ARISTOTELES - RHETORIK - Nachbem.

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Nachbemerkung zu Kap. III13-19: Eine Theorie der Redeteile In den Ausführungen zu den Redeteilen ist der Beitrag des Aristoteles weit weni- ger originell als in den Themenblöcken moretç und XéÇiç. Der entstehungs- geschichtliche Hintergrund dürfte der sein, dass Aristoteles in diesem Teil des Buches eine fremde (vermutlich: Isokrateische) Vorlage benutzt und sich darauf beschränkt, das darin vorgegebene Schema kritisch zu modifizieren (vgl. dazu die allgemeine Anm. zu Kap. III 13). Daher werden die spezifisch Aristotelischen Akzente in diesem letzten Teil der Rhetorik auch weniger in der Gesamtstruktu- rierung der Rede, als vielmehr in den konstanten Kriterien deutlich, durch die Aristoteles eine vorgefundene Einteilung umgestaltet. Die Untersuchung der Redeteile setzt einige Unterscheidungen, die in Buch I & II eingeführt wurden, klar voraus; andererseits zeigt sich der Autor der tcxÇiç-Ab- handlung hinsichtlich zahlreicher Details aus der Behandlung der Ttkrteiç, wie auch hinsichtlich des Gebrauchs des Wortes ,jtîot8iç' ganz unbekümmert (vgl. die allge- meine Anmerkung zu Kap. III 13). Marx' Bonmot (1900, 245 [40]), die Kapitel III 13-19 bildeten „eine kleine Rhetorik für sich", ist daher nur hinsichtlich der the- matischen Überschneidungen mit dem Rest des Buches angebracht; keinesfalls enthalten die Kapitel eine aufs Wesentliche konzentrierte Zusammenfassung des restlichen Buches eher noch könnte es sich um das Zeugnis einer relativ zu Rhet. I & II frühen Aristotelischen Auseinandersetzung mit dem Thema der Rhe- torik handeln (vgl. Primavesi (im Druck)). 1. Teile der xé%vr\ - Teile der Rede In der antiken Rhetorik finden sich zwei wichtige Gliederungen der Redekunst. Von der einen sagt Quintilian, sie werde von den meisten und bedeutendsten Au- toren überliefert (Institutio III 3, 1), nämlich die, welche die Redekunst in inven- tio, dispositio, elocutio, memoria und pronuntiatio untergliedert. Diese Teile der Redekunst werden von einigen Autoren als „officia oratoris" (manchmal auch als „partes rhetoricae") bezeichnet; daneben gibt es die Untergliederung der partes orationis, der Teile der Rede, die die Redekunst gemäß den Teilen der Rede aufteilt. In Ciceros Partitiones oratoriae werden beide Gliederungen deutlich unterschie- den, indem die erste in den Kapiteln 1, 3 bis 7, 26 und die zweite in den Kapiteln 8, 27 bis 17, 60 behandelt wird. Nun zeigt die Gliederung nach officia oratoris eine gewisse Abhängigkeit von der jciaTetç-Xé^tç-TctÇiç-Gliederung der Aristoteli- schen Rhetorik und ist auch abgesehen von der Ursprungsfrage sicherlich nicht vor Aristoteles nachzuweisen. Die Gliederung nach partes orationis hingegen scheint schon zur Zeit des Platonischen Phaidros weit fortgeschritten zu sein (Vgl. Phdr. 266d-267d) und ist in jedem Fall vor-aristotelisch. Offensichtlich kritisiert Aristoteles diese Tradition, wenn er in Rhet. I 1, 1354bl6—19 sagt: „... dann stellen offensichtlich alle diejenigen, die Bestimmungen Unangemeldet | 188.98.182.252 Heruntergeladen am | 09.08.13 11:17

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Nachbemerkungen

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  • Nachbemerkung zu Kap. III13-19:Eine Theorie der Redeteile

    In den Ausfhrungen zu den Redeteilen ist der Beitrag des Aristoteles weit weni-ger originell als in den Themenblcken moret und Xi. Der entstehungs-geschichtliche Hintergrund drfte der sein, dass Aristoteles in diesem Teil desBuches eine fremde (vermutlich: Isokrateische) Vorlage benutzt und sich daraufbeschrnkt, das darin vorgegebene Schema kritisch zu modifizieren (vgl. dazu dieallgemeine Anm. zu Kap. III 13). Daher werden die spezifisch AristotelischenAkzente in diesem letzten Teil der Rhetorik auch weniger in der Gesamtstruktu-rierung der Rede, als vielmehr in den konstanten Kriterien deutlich, durch dieAristoteles eine vorgefundene Einteilung umgestaltet.

