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Aufsichtspflicht in Tageseinrichtungen für Kinder Grundlagen, Inhalte, Versicherungsschutz Landschaftsverband Rheinland

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Aufsichtspflichtin Tageseinrichtungen

für Kinder

Grundlagen, Inhalte, Versicherungsschutz

LandschaftsverbandRheinland

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Impressum:

HerausgeberLandschaftsverband Rheinland,Dezernat Landesjugendamt,Schulen,50663 Köln

Landschaftsverband Westfalen-Lippe,Landesjugendamt und Westf. Schulen,48133 Münster

AutorenLandesjugendamt Rheinland:Ria CleverSylvia DobratzJörg SchröderMartin Stoppel

Landesjugendamt Westfalen-Lippe:Marianne Bartsch-TegtbauerChrista Döcker-StuckstätteGerhard MatenaarAlfred Oehlmann-Austermann

RedaktionGerhard Matenaar

Gestaltung und LayoutBüro für Satztechnik

DruckBurlage, Münster

Ort und HerstellungsdatumKöln/Münster im Juni 2000

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Aufsichtspflichtin Tageseinrichtungen

für Kinder

Grundlagen, Inhalte, Versicherungsschutz

Köln/Münster im Juni 2000

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A Rechtliche Grundlagen 5

1. Wie wird die Erzieherin aufsichtspflichtig? 5

2. Wen hat die Erzieherin zu beaufsichtigen? 6

2.1 Kinder in der Obhut der Einrichtung 62.2 Besuchs- und "Probekinder" 7

3. Wann beginnt die Aufsichtspflicht, wann endet sie? 9

4. Delegation der Aufsichtspflicht 14

5. Organisationsverantwortung und Verkehrssicherungspflicht des Trägers 16

5.1 Organisationspflicht 165.2 Verkehrssicherungspflicht 16

B Inhalt der Aufsicht 20

1. Pädagogischer Auftrag und Aufsicht 20

2. Bestimmungsfaktoren der Aufsicht 21

2.1 Person des Kindes 222.2 Gruppenverhalten 232.3 Gefährlichkeit der Beschäftigung 232.4 Örtliche Bedingungen 242.5 Spielgeräte und Beschäftigungs-

materialien 252.6 Person der Erzieherin 262.7 Gruppengröße 262.8 Zumutbarkeit für die Erzieherin 27

C Und wenn etwas passiert? 29

1. Konsequenzen einer Aufsichtspflichtverletzung 29

1.1 Zivilrechtliche Folgen 29

1.2 Strafrechtliche Folgen 311.3 Arbeits- und dienstrechtliche Folgen 32

D Versicherungsschutz 32

1 Gesetzliche Unfallversicherung der Kinder während des Besuchs vonTageseinrichtungen 32

1.1 Kreis der versicherten Personen 331.2 Versicherte Tätigkeiten der Kinder 361.3 Versicherte Wege der Kinder 361.4 Unfallanzeige 371.5 Träger der Unfallversicherung 37

2. Haftpflichtversicherung 38

3. Gesetzliche Unfallversicherung derErzieherinnen, Praktikanten, Honorarkräfte, ehrenamtlichen Helfernund mitwirkenden Eltern 38

Anhang 39

1. Abkürzungen 39

2. Anmerkungen zum Text 39

3. Literaturhinweise 39

4. Fortbildung/Beratung 40

5. Adressen der Versicherungsträger 40

Inhaltsverzeichnis

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Landesjugendämter Rheinlandund Westfalen-Lippe gemeinsammit Juristen erarbeitet.

Die Broschüre ist mit dem Ziel er-stellt worden, kind- und lebens-weltorientierte Erziehungs- undBildungsprozesse in Tagesein-richtungen mit guten Argumentenzu stützen. Die erforderliche Auf-sicht steht dabei in unmittelbaremZusammenhang zum Erziehungs-auftrag.

Der Text soll die pädagogisch tä-tigen Kräfte in Tageseinrichtun-gen ermutigen, Kindern im Erzie-hungensalltag so viel Raum für

Erfahrungen im Rahmen von Be-ratung und Fortbildung für Erzie-herinnen in Tageseinrichtungenfür Kinder zeigen, dass die Auf-sichtspflicht ein Thema ist, dasimmer wieder Fragen aufwirft.Das Ministerium für Arbeit, Ge-sundheit und Soziales hatte imDezember 1989 eine Broschürezu diesem Thema unter dem Titel”Aufsichtspflicht in Kindergärtenund Horten” in 2. Auflage heraus-gegeben. Nicht zuletzt auf Grundveränderter gesetzlicher Bestim-mungen war es notwendig, die-sen Text zu aktualisieren. Er wur-de von Fachkräften in der Fach-beratung und Fortbildung der

... und soviel Aufsicht wie nötig

Vorwort

selbstbestimmtes Lernen undHandeln zu eröffnen wie möglichund sie nur in dem Maße zu be-gleiten und zu schützen, wie die-ses ihrem Entwicklungsstand ent-sprechend nötig erscheint.

Um das zu erreichen, ist die stän-dige kritische Auseinanderset-zung mit Fragen der Aufsichts-pflicht notwendig. Werden unterden Aspekten Wohl des Kindesund Aufsicht pädagogische Hand-lungsspielräume erschlossen, sokann erfolgreiche und verantwor-tungsvolle Erziehungsarbeit statt-finden.

Markus SchnapkaLeiter des LandesjugendamtesRheinland

Prof. Dr. Dr. Wolfgang GernertLeiter des LandesjugendamtesWestfalen Lippe

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Kinder lernen im selbstbestimm-ten Spiel ihre Fähigkeiten einzu-schätzen, um sich so auf Anfor-derungen und Risiken in ver-gleichbaren Situationen einzustel-len.Sie lernen eigenverantwortlichzu handeln und sich vor mögli-chen Schäden selbst zu schüt-zen. Soweit sie hierzu noch nichtfähig sind ist es Aufgabe desErziehenden, ihren Schutz stell-vertretend sicherzustellen. DieseAufgabe wird juristisch als Auf-sichtspflicht bezeichnet.

Man wird im Jugendhilfegesetz,das die Aufgaben der öffentlichenErziehung beschreibt,vergebensnach dem Begriff der Aufsichts-pflicht suchen. Vielmehr ist hierdie Rede vom Auftrag der Förde-rung der Persönlichkeitsentwick-lung des Kindes - ein Auftrag, derselbstredend unter dem Ge-sichtspunkt des Kindeswohlsauch seinen Schutz vor mögli-chen Gefährdungen einschließt.

Wie aber die Aufsicht wahrzuneh-men ist, auch dazu gibt es keineallgemein gültigen gesetzlichenBestimmungen. Die Aufsichts-pflicht ist ein sogenannter unbe-stimmter Rechtsbegriff, der fürjede Situation neu mit Inhalt zufüllen ist.

Deshalb sind juristisch geseheninsbesondere im Falle einer ein-getretenen Schädigung einesKindes oder Dritter Argumenteund Begründungen für das erzie-herische Verhalten von besonde-rer Bedeutung.

So schwierig es für die Erzieherin1

auch manchmal sein mag, fürden Schutz der Kinder persönlichdie Verantwortung zu tragen - siewird mit dem Gefühl leben müs-sen, dass ein völliger Ausschlussvon Risiken nicht möglich ist.Denn in Hinblick auf seineEntwicklung zu einer selbststän-digen und eigenverantwortlichenPersönlichkeit hat das Kind ein"Recht auf Risiken".

die Autoren

Einleitung

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Definition

Betreuungsvertrag

Arbeitsvertrag

Rechtliche Grundlagen

Der Begriff "Aufsichtspflicht" beschreibt gewöhnlich die Pflicht, Kindermit dem Ziel zu beaufsichtigen, sie einerseits vor einer Selbstschä-digung oder einer Schädigung durch Dritte zu bewahren sowie ande-rerseits zu verhindern, dass sie ihrerseits Dritte schädigen. Die Auf-sichtspflicht ist Bestandteil der Personensorge und obliegt daher ur-sprünglich den Personensorgeberechtigten, d.h. regelmäßig den Eltern.Dies ergibt sich aus § 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Da-nach umfasst die Personensorge neben der Pflicht und dem Recht, dasKind zu pflegen, zu erziehen und seinen Aufenthalt zu bestimmen, auchdie Pflicht und das Recht, es zu beaufsichtigen. Andere Personen wer-den neben den Personensorgeberechtigten nur dann aufsichtspflichtig,wenn sie die Aufsichtspflicht von ihnen übernehmen.

1. Wie wird die Erzieherin aufsichtspflichtig?Begründung der Aufsichtspflicht

Geben die Eltern bzw. andere Personensorgeberechtigte - beispiels-weise der Vormund - Kinder in eine Tageseinrichtung, kommt - rechtlichgesehen - regelmäßig ein Vertrag zustande, durch den die Aufsichts-pflicht von den Personensorgeberechtigten auf den Träger der Einrich-tung übergeht (sog. Betreuungs- oder Aufnahmevertrag). Indem diePersonensorgeberechtigten ihr Kind anmelden, erklären sie, ihre Auf-sichtspflicht für die Dauer und den Umfang der jeweiligen Betreuungübertragen zu wollen: Das Kind soll während seiner Anwesenheit erzo-gen und beaufsichtigt werden. Nimmt der Träger die Anmeldung an, istder Vorgang der vertraglichen Begründung der Aufsichtspflicht abge-schlossen.

Träger von Tageseinrichtungen sind in aller Regel Institutionen, z.B. Ge-meinden, Kirchengemeinden oder Vereine. Institutionen können dieAufsichtspflicht nicht selbst wahrnehmen. Sie bedienen sich dazu ihrerMitarbeiterinnen, also sozialpädagogischer Fachkräfte (Erzieherinnen,Sozialpädagoginnen), Kinderpflegerinnen, Ergänzungskräfte, Praktikan-tinnen usw., aber auch ehrenamtlicher Helferinnen.

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Das folgende Schema soll diese Herleitung der Erziehungs- und Auf-sichtspflicht von den Personensorgeberechtigten verdeutlichen:

Zwischen Erzieherin und Personensorgeberechtigten bestehen typi-scherweise keine Vertragsbeziehungen. Die Erzieherin ist vielmehr sog.Erfüllungsgehilfin (§ 278 BGB) des Trägers; sie ist allein auf Grund ihresArbeitsvertrages o.ä. mit dem Träger verpflichtet, die Vereinbarungendes Vertrages zwischen Träger und Personensorgeberechtigten zu er-füllen.

2. Wen hat die Erzieherin zu beaufsichtigen?Persönlicher Geltungsbereich der Aufsichtspflicht

2.1 Kinder in der Obhut der Einrichtung

In erster Linie erstreckt sich die Aufsichtspflicht der Erzieherin auf dieKinder ihrer Gruppe, für die sie also unmittelbar zuständig ist (zur über-greifenden Verantwortlichkeit der Leiterin einer Tageseinrichtung s.u.5.1).

Auf Grund ihres Anstellungsvertrages sind Erzieherinnen aber darüberhinaus verpflichtet, soweit dies erforderlich ist, gegenüber sämtlichen,d.h. auch gruppenfremden Kindern, welche die Einrichtung besuchen,Aufsichtspflichten wahrzunehmen. Relevant wird dieses dann, wenn dieunmittelbar zuständige Kollegin im betreffenden Moment nicht rechtzei-tig einschreiten kann, etwa weil sie aus irgendwelchen Gründen verhin-dert oder überfordert ist.

In einer größeren Tageseinrichtung für Kinder benutzen die Kinder beimKommen und Gehen den Hauptflur des Gebäudes. Die Erzieherin derGruppe A geht über diesen Flur und sieht vier Kinder der Gruppe B einfünftes Kind der Gruppe C am Boden festhalten und es verprügeln.

Praxisbeispiel:

GruppenübergreifendeZuständigkeit

Personensorgeberechtigte

Träger

Erzieherin

Vertrag

Vertrag

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Die Erzieherin der Gruppe A ist in dieser Situation auch zur Aufsichtüber die gruppenfremden Kinder verpflichtet. Sie muss sich in irgendei-ner Form in dieses Geschehen einschalten und darf sich nicht etwa mitder Begründung, es seien nur Kinder anderer Gruppen beteiligt, an derPrügelei vorbeischleichen. Ihre Aufsichtspflicht verpflichtet sie hingegennicht, sich auch dann einzuschalten, wenn eine solche Prügelei aus-serhalb der Einrichtung stattfindet, z. B. auf einem öffentlichen Spiel-platz, an dem sie auf dem Heimweg vom Dienst vorbeikommt (wobeisie aus pädagogischen Gründen selbstverständlich auch in diesem Fal-le einmischen sollte).

