Aufwachwahrscheinlichkeit bei...
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Aufwachwahrscheinlichkeit bei Verkehrslarm
Dirk Windelberg1, Berthold Vogelsang2
1 Mathematik, Universitat Hannover, Deutschland, Email: [email protected] Nieders. Ministerium fur Umwelt und Klimaschutz, Hannover, Deutschland, Email: [email protected]
Inhalt
Tabelle 1: Drei Modellnachte mit jeweils 8 Guterzug-vorbeifahrten werden miteinander verglichen:
G 8 Guterzuge fahren im Stundentakt(22:30 Uhr, ...., 05:30 Uhr)
U 4 Guterzuge fahren zwischen 22 und 23 Uhr -und 4 Guterzuge fahren zwischen 05 und 06 Uhr
E 8 Guterzuge fahren zwischen 22 und 23 Uhr
Der Nacht-Mittelungspegel ist bei den 3 Nachten gleich.In diesem Vortrag wird zunachst die
Aufwachwahrscheinlichkeitinfolge von Guterzug-Vorbeifahrten
definiert und anschliessend auf die 3 Modellnachte ange-wandt.Dazu werden verschiedene Modellierung nachtlichenSchlafes betrachtet:• einerseits durch vom Zeitpunkt des Einschlafens
abhangige Schlafstadien, deren einzelne Stufen alsAufwachwahrscheinlichkeiten interpretiert werdenund
• andererseits durch von der Uhrzeit abhangige Schlaf-kurven.
Schlaf
Abbildung 1: Die dunne Kurve beschreibt die von ver-schiedenen Autoren wahrend des (nicht durch Verkehrslarmgestorten) Schlafes gemessenen Cortisol-Konzentrationen -die dicke Kurve soll die mittlere Aufwachwahrscheinlichkeitcharakterisieren.
Mathematisch sind diese drei Treppenfunktionen ein Zei-
Kinder Erwachsene AlteAbbildung 2: Mediziner beschreiben fur drei Altersklassenden 8-stundigen Schlaf einzelner Personen, indem sie fur je-weils 10 Minuten eines von 6 gemessenen
”Schlafstadien“
angeben.
chen schlechter Statistik: Streubereiche sind nicht ange-geben und es gibt keine Aussage uber die Untersuchungs-methoden Es ist zu bezweifeln, dass• sowohl der individuelle Cortisolspiegel in Abbildung 1• als die vom Alter abhangigen zeitlichen Verteilungen
der Schlafstadien in Bild 2durch einen theoretisch definierten Nacht-Mittelungspegel verursacht werden - und nicht durcheinzelne Vorbeifahrpegel oder andere Gerauscheoder Eindrucke. - Ohne weitere Informationen sindAussagen uber Schlafstorungen in Abhangigkeitvon Nacht-Mittelungpegel von Verkehrslarms ohne-hin nicht sinnvoll. Diese Beschreibung des Schlafes
Abbildung 3: Hilfsweise fur alle drei Alterstufen verallge-meinerte Treppenfunktion der fur jeweils 10 Minuten festge-legten Schlafstadien.
durch Schlafstadien eignet sich jedoch nicht, umKorrelationen zwischen einer ”(fahrplanmassigen) Zug-vorbeifahrt“ und einer zugehorigen ”Anderung derAufwachwahrscheinlichkeit“ erkennen zu konnen, dadie Sprunge zwischen den einzelnen Schlafstadien vomEinschlaf-Zeitpunkt (und nicht vom Guterzug-Fahrplan)abhangen. In Abbildung 4 werden diesen Schlafstadiendaher drei mathematisch definierte ”Schlafkurven“hinzugefugt, die eine solche Zuordnung erlauben.
Abbildung 4: Anstelle der Treppenfunktionen aus Abbil-dung 2 und Bild 3 werden drei
”Schlafkurven“ fur
”mittleren“,
”leichten“ und
”tiefen“ Schlaf definiert.