    Die Untersuchung der Redeteile setzt einige Unterscheidungen, die in Buch I &II eingefhrt wurden, klar voraus; andererseits zeigt sich der Autor der tcxi-Ab-handlung hinsichtlich zahlreicher Details aus der Behandlung der Ttkrtei, wie auchhinsichtlich des Gebrauchs des Wortes ,jtot8i' ganz unbekmmert (vgl. die allge-meine Anmerkung zu Kap. III 13). Marx' Bonmot (1900, 245 [40]), die Kapitel III13-19 bildeten eine kleine Rhetorik fr sich", ist daher nur hinsichtlich der the-matischen berschneidungen mit dem Rest des Buches angebracht; keinesfallsenthalten die Kapitel eine aufs Wesentliche konzentrierte Zusammenfassung desrestlichen Buches

    eher noch knnte es sich um das Zeugnis einer relativ zuRhet. I & II frhen Aristotelischen Auseinandersetzung mit dem Thema der Rhe-torik handeln (vgl. Primavesi (im Druck)).

    1. Teile der x%vr\-

    Teile der RedeIn der antiken Rhetorik finden sich zwei wichtige Gliederungen der Redekunst.Von der einen sagt Quintilian, sie werde von den meisten und bedeutendsten Au-toren berliefert (Institutio III 3, 1), nmlich die, welche die Redekunst in inven-tio, dispositio, elocutio, memoria und pronuntiatio untergliedert. Diese Teile derRedekunst werden von einigen Autoren als officia oratoris" (manchmal auch alspartes rhetoricae") bezeichnet; daneben gibt es die Untergliederung der partesorationis, der Teile der Rede, die die Redekunst gem den Teilen der Rede aufteilt.In Ciceros Partitiones oratoriae werden beide Gliederungen deutlich unterschie-den, indem die erste in den Kapiteln 1, 3 bis 7, 26 und die zweite in den Kapiteln 8,27 bis 17, 60 behandelt wird. Nun zeigt die Gliederung nach officia oratoris einegewisse Abhngigkeit von der jciaTet-X^t-Tcti-Gliederung der Aristoteli-schen Rhetorik und ist auch abgesehen von der Ursprungsfrage sicherlich nichtvor Aristoteles nachzuweisen. Die Gliederung nach partes orationis hingegenscheint schon zur Zeit des Platonischen Phaidros weit fortgeschritten zu sein (Vgl.Phdr. 266d-267d) und ist in jedem Fall vor-aristotelisch.

    Offensichtlich kritisiert Aristoteles diese Tradition, wenn er in Rhet. I 1,1354bl619 sagt: ... dann stellen offensichtlich alle diejenigen, die Bestimmungen

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  • Eine Theorie der Redeteile 1001

