Assassin’s Creed 10 (Bel.) - paninishop.de · 7 1 Bis auf einen verfallenen Jagdunterstand mit...

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OLIVER BOWDEN Aus dem Englischen von Timothy Stahl

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OLIVER BOWDEN

Aus dem Englischen von Timothy Stahl

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Buch wurde auf chlorfreiem, umweltfreundlich hergestelltem Papier gedruckt.

Englische Originalausgabe:„ASSASSIN’S CREED: Desert Oath“ by Oliver Bowden, published by Ubisoft and Penguin Books, England, November 2017.

© 2017 Ubisoft Entertainment. All Rights Reserved. Assassin’s Creed, Ubisoft and the Ubisoft logo are registered or unregistered trademarks of Ubisoft Entertainment in the U. S. and/or other countries.

No similarity between any of the names, characters, persons and/or institutions in this publication and those of any pre-existing person or institution is intended and any similarity which may exist is purely coincidental. No portion of this publication may be reproduced, by any means, without the express written permission of the copyright holder(s).

Übersetzung: Timothy StahlLektorat: Robert MontainbeauRedaktion: Mathias Ulinski, Holger WiestChefredaktion: Jo LöfflerUmschlaggestaltung: tab indivisuell, StuttgartSatz: Greiner & Reichel, KölnDruck: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany

YDACTP009

ISBN 978-3-8332-3517-71. Auflage, Dezember 2017

Auch als E-Book erhältlich:ISBN 978-3-7416-9999-8

www.paninibooks.de

TEIL EINS

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Bis auf einen verfallenen Jagdunterstand mit flachem Dach, der am Horizont aufragte wie ein einzelner fauler Zahn, war in der Wüste weit und breit nichts zu sehen. Der taugt, dachte Emsaf. Als er den Unterstand erreicht hatte, band er sein Pferd in dessen Schatten an, dann betrat er das kühle Innere, dankbar für die dicken Lehmwän-de, die den größten Teil der Hitze abhielten.

Drinnen nahm er seine Kopfbedeckung ab und schaute sich auf-merksam um. Kein Ort, an dem er viel Zeit verbringen wollte, na-türlich nicht – er war karg und muffig –, aber für das, was er im Sinn hatte, war er ideal.

Und im Sinn hatte er den Tod.Er legte seinen Bogen nieder und platzierte daneben einen Pfeil

aus dem Köcher, dann richtete er sein Augenmerk auf ein kleines Fenster, durch das der Blick auf die Ebene dahinter fiel. Er kniff kurz die Augen zusammen, kniete sich hin, griff schließlich nach dem Bogen, legte einen Pfeil an und zielte zur Probe.

Zufrieden legte er die Waffe wieder zu Boden, dann aß er den Rest der Melone, die er in Ipou auf dem Markt gekauft hatte, be-vor er es sich bequem machte, um auf das Erscheinen seines Op-fers zu warten.

Und während er wartete, wanderten seine Gedanken wieder zu der Familie, die er in Hebenou zurückgelassen hatte, eine Tren-nung, deren Ursache ein Brief gewesen war, den er aus Djerty er-

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halten hatte. Der Inhalt des Briefes hatte Emsaf dermaßen beunru-higt, dass er sofort zu packen begonnen hatte.

„Ich habe etwas zu erledigen“, war alles, was er seiner Frau und seinem Sohn gesagt hatte, „etwas, das nicht warten kann. Ich kom-me zurück, sobald ich kann. Ich verspreche es.“

Er ließ Merti wissen, dass er für einige Wochen fort sein wür-de, vielleicht auch ein paar Monate, und dass sie sich um das An-pflanzen und das Feststampfen der Erde kümmern solle, solange er weg war. Ebe, der erst sieben Jahre alt war, hatte er mit der Auf-gabe betraut, die Gänse und Enten zu hüten, außerdem sollte der Knabe seiner Mutter mit dem Vieh und den Schweinen helfen. Er war zuversichtlich, dass Ebe all das tun würde, weil er ein guter und tüchtiger Junge war, der seine Eltern liebte und seine Pflichten gewissenhaft erfüllte.