Mangels anderer Informationen werden hier die verschie-denen ”Beschreibungen des Schlafes durch Schlafstadi-en“ jeweils auch als ”Beschreibungen der Aufwachwahr-scheinlichkeit“ interpretiert:
Schlafstadien wach REM I II III IVAufwachwahr-scheinlichkeit in % 100 80 60 40 20 0
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Schlafkurven
Wenn schon die Schlaftiefe oder hier die Aufwachwahr-scheinlichkeit in Abhangigkeit von der Uhrzeit beschrie-ben werden soll, dann kann dies nur als eine ”Modellie-rung des Schlafes“ geschehen - es wird nicht erwartet,dass es einen Menschen gibt, der regelmaßig in der hierbeschriebenen Weise schlaft.Schlaftiefe und Aufwachwahrscheinlichkeit laßt sichdurch mathematisch beschriebene ”Schlafkurven“ cha-rakterisieren, welche die folgenden Bedingungen erfullensollen:
• Um 22:00 Uhr ist der Schlaf am tiefsten - d.h. dieAufwachwahrscheinlichkeit aww ist gleich 0%.
• um 06:00 Uhr ist der Schlaf am leichtesten - d.h. dieAufwachwahrscheinlichkeit aww ist gleich 100%.
Abbildung 5: Anstelle der Treppenfunktionen aus Abbil-dung 2 und Bild 3 werden drei
”Schlafkurven“ fur
”mittleren“,
”leichten“ und
”tiefen“ Schlaf definiert.
aww(t) :=
60− 40 · cos
(( t12 )2 · π
)mittlerer Schlaf
35− 25 · cos(( t12 )2 · π
)tiefer Schlaf
70− 30 · cos(( t12 )2 · π
)leichter Schlaf
wobei t die Stunden nach 22:00 Uhr angibt (0 ≤ t ≤ 8).
SchlafstorungVereinbarungen/Normierungen:• (mittlerer) Vorbeifahrpegel: wahrend der ge-
samten Vorbeifahrzeit (10m vor Erreichen des Mes-sortes bis 10m danach - oder bei Uberschreitung desMesspegels von 50 dB(A)) - werden in Zeitschrittenvon 0,2 s die Pegel in 25m Abstand von der Gleis-mitte in 3.5m Hohe gemessen.
• maximaler Vorbeifahrpegel: hochster Vorbei-fahrpegel mit Mindestdauer 0.2 s und Maximaldauer1 s.(angenommener Mittelwert der maximalen Vor-beifahrpegel bei Guterzugen: Vorbeifahrpegel+3 dB(A))
• Stundenpegel: energetisches Mittel uber alle durchSchienenverkehrslarm wahrend einer Stunde verur-sachten Pegel.
• Nachtpegel: energetisches Mittel uber alle durchSchienenverkehrslarm wahrend der 8 Nachtstunden(von 22:00 bis 06:00 Uhr) verursachten Pegel.
Bemerkung: Fur den Fluglarm gibt es ein ”Maximalpe-gelkriterium Fluglarm“:Der Maximalwert von 53 dB(A) darf hochstens 6mal pro Nacht uberschritten werden.
Abbildung 6 zeigt ein Beispiel nachtlicher Zugvorbeifahr-ten in 25m Abstand von der Gleismitte in 3.5m Hohe.Fur ein ”Maximalpegelkriterium Schienenlarm“ ware ei-ne Bestimmung der Anzahl von Pegeln notwendig, dieam Ohr eines Schlafenden hoher sind als 53 dB(A).
Abbildung 6: Vorbeifahrten von Personen- und Guterzugen(P bzw G) wahrend einer Nacht an der BETUWE-Linie mitAngabe von Uhrzeit, Vorbeifahrzeit-bewerteten Vorbeifahr-pegel sowie Stunden- und Nacht-Mittelungspegel.
Anstieg und AbklingkurveNormierung
Zur Normierung und zum besseren Vergleich wird hiernur eine einzige Vorbeifahrt betrachtet:
• Schlafstadien: Bei einem Schlaf nach Schlafstadi-en fuhrt ein Pegel von 75 dB(A), der 6 Stunden nachdem Einschlafen wahrend 20 Sekunden wirkt, zu ei-ner Erhohung um 25% (d.h. zu dem Schlafstadium
”wach“). Damit wird der Schlaf gestort.
Abbildung 7: Normierung des Schlafstadien-Anstiegs beieiner Vorbeifahrt um 04:00 Uhr bei 75 dB(A) wahrend20 Sekunden: Anstieg 1.25 Schlafstadien.