    darber treffen, was etwa die Einleitung oder die Erzhlung und jeder der brigenTeile enthalten muss, Anleitungen ber das auerhalb der Sache Liegende auf."Aus dem Umstand, dass solche Autoren denjenigen Redeteil vernachlssigen, derfr die beweisenden Passagen einer Rede bestimmt ist, folgt fr Aristoteles ohneweiteres, dass dieselben Autoren auch den rhetorischen Beweis, das Enthymem,vernachlssigen: Nun haben die, die bisher die Handbcher ber die rhetorischenLehrbcher verfasst haben, nur einen geringen Teil von ihr zuwege gebracht. Dennnur das berzeugen ist der Kunst gem, das andere sind Zugaben. ber die En-thymeme aber, die den Leib der berzeugung bilden, haben sie nichts gesagt." (11,1354al 113) Aus diesen Stellungnahmen ist nicht nur ersichtlich, dass die Gliede-rung nach partes orationis die ltere Tradition verkrpert, sondern auch, dass frdiese Autoren die Teile der Rede mit den Teilen der xexvt] zusammenfielen: indemsie ber die Einleitung handeln, stellen sie die emotionalen Appelle in den Vorder-grund der Kunst, indem sie den berzeugungsteil vernachlssigen, versumen sie,eine Theorie des Enthymems zu entwickeln. Oder wie Barwick (1922, 13) formu-liert: es darf ... als vollkommen sicher gelten, dass in der voraristotelischen rheto-rischen xxvr) der gesamte Stoff im Rahmen der einzelnen Redeteile besprochenwurde ..." Oder (a.a.O., 41): Die lteste rhetorische xxvn, behandelte den gesam-ten Stoff im Rahmen der einzelnen Teile, aus denen eine Rede sich zusammensetzt.Dieser Typ ist nie ausgestorben, er hat sich bis in die spteste Zeit erhalten."

    -

    Wiesieht nun Aristoteles' eigener Beitrag zur Gliederung der rhetorischen xxvT) vordem Hintergrund seiner Abhandlung ber die Redeteile aus?

    2. Aristoteles' Beitrag zur Gliederungder rhetorischen xxvr]

    Aristoteles selbst vertritt weder die partes oratzowzs-Gliederung noch eine der offi-cia oratoris

    -Gliederung vergleichbare Position, noch versucht er, eine dieser Glie-derungen in die andere zu integrieren. Dass nun die Frage der Redeteile (partesorationis) in Rhet. I & II beinahe vollstndig ignoriert wird, hat nach Aristoteles'eigener Aussage folgenden Grund: Von den konventionell unterschiedenen Rede-teilen betrifft allein der Teil der berzeugung (jtioxeu) die kunstgeme Rhetorik.Weil es eine solche zu entwerfen gilt, brauchen die brigen Teile der Rede, die sichnur mit kunstfremden Zugaben zur eigentlichen (sachbezogenen, beweiszentrier-ten) berzeugung befassen, nicht weiter bercksichtigt zu werden. Insofern diekunstgeme Rhetorik daher nur einen einzigen Redeteil zu behandeln brauchtund die Rede von einem ,Teil' nur relevant ist, solange es um einen von mehrerenTeilen geht, verliert das Thema der Untergliederung von Reden fr Rhet. I & IIjede Bedeutung. Der erste in der Rhetorik auszumachende Standpunkt zur Frageder Gliederung ist also der, dass bisherige Gliederungen komplett verworfen wer-den und die Behandlung der juoxel die Stelle einnimmt, die bisher die Unter-scheidung von Redeteilen eingenommen hatte. Gliederungsprinzipien der x%vr\sind interne Differenzierungen der Jtioxet (die drei berzeugungsmittel) undverschiedene Anwendungsbereiche (die drei Gattungen) derselben.

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  • 1002 Nachbemerkung zu Kap. III13-19Vertritt Aristoteles aber nicht ein Vorlufermodell der officia oratoris-Gliede-

    rung? In der Tat drfte die Unterteilung der Rhetorik in itioxetc-

    a^i-

    xa^t his-torisch gesehen den Ausgangspunkt fr die officia oraforis-Gliederung darstellen.In der Literatur findet sich wegen dieser vordergrndigen Gemeinsamkeiten aucheine weitgehend unbekmmerte Anwendung der o/jCa-Gliederung auf Aristote-les; vgl. etwa Krapinger (1999, 252): Aristoteles will die Theorie der Redekunst insystematischer Ordnung darlegen und gliedert die Schrift nach den wichtigstenAufgaben (oya, officia) eines Redners. Die ersten zwei Bcher, die von der Auf-findung des Themas

    ...