Tränen hatten in ihren Augen geschimmert, und es war Emsaf schwergefallen, seine Fassung zu wahren, als er mit bedrücktem Herzen auf sein Pferd gestiegen war. „Pass gut auf deine Mutter auf, Junge“, wies er Ebe an und gab vor, sich Staub aus den Augen wischen zu müssen.

„Das werde ich tun, Papa“, erwiderte Ebe mit zitternder Unter-lippe. Emsaf und Merti tauschten ein herzzerreißendes Lächeln. Sie hatten alle gewusst, dass dieser Tag kommen würde, dennoch erschütterte er sie.

„Betet für mich zu den Göttern. Bittet sie, auf uns achtzugeben, bis ich wieder zurück bin“, sagte Emsaf, und damit wendete er sein Pferd und ritt in südwestlicher Richtung davon. Nur einmal drehte er sich noch zu seiner Familie um, die ihm nachsah. Der Abschied schmerzte ihn wie ein Messer, das ihm im Herzen steckte.

Er hatte geschätzt, er werde für die Reise von Norden, von He-benou, bis zu seinem Ziel zwölf Tage brauchen. Er hatte nur das Nötigste mitgenommen und ritt bei Nacht, wobei er den Mond und die Sterne zur Orientierung nutzte. Bei Tag ließ er sein Pferd aus-ruhen und schlief selbst im Schatten eines Terpentinbaums oder in Hütten, die ihn vor der tückisch herabbrennenden Sonne schützten.

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Eines frühen Abends war er aufgestanden, als die Sonne noch nicht untergegangen war, und hatte mit geübtem Auge den Ho-rizont abgesucht. Dort in der Ferne, fast unsichtbar, entdeckte er eine leichte Unterbrechung im Flirren der Hitze, die wie Schlick über der Linie des Horizonts lag. Er nahm sie zur Kenntnis, dachte sich aber nichts weiter dabei. Doch am nächsten Tag stand er be-wusst zur gleichen Zeit auf, und da war sie wieder, im Lichtstreif des Horizonts, an ähnlicher Stelle wie am Tag zuvor, wie eine Po-ckennarbe. Er wurde verfolgt, zweifellos. Mehr noch, der Verfol-ger verstand sein Handwerk. Die Entfernung zwischen ihnen blieb stets gleich.

Seine Theorie zu prüfen, barg das Risiko, seinen Verfolger auf-merksam zu machen, aber er musste es tun. Er verlangsamte sein Tempo. Die Wärmesignatur veränderte sich nicht. Er reiste bei Tag, ertrug die sengende Sonne. Der Verfolger musste es ihm gleichge-tan haben. Eines Nachts galoppierte er voran, trieb sein Pferd bis an dessen Grenzen. Derjenige, der ihm da auf den Fersen war, sah es und folgte seinem Beispiel.

Emsaf blieb nur eines übrig. Er musste seine Mission aufgeben, wenigstens vorübergehend, bis er etwas unternehmen konnte ge-gen den, der ihm da nachstellte. Wann hatte der Verfolger seine Spur aufgenommen? Emsaf, selbst ein erfahrener Kundschafter, wusste, dass er auf der Hut sein musste.

Also gut, dachte er. Überlegen wir mal … Er hatte seinen Ver-folger am fünften Tag seiner Reise entdeckt. Das machte ihm Mut, denn das hieß, dass Merti und Ebe in Sicherheit waren. Solange sein Verfolger, wer immer er sein mochte, weit fort von seinem Zu-hause blieb, war das gut. Jetzt musste er versuchen, seinen Häscher aufzuscheuchen.