Abbildung 8: Normierung des Anstiegs bei einer Vorbei-fahrt um 04:00 Uhr bei 75 dB(A) wahrend 20 Sekunden beimittlerem Schlaf: Anstieg 48%.
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Abbildung 9: Vorbeifahrzeit-bewertete Vorbeifahrpegel ausAbbildung 9.
Nun wird eine Funktion as(p, z) gesucht, die denAnstieg der Aufwachwahrscheinlichkeit
in Abhangigkeit von dem(mittlerem) Vorbeifahrpegel p und der Vorbeifahrdauer z(und Uhrzeit t) und der Schlafgewohnheit s (s ∈ {m, l, t}mit m=mittlerer, l=leichter und t=tiefer Schlaf) be-schreibt, z.B. in der Form
as(p, z) := fs · fp(p) · fz(z)
Fur s = m sollte dann das Produkt fp(p) · fz(z) etwafolgende Werte annehmen:
Tabelle 2: Faktor fp · fz zur Berechnung des Anstiegsfp · fz
nach as(p, z) := fs(p, z) · fp(p) · fz(z) mit fs(p, z) = 1z in p = p = p = p ≥sec 42 dB(A) 60 dB(A) 70 dB(A) 75 dB(A)5 0.01 0.04 0.08 0.0920 0.05 0.14 0.25 0.2840 0.16 0.45 0.78 0.861000 0.13 0.37 0.64 0.71
Diese Tabelle zeigt:Bei einem Vorbeifahrpegel p = 70 dB(A) wahrend einerVorbeifahrzeit von z = 20 s erhoht sich die Aufwach-wahrscheinlichkeit um 25%.Auf der Grundlage dieser Funktion am(p, z) (nach Wahleines geeigneten Faktors fm) wurde fur jede Zugvorbei-fahrt die Hohe des Vorbeifahrzeit-bewerteten Anstiegsin Abbildung 9 gezeichnet.
Addition von Aufweckreaktionen
Die Abbildung 9 wird als Beispiel gewahlt fur eine sehrruhige Nacht mit einer geringen Zahl an Vorbeifahrten.
In Abbildung 10 wird die Wirkung der Vorbeifahrtenaus Abbildung 9 auf die Aufwachwahrscheinlichkeit einesSchlafenden bei mittlerem Schlaf berechnet: Jede Vorbei-fahrt verursacht einen Anstieg der Aufwachwahrschein-lichkeit und anschliessend ein Abklingen in Form einer
”Abklingkurve“. Wenn dann wahrend des Abklingens einweiterer Guterzug vorbeifahrt, so beginnt der Anstiegnicht auf der Schlafkurve, sondern auf der Abklingkur-ve.
Die Abbildung 10 zeigt, dass bei den hier gewahlten Pa-rametern fur eine Abklingkurve keine Aufweckreakti-on in der Nacht von Samstag zu Sonntag bei mittleremSchlaf stattfindet.
Abbildung 10: Anstieg und Abklingkurve wahrend derNacht von Samstag auf Sonntag bei mittlerem Schlaf.
Abbildung 11: Anstieg und Abklingkurve wahrend derNacht von Freitag auf Samstag bei mittlerem Schlaf.
(Im Folgenden wird darauf verzichtet, zusatzlich die Wir-kung auf Schlafstadien nach Abbildung 2 bzw. Abbildung 3oder leichten bzw. tiefen Schlaf zu betrachten.)
Es bleibt dem geneigten Leser uberlassen, andereFunktionen und/oder Parameter sowohl fur denAnstieg als auch fur die Abklingkurve anzuwen-den.
Bereits in Abbildung 6 wurden die Vorbeifahrzeit-bewerteten Vorbeifahrpegel aus der Nacht vom Freitagauf Samstag betrachtet. Dazu ergibt die hier gewahlteAnalyse die Abbildung 11,die zeigt, dass bei den hier gewahlten Parametern furAnstieg und Abklingkurve 8 Aufweckreaktionen zwischen22:00 und 06:00 Uhr (und 4 Aufweckreaktionen zwischen01:00 und 05:00 Uhr) in der Nacht von Freitag zu Sams-tag bei mittlerem Schlaf stattfinden.
Es wird vorgeschlagen, fur eine (zusatzliche)Larmbeschrankung wahrend einer Nacht anstel-le eines Maximalpegelkriteriums
die Anzahl der Aufweckreaktionenals Maß fur Schlafstorungen einzufuhren.