    (eu>r|ai; inventio) handeln, ...". Wenn Aristoteles dieseLehre angestoen haben sollte, dann aber offenbar nur unfreiwillig: Abgesehen da-von, dass Aristoteles nie Anlass zu der Auffassung gibt, er wolle mit den drei Be-griffen jtioxei

    -

    Ai-

    xcxi temporal differenzierte Ausarbeitungsphasen deszugrunde liegenden Stoffes beschreiben (wie es in der officia-Lehre der Fall ist), undabgesehen davon, dass Jtiaxi/tavoia nicht mit der inventio bereinstimmen (vgl.Anm. (2.1) zu 1355b35-1356al), ist die Behandlung der moxet in Rhet. I & II nichtals der Beginn einer Reihe gedacht, sondern soll bestehende Gliederungen (wieoben dargestellt) vollstndig ablsen. Nun knnte man freilich die nachtrglich ein-gefgte Systematik, die zwischen dem Was und dem Wie der Rede unterscheidet,um so die X^i an die bestehende Abhandlung anzufgen, als Beginn einer solchenReihe ansehen, jedoch brche diese Reihe schon nach der zweiten Position ab: frdie dritte Position nmlich, die x|t, gibt Aristoteles nie eine systematische An-bindung; an der betreffenden Gelenkstelle wird lediglich festgestellt, dass diexatnoch zu behandeln sei. Zu welchem Anlass die Abhandlung der Kapitel III 13-19entstanden ist und wann sie an die bestehende Rhetorik angefgt wurde, wissen wirnicht; die systematisierende Vorstellung jedenfalls, man msse, nachdem das Wasund das Wie der Rede ausgearbeitet ist, noch zustzlich planen, was an welcherStelle gesagt werden soll, wird in der Rhetorik nirgendwo bemht. Systematisch ge-sehen bleibt die xot-Abhandlung daher am ehesten ein Anhang.

    Was die partes orafz'owzs-Gliederung angeht, so ist klar, dass Aristoteles auch inden Kapiteln III 13-19 nicht die Absicht hat, die alte Lehre von der Entsprechungder Teile der Rede und der Teile der xxvr| wiederzubeleben. Das wre nach demkurzen Prozess, den er dieser Lehre in Rhet. I & II bereitet hat, auch nur schwernachvollziehbar. Davon abgesehen kann das viergliedrige Redeschema schon des-wegen keine Entsprechung in der Gliederung der xiyyr\ aufweisen, weil es redun-dante Teile enthlt. Das zweigliedrige Schema aus III 13 dagegen, das zwischendem Aufstellen und Beweisen unterscheidet, hat nicht nur keine Entsprechung inden von Aristoteles in Anwendung gebrachten Unterteilungen der Rhetorik-Ab-handlung, sondern verbleibt auch mit seinem ersten Teil, dem Aufstellen, im Zu-stndigkeitsbereich der Ttioxei. Man kann noch nicht einmal sagen, dass die Teileder Rede die Gliederung der xxvn, fr den begrenzten Bereich der xd^t-Abhand-lung vorgeben wrden. Denn erstens beansprucht der Redeteil des Aufstellens kei-nen eigenen Bestandteil der Abhandlung, und zweitens machen solche Elementewie die Erzhlung, die Beschuldigung und die Befragung, die jeweils keinen eigen-stndigen Teil der Rede darstellen, einen Teil der xxvT) aus. Auerdem treten diedie rhetorische Kunst untergliedernden Momente, wie Emotionserregung, Cha-rakterdarstellung usw. quer durch alle Redeteile hindurch auf.

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  • Eine Theorie der Redeteile 1003

    Die erste und auffallendste Neuerung bei der Behandlung der Redeteile durchAristoteles ist also die, dass die Teile der Rede nicht dazu benutzt werden, die rhe-torische Kunst selbst zu gliedern. Die altepartes-orationis-Lehre (mit ihrer Identi-fikation von Teilen der Rede und Teilen der Kunst) ist fr Aristoteles berholt undindiskutabel, und auch die Behandlung der Redeteile in III 13-19 enthlt keine,nicht einmal partielle Wiederbelebung derselben

    -

    auch nicht zum Zweck derSchnelleinfhrung in die Rhetorik.

