Argumente für die Brot für die Welt Aktion

3
1 Warum der Verein Die Bäcker. Zeit für Geschmack und seine Mitglieder eine Spendenaktion zu Gunsten ‚Brot für die Welt‘ durchführen Weltweit hungert eine Milliarde Menschen. Rund 75% der Hungernden leben auf dem Land, die Hälfte der hungernden Menschen sind Kleinbauern. Was haben damit Bäcker in Deutschland zu tun? Die folgenschwere Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die der Erwerbsmuster, Lebensgewohnheiten (veränderte Präferenz der Zeitverwendung) und Lebensformen (abnehmende Bedeutung familiärer Bindungen), hat auch einen Wertewandel und die Veränderung der Einkaufs- und Ernährungsgewohnheiten bewirkt. Die Defizite des Bildungssystems, der Mangel an Wissen über die Herkunft, Erzeugung und Herstellung von Lebensmitteln sowie der gesellschaftliche Verlust an Wertschätzung unserer Nahrungsmittel hat auch zum sinkenden Image der handwerklichen Berufe im Bereich der Lebensmittelherstellung beigetragen. Die Anzahl der Handwerksbäckereien in Deutschland sinkt kontinuierlich, von 55.000 zu Beginn der 1950er Jahre (im alten Bundesgebiet) auf rund 14.000 Betriebe im Jahr 2011. Waren es früher traditionell Familienbetriebe mit der Backstube neben dem Verkaufsraum, so bestimmen heute zentrale Produktionsstätten mit einem lokalen bis überregionalen Filialnetz den Markt. Die Marktbedeutung von Großbäckereien und Backindustrie als direkte Mitbewerber der Handwerksbetriebe hat weiter zugenommen. Im Handel konkurrieren Discounter mit Backautomaten, der Lebensmitteleinzelhandel, Backdiscounter und Tankstellen mit Bäckereifachgeschäften, die ihrerseits mit gastronomischen Zwischenmahlzeiten und Snacks handeln. Die aktuellen Zahlen (Okt. 2011) der GfK sagen aus, dass 61,8 % der Brote im LEH/Discount, 21,4 % in traditionellen Bäckereien und 13,1 in Vorkassenshops verkauft werden. Dem Wettbewerb am Backwarenmarkt liegen Effizienzsteigerungen durch technische Neuerungen in der Produktion zu Grunde. So wurde der zeitliche Zusammenhang zwischen Produktion und Verkauf entkoppelt, Backwaren können vorgefertigt und erst kurz vor dem Verkauf fertig gestellt werden. Vorgefertigte Backwaren in Verbindung mit ihrer Transportfähigkeit ermöglichen die Zentralisierung der Produktion und die Filialisierung im Verkauf. Die fortschreitende Industrialisierung und Überproduktion in der europäischen Land- und Lebensmittelwirtschaft hat schwerwiegende Folgen für uns Menschen, die Tiere und die Natur. Der „Fortschritt“ der letzten Jahrzehnte hat dazu geführt, dass der Wert unserer Lebensmittel fast ausschließlich über ihren Preis definiert wird. Doch besteht zwischen dem Preis und dem Wert eines Lebensmittels ein gravierender Unterschied. Eine Lebensmittelproduktion, die darauf ausgerichtet ist den Wert eines Produktes über den Preis zu kommunizieren, basiert zwangsläufig auf niedrigen Herstellungskosten. Um diese so gering wie möglich zu halten wird die menschliche Arbeit, die zur Herstellung eines Produktes nötig ist, auf ein Minimum reduziert. Ebenso werden die einzelnen Rezepturbestandteile und der Rohstoffeinkauf durch den Preis statt durch die Qualität bestimmt. Dieses Prinzip der niedrigen Preise für Lebensmittel kann dahin führen, dass die Preiserwartung der Kunden die Herstellung bestimmter

description

Argumentationspapier für die Brot fuer die Welt Aktion

Transcript of Argumente für die Brot für die Welt Aktion

1

Warum der Verein Die Bäcker. Zeit für Geschmack und seine Mitglieder eine

Spendenaktion zu Gunsten ‚Brot für die Welt‘ durchführen

Weltweit hungert eine Milliarde Menschen. Rund 75% der Hungernden leben auf dem Land, die

Hälfte der hungernden Menschen sind Kleinbauern.

Was haben damit Bäcker in Deutschland zu tun?

Die folgenschwere Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die der Erwerbsmuster,

Lebensgewohnheiten (veränderte Präferenz der Zeitverwendung) und Lebensformen (abnehmende

Bedeutung familiärer Bindungen), hat auch einen Wertewandel und die Veränderung der Einkaufs-

und Ernährungsgewohnheiten bewirkt. Die Defizite des Bildungssystems, der Mangel an Wissen über

die Herkunft, Erzeugung und Herstellung von Lebensmitteln sowie der gesellschaftliche Verlust an

Wertschätzung unserer Nahrungsmittel hat auch zum sinkenden Image der handwerklichen Berufe

im Bereich der Lebensmittelherstellung beigetragen.