Aufsichtspflichten für gruppenfremde Kinder können sich auch in Fällengruppenübergreifender Zusammenarbeit ergeben, da hierbei die Zu-ständigkeiten der einzelnen Erzieherinnen kaum voneinander abzugren-zen sind.

Die Gruppe A und die Gruppe B (jeweils etwa 20 Kinder) spielen unterAufsicht ihrer beiden Erzieherinnen auf dem Spielplatz des Kindergar-tens. Einige Kinder der Gruppe A machen lieber bei dem Kreisspiel derGruppe B mit, einige Kinder der Gruppe B lieber beim Rutschen undWippen, den Spielen der Gruppe A.

In diesem Fall sind die Erzieherinnen selbstverständlich auch für diegruppenfremden Kinder aufsichtspflichtig, die sich der von ihnen gelei-teten Aktivität angeschlossen haben. Daneben tragen sie allerdingsgemeinsam die Verantwortung für sämtliche Kinder auf dem Spielplatz.Zur Erleichterung der Aufgabenwahrnehmung etwa durch Arbeitstei-lung (differenzierte Aufsichtsführung) und zur Vermeidung von Gefähr-dungssituationen sollten klare Absprachen getroffen werden.

2.2 Besuchs- und "Probekinder"

Da die Aufsichtspflicht im Regelfall auf dem Zustandekommen des An-meldungs- oder Betreuungsvertrags beruht (s.o. 1), stellt sich die Fra-ge, inwieweit Erzieherinnen verpflichtet sind, auch Kinder zu beaufsich-tigen, die nicht regulär angemeldet sind. Hierbei ist zwischen den sog.Probekindern und den sog. Besuchskindern zu unterscheiden.

Besucht ein Kind, etwa weil die Eltern sich nicht sicher sind, ob die Ta-geseinrichtung für das Kind geeignet ist, die Einrichtung nur "zur Pro-be", liegt der Fall ähnlich wie bei regulär angemeldeten Kindern.

GruppenübergreifendeZusammenarbeit

Nicht regulär angemeldeteKinder

Praxisbeispiel:

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Eine Mutter ist noch unentschlossen, ob sie ihr Kind zum Kindergartenschicken soll oder nicht; sie möchte sich erst nach einer Probeteilnah-me entscheiden. Die Leiterin des Kindergartens ist mit dem Probe-besuch einverstanden.

Die einzige Besonderheit dieses Falles besteht darin, dass die vertrag-liche Grundlage der Aufsichtspflicht nicht die Anmeldung, sonderneben die Vereinbarung des Probebesuchs ist. Für den Inhalt der Auf-sichtspflicht macht dies keinen Unterschied. "Probekinder" sind genau-so zu beaufsichtigen wie die regulär in die Tageseinrichtung aufgenom-menen Kinder.

Etwas anders liegt der Fall bei Kindern, welche, ohne angemeldet zusein, die Einrichtung nur besuchen, z.B. weil sie einen Freund oder eineFreundin begleiten wollen.

Den Kindern in der Hortgruppe einer Tageseinrichtung ist es erlaubt,Freunde mit in die Einrichtung zu bringen. Sie sollen das der Gruppen-erzieherin nach Möglichkeit ankündigen und müssen auf jeden Fall beiihrem Eintreffen sofort Bescheid sagen, wenn sie jemanden mitge-bracht haben.

Bei solchen Besuchskindern kommt i.d.R. kein Vertrag zustande. Haf-tungsrechtlich besteht aber im Ergebnis praktisch kein Unterschied zwi-schen regulär angemeldeten Kindern und Besuchskindern, so dass dieErzieherin sowohl die einen als auch die anderen zu beaufsichtigen hat.Dies liegt zum einen daran, dass die Aufsichtspflicht über die angemel-deten Kinder auch dazu verpflichtet, diese einerseits von Schädigungendes Besuchskindes abzuhalten und andererseits vor Schädigungendurch das Besuchskind zu schützen.

Zum anderen besteht unabhängig von der Aufsichtspflicht immer diesog. allgemeine Verkehrssicherungspflicht. Dabei handelt es sich umdie Pflicht, das Gebäude der Tageseinrichtung sowie die darin befindli-chen Einrichtungsgegenstände in einem verkehrssicheren Zustand zuhalten. Sie besteht nicht nur gegenüber den Kindern, welche die Ein-richtung nutzen, sondern gegenüber jeder Person, welche sie be-fugtermaßen betritt. Die Verkehrssicherungspflicht beruht auf dem Ge-danken, dass derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft oder in dessenEinwirkungsbereich sich eine solche befindet, die notwendigen Vorkeh-

Praxisbeispiel:

Verkehrssicherungspflicht

Praxisbeispiel:

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rungen treffen muss, um Dritte vor etwaigen Schäden zu bewahren.Die Verantwortlichkeit hierfür trifft ursprünglich den Einrichtungsträger.Während der Betreuungszeiten ist sie jeoch teilweise den Erzieherinnenübertragen. Sie müssen, soweit ihnen das möglich ist, Gefahrenquellenbeseitigen oder vorläufig absichern und erforderlichenfalls den Einrich-tungsträger informieren (vgl. dazu auch unten 5.2).

Die Verkehrssicherungspflicht besteht gleichermaßen gegenüber re-gulär angemeldeten und ”Probekindern” einerseits sowie Besuchskin-dern andererseits. Stellt eine Erzieherin beispielsweise für das Spiel"Eine Reise nach Jerusalem" beschädigte oder wackelige Stühle zurVerfügung, macht es daher keinen Unterschied, ob dadurch ein ange-meldetes oder ein Besuchskind zu Schaden kommt. In beiden Fällenhat die Erzieherin eine Rechtspflicht verletzt.2

Wie die Aufsichtspflicht zielt auch die allgemeine Verkehrssicherungs-pflicht darauf ab, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wenn es um denSchutz von Kindern geht, greifen beide Pflichten daher zumeist derartineinander, dass eine deutliche Trennung kaum möglich ist. Die haf-tungsrechtlichen Unterschiede zwischen angemeldeten Kindern undBesuchskindern sind im Ergebnis dementsprechend gering.3

3. Wann beginnt die Aufsichtspflicht, wann endet sie?

Wie bereits erläutert (s.o. 1.), ist die Aufsichtspflicht des Einrichtungs-trägers und der Erzieherinnen eine abgeleitete. Sie beruht auf einemVertrag mit den Personensorgeberechtigten. Gegenstand dieses Ver-trages wird in aller Regel auch eine Vereinbarung darüber sein, wanndie Aufsicht über die Kinder beginnt und wann sie endet. Zweckmäßi-gerweise geschieht dies, indem ausdrücklich auf die entsprechendeRegelung in der Kindergartenordnung verwiesen wird. Ist eine solchenicht vorhanden, sollte bei Abschluss des Betreuungsvertrages in an-derer Weise ausdrücklich festgestellt werden, dass für den Weg zu undvon der Einrichtung die Eltern verantwortlich sind. Aber auch wenn einesolche Regelung nicht ausdrücklich getroffen worden ist, folgt dasselbeaus dem Umstand, dass die Personensorgeberechtigten die in ersterLinie Aufsichtsverpflichteten sind und die Aufsicht nur für eine bestimm-te Zeit auf die Einrichtung übertragen. Dies kann, soweit nicht aus-drücklich etwas anderes vereinbart ist, nur die Zeit sein, während derdie Einrichtung ihr Betreuungsangebot macht.

Aufsichtspflicht während derZeit des Betreuungsangebots

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Nach alledem kann festgehalten werden, dass für den Weg zu und vonder Enrichtung grundsätzlich die Personensorgeberechtigten verant-wortlich sind. Dieser Grundsatz allein beschreibt allerdings die zeitlichenGrenzen der Aufsichtspflicht der Erzieherin noch zu vage. Will man die-se Grenzen genau erfassen, muss man sich vergegenwärtigen, dassdie Abgrenzung der Verantwortlichkeiten für die Ausübung der Auf-sichtspflicht nicht lediglich dazu dient, denjenigen zu bestimmen, der imSchadensfall haftet. Durch die Festlegung klarer Zuständigkeiten sollvielmehr vor allem verhindert werden, dass an den Übergangsstellender Aufsichtsbereiche Gefährdungssituationen für das Kind deswegenentstehen, weil sich weder die Personensorgeberechtigten noch die Er-zieherin verantwortlich fühlen. Vor diesem Hintergrund ist einerseits zuberücksichtigen, dass die einzelne Erzieherin keine Aufsicht führenkann, bevor sich das betreffende Kind in ihrem Blickfeld befindet. IhreAufsichtspflicht kann erst dann beginnen, wenn das betreffende Kindihr übergeben wurde oder sich von selbst bei ihr einfindet4. Anderer-seits ist festzuhalten, dass der Einrichtungsträger verpflichtet ist, dieseine Einrichtung besuchenden Kinder bereits bei ihrem Eintreffen voretwaigen Schädigungen zu bewahren. Um dieser Verpflichtung nach-zukommen, kann es - je nach den Umständen des Einzelfalls - erfor-derlich sein, dass die Kinder zu den üblichen Zeiten durch eine odermehrere Erzieherinnen in Empfang genommen und bei dem Weg in ihrejeweilige Gruppe beaufsichtigt werden. Da es gerade an den Über-gangsstellen der Aufsichtsbereiche leicht zu Gefährdungssituationenkommen kann, ist es wichtig hier klare Absprachen - insbesondereauch mit den Eltern - zu treffen.

In einem ländlichen Gebiet hatte sich eine Elterninitiative gebildet, dieihre Kinder zu dem kommunalen Kindergarten durch ein Busunterneh-men bringen ließ. Die Busfahrerin ließ die Kinder regelmäßig auf einemfrei benutzbaren Parkplatz in vier Meter Entfernung von der Eingangstürdes Kindergartens aussteigen. Sie öffnete zum Aussteigen nur die vor-dere Tür, um Drängeleien vorzubeugen. Die Kinder begaben sich auchimmer auf dem kürzesten Weg in den Kindergarten. Eines Tages gerietein vier Jahre und zwei Monate alter Junge beim Abfahren des Bussesunter die Hinterreifen, ohne dass die Busfahrerin dies bemerken konn-te. Eine der Erzieherinnen des Kindergartens hielt sich regelmäßig in derNähe der Eingangstür im Hausinneren auf, um die Kinder in Empfang zu

Praxisbeispiel:

Übergangsstellen derAufsichtsbereiche

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nehmen. § 9 der Kindergartenordnung bestimmte: "Für den Weg zumund vom Kindergarten sind die Eltern verantwortlich. Für die Zeit vorÖffnung und nach Schließung des Kindergartens übernimmt die Leiterinkeine Verantwortung".5

Das Landgericht Bielefeld hat die Kindergartenleiterin von der Anklageder fahrlässigen Tötung freigesprochen, weil sie weder gesetzlich nochvertraglich verpflichtet gewesen sei, die Kinder bereits an der Bustür inEmpfang zu nehmen. Die für eine Verurteilung in diesem Fall erforderli-che Garantenstellung aus tatsächlicher Gewährübernahme verneintedas Landgericht mit der Begründung, dass weder eine gesetzlichenoch eine vertragliche Pflicht aus einem irgendwie gearteten besonde-ren Vertrauensverhältnis bestand, die Kinder sicher in den Kindergartenzu bringen. Der Träger des Kindergartens hatte die Verpflichtung zurAufsicht von den Eltern hierfür nicht übernommen. Es wäre Sache derEltern gewesen, der Busfahrerin eine Aufsichtsperson zur Seite zu Stel-len.

Für den Nachhauseweg kann im Grundsatz nichts anderes gelten. DenTräger trifft kraft Gesetzes keine Verantwortung für den Heimweg. Erwird sie in der Regel auch nicht vertraglich übernehmen. Den Einrich-tungsträger und damit auch die Erzieherin trifft allerdings die Verpflich-tung, die Kinder ordnungsgemäß aus ihrem Aufsichtsbereich wieder inden der Personensorgeberechtigten zu übergeben. Wie dies zu ge-schehen hat, richtet sich insbesondere nach dem Alter der Kinder.