    3. Reduktion auf das NotwendigeDas erste Ziel bei der Behandlung der Redeteile ist es, die inflationre Tendenz beider Unterscheidung von Redeteilen zu stoppen und die Untergliederung auf einwesentliches Minimum zurckzufhren. Die strengste Antwort, die Aristotelesauf diese Herausforderung gibt, ist die zu Beginn von Kap. III 13, wonach es nurzwei notwendige Teile der Rede gibt. Das Kriterium, das fr diese minimale L-sung verantwortlich ist, beruft sich darauf, dass die Rede im Kern ein Beweis istund dass jeder Beweis einen zu beweisenden Gegenstand hat; die so verstandeneRede ist vollstndig, wenn sie den Gegenstand oder den Standpunkt, den es zu be-weisen gilt, erst exponiert und dann beweist. Damit wird der schon in Kap. I 1 for-mulierte Standpunkt einer beweiszentrierten Rhetorik reaffirmiert, so dass allemglichen Bestandteile der Rede auer dem Beweis nach dem Substanz-Akzidens-Schema als Zugabe" (1354al4) zunchst ausgeschieden werden knnen.

    Neben der Berufung auf den Beweischarakter der berzeugung, kennt Aristo-teles drei weitere Strategien zur Eliminierung nicht-notwendiger Redeteile, (i.) Eswird nachgewiesen, dass bestimmte Redeteile zwar in mindestens einer der Rede-gattungen eine sinnvolle Funktion (zum Ausdruck ,sinnvolle Funktion' vgl. unten,Neue Aufgaben fr redundante Redeteile') haben, in mindestens einer anderenGattung jedoch vllig berflssig sind. Beispiel: Die Erzhlung ist zwar in der Ge-richtsrede sinnvoll, jedoch nicht in der politischen Rede, wodurch sie als nicht-notwendiger Redeteil ausgewiesen werden kann, (ii.) Es wird nachgewiesen, dassbestimmte Redeteile nur unter bestimmten Umstnden, jedoch nicht in jeder Redeeine sinnvolle Funktion haben. Beispiel: Die Einleitung ist berflssig, wenn derGegenstand, ber den man spricht, offensichtlich oder nur von geringem Umfangist. (iii.) Es wird gezeigt, dass einer der konventionell angenommenen Redeteileeinem anderen Redeteile angegliedert werden kann, so dass er sich nicht als eigen-stndige Art (elo) behaupten kann. Beispiel: Erwiderungen auf die Gegenparteisind ihrer Funktion nach nichts anderes als ein Beweis, so dass sie durch die Mittelder berzeugung behandelt werden knnen.

    Die Reduktionsbemhung der xci^i-Abhandlung verfolgt insgesamt drei An-liegen, (i.) Das theoretische Anliegen, aus dem

    -

    traditionell vorgegebenen-

    Un-tersuchungsgegenstand der Redeteile diejenigen Momente auszusondern, die freine kunstgeme berzeugungsmethode beachtenswert sind; auf diese Weiselsst sich ein nicht unwesentlicher Anteil des bisherigen Forschungsbereichs als freine rhetorische xxvn irrelevant erweisen, (ii.) Das anwendungsbezogene Anlie-

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  • 1004 Nachbemerkung zu Kap. III 13-19gen, bei der Komposition einer Rede zwischen redundanten Elementen und funk-tional notwendigen Teilen unterscheiden zu knnen, um so die verfgbare Rede-zeit optimal einsetzen zu knnen, (iii.) Das konomische Anliegen, die hinsicht-lich der Redeteile anfallenden Fragestellungen bereits bestehenden Ausfhrungender T8XVT] aus Rhet. I & II und Rhet. III 1-12 zuweisen zu knnen. So hat bei-spielsweise die Eingliederung der Erwiderungen in den Bereich des Beweises denSinn zu zeigen, dass fr die Erwiderung keine Mittel erforderlich sind, die ber dasThema von Rhet. I & II hinausgehen wrden.

