Aufruf zum Antifacamp Weimar/Buchenwald 2013

4

description

Aufruf zum Antifacamp Weimar/Buchenwald 2013

Transcript of Aufruf zum Antifacamp Weimar/Buchenwald 2013

Page 1: Aufruf zum Antifacamp Weimar/Buchenwald 2013
Page 2: Aufruf zum Antifacamp Weimar/Buchenwald 2013

68 Jahre nach dem Tag der Befreiung, 23

Jahre a h der Wieder erei igu g it seitdem mindestens 182 zu beklagenden

Opfern rechter Gewalt, 20 Jahre nach

Solingen, 20 Monate nach dem Auffliegen

der NSU/VS-Co e tio …

…fi det o 27. Juli is zu 4. August 2013 zum 25. Mal das AntifaCamp

Weimar/Buchenwald statt. Seit 23 Jahren

treffen sich Antifaschist_innen regelmäßig,

um sowohl direkt auf dem Gelände des

ehemaligen Konzentrationslagers

Buchenwald zu arbeiten und zu

recherchieren, als auch innerhalb des

Camps inhaltlich zu agieren. Dabei ist uns

die Kommunikation mit Zeitzeug_innen

besonders wichtig. Die Arbeit auf der

Gedenkstätte und der Austausch mit

ehemals Verfolgten des Naziregimes,

dienen hier als Grundlage für mögliche

weitergehende Auseinandersetzung mit

der NS-Vergangenheit und der Erarbeitung

antifaschistischer Perspektiven in

Gegenwart und Zukunft. Die Solidarität

mit den Häftlingen und ihrem Widerstand

stellt die Basis unserer gemeinsamen

Arbeit dar.

Darüber hinaus wird in diesem Jahr neben

der Beschäftigung mit den NSU-Morden

der Schwerpunkt des AntifaCamps darin

liegen, zu konkretisieren, wie

Erinnerungsarbeit für uns in Zukunft

aussehen kann; sowohl für jede_n

Einzelne_n von uns persönlich, aber auch

als Teil eines linksradikalen

antifaschistischen Widerstandes und im

Gegensatz zu staatlich gelenkter

Erinnerungskultur.

Direkt nach Gründung beider deutscher

Staaten 1949, konzentrierte sich das

Gedenken der DDR besonders auf die

Würdigung des kommunistischen

Widerstandes und dem der

Arbeiter_innenbewegung, deren

Bedeutung heute marginalisiert wird.

Allerdings fanden andere Opfergruppen

dort nur wenig Aufmerksamkeit und die

zentrale Bedeutung des Antisemitismus im

NS-Faschismus wurde nicht hinreichend

erkannt. Die BRD fokussierte ihre

Erinnerung fast ausschließlich auf den der

christlichen Opposition und bediente sich

schon früh christlich geprägter

Metaphern, deren Erlösungsbotschaften

ein Ruhenlassen der deutschen

Vergangenheit und Versöhnung mit dieser

und ihren Tätern implizierten. Außerdem

begünstigte der hier weiterhin salonfähige

Antikommunismus ein

totalitarismustheoretisches

Deutungsmuster, welches Kommunismus

und Faschismus gleichsetzt(e). Seit der

Wieder erei igu g zei h et si h die Erinnerungskultur der Berliner Republik

zunehmend durch die Stilisierung

hege o ialer Opfer ythe aus. Das Leid der Deuts he – charakterisiert durch

Bombenkrieg, Vertreibung & Flucht und

dem Schicksal deutscher Kriegsgefangener

– überlagert die Erinnerung an die von

Deutschen begangenen beispiellosen

Verbrechen an Juden, Sinti & Roma und

anderen Opfergruppen, und damit die

Singularität des industrialisierten

Massenmordes! Inschriften an

De k äler , die de Opfer o Krieg u d Ge altherrs haft ge id et si d, ermöglichen der deutschen Bevölkerung

eine Identifikation und führen zu Opfer-

Täter_innen-Relativierung.

Page 3: Aufruf zum Antifacamp Weimar/Buchenwald 2013

Die gegenwärtige staatliche

Erinnerungskultur erschöpft sich oftmals

in ritualisierten Gedenkfeiern und

Pflichtveranstaltungen, deren

Gedenkansprachen häufig von

universalistischen Deutungsmustern

geprägt sind. Die Verbrechen des

Nationalsozialismus werden zwar

benannt, aber meist auf eine allgemein

e s hli he Di e sio e o Leid

reduziert. Es kommt zu einer

Entkonkretisierung der Vergangenheit. In

staatlichen Gedenkstätten werden sehr

wohl spezifische Daten, Dokumente und

historische Überreste gesammelt,

archiviert und in den geschichtlichen

Zusammenhang eingeordnet, durch den

musealen Charakter und die fehlende

Kontextuierung zur Gegenwart, stellen sie

jedoch Ansätze einer Historisierung und

so it ei er Nor alisieru g des Nationalsozialismus, als lediglich einer

Epoche unter vielen dar.