Bei Kindergartenkindern ist, soweit nicht ausdrücklich eine andere Ab-sprache getroffen wurde, angesichts des Alters der Kinder und dessen,was üblich ist, von einer stillschweigenden Vereinbarung auszugehen,dass nur die Übergabe an eine autorisierte Abholperson ordnungs-gemäß ist. Wird ein Kind nicht rechtzeitig abgeholt, ist die Erzieherinverpflichtet, auch auf spät kommende Eltern zu warten, anzurufen oderzu veranlassen, dass eine andere geeignete Person das Kind nachHause bringt.

Grund für diese besondere Vorsicht sind insbesondere die Gefahren,denen gerade Kleinkinder im Straßenverkehr ausgesetzt sind. Bei Klein-kindern neigen die Gerichte zu einer skeptischen Beurteilung der Ver-kehrstüchtigkeit. Kinder bis zu einem Alter von fünf Jahren seien unver-

Verkehrstüchtigkeit

Autorisierte Abholperson

Übergabe in einen anderenAufsichtsbereich

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ständig und verfügten im Spiel noch nicht über die Fähigkeit zu ruhigerÜberlegung und Gefahreneinschätzung.

Ein viereinviertel Jahre altes Mädchen war von dem Neubau eines Ein-familienhauses, in dem der Vater allein arbeitete, allein zu der 450 mentfernten Wohnung der Familie gelaufen. Der Weg verlief außerhalbder Ortschaft in etwa 35 m Entfernung neben einer Landstraße ersterOrdnung durch eine Wiese. Unterwegs lief das Mädchen über die Wie-se auf die Landstraße und verursachte einen Unfall.6

Das Oberlandesgericht München hielt es zwar für grundsätzlich mög-lich, dass ein Kind dieses Alters einen solchen Weg allein zurückgehenkann, doch müsse das Kind angesichts der Gefährlichkeit der Land-straße bei den ersten Versuchen vor jedem derartigen Weg eindring-lichst angewiesen werden, nicht von dem Wiesenweg abzugehen. Aus-serdem müsse ihm das Gefühl vermittelt werden, dass die Einhaltungdieser Anweisung überwacht werde.

Das Gericht betont ebenso wie der Bundesgerichtshof in einer ein fünf-jähriges Kind betreffenden Entscheidung ausdrücklich, dass es wegendes bevorstehenden Schulbesuchs und der mit dem Schulweg verbun-denen Gefahren oft zweckmäßig sein wird, die Kinder langsam daran zugewöhnen, sich auch ohne ständige Überwachung in ihrem Verhaltenauf den Straßenverkehr einzustellen. Dennoch ist zu empfehlen, dieKinder während der Kindergartenzeit nicht allein in den Verkehr zu las-sen. Verkehrserziehung kann auch bei gemeinsamen Spaziergängenund Ausflügen erfolgen. Gelegenheiten zur Bewegung auf der Straßeohne Überwachung bieten sich in ausreichendem Maße in solchen Zeit-räumen, während derer die Kinder von den Eltern zu beaufsichtigen sind.

Erklären die Personensorgeberechtigten (möglichst schriftlich) aus-drücklich, dass ihr Kind den Heimweg nunmehr alleine zurücklegenkönne und sie es demzufolge nicht mehr abholen, so trifft eine eventu-elle zivilrechtliche und strafrechtliche Verantwortlichkeit für hierdurchentstehende Unfälle allein die Eltern und nicht die Tageseinrichtungoder ihr Personal. Die Erzieherinnen sind daher nicht verpflichtet, sichbeispielsweise zu überzeugen, ob die Eltern mit dem Kind den selbst-ändigen Heimweg hinreichend geübt haben. Da aber auch die Eltern-arbeit zum Auftrag des Kindergartens gehört, sind sie wohl verpflichtet,

Verkehrserziehung

Einverständniserklärung

Praxisbeispiel:

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die Personensorgeberechtigten über diese Fragen eingehend zu bera-ten. Außerdem kann es vorkommen, dass unvorhergesehene gefahrer-höhende Umstände eintreten (z.B. eine Erkrankung des Kindes, einstarker Schneesturm oder erhöhtes Verkehrsaufkommen auf Grundeiner Umleitung). Im Zweifel sind solche Umstände von der Erklärungder Eltern nicht abgedeckt. Die Erzieherinnen haben in diesen FällenSorge dafür zu tragen, dass das Kind ungefährdet nach Hause kommtoder so lange in der Tageseinrichtung bleibt, bis die Gefahr vorüber ist.

Ist erkennbar, dass das Kind, bei dem von den Eltern gewünschtenselbständigen Heimweg in eine hilflose Lage oder gar in Lebensgefahrgeraten kann, gebieten es allgemeine Rechtspflichten, das Kind trotzder Erklärung der Eltern nicht alleine nach Hause zu schicken. DieseFälle sind selten und fast ausnahmslos durch Beratung auszuräumen.Ist dies einmal nicht möglich, sollten die Erzieherinnen entweder überihre oben skizzierten Verpflichtungen hinausgehen oder den Träger dar-über informieren, dass die weitere Betreuung des Kindes unter solchenUmständen nicht zumutbar ist.

Sämtliche vorstehenden Ausführungen zu den zeitlichen Grenzen derAufsichtspflicht gelten nur für den Regelfall. Selbstverständlich ist esmöglich, dass der Einrichtungsträger die Aufsichtspflicht vertraglich aufden Weg zu und von der Einrichtung ausdehnt. Dies kann z. B. gesche-hen, indem er einen Zubringerdienst von und zu der Einrichtung bereit-stellt. In diesem Fall nimmt er die Kinder bereits dann in Obhut, wennsie den Bus besteigen, und ist damit bereits in diesem Zeitpunkt ver-pflichtet, alles Zumutbare zu tun, damit keine Schäden eintreten.

Bei Hortkindern ist die Frage des Heimweges insgesamt sehr viel weni-ger problematisch. Sie werden in aller Regel den Schulweg - nach ent-sprechender "Übung" mit den Eltern - alleine zurücklegen. Die Erzieh-erin darf daher darauf vertrauen, dass sie auch den Weg von der Schulezum Hort und vom Hort nach Hause - ebenfalls nach entsprechender"Übung" - bewältigen können.

Bei der Arbeit des Horts kann sich allerdings ergeben, dass die Kinderwährend der Betreuungszeit etwas außerhalb des Horts unternehmen(etwa zu einer Musikstunde gehen) oder dass nach einer gemeinsamenUnternehmung der Heimweg von einem anderen Ort aus angetreten

Unvorhergesehene Ereignisse

Problemfälle

Hortkinder

Weitergehendes Angebotder Einrichtungen

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wird. Grundsätzlich ist hiergegen unter dem Gesichtspunkt der Auf-sichtspflicht nichts einzuwenden. Zu beachten ist aber, dass das Kindz.B. auf dem Weg zur Musikstunde im Aufsichtsbereich des Hortes ver-bleibt. Die Erzieherin muss sich also Gedanken darüber machen, obdas Kind den betreffenden Weg alleine zurücklegen kann. DieselbeÜberlegung ist anzustellen, wenn die Kinder von einem anderen Ort alsder Einrichtung aus nach Hause geschickt werden. Starre Altersgren-zen für die Verkehrstüchtigkeit lassen sich nach der Rechtsprechungnicht festlegen. Infolgedessen kann auch nicht ohne weiteres davonausgegangen werden, dass jedes Hortkind bedenkenlos jeder Ver-kehrssituation gewachsen ist. Es kommt insbesondere auf den Gradder Gefährdung (Verkehrsverhältnisse) sowie das Alter und die Ein-sichtsfähigkeit des jeweiligen Kindes an. Absprachen mit den Elternsind hier daher besonders zu empfehlen.

4. Delegation der Aufsichtspflicht

Die Aufsichtspflicht kann prinzipiell übertragen werden. Ein generellesVerbot, das es der Erzieherin untersagen würde, ihre Aufsichtspflichtweiter zu delegieren, gibt es nicht. Um etwa einen Ausflug leichter undsicherer durchzuführen, können daher Kolleginnen wie Praktikantinnenund andere Erwachsene, etwa Eltern von Gruppenkindern, oder ergän-zend sogar ältere Kinder mitgenommen und zur Ausübung der Auf-sichtspflicht mitherangezogen werden. Voraussetzung ist jedoch injedem Fall, dass der Betreffende geeignet ist, hinreichend angeleitetwird und dass sich die Erzieherin der Erfüllung der übertragenen Auf-sichtsaufgaben vergewissert. Keinesfalls darf der Betreffende mit derihm zugedachten Aufgabe überfordert sein. Will die Erzieherin die Auf-sichtspflicht delegieren, hat sie daher zum einen die Pflicht, den Betref-fenden sorgfältig auszuwählen. Zum anderen muss sie ihn bei derWahrnehmung der jeweiligen Aufgabe im erforderlichen Maße anleitenund sich ihrer Erfüllung vergewissern.

Für die sorgfältige Auswahl lassen sich keine allgemein gültigen Regelnaufstellen. Inwieweit sich Erzieherinnen beispielsweise bei Ausflügen,Festen, aber auch bei der normalen Gruppenarbeit auf die Hilfe dritterPersonen verlassen dürfen, hängt vielmehr von den Umständen desEinzelfalls ab. Einerseits ist die konkrete Eignung, insbesondere die Zu-verlässigkeit, Lebenserfahrung und Ausbildung der betreffenden Per-

Delegation derAufsichtspflicht

Eignung der aufsicht-führenden Person

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son, andererseits die Schwierigkeit der jeweiligen Aufgabe zu berück-sichtigen.

Bestehen bereits an der generellen Eignung begründete Zweifel, etwaweil der Betreffende schlecht sieht, darf ihm die Aufsichtspflicht nichtübertragen werden. Die Erzieherin hat bei ihrer Entscheidung ähnlichsorgfältig abzuwägen, wie der Träger der Tageseinrichtung bei der Ein-stellung des Personals. Auch unter examinierten Erzieherinnen könnenausnahmsweise ungeeignete Bewerberinnen sein.

Ist der Betreffende generell geeignet, so bedarf es der weiteren Ent-scheidung darüber, welche Aufgaben ihm im Rahmen der Aufsichts-führung übertragen werden können und in welchem Umfang dies ge-schehen soll. Die Entscheidung wird insbesondere davon abhängen,

– wieweit der Betreffende die Kinder der Gruppe kennt und derenVerhalten einzuschätzen weiß,

– ob er zur Kooperation mit der Erzieherin bereit und in der Lage ist,– ob und ggf. in welchem Umfang er bereits in der Tageseinrichtung

mitgearbeitet hat,– auf welche sonstigen Vorerfahrungen er zurückgreifen kann.

Hat die Erzieherin Aufgaben im Rahmen der Aufsichtspflicht Drittenübertragen, so muss sie diese bei der Aufgabenwahrnehmung beraten,anleiten und sich der Erfüllung dieser Aufgaben vergewissern. Insbe-sondere hat sie konkrete pädagogische Aufgabenstellungen zu vermit-teln. Diese Aufgabe kann sie zwar im Stil kooperativer Zusammen-arbeit bewältigen, wird sie ihr aber nicht gerecht, bleibt sie für Schäden,die infolge einer unzulänglichen Aufsichtsführung entstehen, verant-wortlich (vgl. hierzu auch das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) inder Neuen Juristischen Wochenschrift 1986, S. 1674).

Die Möglichkeit, die Aufsichtspflicht zu übertragen, kann durch schrift-liche Vereinbarung oder entsprechende Absprache eingeschränkt wer-den. Ausgeschlossen ist die Delegation der Aufsichtspflicht an andereEltern oder Kinder z.B., wenn durch den Betreuungsvertrag festgelegtwurde, dass ein Kind lediglich von ausgebildeten und besonders ge-schulten pädagogischen Fachkräften betreut werden soll.8

Umfang derAufgabendelegation

Einschränkung derDelegation

sorgfältige Anleitung

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5. Organisationsverantwortung und Verkehrssicherungspflicht des Trägers

5.1 Organisationspflichten

Die Aufsichtspflicht wird von den Personensorgeberechtigten an denTräger der Einrichtung übertragen. Dieser delegiert sie zwar weiter andas Personal der Einrichtung, doch wird er damit nicht von jeder Ver-antwortung für die Aufsichtsführung frei. Vielmehr trifft ihn die Verpflich-tung, den Einrichtungsalltag so zu organisieren, dass Aufsichtspflicht-verletzungen weitestgehend ausgeschlossen werden. Insbesondere hater darauf zu achten, dass die jeweiligen Gruppenstärken und die Zahlder Erzieherinnen den gesetzlichen Anforderungen entsprechen.