    4. Nicht-notwendige Redeteile mit strategischer BedeutungWarum lsst es Aristoteles nicht mit der Ausarbeitung der beiden notwendigenRedeteile bewenden, und warum bercksichtigt er auerdem sowohl das vierglied-rige Redeschema als auch Momente wie die Befragung, die Beschuldigung u.a., dienicht einmal in diesem viergliedrigen Schema enthalten sind? Offenbar handelt essich hierbei um denselben Typ von Frage, der sich auch im Anschluss an die Verur-teilung der nicht-argumentativen berzeugungsmittel in I 1 stellte. So wie Aristo-teles trotz der Konzeption einer sachbezogenen und beweisorientierten Rhetoriknicht-argumentative berzeugungsmittel in die rhetorische Kunst mit aufnahm,und dies offenbar aus dem Anliegen heraus tat, dem vernnftigen Standpunkt auchunter /ogos-widrigen Verhltnissen zur Durchsetzung zu verhelfen, so werdenauch jetzt die zunchst als redundant erwiesenen Redeteile in die rhetorischexxvT) aufgenommen, und zwar erneut aus dem Anliegen heraus, auch gegenbersolchen Hrern und unter solchen Umstnden die gewnschte berzeugung zubewirken, bei denen die Beschrnkung auf den rhetorischen Beweis allein einenstrategischen Nachteil bedeuten wrde; so sagt Aristoteles ber die herkmmlichgestaltete Einleitung: Es darf aber nicht verborgen bleiben, dass alles Derartigeauerhalb des Arguments liegt: Es richtet sich nmlich an einen Hrer, derschlecht ist und auf das auerhalb der Sache Liegende hrt; weil es, wenn er nichtvon solcher Beschaffenheit ist, keinen Bedarf fr eine Einleitung gibt ..."(1415b4-7) Die Bercksichtigung solcher Redeteile wird also dadurch gerechtfer-tigt, dass die Zuhrer einer anderen Art von berzeugung gar nicht zugnglichwren. Auf diese Weise finden sekundr auch solche Redeteile Beachtung, die mitdem rhetorischen Beweis in keinerlei Verbindung stehen und deren charakteristi-sche Wirkungsweise gerade dazu beitrgt, von der Sache abzulenken. So sagt Aris-toteles beispielsweise von der Einleitung ausdrcklich, dass sie dazu beitrage, beietwas zu verweilen, was mit der Sache selbst nichts zu tun hat; das wiederum seibesonders dann ntzlich, wenn man eine schwache Sache zu vertreten hat.

    Das bis hierher skizzierte Schema, wonach zunchst als berflssig erwieseneRedeteile aus strategischen Grnden doch bis zu einem gewissen Grad bercksich-tigt werden, muss aber noch weiter differenziert werden. Unter die Kategorie deraus strategischen Grnden bercksichtigten Redeteile fallen nmlich sowohl Ele-mente, (i.) die nur dazu beitragen, von der Sache abzulenken, als auch solche, (ii.)die, obschon nicht notwendig, den Verstehensprozess erleichtern und insofern

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    eine ,sinnvolle Funktion' in der Rede ausben. Die unter (i.) fallenden Elementeder Rede gehren in den weiter gefassten Bereich der Tuschung, weil der Hrerdazu gebracht werden soll, ein Urteil zu akzeptieren, von dem der Redner wei,dass es falsch ist, oder dass es, falls wahr, nicht auf die betreffende Weise erreichtwerden kann. Beispiel: Wenn, wie Aristoteles in III 16 ausfhrt, die Erzhlungdazu genutzt wird, um etwas zu berichten, was den Richtern angenehm ist, dannsoll damit der Richter auf die Seite des Redners gebracht werden, ohne dass er denGegenstand der Rede wirklich beurteilen wrde. Weitaus mehr Aufmerksamkeitschenken die Kapitel III 14-19 jedoch den unter (ii.) fallenden Elementen derRede: Hier geht es darum, Teile der herkmmlichen Rede so umzuformen, dass siedas Verstndnis der in der Rede verhandelten Gedanken erleichtern. Auch darinliegt ein gewisser strategischer Aspekt, weil das derart erleichterte Verstndnis mitder angestrebten Akzeptanz Hand in Hand geht; jedoch handelt es sich dabei nichtum Tuschung, weil diese Mittel ganz in den Dienst der Gedankenbermittlung,und somit in den Dienst des Beweises, gestellt werden.