Nicht weit außerhalb von Ipou stieß Emsaf auf eine Siedlung. Händler hatten Stände aufgebaut und verkauften Öle, Stoffe, Lin-sen und Bohnen in hohen Gefäßen. Viele Menschen kamen hier vorbei, und er fand einen, der in Richtung Theben unterwegs war. Den bat er, gegen Bezahlung eine Nachricht zu überbringen, und

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sobald er das getan habe, sollte er noch eine Münze bekommen. Emsaf kaufte Proviant ein, hielt sich jedoch nicht lange auf. Durch-ziehende Bauern mit Ochsen weckten sein Heimweh und erinner-ten ihn schmerzlich an Merti und Ebe. Er fand eine Furt und durch-querte den Nil zur westlichen Wüste, lockte seinen Verfolger hinter sich her und plante seinen nächsten Zug.

Zwei Nächte später hatte er den Jagdunterstand auf der Ebene entdeckt und beschlossen, sich dort auf die Lauer zu legen.

Und in der Tat kam sein Verfolger jetzt in Sicht – in der Fer-ne tauchte eine einsame Gestalt auf einem Pferd aus dem Hitze-schleier auf. Emsaf dankte den Göttern, dass die Sonne in seinem Rücken stand, justierte den Pfeil und visierte den Reiter an. Er er-kannte die inzwischen vertraut gewordene Form des Umhangs, die Farbe des Pferdes.

Es war Zeit.Emsaf atmete tief ein, behielt sein Opfer genau im Auge und

zielte, wie ihm vorkam, sehr lange. Er musste die Sehne loslassen, bevor seine Muskeln zu zittern begannen und der Pfeil dadurch die gewünschte Flugbahn verließ. Er musste es zu Ende bringen. Jetzt.

Er öffnete die Finger seiner rechten Hand.Der Pfeil fand sein Ziel. In der Ferne fiel der Reiter von seinem

Tier, Staub und Sand wölkten auf, als er auf den Boden prallte. Emsaf legte einen weiteren Pfeil an und zielte, bereit, ein zweites Mal zu schießen, sollte es nötig sein. Er beobachtete den im Sand liegenden Körper, harrte auf ein Lebenszeichen.

Es kam keines.

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Zwei Wochen zuvor

Der Mörder erwachte im Morgengrauen, kurz bevor das Licht der aufgehenden Sonne durch die mit Leinwand verhangenen Fenster fiel und das weiße Feuer in seinen Augen entflammte. Schon bald würde sein Haus warm sein, aber während er sich anzog und dann den Schal von seinem Bett nahm und sich umschlang, stellte er fest, dass der Stille eine schneidende Kälte innewohnte.

In einem anderen Raum bereitete er sich den Rest seines Bro-tes und Obstes und aß langsam. Tief in Gedanken klärte er seinen Kopf für die vor ihm liegende Aufgabe. Es war lange her, aber sein Geist und Körper waren bereit und seine Klingen scharf.

Als er sein Mahl beendet hatte, traf er die letzten Vorbereitungen und zog Karten zurate. Das Gewirr aus Narben auf der Seite sei-nes Gesichts zeigte sich im Spiegel, den er benutzte, um unter sei-nen Augen Kohle aufzutragen, die ihn vor dem Gleißen der Sonne schützen würde.

Er fragte sich, ob Iset, Horis und Anubis ihm wohlgesonnen sein würden.

Die Zeit würde es zeigen.

*

Drei Tage und Nächte reiste er, bevor er das Gehöft bei Hebe-nou erreichte, eine Ansammlung von Gebäuden im Sand mit Um-

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zäunungen für das Vieh und einer Leine voll frisch gewaschener Wäsche, die weiß strahlte. Zuversichtlich, dass die Konturen der Landschaft ihn verbargen, hielt er bei einer Gruppe von Palmen an und band sein Pferd im Schatten eines Baumes fest. Dann nahm er einen Wasserschlauch aus seinem Gepäck, prüfte den Stand der Sonne und achtete darauf, sie im Rücken zu haben, während er sich auf den Weg machte, eine geeignete Senke in der Wüste fand und sich darin verschanzte. Er deckte sich mit dem Schal zu, dann be-gann das Warten.