Weiterhin ist der Träger auf Grund seiner Organisationsverantwortungverpflichtet, das Personal der Einrichtung bei der Ausübung der Auf-sichtspflicht anzuleiten und zu überwachen. Die Aufgabenbereiche undKompetenzen der einzelnen Mitarbeiter sollten hinreichend genau fest-gelegt und auch Stellvertretungsregelungen getroffen werden. Dabeiwird der Leiterin der Einrichtung im Regelfall eine übergreifende Verant-wortung übertragen. Sie hat infolge-dessen die Erzieherinnen bei derWahrnehmung der Aufsicht zu beraten und insbesondere durch Weiter-gabe der notwendigen Informationen zu unterstützen, aber auch Män-gel in der Aufsichtsführung zu beanstanden und im Notfall selbst dieAufsicht führen.

Daneben folgt aus der Organisationsverantwortung des Trägers die Ver-pflichtung, das Personal der Einrichtung sorgfältig auszuwählen. DieMitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen den ihnen übertragenen Auf-gaben in fachlicher wie persönlicher Hinsicht gewachsen sein. Wird dieAufsichtspflicht Personen übertragen, die nicht hinreichend qualifiziert,erfahren oder zuverlässig sind, stellt dies eine Aufsichtspflichtverletzungdurch Organisationsverschulden dar.

5.2 Verkehrssicherungspflicht

Neben der Organisationsverantwortung trifft den Einrichtungsträger diesog. allgemeine Verkehrssicherungspflicht. Hierunter wird die Verpflich-tung verstanden, alle zumutbaren Vorkehrungen zur gefahrlosen Benut-zung der Einrichtung zu treffen9 (siehe dazu bereits oben 2.2). Er ist da-

Leitungsverantwortung

Personenauswahl

Inhalt der allgemeinenVerkehrssicherungspflicht

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für verantwortlich, dass die Räume und das Gelände, welche er alsEigentümer, Pächter oder Mieter der Einrichtung zur Verfügung stellt,ordnungsgemäß angelegt, ausgestattet und laufend unterhalten (ge-pflegt und repariert) werden. Was als ordnungsgemäße Anlage undAusstattung anzusehen ist, ergibt sich vor allen Dingen aus speziellenVorschriften für Tageseinrichtungen (z.B. Empfehlungen für Tagesein-richtungen für Kinder, Richtlinien für Kindergärten - herausgegeben vonden Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung), aber auch aus bau-rechtlichen und feuerpolizeilichen Vorschriften. Sie verpflichten denEinrichtungsträger, z.B. Treppen durch besondere Geländer zu sichern,Fluchtwege für den Fall eines Brandes offenzuhalten, gefährlicheSchwellen zu beseitigen, Türen, wenn überhaupt mit Glas, dann mitSicherheitsglas auszustatten oder anderweitig zu sichern oder vonKindern nicht handhabbare Fensterriegel vorzusehen.

Die Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht wird den Erzieherin-nen wie die Aufsichtspflicht durch ihren Anstellungsvertrag teilweiseübertragen. Dies ist naturgemäß allerdings nur in geringerem Umfangmöglich als im Falle der Aufsichtspflicht.

Ein städtisches Jugendamt veranstaltete während der Sommerferienfür Kinder von sechs bis zwölf Jahren ein Spielprogramm im Freien undin Räumen. Die Veranstaltungen standen unter der Aufsicht von Stu-denten und Oberschülern, die vom Jugendamt eingesetzt waren. Dieshatte das Jugendamt in einem Faltblatt angekündigt. In einer Schulau-la rutschte eine Gruppe von zehn bis zwölf Kindern von Bänken herun-ter, die an einer Seite in die Sprossenwand in einer Höhe von 70 bis 120cm eingehängt waren. Der Fußboden der Aula bestand aus einem mitPVC-Platten belegten Steinfußboden. Turnmatten standen nicht zurVerfügung. Der Gruppenleiter ermahnte die Kinder laufend, nicht sowild zu sein und wies auf die Gefahr eines Absturzes hin. Als er geradenicht bei der Gruppe war, stürzte ein sechsjähriger Junge von der Bankund verletzte sich am Kopf.10

In diesem Fall hat das Oberlandesgericht Bremen eine Aufsichtspflicht-verletzung des Betreuers verneint, aber eine Haftung der Gemeindewegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht angenommen. Der Be-treuer, der sich ja um mehrere Kindergruppen kümmern musste, hattealles ihm Mögliche und Zumutbare getan, indem er auf die Gefahr eines

Praxisbeispiel:

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Absturzes hingewiesen und die Kinder laufend ermahnt hatte, nicht sowild zu sein. Die Gefahrensituation, die zu dem Unfall führte, beruhtedarauf, dass der Träger keine Turnmatten zur Verfügung gestellt hatte.Dazu wäre er aber auf Grund seiner Verkehrssicherungspflicht ver-pflichtet gewesen. Die Verkehrssicherungspflicht obliegt ohnehin je-dem, der die Sachherrschaft etwa über ein Grundstück oder einenRaum hat, die anderen Menschen zugänglich sind. Im vorliegenden Fallwurden die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungs-pflicht durch die öffentliche Ankündigung des beaufsichtigten Pro-gramms noch gesteigert.

Soweit die allgemeine Verkehrssicherungspflicht ausschließlich den Ein-richtungsträger trifft, haften Erzieherinnen nicht für dessen Versäum-nisse. Kommt aber der Träger seiner Verpflichtung nicht nach, indem erbeispielsweise einen schadhaften Fußboden nicht reparieren lässt, aufdem Kinder leicht stolpern können, so gebietet die Aufsichtpflicht derErzieherin, tätig zu werden. Andernfalls wäre sie für eine etwaige Schä-digung der Kinder mitverantwortlich. Sie hat den Träger daher nach-drücklich (nötigenfalls auch schriftlich) an die Reparatur zu erinnern unddie Kinder zu besonderer Aufmerksamkeit hinsichtlich der Gefahren-quelle zu veranlassen. Wenn der Träger nicht reagiert oder sich sogarweigert, die Reparatur durchzuführen, sollte die Erzieherin ihm schrift-lich mitteilen, mit ihrer Aufsichtsführung nicht länger dafür einstehen zukönnen, dass die Kinder sich wegen des schadhaften Fußbodens nichtverletzen. Im Schadensfalle dürfte die Erzieherin hierdurch entlastetsein, da sie belegen kann, alles in ihrer Macht Stehende und Zumutbareunternommen zu haben, um Schädigungen der Kinder zu vermeiden.

Ist die Erzieherin davon überzeugt, dass die bauliche Anlage oder dieAusstattung nicht den einschlägigen Sicherheitsvorschriften entspre-chen, sollte sie dies dem Träger zu ihrer eigenen haftungsrechtlichenAbsicherung vortragen. Die Erzieherin kennt in der Regel die räumlichenund ausstattungsbezogenen Gegebenheiten und deren Gefährdungs-potential im Alltagsbetrieb besser als der Träger. Durch Hinweise aufetwaige Gefahrenquellen und Vorschläge, diese durch bauliche odertechnische Maßnahmen zu beseitigen, kann sie sich im Schadensfallauch dann entlasten, wenn der Träger untätig bleibt.

Hinweis auf Gefahren

Verkehrssicherungs- undAufsichtspflicht

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Verkehrssicherungspflicht und Aufsichtspflicht lassen sich oft nicht von-einander trennen, was aber auch nicht erforderlich ist, da beide Ver-pflichtungen im Ergebnis darauf hinauslaufen, die Kinder durch geeig-nete Maßnahmen vor Gefährdungen zu schützen.

In einem Kindergarten wird an einem Sommermorgen auf dem Spiel-platz ein Frühstück eingenommen. Zu trinken gibt es Fruchtsaft. Als dieKinder und Erzieher wieder in die Räume zurückgehen, bleibt ein vollesGlas stehen. Zu der Zeit, als die Eltern die Kinder abzuholen beginnen,laufen einige Kinder wieder auf den Spielplatz hinaus. In einem unbe-obachteten Moment trinkt ein dreijähriges Kind aus dem Glas, in dassich inzwischen eine Wespe gesetzt hat.

Auch wenn man davon ausgeht, dass im vorliegenden Fall nach demallgemeinen Zustand des Spielplatzes und den Verhaltensweisen derKinder keine Bedenken dagegen bestehen, dass einzelne Kinder hin-auslaufen, ohne dass gleich eine Erzieherin hinterherläuft, ist hier dieerforderliche Sorgfalt nicht beachtet worden. Das Fruchtsaftglas hättenicht auf dem Spielplatz stehen bleiben dürfen. Im Sommer ist dieMöglichkeit, dass sich eine Wespe in ein Fruchtsaftglas setzt und an-schließend ein Kind aus dem Glas trinkt, so naheliegend, dass man mitihr rechnen muss. Erzieherinnen ist in Tagesstätten auch die Verpflich-tung übertragen, in dem ihnen möglichen Umfang für die Sicherheit desGebäudes und auch des Spielplatzes zu sorgen. Dies beinhaltet auchdie Pflicht, keine Gefahrenquellen (wie im Beispielsfall durch Zurücklas-sen des vollen Fruchtsaftglases) zu schaffen sowie bestehende Gefah-ren, wie sie etwa von Blechdosen oder zerbrochenen Flaschen ausge-hen können, zu beseitigen. So ist es auch zumutbar, wenn man mit denKindern hinausgeht, einmal aufmerksam über den Spielplatz zu gehen.

Praxisbeispiel:

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Inhalt der Aufsicht1. Pädagogischer Auftrag und Aufsicht

Der Träger schließt mit den Eltern einen Betreuungsvertrag, der dieAufsichtspflicht als Bestandteil des Erziehungs- und Bildungsauftrageseinschließt.

Nach § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VIII, Kinder- und Jugendhilfe (SGBVIII) soll in Kindertageseinrichtungen die Entwicklung des Kindes zueiner eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeitgefördert werden. Dieser Fördergrundsatz ist Bestandteil der §§ 2,3und 4 des Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (GTK), in denenfestgelegt ist, dass der Kindergarten im Rahmen seines Erziehungs-und Bildungsauftrages u. a. dem Kind zur größtmöglichen Selbstän-digkeit und Eigenaktivität zu verhelfen hat. Zur Erfüllung dieses Auftra-ges erstellen die Kindertageseinrichtungen eine pädagogische Konzep-tion für die jeweilige Einrichtung. Bestandteil einer solchen Konzeptionist häufig auch die innere Öffnung der Einrichtung, die den Kindern auchaußerhalb der Gruppen Erfahrungsräume anbietet, in denen sie ihrenBedürfnissen nach Bewegung, Erkundung und Kreativität nachkom-men können. Bewusst wird dabei auf eine Dauerbeobachtung oderständige Verhaltenskontrolle der Kinder verzichtet.

Aus den zitierten gesetzlichen Vorgaben sowie aus der pädagogischenErwägung heraus, dass Kinder nur dann Risiken und Gefahren bewäl-tigen, wenn sie gelernt haben, mit diesen umzugehen, ergibt sich einSpielraum, der die Abwägung pädagogischer Gesichtspunkte und Si-cherheitsaspekte gegeneinander fordert. Erziehung und Aufsichtspflichtbilden eine Einheit; d. h., was von den Erziehungszielen her gerechtfer-tigt ist und zugleich die Sicherheitsinteressen des Kindes und anderermitberücksichtigt, wird auch den Anforderungen der Aufsichtspflichtstandhalten.

Kinder mit mehrjähriger Kindergartenerfahrung spielen allein nach Ab-sprache mit der Erzieherin draußen. Die Kinder sollen selbständig, ih-rem Alters- und Entwicklungsstand gemäß zusammen spielen undeigenständige Entscheidungen treffen.