    Diese Art von Kalkl hat eine Parallele in der Dialektik: In Buch VIII der Topikgeht es um die strategisch geeignete Anordnung von Fragen, durch die man amehesten die Zustimmung des Gegners zu den beweisentscheidenden Prmissen ge-winnen wird. Diese berlegung hat keine Bedeutung, solange der einzelne Philo-soph sich die entsprechenden Fragen selbst aus Forschungsgrnden vorlegt, wirdaber relevant, sobald das dialektische Verfahren als Dialog erfolgt. Durch die ge-eignete Anordnung wird der Disputationsgegner eher seine Zustimmung zu deneinzelnen Schritten des Beweises geben, getuscht wird er aber dadurch keines-wegs. Dies gilt auch fr die korrespondierenden berlegungen in der Rhetorik:der Redner kann vom Zuhrer keine explizite Zustimmung zu den einzelnenSchritten erwarten, aber er kann dafr sorgen, dass die einzelnen Schritte leichtverstndlich sind. Beispiele fr dieses Verfahren behandelt der folgende Abschnitt.

    5. Neue Aufgaben fr redundante RedeteileIn der herkmmlichen Verwendung beinhaltet beispielsweise die Einleitung vorallem emotionale Appelle an den Zuhrer sowie Floskeln, die die Aufmerksamkeitder Zuhrer frdern sollen. Die so verstandene Einleitung gehrt nicht zu dennotwendigen Redeteilen. Trotzdem kann die Einleitung der Rede so umgestaltetwerden, dass sie eine fr die beweiszentrierte Rede sinnvolle (wenn auch nicht not-wendige) Funktion ausbt. Den Mastab dafr, was hierbei sinnvoll ist oder nicht,liefert die aus der X^i-Abhandlung bekannte Vorstellung des leichteren Verste-hens. Alle hierzu gehrenden Bemhungen zielen darauf ab, den Kern der Rede,den Beweis, transparenter und besser verstndlich zu machen. Das kann entwederdadurch erfolgen, dass (a) einer der an sich nicht-notwendigen Redeteile dazu be-nutzt wird, eine notwendige Aufgabe der Rede auszufllen, so wie die Einleitungund die Erzhlung das Aufstellen des zu beweisenden Gegenstandes bernehmenknnen, oder dadurch, dass (b) die Aufgabe der notwendigen Redeteile untersttztwird.

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  • 1006 Nachbemerkung zu Kap. III 13-19Beispiele: Man kann die Einleitungen der Gerichtsrede so gestalten, dass man

    im Voraus wei, worber die Rede [handelt], und damit der Gedanke nicht in derSchwebe bleibt; das Unbestimmte nmlich fhrt in die Irre. Wer also den Beginnder Rede gleichsam in die Hand gibt, macht, dass man in der Lage ist, der Rede zufolgen." (1415al2-15) Alles das wird zur besseren Verstndlichkeit (EtipaEia)fhren, wenn man will." (1415a37-38) Die konventionellen Bestimmungen ver-binden die Einleitung mit der Aufgabe, Aufmerksamkeit zu erlangen; dies ist ge-rade am Anfang der Rede oft berflssig. Aber nicht das Aufmerksam-Machen ansich ist berflssig; vielmehr ist das Aufmerksam-Machen gemeinsame Sache vonallen Redeteilen, wenn ein Bedarf dafr gegeben ist." (1415b910) hnlich wredas Erzhlen als fester Programmpunkt jeder Rede oft funktionslos. Setzt man dieErzhlung hingegen den Erfordernisse entsprechend ein, kann sie ebenfalls zurVerstndlichkeit des Ganzen beitragen: Deswegen darf man manchmal nicht allesfortlaufend erzhlen, weil sich eine solche Darstellung dem Gedchtnis nicht leichteinprgt." (1416b21-23) Auch geht es nicht darum, dass man schnell oder weit-schweifig erzhlt, sondern darum, dass die Erzhlung das Mavolle trifft: Diesaber besteht darin, nur das zu sagen, was die Sache klar machen wird." (1416b35)Schlielich kann man das Schlusswort, das traditionell fr die Funktion bekanntist, Zorn gegenber dem Gegner und Mitleid gegenber der eigenen Person zu we-cken, zur Rekapitulation der Hauptpunkte einsetzen, damit es nmlich leicht ver-stndlich (Et)tctv}f) ist." (1419b30)