Da. Beim Haus. Bewegung.Eine Gestalt, nein, eine Frau ging zum Sakije-Brunnen. Sie trug

einen großen Eimer, und die Augen des Mörders wurden schmal, als er sah, wie sie ging. Ihre Bewegungen waren sparsam und be-herrscht. Während er sie beobachtete, füllte sie das Gefäß, stellte es auf dem Rand des Brunnens ab und stand dann eine Weile da, die Hände in die Hüften gestützt. Wenig später legte sie die Hände trichterförmig an den Mund und rief einen Namen, den eine leichte Brise davontrug.

Ebe!Der Name seiner Zielperson war Emsaf, der entweder anders-

wo war – vielleicht in der Stadt oder auf dem Feld, wo man ihn von hier aus nicht sehen konnte – oder er war gar nicht zu Hause. Aus dem Haus kam ein Junge, sechs oder sieben Jahre alt. Das war Ebe, zweifellos. Der Mörder sah zu, wie sich die beiden an die Arbeit machten, ein weiteres Gefäß vom Brunnenrand hoben und dann beide zum Haus trugen. Anschließend benutzten sie kleinere Eimer, um die Tröge für die Tiere zu füllen. Ziegen senkten ihre Köpfe, um zu trinken. Draußen auf der Ebene folgte der Beobach-ter ihrem Beispiel.

Er blieb an seinem Platz, bis er sicher sein konnte, dass Emsaf nicht da war und nur die Frau und der Junge sich im Haus auf-hielten. Dann richtete er sich in die Hocke auf und sprintete los. Schwer atmend erreichte er das Haus und drückte sich mit dem Rü-cken an die Lehmziegel. Durch ein Fenster an der Rückseite hörte

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er, wie Mutter und Sohn aßen. Er fing das Wort „Vater“ auf. Die Antwort der Mutter enthielt die Worte „bald wieder da“.

Jetzt schloss der Mörder die Augen, um nachzudenken. Das war ein Nachteil, ein kleiner zwar nur, aber nichtsdestotrotz ein Nach-teil. War Emsaf gewarnt worden?

Nein. Nicht davor, dass er, der Mörder, kam. Wäre das der Fall gewesen, dann wäre Emsaf hiergeblieben, um seine Familie zu be-schützen. Aber er war über irgendetwas in Kenntnis gesetzt wor-den. Hatte sich beeilt, um andere zu warnen – oder war er vielleicht losgezogen, um eine Aufgabe zu erfüllen? Das würde er herausfin-den, wenn er ihn eingeholt hatte, beschloss er und schob den Ge-danken einstweilen beiseite.

Die Zeit jedoch … Die Zeit war wichtig. Die Zeit war sein Feind.Er streifte seine Sandalen ab, der Sand brannte heiß unter sei-

nen Füßen, als er um das Haus schlich und sich unter den Fenstern wegduckte, bis er die Vordertür erreichte. Er nahm daneben Auf-stellung, flach an die Wand gepresst, und lauschte angestrengt, um herauszufinden, wo Mutter und Sohn sich genau befanden. Dann zog er sein Messer aus dem Gürtel und schlang das Lederband, das vom Griff der Waffe hing, um sein Handgelenk.

Warten. Die Schrittgeräusche zählen.Jetzt.Er schob die Leinwand beiseite, trat schnell ein, packte die Frau

von hinten und hielt ihr das Messer an die Kehle, ein kurzes Hand-gemenge, das binnen Sekunden vorbei war.