Bildung und Erziehung

Umgang mit Risiken

Praxisbeispiel:

B

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Einrichtungen, die den Bestimmungen des SGB VIII unterliegen undsomit dem Auftrag der Betreuung, Erziehung und Bildung verpflichtetsind, würden diesen Auftrag nicht erfüllen, wenn das dort tätige Per-sonal die Kinder vorrangig beaufsichtigte, sie also nur vor etwaigen kör-perlichen Schäden bewahrte.

In Tageseinrichtungen geht es um eine ganzheitliche Persönlichkeits-förderung des Kindes. Steht die Aufsichtspflicht einseitig im Vorder-grund, werden geistige, seelische, soziale Persönlichkeitsbereiche nichtausreichend angesprochen und gefördert.

Zwischen den Kindern und der Erzieherin besteht eine Vertrauensbasis,sie kennt die Kinder, sie kennt die Umgebung, das Gelände, sie hatAbsprachen mit den Kindern getroffen, die diese erfahrungsgemäßauch einhalten.

Die Aufsicht würde dann ungenügend wahrgenommen, wenn

– keine klaren Regeln oder Absprachen zwischen den Kindern undder Erzieherin bestehen,

– das Gelände offensichtliche Gefahren aufwiese, die die Kinder nichteinschätzen können,

– die Kinder sich ohne weiteres vom Gelände entfernen könnten, weilz. B. die Einzäunung defekt ist oder Lücken hat.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Entscheidung darüber, inwelcher Weise und in welchem Umfang die Aufsicht wahrzunehmen ist,von verschiedenen Faktoren abhängt. Im folgenden Kapitel sollen die Faktoren, von denen Inhalt und Umfangder Aufsicht abhängen, näher beleuchtet werden.

2. Bestimmungsfaktoren der Aufsicht

In einer konkreten Aufsichtssituation können all diese anschließend auf-geführten Faktoren oder nur ein Teil in unterschiedlicher Kombinationzusammentreffen und damit den konkreten Umfang der Aufsichtsfüh-rung bestimmen.

Jede Aufsichts- und Betreuungssituation ist anders und kaum bezüg-lich der Bedingungen und Anforderungen vergleichbar. Es ist deshalb

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auch nicht möglich, für eine konkrete Situation generelle Handlungsvor-schläge zu machen.

Wichtig und hilfreich sind Kenntnisse über die wesentlichen Faktorender Aufsichtspflicht: So kann die Erzieherin in der jeweiligen Situationpädagogisch entscheiden und handeln und das Recht des Kindes aufkörperliche Unversehrtheit sicherstellen.

Im Folgenden wollen wir die Faktoren näher erläutern, die Inhalt undUmfang der Aufsichtspflicht bestimmen. Dieses sind

– die Person des Kindes,– das Gruppenverhalten des Kindes,– die Gefährlichkeit der Beschäftigung,– die örtliche Umgebung,– die Art der Spiel- und Beschäftigungsgeräte,– die Person der Erzieherin,– die Gruppengröße,– die Zumutbarkeit.

2.1 Person des Kindes

Inhalt und Umfang der Aufsichtspflicht sind vor allem von der körperli-chen, seelischen, sozialen und geistigen Reife des Kindes abhängig.Ein dreijähriges Kind ist anders zu beaufsichtigen als ein sechs- odergar zehnjähriges Kind. Ein dreijähriges Kind benötigt eine erhöhtereAufmerksamkeit der Erzieherin. Einem Hortkind sind dagegen weiterge-hende Freiräume und Ablösungsmöglichkeiten vom Erwachsenen zugewähren: Es soll sich bereits weitgehend selbst erproben können, z.B. alleine Einkäufe erledigen, Freunde besuchen oder zum Fußballver-ein oder zur Musikschule gehen.

Es kommt also nicht auf das Alter, sondern auf den Entwicklungsstanddes Kindes und sein Befinden an. Kann es bestimmte Regeln verstehenund einhalten? Hat es bestimmte körperliche Fertigkeiten? Wie ist dieTagesform des Kindes?

Somit ist die Frage wichtig, wie lange und genau die Erzieherin das Kindkennt, um dessen Entwicklungsstand beurteilen zu können.

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2.2 Gruppenverhalten

Die Erzieherin in Tageseinrichtungen für Kinder hat fast ausnahmslosmit Kindern in Gruppen zu tun. Dies unterscheidet sie von Eltern, die inaller Regel nur einzelne Kinder zu beaufsichtigen haben.

Gruppen von Kindern sind anders zu beaufsichtigen als einzelne Kinder,weil zu den individuellen Faktoren der Art und Weise wie Kinder Le-benswelt wahrnehmen und aktiv bewältigen, gruppenspezifische Fak-toren hinzukommen. In der Gruppe trifft das Kind auf Bedingungen, dieneue, veränderte Strategien und Aktivitäten herausfordern. Das Kind inder Gruppe unterliegt einem Phänomen, das auch jeder Erwachsenekennt: Als Einzelner hätte man sich möglicherweise anders verhalten alsin der Gruppe.

2.3 Gefährlichkeit der Beschäftigung

Es ist klar, dass die Art der Beschäftigung des Kindes, insbesondereihre Gefährlichkeit, den Inhalt und den Umfang der Aufsichtspflicht be-einflussen. Kinder, die im Sandkasten spielen, sind sicher anders zubeaufsichtigen als Kinder, die in der Nähe eines Feuchtbiotops spielenoder wiederum anders als Kinder beim Planschen im Wasser oder beieinem Ausflug.

Kinder entkernen Pflaumen mit einem Küchenmesser, um sie zu Pflau-menmus zu verarbeiten.

Diese Tätigkeit erfordert sicherlich zunächst eine intensivere Anleitungund Beaufsichtigung, da sich die Kinder mit dem Messer verletzen kön-nen. Sind die Kinder geübt, kann sich die Erzieherin in der Beaufsich-tigung mehr zurücknehmen.

Aus der Rechtsprechung wird deutlich, dass auch bei gefährlichen Be-schäftigungen die Aufsichtspflicht mit den Erziehungszielen wie Selb-ständigkeit und Eigenverantwortung in Einklang stehen soll.

In diesen Fällen muss die Erzieherin die Gefährlichkeit der Tätigkeit ein-schätzen und ihr Handeln daran ausrichten. Sie muss den Kindern Hin-weise geben, mit ihnen Absprachen treffen, sie anleiten, sie beim Ein-üben von Fertigkeiten unterstützen und gegebenenfalls das Verhalten

Art der Beschäftigung

Praxisbeispiel:

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der Kinder kontrollieren. Dieses alles dient jedoch dem Ziel, den Kindernin vertretbarem Rahmen die Chance zu geben zu lernen, mit Gefahrenumzugehen.

2.4 Örtliche Bedingungen

Räumlichkeiten und Umgebung sind ebenfalls wichtige Merkmale einerAufsichtssituation.

In Kapitel A 5.2. wurde bereits darauf hingewiesen, dass dem Träger dieVerkehrssicherungspflicht obliegt.

Grundsätzlich ist der Träger dafür verantwortlich, dass die Räume unddas Gelände des Kindergartens ordnungsgemäß angelegt, ausgestat-tet und laufend unterhalten (gepflegt und repariert) werden. Es wurdeauch darauf hingewiesen, dass die Aufsichtspflicht der Erzieherin es inmanchen Fällen gebietet, selbst tätig zu werden, um Schädigungen vonKindern zu vermeiden.

In einem Kindergarten ist es üblich, dass die Kinder entscheiden kön-nen, ob sie in der Einrichtung oder auf dem Freigelände spielen. EinigeKinder gehen nach draußen. Doch nach kurzer Zeit kommt ein Kindschreiend mit einer Schnittwunde am Knie in die Einrichtung zurückge-laufen. Es stellt sich heraus, dass das Kind sich an einer Scherbe ver-letzt hat, die von einer Bierflasche stammt, die Jugendliche auf demSpielgelände hinterlassen hatten.

Nach dem allgemeinen Zustand des Spielplatzes und den Verhaltens-weisen der Kinder hatte die Erzieherin keine Bedenken, die Kinderdraußen spielen zu lassen. Eine Verletzung der Sorgfaltspflicht läge vor,wenn zu erwarten gewesen wäre, dass Scherben auf dem Spielplatzliegen und Kinder sich hätten hieran verletzen können. Den Erzieher-innen ist die Verpflichtung übertragen, mögliche Gefährdungen für dieKinder zu beseitigen. Wenn die Erzieherin weiß, dass häufig nach derÖffnungszeit Jugendliche das Spielgelände nutzen, sollte sie regel-mäßig - möglichst gemeinsam mit den Kindern - das Gelände aufGefahrenquellen untersuchen. So lernen die Kinder auch eigenständigGefahrenquellen zu entdecken und sie zu melden, damit diese beseitigtwerden können. Auf diese Weise wird die Verantwortung für das eige-ne Wohl und das Wohl der Gemeinschaft Schritt für Schritt von denKindern mit übernommen.

Räumlichkeiten undUmgebung

Praxisbeispiel:

Räume und Außengelände

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Insbesondere bei Ausflügen, Wanderungen und Besichtigungen sinddie örtlichen Bedingungen von besonderer Bedeutung. Die Erzieherinist verpflichtet, so die Aufsicht zu führen, wie es die Besonderheiten derUmgebung erfordern. Sie muss die örtlichen Gegebenheiten kennen,insbesondere auch die möglichen Gefahrenquellen. Ohne derartigeKenntnisse ist sie nicht in der Lage, die ihr anvertrauten Kinder vor denGefahren des Geländes zu bewahren. Empfehlenswert ist es, vor einerWanderung in schwierigem Gelände einen Erkundungsgang zu ma-chen, vor der Besichtigung eines Betriebes diesen zu besuchen, ummögliche Gefahren besser einschätzen und gegebenenfalls Abspra-chen treffen zu können. Ist eine vorherige Besichtigung nicht möglich,ist sicherlich erhöhte Aufmerksamkeit nötig bzw. die Besichtigung mitzusätzlichen Erwachsenen durchzuführen.

2.5 Art der Spielgeräte und desBeschäftigungsmaterials

Allgemein gültige Vorgaben, wie die Erzieherin die Kinder beim Spiel an-zuleiten oder zu beaufsichtigen hat, gibt es nicht. Es sollte selbstver-ständlich sein, dass die Erzieherin die Bedienungsanleitung, die Her-steller von Spielgeräten mitliefern, kennt, sie beachtet und den Kindernvermittelt. Jedes Kind, das erstmals auf einem neuen Gerät oder miteinem neuen Material spielt, sollte beobachtet und angeleitet werden,um sicherzustellen, dass es dessen Funktion verstanden hat bzw. dieBenutzung des Gerätes beherrscht.

Unter den Begriff Spielgeräte fallen nicht nur technisch speziell für Kin-derspiele konstruierte Geräte, sondern auch Haushaltsgeräte, Werk-zeuge, Mauern, Skulpturen – kurzum alle Dinge, die Kinder als Spiel-und Beschäftigungsmaterialien benutzen können.

Die Erzieherin beabsichtigt, zerkleinerte Pflaumen mit einigen Kindern zuPflaumenmus zu verarbeiten. Sie benutzt hierzu den im Gruppenraumbefindlichen Kinderkochherd. Zwar besteht bei Unachtsamkeit die Ge-fahr, dass sich die Kinder an den heißen Herdplatten verbrennen, abernur so lernen sie, durch richtiges, vorsichtiges Verhalten den Herdeigenständig zu nutzen.

Der sicherste Schutz für die Kinder ist, schrittweise zu lernen, mit Ge-fahren oder gefährlichen Gegenständen umzugehen. Das Beispiel mit

Umgang mit neuenMaterialien

Praxisbeispiel:

Ausflüge und Wanderungen

Umgang mit Gefahren

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dem Kochherd zeigt: Die Erzieherin erfüllt ihre Aufsichtspflicht, indemsie die Kinder im Umgang mit dem Elektroherd anleitet und unterstützt.Es zeigt auch, dass sie bei möglichen Gefahren helfend anwesend seinsollte, um nötigenfalls direkt unterstützend eingreifen zu können.

2.6 Person der Erzieherin

In den voranstehenden Ausführungen zu den Punkten, die die Auf-sichtspflicht bestimmen, ist schon mehrfach angeklungen, dass es beider Aufsichtsführung sehr darauf ankommt, das Verhalten des Kindesbzw. der Kindergruppe einzuschätzen und soweit möglich auch voraus-sehen zu können.