Wenn wir als linksradikale

Antifaschist_innen die Verbrechen der NS-

Diktatur an authentischen Tatorten

dokumentieren, dann ermöglicht dies die

fortlaufende Wahrnehmung der

Präzedenzlosigkeit des dort Geschehenen

und verschließt sich somit nivellierenden

Deutungsmustern. Eine Beschäftigung mit

den Orten und den daran geknüpfte

Erfahrungen der Geschichte ist

unverzichtbar, auch um Relationen zur

Gegenwart herstellen zu können. Dem

Schwur von Buchenwald fühlen wir uns

verbunden:

...Die Ver i htu g des Nazis us it seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der

Aufbau einer neuen Welt des Friedens und

der Freiheit ist u ser Ziel. ...

Dies verpflichtet uns zu einem besonderen

Augenmerk auf das Heute: Wie kann es

sein, dass 67 Jahre nach Beginn der

Entnazifizierung noch immer eine

Kontinuität von rechter Gewalt, Rassismus

& Antisemitismus in Deutschland zu

verzeichnen ist, die geprägt wird von der

Ignoranz staatlicher Organe, aber auch

deren Teilhabe?

Zwei bekannte Höhepunkte der

Kooperation von staatlichen Organen und

Nazis bildeten die Verbindungen des

Verfassungsschutzes (VS) beim tödlichen

Brandanschlag auf das Haus der Familie

Genc in Solingen im Mai 1993 und die

Machenschaften des VS im

Zusammenhang mit den vom

Natio alsozialistis he U tergru d begangenen Morden. Solingen war erst

möglich geworden durch die politische

Vorbereitung des Staates, durch die

faktische Abschaffung des Asylrechtes und

die unsägliche Hetze der Politiker_innen

und Medien gegen alles vermeintlich

Fre de i eue Großdeuts hla d. Die Täter_innen konnten sich hier als legitime

Vollstre ker_i e des Volks ille s fühlen – und handelten. Der

Natio alsozialistis he U tergru d ar nicht nur in der Lage von staatlichen

Behörden unbehelligt jahrelang durchs

Land zu reisen und mindestens 13

Menschen zu ermorden, er bekam dafür

sogar logistische Unterstützung durch V-

Leute des Bundesamts für

Verfassungsschutz. Sowohl bei den

Morden an den Mitgliedern der Familie

Genc, als auch an denen der Opfer des

NSU wurden durch ethnopluralistische

Projektionen zuerst einmal Migrant_innen

als Täter_innen deklariert und die Opfer

Page 4: Aufruf zum Antifacamp Weimar/Buchenwald 2013

durch die Anwendung kulturalistischer

Allegorien ein weiteres mal erniedrigt. Der

i de Medie er e dete Begriff Dö er-

Morde für die rassistis he Mordserie des NSU und die Selbstbezeichnung der

ermittelnden Polizei-Ei heit als “oKo Bosporus spre he Bä de.

Die gegenwärtig staatlich geförderte Hetze

gegen Asylbewerber_innen knüpft nahtlos

an die Pogromstimmung der 90er Jahre

an. Äußerungen, wie die des

Innenministers Friedrich in Bezug auf

Armutsflüchtlinge, bilden dabei nur die

Spitze des Eisberges und stärken

Fremdenhass und Alltagsrassismus in der

sogenannten Mitte der Gesellschaft.

Ganz aktuell reagiert der Staat auf die

Assoziation VS/Nazis, mit Repressionen

gegen neonazistische Organisationen,

streicht aber gleichzeitig Gelder für

Beratungsstellen und alternative Projekte,

die nicht herrschaftskonform arbeiten.

Parallel dazu propagieren staatlich

dominierte Beratungsstellen auf Basis der

Extremismustheorie eine Täter_innen-

Opfer-Umkehr und relativieren rechte

Gewalt, indem sie Nazigegner_innen

verbal verurteilen, die als unmittelbare

Reaktion auf erlebte rechtsradikale

Angriffe, selber zu körperlicher

Gegenwehr greifen.1 2 3

Die staatlichen Beratungsstellen werden

instrumentalisiert und steigen in die

Fußstapfen von Legislative, Judikative und

Exekutive, welche Nazigegner_innen mit

Repressionen überziehen, wie aktuell im

Dresdener Prozess gegen Tim zu

1 http://goo.gl/qae4l

2 http://goo.gl/5egiq

3 http://goo.gl/PPXl0

beobachten ist.4 Auch dies werten wir als

gezielten Versuch der Behörden

antifaschistische Strukturen zu spalten,

ihre Arbeit zu sabotieren, kriminalisieren

und somit zu verhindern.

Damit werden sie nicht durchkommen!

Lasst uns gemeinsam – im Dialog mit den

Zeitzeug_innen – erarbeiten, wie

linksradikale Erinnerungskultur aussehen

kann; wie sich antifaschistische Opposition

und somit aktives Handeln gegen

Antisemitismus, Rassismus, Sexismus,

Homophobie, Geschichtsrevisionismus,

soziale Hierarchien und jede andere Form

von Menschenfeindlichkeit heute und in

Zukunft gestalten muss.

Bringt Eure Utopien mit und lasst sie uns

gemeinsam weiterentwickeln, auch im

Austausch mit Vertreter_innen anderer

linksradikaler Antifa-Camps.

Erinnern heißt Handeln! Für die

Ermordeten und die Überlebenden, für

das Heute – für die Zukunft.

KOMMT ALLE!!!

4 goo.gl/UpcNn