Die Anzahl der Handwerksbäckereien in Deutschland sinkt kontinuierlich, von 55.000 zu Beginn der

1950er Jahre (im alten Bundesgebiet) auf rund 14.000 Betriebe im Jahr 2011. Waren es früher

traditionell Familienbetriebe mit der Backstube neben dem Verkaufsraum, so bestimmen heute

zentrale Produktionsstätten mit einem lokalen bis überregionalen Filialnetz den Markt. Die

Marktbedeutung von Großbäckereien und Backindustrie als direkte Mitbewerber der

Handwerksbetriebe hat weiter zugenommen. Im Handel konkurrieren Discounter mit

Backautomaten, der Lebensmitteleinzelhandel, Backdiscounter und Tankstellen mit

Bäckereifachgeschäften, die ihrerseits mit gastronomischen Zwischenmahlzeiten und Snacks

handeln. Die aktuellen Zahlen (Okt. 2011) der GfK sagen aus, dass 61,8 % der Brote im LEH/Discount,

21,4 % in traditionellen Bäckereien und 13,1 in Vorkassenshops verkauft werden.

Dem Wettbewerb am Backwarenmarkt liegen Effizienzsteigerungen durch technische Neuerungen in

der Produktion zu Grunde. So wurde der zeitliche Zusammenhang zwischen Produktion und Verkauf

entkoppelt, Backwaren können vorgefertigt und erst kurz vor dem Verkauf fertig gestellt werden.

Vorgefertigte Backwaren in Verbindung mit ihrer Transportfähigkeit ermöglichen die Zentralisierung

der Produktion und die Filialisierung im Verkauf.

Die fortschreitende Industrialisierung und Überproduktion in der europäischen Land- und

Lebensmittelwirtschaft hat schwerwiegende Folgen für uns Menschen, die Tiere und die Natur. Der

„Fortschritt“ der letzten Jahrzehnte hat dazu geführt, dass der Wert unserer Lebensmittel fast

ausschließlich über ihren Preis definiert wird. Doch besteht zwischen dem Preis und dem Wert eines

Lebensmittels ein gravierender Unterschied.

Eine Lebensmittelproduktion, die darauf ausgerichtet ist den Wert eines Produktes über den Preis zu

kommunizieren, basiert zwangsläufig auf niedrigen Herstellungskosten. Um diese so gering wie

möglich zu halten wird die menschliche Arbeit, die zur Herstellung eines Produktes nötig ist, auf ein

Minimum reduziert. Ebenso werden die einzelnen Rezepturbestandteile und der Rohstoffeinkauf

durch den Preis statt durch die Qualität bestimmt. Dieses Prinzip der niedrigen Preise für

Lebensmittel kann dahin führen, dass die Preiserwartung der Kunden die Herstellung bestimmter

2

Produkte für uns Bäcker unwirtschaftlich werden lässt. Auf diesem Wege haben industriell gefertigte

Vormischungen und fertige Backwaren ihren Absatz in Bäckereien gefunden.

Der scheinbare Vorteil niedriger Preise erweist sich als Trugbild, denn die wirtschaftlichen und

sozialen Folgen einer solchen Wirtschaftsweise tragen wir alle - u.a. durch:

• den Verlust von Arbeitsplätzen vor Ort

• den Niedergang von Handwerksbetrieben im Bereich der Lebensmittelherstellung (Bäcker,

Konditoren, Metzger, usw.) wie auch in der bäuerlicher Landwirtschaft

• die Zerstörung regionaler Versorgungsstrukturen

• den Verlust unserer Esskultur sowie der landwirtschaftlichen und biologischen Vielfalt

• und - nicht zuletzt - durch den Verlust von Lebensmittelqualität

Um diese Entwicklung nicht einfach stillschweigend hinzunehmen haben sich Anfang 2011 Bäcker

und Konditoren im Verein „Die Bäcker. Zeit für Geschmack“ zusammengeschlossen.

Durch den Verkauf von Brot, Klein- und Feingebäck stellen wir Bäcker unmittelbar den Bezug zur

Landwirtschaft her. In den Betrieben des Bäckerei- und Konditoreihandwerks werden Agrarrohstoffe

verarbeitet, die direkt vor unseren Türen geerntet und erzeugt werden können. Die bewusste

Entscheidung für den Einkauf von regional erzeugten Rohstoffen ist der beste Garant für

transparente und faire Handelsbeziehungen und für eine nachhaltige Landwirtschaft.