Grundlagen für die Erzieherin sind ihre pädagogischen Kenntnisse undErfahrungen. Beide korrespondieren miteinander und unterliegen Ent-wicklungen. So hat man davon auszugehen, dass eine Berufsanfän-gerin ein Kind oder eine Kindergruppe intensiver zu beaufsichtigen hatals eine erfahrene Erzieherin.

Auch körperliche Fähigkeiten wie Beweglichkeit, Hör- und Sehsinn sindfür die Aufsichtsführung von Bedeutung. So wird sich die Erzieherin jenach körperlicher Konstitution und Kondition in jeweils unterschiedli-cher Entfernung von den Kindern aufhalten, um rechtzeitig helfend ein-greifen zu können. Auch die "Tagesform" der Erzieherin ist für die Auf-sichtsführung von Bedeutung.

2.7 Gruppengröße

Ein wichtiger Faktor bezüglich der Aufsichtsführung ist die Relation zwi-schen der Anzahl der Erwachsenen und der Anzahl der Kinder: Wie vie-le Kinder kann eine Erzieherin in unterschiedlichen Situationen beauf-sichtigen? In Anlehnung an die vorangegangenen Faktoren der Auf-sichtspflicht kann gefolgert werden: Es kommt vor allem auf Alter undEigenart der Kinder, die Gefährlichkeit der Beschäftigung und die Fähig-keiten und Erfahrungen der Erzieherin an.

Zur Aufsicht bei Ausflügen, Wanderungen, Besichtigungen und anderenexternen Unternehmungen werden teilweise in den Vorschriften vonTrägern oder Verbänden Richtwerte genannt. Solche Richtwerte sollten

körperliche Konstitution

Erzieher-Kind-Relation

Pädagogische Kenntnisseund Erfahrungen

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nur eine Orientierung sein und die Erzieherinnen nicht davon abhalten,sie in Abwägung der jeweils situationsbedingten Anforderungen flexibelanzuwenden - nötigenfalls in Abstimmung mit dem Träger. Sind be-stimmte Vorgaben jedoch verbindlich, d. h. als Dienstanweisung for-muliert, muss sich die Erzieherin daran halten.

Eine Erzieherin hat zunächst die Kinder zu beaufsichtigen, die zu ihrerGruppe gehört. Sie trägt aber auch für die Kinder die Verantwortung,die sich in Absprache in ihrem Zuständigkeitsbereich, d. h. auch außer-halb des Gruppenraumes wie z. B. im Mehrzweckraum aufhalten. IhreAufsichtspflicht umfasst auch die Kinder, die sie in Vertretung für eineKollegin über einen bestimmten Zeitraum mitbetreut. Auch der Um-stand, dass eine Gruppe unter pädagogischen Gesichtspunkten zugroß ist und keine sinnvolle pädagogische Arbeit erlaubt, befreit die Er-zieherin nicht von der Aufgabe, jedes Kind in ihrem Zuständigkeits-bereich zu beaufsichtigen. Auch wenn es unpädagogisch erscheint, sohat sie in dieser Situation die Aufsichtsführung zu Ungunsten der För-derung der Kinder zu intensivieren. Diese Situation ist jedoch nur über-gangsweise vertretbar und sollte eine Notlösung darstellen.

In solchen Fällen ist die Leiterin verpflichtet, den Träger auf die unzurei-chende Personalsituation hinzuweisen, damit dieser die erforderlichenMaßnahmen ergreift, um eine ordnungsgemäße Betreuungssituationsicherzustellen. So können unter anderem Vertretungskräfte eingestelltwerden, es kann übergangsweise die Mithilfe von Eltern angeregt oder- dieses gilt vor allem für eingruppige Einrichtungen - notfalls vorüber-gehend die Schließung der Einrichtung veranlasst werden.

2.8 Zumutbarkeit

Bislang ging es überwiegend um äußere Gegebenheiten, die die Auf-sichtsführung beeinflussen und die die Erzieherin in ihrem Handeln zuberücksichtigen hat.

Jede Aufsichtssituation ist anders und es gibt immer wieder verschie-dene Möglichkeiten, in diesen Situationen zu handeln. In der Praxis istes nicht einfach, Sicherheitsaspekte und Aspekte der Selbständigkeits-erziehung gleichermaßen zu berücksichtigen und somit eine ausgewo-gene Entscheidung zu treffen. Welche Erzieherin hat nicht schon vor

Zuständigkeitsbereich derErzieherin

Verpflichtung der Leiterin

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der Frage gestanden, ob sie ihren Erziehungsvorstellungen oder allge-meinen Sicherheitserwartungen folgen soll? Die Antwort auf diese Fra-ge wird in allgemeiner Form mit dem Begriff der Zumutbarkeit beschrie-ben, die man in folgende Form kleidet:

Nicht alles, was an Aufsichtsmaßnahmen denkbar ist, ist zumutbar.

Kinder einer Gruppe spielen gleichzeitig im Gruppenraum mit erhöhterSpielebene und im nebenliegenden Ausweichraum.

Nun kann man von der Erzieherin sicherlich nicht erwarten, dass siesich in allen Spielebenen aufhält, um sie auf Schritt und Tritt beobach-ten zu können. Es ist ihr jedoch zuzumuten, dass sie

– die Spielsituationen zeitweilig beobachtet und gegebenenfalls Ein-fluss darauf nimmt, welche und wieviele Kinder sich gleichzeitig inden Bereichen aufhalten und

– in regelmäßigen Abständen nachsieht, ob die Kinder die mit ihnenabgesprochenen Regeln einhalten.

Die Aufsichtsmaßnahmen sollten im Einklang mit den derzeitigen allge-mein anerkannten pädagogischen Grundauffassungen stehen, sie soll-ten die Entwicklungsbedürfnisse des Kindes berücksichtigen und seinInteresse an selbstbestimmten Lernprozessen unterstützen.

Das pädagogische Ziel der Erziehung zur Selbständigkeit bestimmt alsoUmfang und Intensität der zumutbaren Aufsichtsmaßnahmen.Je größer das Gefahrpotential einer Situation oder einer Beschäftigung,desto sorgfältiger ist die Aufsicht zu führen, seien dieses Absprachenund Hinweise für die Kinder oder auch die wiederholte Überprüfung derSituation. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das konkretepädagogische Handeln den Erziehungszielen dient, wenn es die Si-cherheit der Kinder berücksichtigt. Erreicht wird dieses, indem dieKinder

– Erfahrungen in realen Lebenszusammenhängen machen und eigen-ständig agieren,

– sich an Entscheidungen beteiligen und Verantwortung übernehmen,– sich aktiv Freiräume erobern, die ihre kognitiven, sozialen und psy-

chischen Kompetenzen erweitern,

Beispiel:

Fazit

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– mit zunehmendem Alter Aufgaben, Anforderungen und Problemeselbständig lösen.

Der Erzieherin kommt hierbei die Rolle der Begleiterin zu. Sie ermutigtdie Kinder, unterstützt sie, gibt ihnen Anregungen und schafft Bedin-gungen, damit die Kinder ihre Erfahrungen machen können.

Und wenn etwas passiert?1. Konsequenzen einer Aufsichtspflichtverletzung

Wenn etwas passiert, richten sich die Konsequenzen zunächst danach,ob die Aufsichtspflicht tatsächlich verletzt ist. Allein aus der Tatsache,dass es zu einem schädigenden Ereignis gekommen ist, kann nicht aufeine Aufsichtspflichtverletzung geschlossen werden. Schadensereignis-se sind auch bei bestmöglicher Umsicht nicht auszuschließen.

Ist eine Aufsichtspflichtverletzung gegeben, kann dies zivilrechtliche,strafrechtliche und arbeits- oder dienstrechtliche Folgen haben.

1.1 Zivilrechtliche Folgen

Zivilrechlich kann die Aufsichtspflichtverletzung zu einer Schadenser-satzpflicht führen. Die Erzieherin ist in diesem Fall verpflichtet, den ent-standenen Schaden zu ersetzen. Dies setzt allerdings voraus, dass dieAufsichtspflichtverletzung überhaupt, sei es bei dem Kind oder beieinem Dritten, zu einem Schaden geführt hat. Ist kein Schaden einge-treten, bleibt jede Aufsichtspflichtverletzung zivilrechtlich folgenlos.

Die Leiterin eines zweigruppigen Kindergartens besucht um 10.00 Uhreine von der Erziehungsberatungsstelle anberaumte Fortbildungsver-anstaltung, obwohl die Gruppenleiterin der zweiten Gruppe erkrankt istund demzufolge nur die Hilfskraft und die gerade frisch eingestellte Be-rufspraktikantin anwesend sind. Während ihrer Abwesenheit passiertaber nichts.

Rolle der Erzieherin

Schadensersatz

Praxisbeispiel:

C

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Die Frage einer Haftung für Personen- oder Sachschäden stellt sich hiernicht, da weder einem Kind noch einem Dritten etwas zugestoßen ist.Wohl aber ist die Frage naheliegend, ob die Leiterin ihre Aufsichtspflichtverletzt hat.

Wäre allerdings in ihrer Abwesenheit ein Schadensfall eingetreten,käme eine zivilrechtliche Haftung auf Schadensersatz in Betracht. Hin-sichtlich der Folgen wäre in diesem Fall danach zu differenzieren, ob derSchaden bei einem der zu beaufsichtigenden Kinder oder einem Dritteneingetreten ist.

Die Haftpflicht für Schäden Dritter richtet sich nach § 832 BGB. Danachreicht für die Entstehung der Schadensersatzpflicht grundsätzlich be-reits der Eintritt eines Personen- oder Sachschadens aus. Das Vorlie-gen einer Aufsichtspflichtverletzung wird in diesen Fällen durch dasGesetz als Regelfall angenommen. Die Erzieherin kann der Schadens-ersatzpflicht jedoch entgehen, indem sie beweist, dass eine Aufsichts-pflichtverletzung ausnahmsweise nicht gegeben ist oder der Schadenauch bei ordnungsgemäßer Aufsichtsführung entstanden wäre. Gegendas Risiko, dass dieser Beweis misslingt und die Erzieherin in einemvon dem geschädigten Dritten angestrengten Zivilprozess zur Zahlungvon Schadensersatz verurteilt wird, schützt in vielen Fällen der Ab-schluss einer Haftpflichtversicherung (s.u. D 2).

Tritt infolge einer Aufsichtspflichtverletzung an Rechtsgütern des Kindesselbst ein Schaden ein, richtet sich die Ersatzpflicht nach § 823 Abs. 1BGB. Danach gilt allgemein, dass jeder, der vorsätzlich oder fahrlässigdas Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit oder ein sonstigesRechtsgut eines anderen widerrechtlich verletzt, zum Ersatz des darausentstandenen Schadens verpflichtet ist.

Auch gegen eine Ersatzpflicht nach § 823 Abs. 1 BGB schützt der Ab-schluss einer Haftpflichtversicherung. Eine solche ist jedoch im Wesent-lichen nur im Hinblick auf Sachschäden erforderlich. Denn für den Er-satz von Personenschäden sieht die nunmehr im siebten Buch des So-zialgesetzbuchs (SGB VII) geregelte gesetzliche Unfallversicherung eineReihe von Haftungsfreistellungen vor. So haften nach den §§ 104, 106Abs. 1 SGB VII weder die Kinder untereinander noch die Erzieherinnenoder Einrichtungsträger den Kindern für solche Personenschäden, die

Schadensfall

Schadensersatzpflicht

Schäden der Kinder

Haftungsfreistellung

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auf einem von der gesetzlichen Unfallversicherung erfassten Unfall be-ruhen. Erleidet ein Kind während des Besuchs einer Tageseinrichtunginfolge eines Unfalls, der von einem anderen Kind oder einer Erzieherinverursacht wurde, einen Personenschaden, trifft daher weder das an-dere Kind noch die Erzieherin oder den Einrichtungsträger eine Scha-densersatzpflicht (vgl. zur gesetzlichen Unfallversicherung D 1). DerSchaden wird über die gesetzliche Unfallversicherung getragen. EineAusnahme gilt dann, wenn der Unfall vorsätzlich herbeigeführt wordenist. Bei grober Fahrlässigkeit hat der Unfallversicherungsträger nach§ 110 SGB VII die Möglichkeit, bei dem Unfallverursacher Rückgriff zunehmen. Eine etwaige strafrechtliche, arbeits- oder dienstrechtlicheVerantwortlichkeit bleibt von den Haftungsfreistellungen unberührt.