Auf der anderen Seite des Raumes hörte Ebe, was geschah, dreh-te sich um und sah einen Mann mit Narbengesicht, der seine Mut-ter mit einem Messer bedrohte. Der Junge hatte zerzaustes Haar, seine Augen weiteten sich vor Überraschung und Angst. Er hielt einen Teller in der Hand, darauf lag ein Messer, und sein Blick huschte durch den Raum.

„Niemandem braucht etwas zu geschehen“, sagte der Mörder. Der Frau stockte der Atem. „Junge, stell den Teller weg und leg dich auf den Bauch.“

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„Tu’s nicht, Ebe“, sagte die Frau in angespanntem, aber auch entschlossenem Ton.

„Ich treibe keine Spiele“, warnte er und schnitt ihr ins Fleisch, um seine Worte zu unterstreichen. Blut lief aus der Wunde und über das Handgelenk des Mörders.

„Stell den Teller hin“, wiederholte er.„Denk daran, was Papa gesagt hat“, keuchte die Frau. „Renn,

Ebe. Spring durchs Fenster. Du kannst ihm davonlaufen. Er hat be-stimmt ein Pferd. Such es und flieh damit.“ Sie hob die Hände, um nach seinem Arm zu greifen, sich festzuhalten.

Der Mörder schüttelte den Kopf. „Mach einen Schritt und ich schlitze ihr den Hals auf. Und jetzt tu, was ich gesagt habe.“

Was als Nächstes geschah, ging blitzschnell vonstatten – Ebes Handgelenk zuckte, der Teller flog davon und zerbrach auf dem Boden. In seiner anderen Hand hatte er jetzt das Messer, des-sen Klinge er zwischen Zeigefinger und Daumen hielt. Ein Zu-cken auch dieses Handgelenks, und das Messer wirbelte auf den Mörder zu, während zugleich die Mutter des Jungen ihren Zug machte, sich drehte und ihre Zähne tief in den Arm ihres Angrei-fers grub.

Es war ein guter Messerwurf, doch der Mörder wich aus und die Klinge verfehlte ihn fast zur Gänze, kratzte ihm lediglich über die Schulter. Die Mutter des Jungen rammte ihm ihren Ellbogen in die Rippen, einmal, zweimal. Es waren feste, gezielte Hiebe. Auch sie war trainiert. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als sich um beide zu kümmern. Rasch traf er seine Wahl, schnitt ihr die Kehle durch, als sie ihn ein drittes Mal zu treffen versuchte, und aus dieser Be-wegung heraus warf er seinen Dolch nach dem Jungen, der nach vorn sprang, eindeutig in der Absicht, seiner Mutter im Kampf ge-gen ihn zu helfen.

Der Junge war nah. Der Killer verstand sich aufs Messerwerfen. Der kleine Ebe fasste sich an den Hals, wo sich die Klinge hinein-gebohrt hatte. Blut quoll erst nur hervor und sprudelte dann aus der Wunde, als er auf die Knie sank und zur Seite kippte. Mutter und

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Sohn starben nur wenige Fuß voneinander entfernt auf den steiner-nen Bodenfliesen.

Der Mörder legte den Kopf schief und starrte auf das Blut, das sich zwischen seinen beiden Opfern zu einer Lache sammelte, ver-mischte und langsam den Boden tränkte. Seine Lippen zuckten, drückten kurz seine Verärgerung aus. Er hatte sie so lange am Le-ben lassen wollen, dass er sie befragen konnte. Mit ihrer Entschei-dung zu kämpfen, hatten sie ihm diese Möglichkeit verwehrt. Im Tod hatten sie Emsaf Zeit verschafft, vielleicht sogar eine Chance zur Flucht.

Bion seufzte und blickte finster drein. Wie widerspenstig von den beiden.