Drei Szenarien
G, U und EIm folgenden Kapitel sollen 3 Szenarien betrachtet wer-den, in denen jeweils die Nacht-Mittelungspegel und dieAnzahl Vorbeifahrten von Guterzugen gleich sind, aberdie Anzahl Aufweckreaktionen verschieden sind.
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Abbildung 12: Szenario G: Ursache und Wirkung:22:00 - 06:00 Uhr: 4 Dammerschlaf-Situationen01:00 - 05:00 Uhr: 3 Dammerschlaf-SituationenSzenario U: Ursache und Wirkung:22:00 - 06:00 Uhr: 4 Dammerschlaf-Situationen01:00 - 05:00 Uhr: 0 Dammerschlaf-SituationenSzenario E: Ursache und Wirkung:22:00 - 06:00 Uhr: eine Stunde Dammerschlaf-Situationen01:00 - 05:00 Uhr: 0 Dammerschlaf-Situationen
In jedem der drei Nacht-Szenarien G, U und E werdenjeweils 8 Guterzuge pro Nacht betrachtet; jeder dieserGuterzuge verursacht wahrend 20 Sekunden einen Vor-beifahrpegel von 75 dB(A) - damit betragt der Nacht-Mittelungspegel in jedem der drei Szenarien 52.4 dB(A).
Schlafstadien
Bei der Beschreibung des Schlafes durch Schlafstadiennach Bild 3 wird hier die Haufigkeit gezahlt, in der derSchlafende in den ”Dammerschlaf“ gerat. Diese Haufig-keit hangt stark von dem jeweiligen Schlafstadium ab; da-her ergibt eine Beschreibung des Schlafes nach einer derdrei Darstellungen in Bild 2 andere Anzahlen von Auf-weckreaktionen.
Die Anzahl der Dammerschlaf-Situationen wird in derAbbildung 12 bestimmt. Damit ergibt die Beschrei-bung des Schlafes durch Schlafstadien gemaß Bild 3, dassdas Szenario U den gunstigsten Einfluss auf dieSchlafqualitat besitzt.
Schlafkurven
Die Anzahl Aufweckreaktionen wird in der Abbildung 13bestimmt.
Auswertung
Eine Auswertung erfordert einen Vergleich mit den beste-henden Berechnungs-Vorschriften, nach denen das ener-getische Mittel aller wahrend der 8 Nachtstunden vorbei-fahrenden Zuge auf der Grundlage des Streckenfahrplans
Abbildung 13: Szenario G: Ursache und Wirkung:22:00 - 06:00 Uhr: 5 Aufweckreaktionen01:00 - 05:00 Uhr: 3 AufweckreaktionenSzenario U: Ursache und Wirkung:22:00 - 06:00: 6 Aufweckreaktionen01:00 - 05:00: 0 AufweckreaktionenSzenario E: Ursache und Wirkung:22:00 - 06:00: 4 Aufweckreaktionen01:00 - 05:00: 0 Aufweckreaktionen
berechnet wird - ohne Berucksichtigung der Uhrzeit undder jeweiligen Abweichung von einem ”Normzug“.
Der Nacht-Mittelungspegel korreliert nicht
mit der Aufwachwahrscheinlichkeit.
Es wird empfohlen, aus den an einem definierten Ort furjede nachtliche Guterzugvorbeifahrt gemessenen
Vorbeifahrpegel, Vorbeifahr-Dauer und Uhrzeitder 7 Nachte einer Woche die jeweilige Larmbelastungfur eine ausgewahlte Schlafgewohnheit zu berechnen
und gegebenenfallsZugzahlen, -geschwindigkeiten oder Vorbeifahrzeiten
so zu verandern, dass die Larmbelastung von den An-wohnern akzeptiert werden kann.
Entsprechende Simulationen wurden fur Hamminkelndurchgefuhrt.
Fazit
Statt100 Menschen zu untersuchen oder zu befragen, ob (oderwie sehr) sie in ihrem 8-stundigen Schlaf durch irgend-welche Ursachen gestort werden,ware es sinnvoll,Schlaf, Schlafstorungen und Aufwachwahrscheinlichkeiteines ”Modell-Menschen“stets zeitgemaß (mathematisch) zu modellieren.
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