1.2 Strafrechtliche Folgen

Auch strafrechtlich führt eine Aufsichtspflichtverletzung nur zu Folgen,wenn ein Schaden eingetreten ist, also entweder das zu beaufsichti-gende Kind selbst oder ein Dritter durch das Kind geschädigt wurde.Erzieherinnen können in aller Regel nur bestraft werden, falls die zu be-treuenden Kinder infolge einer Aufsichtspflichtverletzung verletzt odergar getötet werden, oder die Kinder Dritte verletzen oder töten. DasStrafgesetzbuch (StGB) bezeichnet die entsprechenden Straftatbestän-de als "Fahrlässige Körperverletzung" (§ 229 StGB) und "FahrlässigeTötung" (§ 222 StGB). Eine vorsätzliche Begehung dieser Straftatenkommt in Tageseinrichtungen praktisch nicht vor, denn welche Erzie-herin würde ihre Aufsichtspflicht bewusst vernachlässigen und dabei inKauf nehmen, dass ein Kind verletzt wird oder zu Tode kommt.

Zu betonen ist, dass die strafrechtlichen Folgen einer Aufsichtspflicht-verletzung im Allgemeinen weit überschätzt werden. Dies gilt insbeson-dere für die Vorstellung, Erzieherinnen stünden immer mit einem Bein imGefängnis. Erzieherinnen im Gefängnis gibt es nicht, es sei denn we-gen anderer Straftaten. Zumeist wird nicht einmal ein Ermittlungsver-fahren eingeleitet. Selbst wenn dies aber geschieht, kommt es in allerRegel zu einer nachträglichen Einstellung des Verfahrens oder allenfallseiner Geldstrafe.

Straftatbestände

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1.3 Arbeits- und dienstrechtliche Folgen

Anders als in den Fällen der zivil- und strafrechtlichen Haftung kommtes für arbeits- und dienstrechtliche Konsequenzen einer Aufsichts-pflichtverletzung auf den Eintritt eines Schadens nicht an. Jede Auf-sichtspflichtverletzung stellt in der Regel zugleich eine Verletzung derdienst- oder arbeitsvertraglichen Pflichten der Erzieherin dar. Abhängigvon der Schwere der Pflichtverletzung kann sie unterschiedliche dienst-bzw. arbeitsvertragliche Folgen haben. Die Möglichkeiten reichen vonder formlosen Belehrung oder Ermahnungen über die Umsetzung aufeinen anderen Arbeitsplatz und die formelle Abmahnung bis hin zurfristgerechten (ordentlichen) und in besonders schwerwiegenden Fällensogar fristlosen (außerordentlichen) Kündigung des Beschäftigungsver-hältnisses.

VersicherungsschutzDie gesetzliche Unfallversicherung ist die Versicherung, die unter be-stimmten, vor allem im Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) gere-gelten Voraussetzungen besteht. Der Versicherungsschutz besteht oh-ne vertragliche Grundlage und unabhängig davon, ob im Einzelfall Bei-träge geleistet wurden. Bei der Haftpflichtversicherung, die das zivil-rechtliche Haftungsrisiko abdeckt, handelt es sich demgegenüber im-mer um eine private Versicherung, die des Abschlusses eines Versiche-rungsvertrages und der Zahlung von Beiträgen bedarf.

1 Gesetzliche Unfallversicherung der Kinder während desBesuchs von Tageseinrichtungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 8a, § 8SGB VII)

Bis zum 31.12.1996 war die gesetzliche Unfallversicherung insgesamtin der Reichsversicherungsordnung (RVO) geregelt. Ursprünglich warenlediglich Arbeitnehmer gesetzlich unfallversichert. Erst mit der Zeit wur-de der Kreis der Versicherten über das Arbeitsleben hinaus nach undnach erweitert. Für Kinder galt der Versicherungsschutz seit dem1.4.1971 gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 14a RVO "während des Besuchs von

Gesetzliche Unfallversiche-rung/private Haftpflichtver-sicherung

Dienst- oder arbeitsrechtlicheKonsequenzen

D

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Kindergärten". Grund dieser Ausdehnung des Unfallversicherungs-schutzes war, dass der Gesetzgeber den Kindergarten als Bildungs-einrichtung mit dem Auftrag frühkindlicher Erziehung anerkannt hatte. Insonstigen Einrichtungen, insbesondere Horten, Kinderkrippen oderKrabbelstuben, waren Kinder nicht gesetzlich unfallversichert.

Mit Wirkung vom 1.1.1997 wurde die gesetzliche Unfallversicherung alsSiebtes Buch (SGB VII) dem Sozialgesetzbuch angegliedert. Die Ein-ordnung in das Sozialgesetzbuch erfolgte weitestgehend ohne inhaltli-che Änderung. Für den Versicherungsschutz von Kindern in Tagesstät-ten brachte sie jedoch eine entscheidende Verbesserung: Der Gel-tungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung wurde durch dennunmehr geltenden § 2 Abs. 1 Nr. 8 a SGB VII über den Besuch vonKindergärten hinaus auf den Besuch sämtlicher Tageseinrichtungen imSinne des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (§ 22 SGB VIII) ausge-dehnt (s. D 1.1).

Gegenstand der gesetzlichen Unfallversicherung sind Gesundheits-schäden und der Tod des Versicherten. Die Versicherung dient demAusgleich sämtlicher wirtschaftlicher Folgen, die durch unfallbedingteGesundheitsbeeinträchtigungen oder einen unfallbedingten Todesfalleintreten. Nicht ersetzt werden immaterielle Schäden (Schmerzens-geld) oder Sachschäden.

1.1 Kreis der versicherten Personen

Seit dem 1.1.1997 besteht der gesetzliche Unfallversicherungsschutznach § 2 Abs. 1 Nr. 8a SGB VII für Kinder generell "während des Be-suchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Ein-richtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches11 oder der Er-laubnis auf Grund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelungbedürfen." Diese Erweiterung des Versicherungsschutzes soll insbe-sondere dem Umstand Rechnung tragen, dass mittlerweile nicht mehrnur die Kindergärten, sondern auch die bislang nicht erfassten Tages-einrichtungen für Kinder unter drei und für Kinder über sechs JahrenAufgaben der Erziehung und Bildung wahrnehmen.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 8a SGB VII sind Kinder während des Besuchs vonTageseinrichtungen versichert, ”deren Träger für den Betrieb der

Versicherte Risiken

§ 2 Abs. 1 Nr. 8 a SGB VII

Versicherungsschutz vonKindern

Ausdehnung des Schutzesauf sämtlicheTageseinrichtungen

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Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des achten Buches oder einerErlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelungbedürfen ...”. Kind ist nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 1 Nr. 1KJHG, wer noch nicht 14 Jahre alt ist. Ausgehend hiervon endet derSchutz der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Vollendung des 14.Lebensjahres, wenn landesrechtliche Regelungen nicht andere alters-mäßige Begrenzungen für den Besuch von Tageseinrichtungen vorse-hen.

Versichert sind die Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtun-gen. Tageseinrichtungen sind gemäß § 22 Abs. 1 SGB VIII Kindergär-ten, Horte und andere Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teildes Tages oder ganztägig aufhalten, und die dem Zweck dienen, dieEntwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemein-schaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern.

Andere Einrichtungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB VIII sind etwa Kin-derkrippen, Krabbelstuben, oder kindergartenähnliche Einrichtungen.

Nicht zu den Tageseinrichtungen zählen die in Kaufhäusern und Super-märkten anzutreffenden "Kinderstuben", in denen Kinder betreut wer-den, während die Eltern einkaufen. Diese Einrichtungen dienen nichtder Bildung und Erziehung von Kindern, sondern lediglich ihrer Ver-wahrung.

Auch Kinderheime zählen grundsätzlich nicht zu den Tageseinrichtun-gen, da es sich auch bei ihnen nicht um Bildungseinrichtungen im obenbeschriebenen Sinne handelt.

Erlaubnispflicht

Vom Versicherungsschutz erfasst ist nur der Besuch solcher Tagesein-richtungen, deren Betrieb der Erlaubnis nach § 45 KJHG oder einer Er-laubnis auf Grund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelungbedarf. Die Erlaubnispflicht gilt grundsätzlich für jede Einrichtung, in derKinder betreut werden. Weder kommt es auf eine Mindestanzahl vonKindern an, noch muss die Einrichtung uneingeschränkt für Jedermannzugänglich sein. Auch Kindergärten, die überwiegend für Kinder vonBetriebs- oder Behördenangehörigen betrieben werden sowie Sonder-

Umfang der Erlaubnispflicht

Kinderheime

Bewahrstuben

Tageseinrichtung undBildungsbegriff

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kindergärten für behinderte Kinder sind erlaubnispflichtige Tagesein-richtungen, für die Versicherungsschutz besteht.

Die Erlaubnis muss nicht tatsächlich erteilt worden sein. Erforderlich istlediglich, dass der Betrieb der Einrichtung erlaubnispflichtig war. Diewichtigsten Ausnahmen von der Erlaubnispflicht sind ausdrücklich in§ 45 KJHG erwähnt. Sie betreffen etwa Jugendfreizeiteinrichtungen, d.h. Einrichtungen, die wie Kinder- und Jugendclubs oder Jugendfreizeit-heime der Freizeitgestaltung dienen, und Jugendbildungseinrichtungen,d. h. Einrichtungen der außerschulischen Bildung.

Keiner Erlaubnis bedürfen selbstorganisierte Eltern-Kind-Gruppen,wenn die Betreuung von den Eltern in gemeinsamer Verantwortungwahrgenommen wird. Sie sind daher vom gesetzlichen Unfallversiche-rungsschutz ausgenommen. Etwas anderes gilt, wenn Dritte eingestelltwerden und die Betreuung im Wesentlichen verantwortlich überneh-men, da in diesem Fall eine Fremdbetreuung, d. h. eine Betreuung aus-serhalb der Familie vorliegt. Zweifelsfälle sind mit dem zuständigen Un-fallversicherungsträger abzuklären.

Besuch der Einrichtung

Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung besteht schließlich nurwährend des Besuchs der Tagesstätte. Wann ein solcher vorliegt, istnicht etwa davon abhängig, ob das Kind wirksam in die Tagesstätteaufgenommen worden ist. Ist z.B. die Anmeldung des Kindes bzw. derBetreuungsvertrag aus irgendwelchen Gründen unwirksam oder fehltes überhaupt an einer vertraglichen Grundlage des Besuchs, so be-steht trotzdem Versicherungsschutz. Ebenso wie ein sog. "faktischesArbeitsverhältnis" zur Begründung des Versicherungsschutzes für Ar-beitnehmer ausreicht, genügt auch ein "faktischer Besuch", d.h. einfaktisches Betreuungsverhältnis, um den Versicherungsschutz für Kin-der zu begründen.

Als nicht versichert hat die Rechtsprechung allerdings in einem Fall"Probekinder" angesehen, d.h. Kinder, welche die Einrichtung, ohnebereits angemeldet zu sein, lediglich zum Kennenlernen aufsuchen.12

Etwas anderes dürfte allerdings dann gelten, wenn das betreffendeKind bereits angemeldet ist und in Vorbereitung auf den späteren Be-

Ausnahmen von derErlaubsnispflicht

Eingewöhnung

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such schon einmal an die Einrichtung gewöhnt werden soll. Keinesfallsbesteht der Versicherungsschutz im Hinblick auf die oben erwähnteRechtsprechung allerdings für sog. Besuchskinder, die, etwa um einenFreund zu begleiten, die Einrichtung nur vorübergehend aufsuchen.