In Europa ist die Frage des Hungers noch nicht drängend, doch die Bedeutung des Landes als Lebensmittelproduzent nimmt stetig ab. Es dominiert die Frage nach dem Preis des täglichen Brotes.

Fragen nach der Qualität unsere Nahrung, nach den negativen Auswirkungen der „Billigmentalität“

auf die Länder des Südens, die Struktur unserer heimischen Landwirtschaft und auf uns Menschen,

die Tiere, auf Boden, Wasser, Luft und die Biodiversität werden noch von zu Wenigen gestellt.

Bei der Lebensmittelversorgung steigt durch das auf den Preis fixierte Konsumverhalten der Anteil

der von industriellen, oft multinationalen Konzernen produzierten Ware. Ziel dieser Unternehmen ist

die Kostenoptimierung bei gleichzeitiger Gewinnmaximierung. Lebensmittel verkommen zur

Handelsware und sogar zum Objekt von Finanzspekulationen. In ärmeren Regionen der Erde wird das

Brot für immer mehr Menschen unbezahlbar.

Deshalb möchten wir aufmerksam machen auf das Konzept und die Vision der:

Ernährungssouveränität

Was ist Ernährungssouveränität?

Dieser Begriff, geprägt von der internationalen Kleinbauern- und Landarbeiterbewegung Via

Campesina anlässlich der Welternährungskonferenz 1996 ist ein politisches Konzept.

Selbstversorgung, lokaler und regionaler Handel sollen Vorrang vor Exporten und Welthandel haben.

Ernährungssouveränität bedeutet den bedarfsgerechten Zugang zu gesunden und nahrhaften

Nahrungsmitteln für alle Menschen, ohne das damit negative Auswirkungen auf Dritte verbunden

sind. Ernährungssouveränität zum Wohle der Bevölkerung wird erreicht, wenn die einheimische

3

Produktion und regionale Wirtschaftskreisläufe gefördert werden. Dafür müssen Nationen die

Möglichkeit haben, sich vor Billigimporten (beispielsweise Milchpulver oder Hähnchenschenkel aus

der EU) zu schützen. Auf diese Weise werden lokale Märkte gestärkt und das Überleben

kleinbäuerlicher Landwirtschaft gesichert.

Für die Produzierenden vor Ort bedeutet Ernährungssouveränität, dass sie ihre Produkte auf dem

lokalen Markt verkaufen können und Preise erzielen, die die Produktionskosten decken.

Ernährungssouveränität erfordert Zugang zu den produktiven Ressourcen, insbesondere zu Wasser

und Land, Saatgut, aber auch Zugang zu Krediten und zu Bildung ist entscheidend. Dies gilt

insbesondere für Frauen, die häufig den größten Beitrag für die Ernährungssouveränität der Familien

leisten.

Also noch einmal die Frage: Was hat damit der Verein Die Bäcker. Zeit für Geschmack damit zu tun?

Die Mitglieder des Vereins wollen die Zukunft ihrer handwerklichen Bäckereien und Konditoreien

eigenverantwortlich aber auch bewusst gemeinsam gestalten. Die Philosophie Der Bäcker. beruht

auf den Grundlagen einer traditionellen Backkultur. Um Lebensmittel zu schaffen, die ihrer

Bezeichnung als „Mittel zum Leben“ im wahrsten Sinne des Wortes gerecht werden, wählen sie

hochwertige, natürliche Rohstoffe aus. Ihr Engagement für den Erhalt traditioneller Back- und

Esskultur drückt sich auch im Einkauf von regionalen Rohstoffen aus. Im Gegensatz zur Fast Food

Ernährung haben sie sich der Förderung der Individualität unserer Nahrung und Esskultur

verpflichtet. Durch die Weitergabe handwerklichen Könnens und Wissens an die Auszubildenden in

den Betrieben wird die traditionelle Kultur des Bäcker- und Konditoreihandwerks erhalten und

gefördert. Durch das Engagement für die Ziele des Vereins übernehmen Die Bäcker. im Bereich ihrer

wirtschaftlichen Einflussmöglichkeit gleichzeitig auch Verantwortung für gesellschaftliche Prozesse.

Mit der Aktion wollen wir darauf aufmerksam machen, dass wir alle in einem Boot sitzen. Dass die

Ursachen von Armut und Hunger die gleichen sind wie die vom Verlust an regionalen

Versorgungsstrukturen. Wir betrachten unsere Spendenaktion Das Brot. Zeit zum Teilen zu Gunsten

‚Brot für die Welt‘ nicht als Almosen sondern als Unterstützung von Menschen die existenziell von

den Folgen der weltweit zunehmenden Liberalisierung des Agrar- und Nahrungsmittelhandels

betroffen sind.

Wir haben in unserem Verein bewusst unsere Zukunft in die eigenen Hände genommen und

möchten mit unserer bescheidenen Aktion Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen.