder, Kommunen und Aufgabenträger in der Pflicht, die jeweils unter-
schiedlichen lokalen Herausforderungen anzugehen. Die Diversität der Lösungen ist unab-
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dingbar, da die Auswirkungen des demografischen Wandels von Region zu Region unter-
schiedlich sind. Etwa beim Grad des Rückgangs einzelner Bevölkerungsgruppen (Schüler
etc.), den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen sowie der jeweiligen Lage der Region
(z.B. Nähe zu einem Ballungsraum). Die Aufgabenträger haben vielerorts mit flexiblen Be-
dienformen (z.B. Rufbussen) im ÖPNV auf schwindende Nachfragen reagiert.
Kommunen sind unterschiedlich von der Bevölkerungsentwicklung betroffen. Besonders in
den Neuen Ländern wird die Herausforderung auch an die Verkehrspolitik sein, die richtigen
Konzepte zu finden, um die Attraktivität zu erhalten.17 Klar ist, dass die Wirtschaftlichkeitsbe-
trachtung vor allem im ländlichen Raum nicht alleiniger Gradmesser für die Dimensionierung
des ÖV-Angebotes sein kann.
Regionale Bevölkerungsentwicklung bis 2025
Quelle: Berlin-Institut (2011): Demos, Ausgabe 114.
Ähnlich wie in Ballungsräumen gilt es dabei eine Verknüpfung der Verkehrsmittel zu schaf-
fen. Gerade im ländlichen Raum hat der eigene Pkw weiterhin eine große Bedeutung, da das
öffentliche Verkehrsangebot aus wirtschaftlichen Gründen nicht im gleichen Umfang wie in
Ballungsräumen aufrechterhalten werden kann. Dennoch ist es das Ziel der Akteure im länd-
lichen Raum, mit einem stabilen Grundangebot und geeigneter Umsteigeinfrastrukturen (z.B.
17 BMVBS (2009): Handbuch zur Planung flexibler Bedienungsformen im ÖPNV, Kapitel 5.
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P+R an zentralen Verkehrsknoten) weiterhin für die Bürgerinnen und Bürger in der Region
attraktiv zu sein. Mehr noch als in nachfragestarken Ballungszentren heißt ÖPNV-Erstellung
im ländlichen Raum vielfach auch Ausprobieren neuer Lösungen, oftmals ohne zu wissen,
wie gut dies funktioniert. Hierfür sollten die Länder weiterhin ausreichend Gelder bekommen.
Die vielfältigen Erfolge von Rufbussystemen und die weiterhin hohe Nutzung des ÖPNV in
den Kommunen verdeutlicht dies. Damit wird auch ein Beitrag geleistet, einer „Landflucht“ zu
begegnen und den ländlichen Raum zu stärken.