1.2 Versicherte Tätigkeiten der Kinder

Versichert sind grundsätzlich alle Tätigkeiten, die sich aus dem Besuchder Einrichtung ergeben. Damit sind zum einen sämtliche Tätigkeitenauf dem Einrichtungsgelände erfasst wie Malen, Spielen, Toben, Bas-teln, Streiten, Essen oder Schlafen. Zum anderen erstreckt sich der Ver-sicherungsschutz aber auch auf alle Unternehmungen außerhalb derEinrichtung, wie den Besuch des Zoologischen Gartens, des Wochen-markts, der Feuerwache oder sonstige Erkundungsprojekte, den Be-such öffentlicher Spielplätze oder Badeanstalten, Wanderungen undAusflüge. Der Versicherungsschutz ist nicht auf die regulären Öffnungs-zeiten beschränkt. So ist beispielsweise die Mitwirkung an einem Kin-dergartenfest auch außerhalb der Öffnungszeiten versichert.

1.3 Versicherte Wege der Kinder

Die Wege der Kinder zu der Tageseinrichtung und von der Tagesein-richtung nach Hause sind unter folgenden Voraussetzungen versichert(§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII):

– Der Weg muss wegen des Einrichtungsbesuchs angetreten wordensein,

– er muss auf der üblichen Strecke zurückgelegt werden, d.h. zwarnicht unbedingt auf kürzester Strecke, wohl aber als Fortbewegungin Richtung der Tageseinrichtung,

– er muss in zeitlichem Zusammenhang mit dem Kindergartenbesuchzurückgelegt werden.

In Zweifelsfällen hat der Unfallversicherungsträger bei der Beurteilung,ob ein versicherter Wegeunfall vorliegt, dem natürlichen Spieltrieb undGruppenverhalten der Kinder Rechnung zu tragen.

Beginn und Ende des Weges sind in der Regel die Außenhaustüren derjeweiligen Gebäude.

Versicherungsschutz beiUnternehmungen

Versicherungsschutz beiWegeunfällen

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Muss ein Kind, weil etwa beide Eltern berufstätig sind, vor oder nachdem Besuch der Einrichtung fremde Obhut aufsuchen, erfasst der Ver-sicherungsschutz auch die Wege zwischen der Tageseinrichtung unddem entsprechenden Ort sowie die Wege zwischen diesem Ort und derFamilienwohnung (§ 8 Abs. 2 Nr. 3 SGB VII).

Im Übrigen sind die Kinder auch auf den Wegen zwischen der Einrich-tung und einer versicherten externen Veranstaltung versichert. Dies istbereits deswegen der Fall, weil es sich bei diesen Wegen um einenBestandteil der versicherten Tätigkeit handelt. Der Versicherungsschutzwird für die Zeit, welche die Erzieherin mit den Kindern unterwegs ist,um z. B. die Vorstellung eines Kindertheaters zu besuchen, nicht unter-brochen.

Der Versicherungsschutz der Kinder auf Wegen, die im Zusammenhangmit dem Besuch der Tageseinrichtung stehen, besteht unabhängigdavon, ob sie zu Fuß gehen oder ein Verkehrsmittel benutzen, von denEltern oder einer Erzieherin im Wagen mitgenommen werden.

1.4 Unfallanzeige

Während Leistungen in den anderen Zweigen der Sozialversicherungnur auf Antrag gewährt werden, geschieht dies in der gesetzlichenUnfallversicherung von Amts wegen, d.h. es bedarf keines Antrags.

Damit der Unfallversicherungsträger möglichst umgehend und ausrei-chend von dem eingetretenen, seinem Versicherungsschutz unterlie-genden Unfall Kenntnis erhält, sollte der Einrichtungsträger oder die vonihm hiermit beauftragte Einrichtungsleiterin schnellstmöglich Unfallan-zeige erstatten. In Fällen, in denen das betreffende Kind so schwer ver-letzt ist, dass es die Einrichtung mehr als drei Tage nicht besuchenkann, ist er hierzu nach § 193 SGB VII gesetzlich verpflichtet. Für dieAnzeige ist ein einheitlicher Vordruck zu verwenden, der in jedem Kin-dergarten bereitgehalten wird.

1.5 Träger der Unfallversicherung

Zuständiger Versicherungsträger für Kinder in Tageseinrichtungen sindjeweils für ihren Bereich die Unfallkassen der Länder

Weg zwischen Tageseinrich-tung und externenVeranstaltungen

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(vgl. §§ 114 Abs. 1 Nr. 6, 116, 128 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VII)– für Landeseinrichtungen– für Einrichtungen von Trägern der freien Jugendhilfe– für Einrichtungen sonstiger privater gemeinnütziger Träger;die Unfallkassen der Gemeinden bzw. die Gemeindeunfallversiche-rungsverbände (vgl. §§ 114 Abs. 1 Nr. 7, 117, 129 Abs. 1 Nr. 1 SGBVII)– für gemeindliche Einrichtungen;die Berufsgenossenschaften (§§ 121 Abs. 1, 136 Abs. 3 Nr. 3, 131SGB VII)– für sonstige private, nicht als gemeinnützig anerkannte Einrichtun-

gen (z.B. als Erwerbsunternehmen betriebene Einrichtungen,Werkskindergärten).

2. Haftpflichtversicherung

Für Schäden, die von der gesetzlichen Unfallversicherung nicht ersetztwerden, insbesondere also für Sachschäden, lässt sich das zivilrechtli-che Haftungsrisiko des Einrichtungsträgers und der Erzieherinnen nurdurch den Abschluss von Haftpflichtversicherungen begrenzen. Wenneine solche Versicherung nicht bereits durch den Träger für alle seineMitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgeschlossen wird, sollte sich die Er-zieherin selbst um den Abschluss einer Haftpflichtversicherung bemü-hen. Zu beachten ist, dass nach den Bedingungen der Haftpflichtversi-cherer die Leistungspflicht der Versicherung immer für den Fall der vor-sätzlichen Herbeiführung des Schadensfalls und in der Regel auch fürseine grob fahrlässige Verursachung ausgeschlossen ist.

3. Gesetzliche Unfallversicherung der Erzieherinnen, Prak-tikanten, Honorarkräfte, ehrenamtlichen Helfer und mit-wirkenden Eltern

Die auf Grund eines Dienst- oder Praktikantenverhältnisses beschäftig-ten Erzieherinnen sind - wie andere Arbeitnehmer auch - nach § 2 Abs.1 Nr. 1 und § 8 SGB VII gegen Arbeits- und Wegeunfälle versichert.Entsprechendes gilt nach § 2 Abs. 2 SGB VII auch für Helfer (z. B.Eltern) und nebenberuflich Tätige (z. B. Gymnastiklehrer, Musikpäda-gogen), die ohne Begründung eines Beschäftigungs- oder Dienstver-hältnisses, entgeltlich oder unentgeltlich, dauernd oder vorübergehendfür die Einrichtung wie Beschäftigte tätig werden.

Haftpflichtversicherunggewährt zusätzlichen Schutz

Unfallversicherungsschutz fürErzieherInnen und andere

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Anhang

1. Abkürzungen

Abkürzungen im Text:BAGUV: Bundesverband der Unfallversiche-

rungsträger der öffentlichen Hand,München

BGH: Bundesgerichtshof für ZivilsachenGTK: Gesetz über Tageseinrichtungen für

Kinder (Nordrhein-Westfa-len)LSG: LandessozialgerichtOLG: OberlandesgerichtSGB VII: Sozialgesetzbuch VII - Gesetzliche

UnfallversicherungSGB VIII: Sozialgesetzbuch VIII - Kinder- und

JugendhilfegesetzStGB: StrafgesetzbuchVersR.: Versicherungsrecht (Zeitschrift)

2. Anmerkungen zum Text

1 Aus Gründen der Vereinfachung haben wir imText die weibliche Form der BerufsbezeichnungErzieherin gewählt. Gemeint sind mit dieser Be-zeichnung alle am erzieherischen Prozess betei-ligten MitarbeiterInnen einer Tageseinrichtung.

2 Sahliger, UdoDie Aufsichtspflicht im KindergartenMünster 1994, S. 21

3 Sahliger, UdoDie Aufsichtspflicht im KindergartenMünster 1994, S. 22

4 Preissing, Christa/Prott, RogerRechtshandbuch für Erzieherinnen5. AuflageNeuwied 1996, S. 64

5 Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 21.03.1979- Az.: 2 Ns 10 Ls 21 Js 929/77 -nicht veröffentlicht

6 Urteil des OLG München vom 10.11.1961VersR 1962, 747

7 Urteil des BGH vom 19.03.1957VersR 1957, 840

8 Preissing, Christa/Prott, RogerRechtshandbuch für Erzieherinnen5. AuflageNeuwied 1996, S. 66

9 Fieseler, Gerhard/Herborth, ReinhardRecht der Familie und Jugendhilfe4. Auflage, S. 2551996

10 Urteil des OLG Bremen vom 07.09.1977VersR 1978, 525

11 Gemeint ist das Achte Buch des Sozialgesetz-buchs, d. h. das Kinder- und Jugendhilfegesetz(KJHG)

12 Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 31.03.1993HV-Info 1993, 1645

3. Literaturhinweise

Busch, M.Aufsichtspflicht und Haftung in der Jugendhilfe imZentralblatt für Jugendrecht 1996, Seite 456 ff.

Fieseler, G./Herborth, R.Recht der Familie und JugendhilfeArbeitsplatz Jugendamt/Sozialer Dienst4. überarbeitete AuflageNeuwied, Berlin 1996

Oehlmann-Austermann, A. in:Janssen/Dreier/SelleKindertageseinrichtungen in NRWPraxiskommentar für Einrichtungen,Fachberatung und Verwaltung, Kronach 1999Kapitel 2: Aufsicht/Haftung/Versicherungs-schutz

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unter besonderer Berücksichtigung von Einrich-tungen der Jugendhilfe, 3. Auflage, Hannover1995

4. Fortbildung/Beratung

Die Landesjugendämter Westfalen-Lippe undRheinland führen im Rahmen ihrer gesetzlichenAufgaben und ihrer Kapazitäten Seminare zurAufsichtspflicht durch und bieten Beratung zumThema an. Gleiches gilt für die Unfallversicherungsträger derGemeindeunfallversicherungsverbände (sieheAdressen). Beratungen werden auch von den örtli-chen Jugendämtern und den Fachberatungen derVerbände durchgeführt.

5. Adressen der Versicherungsträger

Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst undWohlfahrtspflege, Pappelallee 35 - 37, 22089 Hamburg

Bundesverband der Unfallversicherungsträger deröffentlichen Hand e. V. - BAGUV, Fockensteinstra-ße 1, 87539 München

Rheinischer Gemeindeunfallversicherungsverband,Heyestr. 99, 40625 Düsseldorf, Postfach 12 05 30,40605 Düsseldorf, Tel.: 02 11/28 08-0

Gemeindeunfallversicherungsverband Westfalen-Lippe, Salzmannstr. 156, 48159 Münster, Postfach59 67, 48135 Münster, Tel.: 02 51/21 02-0

Landesunfallkasse Nordrhein-Westfalen,Ulenbergstraße 1, 40223 Düsseldorf, Tel.: 02 11/90 24-0

Preissing, Ch./Prott, R.Rechtshandbuch für Erzieherinnen5. neubearbeitete Auflagein Zusammenarbeit mit Gerd HarmsNeuwied, Kriftel, Berlin 1996

Sahlinger, U.Die Aufsichtspflicht im KindergartenMünster 1999

UnfallversicherungsträgerDie Träger der gesetzlichen Unfallversicherungund der Verbände haben eine Fülle von Veröf-fentlichungen zum Thema Sicherheit unter ande-rem in Kindergärten und Schulen herausgege-ben, die in abgewandelter Form auch in sonsti-gen Einrichtungen der Jugendhilfe anwendbarsind bzw. angewandt werden müssen. NähereErkundigungen sind dort einzuholen (sieheAdressen).

Einige Beispiele:

Bundesverband der Unfallversicherungsträgerder öffentlichen HandSpielgeräte in Kindergärten, Merkblatt

GemeindeunfallversicherungsverbandWestfalen-LippeGesundheitsschutz und Erste Hilfe in Schule undKindergärten, Medienverzeichnis

Bundesverband der Unfallversicherungsträgerder öffentlichen HandMit der Schulklasse sicher unterwegs, Sicher-heitsratschläge für Unterrichtsgänge, Exkursio-nen, Wanderungen, Klassenfahrten und Heim-aufenthalte

Scheffner, D."Es kommt darauf an" in Kita aktuell NW Nr.1/98, S. 8 ff.

Vent/Klaussen/KnappertsbuschArbeitsgemeinschaft für ErziehungshilfeAufsichtspflicht und Aufsichtspflichtverletzung