*

Er nahm die Fährte auf und folgte Emsaf auf der Straße nach Ipou.Sein Opfer hatte Talent, daran bestand kein Zweifel. Wenn Ka-

rawanen oder Händler durchkamen, ging er in ihren Spuren, und wenn die einzige Fährte auf der Straße die seine war, schlug er sich seitlich davon in die Wildnis. Aber obgleich er offenbar vermutete, dass er verfolgt wurde, brauchte er zu lange, um seinen Verdacht zu bestätigen, und der Mörder hatte Emsafs Plan schon erraten, als der ihn erst fasste.

Als er in der Ferne den Jagdunterstand sah, aber kein Anzeichen von Emsaf, wusste der Mörder, dass ihm eine Falle gestellt wor-den war. Eine Falle von der Art, wie auch er sie gestellt hätte. Die-ses Wissen bedeutete, dass Emsafs Schicksal so gut wie besiegelt war.

In der Nähe einiger Felder und ein Stück entfernt vom Fluss traf er auf einen Reisenden, der auf einem mit Vasen beladenen Esel ritt. In der Ferne ließen sich die Silhouetten von Feldarbei-tern erahnen, zu weit entfernt, als dass sie sehen konnten, was als Nächstes geschah.

„Hallo“, rief der Reisende munter, als der Mörder absaß und nä-

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her kam, das Messer unter seinem Schal verborgen. Der Reisende hob eine Hand, um seine Augen zu beschatten. „Was kann ich für Euch t…“, setzte er gut gelaunt zu einem höflichen Gruß an, den er nie mehr vollendete.

Der Mörder führte den Esel, der nervös war vom Geruch des Blutes und der den Leichnam seines Besitzers immer noch auf dem Rücken trug, zurück zum Unterstand. An einem schattigen Plätz-chen außer Sichtweite setzte er den Toten auf sein Pferd. Dazu benutzte er ein Seil und geschickt geknüpfte Knoten, die im Zu-sammenspiel mit der bald einsetzenden Totenstarre dafür sorgen würden, dass der Mann aufrecht auf dem Pferd saß. Zu guter Letzt warf er noch seinen Schal über den Toten, dann trat er zurück, um sein Werk zu bewundern.

Schließlich schickte er Ross und toten Reiter los, während er selbst einen weiten Bogen schlug und sich dem Unterstand von hinten näherte. Aus der Ferne beobachtete er, wie der Leichnam schwerfällig und mit Emsafs Pfeil im Hals vom Pferd fiel.

Die Falle war zugeschnappt.Wenig später kam Emsaf geduckt aus dem Unterstand, und der

Mörder, der sich von hinten genähert hatte, wartete schon auf ihn. Er benutzte sein Messer, um Emsaf im Nacken das Rückgrat zu durchtrennen, sodass er noch sehen und sprechen konnte. Dann ging er vor ihm in die Hocke, um das Wort an ihn zu richten.

„Wo ist der Letzte deiner Art?“, fragte er.Emsaf blickte zugleich wissenden und trauernden Blickes zu

ihm hoch und der Mörder verspürte abermals Verärgerung. Diese Familie war durch und durch aus demselben Holz geschnitzt, und er wusste, dass er hier nur seine Zeit vergeudete. Er stieß Emsaf den Dolch ins Auge, dann wischte er die Waffe an seiner Kleidung sauber. Auf der Ebene stürzten sich bereits die Geier auf die Leiche des Reisenden. Er sah ihnen zu und nutzte den Moment, um sich kurz auszuruhen, bevor er sich wieder auf den Weg machte. Bald würden die Vögel auch Emsaf finden. Tod und Wiedergeburt. Ein nie endender Kreislauf.

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Später fand der Mörder das Medaillon unter Emsafs Habselig-keiten und verstaute es in seinem eigenen Gepäck.

Die Mission war erfüllt – fürs Erste.Bion reckte sich und holte tief Luft. Er würde seine Waffen säu-

bern, sich noch ein wenig ausruhen und danach Meldung machen. Dann würde er seine nächsten Befehle erhalten, auf die Suche nach einem neuen Opfer geschickt werden, und das Spiel begann wieder von vorn.