    Die Behandlung der einzelnen Elemente Einleitung, Erzhlung, Beschuldigung,berzeugung, Befragung, Schlusswort entwickelt zwar nicht explizit eine Theorieber die Funktion der bercksichtigenswerten Redeteile; das Vokabular, mit demdie Funktion der oben angefhrten Mittel beschrieben wird, ist aber deutlich: Diebeschriebenen Redeteile sollen eingesetzt werden, um das Gesagte klar zu machen,um ein leichtes Verstndnis zu bewirken, das Gesagte soll sich leicht einprgenusw. Diese Ziele ordnen sich dem in III 2, 1404b2f., genannten eqyov der Redeunter: ... die Rede ist nmlich ein sprachliches Zeichen, so dass sie, wenn sie ihrenGegenstand nicht klar macht, ihre Aufgabe nicht erfllt."

    6. Resmee

    Die Auffassung von Rhet. I 1 (vgl. 1354bl7ff.), dass die Beschftigung mit den Tei-len der Rede nicht zur Sache gehrt, muss auch vom Standpunkt der taxis-Ab-handlung aus nicht grundstzlich zurckgenommen werden. Zunchst bleibt dieAuffassung unberhrt, dass eine Rhetorik, die sich ihrem Thema vornehmlich vonder Unterteilung der Rede her nhert (vgl. oben: Teile der xxvn,

    -

    Teile derRede") dem Kern der berzeugung uerlich bleibt und daher streng genommennicht methodisch oder kunstgem verfhrt, weil sie nicht wirklich auf die Ursa-chen des berzeugendseins gegrndet ist (vgl. die Anm. zu 1354al0 mit Anm. (1.)zu 1354a6-ll). Trotzdem sind die verschiedenen Unterteilungen der Rede nichtnur historisch gegeben, sondern versprechen auch eine gewisse Untersttzung frdas Ziel einer darlegenden, um den rhetorischen Beweis zentrierten berzeu-

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  • Eine Theorie der Redeteile 1007

    gungsmethode. Eine solche Untersttzung ist erstens mit Blick auf ein Audito-rium zu erwarten, bei dem sachfremde Mittel, wie sie in den konventionellen Ein-leitungen und Schlussworten enthalten sind, eine hhere Wrkung erzielen als dieargumentativen Anteile der Rede (vgl. oben: Nicht-notwendige Redeteile mitstrategischer Bedeutung"), und zweitens kann die Einhaltung einer bestimmtenReihenfolge das Verstndnis erleichtern (vgl. oben: Neue Aufgaben fr redun-dante Redeteile"). Was wiederum zum Verstndnis beitrgt, lsst sich ohne weite-res in die argumentative Rhetorik, wie sie in Rhet. I 1 eingefhrt wird, integrieren(vgl. dazu in der Einleitung Kap. VII, Abs.l: Eine allgemeine Begrndungsstruk-tur"). Voraussetzung fr eine derartige Verwendung der Redeteile ist allerdingseine Bereinigung des berkommenen Bestands an Unterteilungen (vgl. oben: Re-duktion auf das Notwendige") sowie eine kritische Neubestimmung fr die Funk-tion der verbleibenden Redeteile. Dieses doppelte Projekt stellt das enger gefassteAnliegen der Kap. III 13-19 dar. Allerdings wird es bisweilen durch den Umstandverdeckt, dass sich Aristoteles in diesen Kapiteln mehr als sonst den Diskussions-verlauf von fremden Quellen vorgeben lsst (vgl. die allgemeine Anm. zu Kap. III13 sowie in der Einleitung Kap. IV, Abschnitt 1), so dass einesteils die Bedeutungder von ihm tatschlich vorgenommenen Eingriffe unterschtzt wird und er an-dernteils nicht bei allen Themen die Umformung des vorgegebenen Stoffes mitderselben Entschlossenheit vorantreibt (vgl. zum Beispiel die allgemeine Anm. zuKap. III 15 oder die Anm. zu 1419b24-28).

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